Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie herzlich zu unserer Plenarsitzung.Heute feiert der Kollege Johannes Pflug seinen65. Geburtstag.
– Genau. Der donnernde Beifall des Plenums wird ihnhoffentlich übers Fernsehen beim Frühstück erreichen.Alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr begleitenihn.Es gibt keine Ankündigungen, sodass wir sofort inunsere Tagesordnung eintreten können. Ich rufe zu-nächst die Tagesordnungspunkte 26 a bis f sowie denZusatzpunkt 8 auf:26 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBericht der Bundesregierung zum Stand derBemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüs-tung und Nichtverbreitung sowie über die Ent-wicklung der Streitkräftepotenziale
Redet– Drucksache 17/4620 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
VerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Aken, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEAtomwaffen unverzüglich aus Deabziehen– Drucksachen 17/116, 17/2214 –
richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus-schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jan vanAken, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEÜberprüfungskonferenz des Atomwaffen-sperrvertrages durch atomare Abrüstungstärken– Drucksachen 17/886, 17/2215 –Berichterstattung:Abgeordnete Roderich KiesewetterEdelgard BulmahnDr. Rainer StinnerJan van AkenKerstin Müller
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten AgnesMalczak, Dr. Gerhard Schick, Dr. ThomasextGambke, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENInvestitionen in Antipersonenminen undStreumunition gesetzlich verbieten und diesteuerliche Förderung beenden– Drucksache 17/4697 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
FinanzausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des Antrags der Abgeordneten Agnes, Sylvia Kotting-Uhl, Ute Koczy, weite-ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/NENutschland e) BeratungMalczakrer AbgeDIE GRÜ
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Präsident Dr. Norbert Lammert
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Aufnahme Indiens in die Nuclear SuppliersGroup verhindern – Keine weitere Erosion desnuklearen Nichtverbreitungsregimes– Drucksache 17/5374 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungf) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Malczak, Omid Nouripour, Katja Keul, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDeutschland atomwaffenfrei – Bei der Abrüs-tung der Atomwaffen vorangehen– Drucksachen 17/122, 17/2213 –Berichterstattung:Abgeordnete Roderich KiesewetterEdelgard BulmahnDr. Rainer StinnerJan van AkenDr. Frithjof SchmidtZP 8 Beratung des Antrags der Fraktion der SPDDeutschland im VN-Sicherheitsrat – Impulsefür Frieden und Abrüstung– Drucksache 17/4863 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
VerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Das ist offen-kundig einvernehmlich. Dann können wir so verfahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-nächst dem Bundesminister des Auswärtigen, Dr. GuidoWesterwelle.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Kolleginnen und Kollegen! Das letzte Jahr war eingutes Jahr für die Abrüstung. Auf der Konferenz zur nu-klearen Nichtverbreitung in New York fand anders alsvor fünf Jahren eine Einigung statt. Das Abkommenüber das Verbot von Streumunition ist in Kraft getreten.Die NATO hat das Ziel einer nuklearwaffenfreien Weltzum Teil ihrer neuen Strategie gemacht. Der START-Vertrag über die Reduzierung strategischer Atomwaffenzwischen den USA und Russland wurde ratifiziert. Mankann es zusammenfassen: Nach einem Jahrzehnt desStillstands bei der Abrüstung ist das ein guter und soliderSmruwntuwnssmDsSsRakkinßakAfüdAtrinmdinzwDRdhddcdbwzT
Es war richtig, dass wir die Diskussion über die sub-trategischen Nuklearwaffen innerhalb der NATO ange-toßen haben. Wir setzen dabei auf eine enge Abstim-ung im Bündnis, aber gleichzeitig wollen wir dieseebatten anführen.Unsere Initiative für die Reduzierung der substrategi-chen Nuklearwaffen zeigt Wirkung. Bei der Münchnericherheitskonferenz in diesem Jahr hat die amerikani-che Außenministerin Hillary Clinton Gespräche mitussland auch über die substrategischen Atomwaffenngekündigt. Russland ist nämlich – das muss uns allenlar sein – ausdrücklich auch in der Pflicht. Das wirdlar, wenn wir allein an die zahlenmäßige Überlegenheit diesem Segment denken.
Nächste Woche werden wir hier in Berlin beim Au-enministertreffen der NATO-Staaten mit Russland überlle Bereiche der Abrüstung sprechen, auch über dieonventionelle Rüstung; denn eines ist klar: Nuklearebrüstung darf konventionelle Kriege nicht leichterhrbar machen.Wir haben mit Japan und Australien im Septemberes letzten Jahres in New York die Freundesgruppe fürbrüstung und Nichtverbreitung gegründet. Ende Aprileffen sich die Außenminister aus fünf Kontinenten hier Berlin. Die Tatsache, dass sich sowohl die Außen-inister der NATO zu informellen Beratungen als auchie Freundesgruppe für Abrüstung und Nichtverbreitung diesem Monat in Berlin treffen, ist nicht nur eine Aus-eichnung für unser Land, sondern es zeigt auch, dassir mitten in den Gesprächen und Verhandlungen sind.eutschland spielt beim Thema Abrüstung eine wichtigeolle. Darüber freuen wir uns. Ich denke, darauf kannie Bundesregierung mit Stolz verweisen.
Wichtigstes Ziel ist es, die Produktion von waffenfä-igem Spaltmaterial vollständig zu verbieten und auchas zu vernichten, was schon produziert wurde. Wennie Genfer Abrüstungskonferenz keine Fortschritte ma-hen kann, dann wollen wir das Thema in New York inie Generalversammlung der Vereinten Nationen ein-ringen.In dieser Überlebensfrage für die Menschheit könnenir keine weitere Blockade zulassen. Wir dürfen nichtulassen, dass nukleares Spaltmaterial in die Hände vonyrannen oder von Terroristen fällt. Das zu verhindern,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11807
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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ist eine außerordentlich bedeutsame Aufgabe, die wir in-ternational verfolgen müssen.Deswegen gehört zur Debatte über diesen Abrüs-tungsbericht auch die Debatte über das iranische Atom-programm. Es ist für uns völlig klar, dass dieses Themazu den Herausforderungen auch dieses Jahres zählt. ImJanuar war der Iran beim Treffen mit den E3+3-Staatenin Istanbul nicht bereit, über die zentralen Fragen zu ver-handeln. Der Iran hat auch die letzten Wochen und Mo-nate nicht genutzt. Ich warne davor, das Bemühen derWeltgemeinschaft mit Schwäche zu verwechseln. DieEuropäische Union ist bei Sanktionen sogar weiter-gegangen als der Sicherheitsrat in seiner Resolution 1929.Unsere Hand bleibt ausgestreckt. Die Führung inTeheran muss aber wissen, dass endlich Verhandlungenohne Vorbedingungen aufgenommen werden müssen.Die nukleare Kontrolle ist natürlich ein Thema, das aus-drücklich auch für Nordkorea gilt. Darauf wird in Anbe-tracht der Debatten, die in unserer unmittelbaren Nach-barschaft stattfinden, nicht unbedingt genug geachtet.Ich denke aber, dass wir uns darüber einig sind, dass dieinternationale Staatengemeinschaft auch hierauf beson-ders achten muss.Meine sehr geehrten Damen und Herren, Abrüstunggelingt mit einem starken Völkerrecht. Wir werben fürden Beitritt zum Atomteststoppabkommen und zumAtomwaffensperrvertrag. Wir wollen auch Staaten wieIndien in die internationalen Kontrollsysteme einbinden,auch wenn der Weg dahin lang und beschwerlich seinwird.In den Vereinten Nationen setzen wir uns für ein ro-bustes Waffenhandelsabkommen ein, damit Regime, dieMenschenrechte mit Füßen treten, und Länder, in denenBürgerkrieg herrscht, nicht mehr legal mit Waffen belie-fert werden können. Ich denke, die Bedeutung des The-mas Abrüstung ist uns über die Parteigrenzen hinwegklar. Abrüstung hat überhaupt nichts Naives. Abrüstunggefährdet nicht unsere Sicherheit, sondern sie vergrößertunsere Sicherheit. Sie sorgt dafür, dass die Sicherheit inder Welt erhöht wird und dass der Frieden in der Weltstabiler wird. Die Angelegenheit ist ohnehin fragil ge-nug.Auch wenn die Debatte über den Jahresabrüstungsbe-richt hier nicht von einer großen Anzahl von Kollegin-nen und Kollegen verfolgt wird, so möchte ich doch aus-drücklich sagen: Ich glaube, dass Abrüstung keinegeringere Aufgabe für die Menschheit ist als beispiels-weise das Thema Klimaschutz. Man mag sich nicht aus-malen, was passieren könnte, wenn Terroristen oderautokratische Regime durch nukleare Verbreitung Atom-waffen in die Hände bekommen. Das ist das Problem.Wir müssen verhindern, dass die Griffnähe zu nuklearenWaffen kleiner wird. Das ist das zentrale Anliegen.Auch wenn es am frühen Morgen vielleicht nicht denAnschein hat, so gehe ich davon aus, dass die Bemühun-gen um die Abrüstung und um die nukleare Nichtver-breitung von einer großen Anzahl von Abgeordnetenhier im Bundestag nicht nur getragen, sondern auch mitInteresse verfolgt werden.füretrngdWgAteBDAnloddUhsDqDlewsdGlihHsbDbsdMg
Ich finde es schon bemerkenswert – um noch einmalarüber zu reden –, dass die „Kehrtwende Marsch“ zumngütesiegel Ihrer eigenen Politik geworden ist. Dabeiatten Sie uns doch eine Politik der langen Linie ver-prochen. Frau Dr. Merkel hat gesagt: Wir stehen für einurchregieren, damit mehr Kohärenz und mehr Konse-uenz in die Politik kommt. – Was erleben wir aber? Einurchlavieren auf allen wichtigen Feldern der Politik,ider auch in der Außen- und Sicherheitspolitik. Dasill ich an ein paar Punkten deutlich machen. Der Zu-ammenhang zu unserem heutigen Thema besteht darin,ass glaubwürdige Politik auch Voraussetzung fürlaubwürdigkeit in der Abrüstungspolitik ist.
In der Libyen-Frage zum Beispiel haben Sie sich völ-g gegenteilig verhalten. Ihre Nein implizierende Ent-altung in New York wurde am nächsten Tag durch deninweis gekrönt: Es wird keine Beteiligung von deut-chen Soldaten an militärischen Einsätzen in Libyen ge-en.
as war am 18. März. Dann kam die denkwürdige Em-argo-Entscheidung. Sie haben gesagt: Nein danke, un-ere Marine macht beim Embargo nicht mit. Sie habenie Marineeinheiten abziehen lassen. Dann wurden diearineeinheiten der NATO unterstellt, und uns wurdeesagt: Es gibt zwar einen NATO-Befehl, aber es wird
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11808 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011
Michael Groschek
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hierbei eine räumliche Trennung vorgenommen.Schließlich haben wir jetzt im Grunde genommen ausder Zeitung erfahren, dass es drei Tage nach Ihrem Neinzum Einsatz deutscher Soldaten
– ja, ich komme dazu –
offensichtlich auf einmal ein Ja zum Einsatz der 990 Sol-daten der Battle Group EUFOR gab, deren GrosDeutschland stellt. Damit liegt genau das vor, was in un-seren Augen Durchlavieren und nicht Durchregierendarstellt.Der Kollege Stinner hat nun erklärt: Wir sind offenfür militärische Absicherung humanitärer Einsätze. DerKollege Rösler hat erklärt: militärisch nein, humanitärja. Der Kollege Mißfelder hat gesagt: Wir haben die mo-ralische Pflicht, zu folgen. Die Kanzlerin und der Vertei-digungsminister schweigen. Letztendlich hat das Außen-ministerium nur verlautbaren lassen, man könne sicheine robuste Sicherheitskomponente vorstellen.Wenn man, werter Herr Außenminister, Ihr Verhaltenbeim Embargo nur auf die Stichworte Abrüstung undRüstungskontrolle überträgt, dann stellt sich natürlichdie Frage, welche Position denn die deutsche Regierungbeispielsweise im Hinblick auf die in Libyen stattgefun-dene Aufrüstung einnimmt. Bis vor wenigen Monatenwaren es doch unsere italienischen und französischenVerbündeten, die ein ganz enges Verhältnis, das auchAufrüstung beinhaltete, zu Herrn Gaddafi pflegten. Wirwürden deshalb von Ihnen gerne erfahren, wo Sie mitAbrüstung und Rüstungskontrolle ganz konkret ansetzenwollen.Zugleich möchten wir Ihnen auch den Hinweis geben,dass wir es sehr gerne sähen, wenn künftig Rüstungs-kontrollberichte und Rüstungsexportberichte zeitnähervorgelegt würden. Das ist unser Appell an Sie; denndann könnte man auch besser überprüfen, ob die von Ih-nen verkündeten eigenen Maßstäbe eingehalten wurden.
Wir müssen auch noch einmal hinterfragen, auf wel-cher Mandatsgrundlage hier im Bundestag diskutiertwerden soll. Gibt es schon eine UN-Anforderung? Washeißt denn: Schützen ja, kämpfen nein? Wie verhält sichdenn der Schutz von Zivilisten gegenüber dem Ziel,Gaddafi aus der Verantwortung zu nehmen? Was bedeu-tet Ihr Hinweis „Wir stehen für humanitäre Hilfe bereit“angesichts Ihrer Aussage, keine deutschen Soldaten dorthinzuschicken? Wir sind offen, über diese Punkte zu dis-kutieren. Wir werden Ihnen aber keinen Freibrief ertei-len. Wir werden auch nicht akzeptieren, dass quasi überdie Zeitungen ein Vorratsbeschluss gefasst wird. Wirwollen die Diskussion hier und heute und sind ent-täuscht, dass Sie mit keinem Wort auf diese neuerlicheKehrtwende Ihrer Politik eingehen.
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ie Urteile, die Ihre eigenen Parteifreunde über Sie ge-offen haben, stammen eben nicht nur von Herrnubicki und Herrn Hahn, sondern auch Herr Martinindner und Herr Chatzimarkakis äußern eine ganz be-timmte Wertschätzung.
nd uns wundert schon, dass Sie als Außenminister zuieser Zurdispositionstellung Ihrer jetzigen Position iner Bundesregierung kein Wort verlieren.
Herr Außenminister, es hätte ein gutes Jahr werdenönnen. Sie haben allerdings viele Chancen versäumt,eutsche Abrüstungs- und Außenpolitik prominent zuertreten. Wo waren Ihre Initiativen beispielsweise imahen Osten zur Vorbereitung der Konferenz 2012?
o waren Ihre Initiativen zur nachhaltigen zivilen Kri-enprävention und -nachsorge in Nordafrika? Wo sindre konkreten Initiativen hinsichtlich des Dialogs miten Verbündeten als Reaktion auf das Nein zu einemtomwaffenfreien Deutschland?Chatzimarkakis und Martin Lindner haben als Ant-ort darauf, warum Sie, Herr Außenminister, im Amtleiben sollten, gesagt, keiner hat so viel über Men-chenrechte geredet wie unser Außenminister. Ja, gere-et haben Sie viel, aber umgesetzt haben Sie wenig undoch weniger haben Sie Kurs gehalten.Wir danken den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternres Ministeriums für diesen Bericht. Aber von Ihnenrwarten wir zumindest eine Erklärung für die erneuteehrtwende und eine Antwort auf die Frage, warum Sielauben, noch einmal durchstarten und der Außen- undicherheitspolitik neues Profil geben zu können.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Stinner
as Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnennd Kollegen von der SPD, Sie haben in Ihren Reihenehrere Kolleginnen und Kollegen, die sich seit vielenahren sehr ernsthaft mit dem Thema Abrüstung be-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11809
Dr. Rainer Stinner
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schäftigen. Frau Zapf und Herr Mützenich werden vonuns sehr ernst genommen, und wir stehen mit ihnen sehrgerne im Dialog, weil sie sehr profund an diesem Themaarbeiten. Herr Steinmeier, trotzdem schickt Ihre Fraktionheute diesen Redner in diese wichtige Debatte. Das istunsäglich
und zeigt uns, dass Ihre Fraktion, Herr Steinmeier, hierund heute an dem Thema Abrüstung offensichtlich nichtdas geringste Interesse hat.
Sie schickten stattdessen den nordrhein-westfälischenGeneralsekretär Ihrer Partei ins Feld, der hier mit allge-meinen Äußerungen das Parlament sozusagen aufge-mischt hat.Sehr geehrter Herr Kollege Groschek, Sie haben ver-sucht, sich an der Situation der FDP abzuarbeiten, die inder Tat nicht besonders gut ist; das will ich gerne einge-stehen. Wenn Sie schon über Parteien sprechen, dannhätte ich erwartet, dass Sie über den Verlust von10 Prozentpunkten Ihrer Partei in Rheinland-Pfalz ge-sprochen hätten und erklärt hätten, wie es dazu gekom-men ist.
Das Thema Abrüstung liegt uns allen am Herzen.Frau Zapf, ich weiß, dass das auch für Sie und für denKollegen Mützenich gilt. Wir wissen, wie sorgfältig Siedieses Thema behandeln. Die SPD kann zwar machen,was sie will. Aber dass sie angesichts der schwierigeninternationalen Situation einen Vertreter in die Debatteschickt, der eine solche Rede hält, ist erbärmlich ange-sichts der außenpolitischen und abrüstungspolitischenKompetenz Ihrer Partei.Herzlichen Dank.
Jetzt erhält zur Erwiderung der Kollege Groschek
noch einmal das Wort. Dann wäre es ganz schön, wenn
wir wieder über Abrüstungsfragen reden könnten.
Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Stinner, ich greife Ih-
ren Hinweis zu Rheinland-Pfalz gerne auf; denn Büchel
liegt in Rheinland-Pfalz. Es waren der jetzige Außen-
minister und die FDP, die immer vollmundig erklärt ha-
ben: Wir werden das atomwaffenfreie Deutschland
schaffen. – Dann folgte aber die Kehrtwende. Wir wer-
fen Ihnen vor, dass Sie erst vollmundig Ankündigungen
machen, sich aber dann zwergenhaft verhalten, wenn es
um die Umsetzung geht.
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Das ist das Problem, das Ihr Außenminister und Ihre
artei haben. Aber der Offenbarungseid der Freien De-
okratischen Partei darf nicht zum Offenbarungseid
eutscher Außenpolitik werden. Diese Befürchtung ha-
en wir allerdings.
Sie kennen Herrn Genscher wahrscheinlich besser als
h.
hristian Lindner berichtete in den Gremien der FDP,
ass Herr Genscher die Implosion der FDP vor Augen
at und der Meinung ist, es sei die schwierigste Situation
er FDP seit der Nachkriegszeit und man müsse Rösler
eit geben, den personellen Wechsel zu vollziehen. Was
eißt das denn? Das heißt doch, dass die Fraktionsvorsit-
ende, der Wirtschaftsminister und der Außenminister
re Ämter nur noch auf Abruf bekleiden. Das besorgt
ns; denn das ist nicht allein Privatsache der Freien De-
okratischen Partei, sondern auch Sache der Bundes-
olitik, weil die Funktionsfähigkeit der Bundesregierung
nd des Parlamentes berührt wird.
Sie können gerne solche Ablenkungsmanöver starten.
ir erwarten von Ihnen allerdings, dass Sie nicht nur
nkündigungen machen, sondern Rede und Antwort ste-
en, wenn es um Ihre außenpolitische Bilanz und um
re gescheiterten Ansätze in der Außenpolitik geht.
Roderich Kiesewetter ist der nächste Redner für die
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist für ernst-afte Abrüstungspolitiker schon erstaunlich und in Tei-n nicht nachvollziehbar, dass ein so wichtiges Themaie der Jahresabrüstungsbericht als Forum für Opposi-onspolitik benutzt wird.Selbst der Fraktionsvorsitzende der SPD hat die Ent-altung der Bundesrepublik Deutschland bei den Verein-n Nationen den Medien gegenüber und auch in den ei-enen Reihen für gut geheißen. Ich möchte aber voniesem Thema weg; denn es geht um etwas ganz ande-s. Es geht um die Frage, wie sich unser Land in derbrüstung positioniert. Ich hätte mich sehr gefreut, Herrollege Groschek, wenn Sie heute ein ganz wesentlichesatum genannt hätten. Genau heute vor einem Jahr, am
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11810 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011
Roderich Kiesewetter
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8. April 2010, wurde der START-Vertrag von Obamaund Medwedew unterzeichnet. Am 6. Februar diesesJahres wurden die Ratifizierungsurkunden in Deutsch-land, nämlich bei der Münchner Sicherheitskonferenz,ausgetauscht.Wir haben im letzten Jahr auch erhebliche Bewegungbeim Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag gehabt. Erst-mals nach fünf Jahren haben sich alle Unterzeichnerstaa-ten auf ein Kommuniqué geeinigt. Für uns ist es, glaubeich, auch wichtig, dass der KSE-Vertrag, der Vertragüber konventionelle Streitkräfte in Europa, von 1990endlich eine Wiederbelebung erfährt. Wir feiern in die-sem Monat auch das 20-jährige Bestehen des Verifika-tionszentrums der Bundeswehr in Geilenkirchen. – Soweit zu den wirklichen Bollwerken und Bausteinen derAbrüstungspolitik.Damit wird eindeutig klar: Deutschland hat sich mitaller Kraft und erfolgreich für Abrüstung eingesetzt. Zu-letzt – Herr Außenminister Westerwelle hat es angespro-chen – ist es uns gelungen, zu erreichen, dass Abrüstungim NATO-strategischen Konzept ganz fest verankert ist,und zwar sowohl im nuklearen Bereich als auch im kon-ventionellen Bereich. Abrüstung gehört zum Fahrplander NATO. Das ist ein Novum nach über elf Jahren mitdem alten Konzept.Hinzu kommt, dass wir im NATO-Hauptquartier – ichmöchte das bewusst sachlich ansprechen – jetzt einenRüstungskontrollausschuss eingerichtet haben. DieserRüstungskontrollausschuss ist Verdienst deutscher Au-ßenpolitik. Dafür sind wir Ihnen, Herr Außenminister,dankbar.
Ich denke, damit haben wir beste Voraussetzungen,um unsere Abrüstungsbemühungen mit Russland nochintensiver fortzusetzen. Bei Russland kommt es daraufan, dass gerade im Bereich der Anpassung der konven-tionellen Abrüstung Einvernehmen mit den Konfliktpar-teien im Südkaukasus und auch in Transnistrien herge-stellt wird. Wir als CDU/CSU fordern alle Parteien auf,sich gemeinsam an die internationalen Verhandlungsre-gime zu halten. Dann erzielen wir auch die notwendigenFortschritte in der konventionellen Abrüstung, und dasist überfällig.
Es ist keine Binse, dass Deutschland an der Spitze in-ternationaler ernsthafter Abrüstungsbemühungen steht.Aber gerade deshalb möchte ich einige grundsätzlichePositionen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Ab-rüstungspolitik erläutern.Abrüstungspolitik ist für uns ein Teil kluger und vor-sorgender Sicherheitspolitik. VerantwortungsbewussteAbrüstungspolitik hat das Ziel einer friedlicheren Weltim Blick. Das geht nur mit einer effektiven Rüstungs-kontrolle. Abrüstung allein reicht nicht; die Abrüstungmuss auch kontrolliert werden. Aber was heißt „friedli-cher“? Friedlicher heißt: weniger militärische Konflikte,eine stärkere Abstützung auf zivile Krisenprävention,wwatutepPfrgwdahswzestuPwDushApnsustearunsledpNdrereAtirebaKV
Darum stehen wir bei allen notwendigen abrüstungs-olitischen Schritten für eine enge Abstimmung inATO und EU. So haben wir uns bei der Ausarbeitunges strategischen Konzepts und im konventionellen Be-ich bei der Wiederbelebung des KSE-Vertrages erfolg-ich eingebracht. Deshalb wollen wir noch viel stärkerbrüstung als Instrument vorsorglicher Krisenpräven-on und aufmerksamer Krisennachsorge implementie-n.Auf unsere Anregung hin wird es deshalb im Septem-er eine gemeinsame Anhörung der beiden Unter-usschüsse – dem für Abrüstung und dem für zivilerisenprävention – geben, und zwar mit dem Ziel dererifikation, das heißt, eine Form der Rüstungskontrolle
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11811
Roderich Kiesewetter
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als Mittel der Krisenprävention zu untersuchen. Wirwollen verklammerte Sicherheit, ganzheitliche Sicher-heit. Deshalb ist es für uns wichtig, dass sich Abrüstungauch bewerten lassen muss. Wir wollen ein Mehr anTransparenz, ein Mehr an Vertrauen und Sicherheit. Nurso schaffen wir auch ein Mehr an internationaler Stabili-tät.Meine sehr geehrten Damen und Herren, weil Sicher-heit unteilbar bleibt, betone ich mit Nachdruck: Abrüs-tungspolitische Euphorie und blinder Aktionismus füh-ren uns nicht zum Ziel. Es braucht geeignete Foren undVerträge. Das hat im vergangenen Jahr die Nichtverbrei-tungskonferenz in New York ebenso gezeigt wie die Ra-tifizierung des START-Vertrages.Für uns ist deshalb ein klarer Fahrplan wichtig. Wo-hin führt uns die weitere Reise? Für die weitere Ab-rüstung im nuklearen Bereich gilt es bei uns die soge-nannten substrategischen Atomwaffen in den Fokus zunehmen. Diese Waffen werden gegenwärtig weder poli-tisch noch militärisch benötigt. Da sind wir uns einig.Sie sind durch verantwortungsvolle, bewusste Sicher-heitspolitik, aber nicht durch rhetorische Erklärungenüberflüssig geworden. Das ist ein Ergebnis jahrzehnte-langer parteiübergreifender Sicherheitspolitik.Allerdings stelle ich für meine Fraktion sehr deutlichfest – und da bleiben wir auch fest –: Der Abzug dieserWaffen, den wir in unserem fraktionsübergreifenden An-trag im letzten Jahr gefordert haben, muss abgestimmtim Bündnis vorgenommen werden.
Wie wollen wir das machen? Das Ganze sollte mit einemDialog mit den Bündnispartnern vorbereitet werden.Nächste Woche ist die Außenministerkonferenz hier inBerlin. Wir müssen mehr Transparenz und Vertrauens-bildung mit Russland schaffen. „New START“ war ohnediesen Ansatz gar nicht denkbar. Diese Aufgabe ist lös-bar. Ich denke, mit den weiteren Verhandlungen und mitdem Rüstungskontrollausschuss sind wir dort auf demrichtigen Weg.Wesentlich wichtigere und schwierigere Herausforde-rungen gibt es im weiteren Umfeld Europas. Der Iranverletzt weiterhin UN-Resolutionen mit der fortgesetz-ten Arbeit an seinem Nuklearprogramm und verweigertsich der Zusammenarbeit mit der Internationalen Atom-energiebehörde. Deshalb setzen wir uns für eine mög-lichst gemeinsam mit Russland entwickelte Raketenab-wehr ein, um unsere Sicherheit zu gewährleisten.Nordkorea und Pakistan sind gleichfalls Staaten, de-ren Sicherheitspolitik wir nicht teilen. Es fehlt die völ-lige Bereitschaft dieser Staaten, an internationalenVertragswerken mitzuwirken. Sie sind weder bei Nicht-verbreitung noch bei Teststopps konstruktiv. Nordkoreamuss die Bedingungen für die Wiederaufnahme desSechs-Parteien-Gesprächs erfüllen.Ich möchte auch etwas zu Pakistan sagen, zumalnächste Woche ein Besuch der deutsch-pakistanischenFreundschaftsgruppe ansteht. Pakistan verweigert Fort-sdriundoTwgstawistigssInBMwsredgddreülesnmasv
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir füh-n heute eine Abrüstungsdebatte und keine Debatteber das Personal der FDP. Deshalb werde ich mich antzterer auch nicht beteiligen.
Der Tenor des Jahresabrüstungsberichts 2010 liestich wie der der vorangegangenen Jahresberichte: Da-ach hat die Bundesregierung eigentlich alles richtig ge-acht, und Abrüstung wird im Grunde nur von Staatenußerhalb der NATO gefordert. Das ist so was von ein-eitig, und das ist auch nicht akzeptabel.Wenn man weltweit Abrüstung will, muss man selbstorbildlich vorangehen.
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11812 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011
Dr. Gregor Gysi
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Stattdessen wird aus der Bundeswehr, die im Grundge-setz als Landesverteidigungsarmee konstruiert ist,Schritt für Schritt eine Armee zur weltweiten Interven-tion gemacht. Sie machen aus einer Verteidigungsarmeeeine Kriegsarmee.
Das Problem ist, dass sich diesbezüglich Union, SPD,FDP und Grüne einig sind. Die Einzigen, die dagegen-stehen, ist die Fraktion der Linken.
Das, was Sie machen, ist nicht Abrüstung, sondern dasGegenteil davon.Sprechen wir ganz kurz über Libyen. Im Unterschiedzu den Grünen und anderen fanden wir es richtig, dasssich die Bundesregierung zumindest enthalten hat; manhätte im Sicherheitsrat auch mit Nein stimmen können.Auf jeden Fall haben Sie gesagt: Deutsche Soldaten wer-den an diesem Krieg nicht beteiligt. – Aber nun schickenSie deutsche Soldaten nach Libyen, und zwar bewaff-nete deutsche Soldaten. Das ist ein Widerspruch in sichund nicht akzeptabel.
Ich weiß, Herr Trittin, Sie lachen da nur arrogant,weil Sie schon immer für Kriege waren, auch in Bezugauf Jugoslawien.
Ich sage Ihnen eines: Frieden mag schwieriger sein, aberdas ist ein viel besserer Weg, als Krieg zum Mittel derPolitik zu machen.
Man kann über Rüstung und Abrüstung nicht ernst-haft diskutieren, wenn man nicht gleichzeitig über Waf-fenexporte diskutiert. Ich finde, Deutschland hätte ausdem Zweiten Weltkrieg diese Lehre ziehen müssen: Wirmachen nie wieder Geschäfte mit dem Krieg! Wir wol-len nie wieder am Verkauf von Waffen verdienen! – Lei-der ist das Gegenteil realisiert worden: Deutschland istjetzt der drittgrößte Waffenexporteur der Erde. Ich bitteSie! Nur die USA und Russland verkaufen mehr Waffenals Deutschland. Deutschland steht in der Rangliste vorGroßbritannien, vor Frankreich und vor China. Das istdoch ein Skandal, mit dem man sich auseinandersetzenmuss!
Ein großes Ziel war auch die Eindämmung des Ex-ports von Kleinwaffen. Fehlanzeige! Kleinwaffen ausDeutschland werden in alle Regionen der Welt verkauft.Es wurde sogar der Bau einer Produktionsanlage für Ge-wehre vom Typ G 36 in Saudi-Arabien genehmigt. HerrBundesaußenminister, international fordert die Bundes-regierung die Markierung des Herkunftslandes auf allenWaffen und auf jeder Munition. Das ist richtig. Aber wa-rum werden Kleinwaffen und Munition in Deutschlandtrotzdem nicht markiert? Warum dürfen wir nicht wis-sen, ob die Waffen und die Munition, die in irgendwel-codagdUSFnsfüsbFmAgaAtekmDdDaegmhcfrddwGdisdhmwhANg
Kommen wir zu den Atomwaffen. Der Atomwaffen-perrvertrag sieht auch die Abrüstung der damaligennf Atommächte vor. Da das so gut wie gar nicht ge-chehen ist, haben wir jetzt acht Atommächte; denn ne-en den USA, Russland, China, Großbritannien undrankreich sind Israel, Indien und Pakistan hinzugekom-en. Jetzt ruft Obama zur Abrüstung auf. Das ist okay.ber reale Schritte gibt es, siehe START-Abkommen, ei-entlich nur zwischen den USA und Russland, und dasuch nur begrenzt. Die haben noch so viele überflüssigetomwaffen, dass sie diesbezüglich weitermachen könn-n. Die anderen Länder unternehmen in dieser Frageeine Schritte.Obwohl auch Sie gesagt haben, Herr Bundesaußen-inister, dass Sie dagegen sind, dass US-Atomwaffen ineutschland lagern, gibt es 20 Jahre nach Herstellunger deutschen Einheit immer noch US-Atomwaffen ineutschland. Sorgen Sie doch einmal dafür, dass diesebgezogen werden! Wir brauchen keine einzige davon.
Ich hatte vor vielen Jahren ein Erlebnis, das mich be-indruckt hat. Zu der Zeit, als Krieg gegen Jugoslawieneführt wurde, war ich in Indien und habe mit dem da-aligen Außenminister Singh gesprochen. Pflichtgemäßabe ich ihm natürlich gesagt, dass ich mir Sorgen ma-he, dass auch Indien jetzt Atomwaffen hat. – Daraufhinagte er mich: Sagen Sie mal, waren Sie für oder gegenen Jugoslawien-Krieg? – Da habe ich gesagt: Ich waragegen. – Darauf fragte er: Hatte Jugoslawien Atom-affen? – Darauf antwortete ich: Nein. – Dann fragte er:lauben Sie im Ernst, Belgrad wäre bombardiert wor-en, wenn Jugoslawien Atomwaffen gehabt hätte? Dast meine Antwort. – Er sagte mir also: Man macht sichurch den Besitz von Atomwaffen unangreifbar. – Des-alb gibt es nur eine Lösung: Die Atomwaffen weltweitüssen vernichtet werden. Nur dann sind wir berechtigt,eltweit zu verhindern, dass jemand eine Atomwaffeerstellt.
nsonsten werden wir das Problem mit Iran und mitordkorea nicht los; denn es ist immer die gleiche Lo-ik, die dort herrscht.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11813
Dr. Gregor Gysi
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Lassen Sie mich etwas zur Nuclear Suppliers Groupsagen. Dieser gehören die Staaten, die Atomhandel be-treiben, an. Der Atomwaffensperrvertrag verbietetAtomhandel mit Ländern, die diesem Vertrag nicht bei-getreten sind. Es muss – wie auch immer – die erste Aus-nahme bei Israel gegeben haben, worüber so gut wie niediskutiert wurde. Jetzt hat es eine weitere Ausnahme beiIndien gegeben; denn es gibt ein Abkommen zwischenden USA und Indien über den Atomhandel. Das verletztden Atomwaffensperrvertrag. Nun hat auch China mitPakistan ein entsprechendes Abkommen geschlossen.Dieses ist kritisiert worden, woraufhin China gesagt hat:Aber wenn die USA das mit Indien dürfen, dann dürfenwir das mit Pakistan. – So zieht ein Schritt der Verlet-zung eines Vertrages den nächsten nach sich.Nun soll Indien Mitglied der Nuclear Suppliers Groupwerden. Auch das ist vertragswidrig, weil ein Beitrittvon Ländern, die dem Atomwaffensperrvertrag nichtbeigetreten sind – die Ausnahme bilden die ursprüngli-chen fünf Staaten –, ausgeschlossen ist, und Indien ist janicht beigetreten. Wenn wir hier die erste Ausnahme ma-chen, werden weitere Ausnahmen folgen. Die ganzeRichtung ist falsch. Das ist kein Weg zur Abrüstung,sondern eine Animierung zur Rüstung. Auf diesem Wegmüssen wir umkehren.
Zu den Rüstungsexportgenehmigungen; diese liegenim Milliardenbereich. Hören Sie einmal gut zu. Im Jahre1998 genehmigten Union und FDP in der Kohl-Regie-rung Rüstungsexporte im Wert von 6,2 Milliarden Euro.Unter der Regierung aus SPD und Grünen waren dieZahlen erst einmal rückläufig. Aber schon im Jahre 2001genehmigte die Regierung Rüstungsexporte im Wert von7,5 Milliarden Euro. Von 2003 bis 2005 hat Rot-Grün,genau wie die Kohl-Regierung, jährlich Rüstungs-exporte im Wert von 6,2 Milliarden Euro genehmigt.Was war in dieser Frage der Unterschied zwischen denbeiden Regierungen? Es gab keinen. Danach regiertenUnion und SPD. Sie haben zum Beispiel in einem JahrRüstungsexporte im Wert von 8,7 Milliarden Euro er-laubt.Der größte Anteil der Waffenexporte erfolgt in dieNATO oder an Länder wie Australien und Kanada; aberniemals ist vereinbart worden, dass diese die Waffennicht weiterverkaufen dürfen. Wir wissen überhauptnicht, wo die Waffen letztlich landen. Darüber hinaus hatder Anteil der sogenannten Drittstaaten, in die Rüstungs-exporte stattfinden, ständig zugenommen. Nehmen wirnur das Jahr 2009. In diesem Jahr wurden Waffenexportein Drittstaaten, davon zwei Drittel in den Nahen Osten,im Umfang von 2,5 Milliarden Euro genehmigt. AberWaffenexporte in Spannungsgebiete und an Diktaturensind doch verboten. Wieso werden ständig Waffen anDiktaturen und vor allen Dingen auch in Spannungsge-biete verkauft? Der ganze Nahe Osten ist ein Spannungs-gebiet.
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gegeben und verkauft werden. Sie müssen endlich ver-nichtet werden.
Viertens. Die Lagerung von Streumunition inDeutschland ist nicht zu dulden.Fünftens. Endlich muss der Vertrag über konventio-nelle Abrüstung in Europa hier ratifiziert werden.Sechstens. Wir brauchen keinen Ausbau der militäri-schen Kapazitäten in der EU. Mein Gott, Sie haben dochdie NATO! Warum reicht Ihnen das nicht? Warum mussjetzt auch noch die EU militarisiert werden? Das istüberhaupt nicht nachzuvollziehen.
Siebtens. Ich sage Ihnen, dass der Aufbau einer Rake-tenabwehr durch die USA in Tschechien und PolenRussland völlig verunsichert. Auch hier wäre es erfor-derlich, dass die Bundesregierung ihre Stimme erhebtund deutlich macht, dass dies kein Weg zur Abrüstungist.Lassen Sie uns umkehren! Schluss mit den Geschäf-ten mit Waffen, Schluss mit Kriegen! Lassen SieDeutschland einen anderen Weg gehen!
Die Kollegin Agnes Malczak ist die nächste Rednerin
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Abrüs-tungspolitik muss ein Grundpfeiler deutscher Außen-politik sein.
Denn weniger Rüstung und mehr vertrauensbildendeRüstungskontrolle bedeuten mehr Frieden und Sicher-heit für alle.
Herr Minister Westerwelle, Sie betonen hier im Bun-destag immer wieder, wie wichtig Ihnen Abrüstung ist.Das klingt gut. Sie hätten uns Grüne und wahrscheinlichdas ganze Parlament an Ihrer Seite, wenn Sie Ihre Ver-sprechen wahrmachen würden. Sie ziehen aber immermit großen Worten davon und kommen dann mit leerenHänden wieder.Ihre Außenpolitik lässt eine klare Linie vermissen. IhrZickzackkurs in Bezug auf Libyen ist dafür wieder ein-mal bezeichnend.Zuerst sagten Sie generell Nein zu einem militäri-schen Einsatz in Libyen.
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Abrüstungspolitik funktioniert nur dann, wenn siemfassend, konsequent und ehrlich ist. Ihre Abrüstungs-olitik ist in zentralen Punkten reduziert, inkonsequentnd halbherzig. Gegenüber grundlegenden Zusammen-ängen scheinen Sie oftmals blind zu sein. Sie denkenicht zusammen, was zusammengehört. Das hat schwer-iegende Folgen, wie ich Ihnen mit Blick auf mehrereereiche aufzeigen möchte.Bei der Umsetzung von internationalen Abrüstungs-erträgen ist es geboten, umfassende Maßnahmen zueffen, um geächtete Waffen effektiv aus dem Verkehru ziehen. Mit dem Inkrafttreten des Abkommens zumerbot von Antipersonenminen und des Übereinkom-ens über Streumunition wurden für die weltweite Äch-ng dieser barbarischen Waffen wichtige Fortschritterzielt.Trotz dieser großen Erfolge werden diese Waffen je-och weiter in vielen Ländern produziert und eingesetzt.ie töten und verstümmeln Menschen auf grausameeise und treffen vor allem die Zivilbevölkerung. Vielenterzeichnerstaaten haben diese Verträge leider nochicht ratifiziert, Deutschland zum Glück schon.Aber mit Halbherzigkeit ist ein umfassendes Verboton Landminen und Streumunition nicht zu verwirkli-hen. Und um effektiv und konsequent den Einsatz, dieagerung, die Herstellung, die Entwicklung und denandel dieser Waffen zu verhindern, muss in allen rele-anten Bereichen dafür Sorge getragen werden, dass daserbot dieser Waffen nicht untergraben wird.Zu einem universellen und wirksamen Verbot gehörteshalb zwingend auch das Verbot von Investitionen innternehmen, die diese grausamen Waffen herstellen.
och in Deutschland darf weiterhin munter in die Pro-uktion dieser barbarischen Waffen investiert werden.er zum Beispiel in Deutschland eine Riester-Rente hat,uss damit rechnen, dass das angelegte Geld in Streu-unition investiert wird. Denn die Produkte der staatlicheförderten privaten Altersvorsorge werden überhaupticht daraufhin überprüft, ob ethische Mindeststandardsingehalten werden. Die Bundesregierung scheint es garicht zu interessieren, ob mit Steuergeldern Unterneh-en unterstützt werden, die diese geächteten Waffenerstellen und entwickeln. Dadurch wird das Verbot vonntipersonenminen und Streumunition zugunsten der
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Agnes Malczak
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wirtschaftlichen Interessen der Rüstungsindustrie unddes Finanzsektors ausgehöhlt.Herr Minister, hier ist kein Herz für Banken und In-vestmentfonds gefragt, sondern ein beherztes Eintretenfür ein Investitionsverbot in Unternehmen, die völker-rechtswidrige Waffen entwickeln und herstellen.
Deutschland sollte dem Beispiel Belgiens, Luxemburgs,Norwegens oder Neuseelands folgen und diese Investi-tionen generell gesetzlich untersagen. Denn zu einemVerbot des Einsatzes und der Produktion gehört unwei-gerlich auch ein Verbot, damit Profit zu machen. Beidesmuss zusammengedacht werden.
Deshalb legen wir Grüne heute einen Antrag für einumfassendes Investitionsverbot in Streumunition undLandminen vor. Wir laden heute auch alle Fraktionen zurZusammenarbeit ein, um endlich Investitionen in dieseWaffen gesetzlich zu verbieten und die steuerliche För-derung zu beenden.
– Ja, alle.Meine Damen und Herren, im vergangenen Jahr standdie nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung an obers-ter Stelle auf der abrüstungspolitischen Agenda. Im Ko-alitionsvertrag wurde vollmundig versprochen, dass sichdie Bundesregierung für den Abzug der in Deutschlandstationierten amerikanischen Atomwaffen einsetzt. Diebreite Mehrheit dieses Hauses hat bei der Debatte zumJahresabrüstungsbericht im vergangenen Jahr mit einemhistorischen Antrag, der von CDU/CSU, SPD, FDP unduns Grünen gemeinsam erarbeitet wurde, die Bundesre-gierung dazu aufgefordert, dieses Versprechen auch ein-zulösen.Herr Minister, ich darf Sie daran erinnern: Dieser Be-schluss des Bundestages ist keine unverbindliche Hand-lungsempfehlung. Wir sind in dieser Frage aber leiderkeinen Schritt weitergekommen. Innerhalb der NATOkonnte die Bundesregierung keine nennenswerten abrüs-tungspolitischen Erfolge erzielen. Sie sind daran ge-scheitert, die Reduzierung der US-Atomwaffen in Eu-ropa im neuen strategischen Konzept der Allianz zuverankern.Stattdessen weitet die Bundesregierung ihre Verzöge-rungstaktik aus und koppelt die Frage des Abzugs derUS-Atomwaffen aus Deutschland an ZugeständnisseRusslands im substrategischen Bereich. Damit verschie-ben Sie den Abzug der US-Atomwaffen absichtlich aufden Sankt-Nimmerleins-Tag. Diese kurzsichtige Politiklassen wir Ihnen nicht durchgehen.
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clear Suppliers Group sagen, dann bleibt auch all IhreFreude über den Erfolg der Überprüfungskonferenz zumAtomwaffensperrvertrag im letzten Jahr letztendlich ein-fach nur scheinheilig. Die Bundesregierung ist dannauch verantwortlich dafür, dass der Atomwaffensperr-vertrag komplett ausgehebelt wird.Mit unserem zweiten grünen Antrag, den wir heutehier vorlegen, erteilen wir deshalb dem Nuklearhandelmit Indien eine entschiedene Absage und stellen uns ge-gen diese auf kurzsichtigen Profit ausgerichtete Politik.Angesichts der enormen ökologischen und sicherheits-politischen Risiken gibt es für uns nur eine Lösung: denAusstieg aus der Atomenergie in Deutschland schnellst-möglich zu vollziehen und international voranzutreiben.Als eines der technologisch fortschrittlichsten Länderkann Deutschland bei dieser Überzeugungsarbeit einesehr wichtige Rolle spielen, wenn es selbst zügig undkonsequent aus der Atomenergie aussteigt.
Ein grundsätzliches Umdenken hinsichtlich der weltwei-ten Energieversorgung anzustoßen und andere Länderdurch alternative und ökologische Energiegewinnung inihrem Streben nach Energiesicherheit zu unterstützen –das könnte der wertvollste Beitrag Deutschlands zu eineratomwaffenfreien Welt sein.
Zusammendenken, was zusammengehört! Ich emp-fehle Ihnen, sowohl in der Energiepolitik als auch in derAbrüstungspolitik die Denkblockaden zu durchbrechen.Falls Sie dazu Denkanstöße brauchen: In beiden Fällensind Sie bei uns, wie immer, gut beraten.Vielen Dank.
Das Wort erhält nur der Kollege Christoph Schnurr
für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Herr Groschek, zu Beginn meiner Rede möchte ichauf Sie eingehen.Erstens. Sie haben gesagt, der Auftritt des Bundes-ministers sei knapp gewesen. Der BundesaußenministerWesterwelle hat sieben Minuten gesprochen. Sechs Mi-nuten stehen mir zu. Wir in der FDP-Fraktion lasseneben nicht nur die Minister sprechen, sondern halten esauch für notwendig, dass die Abgeordneten an diesersehr wichtigen Diskussion teilnehmen. Deswegen kames bei uns zu einer Splittung der Redezeit. Sie machendas in der SPD-Fraktion vielleicht anders.HoDwHwPAcsFSaaDtitihdhhawreinbwrüTAppwEAkdwgsWaN
as sollte auch Ihnen bekannt sein. Von daher ist es rich-g, dass er diese Rede gehalten hat.Frau Malczak, Sie haben gesagt, dass die Außenpoli-k der Regierung in der Libyen-Frage keine klare Linieat. Ich frage mich, ob die Politik und die Äußerungener Grünen zu Libyen und Afghanistan eine klare Linieaben, wenn Ihre Fraktion teilweise zustimmt, sich ent-ält oder mit Nein stimmt.Ich glaube, dass wir solche wichtigen Themen durch-us diskutieren können, aber heute steht ein andererichtiger Punkt auf der Tagesordnung, nämlich der Jah-sabrüstungsbericht. In den vergangenen Jahren gab es diesem Zusammenhang nicht immer nur Positives zuerichten. Vor allem der Nichtverbreitungsvertrag, derichtigste internationale Vertrag über die nukleare Ab-stung, war unter Druck. Dazu beigetragen haben dieatsache, dass Proliferationsfälle bekannt wurden, dietomtests Nordkoreas und auch die gescheiterte Über-rüfungskonferenz 2005.Heute können wir sagen: Der schleichende Erosions-rozess des NVV ist vorerst gestoppt. Schon deshalbar das Jahr 2010 ein gutes Jahr für die Abrüstung. Zweintwicklungen haben dazu maßgeblich beigetragen: derbschluss und die Ratifizierung des New-START-Ab-ommens und der Erfolg der Überprüfungskonferenz.Vor einem Jahr hat Außenminister Westerwelle anieser Stelle zur Überprüfungskonferenz gesagt: Wirollen einen konkreten Aktionsplan. – Genauso ist esekommen. Ich denke, wir können sehr zufrieden damitein, was die Bundesregierung und unser Außenministeresterwelle geleistet haben. Ein positives Signal istuch, dass die Gründung der Gruppe der „Freunde desVV“ erfolgt ist und wir uns aktiv beteiligen.
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Christoph Schnurr
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Der NVV wird auch durch den New-START-Vertraggestärkt. Er ist ein deutliches Signal dafür, dass die Staa-ten, die über 90 Prozent aller Kernwaffen besitzen, ihrenVerpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag nach-kommen.Auch die NATO kann und sollte Verantwortung über-nehmen. Vor dem Gipfel in Lissabon gab es unterschied-liche Stimmen, die den Standpunkt vertreten haben, dieNATO sei kein Abrüstungsgremium; deshalb solle mankeine Abrüstungsthemen in der NATO diskutieren. Ichdenke, die NATO ist ein Instrument der transatlantischenkooperativen Sicherheit. Abrüstung und Rüstungskon-trolle tragen wesentlich zu mehr Sicherheit bei. Deshalbsollte auch in der NATO Raum für dieses Thema sein.Die ersten Schritte sind schon getan, und die Bundesre-gierung hat einen maßgeblichen Anteil daran. VielenDank!
Die NATO hat sich in ihrem neuen StrategischenKonzept verpflichtet, die Voraussetzungen für eine Weltohne Atomwaffen zu schaffen. Außerdem soll sich einKontrollausschuss mit abrüstungs- und rüstungskontroll-politischen Themen beschäftigen. Die Einrichtung die-ses Ausschusses ist ein wichtiger und richtiger Schritt indie Zukunft.Es muss aber auch in anderen Fragen weitergehen. Esgeht zum Beispiel um den Abzug der substrategischenNuklearwaffen aus Europa. Dazu gab es auch einenAntrag. Wir haben das nicht nur im Koalitionsvertragfestgeschrieben, sondern wir stehen auch dazu und dis-kutieren darüber. Die Koalition verfolgt dieses Ziel kon-sequent.Es ist erstaunlich, dass Sie heute so tun, als ob Rot-Grün nie in der Regierungsverantwortung gewesenwäre. Elf Jahre waren es bei der SPD, sieben Jahre beiden Grünen. Sie haben es nicht geschafft. Das mache ichIhnen nicht zum Vorwurf. Wichtig ist nur, dass wir ge-meinsam an diesem Ziel weiterarbeiten. Umso mehrfreut es mich persönlich, wenn eine große Mehrheit indiesem Haus die Bundesregierung in diesem konkretenPunkt unterstützt.Es geht auch um die Rolle der Atomwaffen in der Mi-litärdoktrin. Hier muss sich die NATO mindestens amNuclear Posture Review der US-Regierung aus dem letz-ten Jahr orientieren.Eine Gefahr für unsere kollektive Sicherheit geht abernicht nur von der reinen Zahl der Kernwaffen aus. Einegroße, vielleicht sogar noch größere Gefahr geht von derProliferation von Kernwaffen aus.Große Sorge sollte uns auch der latente Konflikt zwi-schen Pakistan und Indien machen. Die Geschwindigkeitder nuklearen Aufrüstung in dieser Region ist jedenfallsbeängstigend.Das vergangene Jahr hat uns gezeigt: Wer Fortschrittebei der nuklearen Abrüstung will, muss auch die kon-ventionelle Abrüstung vorantreiben. Das wird beimNduAkspkwmLAdtutisluGSshnVtrBruCInswudSFisJadaskvA
ber auch für die gute Zusammenarbeit, die wir im zu-tändigen Fachausschuss miteinander pflegen. Wir dan-en auch für den Jahresabrüstungsbericht, der ein wert-olles Kompendium für alle ist, die sich in Bezug aufbrüstung und Rüstungskontrolle orientieren wollen.
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Uta Zapf
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Es wurde bereits mehrfach gefragt: Ist 2010 ein gutesJahr gewesen? Ich habe mir hier ein Fragezeichen no-tiert. 2010 war sowohl ein gutes Jahr als auch ein Jahr,das sehr viele Fragen aufgeworfen hat. Ich möchte dasan der Nuklearfrage deutlich machen. Wir hatten 2008und in der Folgezeit große Hoffnungen, als sich Obamainsbesondere in seiner Prager Rede für eine Welt ohneKernwaffen eingesetzt hat. Dies hat große Zustimmunggefunden, auch bei denen, die früher in der Verantwor-tung waren. Entsprechende Artikel wurden veröffent-licht. Es haben sich Initiativen gebildet. Wir hatten diegroße Hoffnung, dass dies der NATO einen Schub gebenwürde.Wir haben mit New START einen ersten positiven Er-folg erzielt; darüber freue ich mich sehr. Da gibt esnichts zu meckern. Aber die Tatsache, dass wir beimNATO-Konzept unserem Ziel, eine Welt ohne Atomwaf-fen zu schaffen, kein Stück nähergekommen sind, berei-tet mir große Sorgen, lieber Herr Außenminister. Ich binenttäuscht darüber, dass die Bundesregierung mitHinweis auf die Solidarität einen Rückzieher bei densubstrategischen Waffen gemacht hat; darauf komme ichgleich noch einmal zu sprechen. Zudem wird aus meinerSicht die Bedeutung der Nuklearwaffen im NATO-Kon-zept nicht verringert. Es gibt weiterhin einen Mix auskonventionellen und nuklearen Elementen. Die nukleareAbschreckung besteht fort. Ich sehe keine Verringerungder Bedeutung der Nuklearwaffen. Wir konstatieren ge-nauso wie die Amerikaner in der Nuclear PostureReview: Solange es Nuklearwaffen auf der Welt gibt,brauchen wir eine starke Abschreckung. – Ich glaube,dass die NATO nicht auf Nuklearwaffen zur Abschre-ckung angewiesen ist. Vielmehr gibt es andere Hebelund Möglichkeiten. Wir müssen zuerst einmal feststel-len, welche Aufgaben wir innerhalb der NATO eigent-lich haben, die nach dem Ende des Ost-West-Konfliktsüberhaupt noch eine nukleare Abschreckung nötig ma-chen. Also: Büchel bleibt. Ich glaube, das ist eine Auf-gabe, die noch einmal angegangen werden muss.Frau Malczak hat schon darauf hingewiesen: Wir ha-ben im März 2010 in diesem Haus einen gemeinsamenAntrag – weitestgehend auf der Grundlage eines SPD-Entwurfs – beschlossen. Mit diesem Antrag haben wirder Bundesregierung gemeinsam umfangreiche Aufträgegegeben. Herr Präsident, Sie betonen ja immer die wich-tige Rolle der Parlamente. Ich bin enttäuscht, dass dieseRegierung einen Teil der darin ausgesprochenen Auf-träge an die Bundesregierung nicht erfüllt hat.
Zum einen geht es um die substrategischen Waffen,die, denke ich, als Nächste an der Reihe sind. In einerUntersuchung von Pax Christi in den Niederlandenwurde der Frage nachgegangen, wie die 27 NATO-Staa-ten zu diesen Nuklearwaffen im Rahmen der NATO ste-hen. Es erweist sich, dass gerade einmal drei Staaten andiesen Waffen festhalten wollen. Nicht überraschend ist,dass einer der Staaten Frankreich ist. Aber dessen Nu-kNmdgcinNlivdgtizmRaVgenaKalizSdRIcWmaujetuemhhNEDAskwdfeeaeadk
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Ächtung der Atomwaffen einsetzt. Der Entwurf einersolchen Konvention liegt auf dem Tisch. Darüber wird inder VN-Generalversammlung in regelmäßigen Abstän-den abgestimmt. Die deutsche Regierung hat immer da-gegen gestimmt. Auch diesmal, nach der gemeinsamenEntschließung dieses Parlaments, hat sie dagegen ge-stimmt. Ich halte das nicht für richtig, Herr Außenminis-ter.
Das Parlament hat beschlossen, dass das ein vernünftigerWeg ist. Deshalb hätten Sie zustimmen müssen. Nochviel besser wäre es, sich dem anzuschließen, was BanKi-moon erbittet: dass dafür gesorgt wird, dass eineGruppe die Rahmenbedingungen beraten kann.Herr Außenminister, Sie haben im Zusammenhangmit CTBT, also mit dem Vertrag über ein Verbot der Er-probung von Nuklearwaffen, von Indien gesprochen. Siehaben gesagt, Sie wollen Indien an den Nichtverbrei-tungsvertrag heranführen. Das ist zwar ein sehr begrü-ßenswertes Unternehmen; nur das allein genügt nicht.Wir müssen Pakistan und auch Israel ins Boot holen.Ohne Israel wird es nicht gelingen – auch Sie engagierensich dafür, jedenfalls nach Ihrer Aussage –, eine nuklear-waffenfreie Zone im Nahen Osten zu schaffen. Wo bleibtdas EU-Expertenseminar zu einer solchen nuklearwaf-fenfreien Zone, das 2011 eingerichtet werden soll? Ichglaube, dass es trotz der veränderten Rahmenbedingun-gen in Nordafrika wichtig ist, dieses Ziel nicht aus denAugen zu verlieren.
Frau Kollegin Zapf!
Ich komme zum Schluss. – Wenn nichts passiert, dann
wird die nächste Überprüfungskonferenz zum Atomwaf-
fensperrvertrag genauso ein Desaster wie die Überprü-
fungskonferenz im Jahre 2005 sein. Wir und auch Sie,
Herr Außenminister, sind in der Pflicht, das zu verhin-
dern.
Das Wort erhält nun der Kollege Erich Fritz für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Herr Gysi, Sie haben hier wieder rhetori-sche Plakate aufgehängt. Am Beitrag der Kollegin Zapfkonnten Sie sehen, wie man mit diesem Thema ange-messen umgeht.dWsDruLHwb–edmvArismAstok–nccRgnshwgggmSdtigdIhzrü
Hier handelt es sich tatsächlich um eine Baustelle, aner man hart, konsequent und dauerhaft arbeiten muss.irkliche Fortschritte werden weder durch ein deut-ches Gesetz noch durch einen Willensakt aus demeutschen Bundestag oder der deutschen Bundesregie-ng erzielt, sondern nur durch konsequente Arbeit.iest man diesen Abrüstungsbericht, stellt man fest:err Steinmeier als Außenminister hätte sich gefreut,enn er so etwas in einen solchen Bericht hätte schrei-en können.
Nein, keine Luftblasen. – Im Unterschied zu frühernthält dieser Bericht keine Regierungsprosa mehr, son-ern beschreibt konkrete Fortschritte, konkrete Maßnah-en. Er zeigt, dass weitergearbeitet wird und dass manorankommt.Nehmen wir die Umsetzung des Ottawa-Abkommens.uch wenn sie mit Verzögerungen und anderen Schwie-gkeiten einhergeht, zeigt sich, dass konkret etwas pas-iert. Ich sehe keinen Grund, dem ehemaligen Außen-inister Vorwürfe zu machen. Die Umsetzung diesesbkommens braucht seine Zeit; denn es bedarf be-timmter Konstellationen. Nur in einer bestimmten his-rischen internationalen Situation, kann man weiter-ommen.
Ja. Aber auch in dieser Hinsicht ändern sich Situatio-en und gibt es neue Ansatzpunkte und Überlegungen.Ich finde es ausgesprochen bedauerlich und in der Sa-he nicht förderlich, wenn es mit Blick auf die Errei-hung politischer Ziele, über deren Richtigkeit sich dieepublik im Prinzip einig ist – was die Instrumente an-eht, sind die Auffassungen logischerweise kontrovers –,icht möglich ist, einmal eine Debatte ohne populisti-che Ausfälle wie die zu führen, die sich Herr Groschekier heute leider geleistet hat. Willy Brandt hätte sich,enn er hier gesessen hätte, für Ihre Rede heute Morgeneschämt.
Warum sollte es eigentlich nicht möglich sein, sichemeinsam darüber zu freuen, dass wir an konsensfähi-en Zielen gemeinsam arbeiten? Warum sollte es nichtöglich sein, im Deutschen Bundestag an bestimmtentellen – ich glaube, Abrüstung ist eine solche Stelle –ie Außenwahrnehmung Deutschlands in die innenpoli-sche Debatte zu übertragen? Fragen Sie doch die Kolle-en aus unseren europäischen Partnerländern oder auser NATO, wie sie Deutschland in dieser Rolle sehen.re Sicht hat mit dem, was Sie, Herr Gysi, sagen, nichtsu tun; denn da sind wir diejenigen, die beim Thema Ab-stung vorangehen. Wir sind diejenigen, die auf diesem
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Erich G. Fritz
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Gebiet fordern, Konzepte haben und Überlegungen ein-bringen. Sie werden die Partner nicht zwingen können,auch nicht durch noch so viele rhetorische Plakate dazu;das wird nur durch kontinuierliche Arbeit gelingen.Ich glaube, wir spielen hier eine sehr positive Rolle,und das hat Tradition. „Der Friede der Welt kann nichtgewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, dieder Größe der Bedrohung entsprechen“, heißt es imSchuman-Plan. Dieser Gedanke stand ganz am Anfangder europäischen Entwicklung. Er ist doch durchgängigePolitik, und zwar über alle Regierungswechsel hinweg.Abrüstung und Rüstungskontrolle bilden Bausteine füreine globale Sicherheitsarchitektur der Zukunft, heißt esim Koalitionsvertrag für die 17. Legislaturperiode. Wasder Außenminister vorgetragen hat, zeigt, dass das nichtnur in einer Vereinbarung steht, sondern dass daran kon-kret mit den Kräften gearbeitet wird, die Deutschlandmobilisieren kann. „In einem vereinten Europa demFrieden der Welt zu dienen“, heißt es in der Präambeldes Grundgesetzes. Meinen Sie denn wirklich, dass wiralle in diesem Haus diesen Auftrag nicht ernst nehmen?Dass der eine populistisch geschickter ist und die ande-ren mehr die Arbeit verrichten, ist vielleicht eine geradenoch tolerable Arbeitsteilung im Parlament. Es wird aberder Aufgabe und dem Auftrag, den wir aufgrund unsererVerfassung haben, nicht gerecht.Ich glaube, es versteht sich von selbst, dass – auch imSicherheitsrat – Fragen der Nichtverbreitung und derAbrüstung als Kernanliegen der deutschen Außenpolitikeine wesentliche Rolle spielen. Der Antrag der SPD,wenn man ihn genau liest, dokumentiert eigentlich dasEinverständnis mit der Praxis der Bundesregierung. In-sofern ist er vielleicht nicht unbedingt nötig.
Der Rüstungsexportbericht, Herr Kollege Gysi, zeigtim Übrigen, dass es nicht je nach Regierung beliebigeWechsel gibt, sondern dass es Richtlinien gibt, an dieman sich hält, und dass es Kriterien gibt, die allerdingsnicht einfach abzuwägen sind. Auch Sie müssten, wennSie in der Rolle wären, zu entscheiden,
bei jeder einzelnen Entscheidung die unterschiedlichstenAspekte abwägen. Das ist etwas, was man nicht pauschalsagen kann. Deshalb muss man der Bundesregierungbzw. den Bundesregierungen attestieren, dass sie bei ih-rer restriktiven Rüstungsexportpolitik verantwortlich ge-handelt haben.Im Nachhinein sieht man immer auch Fehler. AberSie müssen sich einmal mit der Zusammensetzung des-sen, was aus Deutschland exportiert wird, beschäftigen,und Sie dürfen im Übrigen nicht – wie in Ihrer Rededauernd geschehen, Herr Gysi – Rüstungsgüter, Waffenund Ähnliches durcheinanderwerfen, wenn Sie in dieEinzelheiten gehen.
Wir sehen im Hinblick auf den vorliegenden Rüs-tungsexportbericht – wir sind uns übrigens einig, dasswdrugZfuIngbvwhVFgtuWBsübsüFvistazhhsSWhtaplaZDte
arum sollte man anderen nicht vorschlagen, das alseispiel zu nehmen, und so diejenigen, die vorangehen,ozusagen belohnen?
Meine Damen und Herren, es ist noch Gelegenheit,ber Libyen zu reden. Wer in dieser Woche die Debattenei der WEU verfolgt hat, in denen das eine Rolle ge-pielt hat, der konnte feststellen, dass die Begeisterungber das, was man da unternimmt, bei manchen unsererreunde schon stark gelitten hat – die Überzeugung da-on ebenso – und dass plötzlich Nüchternheit eingekehrtt, was die Ziele, die Mittel und das angeht, was mantsächlich machen kann. Von daher tun wir gut daran,u sagen: Ja, wir haben das richtig entschieden. – Daseißt aber nicht, dass wir nicht auch bereit sein müssen,umanitäre Einsätze zu sichern; denn man kann in be-timmten Situationen Hilfe nicht ohne einen solchenchutz leisten.Danke schön.
Das Wort erhält nun die Kollegin Heidemarie
ieczorek-Zeul für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zureutigen Debatte liegt auch der Antrag der SPD-Bundes-gsfraktion „Deutschland im VN-Sicherheitsrat – Im-ulse für Frieden und Abrüstung“ vor. Die Wahl Deutsch-nds in den UN-Sicherheitsrat für zwei Jahre war eineichen der international hohen Anerkennung, die sicheutschland im vergangenen Jahrzehnt und davor erarbei-t hatte. Bereits nach drei Monaten steht die Bundesregie-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11821
Heidemarie Wieczorek-Zeul
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rung und mit ihr Außenminister Westerwelle vor einemScherbenhaufen ihrer internationalen Politik – isoliertvon wichtigen Verbündeten, belächelt und verspottet.
Für das Ziel – erklärtermaßen ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat für Deutschland – ist das eine absoluteKatastrophe.In unserem Antrag fordern wir die Bundesregierungauf, insbesondere politische Schwerpunkte bei den an-stehenden Abrüstungsfragen in den Vereinten Nationenzu setzen. Ich will drei Punkte nennen:Erstens, Streumunition. Das Übereinkommen – dieKollegin Malczak hat das vorhin angesprochen – ist am1. August letzten Jahres in Kraft getreten. 108 Staatenhaben das Übereinkommen unterzeichnet; 46 haben esbereits in nationales Recht umgesetzt. Darin verpflichtensich die Vertragsstaaten, keine Streumunition herzustel-len oder einzusetzen, sie auch nicht zu unterstützen.Wir alle wissen, dass Streumunition deshalb beson-ders gefährlich ist, weil sie durch Blindgänger noch nachJahrzehnten Menschen tötet. In vollem Umfang trifft dasZivilisten und besonders Kinder. Die Zahlen besagen,dass weltweit rund 85 000 Menschen Opfer von Streu-bomben und Blindgängern werden. Dennoch sind einigeLänder – Sie haben es angesprochen – diesem Überein-kommen bisher nicht beigetreten. Wir fordern die Bun-desregierung auf, das Übereinkommen zum Verbot vonStreumunition umzusetzen und vor allen Dingen Haus-haltsmittel bereitzustellen, um die Opferfürsorge zu fi-nanzieren.
Das ist bisher nicht geschehen.Wir fordern die Bundesregierung auf, sich auch fürein vollständiges Verbot von Streumunition einzusetzenund dafür zu sorgen, dass die Länder Russland, USA,China, Indien und Pakistan diesem Übereinkommen bei-treten. Zu den Verhandlungen in Genf liegt ein Protokollvor. Dieses Protokoll fällt hinter die Oslo-Bestimmun-gen zurück. Deshalb fordern wir die Bundesregierungauf, dafür zu sorgen, dass das Oslo-Abkommen nichtausgehöhlt wird und dass Streubomben nicht wieder le-gitimiert werden.
Das ist ein aktueller Konflikt, der ansteht.Ich unterstütze nachdrücklich die Forderung, Investi-tionen in Hersteller von Streumunition zu verbieten. Re-cherchen von Nichtregierungsorganisationen zeigen inder Tat, dass Banken und Versicherungen in diesen Be-reichen Investments vornehmen. Wir fordern, dass jed-wedes Investment in völkerrechtswidrige Waffen perGesetz verboten wird.
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Der dritte und letzte Punkt aus einer Fülle von Punk-n: Deutschland muss sich aktiver um die Umsetzunger UN-Sicherheitsratsresolution 1325 bemühen, die vornd zehn Jahren verabschiedet worden ist. In dieser völ-errechtlich verbindlichen Resolution wird unter ande-m auf allen Ebenen die verstärkte Einbeziehung vonrauen in Friedensprozesse gefordert. Im Oktober 2010atten erst 23 Staaten einen notwendigen Aktionsplanerabschiedet. Der Deutsche Bundestag hat gefordert,ass es einen gemeinsamen deutschen Aktionsplan ge-en muss. Angesichts des Elends und der Gewalt in derelt, die gerade in Kriegen und Bürgerkriegen gegenrauen ausgeübt wird, ist dies eine wichtige gemeinsameufgabe, zu der ich uns gemeinsam aufrufe.Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Reinhard Brandl
on der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!ie Umsetzung der Vision einer Welt ohne nukleare undndere Arten von Massenvernichtungswaffen ist ein Ge-erationenprojekt. Es ist kein Thema wie andere The-en, die man sich vielleicht für eine Legislaturperiodeornimmt, um dann darauf hinzuarbeiten, innerhalb die-er einen Periode einen Haken daran zu setzen. Nichts-estotrotz stehen wir zu unserer Verantwortung, unserektive Zeit dafür zu nutzen, diesem Ziel Stück für Stückäherzukommen. Das Ziel wird aber nie erreicht werden,enn man sich nur auf die Waffen selbst konzentriert. Es
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Dr. Reinhard Brandl
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muss in erster Linie darum gehen, in internationalenBündnissen Rahmenbedingungen zu schaffen und Ver-trauen herzustellen, sodass diese Waffen irgendwanneinmal von selbst überflüssig werden.So betrachtet, war das Jahr 2010 ein gutes Jahr. DerAbschluss und die Ratifizierung des neuen START-Ver-trags zwischen den USA und Russland markieren einenweiteren Schritt der Annäherung und Kooperation zwi-schen den beiden Ländern. Mit dem Vertrag wurdenTransparenz- und Verifikationsmaßnahmen beschlossenund neue Obergrenzen für die strategischen Arsenalefestgelegt. Der Vertrag ist aber auch ein Signal für dieWelt. Das sichtbare Bemühen um nukleare Abrüstungbei beiden Mächten des Kalten Krieges hebt die Bedeu-tung des Themas auf der internationalen Bühne.Meine Damen und Herren, aus meiner Sicht ist esaber mindestens genauso wichtig, dass jetzt in einemnächsten Schritt wieder Bewegung in die Verhandlungenmit Russland über die konventionellen Streitkräftekommt. Die NATO hat im letzten Jahr ebenfalls ein Si-gnal gesetzt: Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nicht-verbreitung sind wesentliche Elemente des neuen strate-gischen Konzepts, das im November in Lissabonbeschlossen wurde. Erstmalig in ihrer Geschichte hatsich die NATO dem Ziel verschrieben, Voraussetzungenfür eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen. Das ist auchein großer Erfolg der diplomatischen Bemühungen derBundesregierung.Frau Zapf, die Arbeit auf Ebene der NATO geht janun weiter mit der Einrichtung des Abrüstungs- undRüstungskontrollausschusses und der umfassendenÜberprüfung des NATO-Abschreckungs- und Verteidi-gungsdispositivs. Ihr Vorwurf, dass da jetzt nichts mehrpassiert, trifft also nicht zu.Natürlich sind das alles kleine Schritte, genauso wiezum Beispiel der Dialog zwischen der NATO und Russ-land im NATO-Russland-Rat. Aber die Abrüstung inner-halb der NATO und innerhalb Russlands ist nur die eineSeite. Daneben steht – das ist die weitaus konkretere Ge-fahr – das Streben nach Atomwaffen vor allem in Län-dern wie Iran, Syrien oder Nordkorea. Nordkorea wei-gerte sich auch 2010 konsequent, Transparenz über seinAtomprogramm herzustellen. Im Gegenteil: Durch dieBekanntgabe einer bisher unbekannten Urananreiche-rungsanlage und einen Angriff auf Südkorea hat sich dieLage in der Region weiter zugespitzt.Es gibt weiter Unklarheiten darüber, was denn Israel2007 in Syrien überhaupt bombardiert hat. Die starkeVermutung, dass es sich dabei um den Rohbau einesnicht bekanntgegebenen Reaktors handelt, wurde bishernicht ausgeräumt.Weiterhin kritisch ist auch die Lage im Iran. Auch2010 ist das Land nicht den Auflagen des UN-Sicher-heitsrates gefolgt. Es hat sein Atomprogramm fortge-setzt, die Urananreicherung ausgebaut und mit dem Baudes Schwerwasserreaktors in Arak fortgeführt. DurchPresseveröffentlichungen im Herbst letzten Jahres habenwir erfahren, wie groß die Nervosität in der Region ist,wie groß die Angst vor der iranischen Atombombe istund welches Konfliktpotenzial damit verbunden ist.DEeStiWramLmmckAkMhgJsDMwcaantuEs2KfrrubdzfadzddMliVAarusdkdw
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11823
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Der Kollege Robert Hochbaum von der CDU/CSU-
Fraktion ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungs-
punkt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Das Jahr 2010 war meiner Meinung nach,auch wenn in Frau Zapfs Manuskript an dieser Stelle einFragezeichen steht, richtungsweisend, was Abrüstungund Rüstungskontrolle angeht. Ich möchte deshalbgleich zu Beginn meiner Rede der Bundesregierung undallen Beteiligten für ihr Engagement und ihr nachhalti-ges Handeln bei allen Bemühungen um dieses Themaund natürlich auch für das Verfassen dieses sehr ausführ-lichen Berichts herzlich danken.
Dass für Deutschland die Themen Abrüstung undRüstungskontrolle von herausragender Bedeutung sind,zeigt dabei nicht allein der Umstand, dass bereits26 Tage nach Jahresende das Kabinett den Bericht be-schlossen hat, sondern vor allem auch die im Berichts-zeitraum erzielten Ergebnisse. Sie sind nämlich auf ei-nen wesentlichen Beitrag Deutschlands zurückzuführen,und sie unterstützen maßgeblich den häufig genanntenund von Barak Obama eingeleiteten weltweiten Paradig-menwechsel hin zu einer nuklearwaffenfreien Welt.Nicht zuletzt prägen die aktuellen Geschehnisse – icherinnere da an die Vorkommnisse in der arabischenWelt – auch die heutige Debatte. Durch sie wird einmalmehr auf die Notwendigkeit von Abrüstung und Rüs-tungskontrolle verwiesen. Dies waren und sind zentraleBestandteile deutscher Außen- und Sicherheitspolitikund müssen es auch weiterhin sein.Lassen Sie mich vor diesem Hintergrund auf einigewichtige Punkte eingehen, die speziell im deutschenFokus stehen und auch weiterhin stehen werden. MitSicherheit kann dabei die Einigung auf ein Abschluss-dokument der Staaten des Nuklearen Nichtverbreitungs-vertrages als zentraler Erfolg gewertet werden. Nach,wie Sie wissen, zehnjährigem Stillstand konnte hiernicht zuletzt aufgrund der Bemühungen Deutschlandsein Konsens zu verpflichtenden Handlungsempfehlun-gen zur nuklearen Abrüstung gefunden werden.Deutschland hatte sich darüber hinaus intensiv dafüreingesetzt, taktische Atomwaffen, also sogenannte sub-strategische Nuklearwaffen, die gegenwärtig leider nochkeiner Rüstungskontrolle unterliegen, in den weiterenAbrüstungsprozess aufzunehmen. Diese Diskussionsteht nun auf der internationalen Agenda. Man kann mitFug und Recht behaupten, dass dies zu einem nicht uner-heblichen Teil den Aktivitäten der Bundesregierung zuverdanken ist. Auch dafür gilt mein herzlicher Dank.
Aber auch mit Blick auf Amerika kann von einerpositiven Entwicklung, was die Abrüstung bei den tak-tischen Atomwaffen angeht, gesprochen werden. So hatPzAuwRsVgnssNntuzPsBesaPbwNBdfrRdIckicJdzJDZnnsdWsimateg
Und – man glaubt es kaum –: Auch bei uns wurden Jahre 2010 die letzten Granaten des Lagerbestandesn chemischen Waffen des Ersten Weltkrieges vernich-t. Man sieht also, wie lange Abrüstung dauern kann.Das sind zwar kleine Schritte, aber handfeste undreifbare Abrüstungsschritte, die trotz der großen globa-
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11824 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011
Robert Hochbaum
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len nuklearen Herausforderungen nicht unter den Tischfallen sollten.Nicht zuletzt darf bei all diesen Fragen unser En-gagement – es wurde mehrfach genannt – bei der Ver-nichtung von Streumunition nicht unerwähnt bleiben.Seit der Unterzeichnung der Osloer Konvention hat sichDeutschland zu einer der führenden Kräfte unter diesenVertragsstaaten entwickelt und die Abrüstung im Be-reich der Streumunition auch im letzten Jahr entschei-dend mit vorangetrieben.Meine Damen und Herren, abschließend kann manzum Jahresabrüstungsbericht festhalten – auch wenn ichweiß, dass hier im Raum nicht alle derselben Meinungsind –, dass alle Bemühungen der Bundesregierung indie richtige Richtung gewiesen haben bzw. weisen. Na-türlich ist Abrüstung ein schwieriger, oft auch von Rück-schlägen begleiteter Prozess und natürlich sollte allesviel, viel schneller gehen, umfassender sein und mit weitmehr Erfolgen verbunden sein. Aber seien wir nichtblauäugig. Halten wir uns an die Realitäten und kämpfenwir um jeden kleinen Schritt. Alle Themen in dieser Hin-sicht gilt es im internationalen Rahmen, im Verbund mitder NATO, mit Russland, mit der EU und mit andereninternationalen Gremien zu vereinbaren. Dabei müssenAbrüstungspolitik und Rüstungskontrolle immer aufVertrauen und gemeinsamer Verständigung basieren. Al-leingänge nutzen da wenig. Das ist sicherlich nicht im-mer der einfachste und leider nicht immer der schnellsteWeg. Es ist aber sicherlich immer der nachhaltigste undein Weg, der entscheidend zu mehr Sicherheit und zumehr politischer Stabilität in unserer Welt führen wird.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zunächst zu den Überweisungen. Hier
geht es um die Tagesordnungspunkte 26 a, d, e und den
Zusatzpunkt 8. Interfraktionell wird die Überweisung
der Vorlagen auf den Drucksachen 17/4620, 17/4697,
17/5374 und 17/4863 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zu der Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Atomwaffen unverzüglich aus
Deutschland abziehen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2214, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/116
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist die Beschlussempfehlung mit Mehrheit angenom-
men.
Unter dem Tagesordnungspunkt 26 c stimmen wir ab
über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus-
schusses zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Ti-
tel „Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrver-
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Trittin, Renate Künast, Sylvia Kotting-Uhl, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Nie wieder Tschernobyl – Atomzeitalter been-
den
– Drucksache 17/5375 –
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dorothee Menzner, Eva Bulling-Schröter, Ralph
Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
25 Jahre Reaktorkatastrophe von Tschernobyl –
Atomkraftwerke abschalten
– Drucksache 17/5379 –
P 9 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Tschernobyl mahnt – Für eine zukunftssichere
Energieversorgung ohne Atomkraft und eine
lebendige europäische Erinnerungskultur
– Drucksache 17/5366 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
en Widerspruch, also können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
er Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/
ie Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor5 Jahren, am 26. April 1986, wurde im Block 4 destomkraftwerks Tschernobyl ein Versuch durchgeführt.s sollte nachgewiesen werden, dass der Reaktor einentromausfall bewältigen kann. Er konnte es nicht. Dasrgebnis war ein Super-GAU, ein Unfall, der über dieuslegung der Anlage hinausging. Das Ergebnis war die
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11825
Jürgen Trittin
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größte Katastrophe in der Geschichte der Atomenergie.Explosionen und ein Grafitbrand verbreiteten die Radio-aktivität über ganz Europa. Noch am Tag darauf, am27. April, begannen über 1 800 Hubschrauberflüge, umden geborstenen Reaktor mit Blei, Bor, Dolomit, Sandund Lehm zuzuschütten. Die Einwohner der Stadt Prip-jat, 48 000 Menschen, wurden evakuiert.Ich selber weiß noch, wie ich am 1. Mai 1986 beistrahlendem Sonnenschein mit vielen Kindern auf demGöttinger Markt ein Maifest feierte, und zwei Tage spä-ter die Feuerwehr Göttingen den hilflosen Versuchmachte, Proben aus Pfützen zu ziehen, und zu erschre-ckenden Werten kam. Kurz darauf wurden Sandkästenund Sportplätze gesperrt. Ich glaube, es gibt nur wenigeEreignisse, die sich so in das Gedächtnis von Menscheneinprägen, dass sie später noch sagen können, was sie andiesem Tag, als sie die Nachricht erfahren haben, ge-macht und gedacht haben. Tschernobyl gehört zu dieserArt von Ereignissen.Wir müssen klar sagen: Nicht nur die damalige So-wjetunion war auf einen solchen Störfall nicht vorberei-tet; auch Deutschland war nicht darauf vorbereitet. Diedamalige Bundesregierung spielte die Vorgänge herun-ter. Ein bayerischer Minister versuchte noch, im Selbst-versuch klarzumachen, dass Molkepulver doch nicht soschädlich sei. Schließlich gelang es, zehn Tage später,am 6. Mai 1986, die Freisetzung radioaktiven Materialsin Tschernobyl einzudämmen. Bei diesen Arbeiten, diedann folgten, wurden über 800 000 Liquidatoren, wie siegenannt wurden, eingesetzt. Einer von denen, die damalseingesetzt worden sind, wurde jetzt gefragt, wie denndas Leben nach Tschernobyl sei. Er hat geantwortet: Esgab ein Leben vor Tschernobyl, aber es gibt kein Lebennach Tschernobyl. Es gibt nur noch ein Leben mitTschernobyl. – Das sollten wir uns 25 Jahre danach ver-gegenwärtigen.
„Mit Tschernobyl leben“ heißt: mit 4 000 Toten,400 000 Evakuierten, 1,5 Millionen Hektar Land, dienicht mehr genutzt werden können. Bis heute kostetdiese Katastrophe die Ukraine 6 Prozent des Bruttoso-zialprodukts.Wir müssen uns die Frage stellen: Was wurde eigent-lich aus Tschernobyl gelernt? Der damalige Fraktions-vorsitzende der baden-württembergischen CDU, ErwinTeufel, sagte am 18. Mai 1986 in einer Debatte im dorti-gen Landtag: Tschernobyl mahnt uns, wir müssen dieKernenergie ethisch neu bewerten. – Schon damals hatteErwin Teufel recht. Wer gibt uns das Recht, die Gesund-heit und das Leben von Menschen, die heute noch nichtgeboren sind, in einem solchen Ausmaß zu beeinträchti-gen? Woher nehmen wir uns das Recht, mit unsererErde, mit unserer Luft, mit unserem Wasser so umzuge-hen und uns, um es einmal mit diesen Worten zu sagen,so an der Schöpfung zu versündigen?
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s war eine Fehlentscheidung gegen die Sicherheit derevölkerung. Es war eine Fehlentscheidung, weil Sieräben über eine Frage aufgerissen haben, in der in die-er Gesellschaft ein neuer Konsens entstanden war. Esar eine Fehlentscheidung – das will ich ausdrücklichagen –, bevor in Fukushima die Kernschmelze in nichtinem, sondern in drei Reaktorblöcken einsetzte. Es warine Fehlentscheidung, bevor erneut ein Stromausfall be-ies, dass solche Anlagen Stromausfälle eben nicht ver-raften können. Es war eine Fehlentscheidung, bevor ininem Hightechland mit hohen Sicherheitsstandards die-es passierte.25 Jahre nach Tschernobyl müssen wir nun lernen,uch mit Fukushima zu leben, mit den Opfern, mit denolgen und mit der radioaktiven Verseuchung des Pazi-ks. 25 Jahre nach Tschernobyl, im Jahr von Fukushima,üssen wir aber endlich Konsequenzen ziehen. Wirüssen raus aus der Atomenergie, und zwar so schnellie möglich.
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11826 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011
Jürgen Trittin
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Sie von der Koalition haben sich nun eine dreimona-tige Denkpause verordnet, um Ihre gut drei Monate alteFehlentscheidung zu korrigieren. Ich würde mir am heu-tigen Tag wünschen, dass Sie in diesem Fall von ErwinTeufel lernen und nicht von Helmut Kohl. Ich würde mirwünschen, lieber Herr Röttgen, dass Sie die Zeit nutzen,um eine Brücke zurück zum Konsens in dieser Gesell-schaft zu bauen. Dieser Konsens ist heute übrigens einanderer als der vor zehn Jahren, für den ich mitverant-wortlich war. 30 Prozent der Bevölkerung wollen sofortraus, 27 Prozent innerhalb von fünf Jahren und20 Prozent innerhalb von zehn Jahren. Man kann es sosagen: Drei Viertel sind der Ansicht, wir sollten deutlichvor 2020 alle AKW stilllegen.
Wie könnte ein solcher neuer Konsens aussehen?Nehmen wir die sieben ältesten Atomkraftwerke undKrümmel endgültig und nicht nur vorübergehend vomNetz. Nehmen wir die Laufzeitverlängerung gemeinsamzurück. Koppeln wir künftig die verbleibenden Rest-strommengen an das Wachstum erneuerbarer Energien.Beenden wir gemeinsam die bürokratischen Blockadenfür den Ausbau der Windenergie auch in den südlichenBundesländern.
Bauen wir gemeinsam neue Netze für eine dezentralereEnergieversorgung. Investieren wir mehr und nicht we-niger in Wärmedämmung, weil wir das Gas, das dadurcheingespart wird, an anderer Stelle brauchen. Sorgen wirfür mehr Pumpspeicher und für mehr Elektrospeicher inElektrofahrzeugen. Schaffen wir mehr Bioenergiedörfer.Dies alles hieße nicht nur, die Atomkraft ethisch neuzu bewerten, es würde auch unzählige neue Arbeits-plätze schaffen. Es würde den Industriestandort Deutsch-land stärken. Es würde unsere Versorgungssicherheit er-höhen, und es würde das Klima schützen. Ein solcherneuer Konsens, das hieße, im Jahr von Fukushima ausTschernobyl zu lernen.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Marie-Luise Dött
für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Oppo-sition hat den bevorstehenden 25. Jahrestag des schlim-men Reaktorunfalls in Tschernobyl zum Anlass genom-mDDdJewecvuwsuuedbdsksSnlevneFsbmgdpnTKbdmledteRsvEReSph
Meine Damen und Herren, seit dem schweren Erdbe-en vom 11. März 2011 in Japan steht Tschernobyl nichtehr allein als Synonym für die Gefahren der Kernener-ie. Erneut hat es ein schweres Unglück bei der Nutzunger Kernenergie gegeben. Vieles, was in Tschernobylassiert ist, war bei unseren Kernkraftwerken technischicht möglich. Es handelte sich beim Reaktortyp inschernobyl um ein sicherheitstechnisch veraltetesraftwerk. Die Reaktoren dieses Typs in Greifswald ha-en wir unmittelbar nach der Wende abgeschaltet.Jetzt aber ist in Japan ein Kernkraftwerk betroffen,as in einem hochindustrialisierten Land steht. Dort sindit dem schweren Erdbeben vom 11. März 2011 – in dertzten Nacht fand dort wieder ein Erdbeben statt – undem dadurch ausgelösten Tsunami Ereignisse eingetre-n, die so nicht vorhergesehen wurden. Das sogenannteestrisiko hat sich in Fukushima als reales Risiko erwie-en. Die Sicherheitsannahmen und die Sicherheitsreser-en in Japan sind nicht ausreichend gewesen. Aus diesenreignissen müssen wir Konsequenzen ziehen. Dasestrisiko auch unserer Kraftwerke muss nach den Er-ignissen in Japan neu bewertet werden. Wir müssen dieicherheit neu bewerten und mit ergänzten Maßstäbenrüfen. Genau das tun wir jetzt.Meine Damen und Herren, wir werden die Sicher-eitsmaßnahmen und vor allen Dingen die Sicherheits-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11827
Marie-Luise Dött
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annahmen zu Erdbebengefahren, zu den Auswirkungenvon Hochwasserereignissen, zu möglichen Auswirkun-gen des Klimawandels oder zu terroristischen Angriffen,zu Cyberattacken und zu möglichen Gefahren durchFlugzeugabstürze genau prüfen. Wir werden insbeson-dere die Wirkungen eines möglichen Zusammentreffensverschiedener Schadensereignisse prüfen. Wir werdenauch die technische Situation in den Kraftwerken genauanalysieren, zum Beispiel wie die Strom- und Notstrom-versorgung und die externe Infrastruktur ausgelegt sind,und prüfen, wie robust sie bei Schadensereignissen sind.Gründlichkeit in der Analyse und Konsequenz im Han-deln, das ist jetzt gefordert. Auf beides können sich dieBürger verlassen.
Der von der Reaktor-Sicherheitskommission in dervergangenen Woche vorgelegte Anforderungskatalogumfasst alle Themen der Anlagensicherheit. Er stellt ex-trem hohe Anforderungen an alle Anlagen und ist derMaßstab zur Beurteilung jedes einzelnen Kraftwerks.Diese Anforderungen gehen weit über die Anforderun-gen eines kerntechnischen Regelwerks hinaus. Eine An-lage, bei der die Sicherheit nicht vollständig gewährleis-tet ist, geht nicht wieder ans Netz. Ein Kraftwerkneueren Typs, das die Anforderungen nicht erfüllt, mussnachgerüstet werden, oder es wird ebenfalls vom Netzgenommen. Die Sicherheit der Kraftwerke hat höchstePriorität.
Wir führen eine sehr intensive Diskussion über dieZukunft der Energieversorgung in Deutschland. Wirwollen die Nutzung der Kernenergie möglichst schnellbeenden. Wir werden im Lichte der Ereignisse in Japanprüfen, ob das schneller geht, als wir bisher angenom-men haben.
Seit längerem sind wir uns, glaube ich, alle einig, dasswir das Zeitalter der erneuerbaren Energien möglichstschnell erreichen wollen. Der Umbau hat bereits begon-nen. Wir werden ihn noch einmal beschleunigen. DieNovelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, die in die-sem Jahr ansteht, wird entsprechende Maßnahmen ent-halten.Wir werden zum Beispiel dafür sorgen, dass der Aus-bau der Windenergieerzeugung beschleunigt wird. Hierhaben wir derzeit das wirtschaftlichste Ausbaupotenzial.Wir werden den dafür erforderlichen Ausbau der Netzeund Speicherkapazitäten beschleunigen. Das bereits vor-gelegte Eckpunktepapier für ein Netzausbaubeschleuni-gungsgesetz ist dafür die Grundlage. Wir werden geradebei der Erhöhung der Energieeffizienz für schnelle Fort-schritte sorgen. Insbesondere die energetische Gebäude-sanierung ist hier ein wichtiger Ansatz.
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er Umbau der Energieversorgung darf nicht zur Ab-anderung von Unternehmen und damit zum Verluston Arbeitsplätzen führen. Das betrifft übrigens nichtur die Preiswürdigkeit der Energie, sondern auch dieersorgungssicherheit. Klimaverträglich, sicher, preis-ürdig – das bleiben auch beim Übergang in das Zeital-r der erneuerbaren Energien die Prämissen unserernergiepolitik.
Wir wollen einen schnelleren Ausstieg aus der Kern-nergie; aber ein Umbau Hals über Kopf, nach demotto: „Koste er, was er wolle“, ist mit uns nicht mach-ar.
Meine Damen und Herren, ich hoffe sehr und bin zu-ersichtlich, dass die von der Bundeskanzlerin einge-etzte Ethikkommission auch dieses Thema ausgiebigiskutieren wird. Eine sichere, bezahlbare und klimaver-ägliche Energiepolitik ist eine gesellschaftspolitischerage von höchster Relevanz, und damit eignet sie sichicht für parteipolitische Taktik. Den in Anträgen derpposition vorweggenommenen Forderungen nach kon-reten Jahreszahlen können wir heute – auch wenn esonst an mancher Stelle Übereinstimmungen gibt – nichtustimmen. An einem Unterbietungswettlauf darum, werm schnellsten die Kernkraftwerke abschaltet, werdenir uns ebenfalls nicht beteiligen. Erst die gründlichenalyse, dann konsequentes Handeln – so ist unsereeihenfolge.Ich hoffe sehr, dass die Signale der Opposition für ei-en offenen, sachlichen und fairen Dialog ernst gemeintind; denn die Energiepolitik in Deutschland brauchtine langfristig stabile Perspektive. Wir sind sehr gernereit, darüber zu diskutieren.Vielen Dank.
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11828 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011
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Das Wort hat nun Marco Bülow für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu-nächst einmal möchte ich mich bei den vielen Initiati-ven, Organisationen, Einzelpersonen und Abgeordneten,die sich seit 25 Jahren für die Opfer von Tschernobyleinsetzen und engagieren, für die Aufklärung, die es seitTschernobyl gegeben hat, bedanken. Beispielhaft willich das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk inDortmund und die Abgeordnete Uta Zapf nennen, die inden letzten 25 Jahren sehr viel Engagement aufgebrachthaben.
Selbst nach 25 Jahren ist das wahre Ausmaß vonTschernobyl immer noch nicht bekannt. Wir wissen un-gefähr, wie viele 100 000 Quadratkilometer Landflächeunbewohnbar geworden sind, wir wissen, dass Hundert-tausende ihre Heimat verloren haben, wir wissen, dass esviele Opfer gegeben hat; aber genau beziffern wird manes nicht können, und selbst nach 25 Jahren kommen im-mer noch neue Opfer hinzu.Jürgen Trittin hat es gerade schon gesagt: Viele wis-sen, was sie zu diesem Zeitpunkt vor 25 Jahren gemachthaben. Ich war damals knapp 15 und erinnere mich ge-nau an diesen Tag. Ich erinnere mich auch deswegen da-ran, weil ich damals als Jugendlicher Fragen gestellthabe. Ich habe gefragt, warum wir auf so eine Ener-gieform setzen und ob es keine Alternativen gibt. Ich er-innere mich daran, dass auch in Deutschland Ratlosig-keit und Unwissenheit vorherrschte, dass Mütter nichtwussten, ob sie ihren kleinen Kindern Milch geben dür-fen und ob sie bestimmte Nahrungsmittel essen könnenoder nicht, dass viele große Angst hatten und sich großeSorgen gemacht haben und dass Antworten nur spärlichgegeben wurden.So bin ich damals übrigens politisiert worden. HättenUnion und FDP damals umgeschwenkt, dann wäre Ihnenmeine Rede heute möglicherweise erspart geblieben,weil ich dann vielleicht nicht zur Politik gekommenwäre.
Ich möchte Ihnen gerne eine Aussage von Franz Altvorlesen:Ich habe mich 25 Jahre zurückerinnert, an Tscher-nobyl, wo ich ganz ähnliche Bilder gesehen habe.Damals war ich als CDU-Mitglied noch ein Anhän-ger der Atomenergie. Ich war damals so bekloppt,den Fachleuten zu glauben, dass da nie etwas pas-sieren kann. Erst dann habe ich angefangen, gründ-lich zu recherchieren, und habe gemerkt, was unsvor allem die Fachleute an Lügen erzählt haben.… sie hatten nur Angst, ihren Job zu verlieren. WieDhssvadnLhobbootisadendinfadwInedpinlivkEPtesdD
Dann gab es die Katastrophe in Fukushima, die unsoch heute in Atem hält und wahrscheinlich auch nochie nächsten Wochen, Monate und vielleicht sogar Jahre Atem halten wird. Wir haben in der letzten Nacht er-hren, dass es wieder ein starkes Nachbeben gab undass ein weiteres Atomkraftwerk ein Leck hat, und wirissen nicht, wo die ganze Geschichte enden wird.Die Japaner bekommen jetzt auch langsam Angst. Dieformationspolitik ist fatal, weil sie hauptsächlich voninem Betreiber ausgeht. Ich finde, es ist ein Skandal,ass ein Unternehmen, das davon lebt, Atomenergie zuroduzieren, fast eine Informationsallmacht hat, und das einer entwickelten Demokratie. Ich halte das für ziem-ch gefährlich.
Aber auf einmal wandeln sich in Deutschland undielen anderen Ländern die Atomdinosaurier von Kriti-ern zu Fans der Erneuerbaren und kündigen das baldigende der Atomenergie an. Das sind zum Teil dieselbenersonen, die uns noch vor ein paar Wochen oder Mona-n als Ökospinner, Ideologen oder Panikmacher be-chimpft haben. Jetzt können sie nicht schnell genug auser Atomenergie aussteigen.Sie haben gesagt, dass es keinen Wettlauf gibt, Frauött. Es gibt ihn aber gerade in der CDU/CSU.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11829
Marco Bülow
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Viele Länderchefs versuchen, möglichst schnell von derAtomenergie wegzukommen, schneller als Rot-Grün esjemals beschlossen hat.Ich bin aber froh über jeden, der dazulernt. Besserspät als nie, von mir aus auch erst jetzt nach Fukushima.Dabei sollten wir aber ein paar Fragen stellen dürfen:Warum musste es erst zu einer Katastrophe in Fuku-shima kommen? Es gab schon vorher andere Katastro-phen neben Tschernobyl. Es gab ernstzunehmende Stör-fälle wie 2006 in Forsmark in Schweden, einemhochindustrialisierten Land, mit einer Technik, die auchin Deutschland eingesetzt wird. Auch daraus wurdenkeine Lehren gezogen.Warum haben die Politiker von CDU/CSU und FDPnicht den Mut, ähnliche Worte zu finden wie Franz Altund sich für ihre Politik zu entschuldigen? Stattdessentun sie so, als ob das, was sie noch vor zwei Monaten ge-sagt haben, völlig richtig gewesen wäre.
Warum entmündigen Sie erneut das Parlament? Siesetzen Ethikkommissionen ein, die vor 25 Jahren hättentagen müssen – unlegitimierte Kommissionen, die heutedarüber bestimmen sollen, wie wir mit der Atomenergieumgehen –, statt im Parlament eine lange, ausführlicheDebatte zu führen und Anhörungen durchzuführen, zudenen man die Experten hätte einladen können. Denndas Thema gehört ins Parlament. Es sollte nicht etwa enpassant im Juni entschieden werden, wie wir es schoneinmal erlebt haben.Warum machen Sie das nicht? Das zeigt doch, dassder Lerneffekt sehr begrenzt ist. Sie beschränken sichauf Lippenbekenntnisse, statt wirklich umzudenken.
Auch nach Fukushima gibt es den Konsens in derAtomdebatte und in der Energiedebatte nicht, den Sie unsvorzuspielen versuchen. Das ist auch ein Hinweis an dieMedien; denn es gibt immer noch große Unterschiede. Esgibt viele Möglichkeiten, eine Energiewende, die jetzt an-geblich alle wollen, zu verzögern. Es gibt unterschiedli-che Ziele und Vorstellungen über die Zeitabläufe.Es geht nicht nur darum, sieben Pannenreaktoren ab-zuschalten. Es geht nicht einmal darum, nur über dieAtomenergie insgesamt zu sprechen. Denn eine wahreEnergiewende ist eine industrielle Revolution, die einneues Denken erfordert.Albert Einstein hat gesagt: „Probleme kann man nie-mals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie ent-standen sind.“ Deswegen müssen wir komplett umstei-gen. Wir müssen die Energie effizienter nutzen und aufdie Erneuerbaren umsteigen. Aber nicht nur das: Wirbrauchen ein völlig neues System. Wir dürfen nicht wie-dzmsPkTmFTimFnwmgicgkTsfaeleisWdbÜnqdzmed
Denn eines ist klar – das ist mein letzter Satz –: Ichöchte nicht, dass einige wenige Konzerne darüber ent-cheiden, wie es mit der Energiepolitik läuft, und dass wirrofitdenken, das für die Konzerne notwendig ist – dasreide ich ihnen nicht an –, im Zweifel über Sicherheit,ransparenz und volkswirtschaftlichen Nutzen stellen.Danke schön.
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile,
öchte ich sehr herzlich die Botschafterin der Ukraine,
rau Natalia Zarudna, sowie Vertreter verschiedener
schernobyl-Initiativen begrüßen, für deren Arbeit ich
Namen des Hauses sehr herzlich danke.
Das Wort hat nun Kollege Michael Kauch für die
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 25 Jahreach Tschernobyl, das ist ein Anlass, sich zu fragen: Wiear es damals bei mir? – Ich war 1986 in der Oberstufeeines Gymnasiums, habe ehrenamtlich die Milchbaremanagt und irgendwann die Erfahrung gemacht, dassh meine Milch nicht mehr verkaufen durfte. Ichlaube, so etwas prägt junge Menschen und bringt Er-enntnisse. Bei mir hat es Skepsis gegenüber dieserechnologie bewirkt.Bei allen Abwägungen gegenüber Klimaschutz, Ver-orgungssicherheit und Bezahlbarkeit sind dies die Er-hrungen, durch die bei uns, meiner Generation, immerin Rest von Skepsis geblieben ist, auch wenn es in dentzten 25 Jahren nicht zu einer Katastrophe gekomment.
ir haben 1986 als Folge von Tschernobyl die Grün-ung des Bundesumweltministeriums erlebt. Die FDPeschloss im Jahr 1988, dass die Kernkraft nur einebergangsenergie sein kann. Seitdem wurden keineeuen Kernkraftwerke mehr in Deutschland gebaut.Ich denke, das waren die damals möglichen Konse-uenzen aus Tschernobyl; denn in der Zeit standen unsie technologischen Alternativen nicht in dem Umfangur Verfügung wie heute. Tschernobyl und die Folgenahnen uns, menschliche Katastrophen und Tragödienrnst zu nehmen. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich,ass sich der Antrag der SPD zum größten Teil mit der
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11830 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011
Michael Kauch
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menschlichen Tragödie befasst. Demgegenüber enthältder Forderungskatalog des Antrags der Grünen kein ein-ziges Wort zum Verhältnis zur Ukraine und zu den Men-schen, die immer noch unter den Folgen von Tscherno-byl leiden. Ich beglückwünsche die SPD und finde esschade, dass die Grünen an dieser Stelle hinter den Er-wartungen zurückbleiben.
Nach Fukushima stehen wir erneut vor einer Heraus-forderung. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwi-schen den Lehren aus Tschernobyl und Fukushima.Tschernobyl war das Ergebnis menschlicher Fahrlässig-keit in Kombination mit einer nichtoptimalen Reaktor-technik. Fukushima zeigt: Selbst wenn ein Kernkraft-werk im genehmigten Betrieb sicher betrieben werdenkann, kann es äußere Einwirkungen auf den Reaktor ge-ben, die zur Katastrophe führen. Deshalb müssen wirLehren aus Fukushima ziehen. Auch wenn wir der Mei-nung sind, dass die deutschen Kernkraftwerke im laufen-den Betrieb sicher sind und es auch immer waren, müs-sen wir erkennen, dass die Sicherheitsreserven derReaktoren offensichtlich kleiner sind, als wir uns dasvorgestellt haben. Es ist daher richtig, dass wir jetzt Leh-ren ziehen und im Rahmen des Moratoriums von dreiMonaten Sicherheitsüberprüfungen nicht nur der Kern-kraftwerke, sondern auch der Sicherheitsreserven undder Sicherheitsregeln angeordnet haben.
Politik muss eine weitere Lehre ziehen. Die Bürgerin-nen und Bürger haben ein klares demokratisches Signalgegeben. Sie wollen schneller raus aus der Kernkraft.Politik muss dies erkennen und entsprechend handeln.Die FDP wird deswegen den Umbau hin zum Zeitalter dererneuerbaren Energien beschleunigen. Das Energiekon-zept des letzten Jahres sieht für das Jahr 2050 80 ProzentStrom aus erneuerbaren Energien und 0 Prozent Kern-kraftstrom vor. Allerdings müssen wir jetzt möglicher-weise einen anderen Pfad verfolgen. Wir müssen diesesEnergiekonzept nicht auf den Müll werfen. Vielmehr gehtes darum, den Umbauprozess, der bereits im Energiekon-zept angelegt ist, schneller hinzubekommen.
Wie können wir ihn schneller hinbekommen? DasHauptproblem bei den erneuerbaren Energien ist nicht,dass wir nicht schnell genug Kapazitäten aufbauen kön-nen. Das Hauptproblem, das wir heute haben, ist, denStrom aus erneuerbaren Energien zum Verbraucher zubringen. Insbesondere in Norddeutschland, wo Techno-logien zur Nutzung erneuerbarer Energien effizient an-gewendet werden können, gibt es riesige Kapazitäten.Aber der Großteil der Verbraucher befindet sich im Sü-den und im Westen der Republik. Außerdem unterliegendiese Stromquellen Schwankungen. Deshalb sind Spei-cherung und neue Stromtrassen die Schlüsselherausfor-derungen für die erneuerbaren Energien. Niemand sollteso tun, als ginge es darum, ein paar Vergütungsstufen an-zssisnzvwdvwfrduraKdgdsCmraKatiWsgFeSmbvhhgWD
Man sollte nicht blauäugig sein und glauben, dassiese Stromtrassen, selbst wenn wir die Genehmigungs-erfahren beschleunigen, in ein bis zwei Jahren da seinerden. Wir werden – das ist die bittere Wahrheit – kurz-istig Strom importieren, was wir schon tun, kurzfristigie Kohlekraftwerke und die Gaskraftwerke hochfahrennd mehr CO2 produzieren. Deswegen besteht die He-usforderung vor allem darin, den Kernkraftausstieg mitlimaschutz zu verbinden; denn die Herausforderungenes Klimaschutzes sind durch Fukushima nicht kleinereworden.Deshalb müssen wir über das Stromsystem hinaus-enken, wir müssen über das Thema Gebäudesanierungprechen, durch die wir schneller und kostengünstigO2-Emissionen und Erdgas einsparen können. Dafürüssen auch Finanzierungsmittel bereitgestellt werden.Meine Damen und Herren, wir stehen vor großen He-usforderungen, wenn wir ernsthaft darangehen wollen,limaschutz, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit,uch für unsere Industrie, sicherzustellen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Eva Bulling-Schröter für die Frak-
on Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!enn ich mir im Fernsehen die Bilder aus Japan an-chaue, dann denke ich oft an Tschernobyl. Ich war 2006emeinsam mit dem Umweltausschuss vor Ort. Vierraktionen waren dabei; die christliche konnte sich nichtntschließen, mitzufahren. Ich denke an die verlassenentädte. Ich denke an das Riesenrad, bei dessen Anblickan sich vorstellen kann, dass dort Kinder gespielt ha-en. Ich denke an die Läden, die damals nach drei Tagenerlassen wurden und die wir noch sehen konnten. Ichabe das als sehr bedrückend empfunden.Das sind Eindrücke, die man nie mehr vergisst. Wiraben dort gemeinsam einen Kranz niedergelegt und unseschworen: So etwas darf nie wieder geschehen!
ir waren dann in einer Klinik für krebskranke Kinder.iese Eindrücke wird man ebenfalls nie mehr vergessen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11831
Eva Bulling-Schröter
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Auch dort haben wir gesagt: Nie wieder! Diesen Men-schen muss geholfen werden.Es hat sehr, sehr lange gedauert, bis auch bei uns einUmdenken spürbar wurde, wie es jetzt der Fall ist.Wir hatten dann im Umweltausschuss eine Anhörungzu einem Bericht der IAEO, der Internationalen Atom-energie-Organisation, mit dem Titel „Tschernobyl: Daswahre Ausmaß des Unfalls“. In diesem Bericht stand – esgab aufgrund der Katastrophe 4 000 Tote, deshalb habeich mich sehr darüber geärgert –: Die größere Bedrohungals die Langzeitbestrahlung stellen in diesen Gebieten Ar-mut, Lifestyle-Krankheiten und psychische Problemedar. – Das heißt, Sie haben schon damals versucht, zu re-lativieren, vergessen zu machen. Wir haben darüber sehrgestritten. Es ist genau diese IAEO, die jetzt wieder dasSagen hat.27 000 Quadratkilometer kontaminierter Boden sowie9 Millionen Menschen in der Ukraine und in Belaruswurden betroffen, und immer noch kommen Kinder aufdie Welt, bei denen die Folgen spürbar sind. Das ist nichtnichts, und deswegen müssen wir umdenken. Es gibteine Linie: Harrisburg, Majak, Sellafield usw. Ich sageIhnen: Das muss endlich aufhören.
Jetzt haben wir eine Zäsur. Wir haben ein Moratoriumfür drei Monate. Dieses Moratorium ist auch ein Erfolgder Anti-AKW-Bewegung, bei der ich mich hiermit be-danke. Ich sage ihr: Hört nicht auf, macht weiter so;denn wir brauchen den Atomausstieg, und wir brauchenihn so schnell wie möglich!
Das Moratorium war auch dem Wahlkampf geschul-det. Viele Menschen haben das natürlich auch gespürt.Im November letzten Jahres gab es einen großen Streitbezüglich der Verlängerung der Laufzeiten. Wir habenAnhörungen dazu durchgeführt. Alle Fakten lagen aufdem Tisch; sie wurden diskutiert, genau wie jetzt. Aberdie Koalition war beratungsresistent hoch drei. Sie wolltees nicht hören. Es hieß nur: Das ist eine Brückentechno-logie, und die brauchen wir. – Es gab ein Wort, das hieß„alternativlos“. Ich denke, dieses Wort darf in der Politiknie mehr eine Rolle spielen; denn es gibt immer bessereund sichere Alternativen.
Um es noch einmal zu sagen: Ein abgeschriebenesAKW, das einen Tag länger läuft, bringt einen Profit inHöhe von 1 Million Euro. Es geht also nicht um Peanutsund um Brückentechnologien, sondern um die Profiteder Konzerne.
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Das Wort hat nun Georg Nüßlein für die CDU/CSU-
raktion.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren!5 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobylilt den Opfern unser Gedenken – vor jeder Debatte, vordem Parteienstreit. Die Anzahl der Opfer ist hoch. Dieahlen machen uns sprachlos. Aber es macht keineninn, über die Summen zu diskutieren. Unser Bedauernilt jedem einzelnen Menschen.
Dem Dank an und der Anerkennung für die vielenrivaten Hilfsinitiativen und ihren Spendern kann manich nur anschließen. Bei dieser Gelegenheit muss es
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Dr. Georg Nüßlein
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auch darum gehen, zu unterstreichen, was der deutscheStaat und mithin der deutsche Steuerzahler in diesemZusammenhang zu leisten haben: Das sind für den Sar-kophag 62,5 Millionen Euro, davon sind 60,5 MillionenEuro direkt für den Chernobyl Shelter Fund. Außerdemzahlt Deutschland 23,5 Millionen Euro in den NuclearSafety Account.
Im Übrigen werden wir uns mit geschätzten 10 Prozentan der Deckung der noch bestehenden Finanzierungslü-cke von immerhin 740 Millionen Euro beteiligen, ganzzu schweigen von über 50 Millionen Euro, die wir antei-lig über die EU bezahlen.Ich bitte Sie, es nicht als Populismus zu verstehen,wenn ich bei dieser Gelegenheit unterstreiche, dass indiesem Zusammenhang insbesondere die ehemaligenSowjetstaaten und ganz besonders das rohstoffreicheRussland gefordert sind, nach dem Verursacherprinziphier ihren Anteil zu leisten.
Da ich an diesem Punkt bin: Es wurden die600 000 Liquidatoren angesprochen, die damals von derSowjetunion ohne einen angemessenen Schutz vor derStrahlung quasi ins Feuer geschickt wurden, ohne dasssie die Strahlendosis, der sie ausgesetzt waren, gekannthätten. Zum heutigen Tag gehört, deutlich zu sagen, dasswir alle froh sein müssen, dass das linke Sowjetregimeein Ende hatte und dass auch die Wiedervereinigung da-für Sorge getragen hat – da schütteln die Linken schonden Kopf –, dass uns auf deutschem Boden Umwelt-katastrophen solchen Umfangs erspart geblieben sind.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Bulling-Schröter?
Aber gern.
Danke schön, Herr Nüßlein. – Ich möchte nicht in
Abrede stellen, dass in Tschernobyl viel zu viele Men-
schen gestorben sind. Aber ich möchte Sie fragen, ob
Ihnen bekannt ist, dass es bei uns eine Initiative „Atom-
opfer“ gibt. Die meisten Mitglieder der Initiative sind in-
zwischen gestorben. In dieser Initiative haben sich
Atomopfer aus Ost und West zusammengeschlossen. Es
handelte sich dabei unter anderem um Leiharbeiter in
den AKWs in Westdeutschland. Ist Ihnen bekannt, dass
in Japan die meisten Liquidatoren, oder wie sie sich nen-
nen, Leiharbeiter sind? Das finde ich genauso schlimm.
Sie haben genauso wenig Schutz wie die anderen. Das
ist ein systemübergreifendes Problem, dem wir uns wid-
men müssen; denn sozialistische Atomkraftwerke sind
nicht besser oder schlechter als kapitalistische – das
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Liebe Kollegin, Sie werden aber doch wohl nicht
ugnen, dass es in der Umweltpolitik einen Unterschied
wischen dem alten Sowjetregime und den westeuropäi-
chen Demokratien gab. Da können Sie mit dem Wald-
terben anfangen, das damals entlang der Zonengrenze
esonders spürbar war. Man konnte sehen, woher das
am, nämlich von den Dreckschleudern, die in der DDR
tanden. Sie haben versucht, das zu einem globalen Pro-
lem hochzustilisieren. Das hing aber unmittelbar mit
er Tatsache zusammen, dass man in der DDR auf die
mwelt keine Rücksicht genommen hat. – Da können
ie jetzt den Kopf schütteln, aber das ist nun einmal so.
Diese Reaktoren, die es in Tschernobyl gab, wären
das wissen Sie ganz genau – bei uns nicht genehmi-
ungsfähig gewesen. Das unterscheidet uns aber nicht
ur von Sowjetrussland, sondern auch ganz deutlich von
er DDR. Ich weiß, dass Ihnen das nicht gefallen wird.
as verstehe ich auch; aber es ist nun einmal eine Tatsa-
he, die zu leugnen für Sie blamabel ist. – Da sieht man
ieder, wes Geistes Kind Sie nach wie vor sind.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen-
age des Kollegen Fell?
Aber gern.
Herr Kollege Nüßlein, Sie haben gerade das Bild ge-eichnet, dass unter den konservativen Regierungen hier Westen eine wesentlich bessere Umweltpolitik betrie-en worden wäre, ohne dass es ein Problem mit der Ge-
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Hans-Josef Fell
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sellschaft gegeben hätte. Nur im Osten hätte es Problemegegeben.Ist Ihnen bekannt, dass es nach der Katastrophe vonTschernobyl in Deutschland ein unglaubliches Unwissenund ein Informationsdesaster gab? Es gab unter anderemBeschwichtigungen und andere Dinge. Ich zitiere auseinem Interview des damaligen UmweltministersZimmermann von der CSU aus Bayern. Er sagte in die-sem Interview im letzten Jahr:Nach Tschernobyl haben Kohl und Schäuble täglichbei mir angerufen und verlangt: herunterspielen, dieLeute sollen Gemüse essen.Das Problem mit der Radioaktivität solle nicht so in derÖffentlichkeit dargestellt werden, wie es sei.
Erstens glaube ich nicht, dass Sie, Herr Kollege Fell,für die Informationsdefizite, die es damals ursprünglichgab – sie waren in der Informationspolitik der Sowjet-union begründet –, jetzt einen CSU-Minister verantwort-lich machen wollen. Das traue ich Ihnen nicht zu.Zweitens bitte ich Sie – da Sie angeblich einer Um-weltpartei angehören
und wir uns hier in einer demokratischen Vertretung desdeutschen Volkes befinden –, schon auch mit einem ge-wissen Stolz auf das zu schauen, was wir in West-deutschland und dann in Gesamtdeutschland geleistethaben. Sie werden doch nicht in Abrede stellen wollen,dass das, was sich in den letzten Jahrzehnten hier um-weltpolitisch bewegt hat, um Klassen besser als das war,was irgendwo im Ostblock geschah.
Dazu leisten Sie, lieber Kollege, Ihren Beitrag als Abge-ordneter so wie ich. Wir sollten unser Licht nicht unterden Scheffel stellen.
Lassen Sie mich nach diesem Nebenkriegsschauplatz,den ich gar nicht in dieser umfassenden Form eröffnenwollte, auf das zu sprechen kommen, worauf es an-kommt, nämlich: Wie geht es weiter? Was bedeutet Fu-kushima für uns? Wie bewerten wir das sogenannteRestrisiko neu?Ich bitte Sie: Hören Sie auf, von Wahlkampftaktik zusprechen! Diese Zeit ist vorbei. Sie müssen sich jetzt da-mit auseinandersetzen, dass wir das Restrisiko neu be-werten und uns die Frage stellen, was passiert, wenn sichabsolut unvorhersehbare Ereignisse duplizieren. Daswird für unsere Politik natürlich Konsequenzen haben.gistasgnhteSdesdtigsdä–tinli–IcwgwudmeuwhdFgesniczsÄsdb
Sie haben in dem sogenannten Ausstieg, in dem Kon-ens, den Sie hier beschwören, ganz klar formuliert: Dieeutschen Kernkraftwerke laufen auf einem im interna-onalen Vergleich hohen Sicherheitsniveau. Sie sind so-ar noch einen Schritt weiter gegangen und haben ge-agt: Wir werden an diesem Sicherheitsstandard und aner zugrunde liegenden Sicherheitsphilosophie nichtsndern. Das war ein Versprechen an die Versorger.
Sie schreien „Lüge“. Ich wäre an Ihrer Stelle vorsich-g bei Dingen, die man schwarz auf weiß hat, die manachlesen kann und die in dieser Vereinbarung so deut-ch stehen.
Hier geht es nicht darum, ob es mir nützt oder nicht.h sehe das nicht parteipolitisch, nicht einfach schwarz-eiß, wie Sie das jetzt gern hätten. Sie werden sich nochanz schön wundern, wenn Sie sehen, in welchem Maßeir bereit sind, die Energieversorgung dieses Landesmzubauen.Eine klare Lehre aus Tschernobyl muss heißen: Ra-ioaktivität macht nicht an Grenzen halt. – Was mich ameisten umtreibt, bei aller Bereitschaft, hier im Landetwas zu ändern, ist die Tatsache, dass in den Ländernm uns herum, wenn man einmal von Italien absieht,enig Bereitschaft vorhanden ist, andere Wege zu ge-en. Ich sage Ihnen auch ganz offen: Es trifft doch zu,ass der Import von Kernkraftstrom aus Tschechien oderrankreich, wie er momentan stattfindet, maximal dieefühlte Sicherheit, aber nicht die tatsächliche Sicherheitrhöht.Wir werden Konsequenzen technischer wie ökonomi-cher Art ziehen. Wenn man das Moratorium ernstimmt, kann man an dieser Stelle nicht vorgreifen. Aberh sage Ihnen: Es ist schwierig, den Ausstieg in Jahrenu bemessen. Mir wäre wohler, wenn wir uns beim Aus-tieg in diesem Land an Vorgaben, an Umstellungen, annderungen, an Strommengen orientieren würden. Estellt sich nämlich die Frage: Was gelingt uns im Bereicher erneuerbaren Energien? Was gelingt uns beim Aus-au von Stromnetzen?
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Dr. Georg Nüßlein
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Das ist mir deshalb wichtig, weil man da auch die Op-position in die Pflicht nehmen kann. Auch die Opposi-tion muss ihren Beitrag leisten, nicht nur bei Debattenhier, sondern umfassend, wenn es wirklich um einenKonsens geht, wie ihn Herr Trittin heute angekündigthat.Was beispielsweise den Ausbau von Infrastruktur an-geht, werden wir meiner Auffassung nach über Themenwie die Abschaffung der Verbandsklage oder die Einfüh-rung eines eigenen Klageweges reden müssen, um zueiner Beschleunigung zu kommen. Wir werden die Op-position immer wieder bitten müssen, sich nicht in Bür-gerinitiativen gegen Stromtrassen, Pumpspeicherkraft-werke oder Wasserkraftanlagen zu engagieren und dasauf allen politischen Ebenen auch durchzustehen.
Wir müssen vom reinen Aufbau von Kapazitäten imBereich der erneuerbaren Energien wegkommen hinzum Aufbau einer Versorgung mit erneuerbaren Ener-gien. Das ist nicht einfach. Wir brauchen intelligenteModelle zur Netzintegration. Das wird das Kernthemades EEG sein. Wir brauchen echte Innovationsförderungstatt der Besitzstandwahrung, die wir an dieser Stelle er-leben. Statt der Förderung chinesischer PV-Modulebrauchen wir etwas, was die Innovationen hier in diesemLand voranbringt. Ich halte das EEG für ein geeignetesInstrument, um das zu tun, wenn man das eine oder an-dere anders akzentuiert. Dazu sind wir bereit.Das wird auch bedeuten, dass wir die eine oder anderekonventionelle Ersatzkapazität brauchen. Dies geht indie Richtung effizienter Gaskraftwerke. Das muss unsklar sein. Es geht darum, Industriestrom zu produzieren,den sich die Industrie noch leisten kann. Wir werden indiesem Zusammenhang auch eine Entlastungsdebatteführen und die Frage beantworten müssen, wie wir ener-gieintensive Betriebe, die physikalisch kein Potenzialzur Effizienzsteigerung haben, entlasten. Das bedeutet inder Konsequenz zusätzliche Belastungen von Verbrau-cherinnen und Verbrauchern. Das Ganze gibt es nichtzum Nulltarif; das muss uns klar sein.Am meisten beschäftigt mich Ihre Behauptung – dieist populär –, dass wir die Laufzeitverlängerung verein-bart hätten, um die Gewinne der Versorger zu sichern.Wir haben das gemacht, weil wir einen Weg gesucht ha-ben, um den Ausbau der erneuerbaren Energien und dieEnergieforschung zu finanzieren. Dieser Weg bricht jetztweg. Da muss uns etwas einfallen. Das wird – auch dasgehört zur politischen Wahrheit – teuer für die Stromver-braucher.
Das müssen wir uns alle merken.In diesem Sinne: Vielen Dank fürs Zuhören.
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Die Opfer der Katastrophe von Tschernobyl könnens sich nicht erlauben, zu vergessen. Für sie ist Tscher-obyl nicht die Erinnerung an ein Ereignis vor5 Jahren. Sie leben bis heute mit Tschernobyl und allenolgen, wahrscheinlich noch über viele Generationen hi-aus. Deswegen darf es allein aus Respekt vor den Op-rn und denen, die sich dort engagieren, kein Vergessennd Verdrängen geben, weder von Tschernobyl noch vonukushima in der Zukunft.
Tschernobyl ist auch der Ausgangspunkt einer biseute einzigartigen Solidaritätsbewegung in Europa. Inahlreichen Ländern wurden nach der Katastrophe Ver-ine und Verbände gegründet, die mit ihrer Arbeit bei-pielhaft für bürgerschaftliches Engagement stehen.hne deren Engagement wären die Opfer der Katastro-he schlicht alleingelassen worden.Es waren und sind die Nichtregierungsorganisationen,ie der Bevölkerung die meiste Hilfe zur Minderung deratastrophenfolgen gewährten. Es wurden und werdeneute noch zahlreiche Hilfstransporte organisiert. Kran-enhäuser wurden in großer Anzahl umgebaut und neuusgestattet. Ärztefortbildungen vor Ort haben den All-g in Krankenhäusern verändert, und aufgrund der bes-eren medizinischen Versorgung konnten Leben geretteterden. Vor allem hat mithilfe dieser Organisationenittlerweile über 1 Million Kinder aus Osteuropa imusland Erholungsaufenthalte gehabt.Einige Vertreter dieser Organisationen haben heuteuf der Tribüne Platz genommen. Diese Arbeit der Ver-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11835
Oliver Kaczmarek
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eine und Verbände, hinter denen unbezahlbares ehren-amtliches Engagement steht, verdient deshalb höchsteAnerkennung. Das wollen wir auch durch diese Debatteund durch unsere Anträge zum Ausdruck bringen.
Doch 25 Jahre nach der Katastrophe sehen sich dieTschernobyl-Initiativen mit wachsenden Problemen kon-frontiert: Mangelnder Nachwuchs und ein allgemein ge-ringeres Spendenaufkommen sind nur die eine Seite.Noch schwerwiegender sind für sie die Schwierigkeiten,mit denen sie bei ihrer Arbeit durch die belarussischeRegierung konfrontiert werden. Sie behindert die zivil-gesellschaftlichen Organisationen oft durch die Errich-tung massiver bürokratischer Hürden. Deshalb mahntTschernobyl tatsächlich und ganz konkret: Es mahnt uns,unsere Verantwortung hier bei uns unter der großenÜberschrift der „europäischen Verantwortung fürTschernobyl“ wahrzunehmen.Wir wollen die Menschen vor Ort nicht alleine lassen.Wir wollen an Tschernobyl erinnern und am Aufbau ei-ner aktiven Erinnerungskultur mitwirken, gerade jetzt,wo es einen Generationswechsel in den Hilfsorganisatio-nen gibt. Wir wollen diejenigen nach Kräften unterstüt-zen, die es sich nicht nehmen lassen wollen, trotz diver-ser Schwierigkeiten weiter zu helfen, die sich nichtunterkriegen lassen. Wir als Bundestag können nämlichmehr tun, als nur Danke sagen. Wir können konkreteUnterstützung leisten. Ich will vier Elemente nennen,über die wir schon mit den Initiativen ins Gespräch ge-kommen sind und die diesen auch besonders wichtigsind.Erstens. Das Förderprogramm Belarus, das im Haus-halt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung etatisiert ist, muss auch nachdem Auslaufen der fünften Förderphase über das Endedieses Jahres hinaus verlängert werden.
Mit diesem Programm fördert das Ministerium 42 zivil-gesellschaftliche Projekte, die jeweils von deutschen undbelarussischen Nichtregierungsorganisationen durchge-führt werden. Das Programm ist zudem ein zentralesElement, um den Aufbau der belarussischen Zivilgesell-schaft zu unterstützen. Gerade nach der Verunsicherungder Zivilgesellschaft infolge der Präsidentschaftswahlenin Belarus – ich erspare mir, darauf im Detail einzugehen –ist es umso wichtiger, dass wir die Aktivitäten weiter un-terstützen und deutlich machen: Wir geben Belarus nichtauf.
Zweitens. Wir müssen Wege finden, den Austauschmit Kindern und Jugendlichen, die heute immer noch inradioaktiv belasteten Regionen leben, dauerhaft zu si-chern. Dabei ist es durchaus sinnvoll, mit den vorhande-nzJwhsasDbzis–rucdvBteisAwEkmchdbKvgpmdmsGF
Drittens. Die Staatsführung in Belarus muss die Ar-eit der zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstüt-en; sie darf sie zumindest nicht weiter erschweren. Est Aufgabe der Regierung und auch des Parlamentsdas erwarten wir –, Druck auf die belarussische Regie-ng auszuüben, damit die Arbeit der zivilgesellschaftli-hen Organisationen unterstützt wird, beispielsweiseurch eine transparente und unbürokratische Vergabeon Visa.
Viertens. Erinnerung und Zukunft brauchen Orte inelarus und in der Ukraine. Tschernobyl ist nicht in ers-r Linie eine Technikkatastrophe, sondern Tschernobylt vor allem eine menschliche Katastrophe. Es ist dieufgabe, dauerhaft an diese Dimension zu erinnern so-ie die Perspektive einer von Atomkraft unabhängigennergieversorgung zu eröffnen. Wenn wir das schaffen,önnen wir auch eine dauerhafte Perspektive zum Lebenit Tschernobyl in den betroffenen Regionen ermögli-hen.Meine Damen und Herren, wir können das natürlicheute hier nur anreißen und andiskutieren. Mir sind auchie innenpolitischen Umstände dieser Debatte völligewusst. Ich weiß, dass zahlreiche Kolleginnen undollegen aus allen Fraktionen in Tschernobyl-Initiati-en, -Vereinen und -Verbänden mitarbeiten bzw. Mit-lied sind. Deswegen lautet mein Appell, diese Arbeitolitisch zu unterstützen. Es wäre schön, wenn wir es ge-einsam schaffen, in den von mir genannten Punkten,ie auch die Initiativen betreffen, zu Lösungen zu kom-en. Das könnte eine echte Unterstützung für die Men-chen darstellen, die auch in Zukunft noch über vieleenerationen mit Tschernobyl leben müssen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Angelika Brunkhorst für die FDP-raktion.
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11836 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 25 Jahrenach dem verheerenden Unglück von Tschernobyl ist esnotwendig und richtig, dass wir uns immer wieder daranerinnern und dass wir nachdenklich bleiben.Ich habe in den drei Anträgen der Opposition unteranderem die Forderungen gefunden, dass wir unsere Un-terstützung der zivilen Gruppen aufrechterhalten sollenund dass wir uns weiterhin um die von der Katastrophebetroffenen Menschen kümmern sollen. Dies findet un-sere Unterstützung. Die humanitäre Hilfe und die Zu-sammenarbeit müssen weitergeführt werden.
Trotz der vielen guten Ansätze, die in diesen Anträ-gen zu finden sind, haben mich die ewig gleichen Fest-stellungen zur Kernkraft doch ein wenig ermüdet. Inletzter Konsequenz hätten die Anträge der Grünen undder Linken die Überschrift haben können „Kraftwerke inDeutschland abschalten“. Das hat mich ein bisschen ge-nervt.Ich war 2006 ebenso wie Frau Bulling-Schröter, HerrMüller und Herr Fell in Tschernobyl; Herr Müller gehörtheute dem Parlament nicht mehr an. Wir haben dort sehrinteressante Gespräche geführt. Ich habe eine vielleichtetwas andere Erinnerung daran als Frau Bulling-Schröteroder Herr Fell.An eine Sache kann ich mich besonders gut erinnern.Wir hatten ein gemeinsames Arbeitsessen mit einem In-genieur, der ehemals in Tschernobyl gearbeitet hatte undder dort in den ersten Tagen nach der Katastrophe tätigwar. Er selbst, ein Mann wie ein Schrank, war robust.Aber viele seiner Freunde sind an den Folgen des Un-glücks gestorben. Wir haben uns über die damaligenVorkommnisse unterhalten. Er hat uns erklärt, dass einRBMK-Reaktor auf einer anderen Technik beruht als dieanderen europäischen Reaktoren. In Tschernobyl wurdeGrafit als Moderator benutzt, was hochgradig brennbarist. Die anderen europäischen Reaktoren arbeiten mitWasser als Moderator. Das kann zum Glück nicht bren-nen. Wir haben es also mit ganz unterschiedlichen Reak-torfamilien zu tun.Dieser Ingenieur hat uns damals weiterhin erzählt:Wir haben ein Experiment durchgeführt – es war alsokein Test, sondern ein Experiment –, das wir nie hättenwagen dürfen. Wir haben nämlich die Notkühlung aus-geschaltet und am Ende vergessen, diese wieder zu akti-vieren. – Es hat sich also um einen menschlichen Fehlergehandelt. Das sagt sehr viel aus über die unterschiedli-che Sicherheitskultur.Natürlich wurden aus dem Reaktorunfall von Tscher-nobyl Lehren gezogen, was dazu geführt hat, dass die Si-cherheitstechnik in den osteuropäischen Ländern im Be-reich des Machbaren wesentlich verbessert worden ist.Deutschland hat zu Beginn der 90er-Jahre mit demTransfer von Know-how sehr geholfen. Auch bei unswurden aufgrund des Reaktorunfalls die Sicherheitsan-forderungen für Reaktoren verschärft und die techni-schen Sicherheitskonzepte verbessert.csdgEtesankg–d1tr2mFbn–bDvnGGKdlakFsdlievdliDauöd
Man kann es jedenfalls so interpretieren.
Wir müssen folgende Tatsachen ins Auge fassen: Iner Ukraine gibt es vier Standorte mit insgesamt5 Blöcken. Acht Reaktorblöcke sind seit 1986 in Be-ieb gegangen; zwei befinden sich derzeit im Bau.0 weitere Reaktorblöcke sind noch in der Planung. Dasuss man sich einmal vorstellen. Ich glaube nicht – Herrell, vielleicht haben Sie andere Informationen –, dassezüglich der erneuerbaren Energien eine aufgeschlosse-ere Haltung zu erkennen ist.
Das ist wenigstens etwas. Dann können wir ja „einisschen“ beruhigter sein.Aber was ich noch sagen wollte, ist Folgendes: Aucheutschland hat natürlich einiges getan. Wir haben sehriel Geld in die Hand genommen. Es gibt ein internatio-ales Forum, bestehend aus 24 Geberländern, das vieleld bereitgestellt hat. Darunter sind auch sechs kleinereeberländer. Japan hat zugesagt, seine Gelder trotz deratastrophe weiterhin zur Verfügung zu stellen.Wir haben versucht, die Mittel für die Stabilisierunges zerstörten Reaktorgebäudes bereitzustellen. Es hatnge gedauert. Das Design war lange Zeit nicht be-annt. Wir erhalten auch wenig Informationen über denortgang des Bauvorhabens.Ich nenne einmal ein paar Zahlen zu den Folgen einesolchen Unglücks, wobei ich hervorheben möchte, dassie internationale Gemeinschaft den Betroffenen wirk-ch beisteht: Bei den Kosten für einen Sarkophag, alsoine Hülle um den zerstörten Reaktor, ist man zunächston 715 Millionen Euro ausgegangen. Mittlerweile gehtie Kostenannahme sogar so weit, dass man wahrschein-ch 1,5 bis 1,6 Milliarden Euro wird aufwenden müssen.ie Geberländer haben gesagt: Das wird schwer werden,ber wir werden dieses Geld irgendwie auftreiben. Es istns wichtig, dass dieses zerstörte Reaktorgebäude einenkologisch sicheren Abschluss bekommt und dass vonort keine weitere Gefahr mehr ausgehen kann.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11837
Angelika Brunkhorst
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Ich weiß, dass die beschädigte Wand mittlerweile sta-bilisiert worden ist, dass diese Maßnahme vollendet ist.Ich weiß auch, dass die Fundamente für die Kräne in An-griff genommen worden sind, die benötigt werden, umdie Hallenbögen schaffen zu können, und dass man – op-timistisch gerechnet – im Jahre 2014 die Hülle über denzerstörten Sarkophag wird schieben können.Warum erzähle ich das hier? Ich möchte darauf hin-weisen, dass solche extremen Ereignisse, wie wir siejetzt auch in Japan erlebt haben, die Hilfe der internatio-nalen Gemeinschaft erfordern. Ich habe ein wenig be-trübt feststellt – das haben viele andere auch getan –,dass die Japaner sich zunächst nicht haben helfen lassen.Ich hoffe, dass wir da jetzt ins Gespräch kommen undauch etwas tun können. Dazu rufe ich Sie alle – auch inAnbetracht der Erinnerung an Tschernobyl – auf.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Dorothee Menzner für die Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrte Damen und Herren! Wir haben gehört,welche Folgen die Katastrophe in Tschernobyl 1986hatte: 400 000 Menschen mussten umgesiedelt werden.Rund 850 000 Menschen, sogenannte Liquidatoren, wa-ren mit der Beseitigung der konkreten Folgen beschäf-tigt. 280 000 Menschen müssen bis heute in den amstärksten verstrahlten Gebieten leben. Man geht vonrund 100 000 Todesfällen aus, die mittelbar oder unmit-telbar mit der Katastrophe zu tun haben. Die Folgekos-ten werden auf mehrere hundert Milliarden US-Dollargeschätzt.Aber Tschernobyl war nicht der einzige große Unfall;es gibt vielmehr eine ganze Latte. Ich möchte nur wenigeaufzählen. Three Mile Island 1979: 200 000 Menschenmussten evakuiert werden. Als in Majak im September1957 ein Tank mit radioaktiven Abfällen explodierte,starben 1 000 Menschen; 10 000 wurden verstrahlt. Imselben Jahr, einen Monat später, kam es zu einem Unfallin Sellafield, Großbritannien, der auch diverse Todesop-fer zur Folge hatte. Es gibt noch weitere Unfälle.Alle diese Unfälle und Störfälle haben eines gemein-sam: Unter gravierenden Sicherheitsmängeln, oftmalsverursacht durch Schlamperei, Kosteneinsparungsdruck,Profitsucht einzelner Manager in irgendwelchen Vor-standsetagen, müssen Tausende und Hunderttausendevon Menschen leiden. Sie leiden nicht nur im Momentdes Unglücks, sondern auch Jahre und Jahrzehnte später,oft über viele Generationen. Ihnen wird ihre Heimat, ihreExistenzgrundlage genommen. Agrarland kann nichtmehr bewirtschaftet werden. All diese Folgen sehen wirin Tschernobyl, und sie drohen in Japan jetzt auch.pläzFkufimDomgliwvBdAsEzMdledAbveDeInknPdzdgPnTWfobwKDv
Metadaten/Kopzeile:
11838 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011
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wurde, wenn die Verwahrung des Atommülls zumindestansatzweise sicher geregelt ist, erst dann sind Restrisi-ken minimiert. Erst dann werden wir den Opfern inTschernobyl, Fukushima und in all den anderen Ortengerecht und haben ihre Botschaft verstanden.
Dies gilt nicht nur für uns, sondern auch für die Genera-tionen, die uns folgen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun Manfred Grund für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das wares wohl mit der Menschheitsbeglückung durch billigenAtomstrom. Erinnern wir uns: Zwischen 1969 und 1982wurde in der alten Bundesrepublik Deutschland mit demBau von 19 Kernkraftwerken begonnen. 18 weitere wa-ren in Planung. Regierungspartei war die SPD.Auch die DDR hatte ihre Atomkraftwerke. Im Ju-gendweihehandbuch Weltall Erde Mensch wurde denstaunenden Kindern erklärt, dass mit einer Uranmengein der Größe einer Eisenbahnfahrkarte der Energiebedarfeiner ganzen Stadt gedeckt werden könne.
In der Zeitung Fröhlich sein und singen gab es das Ato-mino, um den Kindern die strahlende Zukunft zu erklä-ren.Der Atomtraum war zuerst in der ausgehenden DDRausgeträumt; die Anlagen wurden geschlossen und de-montiert. Die Transporte aus diesen Anlagen sorgen bisheute für Ärger. Was Tschernobyl für die Ukraine undWeißrussland brachte, das wäre als Ergebnis des Uran-bergbaus durch die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesell-schaft Wismut über Ostthüringen und Westsachsengekommen: verseuchte und verstrahlte Tagebauland-schaften, eine verwüstete Umwelt, unbewohnbare Städteund Dörfer. Die Beseitigung der Wismut-Altlasten hatbereits mehr als 7 Milliarden Euro gekostet, und sie kos-tet immer noch viel Geld.
Das ist aber gut angelegtes Geld. Aus der ehemaligenWismut-Region sind so blühende Landschaften entstan-den, ausweislich der Bundesgartenschau in Gera undRonneburg.
Der vereinten Linken, hervorgegangen aus der Regie-rungspartei der DDR, fällt dazu nichts ein,
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er wird sich, wenn es um die Weltrettung geht, schonit der eigenen Vergangenheit aufhalten?
Ganz so nassforsch ist der Antrag der Bündnisgrünenicht. Aber immerhin fordern sie, „auf nationaler Ebeneen gesetzlichen und finanziellen Rahmen dafür zuchaffen, die Atomkraftnutzung bis spätestens 2017 zueenden“. Die geltende Gesetzeslage sieht wie folgt aus,stgehalten im Energiekonzept der Bundesregierungom Herbst letzten Jahres:Beim Energiemix der Zukunft sollen die erneuerba-ren Energien den Hauptanteil übernehmen. Auf die-sem Weg werden … die konventionellen Energie-träger … durch erneuerbare Energien ersetzt.uf dem Weg dorthin stellt die Kernenergie eine zeitli-he und eine finanzielle Brücke dar. Nach Fukushimaägt diese Brücke nicht mehr.Die Energieumstellung muss wesentlich schneller ge-en und wird wesentlich mehr kosten. Beides hat Konse-uenzen für die Verbraucher in der Industrie und in denaushalten, aber auch für die Politik. Einige Hausnum-ern zu den Kosten: Wenn sich die „grüne“ Kraftwerks-istung bis 2040 auf 120 Gigawatt verdreifachen soll,ind dafür durch die Stromkunden 100 Milliarden Eurousätzlich aufzubringen. Mit ebenfalls dreistelligen Mil-ardenbeträgen wird der Umbau des Hochspannungsnet-es zu Buche schlagen. Zurzeit beträgt die Durchschnitts-ntfernung zwischen Kraftwerk und Großverbraucher0 Kilometer. In Zukunft werden es 400 Kilometer undehr sein. Nach einer Studie der dena werden insgesamtnapp 4 000 Kilometer Hochspannungsleitungen neu zuauen sein. Ähnliches gilt für Anlagen zur Energiespei-herung, zum Beispiel Pumpspeicherkraftwerke. Auchiese müssen neu gebaut werden.Die Internationale Energieagentur rechnet für dieuropäische Union für notwendige Investitionen inraftwerke und Netze bis 2020 mit Kosten von bis zuBillion Euro. Doch ist es mit Geld allein nicht getan. Esuss auch tatsächlich gebaut und investiert werden. Werchnell aus der Nutzung der Atomkraft heraus will undbenso die Kohleverstromung beenden will, der muss ge-auso schnell für beschleunigte Planungsverfahren sor-en. Die beschleunigte Energieumstellung ist bei den jet-igen Zeiträumen für Planungsverfahren von 20 Jahrennd mehr nicht zu machen.Die Bundesregierung bemüht sich auch in dieser Fragem einen gesellschaftlichen und politischen Konsens. Ichoffe, dass sich die Bundestagsfraktionen der Grünen under Linken bei einem Netzausbaubeschleunigungsgesetzicht vom Acker machen oder in die grünen Büschechlagen oder, wie in Thüringen, Demonstrationen gegenen Neubau von Hochspannungsleitungen anführen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11839
Manfred Grund
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Das Pumpspeicherwerk Goldisthal in Thüringen kannbei Volllastbetrieb acht Stunden lang Strom liefern, wasbedeutet, dass man allein zur Vollversorgung des Bun-deslandes Thüringen drei Pumpspeicherwerke in dieserGrößenordnung bräuchte. Selbst das PumpspeicherwerkGoldisthal ist nur über eine Stichleitung angeschlossen.Ich sage das nicht, um zu problematisieren, sondern, umauf die Konsequenzen und die Handlungsnotwendigkeithinzuweisen. Ich möchte, dass am Ende des beschleu-nigten Energieumbaus Energie für den Privatkunden be-zahlbar und verfügbar ist und dass energieintensive Ar-beitsplätze, wie im Zementwerk in Deuna in meinemWahlkreis, auch nach diesem Energieumbau noch inDeutschland vorhanden sind.
Vermutlich muss auch bei anderen Strukturen weiter-gedacht werden. Wir brauchen ein Energie- und Roh-stoffministerium; denn die jetzige Kompetenzzersplitte-rung führt zu strukturellen Reibungsverlusten.
Wir als Staat müssen uns überlegen, ob der Staat nichtbesser wieder als Gestalter im Energiesektor tätig wird.Das heißt, der Staat würde Netze zurückkaufen oder ineigener Regie neu bauen. Das heißt auch, dass die Rest-laufzeiten der Kernkraftwerke noch stärker als bisherkontrolliert würden und dass diese Anlagen nach demEnde ihrer Laufzeiten in staatlicher Regie zurückgebautwürden.
Nach Fukushima kann man Kernkraftwerksbetreibernweltweit so weit trauen wie der Frosch dem Storch, näm-lich gar nicht.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Bärbel Kofler für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Ich hatte gehofft, dass in dieser Debatte zwei bestimmteArgumente von Kolleginnen und Kollegen der Unionumwdvnhradgvgissddwndzg„Kmsmkgwlelig2awDU1MmggUkdfewqhwkg
Das zweite Argument, das leider genannt wurde – esar fast zu erwarten –, ist, dass man vieles nach Tscher-obyl noch nicht so genau wissen konnte, man habe erstie neue Katastrophe in Fukushima gebraucht, um dazu-ulernen. Auch hier darf ich eine Zeitzeugin aus demestrigen Gespräch zitieren, die wörtlich gesagt hat:Tschernobyl hat die Einstellung der Menschheit zurernenergie grundlegend verändert.“ Ich denke, mehruss man zu diesen Argumenten eigentlich nicht mehragen.Aber ich möchte noch einmal deutlich machen, dassan nach Tschernobyl eigentlich sehr genau wissenonnte, auf welche Risiken wir uns als Menschheit ein-elassen haben. Es gab – das ist schon angesprochenorden – etwa 100 000 Tote. Das sind geschätzte Zah-n, weil man es leider nicht genau weiß. Mehrere Mil-onen Menschen haben damals in verstrahlten Gebietenelebt und leben dort teilweise noch heute. KnappMillionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche sindusgefallen. Die Konsequenzen kann man auch sehen,enn man eine Greenpeace-Studie der letzten Tage liest.ort steht, dass Pilze aus dem Gebiet Schitomir in derkraine den ukrainischen Grenzwert für Cäsium um das15-Fache überschreiten. Was das für die Ernährung derenschen bedeutet, kann man erahnen.Wir hatten gestern in dem Gespräch die Gelegenheit,it einer Ärztin zu reden, die uns eindringlich vor Au-en geführt hat, wie viele Schilddrüsenkrebserkrankun-en es in diesen Gebieten Weißrusslands und derkraine gegeben hat und welche katastrophalen Auswir-ungen und Folgen, selbstverständlich auch Todesfälle,as in jedem einzelnen Fall, persönlich für jeden Betrof-nen, hat.Das alles konnte man wissen. Das alles musste manissen. Man musste wissen, dass 600 000 bis 800 000 Li-uidatoren ihr Leben eingesetzt haben – viele von ihnenaben ihr Leben verloren –, um die katastrophalen Aus-irkungen des Reaktorunglücks in Tschernobyl zu be-ämpfen, so gut es mit den damaligen Möglichkeitening.
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11840 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011
Dr. Bärbel Kofler
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Man konnte und musste wissen, dass 420 000 Men-schen ihre Heimat, ihre Freunde, ihre Familie – alles,was ihr bisheriges persönliches Leben ausgemacht hat –verloren haben. Man konnte und musste auch die volks-wirtschaftlichen Folgen kennen, nicht nur für dieUkraine, sondern auch für die Weltgemeinschaft. Wennhier immer so getan wird, als sei Atomenergie sehr bil-lig, muss ich sagen: Die volkswirtschaftlichen Kostender Atomenergie kann man an dem Unfall, dem Un-glück, der Katastrophe von Tschernobyl ablesen. Alleinfür Weißrussland wurden die Kosten auf 235 MilliardenUS-Dollar beziffert. Diese Zahlen kannte man. DieseZahlen kennt man.Ich glaube, es kommt darauf an – es wäre darauf be-reits direkt nach den Ereignissen in Tschernobyl ange-kommen –, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Wasden im Jahre 2000 beschlossenen Atomausstieg angeht,wird häufig so getan, als sei das zu wenig gewesen. Wirhaben damals die unbefristete Laufzeit von Atomkraft-werken befristet und damit den Einstieg in das Ende desAtomzeitalters beschlossen. Das war eine herausragendeLeistung.
Es ist egal, ob eine Atomkatastrophe durch eine Na-turkatastrophe, durch technisches oder menschlichesVersagen oder durch ein systemisches Versagen in einemLand ausgelöst werden kann. Man wusste, welche Fol-gen die Atomenergie haben kann. Der Ausstieg aus derAtomenergie, aus dieser nicht beherrschbaren Technolo-gie, ist damals die einzig richtige Antwort gewesen, undsie ist es auch heute.
Ich finde es ganz wichtig, dass wir im Hinblick auf in-ternationale Verantwortung und internationale Politikmit unserer Politik mit gutem Beispiel vorangehen. Vonder Kollegin Brunkhorst ist angesprochen worden, dassviele Regierende in der Ukraine noch auf die Atomener-gie setzen. Was man in der Ukraine aber auch feststellenkann, ist ein spannender Wandel im Bewusstsein der Be-völkerung. Es gibt zunehmend mehr Menschen in derUkraine, denen auch die Risiken der dortigen Kraft-werke und der Atomenergie generell bewusst sind. Esgibt zunehmend mehr Menschen, die auf einen schnellenUmstieg auf erneuerbare Energien und insbesondere– wer die Länder kennt, weiß das – auf Energieeffizienzsetzen. Dies erwarten sie auch von uns. Hier müssen wirmit gutem Beispiel vorangehen und entsprechende Pro-gramme auflegen. Zunächst einmal müssen wir aber beiuns im Lande unter Beweis stellen, dass diese Pro-gramme funktionieren.
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Im Hinblick auf internationale Verantwortung mussh sagen: Es muss auch Schluss sein mit Hermesbürg-chaften für die Nutzung von Atomenergie und Nuklear-nergie in anderen Ländern.
s kann doch nicht allen Ernstes unser Anliegen alseutsche sein – wenigstens dies könnte man aus den Er-ignissen in Fukushima lernen –, durch Bürgschaftenen Bau von Atomkraftwerken in erdbebengefährdetenebieten dieser Erde zu unterstützen.
Wenn es um die richtigen Lehren aus den Ereignissen Tschernobyl und Fukushima geht, dann ist ein zentra-r Punkt, die Energiewende im eigenen Lande voranzu-ringen. Wir müssen raus aus der Atomenergie. Wirüssen zeigen, was man hier tun kann. Wir müssen dennergieumstieg in anderen Ländern unterstützen. Wirürfen keine Bürgschaften für die Nutzung von Nuklear-chnologie zur Verfügung stellen. All dies ist notwen-ig.An dem gestrigen Gespräch hat eine Zeitzeugin teil-enommen, die viel mit Schulklassen zu tun hat. Diechulklassen stellen ihr immer eine ganz einfache Frage:ie kann es die jetzige Generation verantworten, derächsten Generation völlig unlösbare Probleme zu hin-rlassen? – Wenn wir aus diesem Dilemma herauswol-n und der nächsten Generation eine Antwort oder zu-indest den Ansatz einer Antwort geben wollen, müssenir raus aus der Atomenergie, rein in erneuerbare Ener-ien, rein in Energieeffizienz – und das auch als Vorbildit unserem Handeln auf internationaler Ebene zumusdruck bringen.Herzlichen Dank.
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kol-gen Michael Paul für die CDU/CSU-Fraktion dasort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Da-tum 26. April 1986 wird in unserer Erinnerung immermit dem Wort Tschernobyl verbunden sein. Die Reaktor-katastrophe führte uns damals – genauso wie heute dasUnglück von Fukushima – vor Augen, welche Risikenmit der Nutzung der Kernenergie verbunden sind. Obwir bereit sind, diese Risiken zu tragen, müssen wir indiesen Tagen neu entscheiden. In Tschernobyl hat dieKombination von besonderem menschlichen Leichtsinnmit sicherheitstechnischen – oder ich sollte besser sagen:die unsicherheitstechnischen – Besonderheiten dessowjetischen Reaktortyps RBMK das Unglück ausge-löst. Wie damals gibt es auch heute eine Welle der Hilfs-bereitschaft in unserem Land, getragen auch gerade vonvielen privaten Initiativen, um den von den UnglückenBetroffenen zu helfen. All denen, die sich bei dieserHilfe engagieren, danke ich an dieser Stelle noch einmalausdrücklich.
Wir sind uns seit einigen Jahren über alle Parteigren-zen hinweg einig, dass die Kernenergie in Deutschlandein Auslaufmodell ist. Neue Kernkraftwerke wird esnicht geben. Dies wird zwar in der öffentlichen Diskus-sion kaum wahrgenommen, aber die einzige – ich gebezu, heftig umstrittene – Frage ist, wie lange die einzelnenReaktoren in Deutschland noch am Netz bleiben sollen.Wir, die christlich-liberale Koalition, haben noch imvergangenen Jahr das neue Energiekonzept sehr intensivdiskutiert. Wir haben in diesem Zusammenhang eineLaufzeitverlängerung beschlossen, weil wir sie fürethisch-moralisch verantwortbar und für ökonomischund ökologisch sinnvoll gehalten haben. Denn das Ri-siko eines Unfalls muss abgewogen werden gegen dieVorteile einer CO2-freien und preisgünstigen Strom-erzeugung dieser Brückentechnologie.Nach dem Unfall von Fukushima haben wir innege-halten, denn für unmöglich Gehaltenes wurde Realität.Zwei Naturkatstrophen bisher nicht gekannten Ausma-ßes haben zusammen dazu geführt, dass das Kernkraft-werk in Fukushima zerstört wurde. Bis heute ist in Japandie Bedrohung für Menschen und Umwelt nicht abge-wendet. Wir werden jetzt die drei Monate des Morato-riums nutzen, um sowohl die Technik unserer Kernkraft-werke erneut auf den Prüfstand zu stellen als auch dieFrage zu beantworten, ob wir bereit sind, das nukleareRisiko für eine bestimmte Zeit zu tragen.Die Beantwortung dieser Frage müssen wir sehr ernst-haft angehen, schon allein aus der Verantwortung gegen-über der Schöpfung. Aber – das möchte ich an dieserStelle noch einmal betonen – keine einzige Energieformist nur vorteilhaft. Kernenergie enthält ein Restrisiko.Erdöl, Erdgas, Stein- und Braunkohle sind endliche Res-sourcen, und ihre Verbrennung schadet dem Klima.Sonne scheint nicht immer, Wind weht nicht immer. DerStrom aus Wind und Sonne ist noch immer wesentlichteurer als der aus anderen Energiequellen. Außerdem istauch die Produktion von Solarzellen nicht nur umwelt-freundlich. Biomasse kann auf jedem Hektar nur einmalangebaut werden: entweder für Nahrungsmittel oder alsnachwachsender Rohstoff für unsere Industrie als ErsatzfüSnhetenwWeIsZdSPbsFwwläwdmladwddssdIm7BDdedsstuhresareps
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11842 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011
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Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Wie viel wir expor-tieren, sollten Sie vielleicht auch sagen!)Da dort der Strom insbesondere aus Kernkraftwerkenkommt, heißt das, dass jeden Tag umgerechnet30 Millionen Kilowattstunden ausländischen Atom-stroms im deutschen Netz sind.Viertens. Wie sichern wir die Stabilität des deutschenStromnetzes, wie verhindern wir also großflächigeStromausfälle? Bisher leben wir, was das angeht, aufeiner Insel der Seligen. Bis auf im Durchschnitt18 Minuten stand zum Beispiel im Jahre 2008 der Stromdas ganze Jahr rund um die Uhr zur Verfügung. DieseStabilität ist nicht nur für jeden Einzelnen von uns, son-dern insbesondere auch für unsere Wirtschaft wichtig;denn schon durch kurze Schwankungen oder Ausfällekönnen hohe Schäden bei sensiblen Produktionsprozes-sen angerichtet werden.
Die Stabilität muss deshalb auch in Zukunft gewährleis-tet sein.Nach dem Abschalten von allein fünf Kernkraftwer-ken im Süden Deutschlands wird dort die Stabilität zur-zeit aber nur durch die geschilderten massiven Stromim-porte sichergestellt – auch, weil es zu wenigeStromleitungen von Nord nach Süd gibt.
Fünftens. Wie hoch ist für uns der Sicherheitsgewinn,wenn nach unserem möglichen Ausstieg allein in Europanoch über 130 Kernkraftwerke am Netz sind?Alle diese Fragen müssen wir ehrlich beantworten.Dazu gehört auch, dass wir das Problem der sicherenEndlagerung radioaktiver Abfälle angehen müssen;
denn die jahrzehntelange Zwischenlagerung auch derhochradioaktiven Abfälle ist sicherheitstechnisch be-stimmt nicht vorteilhafter als die Endlagerung tief unterdem Erdboden. Also müssen wir nun schnell Schritte inRichtung einer dauerhaften Entsorgung zurücklegen. Esist hier sicherlich nicht verantwortungsvoll, die Erkun-dung von Gorleben zu blockieren und die Altlasten da-mit künftigen Generationen aufzubürden.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Mein letzter Satz ist eine Aufforderung: Bitte beteili-
gen Sie sich alle an der Diskussion, aber geben Sie auch
Antworten auf diese drängenden Fragen.
Vielen Dank.
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– Drucksachen 17/4510, 17/4811 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses
– Drucksachen 17/5403, 17/5417 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Dr. Carsten Sieling
Björn Sänger
Harald Koch
Dr. Gerhard Schick
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
eter Aumer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben ge-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11843
Peter Aumer
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rade über einen wichtigen Punkt diskutiert, um Lehrenaus der Vergangenheit zu ziehen. Die Umwelt und dieEnergieversorgung sind sicherlich wesentliche Bereiche,in denen wir einen Grundkonsens in unserer Gesellschaftherbeiführen müssen. Dessen hat sich die christlich-libe-rale Koalition angenommen.Bei den Finanzmarktthemen ist es genauso: Auch hiermüssen wir die Lehren aus der Vergangenheit ziehen,nämlich die Lehren aus der Finanz- und Wirtschafts-krise, die auch Europa und unser Land erschüttert haben.Deswegen diskutieren wir heute über ein zugegeben sehrtechnisches, aber auch wichtiges Thema: die Umsetzungder OGAW-IV-Richtlinie in nationales Recht.In der Anhörung des Finanzausschusses zum Entwurfdieses Gesetzes hat ein Sachverständiger die OGAW-IV-Richtlinie als Meilenstein bei der Verwirklichung deseuropäischen Binnenmarktes im Fondsbereich bezeich-net. Er hat recht: Es ist eine wichtige Entscheidung indiesem Bereich, über die wir heute reden. Insofern istauch das Technische wichtig, um die einzelnen Punktefür die Zukunft festzuzurren.Die Abkürzung OGAW steht für Organismen für ge-meinsame Anlagen in Wertpapieren und ist die europäi-sche Bezeichnung für Wertpapier-Investmentfonds. DieNeuregelung dieser Wertpapier-Investmentfonds erfolgtdurch neue Rechts- und Verwaltungsvorschriften, dieden größten Teil des heute zu beschließenden Gesetzent-wurfs ausmachen.Der Gesetzentwurf leistet einen wichtigen Beitrag zurStärkung der Qualität von Investmentfondsgeschäften,aber auch zur Verbesserung des Anlegerschutzes in unse-rem Land. Im Großen und Ganzen wird die OGAW-IV-Richtlinie im Investmentgesetz und im Investmentsteu-ergesetz umgesetzt.Mit der Umsetzung der OGAW-IV-Richtlinie sollendie Bestimmungen des Europäischen Passes für Gesell-schaften auf grenzüberschreitende Verwaltungen vonInvestmentfonds ausgeweitet werden. Fondsverschmel-zungen sollen grenzüberschreitend erleichtert undinsgesamt erleichtert werden. Gleichzeitig sollen die In-formationen der Anleger erheblich verbessert sowie dieAnforderungen und Verfahren zur Verschmelzung vonFonds erstmals EU-weit harmonisiert werden.Weiter sollen doppelstöckige Fondsstrukturen inForm von Master-Feeder-Konstruktionen im Bereich derPublikumsfonds unter bestimmten Voraussetzungen undmit einer umfassenden Anlegerinformation über die da-mit verbundenen Rechtsfolgen ermöglicht werden. Essollen außerdem wesentliche Anlegerinformationen ineinem zwei-, maximal dreiseitigen Informationsdoku-ment EU-weit vereinheitlicht werden und national auchfür nicht richtlinienkonforme Fonds Anwendung finden.Außerdem sollen die bei grenzüberschreitendem Ver-trieb von Investmentfonds erforderlichen Anzeigever-fahren, mit denen der Marktzugang für den gesamtenBinnenmarkt erreicht werden kann, erheblich beschleu-nigt werden.Für eine Verbesserung der Zusammenarbeit der natio-nalen Aufsichtsbehörden sollen unter anderem VerfahrenfüAgdezddddsliBRriwdedvhdÄdcsüdüktetezfoGsgmVA–ekewgwDtedwleWliz
eiter sollen Fondsgesellschaften künftig bessere Mög-chkeiten bekommen, ihre Angebotspalette zusammen-ufassen und effizienter zu verwalten. Hierzu sollen
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11844 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011
Peter Aumer
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grenzüberschreitende Fondsverschmelzungen und soge-nannte Master-Feeder-Konstruktionen ermöglicht wer-den.Mit diesem Gesetz, meine sehr geehrten Damen undHerren, zur Umsetzung der OGAW-IV-Richtlinie wirddie christlich-liberale Koalition ihrer Verantwortung ge-recht, zum einen einen wichtigen Beitrag für den Anle-gerschutz zu leisten und zum anderen die Wettbewerbs-fähigkeit des deutschen Fondsstandortes sicherzustellen.Deswegen bitten wir um Ihre Zustimmung.
Das Wort hat nun Carsten Sieling für die SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Dieses Gesetz ist kein technisches Klein-Klein,
wie es vielleicht den Anschein haben mag, wenn manden Titel liest. Wenn man sich das Gesetz genau an-schaut, stellt man fest, dass da eine gewaltige MengeMusik drin ist. Das Problem ist allerdings: Sie haben dieparlamentarischen Gesetzesberatungen genutzt, um eineReihe von schiefen Tönen einzubauen. Das schwächtdas, was wir heute zu beschließen haben.
Ich will in diesem Zusammenhang zu dem Ausgangs-punkt und zu der Frage zurückkommen, um die es hiereigentlich geht. Die Finanzkrise hat uns gezeigt, dass dieSteigerung von Markteffizienz, Maximierung von Ge-winnen, Wettbewerb usw. keine Argumente mehr für denGesetzgeber sein dürfen. Die Zeit der Deregulierungmuss endgültig vorbei sein. Wir müssen dazu kommen,dass wir erstens eine Beschränkung riskanter und speku-lativer Geschäftsmodelle erreichen und dass wir zwei-tens vor allem eine Stärkung des Anlegerschutzes nachvorn stellen.
Meine Damen und Herren, schauen wir uns jetzt ein-mal an, was Sie daraus gemacht haben. Vorgestern habeich eine wunderschöne Presseerklärung von den Kolle-gen Flosbach und Brinkhaus gelesen,
die darin jubeln, dieses Gesetz werde die Effizienz desInvestmentfondsgeschäfts erhöhen und attraktive Rah-menbedingungen schaffen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11845
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nach Vorliegen des Gesetzentwurfs aus dem Bundes-finanzministerium die Branche aufgeheult und von Bü-rokratiekosten gesprochen hat. Dann hat die Anhörungdeutlich gemacht – dafür sind öffentliche Anhörungen jada –, dass die Bürokratiekosten bei – hören Sie gut zu! –1,21 Euro liegen. – Bei 1,21 Euro! Das ist also völlig lä-cherlich.Da wusste auch die Koalition nicht mehr weiter. Alsosind Sie dazu gekommen und haben gewisse organisato-rische Veränderungen vorgenommen, dass man zukünf-tig nur auf Anforderung informiert wird, über E-Mailund so weiter und so fort. Das reicht uns nicht.Im Übrigen hat die BaFin selber in der Anhörungdeutlich gemacht, dass sie an uns, den Gesetzgeber – ichzitiere –, „appelliert“, es bei dem zu belassen, was vor-gesehen ist. Sie von der Koalition haben darauf nicht ge-hört. Sie haben diese EU-Vorgabe verwässert und ma-chen die deutschen Finanzmärkte damit angreifbar unddie Anlegerinnen und Anleger schwach.Es gibt auch Licht, gar keine Frage.
Sie setzen, Gott sei Dank, pflichtgemäß eins zu eins dieVorgabe um, dass ein Produktinformationsblatt, das so-genannte Key Investor Document, dem Produkt beizufü-gen ist. Das ist richtig, und das ist gut. Aber kaum hatman Licht bei Ihnen entdeckt, stellt man fest: Es scheintnicht mehr die Sonne, sondern es fängt gleich an, zu reg-nen. Sie haben nämlich auch in anderen Bereichen Ver-änderungen vorgenommen, die für uns nicht akzeptabelsind, Stichwort „REITs“. Diese Abkürzung steht für:Real Estate Investment –
– Trust. Vielen Dank für die liberale Hilfe.
– Das ist wunderbar.Sie helfen auch deshalb gerne, weil Sie, Herr Kollege,wahrscheinlich genau wissen, wie gefährlich dieses In-strument ist. Sie sind für eine flächendeckende Einfüh-rung. Dass es dazu in Deutschland nicht gekommen ist,liegt daran, dass wir Sozialdemokraten verhindert haben,dass dieses gefährliche Instrument flächendeckend zuge-lassen wird. Es gibt nur drei bis fünf Fonds dieser Art.Sie wollen deren Laufzeit jetzt verlängern.
Ich sehe darin nichts anderes als die Verlängerung einesSteuersparmodells für wenige. Auch das kann nicht Sinnunserer Gesetzgebung sein.Unterm Strich: Was Sie uns vorlegen, ist das Ergebnisvon Klempnerei und kein effektiver Anlegerschutz. Esbedeutet nur Steigerung der Effizienz der Investment-foDresdsndSpDvAtegtuASInumVNdnasobgkesriaskSe
vestmentfonds dienen als mittelfristiger Kapitalpuffernd zum Aufbau von Eigenkapital, beispielsweise wennan sich ein Eigenheim zulegen möchte.Ein Investmentfonds ist im Prinzip eine Art modernerEB.
irgendwo anders haben breite Bevölkerungsschichtenie Möglichkeit, sich leichter am Produktivvermögen ei-er Volkswirtschaft zu beteiligen. Sie haben die Chanceuf ein diversifiziertes Portfolio. Sie haben ein profes-ionelles Anlagemanagement. Sie haben eine Risiko-ptimierung, und sie haben eine Anlagevielfalt. All dasietet der Investmentfonds. Deswegen ist der vorlie-ende Gesetzentwurf so wertvoll.Umso wichtiger ist es, dass Vertrauen in dieses Vehi-el existiert. Genau dem wird der vorliegende Gesetz-ntwurf gerecht, und zwar dadurch, dass die Aufsicht ge-tärkt wird. Herr Kollege Sieling, ich kann Sie nicht sochtig verstehen: Sie beklagen sich über die Ausweitunguf die Hedgefonds, wodurch sie einer zusätzlichen Auf-icht unterliegen. Gleichzeitig sagen Sie, diese Aufsichtönne das, was von ihr erwartet wird, gar nicht leisten.ie müssten sich einmal in irgendeiner Art und Weisentscheiden, wofür Sie stehen.
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Björn Sänger
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Wir sind der Auffassung, dass der Anlegerschutzdurch die Verabschiedung des vorliegenden Gesetzent-wurfs gestärkt wird. Entscheidend ist dabei das Key In-vestor Document, das dem Anleger in übersichtlicherArt und Weise Informationen über das Produkt ver-schafft, in das er investieren möchte. Die Rückschlüsseaus diesen Informationen muss natürlich jeder Anlegerfür sich selbst ziehen. Das Anlagerisiko kann man nie-mandem abnehmen.
Das ist eine Frage der Finanzbildung. Da gibt es mögli-cherweise an der einen oder anderen Stelle noch Defi-zite. Aber auch hier ist die Branche mit einer Initiativeunterwegs.Wir haben in die Informationsflut, die ursprünglichvorgesehen war, etwas Struktur hineingebracht. Der An-leger soll nämlich übersichtlich über die wesentlichenÄnderungen – und zwar per Post – informiert werden.Wir vermeiden damit eine Informationsüberflutung, be-halten aber nach wie vor die Informationspflicht bei.Die Frage ist doch: Was ist denn eine „wesentlicheÄnderung“? Eine wesentliche Änderung kann sein,wenn sich zum Beispiel die Anlagestrategie bei einemFonds ändert. Wenn ich eine Anlage bei einem offenenImmobilienfonds habe, der überwiegend in europäischeGewerbeimmobilien investiert hat, plötzlich aber in asia-tische Wohnimmobilien hineingeht, dann ist das sicher-lich eine wesentliche Änderung der Anlagestrategie. Dashat Auswirkungen auf das Anlagevermögen. Wir wol-len, dass der Anleger darüber informiert wird. Das giltgenauso bei Fragen der Kostenänderung.Der Anleger weiß zukünftig, wenn er etwas von sei-nem Fondsanbieter per Post bekommt, dass es sich umeine wesentliche Änderung handelt, die für ihn wichtigist und die er lesen muss. Bei allen anderen Änderungen,die zum Beispiel allein aus Gründen der Änderung derRechtslage entstehen, bekommt er beispielsweise aufdem Jahresdepotauszug einen Hinweis. Er kann sichdann, wenn ihn das interessiert, entsprechend informie-ren. Die Entscheidung darüber, was wesentlich ist, habenwir bei der dafür richtigerweise zuständigen Stelle ange-siedelt, nämlich bei der BaFin.Aus der Anhörung heraus haben wir ein weitereswichtiges Thema entwickelt, nämlich das PensionPooling. Auch das ist für Anlegerinnen und Anleger inBezug auf die betriebliche Altersvorsorge wichtig. Es istauch wichtig für den Finanzplatz Deutschland. Wir re-den da über 250 Milliarden Euro, die in Deutschland an-gelegt werden können bzw. von Deutschland aus verwal-tet werden können. Sie unterliegen damit natürlich auchder deutschen Aufsicht.Auch dazu haben wir eine gute Nachricht, dass sichnämlich die Koalition dieses Themas annehmen undzeitnah einen entsprechenden Referentenentwurf vorle-gen wird. Wir gehen davon aus, dass dies bis zum Endedes Jahres 2011 der Fall sein wird. Das bedeutet, dieBwdshUvWwtelaLwwFnzrerudgpWnOEsMaKinzlaluQwHnliInbLmslä
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11847
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nehmen und – nicht zu vergessen – die Rating-Agenturen,die ‚Legitimierer‘ des ‚Schatten Banking‘“. Ähnlich wieim Januar kann ich Ihnen nur wieder sagen: Würden Siedoch wenigstens auf Ihre eigenen Beamten hören, anstattdem Begehren der Lobby ein ums andere Mal nachzuge-ben!
Es ist aber nicht nur die Senkung regulatorischerStandards, mit der Sie die Finanzbranche mästen. Nein,Sie werfen auch noch Steuergeschenke hinterher.
So sollen Unternehmen, die ihre Immobilien an eine bör-sennotierte Immobilien-AG veräußern, auf den Erlösweiterhin eine 50-prozentige Steuerbefreiung erhalten.Diese Regelung wurde mit einer weiteren Frist verlän-gert. Hat man Ihnen dafür wenigstens entsprechendSpenden versprochen?
Selbst was den Anlegerschutz angeht, haben Sie mehrGesetzeskosmetik betrieben, als dass Sie substanziell et-was merklich verbessert hätten. Zwar ist das Wort „An-leger“ häufiger im Gesetzestext zu lesen; dieser Anlegerkann aber nach wie vor nicht darauf bauen, dass ihm dieKosten seiner Anlageentscheidung wirklich transparentgemacht werden. Die Linke fordert hier unter anderemdie Angabe einer umfassenden Gesamtkostenquote.Nachfragen in den Berichterstattergesprächen, warumdies trotz Machbarkeit nicht geschehe, wurden damit be-antwortet, dass dann eine erfolgreiche Ansiedlung derFonds in Deutschland gefährdet sei. Entschuldigung,meine Damen und Herren von Union und FDP! Wernicht bereit ist, mit offenen Karten an den Markt zu ge-hen, der sollte doch bitte schön dahin gehen, wo derPfeffer wächst, anstatt dass ihm hierzulande auch nochalles nach seinem Geschmack gestaltet wird.
Was Sie der Öffentlichkeit verheimlichen: Sie betrei-ben bewusst Etikettenschwindel, damit die Fusionierungvon Fondsvermögen erleichtert wird. Dies haben die Be-ratungen zu diesem Gesetzentwurf leider deutlich wer-den lassen. Kollege Sieling hat schon darauf hingewie-sen; ich will es noch deutlicher sagen. So sind deutscheKunden erfahrungsgemäß eher bereit, in einen Fonds zuinvestieren, dessen Name den Eindruck erweckt, dass essich um ein Vehikel ihrer – deutschen – Hausbank han-delt. Dieser Eindruck soll auch künftig bestehen bleiben.Allerdings wird es sich nicht auf den ersten Blick er-schließen lassen, dass dieser Fonds sein gesamtes Ver-mögen in einen ausländischen Fonds einbringen kann. Indiesen ausländischen Fonds hätte der Anleger womög-lich nie direkt investiert. Ich versichere Ihnen: An die-sem Bluff wird sich die Linke nicht beteiligen.
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ie gehen bei den Informationspflichten im Sinne desnliegerschutzes über eine Eins-zu-eins-Umsetzung derichtlinie hinaus. Das ist bisher an vielen Stellen abge-hnt worden und findet hier richtigerweise einmal statt.Es bleibt trotzdem eine Reihe von gravierenden Defi-iten. Es ist zum Beispiel unverständlich, dass die Be-eislast, ob er Dokumente erhalten hat oder nicht, aufen Anleger übergeht. Es wird für ihn schwer sein, dasisten zu können.Was überhaupt nicht überzeugt, ist, dass Sie unserennderungsantrag in Bezug auf die sogenannte Best-Exe-ution-Regel abgelehnt haben. Diese Regel besagt, dassan – grob gesprochen – bei einer Handelsorder immeren besten Handelsplatz im Sinne des Kunden aussu-hen soll. Es ist im Jahr 2007 bei der Umsetzung der Fi-anzmarktrichtlinie versäumt worden, dies für Invest-entfondsanteile einzuführen. Das gilt nur für Aktiennd Ähnliches. Damals hieß es in der Begründung derundesregierung: Wegen des Prinzips der Eins-zu-eins-msetzung lehnt die Bundesregierung die Anwendunger Regeln auf Investmentfondsanteile ab.Wenn Sie dieses Prinzip der Eins-zu-eins-Umsetzungun zu Recht an anderer Stelle aufgeben, dann frage ich:arum nicht auch an dieser Stelle im Interesse von Kun-innen und Kunden?
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11848 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011
Dr. Gerhard Schick
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Es ist bezeichnend, dass von den Koalitionsfraktionenim Finanzausschuss an dieser Stelle kein einziges Argu-ment gegen unseren Antrag genannt worden ist, was denAnlegerschutz verbessern würde.
Ein weiterer Kritikpunkt, den wir haben, betrifft dieVerschmelzung der Nicht-OGAW-Fonds. Das ist schonangesprochen worden. Es besteht konkret die Gefahr:Wenn Sie in einem Fonds drin sind, dann müssen Sie so-zusagen Anteile eines schlechteren Fonds mitnehmen,weil im Rahmen der Verschmelzung das Interesse be-steht, dem Anleger auch schlechte Portfolien aufzudrü-cken. Das hat die Bundesregierung in der Gegenäuße-rung zum Bundesrat selbst eingeräumt. Es ist nichtnachvollziehbar, warum hier nicht im Interesse des An-legers gehandelt wird. Hier trifft der Vorwurf, den HerrKoch gemacht hat, zu. Sie setzen die Standortvorteileder Fondsgesellschaften vor das Interesse von Kundin-nen und Kunden, und das lehnen wir ab.
Es ist angesprochen worden, dass es auch ein Problemmit der Umsetzung gibt. Das ist in der Anhörung deut-lich geworden. Es gibt eine Reihe von neuen Aufgabenfür die Aufsicht. Sie haben bisher nicht dargelegt, wiedie Aufsicht in die Lage versetzt werden soll, diesennachzukommen. Ich habe große Sorge, dass die Aufsichtmangels der entsprechenden Ressourcen nicht in derLage sein wird, diese Regeln umzusetzen.Ein weiterer Punkt ist richtig ärgerlich: Es gibt immernoch keine vollständige Kostentransparenz. Dieses Ge-setz wäre die Gelegenheit gewesen, national auch eineOffenlegung der Transaktionskosten vorzuschreiben.Das wollen Sie in der Koalition nicht, obwohl die Euro-päische Kommission empfiehlt, auch die Transaktions-kosten auszuweisen. Dem Kunden wird also weiterhinsuggeriert, dass die jetzt umbenannte Gesamtsumme derlaufenden Kosten einen vollständigen Überblick über dieKosten eines Fonds liefert. Das bleibt aber weiterhinnicht der Fall, und das ist im Interesse der Kunden ebennicht die Transparenz, von der häufig gesprochen wird.Wir wollen volle Kostentransparenz.
Ich will noch auf weitere Punkte eingehen, die im Ge-setzentwurf enthalten sind. Ein wichtiger Aspekt ist dersteuerliche Teil im Investmentsteuergesetz. Es ist richtig,dass an dieser Stelle versucht wird, ein wichtiges Steuer-schlupfloch bei der Kapitalertragsteuer zu schließen. Wirsehen aber die Gefahr, dass eine kleine Lücke, die dabeinoch bleibt, in der Zukunft größeren Schaden anrichtet.Konkret könnte es sein, dass ein in Deutschland be-schränkt steuerpflichtiger ausländischer Investor, zumBeispiel eine Gesellschaft, die auf den Cayman Islandssitzt, im Fonds Dividendenerträge erzielt, ohne dass die-ser Kapitalertragsteuer einbehalten muss, obwohl es sichum ein Vermögen im Inland handelt. Es ist deshalb wenigverständlich, dass Sie hier keine Bereitschaft hatten, daszedSstuWicgHfegawpzsjebLAawgpTgKkefaGaimdfinze
Sie sehen, es gibt in diesem Gesetzentwurf Licht undchatten. Die Koalition liegt nicht überall daneben, siechafft aber auch keine überzeugende Wende in Rich-ng einer Finanzmarktpolitik zugunsten der Kunden.enn es mir abschließend noch erlaubt ist, dann möchteh sagen: Beim Thema Geldwäsche muss man diesesesetzgeberische Gewurstel als peinlich bezeichnen.ier brauchen wir einen Gesamtansatz.Wir können den schlechten Teilen des Gesetzentwur-s nicht zustimmen. Wir finden aber auch, dass wir dieuten nicht ablehnen können. Wir werden uns deswegenngesichts der Vielzahl von Regelungen enthalten. Wirerden uns gegenüber den guten Punkten entsprechendositionieren, aber zugleich auch die gravierenden Defi-ite ansprechen, um in Zukunft für eine Korrektur zuorgen.Danke.
Der Kollege Brinkhaus hat für die Unionsfraktion
tzt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Womiteschäftigen wir uns zur Mittagszeit? Es geht in ersterinie darum, europäische Richtlinien für eine bestimmtert von Fonds umzusetzen. Das tun wir hier. Da dieseber nur für eine bestimmte Art von Fonds gelten, habenir uns zugleich dazu entschlossen, entsprechende Re-elungen auch für Fonds zu erlassen, die von den euro-äischen Richtlinien nicht erfasst werden, damit es zuransparenz kommt und gleiche Wettbewerbsbedingun-en herrschen. Ich glaube, das ist nicht zu kritisieren.Es ist ebenfalls nicht zu kritisieren, dass wir in einemraftakt Steuerschlupflöcher schließen, die auf sehromplizierte Weise genutzt werden konnten. Das ist mitinem wahnsinnigen Umbau des Steuererhebungsver-hrens verbunden.Es ist wohl auch nicht zu kritisieren, dass wir diesesesetz außerdem nutzen, um einige andere Dinge mituf den Weg zu bringen, wie zum Beispiel Regelungen Bereich der Geldwäsche und Nachbesserungen beiem eigentlich sehr guten Ansatz, mit dem wir Mikro-nanzierung auf den Weg bringen wollten, was abericht geklappt hat. Weiterhin gehören hierzu Regelungenur Haftpflicht von Lohnsteuerhilfevereinen und nochinige andere Sachen. Ich denke, all das ist richtig und
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Ralph Brinkhaus
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gut. Es ist ja auch in der einen oder anderen Bemerkungvonseiten der Opposition angeklungen, dass dem so ist.Werfen wir einmal einen Blick zurück auf das Gesetz-gebungsverfahren: Alle Berichterstatter dürften wohlfestgestellt haben, dass sie hier an ihre Grenzen gestoßensind, und zwar deswegen, weil das Investmentsteuerge-setz wirklich nur etwas für Leute ist, die sich sehr, sehrgerne mit Steuern beschäftigen, um das einmal vorsich-tig auszudrücken. Diese Geschichte ist nämlich wahn-sinnig spezifisch.An dieser Stelle sollte man der Öffentlichkeit einmalfolgenden Sachverhalt darstellen: Von uns als Parlamen-tariern wird erwartet, den Schiedsrichter zwischen denVorlagen, die von der Regierung kommen, und den Inte-ressen, die vonseiten der Bevölkerung und den Verbän-den geäußert werden, zu spielen. Aber ganz ehrlich – ichschaue jetzt einmal in die Augen der Coberichterstat-ter –: Das Investmentsteuergesetz hat uns ein wenig über-fordert. Wenn wir weiterhin vernünftige parlamentari-sche Arbeit machen wollen, ist wirklich zu hinterfragen,ob hierfür ein oder anderthalb Mitarbeiter ausreichen.Auf der einen Seite steht das Finanzministerium mit meh-reren Tausend Mitarbeitern und auf der anderen Seite dieFinanzbranche mit mehreren Tausend Mitarbeitern. Wiraber sollen ein gutes Urteil fällen. Das fällt uns, ehrlichgesagt, hin und wieder recht schwer. An dieser Stelle istes noch einmal gelungen. Wir sollten uns aber überlegen,ob das in Zukunft nicht anders vonstattengehen könnte.Nun zu der Kritik, die an diesem Gesetzentwurf geäu-ßert wurde. Fangen wir einmal mit der Kritik vonseitender Linken an. Lieber Kollege Koch, das, was Sie hiergebracht haben, stammte ja wohl eher aus dem Satzbau-kasten „Kapitalismusbeschimpfung für junge Pioniere“,als dass es eine ernsthafte Kritik darstellte.
Das hatte höchstens ein wenig Erheiterungswert.Ich möchte aber insbesondere auf ein Argument vonIhnen eingehen, mit dem Sie, wie ich glaube, den Men-schen etwas Falsches suggerieren. Sie haben kritisiert,dass es nicht gut sei, dass die OGAW-Richtlinie großeInvestmentfonds fördere und dass das zu zusätzlichenRisiken führe, und gesagt, dass das nicht Ihrem Bild ent-spreche. Darüber kann man sich unterhalten. Das istüberhaupt keine Frage. Sie sollten nur so ehrlich seinund den Menschen hier auf der Tribüne und an den Bild-schirmen erzählen, dass wir diese Richtlinie umsetzenmüssen, ob wir sie gut finden oder nicht. Wenn Sie alsLinke hier so tun, als ob es die Freiheit gäbe, sie nichtumzusetzen, dann kann ich Ihnen den Vorwurf nicht er-sparen, dass Sie sich hier unehrlich verhalten. Das solltenicht zum Stil in diesem Haus werden.
Bei dem, was außerdem an Kritik geäußert wordenist, möchte ich mich auf einen Punkt konzentrieren, dersowohl von der SPD als auch teilweise von den Grünenangesprochen wurde. Dabei geht es darum, dass wir dieVgmTBrumsBsdmgssfodVgkmlewwvPgsspdbvWtaEsenirFgdkbnd
ie ist es denn vorher gewesen? Vorher hätte die Kapi-lanlagegesellschaft es beweisen müssen. Das hätte, zunde gedacht, bedeutet, dass jeder Brief als Einwurfein-chreiben hätte aufgegeben werden müssen, weil sonstine Beweisführung nicht möglich ist.
Wir haben dann Folgendes gesagt: Wir machen es ge-auso wie das Finanzamt, das völlig unverdächtig ist,gendwelche falschen Regelungen anzuwenden. Dasinanzamt schickt einen Brief ab, und es gibt eine Zu-angsfiktion, bei der davon ausgegangen wird, dass nachrei Tagen der Brief des Finanzamts beim Bürger ange-ommen ist. Wenn der Bürger sagt, der Brief sei nichtei ihm angekommen, dann schaut man beim Finanzamtach, ob alles korrekt verschickt worden ist. Wir machenas jetzt analog: Die BaFin schaut bei der Kapitalanlage-
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Ralph Brinkhaus
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gesellschaft nach. Sie muss nachweisen, dass sie die or-ganisatorischen Voraussetzungen für diese Regelung ge-troffen hat. Das ist eine erhebliche Verbesserung. HerrSchick und Herr Sieling, ich finde es schon ein bisschenirritierend, dass Sie das kritisieren. Sie müssen den Men-schen in diesem Land einmal erklären, warum diese Re-gelung für sie eine Verschlechterung darstellen soll.Selbst ein Gesetz zu OGAW – darauf will ich denRest meiner Redezeit verwenden – eignet sich dazu, ei-nige grundlegende Unterschiede zwischen dem Bild, dasSie von unserer Gesellschaft haben, und dem Bild, daswir von unserer Gesellschaft haben, herauszuarbeiten.
Wir haben immer noch das Bild vom mündigen Verbrau-cher vor Augen. Für uns zählen die Freiheit und die Frei-heit der Entscheidung.
Wir ermöglichen diese Freiheit. Dazu braucht es faireund transparente Märkte. Dafür schaffen wir gute Rah-menbedingungen.
Das ist ein anderer Ansatz als der Ihrige. Sie wollen Ein-fluss darauf nehmen, wie sich die Menschen entschei-den.
Denn Sie glauben, dass Sie es besser wissen als die Men-schen. Das ist Ihr Menschenbild. Sie wollen die Men-schen sozusagen zu Tode regulieren und schaffen an al-len Stellen neue Vorschriften und Gesetze.
Das kann man an dieser Diskussion sehen. Daskönnte ich auch an allen anderen Diskussionen festma-chen, die wir hier zum Verbraucherschutz geführt haben.Was von Rot und was von Grün kommt, ist Bürokratie,das ist eine Vorschrift nach der anderen. Damit sollen dieMenschen in ihren Entscheidungen beeinflusst werden.Das ist nichts anderes als gesetzliche Gängelung.
Ein großes Thema in dieser Legislaturperiode ist, denMenschen in diesem Land klarzumachen, was Sie für ei-nen Staat wollen und was wir für einen Staat wollen.
Vorgestern wurde in einem interessanten Artikel in einerZeitung festgestellt, dass Rot-Grün – man müsste eigent-lich Grün-Rot sagen – aus unserem Land einen Ponyhofmachen möchte. Ich sage dazu nur: Der Weg von einemPonyhof zu George Orwells Animal Farm ist nicht weit.Das sollten wir beim Verbraucherschutz hin und wiederbeachten.–bgsPlatiMBmekshJhtrsFsbgEhWsucvdtegbkdbezwg
Das Wort hat der Kollege Binding für die SPD-Frak-
on.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine sehr verehrten Damen und Herren! Herrrinkhaus hat schon recht: An dem Gesetzentwurf kannan erkennen, welchen Staat wir wollen. Ich will anine Bemerkung von Herrn Aumer erinnern. Er hat, an-nüpfend an den vorherigen Tagesordnungspunkt, ge-agt: Wir sollten die Lehren aus der Vergangenheit zie-en. – In der Vergangenheit hatten wir einen Atomstaat.etzt haben Sie die Lehren daraus gezogen. Diese Lehreat Herr Aumer interessanterweise auf das OGAW über-agen und einen Vergleich mit der Finanzkrise herge-tellt, die vielleicht einen Super-GAU mit Blick auf deninanzplatz darstellt. Wir wollten diesen schon immertärker regulieren als Sie. Interessanterweise haben Sie,ezogen auf die Atomkraft, jetzt gelernt, dass es ganzut ist, wenn ein Staat hinreichend reguliert.
Auch wir sind für Effizienz. Nur sind wir nicht für dieffizienz des Marktes an sich; denn der Markt an sichat gar keine Qualität.
ir sind dafür, dass die Effizienz des Schutzes verbes-ert wird. Das ist ein wichtiger Punkt. Uns geht es dabeim die Verbraucher. Das ist eine ganz wesentliche Sa-he, die vielleicht im Spannungsverhältnis der Erklärungon Gerhard Schick liegt, der ausgeführt hat, warum sichie Grünen enthalten. Er sagte, sie werden sich enthal-n, weil es im Gesetzentwurf gute und schlechte Teileibt. Ich glaube, wenn man einen Gesetzentwurf danacheurteilt, müssten wir uns immer enthalten; denn es gibtein Gesetz, das nur gut ist. Das ist so ähnlich wie mitem Orangensaft. Wenn drei Tropfen Arsen darin sind,eurteile ich ihn anders, als wenn sie fehlen. Das ist alsoine komplizierte Sache.Ich will aber auf die Gesamtschau abheben; denn wiriehen ja die Lehren aus der Vergangenheit. Bei allem,as wir im Moment tun, besteht die Gefahr, dass wir an-esichts unendlich vieler Einzelregelungen den Über-
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Lothar Binding
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blick verlieren. Heute OGAW, gestern MiFID, morgenBasel III, Solvency II, EMIR, REMI, MAD. Die Ener-giehandelsunternehmen wollen auch schon wieder ihreFreiheiten und Ausnahmen haben. Wir sehen, wir reihenAusnahme an Ausnahme und verlieren die Gesamt-schau. Dadurch entsteht ein riesengroßes Problem. Übri-gens reicht das bis tief in die Anhörung. Da war einMensch von der Deutschen Bank noch nicht einmal inder Lage, seine eigenen Produkte zu erklären. Daransieht man, wie weit wir in diesem Markt gekommensind.
Das geht ja weiter. Wir haben einen Euro-Rettungs-fonds im Umfang von 700 Milliarden Euro geschaffen.Was macht denn der Fonds? Es wird immer von Trans-ferunion gesprochen. Da geht es nicht um Transferleis-tungen zwischen Staaten. Das ist ganz anders. Es gehtum einen hochrisikoreichen Markt, nämlich den priva-ten. Wenn der versagt, infiziert er die Staaten, und diesollen dann zahlen. Diese Rechnung, denke ich, darfnicht aufgehen.
Deshalb müssen wir uns darum kümmern, dass dieLeute, die private Risiken in exorbitanter Dimensioneingehen, hinterher auch dafür geradestehen.
Das ist derzeit nicht der Fall. Im Moment zahlt immerder Staat, oder es zahlen die Staaten aus Europa. Wennwir da keinen Riegel vorschieben, haben wir ein riesen-großes Problem.Ich will zur Trennung von Verwaltungsgesellschaftenund Investmentvermögen oder Depotbanken – bezogenauf grenzüberschreitende Niederlassungen und Ver-schmelzungen ist schon etwas erwähnt worden – nur sa-gen: Wenn das immer zu den Bedingungen des Her-kunftsstaates passiert, dann infizieren wir die Staaten mitguten Verhältnissen mit den Verhältnissen der schlechtenStaaten, und das wollen wir nicht. Das ist ein systemati-scher Fehler in diesem Gesetz.
Ganz aktuell vielleicht: Wenn man die Hedgefonds inder Weise europäisch mischt, dann verdirbt man eine ex-zellente Regelung, die vor sieben oder acht Jahren ge-troffen wurde, mit der wir Hedgefonds erlaubt, dieseaber so reguliert haben, dass dadurch in Deutschlandkein Verbraucher geschädigt wird. Deshalb gibt es auchnur 14, und deshalb sind dort auch nur 2 Milliarden Euroinvestiert und nicht 80 Milliarden, wie die Banker be-hauptet haben. Aber wenn man das in der Weise regu-liert, wie es der Entwurf des OGAW-IV-Umsetzungsge-setzes vorsieht, dann infizieren wir praktisch den gutendeutschen Hedgefondsmarkt mit HedgefondsvorgängenakDddzVmnawuAcGSgLnuGWeFdBAhg
as bereitet den nächsten GAU vor. Deshalb sind wiragegen und lehnen den Gesetzentwurf ab.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-esregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset-ung der Richtlinie zur Koordinierung der Rechts- underwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organis-en für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren. Der Fi-anzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlunguf Drucksachen 15/5403 und 15/5417, den Gesetzent-urf der Bundesregierung auf den Drucksachen 15/4510nd 15/4811 in der Ausschussfassung anzunehmen.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derusschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-hen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Deresetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit dentimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion ge-en die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Dieinke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-en angenommen.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –er stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-ntwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und derDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion under Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktionündnis 90/Die Grünen angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, Elke Ferner,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDFür ein modernes Patientenrechtegesetz– Drucksachen 17/907, 17/5227 –Berichterstattung:Abgeordnete Christine Aschenberg-DugnusNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-in Christine Aschenberg-Dugnus für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!In unserer Koalitionsvereinbarung mit der Union habenwir uns verpflichtet, die Rechte von Patientinnen undPatienten in einem eigenen Gesetz zu regeln. DennPatientensouveränität und Patientenrechte sind uns einwichtiges Anliegen. Das habe ich an dieser Stelle schonmehrfach betont.
Daran wird sich auch nichts ändern. Insoweit sind wiruns mit der SPD im Grunde einig.
Ihren Antrag werden wir dennoch ablehnen; denn anvielen Stellen offenbaren Sie ein Menschenbild, das mitdem unsrigen nicht übereinstimmt.
Sie leiten die berechtigten Interessen und Bedürfnisseder Patienten aus einer Opferrolle ab. Das wird denMenschen aber nicht gerecht.
Für uns sind Patienten nicht per se die Opfer, die Ge-schädigten oder die Getäuschten, deren schwache Posi-tion man gegenüber den übermächtigen Ärzten stärkenmuss. Nein, ich bleibe dabei: Patienten und Ärzte sindPartner.
Wir wollen den souveränen, aufgeklärten Patienten,der seine Rechte kennt und nutzt. Deshalb haben wir dieunabhängige Patientenberatung zu einem festen Be-standteil des deutschen Gesundheitswesens gemacht.
Jetzt haben wir eine neutrale UPD, die ihrer Seismogra-fenfunktion gerecht werden kann. In einem nächstenSchritt werden wir ein Patientenrechtegesetz vorlegen.Mit diesem Gesetz verfolgen wir das Ziel, Transparenzüber die heute bereits bestehenden umfangreichenRechte der Patienten herzustellen. Nur wer seine Rechtekennt, kann als mündiger Patient selbstbewusst gegen-über Behandlern und Krankenkassen auftreten.Darüber hinaus wollen wir zum einen die tatsächlicheDurchsetzung dieser Rechte verbessern und zum ande-ren insbesondere in Fällen von Behandlungsfehlern denPatienten stärker unterstützen. Gleichzeitig sollen diePatienten im Sinne einer verbesserten Gesundheitsver-sorgung geschützt werden. Daher freue ich mich sehr,dass unsere Minister Philipp Rösler und SabineLeutheusser-Schnarrenberger ein Papier vorgelegt ha-ben, das den im Koalitionsvertrag formulierten Ansprü-chen mehr als gerecht wird.
Ich möchte einzelne Punkte aufgreifen, weil sie mirbesonders wichtig sind.ruzPSWsBteGfübmsvBIcFVtuwsuzleQdtävMtiMkgüinmsEdnnR
enau in diesem Sinne, im Sinne des konkreten Nutzensr die Versicherten, werden wir die Verfahrensrechteei einem Behandlungsfehlerverdacht stärken, nämlichit einheitlichen Schlichtungsverfahren, Mediation undpezialisierten Kammern bei den Landgerichten.Ganz wichtig ist uns auch die Förderung der Fehler-ermeidungskultur.
ehandlungsfehlern vorzubeugen, hat höchste Priorität.h denke, da sind wir uns einig. Risikomanagement undehlermeldesysteme in der stationären und ambulantenersorgung werden gestärkt. Im Rahmen der Verpflich-ng zum einrichtungsinternen Qualitätsmanagementird das Beschwerdemanagement in den Krankenhäu-ern vorgeschrieben.Da wir Behandler und Patienten als Partner begreifennd nicht als Gegner, legen wir auf die Schaffung finan-ieller Anreize großen Wert: zur Einführung eines Feh-rvermeidungssystems, zum Beispiel im Rahmen vonualitätszuschlägen – ambulant und stationär –, sowieurch Transparenzvorgaben, insbesondere für den Quali-tsbericht der Krankenhäuser.Wir dürfen bei alledem nicht die Leistungserbringerergessen, die tagtäglich den Herausforderungen desedizineralltags ausgesetzt sind. Eine Stärkung der Pa-entenrechte darf deshalb nicht auf dem Prinzip desisstrauens aufgebaut werden. Zwei Dinge müssen unslar sein:Erstens. Ärzte dürfen nicht mit immer mehr unnöti-en Dokumentationspflichten überlastet werden.Zweitens. Durch weitere Beweiserleichterungen, dieber die Rechtsprechung hinausgehen, gerät man schnell eine Situation der Defensivmedizin. Diese Defensiv-edizin kann bei einer überzogen vorsichtigen Haltungchlimmstenfalls zur Behandlungsverweigerung führen.
s kann aber auch zu einer extremen Überversorgunges Patienten kommen. Mit beidem ist den Patientenicht gedient. Ich verweise in diesem Zusammenhangur auf die übermäßige Strahlenbelastung bei häufigemöntgen.
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Christine Aschenberg-Dugnus
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Wir wollen keine Kultur des Misstrauens. Wir bauenauf das Prinzip von Vertrauen und Fairness.
Deshalb gibt es weder eine allgemeine Beweislast-umkehr bei Behandlungsfehlerverdacht noch über dasRichterrecht hinausgehende weitere Beweiserleichterun-gen. Wir kodifizieren das Richterrecht. Die von derRechtsprechung entwickelten Grundsätze und Instru-mente zur Beweislastverteilung werden in das Bürgerli-che Gesetzbuch eingefügt. Diese angemessene Beweis-lastverteilung wird den Ansprüchen, Rechten undPflichten aller Beteiligten gerecht.Wenn wir über das Arzthaftungsrecht sprechen, mussuns klar sein: Für eine Haftung des Arztes müssen dreiVoraussetzungen erfüllt sein:Erstens. Es muss eine ärztliche Pflichtverletzung vor-liegen, also eine Verletzung des geltenden medizinischenStandards.Zweitens. Es muss ein Gesundheitsschaden eingetre-ten sein.Drittens. Es muss ein eindeutiger Ursachenzusam-menhang bestehen. Um genau diesen Ursachenzusam-menhang geht es. Bei Fragen des beherrschbaren Risi-kos, bei Befunderhebungsmängeln und bei grobenBehandlungsfehlern gilt durch die Rechtsprechung be-reits die Beweislastumkehr. Eine darüber hinausgehendeBeweislastumkehr zulasten der Ärzte wird es mit unsnicht geben;
denn wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse.
Wir wollen keine Defensivmedizin. Wir wollen keineKultur des Misstrauens. Wir wollen bestmögliche Ver-sorgung auf der Basis von Vertrauen und Fairness zumWohle der Patientinnen und Patienten in Deutschland.Danke.
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin
Dr. Volkmer das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Für die SPD ist die Selbstbestimmung der Menschen unddamit auch die Selbstbestimmung der Patientinnen undPatienten ein hohes Gut. Von daher haben für uns die Pa-tientenrechte einen ganz hohen Stellenwert.bdZuEfüAteLüfühnRlebrimkÄmtiZbüzRsNlicvdrulebsumFlefaAw
Das haben wir in der Regierungszeit von Rot-Grünewiesen. Wir haben das Amt des Patientenbeauftragtener Bundesregierung eingeführt; sonst könnte Herröller dieses Amt heute nicht bekleiden. Wir haben dienabhängige Patientenberatung eingeführt. Das ist einrfolgsmodell, das jetzt in die Regelversorgung über-hrt worden ist.
ußerdem haben wir dafür gesorgt, dass Patientenvertre-r in dem Gremium sitzen, das entscheidet, welcheeistungen von der gesetzlichen Krankenversicherungbernommen werden.
Deswegen ist es folgerichtig, dass wir einen Antragr ein Patientenrechtegesetz vorgelegt haben, den wireute beraten. Patienten haben Rechte, die sie häufigicht kennen. Sie kennen diese Rechte nicht, weil dieseechte verstreut in unterschiedlichen Gesetzen niederge-gt sind, im Sozialgesetzbuch, im Bürgerlichen Gesetz-uch, aber auch in Berufsordnungen. Von daher ist eschtig und wichtig, dass wir das in einem Gesetz zusam-enführen, und zwar in einem Patientenrechtegesetz.
Dabei geht es nicht nur darum, mehr Übersichtlich-eit für die Patienten zu schaffen, sondern auch für dierztinnen und Ärzte; denn manchmal kennen aucheine Arztkollegen die Rechte von Patientinnen und Pa-enten nicht so ganz genau.Wir können dabei gleichzeitig Lücken schließen.um Beispiel muss gesetzlich verankert werden, dassei der Aufklärung von Patientinnen und Patienten auchber Alternativen zu einer diagnostischen Methode oderu einer bestimmten Therapie informiert wird.Wir wollen viel mehr, als nur das jetzt schon geltendeecht zu kodifizieren. Ein ganz wichtiger Punkt ist dieichere Behandlung von Patientinnen und Patienten.un kann man sagen: Das ist doch eine Selbstverständ-chkeit. – Ja, eigentlich schon, aber es ist leider Tatsa-he, dass in Deutschland mehr Menschen an den Folgenon Behandlungsfehlern in Krankenhäusern sterben alsurch Verkehrsunfälle. Von daher können wir da nichthig bleiben, sondern müssen sagen: Wir wollen Feh-rvermeidungssysteme in allen Krankenhäusern ver-indlich vorschreiben. – Es gibt Krankenhäuser, die daschon jetzt auf freiwilliger Basis machen. Das ist richtignd gut, aber das reicht uns nicht. In jedem Krankenhaususs das geschehen.Natürlich werden überall dort, wo gearbeitet wird,ehler gemacht. Das ist ganz normal. Aber es ist vor al-n Dingen wichtig, dass Fehler und Beinahefehler er-sst werden, um daraus Rückschlüsse für zukünftigesrbeiten und für die Sicherheit ziehen zu können. Des-egen halten wir es für dringend erforderlich, dass Men-
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11854 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011
Dr. Marlies Volkmer
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schen, die einen eigenen oder einen fremden Fehler mel-den, keine arbeitsrechtlichen Sanktionen befürchtenmüssen.
Ein Patientenrechtegesetz muss aber auch die Opfervon Behandlungsfehlern stärken. Zum Beispiel wollenwir gesetzlich vorschreiben, dass Nachbehandler beiVerdacht auf einen groben Behandlungsfehler den Pa-tienten darauf aufmerksam machen müssen. Wir wollensowohl die gesetzlichen als auch die privaten Kranken-kassen verpflichten, im Falle des Verdachtes eines Be-handlungsfehlers die Versicherten zu unterstützen.Eine Schwierigkeit für die betroffenen Patientinnenund Patienten ist der Nachweis der Kausalität. Dabeigeht es um die Frage, ob der Gesundheitsschaden tat-sächlich aufgrund eines Behandlungsfehlers eingetretenist oder ohnehin aufgrund einer anderen Erkrankungoder der Erkrankung, wegen der der Betroffene behan-delt wird, eingetreten wäre. Wir fordern bei groben Be-handlungsfehlern in bestimmten Fällen eine Beweislast-umkehr, zum Beispiel dann, wenn Dokumentationennicht vollständig sind oder wenn diese Dokumentationenden Gerichten nur verzögert oder scheibchenweise zurVerfügung gestellt werden.
Um das noch einmal ganz klar zu sagen: Eine gene-relle Beweislastumkehr wollen wir nicht; denn da sehenauch wir Gefahren für den Patienten. Es könnte sein,dass die Versicherungen dann sehr hohe Beiträge verlan-gen und dass gefährliche Eingriffe bei Patientinnen undPatienten nicht durchgeführt werden. Es stimmt nicht,dass wir eine generelle Beweislastumkehr fordern; mitdieser Behauptung soll nur Stimmung gegen ein solchesGesetz zur Stärkung der Patientenrechte gemacht wer-den.Sehr wichtig ist uns auch die Stärkung der kollektivenRechte von Patientinnen und Patienten. Ich habe schongesagt, dass wir die Beteiligung von Patientenvertreternim Gemeinsamen Bundesausschuss eingeführt haben.Jetzt geht es darum, ein Stimmrecht der Patientenvertre-ter zumindest in Verfahrensfragen in dem GemeinsamenBundesausschuss auf den Weg zu bringen.Heute liegt Ihnen ein ziemlich umfassender Antragvor, in dem wir beschreiben, wie wir uns die Ausgestal-tung eines Patientenrechtegesetzes vorstellen. Das, wasbisher vonseiten der Koalition vorgelegt worden ist,würde ich nur als Ankündigung bezeichnen. Es bestehtnämlich nicht einmal Einigkeit darüber, welchen StatusIhr Papier hat. Manche sagen, es sei ein Eckpunktepa-pier; manche sagen, es sei ein Positionspapier.Es besteht bei Ihnen noch nicht einmal Einigkeit da-rüber, wie das Gesetz heißen soll. Herr Zöller, Sie spre-chen immer von einem Patientenrechtegesetz; das findeich sehr gut. Aber es gibt viele Kollegen, gerade in derFDP, die von einem Patientenschutzgesetz sprechen. Dafrage ich Sie: Welchen Blick haben Sie denn auf die Pa-tisARetefeeUugtehugEDletidsgzlelitäPntiureluDGntesdh
Das Wort hat der Kollege Erwin Rüddel für die
nionsfraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damennd Herren! Grundsätzlich stelle ich hier im Haus einenroßen Konsens fest. Wir wollen die Rechte der Patien-n und Patientinnen stärken, und wir wollen das Ver-ältnis Arzt–Patient auf eine saubere Grundlage stellennd damit insgesamt transparenter machen. Wir kündi-en nicht nur an, sondern wir werden in diesem Jahr denntwurf eines Patientenrechtegesetzes vorlegen!
as künftige Regelwerk wird zwei Bedingungen erfül-n: Es wird Vorschriften bündeln und die Rechte der Pa-enten in vielfältiger Weise stärken.Die christlich-liberale Koalition hat die Absicht, miten konkreten Beratungen über ein Patientenrechtege-etz zu beginnen, um die Rechte der Patienten im Um-ang mit Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassenu verbessern und die Versicherten vor Behandlungsfeh-rn stärker zu schützen. Dabei ist uns ein zentrales An-egen, den Patientinnen und Patienten mehr Souveräni-t im Umgang mit Ärzten zu verschaffen, sie zuartnern auf Augenhöhe zu machen und gleichzeitig dasotwendige Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Pa-ent nicht zu zerstören.
Wir wollen eine ausgewogene Balance der Interessennd sehen keinen Sinn darin, einzelne Gruppen in unse-m Gesundheitssystem gegen andere Gruppen in Stel-ng zu bringen.
eshalb haben wir den vorliegenden Antrag der SPD imesundheitsausschuss abgewiesen. Wir halten ihn füricht zielgenau und für überzogen. Ich nenne stellvertre-nd nur das Stichwort „Leichenschau“.Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dassich selbst das in der vergangenen Legislaturperiode voner SPD geführte Gesundheitsministerium seinerzeit ge-ütet hat, sich diese Vorstellungen der SPD-Fraktion zu
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11855
Erwin Rüddel
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eigen zu machen. Umso mehr begrüße ich das vomPatientenbeauftragten der Bundesregierung jüngst vor-gelegte Grundsatzpapier.
Namens der CDU/CSU-Fraktion danke ich unseremKollegen Wolfgang Zöller für seine Arbeit.
Er hat in zahllosen Gesprächen mit allen gesellschaftli-chen Gruppen und allen Beteiligten in unserem Gesund-heitswesen einen breiten gesellschaftlichen Konsens fürdieses Grundlagenpapier hergestellt. Mein Dank giltebenso dem Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler
und der Frau Bundesjustizministerin, die beide engagiertund konstruktiv an diesem Papier mitgearbeitet haben.
Die Vorschläge des Patientenbeauftragten sind vonder Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Bundes-vereinigung und dem GKV-Spitzenverband positiv auf-genommen worden.
Die Bundesärztekammer würdigt das Papier als gutesErgebnis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit. DieKassenärztliche Bundesvereinigung begrüßt, dass damitdie Rechte der Patienten gestärkt werden und ihre Betei-ligung in der Selbstverwaltung ausgebaut wird.Der GKV-Spitzenverband beurteilt die Vorschlägeausdrücklich als sehr positiv. Auch der Bundesverbandder Verbraucherschützer bewertet die Eckpunkte alsSchritt in die richtige Richtung.
Wir haben den Bürgerinnen und Bürgern versprochen,das Jahr 2011 zum Jahr der Patienten zu machen, undwir halten Wort.
Wir haben die unabhängige Patientenberatung gesetzlichverankert. Wir haben den Gesetzentwurf zur durchgrei-fenden Verbesserung der Krankenhaushygiene einge-bracht. Gestern haben wir über das 5,5-Milliarden-Euro-Programm zur Erforschung der Volkskrankheiten debat-tiert. Wir haben heute die Eckpunkte für ein umfassen-des Versorgungsgesetz vorgelegt – Stichworte hierzu:flächendeckende Bedarfsplanung und Versorgungsge-rechtigkeit für den ländlichen Raum. Wir werden mitdem Patientenrechtegesetz die Kräfte im Gesundheits-wesen so ausbalancieren, dass die Patienten gestärktwerden, ohne das unabdingbare Vertrauensverhältniszwischen Arzt und Patient zu beschädigen.
Zu den Kernpunkten unseres Vorhabens gehören dieVerankerung des Behandlungsvertrags im BGB, diegesetzliche Klarstellung der Aufklärungs- und Doku-mßkAinFrufoteaalubdwapInaslemwspintueVvtizridzluePdkmnDnZPEhMnRbDsd
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dürfen sich gegenüber Leistungsträgern und Leistungs-erbringern nicht ohnmächtig fühlen.Es geht uns in diesem Jahr der Patienten darum, denMenschen, der krank ist, mit Nachdruck in den Mittel-punkt unseres Gesundheitssystems zu stellen; denn dasist der Platz, der ihm zusteht und auf den er Anspruchhat. Es geht uns gleichzeitig aber auch um einen ver-nünftigen Ausgleich der Interessen von Patienten undLeistungserbringern.Nur gemeinsam mit Ärzten und Krankenkassen kön-nen wir ein Patientenrechtegesetz machen, das seinenNamen verdient. Wir wollen keine Grabenkämpfe, son-dern ein partnerschaftliches Vertrauensverhältnis aufAugenhöhe.Es bleibt dabei: Alle Fraktionen dieses Hauses sindeingeladen, daran konstruktiv mitzuarbeiten.
Das Wort hat die Kollegin Vogler für die Fraktion Die
Linke.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Herr Rüddel, ich hatte es bisher immer soverstanden, dass der Herr Minister Rösler dieses Jahrzum Jahr der Pflege erklärt hat. Sie haben es jetzt zumJahr der Patienten gemacht.
Vielleicht einigen Sie sich da koalitionsintern, damit wirwissen, was jetzt eigentlich angesagt ist.
Ich habe einmal das Wort „Patientenrechte“ gegoogeltund 143 000 Einträge gefunden. Bei demselben Begriffauf Englisch oder Spanisch erhalte ich jeweils 17 Millio-nen Einträge, und wenn ich den französischen Begriffeingebe, sind es sogar 19 Millionen Einträge.
Wenn ich ihn auf Niederländisch eingebe, sind es im-merhin noch 219 000 Einträge. Zumindest hinsichtlichder öffentlichen Wahrnehmung scheint es mit den Pa-tientenrechten in Deutschland und im deutschsprachigenRaum nicht ganz so weit her zu sein, wie uns das hierimmer dargestellt wird.
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in 83-jähriger blinder Mann kommt zu einer Untersu-hung ins Krankenhaus. Dort erleidet er einen Kreislauf-usammenbruch und wird stationär aufgenommen. Nachinigen Untersuchungen wird er entlassen und mit ei-em Krankenwagen nach Hause gebracht: allein, imP-Hemd und noch mit der Infusionsnadel im Arm.Dieses Ereignis ist einfach mehr als ein Fehler, denenschen nun einmal machen. Für mich ist das Aus-ruck eines Gesundheitswesens, das immer mehr voner Ökonomie beherrscht wird, in dem der Patient nichtehr ein leidender Mensch ist, dem zu helfen ist, son-ern so etwas wie ein Werkstück, das im Fließbandtaktie Fabrik durchläuft, und in dem die Pflegenden undehandelnden immer mehr zu selenloser und entwürdi-ender Fließbandarbeit gezwungen werden.Die Linke setzt sich deswegen für ein Gesundheits-esen ein, das allen Menschen barrierefrei und unabhän-ig von ihrem Einkommen eine gute medizinische Ver-orgung garantiert. Ich finde es ganz wichtig, dass dieahrung ihrer Würde und Selbstbestimmung dabei stär-er als bisher in den Mittelpunkt gerückt wird.
Die derzeitigen Rechte für Patientinnen und Patienten ich glaube, darin sind wir alle uns einig – finden sich inielen Einzelgesetzen wieder, und vieles ist gar nicht ge-etzlich geregelt, sondern ergibt sich nur aus der Recht-prechung.
h glaube, die Patientinnen und Patienten haben denerichten in Deutschland in den letzten Jahren tatsäch-ch mehr zu verdanken als der Politik.Der Antrag mit dem Titel „Für ein modernes Patien-nrechtegesetz“, den die SPD hier vorgelegt hat, hat jachon vor einem Monat seinen ersten Geburtstag gefei-rt.
Er kann also schon fast laufen. Er enthält einige rich-ge und wichtige Gedanken – das möchte ich auch un-rstützen –, wie den Entschädigungsfonds und die Re-ulierung der sogenannten IGeL. Man merkt ihm aberoch noch ein bisschen seine Entstehungsgeschichte an.Gleich zu Beginn der Legislaturperiode haben Sie ihnilig aus dem zusammengezimmert, was Sie in der ge-einsamen Regierungsarbeit mit der CDU/CSU liegen-ssen mussten. Die Linke – auch ich – kann sicher mitnen mitgehen, wenn Sie fordern, die Rechte der Patien-nnen und Patienten zusammenzufassen und zu stärken.
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Kathrin Vogler
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Ich kann es mir aber nicht verkneifen, Sie daran zu erin-nern, dass Sie bis 2009 die Verantwortung für das Justiz-und das Gesundheitsministerium hatten. Insofern stelltsich die Frage, warum Sie damals nicht eine der Maßnah-men durchgesetzt haben, die Sie jetzt von Schwarz-Gelbfordern.
Meiner Ansicht nach hätten Sie die 13 Monate Liege-zeit dafür nutzen können, den Antrag nachzubessern undkonkreter zu machen; denn bei der Anhörung im Ge-sundheitsausschuss sind seitens der Patientinnen- undPatientenorganisationen einige gute Impulse gekommen.Das haben Sie leider versäumt. Deswegen und wegendes völlig überzogenen Eigenlobs in der Einleitung musssich die Linksfraktion leider in der Abstimmung enthal-ten.Es gibt aber erhebliche Schnittmengen zwischen un-seren Auffassungen. Ich könnte mir vorstellen, dass wirdann, wenn die Regierungsfraktionen ihren schon langeangekündigten Gesetzentwurf vorlegen, gemeinsam un-sere Alternativvorschläge formulieren.Die von der Bundesregierung vorgelegten Eckpunktezum Patientenrechtegesetz lassen befürchten, dass derlang und breit angekündigte Entwurf nicht die nötigeWeite haben wird und nicht mehr als ein kleiner Hopserwird: kein Satz zum Entschädigungsfonds, kein Ge-danke an Beweiserleichterung. Lediglich den Kranken-kassen wollen Union und FDP neue Lasten auferlegen.Ich fand es schon symptomatisch, dass Sie in der An-hörung die anwesenden Patientenvertreter fast völlig ig-noriert haben. Was sie zu sagen hatten, schien für Sievöllig uninteressant zu sein.Ich komme zum Schluss. Liebe Kolleginnen und Kol-legen von der Koalition, machen Sie es sich bitte nichtso einfach. Wenn man etwas im Sinne der Menschen er-reichen will, muss man sich eben auch manchmal mitLobbygruppen anlegen.
Wenn Ihnen dazu der Mut fehlt, dann überlassen Sie dasRegieren bitte anderen. Denn Regieren ist nichts fürFeiglinge.
Das Wort hat die Kollegin Klein-Schmeink für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge-ehrte Präsidentin! Ich will jetzt etwas tun, was vor mirgar nicht so viele getan haben, nämlich tatsächlich aufden vorliegenden Antrag eingehen. Wir reden ja heuteüvnsrepteracmsSPbb–dcisbdliBufecusddhvgUsSdmtefeBaKtibun
Genau. Das können Sie gerne bestätigen. – Denn inem Antrag werden verschiedene Aspekte angespro-hen, zum Beispiel die Frage, was an Information nötigt, welche Unterstützung im Verlauf der Leistungser-ringung gegeben sein muss und was an Fehlervermei-ungskultur und Qualitätssicherungssystemen erforder-ch ist. Er geht darauf ein, was nötig ist, um dieehandlungssituation insgesamt sicherer zu machen,nd welche Unterstützung diejenigen brauchen, die Op-r eines Behandlungsfehlers geworden sind, aus wel-hen Gründen auch immer er gemacht worden ist.Von daher ist dem Antrag Respekt zu gewähren. Vonnserer Seite heißt das nicht, dass wir alle Punkte ab-chließend behandelt finden. Es gibt etliche Positionen,ie wir gerne genauer gefasst hätten, und Etliches isturch den Lauf der Ereignisse längst erledigt. Die unab-ängigen Beratungsstellen müssten aus unserer Sichtiel stärker ausgebaut werden, wenn wir dem Ansprucherecht werden wollten, tatsächlich für Information undnterstützung von Patienten auf gleicher Augenhöhe zuorgen.
o viel zum Antrag.Jetzt komme ich zu dem, wofür Sie von der Koalitionen heutigen Tag auch genutzt haben, nämlich das ge-einsam vereinbarte Grundlagenpapier für ein Patien-nrechtegesetz vorzustellen und auch ein bisschen zuiern. In der Tat gebührt dem Patientenbeauftragten derundesregierung insofern ein Lob,
ls dass er es geschafft hat, ein Stück weit über Ihreoalitionsvereinbarung hinauszugehen. In Ihrem Koali-onsvertrag steht nur, dass Sie die geltenden Rechteündeln wollen. Herr Zöller hat aufgrund des Kontaktesnd der Auseinandersetzung mit Patientenorganisatio-en dafür gesorgt, dass auch Bereiche, die ursprünglich
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Maria Anna Klein-Schmeink
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nicht Bestandteil Ihres Papieres waren, einbezogen wer-den, Bereiche, die auch im SPD-Antrag berücksichtigtwerden.Gleichwohl will ich an dieser Stelle auf einen beson-deren Unterschied hinweisen. Sie sprechen in IhremKoalitionsvertrag nicht von einem Patientenrechte-gesetz, sondern von einem Patientenschutzgesetz. Diesereigentlich sehr engen Auffassung werden Sie aber mitdem Grundlagenpapier in keiner Weise gerecht; dasfinde ich schon erstaunlich.Schauen wir uns an, welche Vorschläge Sie für eineFehlervermeidungskultur machen. Sie setzen im Bereichder Patientensicherheit auf freiwillige Anreize, die heutein 900 Krankenhäusern schon bestehen. Aber es gehtjetzt darum, das Recht des Patienten auf eine sichere undgute Versorgung so festzuschreiben, dass in allen Kran-kenhäusern und Praxen bestimmte qualitätsgesicherteund risikogeprüfte Verfahren eingehalten werden.
Keiner von uns steigt in ein Flugzeug, ohne darauf zuvertrauen, dass zuvor ein Sicherheitscheck durchgeführtwurde. Auch Patienten haben Anspruch auf einen sol-chen Check. Das muss rechtsverbindlich geregelt wer-den.
Wenn es darum geht, Patienten zu ihrem Recht zuverhelfen, wenn sie Opfer von Behandlungsfehlern ge-worden sind, bleiben Sie weit hinter dem zurück, was ei-gentlich notwendig wäre. Sie versuchen zwar, die Recht-sprechung ein Stück weit in Recht zu fassen, machen dasaber handwerklich so schlecht, dass die Patienten letzt-endlich schlechter gestellt werden. Da müssen Sie drin-gend nachlegen und korrigieren. Wir werden den Ge-setzgebungsprozess und den Diskussionsprozess nutzen,um auf diese Mängel hinzuweisen.
Frau Kollegin!
Ich nehme gerne das von Ihnen unterbreitete Angebot
an, Herr Rüddel, gemeinschaftlich an einer Verbesserung
zu arbeiten. Sowohl der vorliegende SPD-Antrag als
auch der Antrag, den wir in Kürze einbringen werden
und der weitere qualifizierte Vorschläge beinhalten wird,
und auch Ihr Grundlagenpapier werden Grundlage wei-
terer Diskussionen sein. Heute haben wir sicherlich nicht
das letzte Mal darüber diskutiert.
Nächster Redner ist der Kollege Dietrich Monstadt
für die CDU/CSU-Fraktion.
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er Patientenbeauftragte der Bundesregierung,olfgang Zöller, hat nach gründlicher Vorarbeit undach umfangreicher Abstimmung mit allen Betroffenenie Grundlagen dieser gesetzlichen Regelung am2. März vorgestellt.
em Patientenbeauftragten der Bundesregierung ge-ührt Dank, dass er das Projekt in die Hand genommen,s engagiert koordiniert und mit über 300 Verbänden be-prochen hat. Es war im Übrigen richtig, zuerst mit denerbänden, mit allen potenziell Betroffenen zu sprechennd eben nicht ein wohlklingendes Papier an den Anfangu stellen.Anlass unserer heutigen Debatte ist ein Antrag derPD. Es ist nicht alles falsch, was darin steht. Aber be-ogen auf diesen Antrag ist manches differenzierter zuetrachten und manches überholt. Überholt ist etwa dieorderung, die Modellvorhaben der Unabhängigen Pa-entenberatung, UPD, auf Dauer abzusichern; denn das,rau Kollegin, haben wir bereits im letzten Jahr mit demMNOG getan. Die UPD gehört jetzt zur gesetzlichenegelversorgung.Wir wissen, dass Patientenrechte heute an vielen un-rschiedlichen Orten geregelt sind: in Gesetzen, Richtli-ien, Berufsordnungen und in Bundesmantelverträgener Selbstverwaltung. Viele Details sind durch dieechtsprechung ausgestaltet worden. Wir sind uns einig der Bewertung, dass im Interesse von Patientinnennd Patienten mehr Transparenz hergestellt werdenuss. Wer wie ich als Rechtsanwalt in der Praxis Man-anten in medizinrechtlichen Haftungsauseinanderset-ungen betreut hat, kennt die Situation, dass der Laie dieerfahrensabläufe in der Regel nicht mehr überblickenann bzw. dass er sie überwiegend nicht versteht. Dieseituation wollen wir verbessern.Grundlage jeder ärztlichen Behandlung ist der Be-andlungsvertrag, der bisher nicht ausdrücklich gesetz-ch geregelt ist. Heute kommt ein Behandlungsvertrageist mündlich oder auch konkludent zustande, indemich der Patient in die Behandlung begibt. Ein Vertrag inchriftform ist nur in besonderen Fällen vorgeschrieben.ie Pflichten des Arztes ergeben sich in diesem Zusam-enhang aus seiner Berufsordnung, dem Bundesmantel-ertrag Ärzte, dem Bürgerlichen Gesetzbuch und demGB V sowie gegebenenfalls aus der Gebührenordnung
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Dietrich Monstadt
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oder auch aus Hausarztverträgen. Künftig wird der Be-handlungsvertrag ausdrücklich im Bürgerlichen Gesetz-buch stehen, und es wird den Behandlungsvertrag nichtnur im Verhältnis zwischen Patienten und Ärzten geben,sondern auch im Verhältnis zwischen Patienten und an-deren Heilberufen wie Physiotherapeuten, Heilprakti-kern, Hebammen usw.Patienten sind verständlich und umfassend zu infor-mieren. Sie müssen auch auf Kosten für solche Heilbe-handlungen hingewiesen werden, die von den Leistungs-trägern nicht übernommen werden.Wirksamkeit erlangt ein solcher Vertrag nur dann,wenn über die zur Erstellung der Diagnose erforderli-chen Maßnahmen, über die Diagnose selbst und über dieTherapie aufgeklärt wurde. Nur dann gilt die Einwilli-gung des Patienten in die Behandlungsmaßnahme als er-teilt; ansonsten ist sie unwirksam.
Im Streitfall muss der Behandelnde die ordnungsgemäßeAufklärung des Patienten beweisen. Die im Wesentli-chen richterrechtlich geprägte Aufklärungspflicht unddie Dokumentationspflicht werden wir gesetzlich kon-kretisieren.Krankenakten sind vollständig und sorgfältig zu füh-ren. Dies kann unter Beachtung des Datenschutzes undder Datensicherheit auch elektronisch erfolgen. Ver-säumt die behandelnde Person ihre gesetzliche Doku-mentationspflicht, dann wird zu ihren Lasten vermutet,dass die nicht dokumentierte Maßnahme auch nicht statt-gefunden hat.Schließlich wird das Recht auf Akteneinsicht durchdie Patienten gesetzlich abgesichert. Patienten steht dasRecht zu, Einblick in die Patientenakte zu nehmen unddiese – auf eigene Kosten – zu kopieren. Wir wollen Pa-tienten besonders schützen, wenn die Akte nicht heraus-gegeben wird. Damit wollen wir keine Belastung oderGängelung zum Beispiel der Ärzte einführen, sondernklare Vorgaben setzen, die das Vertrauen zwischen Arztoder in anderen Heilberufen Tätigen und Patient ent-scheidend stärken können und sollen.In Haftungsprozessen geht der Streit häufig darum, obein Behandlungsfehler ursächlich für einen Schaden ist.Hier werden wir im Interesse der Patienten mehr Rechts-sicherheit herstellen.
Wir werden eine differenzierte Regelung in das BGBaufnehmen und damit die von der Rechtsprechung ent-wickelten Ansätze zur Beweislast aufgreifen. Im Falleeines groben Behandlungsfehlers, der generell geeignetist, den Schaden herbeizuführen, wird vermutet, dass derFehler für den Eintritt des Schadens ursächlich war. Estritt eine Beweislastumkehr ein: Der Behandelnde kanndann den Beweis führen, dass sein Fehler nicht kausalfür den Eintritt des Schadens war.lubßm2ZsdBdegdDzrewpbgDDhdBznnEEgnWdK
Genau, Coesfeld nach vorn – und vor allen Dingenerlin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer genauugehört hat, hat festgestellt, dass im Jahr des Vertrauensoch nicht einmal die Koalitionspartner und -partnerin-en untereinander einig sind.
gal ob man von einem Positionspapier oder von einemckpunktepapier ausgeht – Herr Monstadt hat uns vor-etragen, was man alles will –: Entschieden ist nochichts.
er genauer hingeschaut hat, hat gesehen: Zwischen-urch gab es Kopfschütteln. Wir werden sehen, was dieoalition tatsächlich auf den Weg bringt.
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Mechthild Rawert
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Es ist gut, dass wir ein anderes Menschenbild habenals Sie, Frau Aschenberg-Dugnus. Wer Patienten aus-schließlich als Opfer beschreibt, greift zu kurz.
Wir wollen starke und mündige Patienten.
Nichtsdestotrotz ist es so: Wenn jemand ein Opfer vonBehandlungsfehlern geworden ist, dann gilt über denOpferschutz hinaus, dass dieser Mensch krank ist undunseres besonderen Schutzes bedarf. Daher ist es keinWiderspruch, hier von Opfern zu reden.Ich möchte einen anderen Aspekt aufgreifen, der imJahr des Vertrauens heute hier noch kaum eine Rolle ge-spielt hat; gleichwohl ist er Teil unseres Antrages. Wirhaben Sie, die Regierung, aufgefordert, zur Stärkung derPatientenrechte gegenüber Sozialleistungsträgern undLeistungserbringern etwas dazu beizutragen, dass derGriff ins Portemonnaie der Patientinnen und Patientenaufhört.
Wir beobachten einen sprunghaften Anstieg der soge-nannten IGeL-Leistungen, also eine ständige Auswei-tung der individuellen Gesundheitsleistungen. Wir redenhier von einem Markt, dessen Volumen mittlerweile von1 Milliarde Euro auf 1,5 Milliarden Euro angewachsenist. Der allergrößte Teil dieser Leistungen ist nicht not-wendig.Hier ist heute schon viel davon die Rede gewesen,wie wichtig Vertrauen ist, und zwar insbesondere imVerhältnis zu den Patientinnen und Patienten. Ich sageIhnen ganz klar: Die Ausweitung der sogenannten indi-viduellen Gesundheitsleistungen zerstört das für die me-dizinische Behandlung so wichtige Vertrauensverhältnis.
Der Glaube an die Leistungsfähigkeit und an die Zuver-lässigkeit unseres Gesundheitswesens wird erschüttert.Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassenerscheint minderwertig oder nicht ausreichend. Ich binauch ganz sicher, dass sich hiermit das ärztliche Berufs-bild ändert. Wir haben Sie aufgefordert, hierzu einen Be-richt abzuliefern. Sie sind bis dato leider Gottes untätiggewesen. Zuzahlungen, IGeL-Leistungen – die Bundes-regierung lässt den Griff in die Portemonnaies der Versi-cherten geschehen.Etwas anderes sei an dieser Stelle aus Zeitgründen nurerwähnt. Sie haben vorhin wieder die Qualität desAMNOG herausgestellt. Wo aber beweisen Sie, dass mitdem AMNOG eine Verbesserung der Arzneimittelver-sorgung hinsichtlich geschlechtsspezifischer Wirkungenerzielt wird?WgddInrüdreasmDatisWmAoKdred
er bestreitet, dass es geschlechtsspezifische Wirkun-en gibt, dem sage ich eindeutig, dass er sich insbeson-ere an der individuellen Gesundheit von Frauen versün-igt.
folgedessen würde ich mich an Ihrer Stelle nicht da-ber lustig machen, sondern zügig an die Arbeit gehen,amit der Aspekt „Gender-Medizin und geschlechterge-chte Gesundheitsförderung“ endlich Wirklichkeit fürlle in Deutschland wird.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
chusses für Gesundheit zum Antrag der SPD-Fraktion
it dem Titel „Für ein modernes Patientenrechtegesetz“.
er Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
uf der Drucksache 17/5227, den Antrag der SPD-Frak-
on auf Drucksache 17/907 abzulehnen. Wer stimmt die-
er Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? –
er enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung
it Mehrheit angenommen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 30 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Wolfgang Nešković, Harald Koch, Jan Korte,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Bekämpfung der Abgeordnetenbestechung
– Drucksache 17/1412 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Das ist
ffenkundig unstreitig. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der
ollegin Halina Wawzyniak für die Fraktion Die Linke
as Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Wir reden über Bestechung und Bestechlichkeit iner Politik. In unserem Grundgesetz heißt es:
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Halina Wawzyniak
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Die Abgeordneten … sind Vertreter des ganzenVolkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebundenund nur ihrem Gewissen unterworfen.So weit das geschriebene Wort. Doch wie sieht die Re-alität aus? Ganz genau kann dies vermutlich niemand sa-gen. Denn das, worüber wir heute reden, geschieht zu-meist im Dunkeln und eben nicht im Licht derÖffentlichkeit.Offiziell bekannt ist ein Fall, den das LandgerichtNeuruppin zu entscheiden hatte. Eine Investitionsgesell-schaft hatte einem Mitglied des Neuruppiner Stadtratesein persönliches Darlehen von 100 000 Euro angeboten,um von der Stadt eine Ausfallbürgschaft von 13,7 Mil-lionen Euro zu bekommen. Das Gericht sah darin einenStimmenkauf. Der Kauf von Stimmen bei Abstimmun-gen und Wahlen ist also strafbar. Das ist gut so; aber esreicht nicht aus. Denn auch in anderen Fragen gibt es ge-nug Motive und leider auch genug Gelegenheiten, Politi-kerinnen und Politiker mit Geld- und anderen Leistungendazu zu bringen, bestimmte Entscheidungen zu treffenoder eben nicht zu treffen.Auch wenn wir Linken sonst eher skeptisch sind, wasdie Erweiterungen des Straftatenkatalogs angeht, fordernwir an dieser Stelle genau dies. Wir wollen es in Bezugauf die Abgeordnetenbestechung nicht bei symbolischerPolitik belassen. Es kann nicht sein, dass allein der Kaufvon Stimmen bei Abstimmungen und Wahlen strafbarist, ansonsten aber jede Politikerin und jeder Politikersich kaufen lassen kann.
Der Ruf von Politikerinnen und Politikern ist nichtder beste. Wir alle müssen uns fragen, welchen Beitragwir dazu leisten, dass der Ruf nicht besser, sondern eherschlechter wird. Die Menschen haben das Vertrauen inParteipolitik verloren, nicht in Politik an sich. Wenn wirnicht aktiv daran arbeiten, Vertrauen in politische Pro-zesse wiederherzustellen, und wenn wir es versäumen,die Menschen daran zu beteiligen und mehr Transparenzherzustellen, dann gefährden wir die Demokratie.Viele Bürgerinnen und Bürger haben den Eindruck:Die Kleinen hängt man, und die Großen lässt man lau-fen. Diesen Eindruck können wir nicht mit guten Wortenentkräften. Hier sind Taten gefordert.
Deshalb haben wir diesen Gesetzentwurf vorgelegt.Wenn Abgeordnete dem Anspruch gerecht werden wol-len, den das Grundgesetz zu Recht aufstellt, dann dürfensie nicht korrumpierbar sein. Wenn sie sich doch kor-rumpieren lassen, dann muss das Folgen haben. Wir allehaben unser Mandat nur auf Zeit; aber in dieser Zeit sindwir – so sagt es die Verfassung – Vertreterinnen und Ver-treter des ganzen Volkes. Deswegen haben alle Men-schen, ob sie uns gewählt haben oder nicht, ein Anrechtdarauf, dass wir uns um einen gerechten Interessenaus-gleich bemühen und nicht die Interessen derjenigen ver-treten, die uns dafür Geld oder andere Annehmlichkeitenversprechen. Wenn wir das nämlich zulassen und als ge-geben hinnehmen, dürfen wir uns nicht wundern, wenndie anderen – also die große Mehrheit – sich ohnmächtigfürevWpWlaumWbGcIndstisKvsmnFdKZEsmgnswd
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So lautet eine allseits bekannte Strophe aus der „Moritatvon Mackie Messer“ von Bertolt Brecht.Mit ihrem Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Abge-ordnetenbestechung, im Übrigen im Großen und Ganzenein Aufguss aus der vorangegangenen Legislaturperiode,meint die Fraktion Die Linke wohl, Licht in ein ver-meintliches Dunkel zu bringen oder bringen zu müssen.Vielleicht ist es dort aber doch viel heller, als die Kolle-ginnen und Kollegen links von mir meinen. Denn hierim Deutschen Bundestag und in den anderen deutschenParlamenten steht man doch schon gleichsam im Lichte.Wir, die Abgeordneten, stehen mit unserem Tun undLassen im Lichte der Öffentlichkeit.Nach Art. 38 des Grundgesetzes sind wir grundsätzlichfrei und nur unserem Gewissen unterworfen. Aber seienwir ehrlich: Wir haben uns dabei stets auch eine – wennauch nicht verfassungsrechtlich definierte – Schranke zuvergegenwärtigen: die Öffentlichkeit. In unserer Repu-blik haben wir ein fein differenziertes und stark ausge-prägtes System öffentlicher Kontrolle der Politik. Sie be-ginnt in diesem Hause im parlamentarischen Widerstreitvon Regierungsfraktionen und Opposition, also auch eineForm der gegenseitigen Kontrolle. Sie setzt sich fortdurch Partizipation und Willensbildung in den Parteienund der Bevölkerung. Nicht zuletzt haben Presse und Me-dien eine machtvolle Kontrollfunktion inne.Alles das ist schlichtweg konstitutiv für unsere offeneGesellschaft. Missstände können, ohne dass Repressionbefürchtet werden muss, benannt werden, und je nachSchwere haben sie auch außerhalb von Wahlen und ge-richtlichen Verfahren unmittelbare Konsequenzen fürdenjenigen, der Fehlverhalten an den Tag legt. Beispieledafür gibt es genug.Das unterscheidet im Übrigen unsere Gesellschaftund ihre Verfassung auch deutlich von korruptionsanfäl-ligen politischen Systemen und Regimen, Systemen, diees auf deutschem Boden schon hinlänglich gegeben hat,Systemen, die es andernorts auch heute noch gibt.Was waren und sind deren Charakteristika? Einerseitssetzen sie oft auf Scheinlegalität. Formal waren und sindsolche Systeme oft sogar geradezu Weltmeister in derUmsetzung entsprechender Regeln und Konventionen.Ja, sie brauchen die formale Fassade geradezu, um sichden Anschein der Lauterkeit zu geben. Doch hinter die-ser Fassade herrschen Intransparenz und mangelnde öf-fentliche Kontrolle. Das zeigt vor allem eines: Es reichtnicht aus, wenn ein Staat formal über Rechtsvorschriftenzur Bekämpfung von Korruption verfügt. Es bedarf eineraktiven Zivilgesellschaft, die – wie eingangs beschrie-ben – über vielfältige Kontroll- und Einflussmöglichkei-ten verfügt.Ich bin froh, dass wir in einer solchen Gesellschaftund in einem solchen Staat leben. Ich bin froh, dass wirbei unseren Rechtsvorschriften bereits über einen hohenStandard verfügen. Ich bin froh, dass unsere Gesellschaftausreichend über unabhängige und öffentliche Institutio-nen und Instanzen verfügt, die auf Fehlverhalten auf-merksam machen und auch in strafrechtlicher HinsichtbfünEVVum–detrnläActevgLNdmimmfespkAShsflagw–zshs
s mag den Linken gefallen, nachdem ihre geistigenorväter einst schon dafür gesorgt haben, dass in derergangenheit so manches Gespenst hier und in Europamgegangen ist, nun auch den Teufel an die Wand zualen. Aber lassen Sie uns auf dem Teppich bleiben.
Ich bin sehr erstaunt darüber, dass gerade die SPD soarauf reagiert.
Der Gesetzentwurf konstruiert nun vor allem eines:ine vermeintliche Lücke, weil Abgeordnete und Amts-äger nicht gleich behandelt werden. Sie sind aber auchicht gleich. Schon an meinen Eingangsbemerkungensst sich ein entscheidender Unterschied zwischenmtsträgern der Exekutive und Abgeordneten festma-hen: Während die Ersteren einen klar umrissenen Pflich-n- und Aufgabenkreis haben, den sie weithin unbemerkton der Öffentlichkeit im Wege von Einzelentscheidun-en, also einzelnen Diensthandlungen, vollziehen, treffenetztere allgemeine Entscheidungen abstrakt-generelleratur für eine Vielzahl von Sachverhalten, und sie tunies öffentlich.Natürlich vertreten Abgeordnete dabei Interessen. Dasüssen sie sogar. Aus diesen Interessen formt sich dann demokratisch-parlamentarischen Prozess das allge-eingültige Recht. Interessengeleitetes Handeln und Öf-ntlichkeit sind dabei zwei einander bedingende undich gegenseitig korrektiv ausbalancierende Elementeolitischen Handelns. Das ist mithin ein Spannungsfeld,eine Frage; aber es ist eben auch ein Unterschied zummtsträger.Das alles ist bei jenen nämlich gerade nicht der Fall.ie vertreten keine Interessen. Sie müssen unparteiischandeln, allein orientiert an Recht und Gesetz. Sie müs-en das von anderen gesetzte Recht anwenden, unbeein-usst durch Versprechungen und Verlockungen. Schonllein deshalb lassen sich die Regelungen von Amtsträ-ern nicht einfach auf Abgeordnete übertragen. Esürde schlichtweg hinten und vorn nicht passen.
Wenn es also überhaupt Regelungsbedarf geben sollte und einen solchen müsste man sehr sorgfältig identifi-ieren –, dann ist es mit einem gesetzgeberischen Schnell-chuss, bei dem im Übrigen auch fraglich ist, ob er über-aupt den Vorgaben des Bestimmtheitsgebots Genüge tut,icherlich nicht getan. Das ist der Sache auch nicht ange-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. April 2011 11863
Ansgar Heveling
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messen, und der Schaden wäre hinterher weitaus größerals der Nutzen. Den Gesetzentwurf der Linken lehnen wirdaher ab.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die SPD erhält der Kollege Michael Hartmann
das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Wir leben in einer Zeit, in der in der öffentlichenWahrnehmung des politischen Betriebs auch hier in Ber-lin immer die Regierung im Vordergrund steht. Tatsäch-lich – gelegentlich muss man an diese vermeintlicheSelbstverständlichkeit erinnern – befinden wir uns aberin einem parlamentarischen Regierungssystem. Deshalbist es schon wichtig, dass wir unsere Selbstachtung alsParlamentarierinnen und Parlamentarier mit dem nötigenSelbstbewusstsein nach außen zeigen und unsere Kon-trollfunktion gegenüber der Bundesregierung in ausrei-chendem Maße wahrnehmen. Deshalb sollten wir uns,liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, nicht klein-machen. Wir sollten nicht selbst dem jeweils anderen un-terstellen, dass er der Gemeinte ist, wenn es um den Vor-wurf der Korruption oder der Bestechlichkeit geht.Vielmehr sollten wir auf Selbstheilungskräfte setzen undfür eine Selbsthygiene sorgen. Dazu bedarf es in der Tatklarer Regeln.Deshalb kann ich nicht verstehen, wieso Sie von denKoalitionsfraktionen bei dem, worüber wir hier heutedebattieren, von einem Schnellschuss sprechen. Wir re-den ja in Wirklichkeit über eine Konvention zum Kampfgegen Korruption, die von der UN beschlossen und vonder Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2003 unter-zeichnet worden ist, die wir aber bis zum heutigen Tagenicht ratifiziert haben. Es wird höchste Zeit, dass wirhier etwas tun, meine Damen und Herren!
Ich sage Ihnen auch, warum: Es geht nämlich nicht an– dabei will sich die SPD die Antworten gar nicht leichtmachen –, dass wir Abgeordnete immer wieder in denGeruch der Vorteilsnahme, des überbordenden Lobbyis-mus oder des Durchstechens oder gar der Korruption ge-raten.Es gibt aber leider immer wieder aktuelle Anlässe,diese Themen zu diskutieren. Ich verstehe vor diesemHintergrund nicht, wie diese Woche von der Kanzlerinentgegen § 3 des Normenkontrollratgesetzes eine Rich-terin des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes und einHerr, der Ihnen persönlich bekannt ist, sehr geehrterHerr von Klaeden – das scheint auch seine einzige Qua-lifikation zu sein –, nämlich der Vorsitzende der JU Nie-dersachsen, für den Normenkontrollrat benannt werdenkonnten. Das verstößt eklatant gegen das Gesetz undzgmzescsWas§AawgbSmdFuatumDssmDbDcPWevvmh
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zur Umset-ung der genannten UN-Richtlinie können wir zunächstinmal festhalten: Es gibt seit dem Jahr 1994 eine ge-etzliche Vorschrift, nämlich § 108 e des Strafgesetzbu-hes, die den Stimmenkauf verbietet. Das ist eine klaretrafrechtliche Norm.
ir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sindber der Meinung, dass diese Norm ausgeweitet und ver-chärft werden muss, meinethalben in Form eines108 f, der zumindest drei Kriterien umfassen muss:Erstens. Es muss erkennbar geworden sein, dass einbgeordneter sich bereit erklärt hat, entsprechend zugieren. Es muss also ein objektiver Beweis erbrachterden.Zweitens. Es muss eine Unrechtsvereinbarung vorlie-en, das heißt, eine Bindung gegenüber dem Vorteilsge-er muss festzustellen sein.Drittens. Es darf – das meine ich, wenn ich vonelbstbewusstsein und Selbstheilungskräften des Parla-ents rede – eine Verfolgung nur mit Ermächtigungurch die jeweilige Volksvertretung, also in unseremalle durch den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunitätnd Geschäftsordnung, erfolgen.
Der Antrag der Linken geht uns zu weit. Wir sindber durchaus bereit, Gespräche über die Grundstoßrich-ng zu führen; denn Abgeordnete sind parteiisch, sieüssen es sein.
emokratie funktioniert nämlich nur im Widerstreit ver-chiedener Interessen, die am Schluss über Mehrheitsbe-chlüsse zusammengeführt werden. Das heißt, parteiischüssen wir sein, käuflich dürfen wir aber nicht sein.eshalb müssen wir Regeln einführen.
Es gibt nun einmal nicht den über dem Wasser schwe-enden Abgeordneten. Wir sollten durch entsprechendeiskussionen und Debatten auch nicht jenen Affen Zu-ker geben, die so gerne das Bild vom unpolitischenolitiker zeichnen, der in ihrer Vorstellung das einzigahre und Gute verkörpert. Wir dürfen auch nicht durchigene Stellungnahmen und eigene Aussagen jenes Bildom verkommenen Abgeordneten bzw. Volksvertretererfestigen und vertiefen, der in verrauchten Hinterzim-ern Geldbündel entgegennimmt und dementsprechendandelt. Diesen gibt es nicht, allenfalls in schlechten Fil-
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men und vielleicht da und dort in den Köpfen mancherüberengagierter Staatsanwälte.
Bei all dem sollten wir nicht vergessen, das Vertrauenin politische Lösungen darf durch ein entsprechendesVorgehen, das sicherlich unabweisbar notwendig ist,nicht noch mehr erschüttert werden.Ich füge noch etwas anderes hinzu: Wo Korruptionbeginnt und wo sie endet, ist letztendlich nicht immer ju-dizierbar. Da sollten wir uns nichts vormachen. Dennletztlich geht es dabei auch um Charakterfragen. Des-halb ist eine kritische Öffentlichkeit genauso wichtig wieeine Verschärfung der entsprechenden Strafvorschriften.Es gilt nach wie vor: Die oberste Instanz für Abgeord-nete sind nicht die Gerichte, sondern die Wählerinnenund Wähler. Lassen Sie uns auf diesem mittleren Wegweitergehen und eine gemeinsame Lösung finden!
Der Kollege Jörg van Essen hat nun das Wort für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eswar auffällig, dass die Kollegin der Linken in ihrem Bei-trag kaum rechtliche Ausführungen gemacht hat. Sie hatzwar Vorwürfe, die in der Öffentlichkeit gegen Abgeord-nete erhoben werden, vorgetragen. Aber sie ist nicht aufdie Fragen, mit denen wir uns schon seit ganz langer Zeitbefassen – beispielsweise: Welche Möglichkeiten habenwir, das Ganze in einen Straftatbestand zu fassen? –, undauch nicht auf die Voraussetzungen für einen Straftatbe-stand, wie die Klarheit der Norm, eingegangen.
Sie hat allerdings nicht unterlassen, auf einen Vor-gang, der sich vor einiger Zeit im Europäischen Parla-ment abgespielt hat, hinzuweisen. Auch ich habe die Bil-der gesehen, die zeigten, wie ein Abgeordneter ausÖsterreich die Verhandlungen führte und sich für be-stimmte Dinge bezahlen lassen wollte.
– Das sehe ich genauso wie Sie, Herr Hartmann. Das isteine Schande.Auf der anderen Seite hat sich gezeigt: Kontrollefunktioniert.
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Es ist richtig, was hier gesagt worden ist: Wir stehenier unter schärfster öffentlicher Beobachtung, insbeson-ere was die Entgegennahme von gewissen Gefälligkei-n anbelangt. Ich weiß, wie streng Journalisten sind; sieelbst unternehmen eine von einer Firma gesponserteeise in den Süden, aber regen sich hier auf, wenn einolitiker mit dem Schiff eines Prominenten, beispiels-eise eines Industriellen, von einem zum anderen Uferines Sees gefahren wird. Wie gesagt: Kontrolle mussnktionieren. Ich habe ganz klar das Gefühl, dass daser Fall ist.
Ich war schon Anfang der 90er-Jahre Berichterstatter,ls wir damals den § 108 e in das Strafgesetzbuch einge-hrt haben. Es ist interessant: All diejenigen, die jetzteufassungen fordern, gehören Fraktionen an, die da-als zum gleichen Ergebnis gekommen sind wie wir,ämlich dass es eine wirklich vernünftige und fassbaretrafvorschrift über das hinaus, was wir in § 108 e StGBnter Strafe gestellt haben, nicht gibt.
ll die Argumente, die bisher vorgetragen worden sind,aben mich überhaupt nicht überzeugt.
Herr Kollege Ströbele, das Stichwort „die ganze Welt“abe ich erwartet. Im Gesetzentwurf der Linkspartei istas Beispiel China aufgeführt. Das chinesische Parla-ent hat, wie jeder von uns weiß, keinerlei Gestaltungs-öglichkeiten. Die heben die Hand für das, was die Re-ierung ihnen vorschlägt.
eshalb gibt es im chinesischen Parlament auch keiner-i Anlass, irgendjemanden zu irgendeinem Zweck zuestechen, weil man schon vorher weiß, dass er die Handeben wird. Deshalb ist es sehr „beeindruckend“, dassie das Beispiel China anführen.Mich hat gewundert, dass Italien nicht erwähnt wor-en ist; denn Italien wurde in der Vergangenheit immerls Beispiel genannt.
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Jörg van Essen
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Jeder, der sich einmal die Rechtswirklichkeit in Italienanschaut, weiß: Jedes Mal dann, wenn es für Regierendeund für Abgeordnete aus dem Regierungslager schwierigwird, wird ein neues Immunitätsgesetz verabschiedet.
Das macht deutlich: Wir sollten uns nicht an anderenorientieren, sondern wir sollten schauen, dass wir dasmachen, was nach deutschem Recht und gemäß unserenAnforderungen umsetzbar ist.
Ganz wichtig ist mir – das ist bisher nur am Randegestreift worden; der Kollege Heveling hat allerdingseinige Ausführungen dazu gemacht –, dass das, was unsaufgegeben wird, beispielsweise von den Vereinten Na-tionen, aber auch vom Europarat, keinen Unterschiedzwischen Amtsträgern und Abgeordneten macht, unddas ist falsch. Das ist sogar beweisbar falsch, lieber HerrKollege Ströbele;
denn der Bundesgerichtshof hat kürzlich noch einmalfestgestellt, dass Abgeordnete keine Amtsträger sind,und er hat gut begründet, dass das so ist. Ich kann eswiederholen: Das Abgeordnetenmandat ist ein freiesMandat.
Der Amtsträger ist ganz klar an das Recht gebunden, under ist verpflichtet, das völlig unparteilich anzuwenden.Jeder von uns ist aber Interessenvertreter. Es ist auch gutso, dass er das ist,
und zwar unabhängig davon, wo man politisch steht. Wirsind zum Beispiel die Vertreter der Interessen unsererWahlkreise. Ich habe beispielsweise einmal die Interes-sen meines Wahlkreises vertreten, als ich wusste, dassmeine Argumente für meinen Wahlkreis schlechter wa-ren als die des Kollegen aus dem Nachbarwahlkreis,
der eine bestimmte Institution in seinen Wahlkreis brin-gen wollte.
Das zeigt, wie schwierig es ist, gegeneinander abzugren-zen, was hinnehmbar ist und was nicht hinnehmbar ist.Ich habe es auch schon erlebt, dass mir jemand gesagthat: Sie bekommen meine Stimme, wenn Sie das durch-setzen. – Da wird mir etwas versprochen. Das ist genaudvawsdhgTUagdvSsNinpninlabsewrasremtunumBbAngue
ur in ganz wenigen Ausnahmefällen,
denen wir das Gefühl haben, dass es beispielsweiseolitische Gründe gibt, oder in denen es uns rechtlichicht überzeugt, halten wir es an. Aber es gibt ja Länder, denen es überhaupt keine Strafverfolgung gibt, so-nge man im Parlament ist. Im Europaparlament ist daseispielsweise so. Deshalb gibt es da auch keinerlei Ver-uchung, jemanden mit entsprechenden Vorwürfen inine Ecke zu stellen. Auch das ist für mich ein sehrichtiger Gesichtspunkt dafür, dass wir ganz streng da-uf achten müssen, dass das, was gegebenenfalls ge-etzlich kodifiziert ist, auch den Ansprüchen des Straf-chts genügt. Wenn man diesen Ansprüchen folgt, mussan sagen: Das, was die Linkspartei hier vorgelegt hat,t das ganz offenkundig nicht, beispielsweise indem sieicht gemerkt hat, dass zwischen Gemeindevertreternnd Abgeordneten ein Unterschied besteht. – Das sollteeine letzte Bemerkung sein.Vielen Dank.
Jerzy Montag hat nun das Wort für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die De-atte darüber, ob eine Regelung über die Strafbarkeit derbgeordnetenbestechung eingeführt werden sollte odericht, wird in diesem Haus seit Jahren, über mehrere Le-islaturperioden hinweg geführt. Ich empfinde sie alsnwahrhaftig und in einem wirklichen Wortsinn auch alsrbärmlich. Ich will diese harten Vorwürfe untermauern
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Jerzy Montag
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und deren Richtigkeit unter Beweis stellen, indem ichnoch einmal die Geschichte der Entscheidungen von in-ternationalen Organisationen und der StellungnahmeDeutschlands dazu aus den letzten Jahren rezitiere.Ich fange mit der OECD, der Organisation für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, an. DieOECD hat am 21. November 1997 ein Übereinkommenüber die Bekämpfung der Bestechung ausländischerAmtsträger im internationalen Geschäftsverkehr verab-schiedet. Die Bundesrepublik Deutschland hat diesesAbkommen am 21. November 1997, am Tag der Verab-schiedung, unterzeichnet. Bereits ein Jahr später, am10. September 1998, hat dieser Bundestag – da hatSchwarz-Gelb regiert – ein Gesetz verabschiedet. Darinheißt es:Wer in der Absicht, … einem Mitglied eines Ge-setzgebungsorgans eines ausländischen Staates …einen Vorteil … als Gegenleistung dafür anbietet,verspricht oder gewährt, dass es eine mit seinemMandat oder seinen Aufgaben zusammenhängendeHandlung oder Unterlassung künftig vornimmt,wird … bestraft.Herr Heveling, Herr van Essen, da hatten Sie keine Be-denken mit der Klarheit der Norm. Da war alles ganzklar. Innerhalb von neun Monaten hatten Sie eine Straf-vorschrift, ohne jegliche Bedenken; denn es ging nur umdie ausländischen Abgeordneten und nicht um uns sel-ber.
Der nächste Punkt. Europarat in Straßburg, 21. Januar1999: Das Strafrechtübereinkommen über Korruptionwird verabschiedet. Die Bundesrepublik Deutschland istdabei. Am gleichen Tag, am 21. Januar 1999, unter-schreibt die Bundesrepublik Deutschland dieses Straf-rechtübereinkommen.
In diesem Übereinkommen wird dargelegt, welche exis-tenzielle Bedeutung die Korruption für demokratischeRechtsstaaten hat: eine Bedrohung der Rechtsstaatlich-keit, der Demokratie, eine Bedrohung der Menschen-rechte. Wortwörtlich heißt es in diesem Übereinkommenals Aufforderung:Jede Vertragspartei … stellt das unmittelbare odermittelbare Versprechen, Anbieten oder Gewähreneines ungerechtfertigten Vorteils an … ein Mitgliedeiner Vertretungskörperschaft, die Gesetzgebungs-oder Verwaltungsbefugnisse ausübt, … unterStrafe.Das haben wir unterschrieben. Inzwischen ist diesesÜbereinkommen von 43 Staaten der OECD ratifiziert.Wir tragen die rote Laterne und gehören heute noch zuden letzten sieben Staaten, die es immer noch nicht rati-fiziert haben. Das finde ich peinlich, oberpeinlich sogar.GRInstedddHsdp–kSMEreinddbgDpwteAlahsjeres
Der nächste Punkt. Im Dezember 2000 beschließt dieeneralversammlung der Vereinten Nationen, an einemechtsinstrument gegen Korruption zu arbeiten. Diesesstrument wird am 9. Dezember 2003 in Mexiko verab-chiedet. Wer ist dabei? Am 9. Dezember 2003, am ers-n Tag, unterzeichnet die Bundesrepublik Deutschlandieses UNO-Übereinkommen. Auch dort heißt es, dassie Korruption keine begrenzte Angelegenheit ist, son-ern eine Erscheinung, die alle Gesellschaften – Herreveling, „alle Gesellschaften“, das haben wir unter-chrieben –, also auch unsere Gesellschaft, betrifft undie bekämpft werden muss. Wozu haben wir uns da ver-flichtet? Zitat:Jeder Vertragsstaat stellt das unmittelbare oder mit-telbare Versprechen, Anbieten oder Gewähren einesungerechtfertigten Vorteils an Personen, die durchWahl ein Amt in der Gesetzgebung innehaben,also keine Amtsträger, sondern Mandatsträger –unter Strafe.Wie viele Staaten dieser Welt haben dieses Überein-ommen ratifiziert? 151. Nicht ratifiziert haben: Syrien,audi-Arabien, der Sudan, Myanmar und Deutschland.eine Damen und Herren, das ist oberpeinlich.
s ist peinlich, dass wir – und zwar nicht die Bundes-gierung, sondern wir als Parlament – uns Jahr um Jahr die Reihe dieser Staaten stellen.
Wir halten Sonntagsreden – verzeihen Sie, wenn ichas so sage – wie die, die Sie heute gehalten haben, überen Stand der Gesellschaft und unseres Landes. Sie ha-en das ja richtig beschrieben. Wenn es dann aber darumeht, das Ganze mit Fleisch zu füllen, dann kneifen Sie.as ist eine peinliche Situation, in die Sie die Bundesre-ublik Deutschland im internationalen Rahmen bringen.Wir sind von der OECD aufgefordert, ja sogar gerügtorden, bis zum 30. Juni 2011, also in wenigen Mona-n, endlich eine Verschärfung des Straftatbestandes derbgeordnetenbestechung vorzulegen.Zum Schluss sage ich: Wir haben in der letzten Legis-turperiode einen Gesetzentwurf vorgelegt. Dieses Vor-aben ist unter anderem an den Sozialdemokraten ge-cheitert. Ich danke Ihnen ausdrücklich dafür, dass Sietzt eine andere Position dazu einnehmen.
Herr Kollege.
Wir werden mit allen diskutieren. Wir werden unse-n Gesetzentwurf wieder vorlegen. Wir warten auf bes-ere Vorschläge. Wir werden uns über die Formulierun-
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Jerzy Montag
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gen noch einmal unterhalten. Ich möchte, dass alleFraktionen gemeinsam zu einem Ergebnis kommen. Ei-nes ist aber nicht akzeptabel: dass wir weiterhin nichtsmachen.
Nun hat der Kollege Siegfried Kauder das Wort fürdie CDU/CSU-Fraktion.
Siegfried Kauder (CDU/CSU):Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Die folgende Situation kommt in diesem Haus schoneinmal vor: Jemand, der im Jahr 2008 den Petitionsaus-schuss angeschrieben hat, weil ihm etwas nicht passte,bekam eine Antwort. Im Jahr 2011 kommt er mit demgleichen Anliegen aber noch einmal. Dann schreibenwir: Sie haben vor vielen Jahren auf diese Frage eineAntwort bekommen. Eine nochmalige Antwort werdenSie von uns nicht bekommen. Wir bitten um Verständnis.Fairerweise muss ich sagen, dass die KolleginWawzyniak im Jahr 2008, als wir in diesem Hohen Hausüber das Thema „Abgeordnetenbestechung“ diskutierthaben, noch nicht im Deutschen Bundestag war. Deswe-gen gehe ich auf das Thema noch einmal ein.Meine Damen und Herren, wir sind Abgeordnete, freigewählte Abgeordnete, dem ganzen Volk verpflichtetund nur unserem Gewissen verantwortlich.
Wir sind keine Beamten. Wir sind keine Amtsträger;denn der Amtsträger ist an Vorschriften gebunden, under ist auch ersetzbar. Wenn er krank ist, vertritt ihn einanderer. Den Kollegen van Essen kann niemand vertre-ten, wenn er nicht da ist.
Als Abgeordneter kann nur er in Person handeln.
– Sie wissen genau, warum ich den Kollegen besondersgerne erwähne. – Deswegen ist ein Bundestagabgeord-neter anders zu beurteilen als das Mitglied eines Ge-meinderates.
Frau Kollegin Wawzyniak, gehen Sie nach Hause underzählen Sie den in Ihrem Wahlkreis in Gemeinderätenund Kreistagen ehrenamtlich politisch Tätigen, dass Sieihnen in Zukunft zur Kontrolle den Staatsanwalt auf diePelle schicken wollen. Das kommt gut an.mSmScminlawbSDFßsuDAmteDnWssvAdhDtrs
In Ihrem Gesetzentwurf ist auch der Vertreter im Ge-einderat einbezogen.
ie differenzieren nicht einmal zwischen einem Parla-entarier und einem Gemeinderatsmitglied. Überlegenie sich genau, was Sie mit Ihrem Gesetzentwurf errei-hen wollen.Wir wollen nicht, dass der Staatsanwalt hier im Parla-ent auftaucht, wo dann das passiert, was vielen Ärzten Deutschland widerfahren ist. Man hat sie ins Messerufen lassen. Es gab den Vorwurf der Korruption, ob-ohl sie nur pflichtgemäß Drittmittel eingeworben ha-en. Statt ein Dankeschön zu bekommen, kam dertaatsanwalt, und es wurden Freiheitsstrafen verhängt.as musste der Bundesgerichtshof richten. Dort gab esreisprüche. Als Gesetzgeber haben wir uns nicht bemü-igt gefühlt, zu helfen. Wir wären gut beraten, auf die-em Gebiet einmal etwas zu tun.
Wir wollen nicht wie Amtsträger behandelt werden,nd wir dürfen auch nicht so behandelt werden.
as ist der Webfehler dieser UN-Konvention. Schon dernsatz stimmt nicht. Wer sagt: „Der Parlamentarieruss behandelt werden wie ein Amtsträger“, der schei-rt schon im Ansatz.
eswegen sage ich Ihnen: Wir werden das Anliegen soicht weiterverfolgen.
ir dürfen nicht rein formaljuristisch argumentieren undagen: Bloß weil andere Staaten ins Messer gelaufenind, tun wir das auch.
Schauen Sie nach Österreich. Die Österreicher habenersucht, dieses Dilemma zu lösen. Sie behandeln denbgeordneten wie einen Amtsträger und führen dannazu aus: Aber wie ein Amtsträger ist er nur dann zu be-andeln, wenn er abstimmt im Parlament, wenn es uminge geht, die die Geschäftsordnung im Parlament be-effen. – Man hat also einen Umweg versucht, um die-em UN-Abkommen formaljuristisch beitreten zu kön-
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Siegfried Kauder
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nen, dessen Ziel aber nicht herbeiführen zu müssen. Siesehen daran, dass das so nicht funktioniert. Daher sindwir lieber ehrlich und sagen, dass wir dieser Konventionnicht beitreten. Wir werden sie nicht unterschreiben.
– Es ist unterschrieben, aber nicht ratifiziert.
Sie merken selbst, dass Ihr Gesetzentwurf so, wie Sieihn konstruiert haben, nicht funktionieren kann, FrauKollegin.
Sie versuchen nämlich, den Sachverhalt mit der Ver-werflichkeitsklausel, die Sie § 240 StGB, Nötigung, ent-nommen haben, einzufangen. Das ist sehr wohl zu er-kennen.Parlamentarismus lebt von den Kontakten mit Lobby-isten und Interessenverbänden.
Wie wollen Sie das in den Griff bekommen? Was istnoch sozial verträglich, was ist politisch gemünzt, undwo fängt der strafbare Sachverhalt an?
– Nein, lieber Kollege Hartmann. – Das haben hochran-gige Juristen in der Großen Strafrechtskommission von1957 bis 1960 in zahlreichen Sitzungen immer wiederversucht. Lesen Sie es nach. Nach drei Jahren kamen siezu dem Ergebnis, dass sich politische Sachverhalte nichtso einordnen lassen wie eine Amtshandlung eines Amts-trägers.
Politik ist ein eigenes Geschäft. Kollege Montag, werargumentiert, dass ein Politiker nicht die Hand aufhaltendarf, der verkürzt doch den Straftatbestand der Beste-chung, der Bestechlichkeit.
Das wissen Sie als Jurist genauso gut wie ich. Wenn wirdiesen Straftatbestand, der vorgeschlagen wird, einfüh-ren, ist jeder Vorteil, den der Abgeordnete annimmt,schädlich.
Es gäbe keine Erheblichkeitsschwelle, sondern nur diesevorgesehene Klausel. Bei der Sozialadäquanz weiß kei-ner, wo es anfängt und wo es aufhört.sCwradDsdSDdwddoasSWsmg–ddCVdineKWsFfüd
Bitte schön.
Danke schön, Herr Präsident. – Herr Kollege Kauder,ürden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass das Europa-tsübereinkommen und auch die UNO-Vereinbarung,ie ich zitiert habe und die die Bundesregierung füreutschland unterschrieben hat, nicht von Vorteilenprechen, sondern von ungerechtfertigten Vorteilen? Iner Sprache der UNO und des Europarates ist das keintraftatbestand, sondern ein ungerechtfertigter Vorteil.
eswegen besteht sehr wohl die Möglichkeit – das wäreann sozusagen der Schweiß der fleißigen Juristenert –,
ass wir gemeinsam daran arbeiten, das in die Sprachees Strafrechts zu übersetzen, um die Vorteile, die Abge-rdnete und Mandatsträger annehmen dürfen – das stehtuch in unseren Richtlinien –, von denjenigen zu unter-cheiden, die tatsächlich verwerflich sind.Beantworten Sie doch meine schlichte Frage. Stellenie sich vor, dass jemand zu Ihnen kommt und sagt:enn Sie sich für mein Interesse in diesem Hause ein-etzen, in der Fraktion, in den Ausschüssen, wo auch im-er, wenn Sie in meinem Interesse handeln, lieber Ab-eordneter Kauder, bekommen Sie 100 000 Euro.
Nein, das ist nicht strafbar. – Was haben Sie dagegen,ass diese klaren Sachverhalte unter Strafe gestellt wer-en?
Siegfried Kauder (CDU/SU):Herr Kollege Montag, es geht doch um den Begrifforteil mit einem Zusatz, der nicht definierbar ist. Genauas ist das Problem. Sie bekommen das juristisch nicht den Griff. Ein Straftatbestand muss bestimmt sein. Istr nicht bestimmt, ist er nicht gesetzeskonform. Herrollege Montag, ich werde auch der Kolleginawzyniak ein bisschen weiterhelfen, was die juristi-chen Dinge anbelangt. Es gibt in einer wunderschönenestschrift für Rainer Hamm aus dem Jahre 2008 Aus-hrungen von Frau Regina Michalke zu diesem Thema;iese umfassen 17 Seiten.
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Siegfried Kauder
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Wer diese gelesen hat, ist bestens informiert, warum esso, wie die Linken es vorschlagen, nicht gehen kann.
Der Sachverhalt ist strafrechtlich nicht in den Griff zubekommen. Deshalb sollten wir dieses Vorhabenschlichtweg sein lassen.
– Herr Kollege Ströbele, das ist doch das dümmste Ar-gument, das Sie vortragen können.
Sie sagen: Alle machen es. – Wenn alle in den Brunnenspringen, springen wir dann hinterher?
Die Österreicher haben doch im Jahr 2009 erkannt, dassdie Vorschrift, so wie sie sie ausgestaltet haben, nichtfunktioniert.
Sie haben sie geändert, aber sie funktioniert noch immernicht; das hat der Kollege Heveling schon gesagt.In Deutschland ist der Druck viel größer als in allenanderen Ländern.
Wir brauchen keinen Straftatbestand.
Bei einem Politiker genügt schon der Verdacht, der An-schein,
und schon ist das Amt, das er hat, beschädigt.
– Auch bei anderen Personen gibt es den Anfangsver-dacht. Sie werden aber erst dann aus dem Amt gejagt,wenn sie strafrechtlich belangt worden sind.
DmnTDdWnissunHhcgmmlawsksusdNudekb
Ich sage zum Schluss: Ich möchte nicht, dass dieseshema in zwei Jahren wieder ansteht.
eswegen von meiner Seite – ich glaube, die FDP trägtas mit – eine ganz klare Ansage:
ir werden ein solches Gesetz nicht veranlassen und ei-em solchen Gesetz nicht zustimmen, weil es unsinnigt, niemandem nützt und nur dem Parlamentarismuschadet. Das machen wir nicht mit. Das können Sie vonns nicht verlangen.
Die Kollegin Christine Lambrecht ist die letzte Red-
erin zu diesem Tagesordnungspunkt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err van Essen, Sie haben die Kollegin Wawzyniak vor-in kritisiert, weil es von ihr keine ausführlichen rechtli-hen Bewertungen und Ausführungen zu diesem Themaegeben habe. Ich glaube, an den Anfang dieser Debatteuss man keine rechtlichen Ausführungen stellen. Sieüssten im weiteren Verfahren folgen. Was hier im Par-ment an erster Stelle stehen muss, ist die Aussage, dassir uns als deutsche Politiker gegen Bestechung und Be-techlichkeit wehren und dies auch strafrechtlich veran-ern wollen.
Ich will Ihnen eines sagen: Auf der Zuschauertribüneitzen junge Leute, die uns zuhören. Ich glaube, wenn siensere bisherige Debatte verfolgt haben, dann könnenie die Welt nicht mehr verstehen. Natürlich ist es so,ass Amtsträger und Politiker nicht vergleichbar sind.atürlich ist es so, dass Politiker interessengeleitet sindnd Interessen zu vertreten haben. Natürlich ist es so,ass man hier differenzieren kann. Man kann aber nichtinfach sagen: Weil zwischen Amtsträgern und Politi-ern zu unterscheiden ist, darf im Hinblick auf eine dereiden Gruppen kein Tatbestand eingeführt werden, der
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Christine Lambrecht
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Bestechung unter Strafe stellt. – Das dürfen wir nicht zu-lassen; denn auch dies führt zu Politikverdrossenheit.
Jetzt will ich zu einigen Sachargumenten kommen.
Herr van Essen, Sie haben gesagt, seit dem Zeitpunkt,als Sie den § 108 e StGB mit initiiert haben, habe es fürSie keine neuen Erkenntnisse gegeben.
Ich meine, wenn eine Staatengemeinschaft, bestehendaus 151 Staaten, sich darauf verständigt, nicht nur einesolche Erklärung abzugeben, sondern sie auch in denjeweiligen Parlamenten im Rahmen entsprechender Ge-setzgebungsverfahren zu verankern, dann ist das, wie ichfinde, durchaus ein Argument, das man nicht einfachvon der Hand weisen kann. Wo stehen wir denn? Wirwerden mit Staaten in eine Reihe gestellt, mit denen wirin anderen Zusammenhängen beim besten Willen nichtin einer Reihe stehen wollen.
Herr Kauder, wenn Sie sagen, all diese Staaten seienins Messer gelaufen, muss ich Ihnen entgegnen: Ichweiß nicht, wo Sie in den letzten Jahren gelebt haben.
Ich habe nicht mitbekommen, dass die Staaten, die ent-sprechende Regelungen umgesetzt haben, in große Kri-sen gestürzt sind.
– Herr van Essen, wir waren jahrelang Mitglieder des1. Ausschusses. Es ist doch nicht so, dass in anderenLändern, in anderen europäischen Ländern ein völlig an-deres Immunitätsrecht gilt.
Natürlich bestehen Unterschiede; aber es gibt auch Län-der, die ein Immunitätsrecht haben, das mit dem deut-schen vergleichbar ist.Es kann doch nicht wahr sein, dass wir nicht in derLage sind, ein solches Gesetz zu formulieren. Hier sitzenhervorragende Juristen; ich schaue jetzt bewusst in Rich-tung der Koalitionsfraktionen.
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Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir das hinbekom-en werden. Dafür muss allerdings die Voraussetzungrfüllt sein, dass man sagt: Jawohl, wir wollen gegen Be-techung vorgehen. – Das ist die erste Voraussetzung. Iniesem Zusammenhang habe ich von Ihnen gerade dieanz klare Ansage gehört, dass CDU/CSU und FDP da-n kein Interesse haben.
ir haben daran ein Interesse. Wir werden uns weiterhinit diesem Thema befassen, damit Deutschland nichtnger im Aus steht.
Jetzt noch zwei, drei Anmerkungen. Herr Montag, Sieaben gesagt, die SPD habe sich verweigert bzw. nichtitgemacht. Ich war in der 15. Wahlperiode schon dabei.
h war in diesen Arbeitskreisen, in denen Herr Ströbele,err Beck und auch Herr Montag saßen. Wir waren ganzurz davor, etwas umzusetzen.
amals ist eine verkürzte Wahlperiode dazwischenge-ommen. Das mag man beklagen, und man kann sichberlegen, wer dafür der Verursacher war. Nichtsdesto-otz haben wir damals sehr konstruktiv daran gearbeitet,in entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen.
ie haben da keine Verweigerungshaltung der SPD er-bt.
Ich glaube, wir sollten das niemandem vorhalten, weils nicht der Fall war, weil es in der SPD keine Verweige-ngshaltung gab.
Es gibt auch keine Verweigerungshaltung.
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Christine Lambrecht
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Deswegen werden wir uns in den nächsten Wochenund Monaten selbstverständlich konstruktiv einbringen,um ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das auf der einenSeite diesen Straftatbestand klar definiert, auf der ande-ren Seite aber auch dafür sorgt, dass wir als Parlamenta-rier arbeiten können. Ich sage das ganz bewusst. Ich warim Immunitätsausschuss. Ich habe da Fälle kennenge-lernt, wo Strafverfolgung stattgefunden hat, was zumTeil wirklich Fragen aufgeworfen hat. Aber da waren dieGesetze klar definiert. Nichtsdestotrotz gab es eineStrafverfolgung, nichtsdestotrotz haben Staatsanwälteeinen Anfangsverdacht ausgemacht. Deswegen kannman nicht argumentieren, so ein Gesetz bekämen wirhier nicht hin.
Frau Kollegin Lambrecht, darf Ihnen der Kollege
Kauder kurz vor Schluss dieser Debatte noch eine Zwi-
schenfrage stellen?
Die Gelegenheit lasse ich mir doch nicht entgehen.
– Das kann man so interpretieren, Herr Buschmann.
Siegfried Kauder (CDU/
CSU):
Frau Kollegin Lambrecht, wenn Sie fragen, ob es
nicht blamabel sei, dass so viele gute Juristen ein solches
Gesetz nicht hinbekommen, darf ich die Gegenfrage
stellen: Meinen Sie nicht, dass es blamabel wirkt, wenn
Sie hier vor der Bevölkerung auftreten und sagen, Sie
hätten es jahrelang versucht, aber nicht hinbekommen?
Nein, nein.
Siegfried Kauder (CDU/
CSU):
Sie haben es nicht hinbekommen, weil Sie es unterm
Strich genauso wenig für vertretbar halten wie wir.
2003 gab es die UN-Konvention, und wir haben es
tatsächlich nicht geschafft, bis Mai 2005 eine entspre-
chende Regelung auf den Weg zu bringen. Das war näm-
lich genau die Zeitspanne, die wir hatten.
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omentan – wie Sie vielleicht mitbekommen haben,
ielleicht bekommen Sie es aber auch nicht mit – sind
ir nicht in Regierungsverantwortung. Aber selbstver-
tändlich werden wir einen entsprechenden Gesetzent-
urf vorlegen. Dann bin ich gespannt, ob Sie sich zu-
indest auf konstruktive Beratungen einlassen.
Ich will nur deutlich machen: Ich glaube, es steht uns
icht gut zu Gesicht, wenn wir als Juristen sagen, dass
ir es zwar in vielen anderen Bereichen hinbekommen,
esetze und Straftatbestände genau zu definieren, dass
as aber nicht gilt, wenn es uns betreffen könnte.
ann strecken wir lieber gleich alle Waffen und sagen,
ass wir es nicht hinbekommen. Lassen Sie uns deshalb
it dieser Diskussion aufhören. Machen Sie mit, und
erweigern Sie sich nicht von vornherein. Lassen Sie
ns schauen, ob wir etwas Praktikables, etwas Umsetz-
ares auf den Weg bringen. Ich bin mir da ziemlich si-
her, denn ich kenne den Sachverstand der Kolleginnen
nd Kollegen.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-urfs auf der Drucksache 17/1412 an die in der Tages-rdnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – An-ere Vorschläge sehe ich nicht. Dann ist das soeschlossen.Ich habe zum Schluss einen Hinweis und eine Bitte.er Hinweis lautet wie folgt: Es kommt im parlamenta-schen Alltag nicht selten vor, dass ein Gesetzesvor-chlag aus beachtenswerten Gründen für die angestrebteroblemlösung nicht für geeignet gehalten wird und manich dennoch des Eindrucks nicht erwehren kann, dass esu dem Problem Klärungs- und vielleicht auch Hand-ngsbedarf gibt. Ich empfehle auch bei diesem Punkt,iese Differenzierung im Auge zu behalten.
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Präsident Dr. Norbert Lammert
(C)
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Nun zu der Bitte. Das Thema ist ganz offenkundigentschieden komplizierter, als es auf den ersten Blickaussieht.
Zumindest das ist in der Debatte deutlich geworden, dieneben offensichtlichen Unterschieden auch erkennbareÜbereinstimmungen in der Beurteilung dieser differen-zierten Sachverhalte deutlich gemacht hat. Weil hierzweifellos ein Zusammenhang mit dem Immunitätsrechtbesteht, könnte die Betrachtung dieses Zusammenhangsein Bestandteil der gemeinsamen Bemühungen in die-sem Themenumfeld sein.
Jede weitere Bemerkung verkneife ich mir, weil wirdie gute Tradition haben, dass sich amtierende Präsiden-ten nicht in Debatten einzumischen haben.
– Herr Kollege Hartmann, ich bedanke mich für denZwischenruf.
Deswegen habe ich das sorgfältigst vermieden.Wir sind damit am Ende der heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf Mittwoch, den 13. April 2011, 13 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einschönes und hoffentlich geruhsames Wochenende.