Zur Begründung des Antrags Drucksache 1811 hat Frau Dr. Probst das Wort.
Frau Dr. Probst , Antragstellerin: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Ich habe den Auftrag, im Namen der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP den vorliegenden Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes, Drucksache 1811, zu begründen. Sämtliche Fraktionen des Hohen Hauses waren sich bei der einmütigen Verabschiedung der dritten Novelle zum Bun-
desversorgungsgesetz vor etwa einem Jahre darüber einig, daß das Recht der Kriegsopfer — trotz der erheblichen Verbesserungen der dritten Novelle, die allgemeine Anerkennung gefunden haben — einer weiteren Fortentwicklung bedarf, daß es dabei aber vordringlich darauf ankommt, Härten des Gesetzes und Unebenheiten darin auszugleichen, besonderen sozialen Notständen zu begegnen und Ungleichheiten in der Behandlung verschiedener Gruppen innerhalb des Personenkreises der Kriegsopfer, die sich infolge der Novellierungen des Bundesversorgungsgesetzes herausgebildet oder verstärkt haben, zu beseitigen.
Die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten würden sich durch globale prozentuale Ausweitungen, wie sie in den Anträgen der SPD und des BHE vorgesehen sind, weiterhin verschärfen. Es bedarf vielmehr nach unserer Überzeugung im Augenblick eines vertieften und detaillierten Eindringens in die Gesetzesmaterie selbst, einer sorgfältigen. Überprüfung des bisher Geschaffenen, insbesondere in bezug auf die genannten Divergenzen und besonderen Notstände, die auf eine möglichst baldige Beseitigung drängen.
Wir gehen davon aus, daß im Vordergrund aller Überlegungen zunächst die Existenzsicherung des erwerbsunfähigen Kriegsbeschädigten, der Kriegerwitwen und Waisen, also der vaterlos gewordenen Familien, stehen muß, die ausschließlich von den Renteneinkommen nach dem BVG leben müssen. Dieselbe Unterhaltsverpflichtung der Allgemeinheit gegenüber den Opfern des Krieges besteht insbesondere bei den Kriegereltern, die ihre einzigen, letzten oder alle Kinder verloren haben.
Das Ziel, zu dem hin der vorliegende Entwurf einen weiteren Schritt bedeutet, ist die Versorgung des durch seine Kriegsbeschädigung erwerbsunfähig gewordenen Schwerbeschädigten, der ausschließlich auf seine KB-Rente angewiesen ist. Sie muß so gestaltet werden, daß sie ihm und seiner Familie nicht nur den vollen Unterhalt in befriedigender Weise gewährt, sondern darüber hinaus Anteil am kulturellen und gesellschaftlichen Leben unseres Volkes.
Der § 25 Abs. 2, der eine wirksame Sonderfürsorge für Kriegsblinde, Ohnhänder und sonstige Empfänger einer Pflegezulage sowie für Hirnverletzte sicherstellt, soll ergänzt werden durch die Hereinnahme des Personenkreises der Querschnittsgelähmten und der Tbc-kranken Schwerbeschädigten, die erfahrungsgemäß ohne eine Sonderfürsorge nicht in der Lage sind, zu der erwünschten Wiedereingliederung in das. soziale und berufliche Leben zu gelangen.
Wir haben die Absicht, durch unseren Gesetzesvorschlag auch die Gruppen der Schwerbeschädigten der übrigen Erwerbsminderungsgrade einzubeziehen in die Verbesserung der Ausgleichsrenten, sofern sie kein sonstiges Einkommen bzw. nur ein Einkommen haben, das innerhalb der Freigrenze liegt. In diese Fortentwicklung des Rechts sind einbezogen diejenigen, die nicht infolge ihrer Wehrdienstbeschädigung erwerbsunfähig geworden sind, unter ihnen vor allem die alten Veteranen des ersten Weltkrieges, die ihre Alterssicherung verloren haben und voll auf die Bezüge nach dem BVG angewiesen sind.
Dabei muß gleichzeitig zum Ausdruck gebracht werden, daß die Wiedereingliederung in das gesellschaftliche und berufliche Leben durch durchgreifende und wirksame Rehabilitationsmaßnahmen nach wie vor der leitende Gesichtspunkt bei der Versorgung dieses Personenkreises bleibt. Ich stimme hier dem Kollegen Pohle vollinhaltlich zu: In diesem Zusammenhang ist die Ausgestaltung des § 30 BVG von ausschlaggebender Bedeutung. Wir behalten uns vor, dem Ausschuß eine neue Fassung des § 30 vorzuschlagen, die bei der Festsetzung der Höhe des Erwerbsminderungsgrades die Berücksichtigung des vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen oder angestrebten Berufes verdeutlicht. Es handelt sich hier um ein Anliegen des Gesetzgebers, das gerade vom Herrn Bundesarbeitsminister Storch immer wieder vor dem Hohen Hause angesprochen wurde, das aber bis heute in der Praxis noch nicht die geforderte Berücksichtigung gefunden hat. Ebenso müssen bei der Festsetzung des Erwerbsminderungsgrades seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen, die mit der körperlichen Schädigung verbunden sind, ausreichend beachtet werden. Das gleiche gilt, wenn der Beschädigte besondere Aufwendungen für die Verwertung seiner ihm verbliebenen Erwerbsfähigkeit zu machen hat. Dies gilt insbesondere für Beschädigte mit fortschreitender Tbc oder mit chronischem Magen- und Darmleiden oder etwa bei Verlust der Kaufähigkeit. Bei kriegsbeschädigten Frauen sind die besonderen Auswirkungen der Schädigung stets individuell zu berücksichtigen.
Ein besonderes Anliegen des BVG sind die Rehabilitationsmaßnahmen, die der Wiederherstellung der Harmonie der körperlich-geistigen Fähigkeiten und Kräfte, der Zurückgewinnung eines gesunden Selbstbewußtseins und der Stärkung des. Selbstbehauptungswillens im Existenzkampf dienen. Nach unserer Überzeugung darf die Rehabilitation nicht nur der sozialen Fürsorge nach dem BVG überlassen bleiben, sondern muß schon in der Heilbehandlung voll zum Ausdruck kommen. Die Heilbehandlung darf nicht nur am Einzelphänomen oder am Symptom allein kurieren, sondern muß von der ganzheitlichen Schau der Persönlichkeit ausgehen. Also Persönlichkeitspflege, d. h. Arbeitstherapie schon während der Heilbehandlung, etwa für die Tuberkulosekranken, körperlich-geistiges Training als Heilbehandlungsmaßnahme — ich denke hier vor allem auch an Entspannungsübungen —, sämtliche heilgymnastische und bewegungstherapeutische Maßnahmen sollen in der Heilbehandlung einbegriffen sein. Uns geht es vor allem darum, daß der Versehrtensport als Heilbehandlung anerkannt wird, wenn er unter Überwachung durch einen Arzt durchgeführt wird. Schädigungsfolgen des Versehrtensports sind als Schädigungen im Sinne des BVG zu behandeln.
Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei legt besonderen Wert auf eine Änderung des § 22 Satz 1, wonach die zuständige Verwaltungsbehörde jederzeit eine neue Heilbehandlung anordnen kann, wenn mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, daß sie den Gesundheitszustand oder die Arbeitskraft des Beschädigten erhält oder bessert. Dadurch soll eine Verstärkung der vorbeugenden Maßnahmen, die der Erhaltung oder Besserung des Gesundheitszustands oder der Arbeitskraft dienen, erreicht werden.
Die Versorgung der Kriegerwitwen, die außer ihrer Rente nach dem BVG über kein sonstiges Einkommen verfügen, muß so weiterentwickelt werden, daß sie ihrer ureigensten Aufgabe, Mittelpunkt der Familie, Hausfrau und Erzieherin der
Kinder zu sein, erhalten bleibt oder ihr zurückgegeben wird. Meine politischen Freunde und ich sind der Auffassung, daß die Kriegerwitwe mit Kindern nicht darauf angewiesen sein darf, den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder durch außerhäusliche Arbeit selber zu verdienen. Die bedauerliche Folge der Überanstrengung der alleinstehenden Mutter in der Doppelfunktion, Hausfrau, Mutter und Erwerbstätige sein zu müssen, zeigt sich durch die immer mehr auftretende Frühinvalidität.
Die Gefährdung der heranwachsenden Kinder durch die Abwesenheit der Mutter ist eine weitere sehr ernst zu nehmende Folge. Nur einige Zahlen, um die Größe des Problems aufzuzeigen! Bei der Volkszählung 1950 wurden 3 Millionen Frauen, die zugleich Haushaltungsvorstände sind, gezählt. Von ihnen standen in unselbständiger Arbeit 1 445 000. Davon hatten 389 000 Frauen ein Kind oder mehrere Kinder, 24 500 drei Kinder, 6410 Frauen vier Kinder und 2137 Frauen fünf Kinder. Wir müssen dieser Gefährdung der Kinder entgegenwirken.
Dabei ist es unsere Pflicht, einen sozialen Ausgleich herbeizuführen zwischen den Witwen, die innerhalb der Einkommensfreigrenze des Bundesversorgungsgesetzes neben voller Ausgleichsrente noch Sozialversicherungsbezüge oder sonstiges Einkommen haben, und denjenigen Witwen, die ausschließlich auf ihre BVG-Rente angewiesen sind. Hier klaffen Unterschiede zwischen zirka 180 DM und 163 DM einerseits und 118 DM Vollrente für diejenige Witwe, die Bezüge nur nach dem BVG hat. Der vorliegende Gesetzentwurf beabsichtigt, diesen Witwen durch gezielte Mehrleistungen eine Besserstellung zu gewährleisten.
Die Heiratsabfindung soll nach unserem Wollen auf das 36fache der monatlichen Grundrente einer erwerbsunfähigen Witwe erhöht werden. Damit wird auch eine Anpassung an die RVO, die ebenfalls bei der Heiratsabfindung von einem dreifachen Jahresbetrag ausgeht, vollzogen.
Ein besonderes Anliegen der Koalitionsparteien bei dem von ihnen eingebrachten Gesetzentwurf ist die Besserstellung der Kriegerwaisen. Es ist ihre Absicht, die Gefahr zu mildern, die gerade für die unvollständige Familie gegeben ist, unter ihren normalen Anteil am gesellschaftlichen und kulturellen Leben abzusinken. Die Versorgung der Kriegerwaisen muß so gestaltet sein, daß sie in der Atmosphäre eines geordneten Familienlebens und in der zum guten Gedeihen notwendigen, ja unerläßlichen Nestwärme heranwachsen können zur vollen Entfaltung der ihnen vom Schöpfer gegebenen Fähigkeiten und Kräfte. Schon bei der ersten Lesung des BVG im Jahre 1950 habe ich darauf hingewiesen, daß hier auch ein besonderes staatspolitisches Interesse besteht. Was im Punkte der Eiziehung und Lebensgestaltung der Kriegerwaisenkinder jetzt versäumt würde, kann nie mehr nachgeholt werden.
Eine besondere Behandlung der schwergetroffenen Eltern, die alle oder die einzigen oder die letzten Kinder verloren haben, ist sowohl eine ethisch-moralische wie aber auch eine positivrechtlich begründete Forderung. Der Staat tritt an die Stelle der Unterhaltsverpflichtung der gefallenen Kinder. Die Antragsteller halten daher eine Weiterentwicklung der Rente bis zur vollen Unterhaltshöhe in solchen Fällen für notwendig.
Zusammenfassend muß gesagt werden: es handelt sich bei dem vorliegenden Gesetzentwurf um gezielte Leistungen, die einem gerechten sozialen Ausgleich dienen und infolgedessen auf eine Erhöhung der Ausgleichsrente abzielen. Wir sind dabei — ich lege Wert darauf, das ausdrücklich festzustellen — nach wie vor von der Bedeutung der Grundrente im Gefüge des BVG als eines echten Ausgleichs für die Mehraufwendungen, die aus dem anatomischen Schaden bei den Schwerbeschädigten und dem Verlust des Ernährers bei den Hinterbliebenen erwachsen, überzeugt. Wir bekennen uns erneut zu dem Charakter der Grundrente und ihrer Unantastbarkeit. Dieser Charakter der Grundrente muß unter allen Umständen erhalten bleiben.
Der von den Fraktionen der CDU, FDP und DP eingebrachte Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BVG hat in seiner sozialpolitischen und fachlichen Konzeption eine nachträgliche Bestätigung erfahren durch die einheitliche Auffasung über die Weiterentwicklung des Kriegsopferrechts, wie sie vom Beirat für Versorgungsrecht beim Bundesarbeitsministerium, dem die besten Kenner des Versorgungsrechts angehören, in seiner gestrigen Sitzung vertreten worden ist. Der Beirat ist davon ausgegangen, daß die Endgestaltung des BVG ein Verhältnis von zwei Fünfteln zu drei Fünfteln zwischen Grund- und Ausgleichsrente vorsehen muß. Demnach fügt sich unser Gesetzesvorschlag als Durchgangsphase in die Weiterentwicklung des Bundesversorgungsgesetzes organisch ein.
Meine Damen und Herren, ich habe die Ehre, im Namen der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP das Hohe Haus zu bitten, den Antrag Drucksache 1811 dem Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen zu überweisen.