Rede von
Dr.
Stefan
Dittrich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für die CDU/CSU-Fraktion hinsichtlich der Gleichstellung der Arbeitnehmer im Krankheitsfalle folgendes vortragen. Der Bundesvorstand des DGB hat Anfang dieses Jahres dem Bundesarbeitsministerium und den Fraktionen dieses Hohen Hauses einen Entwurf des Gesetzes zur Änderung des § 616 des Bürgerlichen Gesetzbuches vorgelegt. Die sozialdemokratische Fraktion hat sich diesen Entwurf des DGB im wesentlichen zu eigen gemacht und ihn mit einigen Abwandlungen hier eingebracht. Meine Fraktion steht auf dem Standpunkt, daß eine unterschiedliche Behandlung der Angestellten und der Arbeiter in der Frage der Fortzahlung des Lohnes bei Erkrankung der heutigen Auffassung nicht mehr gerecht wird, daß sie mindestens problematisch ist. Heute ist bei uns eine weitgehende gesellschaftliche Gleichstellung aller Arbeitnehmer eingetreten. Von diesem Gesichtspunkt müssen wir bei der Behandlung dieses Problems ausgehen. Es geht nicht mehr an, daß ein hochqualifizierter Facharbeiter anders gestellt wird als die vom Kollegen Richter eben zitierte Sekretärin oder Stenotypistin in einem Verlag.
Wenn wir davon sprechen, daß heute wesentlich eine gesellschaftliche Gleichstellung aller Arbeitnehmer eingetreten ist, so möchten wir aber doch eines hinzusetzen: Ein völliges Gleichmachen, wirft eine Reihe von gesellschaftspolitischen Problemen auf, an denen man bei der grundsätzlichen Auseinandersetzung über eine gesellschaftliche Neuordnung nicht vorbeigehen kann. Ich weiß, daß die gegenwärtige rechtliche Stellung des Angestellten und des Arbeiters verschieden ist. Das ist in manchem begründet, in manchem unbegründet. Aber auch in den Reihen der Arbeiter finden wir doch ohne Zweifel Ansatzpunkte, die eine differenzierte Behandlung erforderlich machen. Ich möchte einen Unterschied zwischen dem in einem Betrieb seit vielen Jahren arbeitenden Facharbeiter und dem setzen, der nur Gelegenheitsarbeiten verrichtet wie etwa der Bauhilfsarbeiter oder sonstige fluktuierende Arbeitskräfte.
Das in dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion aufgeworfene Problem ist nicht neu; mit ihm haben sich die CDU/CSU-Fraktion und meine Partei schon seit langem beschäftigt. Im Bundesarbeitsministerium sind im Rahmen der Pläne zur Reform der Sozialleistungen, insbesondere bei der Bearbeitung der Reform des Krankenkassenrechts bereits Erwägungen in dieser Richtung angestellt worden. Wir müssen uns aber bei dieser Frage der Gleichstellung aller Arbeitnehmer im Krankheitsfalle über eines klar sein: Damit wird der Beginn einer Entwicklung gesetzt, und diesem Falle werden weitere Fälle der Nivellierung der Arbeitnehmer in der Gesamtheit folgen und aller Voraussicht nach folgen müssen. Wir brauchen uns nur daran zu erinnern, daß beispielsweise hinsichtlich der Kündigungsfristen in unseren arbeitsrechtlichen Gesetzen noch Verschiedenheiten vorliegen. Gehen wir von der gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmung aus, so haben nur Angestellte in den Betrieben und Verwaltungen der Industrie und des Handels einen unabdingbaren Anspruch auf Fortzahlung ihres Gehalts bei Krankheit für die Dauer von sechs Wochen. Die Bestimmung des § 616 Abs. 2 ist eine Folge der Verordnung vom 5. Juni 1931. Daß die Forderung der Arbeiter auf Fortzahlung des Lohnes im Krankheitsfalle in der Wirtschaft Anerkennung findet, folgert schon daraus, daß in einer Reihe von tarifvertraglichen Bestimmungen in den letzten Jahren in zunehmendem Maße die Lohnzahlung an Arbeiter in Krankheitsfällen vereinbart ist. Wir sind der Wirtschaft und der Industrie ohne Zweifel zu Dank dafür verpflichtet, daß sie von sich aus solche Vereinbarungen getroffen haben. Sie aber, die Sie die Arbeitnehmerinteressen, insbesondere die Interessen der Arbeiter, in diesem Hohen Hause vertreten, werden sagen, daß man sich auf diese einzeltariflichen Bestimmungen nicht verlassen kann, daß man eine gesetzliche Regelung für die Gesamtheit haben muß. Diese Forderung entspringt einer obliegenden Fürsorgepflicht und der im Gesetzentwurf angesprochenen Forderung auf Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer.
Wir fragen uns nun, meine Damen und Herren, ob eine generelle gesetzliche Regelung im gegenwärtigen Zeitpunkt erwünscht und notwendig ist. Denn wir dürfen bei der Behandlung dieses Antrags nicht vergessen, daß eine solche Neuregelung für manche Betriebe, insbesondere mittelständischer Art, eine erhebliche Belastung mit sich bringt.
Wir dürfen nicht vergessen, daß die Betriebe des
Handwerks, des Gewerbes und der Landwirtschaft,
die nur wenige Arbeiter — einen Mann oder zwei
oder drei Leute — beschäftigen, im Falle einer solchen Verpflichtung zur Fortzahlung des Lohnes im Krankheitsfalle in die größten Schwierigkeiten kommen können. Das erkennt offensichtlich auch die sozialdemokratische Fraktion, denn sie hat in Art. 2 dieses Gesetzentwurfes einen sogenannten Ausgleichsstock vorgesehen. Ich habe kein Bedenken, daß die Großindustrie eine solche Regelung, wie sie in dem SPD-Antrag vorgeschlagen wird, wird verkraften können. Ich habe aber schwerste Bedenken — und bringe das im Namen meiner Fraktion zum Ausdruck —, ob diese generelle Behandlung in den Betrieben unseres Mittelstandes geeignet ist, einen gerechten sozialen Ausgleich zu schaffen. Betrachten wir doch einmal — die Zahlen stehen mir in etwa zur Verfügung —, was die Mehraufwendungen für die Wirtschaft im Falle einer auf 6 Wochen bemessenen Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfalle ausmachen werden! Nach überschläglicher Schätzung wird die Wirtschaft Mehraufwendungen von jährlich etwa 1 Milliarde DM haben. Das bedeutet bei einer Jahreslohnsumme von rund 42 Milliarden DM etwa 2,4 % der Lohnsumme.
Nun einige Bemerkungen zu der in Art. 2 dieses Gesetzentwurfs der sozialdemokratischen Fraktion vorgesehenen Einrichtung. Der Art. 2 lautet:
Zum Ausgleich der durch dieses Gesetz entstehenden Aufwendungen ist für Betriebe mit in der Regel bis zu 100 Beschäftigten. ein Ausgleichsstock zu errichten. Dieser Ausgleichsstock kann für einzelne oder mehrere Berufe oder Wirtschaftszweige errichtet werden. . . .
Ich frage Sie, meine Damen und Herren, ob dieser Vorschlag eines Ausgleichsstocks etwas anderes ist als das, was wir beim Kindergeldgesetz in Form der Familienausgleichskassen geschaffen haben.
— Aber absolut nichts anderes! Nur mit dem Unterschied, meine Damen und Herren, daß wir beim Kindergeldgesetz einen Satz von 1 % der Lohnsumme haben, während hier etwa 2,4 % umzulegen sein werden.