Rede von
Dr.
Wilhelm
Gülich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Gastfreundschaft, die der Deutsche Bundestag in der vorigen Woche in Berlin erfahren hat, nach der Freude, der Dankbarkeit und den Gefühlen der Freundschaft, die uns von der Bevölkerung Berlins im Osten wie im Westen dieser Stadt in herzlicher Weise entgegengebracht wurden, hätten die Ausführungen meines Freundes Willi Brandt, des Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses, und die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers ein volles Haus und die ungeteilte Aufmerksamkeit des Deutschen Bundestages erfordert.
Ich habe die Aufgabe, den Gesetzentwurf Drucksache 1706 und den Antrag Drucksache 1710 zu begründen, die beide das Notopfer Berlin behandeln, und ich darf mir gestatten, gleich auch auf Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers einzugehen, soweit sie das Notopfer Berlin betreffen.
Meine Damen und Herren, wir erinnern uns daran — und das soll der Ausgangspunkt unserer Überlegungen sein —, daß das Notopfer Berlin in der Zeit der schwersten Bedrängnis Berlins als eine Hilfe Westdeutschlands für diese Stadt gefunden wurde, daß man für ,diese Hilfe ein Opfer bringen wollte und daher die schwere Bezeichnung „Notopfer Berlin" wählte. Dieses Notopfer Berlin war als eine vorübergehende Maßnahme gedacht, ist aber nun zu einem dauernden Bestandteil unseres Steuersystems geworden. Dem Charakter und dem Namen dieses Notopfers nach liegt es auf der Hand, daß es sich um eine zweckbestimmte Abgabe handelt und nicht wie bei anderen Steuern um ein allgemeines Deckungsmittel. Das zu erreichen, nämlich aus dem Notopfer eine zweckbestimmte Abgabe zu machen, ist der Sinn der beiden Ihnen vorliegenden Anträge. Das Notopfer Berlin wird jetzt in seiner Einnahme im Einzelplan 60 des Bundeshaushalts — Allgemeine Finanzverwaltung — veranschlagt, in seiner Ausgabe, soweit es für Berlin in Anspruch genommen wird, im Einzelplan 45 — Finanzielle Hilfe für Berlin —. Wir wünschen mit unserem Antrag auf Drucksache 1710, daß das Notopfer Berlin in Einnahme und Ausgabe im Einzelplan 45 veranschlagt wird.
Zur weiteren Begründung füge ich an, daß außer den Zöllen und allgemeinen Steuern alle besonderen Abgaben, also die Vermögensabgabe, die Kohlenabgabe, die Hypothekengewinn- und die Kreditgewinnabgabe, im Einzelplan 60 zweckbestimmte Abgaben sind. Nur eine Abgabe im Einzelplan 60 ist nicht zweckbestimmt, und diese Abgabe trägt den Namen „Notopfer Berlin".
Diese Abgabe ist nach dem § 16 des Dritten Überleitungsgesetzes heranzuziehen, soweit der Berliner Haushalt es erfordert. Im übrigen aber gilt sie als allgemeines Deckungsmittel für den Bundeshaushalt. Wir wollen also mit unserem heutigen Antrag gar nichts Neues für Berlin erreichen, sondern möchten damit Ordnung in die Hilfe für Berlin bringen.
Die Auffassung des Herrn Bundesfinanzministers und unsere Auffassung gehen hier sehr auseinander. Ich habe mit dem Herrn Bundesfinanzminister oft über diese Frage gesprochen. Wir wollen — das möchte ich hier vor dem Hause ausdrücklich sagen, und ich glaube, ich kann das auch im Namen der Berliner sagen; Herr Kollege Friedensburg nickt mir bereits freundlich zu — mit diesem Notopfer nun keineswegs dem Haushalt Berlin unangemessene Zuschüsse geben, sondern wir möchten dem Haushalt Berlin nur das geben, was er zur Deckung des Fehlbetrages benötigt. Da das Aufkommen aus dem Notopfer Berlin aber in den letzten Jahren immer wesentlich höher gewesen ist, möchten wir gern ,aus dem Mehraufkommen ein Sondervermögen Berlin schaffen und dieses Sondervermögen Berlin für besondere Investitionsaufgaben in Berlin bereitgestellt wissen.
Hier trennen sich nun die Auffassungen. Ich darf aber zunächst daran erinnern, daß auch der Deutsche Bundestag bereits am 6. Mai 1954 einstimmig folgender Entschließung zugestimmt hat:
Das Aufkommen aus der Abgabe Notopfer Berlin dient in erster Linie der Deckung des Fehlbedarfs des Berliner Haushalts. Der nach Leistung des Bundeszuschusses verbleibende Ertrag des Notopfers sollte ausschließlich verwendet werden, um die wirtschaftliche und soziale Position Berlins zu sichern. Die Zweckbestimmung des Notopfers Berlin wird bei der Neufassung des Gesetzes über das Notopfer und durch eine entsprechende Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes festzulegen sein.
Hier liegt also bereits eine eindeutige Willensäußerung des Deutschen Bundestages vor, und es gilt heute, aus dieser Willensäußerung die Folgerungen zu ziehen.
Nun hat der Herr Bundesfinanzminister auch heute wieder ein umfangreiches Rechenwerk aufgemacht. Wir kennen ja seine Berechnungen, die auch wiederholt im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung erschienen sind. Ich möchte dazu sagen: Wir können nicht Berlin Ausgaben zur Last legen, die in anderen deutschen Ländern auch aus dem Bundeshaushalt bestritten werden.
Wir können z. B. nicht die Kriegsfolgenausgaben, die nach Art. 120 Ausgaben des Bundes sind, nunmehr als Sonderleistungen des Bundes Berlin zur Last legen und dem Bunde gutschreiben.
Verfahren wir so — und der Herr Bundesfinanzminister verfährt so —, dann ist das eine falsche Rechnung.
— Ich drücke mich manchmal etwas milde aus. Wenn es notwendig ist, kann ich es auch härter tun; aber solange es mit der Milde geht, sollten wir keine härteren Töne anschlagen.