Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich' freue mich, daß mich meine Fraktion beauftragt hat, eine, kurze Begründung zu dem Antrag Drucksache 1704 über die Gleichstellung aller Arbeitnehmer im Krankheitsfall zu geben. Wie Sie sehen, schlägt die SPD-Fraktion eine Änderung des. §..616 BGB vor Es ist nicht das erst?
Mal, daß dieser Paragraph des seit der Jahrhundertwende bestehenden Bürgerlichen Gesetzbuchs geändert wird. Sie brauchen also deshalb nicht beunruhigt zu sein. Der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion kommt es im vorliegenden Fall nur darauf an, in diesem einen Punkt das BGB zu ändern, nicht nur, weil die bisherige Bestimmung den gegenwärtigen sozialen Verhältnissen in keiner Weise mehr entspricht, sondern auch, weil die von uns angegriffene Bestimmung eine soziale Ungerechtigkeit darstellt, eine Ungerechtigkeit, die von den Arbeitern als besonders hart empfunden wird. Es handelt sich für uns darum, daß wir die Unterschiedlichkeit in der Behandlung, die die Arbeiter und die Angestellten im Krankheitsfall erfahren, beseitigen.
Nach den augenblicklichen gesetzlichen Regelungen — ich erinnere hierbei nur an die §§ 63 und 76 des Handelsgesetzbuchs, an den § 133 c der Gewerbeordnung und an den als Hauptbestimmung in Betracht kommenden § 616 BGB — hat ein Angestellter, der krank wird, im Gegensatz zu einem Arbeiter einen gesetzlichen Anspruch darauf, daß ihm das Gehalt für sechs Wochen weitergezahlt wird. Selbstverständlich erhält er während dieser Zeit gemäß § 189 der RVO von der Krankenkasse kein Krankengeld. Diesen Anspruch auf Lohnfortzahlung während der Krankheitsdauer hat der Arbeiter nicht. Im allgemeinen muß nach der augenblicklichen Regelung der Arbeiter mit dem Krankengeld der Krankenkasse auskommen, das nur halb so hoch ist wie der Lohn, während der Angestellte weiter sein volles Gehalt bekommt. Es kommt uns ganz entscheidend darauf an, die in der augenblicklichen Regelung liegende Diskriminierung der Arbeiter gegenüber den Angestellten und Beamten zu beseitigen und wenigstens in diesem Punkte die einzelnen Arbeitnehmergruppen gleichzustellen. Das wird nur erreicht, wenn der § 616 BGB in der von uns beantragten Form geändert wird.
Im wesentlichen würde die Annahme unseres Antrages bedeuten, daß in Zukunft auch der Arbeiter im Krankheitsfalle gegenüber seinem Arbeitgeber den Anspruch auf sechswöchige Lohnzahlung hat und daß es dem Arbeitgeber unmöglich gemacht wird, den Arbeitnehmern im Zusammenhang mit der Krankheit zu kündigen, um sich der Lohnzahlungspflicht zu entziehen.
Um auch kleineren Betrieben zu ermöglichen, diese vermehrte Belastung zu tragen, die von uns gar nicht bestritten wird, deren Ausmaß aber von den Gegnern unserer fortschrittlichen Forderung stark übertrieben wird, soll auf der Ebene einzelner oder mehrerer Berufe oder Wirtschaftszweige ein Ausgleichsstock errichtet werden, über den die Finanzierung erfolgen soll. Außerdem verweise ich auf den § 189 RVO, nach dem dann, wenn die Arbeitnehmer Lohnfortzahlungen im Krankheitsfalle erhalten, eine entsprechende Kürzung der Beiträge erfolgt die beiden Gruppen zugute kommt., Im übrigen darf ich auch auf die Bestimmung des. § 369 b RVO hinweisen, nach dem die Arbeitsunfähigkeit nachgeprüft werden kann.
Wenn ich vorhin sagte, daß unsex Vorschlag der Beseitigung einer Ungerechtigkeit gilt, und wenn wir der Ansicht sind, daß unser Antrag einer sittlichen Notwendigkeit entspricht, so deshalb, weil die von dem geltenden System unseres Arbeitern und Sozialrechtes vorgenommene Abgrenzung zwischen Arbeitern Angestellten und Beam-
ten, die, wie Sie gesehen haben, so schwerwiegende Nachteile für den Arbeiter in sich birgt, mit der wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht mehr übereinstimmt.
Ich darf Ihnen folgendes Beispiel geben: ein Maschinensetzer in einer Druckerei hat eine Setzmaschine zu bedienen. Sie ist in ihrer Konstruktion, soweit die unmittelbare Bedienung in Frage kommt, einer Schreibmaschine ähnlich. Die Stenotypistin an der Schreibmaschine, die ihr Diktat aus dem Diktaphongerät aufnimmt und in ihre Maschine überträgt, ist Angestellte. Der Setzer, der uns die Artikel in den täglich erscheinenden Zeitungen schreibt, ist Arbeiter. Betrachten Sie die erfahrenen, hochqualifizierten Facharbeiter, die mit schwierigen Arbeitsvorgängen z. B. in der Feinmechanik, Tischlerei, Optik, Uhrmacherei, oder ganz gleich, welches Handwerk Sie nehmen, vertraut sind und große Verantwortung tragen. Diese Fachkräfte sind Arbeiter.
Niemand von uns will irgendeiner Person oder Gruppe etwas nehmen und deren Rechtsverhältnisse verschlechtern. Nein, wir wollen einzig und allein den Arbeitern die gleiche Chance geben und das gleiche Recht für sie schaffen. Es muß die vornehmste Aufgabe der gesetzgebenden Organe der Bundesrepublik sein, den Arbeitern, Angestellten und Beamten dem Fortschritt entsprechende Rechte zu gewähren. Erreichen wir dies auch für den deutschen Arbeiter, dann haben wir ein Stück soziale Gerechtigkeit geschaffen. Wir sind überzeugt, daß die große Mehrheit des Bundestages der gleichen Auffassung ist und diesem Gesetzentwurf zustimmt.