Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ein deutscher Lohnarbeiter im Augenblick durch Krankheit gezwungen wird, zu feiern, dann bedeutet dieses Ereignis für seine Hauswirtschaft ungefähr dasselbe, was für einen Bauern ein Hagelwetter bedeutet.
Drei Tage ohne Krankengeld und dann eine Reihe von Tagen ein Krankengeld von nur 60 % des Lohnes, unter Umständen, beim Familienvater, bis 80 % — ich will das im einzelnen nicht auseinandersetzen —, das ist ein erheblicher Einbruch in das normale wirtschaftliche Dasein.
Die Härte wird nicht bestritten und wurde nie bestritten. Im Gegenteil, es ist in den letzten Jahren eine Tendenz festzustellen, diese Verhältnisse zu ändern. Die Vorschläge zur Reform unserer Sozialversicherung enthalten zum Teil derartige Vorschläge von sehr bekannten und angesehenen Sozialpolitikern. Es ist auch darauf hinzuweisen, daß durch eine Reihe von Tarifvereinbarungen und Verträgen auf freiwilliger Basis die Unternehmer einen Teil dieses Defizits bereits im Haushalt des erkrankten Arbeitnehmers ausgleichen. Es gibt die Reduktion der berühmten drei Karenztage auf zwei oder auf einen, es gibt Lohnfortzahlungen zum Teil bis zu 90 % des tatsächlichen Lohnes; auch in der Landwirtschaft ist das sehr weit verbreitet. Es gibt nach § 15 TO B für die Arbeiter in öffentlichen Diensten eine unabdingbare Lohnfortzahlung. Sie sehen also: im allgemeinen eine Tendenz, das Bild zu verschönern.
Man würde aber der ganzen Sache nicht gerecht werden, wenn man nicht einige Argumente der Anhänger des Status quo hier beraten würde. Zu diesen Argumenten gehört z. B. folgendes: das Gefälle zwischen Lohn- und Krankengeld verhindere das unbegründete Krankfeiern. Meine Damen und Herren, aus den Statistiken unserer Krankenkassen kann man ersehen, daß bei saisonbedingter Arbeitslosigkeit die Krankheitsziffern der Krankenversicherungsträger erheblich heraufschnellen. Das ist materiell nicht zu bezweifeln. Übrigbleibt dann aber immer noch, daß diese Methode der Risikoabwehr für die nicht Asozialen unter den Arbeitnehmern — und der Anteil der Asozialen ist bei den Arbeitnehmern bekanntlich nicht höher als bei den Arbeitgebern und bei den anderen Berufsständen —
doch mit einer Roßkur von denjenigen bezahlt wird, die sich sozial gerecht verhalten.
Also unschön bleibt die ganze Affäre unter allen Umständen.
Nun, meine Damen und Herren, ich suche nach der richtigen Methode. Denn der Gedanke der Risikoabwehr ist ja nicht aus der Welt zu schaffen und zu bagatellisieren.
Herr Kollege Richter hat vorhin auf die Ungleichmäßigkeit hingewiesen und mit Leidenschaft die Theorie vertreten, man müsse die Verhältnisse zwischen Lohnempfängern und Angestellten gleichziehen. Das Wort „Nivellierung" ist, glaube ich, vorhin hier gefallen. Ich will das nicht behandeln und dieses Wort nicht ausdeuten. Meine Damen und Herren, vergleichen wir doch einmal das wirtschaftliche Schicksal verschiedener Berufsgruppen in Deutschland, wenn sie arbeitsunfähig krank werden, nicht nur den Lohnempfänger mit dem Angestellten. Der Selbständige riskiert bei Ausfall seiner Arbeitskraft im Betrieb eine erhebliche Störung des Betriebszweckes und Ertragsminderung. Auch der Angestellte wird von wirtschaftlichen Gefahren bedroht, wenn er krankfeiert — trotz der Fortzahlung seines Gehalts in den ersten sechs Wochen. Der Angestellte dient doch bekanntlich, sagen wir einmal, auf Beförderung. Er ist also daran interessiert, in dem Betrieb, dem er angehört, aufzusteigen und bessere Chancen zu bekommen. Durch ein Krankfeiern fürchtet er, in seinem Betrieb unbeliebt zu werden oder nicht mehr das Vertrauen zu genießen, das er vorher genossen hat. Bei den freien Berufen ist ein Tag Bett ein Tag Verdienstausfall. Man kann nicht behaupten, daß hier völlige Ungleichmäßigkeit bestehe. Eine entscheidende Ähnlichkeit ist überall vorhanden. Krankheit bedeutet, abgesehen von den Schmerzen, eine wirtschaftliche Beeinträchtigung der Daseinschancen. Wir haben ja nicht mit der Schöpfung zu hadern, daß das so eingerichtet worden ist, aber wir können folgendes feststellen: Der Schmerz hat zweifellos die Funktion, den Kranken darauf bedacht sein zu lassen, daß er um Heilung bemüht ist, und auch der wirtschaftliche Schaden hat eine Funktion: sich zu bemühen, die Krankheit so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Also das wirtschaftliche Risiko, das bei Krankheit getragen wird, sollte in seiner Funktion anerkannt werden.
Die Freie Demokratische Partei geht bei den Überlegungen, auf welchem Wege man den Lohnarbeiter rasch, aber nicht auf einmal — wir sind keine Anhänger perfektionistischer Lösungen — in das Verhältnis des Angestellten bringt, von folgenden Vorstellungen. aus. Es gibt weite Gruppen von Lohnempfängern, die in ihrer Bindung an den Betrieb und in ihren Aufgaben dem Angestellten bereits sehr ähnlich geworden sind, bei denen die Überlegung, daß ihr Ausfall eine erhebliche Störung des Betriebszwecks bedeutet, genügt, um sie im Falle einer Erkrankung sehr verantwortlich nachprüfen zu lassen, ob ihre Krankheit Arbeitsunfähigkeit bedingt oder nicht. Wir könnten uns vorstellen, daß u. a. mit einer Erweiterung des Katalogs, der in § 133 c der Gewerbeordnung vorhanden ist, meinetwegen unter Beratung durch die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung, die dabei wertvolle Hilfe leisten kann, immer weitere Personenkreise in eine glücklichere Form des wirtschaftlichen Schutzes bei Krankheit hinüberführt. Eine im Augenblick überhitzte und unterschiedslos vorgenommene Änderung nach dem Vorschlag der Sozialdemokratischen Partei scheint uns ein wenig riskant zu sein. Die Kosten, die für diesen Vorgang geschätzt werden, gehen natürlich, auch aus der Interessenlage heraus, weit auseinander. Dabei beläuft sich die unterste Schätzung auf 900 Millionen, während man andererseits von 5, 6, ja 7 % der Grundlohnsumme spricht.
Es ist darauf hingewiesen worden, wie schwierig die Situation für das im Wettbewerb beschränkte Gewerbe und den Mittelstand sein könnte. Das will ich jetzt nicht vertiefen, aber ich will doch auf folgendes hinweisen. Man denke an unsere Berliner Debatte. Uns beschäftigte die Frage: Kann man eine eventuell drohende Teuerung abstoppen oder nicht abstoppen? Kann man sich vorstellen, daß eine solche Erhöhung der Sozialbeiträge — und das sind sie ja in Wirklichkeit — nicht eine Teuerungswelle zur Folge haben könnte? Meine Damen und Herren, eigentlich ge-
hören diese schwierigen Probleme in den großen Plan der Generalreform unserer Sozialversicherung.
Wir stimmen der Überweisung an den Ausschuß zu,
— an die genannten Ausschüsse zu und hoffen, daß wir die Möglichkeit haben, dort eine segensreiche Arbeit im Interesse der deutschen Arbeitnehmerschaft zu leisten.