Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich erkläre die 61. Sitzung des Deutschen Bundestages für eröffnet und bitte den Schriftführer Herrn Abgeordneten Matthes, die Namen der abwesenden Mitglieder zu verlesen.
Es fehlen wegen Erkrankung die Abgeordneten Frau Dr. Gröwel, Lübke, Klabunde, Dr. Baade, Dr. Gülich, Bettgenhäuser, Bazille, Sander, Jacobs, Dirscherl, Frühwald, Frau Kalinke, Wittmann. .
Es fehlen entschuldigt die Abgeordneten Kahn, Fürst Fugger von Glött, Lenz, Albers, Even, Dr. Henle, Dr. Schmid , Dr. Suhr, Neumann, Frau Schroeder (Berlin), Henßler, Dr. Menzel, Kurl-
baum, Jacobi, Dr. Hasemann, Dr. Middelhauve, Dr. von Campe, Dr. Baumgartner, Dr. Besold, Reimann, Nuding, Müller , Vesper, Niebergall, Agatz, Paul (Düsseldorf), Dr. Wuermeling.
Außerdem fehlen die Mitglieder, die sich zur Zeit in den Vereinigten Staaten befinden.
Zur heutigen Tagesordnung habe ich folgende Mitteilungen zu machen.
Der Herr Bundeskanzler hat den Wunsch' ausgesprochen, das Haus moge von einer Beantwortung der unter Punkt 2a der heutigen Tagesordnung aufgeführten interpellation betreffend WatenstedtSaizgitter absehen, weil zunachst noch zu dem bekannten, in der Presse bereits veröffentlichten Schreiben des Herrn englischen Hohen Kommissars Stellung zu nehmen ist. Demgemäß hat der Ältestenrat heute früh beschlossen, die Punkte 2a und 2b von der Tagesordnung abzusetzen.
Ferner hat der Ältestenrat beschlossen, Punkt 6 der Tagesordnung, die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzverwaltung, abzusetzen, weil die Fraktionen noch nicht genügend Zeit zur Stellungnahme hatten. Die zweite und dritte Beratung des Gesetzentwurfs wird nächste Woche stattfinden.
Ferner höre ich soeben von den Herren Berichterstattern zu den unter den Punkten 8 und 10 der Tagesordnung aufgeführten Beratungsgegenständen über Einreisebeschränkungen in das Saargebiet und Rückgabe der deutschen Archive, daß der Rechtsausschuß gebeten hat, die Punkte 8 und 10 für heute abzusetzen, weil noch einige Fragen zu klären sind, und die Berichte zu den Materien unter den Tagesordnungspunkten 8 und 10 erst auf die Tagesordnung einer der Sitzungen in der nächstfolgenden Woche zu setzen.
Auf der anderen Seite wird die Tagesordnung ergänzt durch die erste Beratung des Entwurfes eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Internationalen Weizenabkommen, Drucksache Nr. 892, das unter Punkt 2 der heutigen Tagesordnung behandelt werden soll. •
Weiter möchte ich darauf aufmerksam machen, daß im Zusammenhang mit der unter Punkt 4 anstehenden ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Senkung der Tabaksteuer für Zigarren, Drucksache Nr. 856, die einschlägigen Anträge der Fraktionen, Drucksachen Nr. 865, 867, 868 und 885, mitbehandelt werden sollen.
Meine Damen und Herren! Wir setzen dann die Beratung des Punktes 7 der Tagesordnung vom vergangenen Freitag fort. Dieser Punkt gilt also als Punkt 1 der heutigen Tagesordnung:
Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Sofortmaßnahmen zur Behebung der Not der arbeits-, berufsund heimatlosen Jugend .
Sie wissen, daß neulich der Herr. Abgeordnete Berlin während seiner Rede einen Ohnmachtsanfall erlitten hat. Der Redner der Fraktion der CDU/CSU hat bereits gesprochen und die Redezeit der Fraktion erschöpft. Ich erteile nunmehr Herrn Abgeordneten Berlin für den Rest der ihm zur Verfügung stehenden Redezeit das Wort. Außerdem sprechen, um es gleich vorwegzuschicken, die bereits in der vorigen Sitzung gemeldeten Redner in der Reihenfolge ihrer Meldung: die Abgeordneten Kohl und Dr. Preiß.
Bitte, Herr Abgeordneter Berlin!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich das Hohe Haus um Entschuldigung bitten für die Störung, die ich in der letzten Sitzung verursacht habe durch einen Streich, den mir die Natur gespielt hat und für den ich letztlich nicht kann. Darüber hinaus möchte ich dafür danken, daß mir die Möglichkeit gegeben ist, heute meine Betrachtungen vor dem Hohen Hause abzuschließen, um die Stellungnahme der sozialdemokratischen Fraktion zu dieser außerordentlich wichtigen Frage zu bekunden.
Im Interesse eines abgerundeten Bildes, das ich in der letzten Sitzung zu malen versucht habe, halte ich es für notwendig, wenigstens die abschließenden Sätze meiner damaligen Ausführungen noch einmal zu zitieren. Ich sagte u. a.:
Wenn wir uns heute die Jugend anschauen und wenn wir die Zahlen des Berichterstatters eindringlich auf uns wirken lassen, dann, glaube ich, werden wir von den Menschen, die vor einigen Jahren die Auffassung vertreten haben, das Schicksal der Jugend in die Kasernen und auf die Schlachtfelder verlagern zu müssen, heute zu fordern haben, daß sie der Jugend Werkzeuge in die Hand geben, die dem Aufbau dienen. Jugend wird immer ein aufbauender Faktor sein. Diejenigen, die einst die Instrumente für die Zerstörung, die Instrumente für das Töten anderer Menschen geliefert haben, haben heute die Verpflichtung, dieser Jugend Hammer und Kelle und die Werkzeuge zu reichen, die dem Frieden, dem Aufbau und dem Leben dienen.
Anschließend an diese letzten Sätze möchte ich einige Worte aus der Feder des Jugenddichters Dahmen wiedergeben, weil diese Worte die ganze Problematik, alle Nöte und Sorgen umreißen. Er sagt:
Es ist nicht wahr, daß wir den Kopf verloren, Daß unser Geist sich nebelhaft verliert.
Wir sind noch da und stehen vor den Toren Und sind trotz . Schlamm und Sterben nicht
vertiert!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liegt in diesen Worten nicht der unbändige Wille der jungen Generation, mit dem gesunden Kopf und dem Gang durch das Tor mitzuwirken am Aufbau unseres zerschlagenen Volkes? Wir, haben alle miteinander die Aufgabe, die Tore zu öffnen, die in die Werkstätten, in die Fabriken, in die Arbeitsstätten führen, in denen aus der Gemeinschaft der schaffenden Menschen sich wieder jene Arbeitsethik entwickeln wird, die wir brauchen, wenn wir in der Zukunft eine gute Facharbeiterschaft haben wollen.
In diesem Zusammenhang ein paar Worte über den Begriff der Arbeit, von dem soviele Menschen nur die Seite der Last kennen. Ich bin der Auffassung, daß wir der Jugend den Weg für die Klärung dieses Begriffes „Arbeit" auf Grund eigenen Erlebens ebnen müssen. Sie ist ein Bestandteil unseres gesamten Lebens und nur durch verschiedene Entwicklungen der hinter uns liegenden Jahrzehnte zum Teil zu einem Fluch geworden. Die Jugend aber, die nach dem Tor verlangt, kann nicht eine Jugend sein, von der viele aus der älteren Generation oft sagen, sie sei
verdorben oder schlecht. Die Jugend hat immer ihre Werte, und ich bekenne mich zu ihr und möchte, daß dieser Appell auch von jedem einzelnen von Ihnen an die Jugend gerichtet wird. Nur auf dieser Basis werden wir aus den Kräften, die das Parlament und das gesamte Volk aufwenden, in Verbindung mit der eigenen Tatkraft der Jugend die Maßnahmen verwirklichen können, die in dem Antrag des Ausschusses für Jugendfürsorge vorgeschlagen worden sind. Es ist aber unvermeidlich, auf die grausamen Folgen hinzuweisen, die sich ergeben würden, wenn die Lösung der gegenwärtigen schwierigen Lage nicht gelänge.
Ich erwähnte schon, daß die Arbeitsstätten jene Stellen seien, in denen wir Menschen für die Zukunft heranbilden. Ich denke daran, daß wir in fünf, sechs Jahren, wenn es uns nicht gelingt, heute die Lehrlinge in die Werkstätten hineinzubringen, einen Mangel an Facharbeitern haben, der es unserer Wirtschaft in der Gesamtheit unmöglich macht, die Konkurrenz mit der andern Welt zu bestehen. Wir dürfen uns also hier nicht kurzsichtig verhalten, sondern müssen den Blick über die gegenwärtige Zeit hinaus richten.
Eine weitere außerordentlich große Gefahr droht uns in der Gesamtheit auf der sozialen Ebene. Ich erinnere an die Jugendkriminalität, die nicht zuletzt auch durch die Auswirkungen des Soldatseins entwickelt und hervorgerufen worden ist. Ich denke an das Wettrennen geradezu, das oft um den besten Meister auf dem Gebiete des sogenannten „Organisierens" veranstaltet wurde. Ist es verwunderlich, daß damals 18-, 19jährige junge Menschen später dieses „Organisieren" zu einem gewissen Bestandteil ihres alltäglichen Lebens machten? Und wenn wir da nicht durch die Arbeit, durch die Unterschiedlichkeit der Arbeitsstätte und der Familie, des Weckens jenes Sehnens von der Arbeit in das Haus diese Dinge überwinden, nun, dann werden wir sehr, sehr arge Belastungen in bezug auf die Unterfaltung der Anstalten, in die die Jugend geschickt wird, und in bezug auf die Unterhaltung von Gefängnissen ertragen müssen, die wir nicht für die Jugend haben möchten.
Aus dem Grunde bitte ich gerade auch bei dieser Angelegenheit, bei der Gefahr, die uns auf der sozialen Ebene droht, daran zu denken, wie hier die Folgen des Krieges sich noch außerordentlich hart zeigen.
In allerengstem Maße liegt da auch die Ebene des Kulturellen. Wo können wir von einem Haus sprechen, von einem Heim, wo können wir von jener Feinfühligkeit und von jenem Hingezogenfühlen reden, wenn hier der Junge und das Mädel, die ohne Arbeit sind, diese Unterschiedlichkeit nicht kennen? Die gesamte kulturelle Aufgabe, die die Jugend zu erfüllen hat, würde lahmgelegt werden, und nicht zuletzt wird die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Kampfes gegen Schmutz und Schund und des Schutzes der Jugend in der Öffentlichkeit von diesen Fragen in starkem Maße beeinflußt werden.
Weiterhin dürfen wir nicht übersehen, was werden würde, wenn diese heute 18- bis 25jährigen nicht in den nächsten Jahren die Möglichkeit haben, wenn sie entsprechend alt geworden sind, nun auch eine Familie zu gründen, jene Träger des Lebens zu werden, von denen so oft gesprochen wird und die wir alle bejahen.
Alles in allem sehen wir letztlich zusammengefaßt in diesen einzelnen Punkten die gesamte politische Gefahr, die dem Volke durch diese Verhältnisse droht; die politische Gefahr, bestehend darin, daß ein großer Teil der jungen Generation wieder zu politischen Landsknechten wird, die Gefahr, einem Radikalismus von rechts oder links zu verfallen und nicht mehr zu unterscheiden, was sinnvoll ist. Und wenn wir heute an manche Appelle denken, die auf der politischen Ebene an Teile der Jugend gerichtet werden, dann brauche ich in diesem Augenblick und in diesem Hause wohl nicht mehr dazu zu sagen. Setzen wir aber an die Stelle eines Verfallens in einen Radikalismus den Willen zur Toleranz durch die Jugend, dann, meine ich, werden wir auch ein Fundament verbreitern und festigen helfen, das dem Parlament und der Demokratie und dem Volke in der Gesamtheit dient.
Aus diesen Gesichtspunkten heraus hat die sozialdemokratische Fraktion seinerzeit den Antrag auf Durchführung von Maßnahmen für die notleidende Jugend gestellt. Die vorgeschlagenen Maßnahmen umfassen eine ganze Reihe von einzelnen Punkten. Ich möchte aber, ohne auf einzelne weiter einzugehen, noch betonen, daß eine Generallösung nur möglich ist, wenn es uns gelingt, aus der wirtschaftspolitischen Gestaltung moglichst bald und schnell zu einer Voltbeschäftigung aller Menschen in Deutschland zu kommen.
Dann wird auch die Jugend ihren Platz und wieder ihre Heimat linden una deshalb richte ich die Bitte an die verantwortlichen Ministerien, vor allen Dingen aber an den Herrn Wirtschaftsminister und den Herrn Arbeitsminister, unabhängig von der Debatte, die wir des öfteren schon über die wirtschaftspolitische Tendenz gehabt haben, ihr Augenmerk auch mit auf die Jugend zu richten und nicht irgendwie aus einem sturen Festhalten an einer einmal eingenommenen Haltung hier etwas falsch zu machen.
Darüber hinaus haben wir aus den Zahlen des Berichterstatters, des Kollegen Ribbeheger, gehört, daß gerade die weibliche Jugend einen so großen Anteil an der Gesamtzahl der jugendlichen Arbeitslosen einnimmt. Wir brauchen auch hier für diese Madel etwas anderes und mehr als den Beruf der Hausfrau, der zweifellos auch von mir und meinen Freunden bejaht wird. Wir brauchen nach der Veränderung des Verhältnisses der Geschlechter untereinander nach dem Kriege auch für die Mädel und Frauen die feste Berufsgrundlage. Die beste Aussteuer für das Mädel und die beste Lebenssicherung für jede Erscheinung, für jede Schwankung, für jede Erschütterung ist der Beruf. Deshalb muß weitestgehend die Möglichkeit genutzt werden, die Mädels in die Stellen, in die Lehrstätten zu bringen, die sich für sie am besten eignen.
Da ist die Frage der Lehrwerkstätten ein wichtiger Komplex. Wir haben bei verschiedenen Unternehmungen, vor allem bei der Bundesbahn, noch Lehrwerkstätten, die nicht voll besetzt sind. Soweit ich erfahren habe, hat auch die Kollegin Niggemeyer in ihren Ausführungen in der vorigen Woche schon darauf hingewiesen. Ich will das mit vollem Herzen unterstützen und die Regierung bitten, gerade die noch nicht besetzten Lehrstellen der vorhandenen Lehrwerkstätten im gesamten Bundesgebiet — und dabei möchte ich als einzige, als eine von den vielen Paderborn erwähnen — zu besetzen, auch auf die Gefahr hin, daß das im Augenblick eine gewisse finanzielle Belastung für den Bund bedeutet.
Daneben wünsche ich, daß das in, Frage kommende Ministerium auch auf dem Wege der Ge-
staltung des Jugendarbeitsschutzgesetzes schnellstens die Dinge vorantreibt, damit hier auf der Basis einer tragbaren Lösung Hemmnisse, die heute noch zum Teil in Kreisen der Handwerker bestehen, beseitigt werden und manche Lücke gefüllt wird, die heute noch in bezug auf die Erschließung von Lehrstellen vorhanden ist.
Auf dem gesamten Komplex dieser Betrachtungen möchten wir, daß die Regierung bei der Durchführung ihrer Maßnahmen nicht eine kleinliche und enge Haltung einnimmt, sondern daß sie selbst in der Erkenntnis, daß hier ein wichtiger Teil unseres Volkes zu, betreuen ist, eine großzügige und weitherzige Haltung einnehmen möge. Es geht nicht um eine tote Materie, sondern es geht hier um lebendige junge Menschen. Wir müssen zuerst diese Menschen sehen, und ihnen muß dann vor allem zuerst geholfen werden. Ich möchte hier zur Jugend mit all den Nöten, wie wir sie kennen, ja sagen und zu dem Bekenntnis von vorhin hier erklären, daß ich sie als das Bauvolk der kommenden Welt, unseres kommenden Deutschlands betrachte. Und diese Jugend ist nicht nur Bauvolk, sondern sie ist zugleich auch Sämann, und sie ist Saat und wird und muß eines Tages auch noch Schnitter dieser Saat sein.
Wenn wir uns aus diesen Gedanken heraus der Jugend als Freunde gegenüberstellen, dann, glaube ich, wird es niemanden hier im Hause geben, der sich abseits stellt oder der in irgendeiner Gleichgültigkeit über die Dinge hinweggehen könnte. Wir haben dem jungen Baum in unserm Volk — wenn ich es einmal so sagen darf —, der Jugend, einen Halt und ein Gebinde zu geben, damit dieser Baum im Sturm und Wirbel des Zeitgeschehens nicht zerbricht.
Meine Damen und Herren! Helfen Sie und hilf du, deutsches Volk, auf allen Gebieten in diesem unserm Garten des Volkes gegenüber der Jugend im wahrsten Sinne des Wortes Gärtner zu sein. Damit werden wir unserm geschlagenen Vaterlande dienen; damit werden wir unserm künftigen Europa dienen, das auch einzig und allein auf den Schultern der jungen Generation von morgen getragen werden kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohl. — Bitte 10 Minuten!
, Meine Damen und Herren!
haben den letzten Monaten haben wir Gelegenheit gehabt, wiederholt den bewundernswerten Optimismus des Herrn Arbeitsministers zu beobachten, der in der Frage der Arbeitslosigkeit versuchte, dem Problem eine gewisse Bagatellisierung angedeihen zu lassen. Daß dieser Optimismus angesichts der außerordentlich ernsten Lage, die besonders bei der Jugend stark in Erscheinung tritt, wirklich fehl am Platz war, das zeigt die Entwicklung in der gegenwartigen Zeit und zeigt, wenn nicht Einhalt geboten wird, auch die Entwicklung der kommenden Zeit. Niemand wird sich der Illusion hingeben, daß die Frage der Arbeitslosigkeit der Jugend in den nächsten Monaten und vielleicht Jahren gelöst werden kann, wenn wir die Dinge schleifen lassen. Kenner der arbeitsmarktpolitischen Verhältnisse stellen eindeutig fest, daß bis zum Jahre 1953 ein weiterer Zuwachs von zirka 40% arbeitsloser Jugendlicher vorhanden sein wird, deren Vorhandensein darin begründet ist, daß im Tausendjährigen Reich eine
Bevölkerungspolitik getrieben worden ist, deren Rechnung wir heute zu bezahlen haben. Wir hatten am 1. Oktober 1949 — ich möchte diese Zahl annehmen, da sie authentisch ist — in Westdeutschland 510 000 Jugendliche beiderlei Geschlechts, die elternlos und beruflos waren. Bei den damals 1,8 Millionen Arbeitslosen betrug der Anteil an Jugendlichen schätzungsweise etwa 600 000. Rechnet man die erfaßten Schulentlassenen dazu, dann wird diese Summe um ein bedeutendes erweitert werden. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich das gesamte graue Elend, dem die Jugend der Nachkriegszeit seit 1945 ausgesetzt ist.
Das Arbeitsministerium hat in einer Denkschrift versucht, die Ursachen der gegenwärtigen Arbeitslosigkeit aufzuzeigen, und kam dort zu Schlußfolgerungen, die nach unserer Meinung nicht unwidersprochen bleiben dürfen. In der Denkschrift steht:
Schließlich bedeutet auch der Fortfall des Wehr- und Arbeitsdienstes ein nicht unbeträchtliches Angebot von Arbeitskräften der jüngeren Jahrgänge. Nach der Volks- und Berufszählung von 1939 waren im Gebiet der Bundesrepublik rund 650 000 männliche Personen durch Wehr- und Arbeitsdienstableistung gebunden. Dabei sind die Wehr- und Arbeitsdienstbeamten und -angestellten ebenso außer acht gelassen wie die nicht errechenbare Zahl derjenigen Arbeitskräfte, die für den sachlichen Bedarf des Heeres und Arbeitsdienstes in der freien Wirtschaft tätig waren.
Als ich diesen Passus in der Denkschrift des Arbeitsministeriums gelesen hatte, habe ich mich gefragt: was will eigentlich das Arbeitsministerium mit diesen Zahlen beweisen? Will es beweisen, daß vielleicht wieder eine neue Wehrmacht oder ein neuer Arbeitsdienst notwendig sein werden? Was soll die Formulierung des sogenannten „sachlichen Bedarfs"? Es wäre die Verpflichtung des Herrn Arbeitsministers gewesen, gerade in einer Denkschrift, die in der Öffentlichkeit stark beachtet wird, mit aller Deutlichkeit herauszustellen, daß der „sachliche Bedarf" eben darin bestand, Panzer, Granaten, Flugzeuge und weitere Mordwerkzeuge zur Vernichtung der Jugend herzustellen.
Das gesamte .Problem: „Wie können wir die Jugendlichen unterbringen?" muß grundsätzlich beleuchtet werden. In einem Antrag, auf den ich später noch zurückkommen werde, haben wir versucht, unsere Auffassung zu dem Jugendproblem zu umreißen. Wir sind aber der Auffassung: bevor staatliche Maßnahmen einsetzen oder vielmehr bevor der Staat von der privaten Wirtschaft verlangt, daß alles getan werden muß, um die Jugendlichen in Lehrstellen unterzubringen, hat er selbst einmal die Verpflichtung, dort, wo er den entscheidenden Einfluß hat, nach dem Rechten zu sehen.
Mir sind eine Reihe von Beispielen bekannt, und ich möchte nur eines erwähnen: das Beispiel des Reichsbahnausbesserungswerks in Recklinghausen, das, technisch gesehen, die Möglichkeit hat, 260 bis 270 jugendliche Menschen in seinem Betrieb auszubilden.
— Dann 150; und eingestellt werden 50 bis 60. Man
wird also, wenn es der Staat ablehnt, bei seinen
eigenen Werken alle Möglichkeiten auszuschöpfen,
um die jungen Menschen in einen Beruf zu bringen,
nicht verlangen können, daß dann die Wirtschaft
irgend etwas aus eigener Initiative unternimmt. Die
Frage der Jugend kann man nach meiner Auffas-
]
sung nicht von einer rein kapitalistischen Rentabilitätsberechnung der eigenen Betriebe abhängig machen, sondern es hängt mehr mit dieser Frage zusammen.
Der Herr Bundespräsident Professor Dr. Heuß hat vor einiger Zeit in Verbindung mit einer Reihe anderer „namhafter" Persönlichkeiten einen Aufruf unterzeichnet, der sich gerade mit der Not der Jugend beschäftigte und der nun von der deutschen Wirtschaft verlangte, weitmoglichst Jugendliche in den Produktionsprozeß einzureihen. Es wäre interessant gewesen, einmal das Ergebnis dieses Aufrufs in realen Zahlen vor sich zu haben, um abschätzen zu können, wie man eigentlich auf diese Dinge zu reagieren gedenkt. Wir haben, um auch hier einen konkreten Vorschlag zu machen, die Meinung vertreten, daß ein Mittel, den Jugendlichen zu helfen, die Förderung der Fach- und Berufsschulen darstellt. Wir mußten allerdings erleben, daß im Lande Bayern, in dem die CSU die alleinige Regierungsgewalt hat und in dem in erster Linie etwas hätte getan werden müssen, beispielsweise in einer Eingabe der Berufsschullehrer aus Bayern immerhin einige interessante Zahlen in bezug darauf zum Vorschein kommen, wie man in Bayern versucht, dem Jugendproblem zu Leibe zu rücken.
Herr Abgeordneter, noch eine Minute!
Dort steht beispielsweise, daß 1949 die Gemeinden in Bayern 20 Millionen DM für die Berufsschulen aufgebracht haben, während der bayerische Staat dafür nur die bescheidene Summe von 1,3 Millionen DM zur Verfügung stellte, so daß beispielsweise auf Oberfranken umgerechnet pro Schüler 47 Pfennig von seiten des bayerischen Staates ausgegeben wurden. Die Berufsschüler, mit denen wir zu sprechen Gelegenheit hatten — und die keine Kommunisten waren —, erklärten das damit: Ja, wir haben „an Hundhammer" in Bayern!
Ich darf Ihnen — da meine Redezeit leider abgelaufen ist — nur noch eines sagen. Wir wissen, daß von seiten der privaten Wirtschaft versucht wird, die Tatsache' des Vorhandenseins von zwei Millionen Erwerbslosen als Druckmittel zu benutzen. Wir wissen, daß der angeblich zu hohe Jugendurlaub, der in Bayern im Gegensatz zu anderen süddeutschen Ländern erneut auf 21 Tage reduziert worden ist, ebenfalls ein Mittel ist, um die Einstellung von Lehrlingen nicht vorzunehmen. Wir wissen, daß man eine Erhöhung der Arbeitszeit verlangt. Wir wissen, daß man eine Senkung der Lehrlingsentschädigung verlangen wird. Es handelt sich hier um Dinge, die natürlich mit der sogenannten Rentabilitätsberechnung, die ich einleitend erwähnte, in engem Zusammenhang stehen.
Wir haben versucht, in unserem Antrag einmal festzustellen — und da zitiere ich ein Wort des Herrn Kollegen Berlin, —
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
— der von der Toleranz gesprochen hat —: wenn man das Problem der Jugend mit der Jugend selbst lösen will, dann auch so tolerant, daß man die Freie Deutsche Jugend bei der Lösung dieser Frage nicht ausschaltet. Wir haben weiter versucht, in unserem Antrag festzulegen, daß die Frage des Arbeitsdienstes, der in einer ganzen Reihe von Ecken in Westdeutschland schon wieder flackert, nicht mehr in Erscheinung treten darf, sondern daß der Arbeitsdienst in allen Varianten, wie er auftritt, verboten werden muß. Wir haben die Frage des 9. Schuljahres ebenfalls behandelt und sind dabei zu der Auffassung gekommen, daß auch die Einführung des-9. Schuljahres keinen Ausweg für die Jugend aufzeigt. Wir sind zwar prinzipiell für das 9. Schuljahr, aber wir sind nicht der Meinung, daß nun ein gepreßtes 9. Schuljahr eingeführt werden soll,—
Herr Abgeordneter! Kohl (KPD): — noch zwei Worte! Präsident Dr. Köhler: Nein!
— sondern, daß die Einführung des 9. Schuljahres mit der Schulreform eng verbunden sein muß.
Wir ersuchen Sie, unserm Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Preiß. Bitte 15 Minuten.
Dr. Preiß' : Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich von den letzten Ausführungen absehe, darf ich wohl feststellen, daß bisher zu kaum einem anderen Thema von allen Referenten und Referentinnen mit soviel innerer Teilnahme, ja mit soviel innerer Ergriffenheit wie zu dem Problem der Jugend gesprochen worden ist.
Ich kann verstehen, daß dabei eine besonders gefühlsmäßige Betonung stark zum Ausdruck kommt, und möchte mich bemühen, Ihnen die etwas mehr konkrete Lage noch einmal vor Augen zu führen.
Sie haben in der vergangenen Woche durch den Berichterstatter des Ausschusses die Zahlen genannt bekommen; sie sind auf Grund sehr solider Ermittlungen durch den Ausschuß zusammengetragen worden und betrugen unter dem Stichtag vom 28. Februar rund 500 000 jugendliche Arbeitslose. Es ist zuzugestehen, daß die Schulentlassungen von Ostern und die noch ausstehenden Entlassungen zum Herbst dieses Jahres nicht eingerechnet sind und daß wir, wenn diese einbezogen werden müssen, tatsächlich mit einer Dreiviertelmillion von beschäftigungslosen Jugendlichen bis zu 25 Jahren zu rechnen haben. Meine Damen und Herren, wer wollte das unendliche Problem verkennen, das hierin beruht? Denn es ist nicht die Arbeitslosigkeit dieser Jugendlichen allein, sondern daneben stehen gleichzeitig Berufslosigkeit, Heimatlosigkeit. Jeder von Ihnen weiß und empfindet, daß schon das Vorhandensein eines dieser drei Tatbestände dazu angetan ist, einen jungen Menschen, der' mitten in der Entwicklung steht, zu gefährden; wenn aber zwei oder gar alle drei zusammentreffen, was sehr häufig der Fall ist, dann ist eine ausgesprochen akute Gefahr der Verwahrlosung gegeben, und wehe dem Volk, das bereits einen Bestandteil verwahrloster Jugend hat. Denn diese Gefahr bleibt nicht auf einen kleinen Kreis beschränkt, sondern durch die ständige Verbindung mit der gesunden oder gefährdeten Jugend weitet sie sich dauernd aus.
So kann ich wohl sagen, daß auch wir dieses Problem in seinem vollen Ernst und tiefen Inhalt ermessen. Und es muß festgestellt und anerkannt werden, daß schon in der zurückliegenden Zeit auf der Länderebene die Jugendorganisationen, die Wohlfahrtsverbände, die Kirchen, die Schulen und wer es sonst gewesen sein mag, durchaus diese Gefahren erkannt und sich mit Nachdruck um ihre Abstellung bemüht haben.
Meine Damen und Herren, Ihr Mittagsmokka scheint zu einer allgemeinen Unruhe geführt zu haben.
Allerdings haben diese Bemühungen, so anerkennenswert sie sein mögen, auch nur ausgereicht, um gewisse Linderungen zu schaffen, nicht aber, um dieses Problem zu beheben. Es wurde deshalb im Ausschuß für Jugendfürsorge sehr bald einmütig die Auffassung vertreten, daß hier von der Bundesebene her alle Kräfte und alle in Frage kommenden Instanzen angesprochen und aufgerufen werden müssen, unter Zusammenfassung aller Möglichkeiten diesem Problem zentral zu Leibe zu gehen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ganz nüchtern einen kurzen Ausblick auf die einzelnen Wirtschaftszweige und die Möglichkeiten nehmen. Werfen wir einen Blick auf unsere gewerbliche Wirtschaft, so verfolgen wir — meine Freunde und ich — mit wachsender Besorgnis die Klagen, die hier und da laut werden, daß schon in manchen Zweigen ein Mangel an qualitativem Facharbeiternachwuchs feststellbar sei. Wir gehen von der Erwägung aus, daß wir bei dem notwendigen wirtschaftlichen Konkurrenzkampf in der Welt mit
allen kapitalintensiven Großfertigungszweigen keine großen Konkurrenzchancen haben, daß aber überall dort, wo die arbeitsintensive Fertigung zu Hause ist, also dort, wo die wertvolle Kraft des deutschen Qualitätsarbeiters zum Tragen kommt, wir sehr wohl in der ganzen Welt konkurrenzfähig sind. Dieser Tatsache erkennen wir eine ganz besondere Bedeutung zu und sind deshalb auch der Meinung, daß es der gewerblichen Wirtschaft zugemutet werden muß, auf Grund gesetzlicher Regelung unverzüglich in allen Zweigen eine größere Zahl von Jugendlichen einzustellen, damit dieser Gefahr eines eventuellen Mangels an qualitativen Fachkräften begegnet werden kann. Ich darf deshalb an dieser Stelle namens meiner Fraktion einen Ergänzungsantrag zu der Vorlage einbringen, um dessen Annahme ich Sie bitte:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, mit größter Beschleunigung ein Gesetz vorzulegen, nach dem im Interesse der Beschäftigung und Fachausbildung der schulentlassenen deutschen Jugend alle Wirtschaftsbetriebe des Bundesgebietes in ähnlicher Weise, wie dies bei den Kriegsbeschädigten der Fall ist, verpflichtet werden, in einem bestimmten Verhältnis zur Zahl der Beschäftigten entweder Lehrlinge einzustellen oder Ausgleichszahlungen für die Nichteinstellung von Lehrlingen zu leisten. Diese Ausgleichszahlungen sollen den Betrieben zur Verfügung gestellt werden, die über ihre Verpflichtung hinaus bereit sind, Lehrlinge einzustellen. Ferner soll das Gesetz vorsehen, daß jeder Betrieb, der über ein bestimmtes Maß hinaus Lehrlinge einstellt, einen zusätzlichen Förderungsbetrag von seinen Steuerverpflichtungen in Abzug bringen darf, der der Höhe des sonst an die arbeitslosen Jugendlichen zu zahlenden Unterstützungs- bzw. Fürsorgebetrages entspricht.
Meine Damen und Herren, soviel für die gewerbliche Wirtschaft, für die Betriebe mit größeren Beschäftigtenzahlen.
Werfen wir einen kurzen Blick auf das Handwerk, das herkömmlicherweise ja eigentlich die anerkannteste Grundlage für die Fachausbildung geliefert hat. Es ist wohl nicht zu verkennen, daß gerade der Handwerksmeister, der den Lehrling den ganzen Tag an seiner Seite hat und ihm nicht nur die Handfertigkeiten vermittelt, sondern auf den jungen Menschen auch persönlichkeitsbildend wirkt, ganz besonders berufen ist, einen bevorzugten Platz in der Ausbildung und Ertüchtigung der Jugend einzunehmen. Meine Damen und Herren, es ist nicht zu verkennen, daß aus breitesten Kreisen des Einzelhandwerks starke Klagen darüber laut werden, daß die jugendlichen Lehrlinge den Betrieben zeitlich zu sehr entzogen werden und daß durch die Einschaltung und Mitwirkung vieler außenstehender Instanzen der Einfluß des Meisters auf seinen Zögling allzustark beschnitten wird. Ich referiere zu diesem Punkt nur über lautgewordene Klagen, und es erscheint uns ratsam, daß man diesen Klagen nachgeht und sie auf ihre Stichhaltigkeit überprüft. Sollten sie stichhaltig sein, dann dürften im Interesse der größeren Unterbringungsmöglichkeit von Jugendlichen in Einzelhandwerksbetrieben Abänderungen auch an der Jugendschutzgesetzgebung erforderlich sein.
Als dritte Entlastungsmöglichkeit des jugendlichen Arbeitsmarktes darf ich die Landwirtschaft erwähnen. Meine Damen und Herren, die Frau Kollegin Niggemeyer hat zu diesem Punkt in der vergangenen Woche schon gesprochen. Wie ist hier die Lage? Allein im letzten Halbjahr 1949 sind in der Bizone an Lohnarbeitskräften 134 000, an familieneigenen Kräften 150 000 aus der Landwirtschaft abgewandert. Nimmt man die geschätzten Zahlen aus der französischen Zone hinzu, so haben wir in der Bundeslandwirtschaft einen Abwanderungsverlust von 325 000 Arbeitskräften. Nachdem in den ausgesprochenen Hungerjahren ein erheblicher Anstieg der Beschäftigtenzahl in der Landwirtschaft zu verzeichnen war, ist durch diese rapide Abwanderung heute bereits ein Minderbestand gegenüber der normalen Vorkriegszeit zwischen 7 und 10 % eingetreten. Wir haben in diesem Hause schon oft über die Notwendigkeit der Intensivierung der Landwirtschaft gesprochen. Jede Intensivierung auf diesem Gebiet führt aber über einen verstärkten Hackfruchtanbau, d. h. über eine ausgesprochen vermehrte Arbeitsintensität. Es muß ferner darauf verwiesen werden, daß 70 % der westdeutschen landwirtschaftlichen Betriebe klein-und mittelbäuerliche Betriebe sind, in denen die Arbeit herkömmlicherweise nur oder vornehmlich mit jugendlichen zusätzlichen Arbeitskräften gemeistert werden konnte. Es ist auch gar richt daran zu denken, daß etwa die Rentabilitätslage dieser bäuerlichen Familienwirtschaften so gesteigert werden könnte, daß in diesen Betrieben dauernde, also verheiratete Arbeitskräfte eingebaut werden könnten. Deshalb wird die stärkere Rückführung von Jugendlichen in die Landwirtschaft das größte Entlastungsmoment für den jugendlichen Arbeitsmarkt sein.
Es ist nicht übertrieben, wenn wir hier mit Zahlen von 300 000 bis 400 000 operieren.
Meine Damen und Herren! Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß es nicht nur ein Tarifproblem sei, daß es auch nicht nur das Werkwohnungsproblem sei, das hier angefaßt werden müßte, um den erleichterten Rückstrom in Gang zu setzen. Dem ist beizupflichten. Man muß hier den harten Realitäten ins Auge sehen und daraus auch die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Wenn in der Landwirtschaft länger gearbeitet werden muß, wenn ungeregelter gearbeitet werden muß, wenn man Wind und Wetter ausgesetzt ist und dazu noch einen weit geringeren Lohn als sonstwo erhält, dann ist es kein Wunder, daß hier keine große Lust vorhanden und zu verspüren ist, in den landwirtschaftlichen Betrieben tätig zu werden oder wieder in sie zurückzugehen.
Sind Nachteile vorhanden, dann dürfen nicht noch Lohnnachteile dazukommen, sondern sie müssen vielmehr durch bessere Löhne kompensiert werden. Das wäre die logische Konsequenz.
Das Wohnungsproblem sollte auch nicht zu gering eingeschätzt werden. Wir haben Unterlagen, wonach gegendweise mehr als 50 % des Werkwohnungsraumes durch nicht betriebszugehörige Familien oder alleinstehende Personen belegt sind. Durch diese Tatsache bedingt sind allerdings oft die eigentlichen Arbeitskräfte des Betriebes menschenunwürdig untergebracht, und hier bedarf es einer sehr dringenden und raschen Auflockerung, wodurch sehr viel Erleichterung geschaffen werden kann.
Wenn hier gesagt worden ist, daß auch die kulturelle Seite des Landlebens geweckt werden müsse, um das Landleben und das Dorfleben anderen Menschen wieder behaglicher zu machen, so kann ich nur meine volle Zustimmung dazu erklären. Es ist nicht zu bestreiten, daß heute auf dem flachen Land eine regelrechte Erstarrung eingetreten ist. Meine Damen und Herren, das hängt eben mit der Kardinalfrage der Unterbewertung der Landarbeit zusammen.
Es sind aber nicht allein die bäuerlichen Familien, die diese Klage führen, und das betrifft nicht nur ihre treuen Helfer, sondern von dieser Erstarrung sind auch das gesamte ländliche Handwerk, der ländliche Handel und das ländliche Gewerbe miterfaßt. Das wirkt sich natürlich auch nach der zivilisatorischen und kulturellen Seite des Landlebens aus.
Meine Damen und Herren, wir haben in der vergangenen Woche bei der Behandlung des Agrarproblems eine seltene Einmütigkeit erlebt. Wir hoffen und wünschen, daß die gleiche Einstimmigkeit auch dann zum Ausdruck kommt, wenn in allernächster Zeit seitens der Regierung Vorlagen kommen, die hier Abänderungen schaffen wollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir alle Wirtschaftszweige abtasten und alle Möglichkeiten der zusätzlichen Beschäftigung unserer Jugendlichen abwägen, so wird doch zweifelsohne nach wie vor ein erheblicher Rest übrigbleiben. Das wird auch noch auf längere Sicht gesehen der Fall sein, jedenfalls so lange, als wir nicht erhebliche Ausweitungen unserer wirtschaftlichen Kapazität haben und die Geburtenjahrgänge noch in dieser Stärke vertreten sind. Deshalb sind wir der Meinung, daß man doch bei allen Bedenken und selbstverständlich unter Vermeidung jeglichen Rückfalls in einen Arbeitsdienst früherer Zeit etwa zu einem Jugendlichen-Notdienst, oder wie Sie es nennen wollen — die Bezeichnung ist völlig belanglos —, wird kommen müssen.
Auch sind wir folgender Meinung: wenn die Zahl der Jugendwohnheime unter starker Miteinschaltung des Wohnungsbauministeriums und unter Einbau dieser Aufgabe in das Wohnungsbauprogramm um ein Erhebliches vermehrt wird und die jungen Menschen unter die vernünftige Betreuung durch zuverlässige erwachsene Menschen genommen werden, dann ist das wesentlich wertvoller, als wenn diese jungen Menschen auf der Straße herumstreunen. Es bestehen auch genügend Möglichkeiten, sie im nationalen volkswirtschaftlichen Interesse nutzbringend zu beschäftigen, ohne daß der normale Arbeitsmarkt dadurch irgendwie belastet wird.
Noch eine Minute, Herr Abgeordneter!
Jawohl, Herr Präsident!
Meine Damen und Herren, meine Freunde und ich stellen uns restlos hinter die Empfehlungen, die der Jugendausschuß dem Plenum vorgelegt hat. Es ist notwendig, daß darüber hinaus tatsächlich alle in der Verantwortung stehenden Kräfte angesprochen werden, um die letzten Möglichkeiten auszuschöpfen. Wir glauben aber, daß wir gerade von dieser Stelle aus angesichts des außerordentlichen Ernstes und der großen Bedeutung der Jugendnot für unser Volk und für seine Zukunft auch einen Appell an die Hohen Kommissare richten dürfen, bei allen ihre Entscheidungen, die sich auf unsere innerpolitischen und innerwirtschaftlichen Verhältnisse auswirken, nicht zuletzt die Auswirkung auf unsere Jugend und deren Not überprüfen zu wollen. Wir glauben, daß sie es mit uns ehrlich meinen und mit uns einig sind in dem Ziel, ein gesundes Europa aufzubauen. Ohne eine gesunde deutsche Jugend von heute gibt es aber kein gesundes deutsches Staatswesen von morgen und ohne dieses gesunde deutsche Staatswesen kein Europa und keine Hoffnung auf dauernden Frieden in der Welt.
Das Wort hat der Abgeordnete Farke. Bitte, 10 Minuten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Not der berufs-, arbeits- und heimatlosen Jugend ist in bedrohlicher Weise gewachsen. Das Lehrstellenangebot ist um die Hälfte zurückgegangen, aber die Zahl' der stellungsuchenden Jugendlichen in diesem Frühjahr schon um das Doppelte gestiegen.
Der Ausschuß für Jugendfürsorge hat in langen Beratungen die Maßnahmen zusammengestellt, die diese Berufsnot der Jugend lindern können. Es galt für meine Freunde und mich, vor allem die Maßnahmen herauszustellen, die die Normalzahl von Lehrstellen wiederherstellen und zusätzliche ermöglichen. Die zu hohe Steuerlast mit Einschluß der Soforthilfe hat in erster Linie viele Arbeitgeber veranlaßt, das Risiko einer Lehrlingsausbildung nicht mehr zu übernehmen. Dazu kommt die Lehrvergütung und ihre Weiterzahlung bis zu sechs Wochen bei Arbeitsmangel als zusätzliche Belastung. Es ist notwendig, demgegenüber durch steuerliche Maßnahmen, die in dem vorliegenden
Antrag vorangestellt sind, Erleichterungen zu schaffen. Möglichkeiten sehen wir in steuerfreien Beträgen, Steuergutscheinen, Zuschüssen an Ausbildungsbetriebe oder in der Zuteilung verbilligter Kredite.
Eine weitere Schrumpfung von Lehrstellen bewirken die in einigen Ländern verabschiedeten Jugendarbeitsschutzgesetze mit ihrer verkürzten Arbeitszeit und dem 24tägigen Urlaub. Eine bundeseinheitliche und den wirtschaftlichen und gesunden sozialen Erfordernissen wirklich Rechnung tragende Regelung des Arbeitsschutzrechtes muß so schnell wie möglich in die Wege geleitet werden, damit besonders in Niedersachsen, Bremen und Bayern die normale Zahl der Lehrlingsstellen wieder erreicht wird.
Voraussetzung für eine Lehrlingseinstellung ist aber der nötige Wohnraum. In Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern ist dieser nötige Wohnraum das Problem Nr. 1. Der von betriebsfremden Personen belegte Werkwohnraum muß darum durch eine gesetzliche Regelung freigemacht werden; denn gerade der Jugendliche im Lehrverhältnis muß sein eigenes Zimmer besitzen. Die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern, die die meisten der in Berufsnot befindlichen Jugendlichen haben, erwarten, daß laufend ein übergebietlicher Ausgleich von Lehrlingen und jugendlichen Arbeitskräften erfolgt und auch gesetzlich geregelt wird; natürlich nur so, daß diese Jugendlichen auf die Entlastungsquoten der betreffenden Länder nicht angerechnet werden.
Die übrigen in dem vorliegenden Antrag vorgesehenen Maßnahmen finden ebenfalls unsere volle Unterstützung, sie können der Not zusätzlich weitgehend steuern. Das Entscheidende bei der Überwindung der Jugendarbeitslosigkeit sehen aber meine Freunde in den von mir herausgestellten Maßnahmen, die hoffentlich in aller Kürze durch Gesetz getroffen werden und dann eine einigermaßen wirksame Abhilfe bringen. Wir sind also mit den vorgeschlagenen Maßnahmen einverstanden und stimmen ihnen zu.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. — Doch? — Der Herr Abgeordnete Ribbeheger hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Bericht des Ausschusses hier verlesen und zur Sprache gekommen ist und die einzelnen Fraktionen Gelegenheit genommen haben, zu dem außerordentlich bedeutungsvollen Thema der berufs-, heimat- und arbeitslosen Jugend zu sprechen, möchte ich feststellen, daß im wesentlichen nichts Neues mehr dabei herausgekommen ist. Wenn hier der Redner der kommunistischen Fraktion glaubte, besondere Vorschläge machen zu können, dann darf ich darauf hinweisen, daß die Praxis doch so ist: im Ausschuß, wo Sie Gelegenheit gehabt haben, mitzuwirken, hat man nichts davon gehört. Statt dessen reichen Sie große Anträge ein, um von dieser Stelle aus das Jugendproblem in demagogischer Weise umzuarbeiten.
Ich möchte angesichts der Not der wirklich heimatlosen und berufslosen Jugend von dieser Stelle aus betonen, daß es unsinnig ist, die Not der heimatlosen Jugend irgendwie zu agitatorischen Zwecken mißbrauchen zu wollen.
Herr Abgeordneter, wir wollen das Wort Demagogie nach Möglichkeit vermeiden!
ich berichtige mich insofern, als ich sage: in seltener Einmütigkeit hat der Jugend-ausschuß sich mit diesen Dingen befaßt, und gerade Sie hätten Gelegenheit nehmen können, im Jugendausschuß, in dem Sie auch vertreten sind, mitzuwirken.
Das haben Sie nicht getan.
Ich möchte aber auch weiter folgendes sagen, um einmal zu kennzeichnen, was Ihr Redner hier fabriziert hat. Er hat davon gesprochen, daß im Reichsbahnausbesserungswerk Recklinghausen-Ost 250 Lehrstellen vorhanden seien. Ich darf mich darauf beziehen, daß die Herren Kollegen Hoppe, Heiland und selbst Ihr Kollege Agatz an der Besprechung mit der zuständigen Werksleitung teilgenommen haben. Dabei ist festgestellt worden, daß das Reichsbahnausbesserungswerk Recklinghausen-Ost in der Lage ist, insgesamt 60 Lehrjungen aufzunehmen, also 60 Lehrstellen zu besetzen. Davon sind lediglich 19 besetzt worden. Es hat also keinen Zweck, hier mit derartigen Zahlen zu operieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zum Abschluß der Debatte den Wunsch zum Ausdruck bingen, daß der Leitgedanke der Regierung und der Regierungserklärung, soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen, möglichst bald in die Tat umgesetzt wird. Uns ist aufgegeben, nicht soviel zu deklamieren, sondern wirklich Taten zu zeigen, um der Not der heimat-, berufs- und arbeitslosen Jugend zu steuern. In diesem Sinne wird der Bundestag einmütig, glaube ich, beschließen, die Regierung zu ersuchen, die hier vorgeschlagenen Maßnahmen zu treffen und die Frage zur Entscheidung zu bringen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich erkläre damit die Beratung über den Ausschußantrag Drucksache Nr. 751 für geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir haben zunächst über den Abänderungsantrag der KPD-Fraktion, Drucksache Nr. 871, Ziffern 7, 8 und 9 abzustimmen, wonach die Ziffern 4, 5 und 7 im Antrag Drucksache Nr. 751 zu streichen sind. Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen dann zur Abstimmung über den Gesamtabänderungsantrag der KPD-Fraktion Drucksache Nr. 871 mit Ausnahme der Ziffern 7, 8 und 9. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist eindeutig mit Mehrheit abgelehnt.
Wer nunmehr für den Antrag Drucksache Nr. 751, also die Fassung des Ausschusses ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. — Fast einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen damit zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Internationalen Weizenabkommen .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Ausführungen des Ministers zur Einbringung des Gesetzentwurfes entgegenzunehmen, damit, also ohne Debatte, die erste Beratung zum Abschluß zu bringen und die zweite und dritte Beratung morgen vorzunehmen. Ich darf das Einverständnis des Hauses mit diesem Vorschlag des Ältestenrats gemäß § 88 der Geschäftsordnung feststellen und erteile dem Herrn Bundesernährungsminister das Wort zur Einbringung der Vorlage.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich heute als zuständiger Ressortminister die Zustimmung des Hohen Hauses zum Anschluß der Bundesrepublik an das Weltweizenabkommen erbitte, so darf ich das wohl mit der Hoffnung tun, daß in dem gesetzgeberischen Akt, dessen es noch bedarf, um den Beitritt Westdeutschlands rechtskräftig zu machen, der Bundestag in seiner ganz überwiegenden Mehrheit einig ist.
Ich möchte vorweg bemerken, daß der Bundesrat den Gesetzentwurf im Hinblick auf die großen Vorteile, die uns die Mitgliedschaft im Weltweizenpakt bietet, bereits einstimmig gebilligt hat. Ich glaube, wir dürfen Genugtuung darüber empfinden, daß mit diesem Beitritt ein weiterer wichtiger Schritt zur Eingliederung der Bundesrepublik in das Vertragssystem der westlichen Welt getan wird. Es liegt in der Natur der Sache und in unserer allgemeinen Situation begründet, daß ein solcher Akt heute nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch politischen Charakter trägt.
Das Weltweizenabkommen dient dazu, die wirtschaftlichen Beziehungen der Vertragsstaaten zu normalisieren. Es soll Ausfuhr und Einfuhr des wichtigsten Welthandelsproduktes in einen festen Rahmen bringen, die Brotversorgung der Zuschußländer sichern helfen und eine Preissenkung einleiten. Indem es also der wirtschaftlichen Stabilisierung dient, schafft es zugleich auch Voraussetzungen für eine gedeihliche politische Entwicklung. Westdeutschland hofft mit den übrigen am Abkommen beteiligten Ländern, daß der Pakt den Hoffnungen, die bei seinem Abschluß darauf gesetzt wurden, gerecht werden wird. Jedenfalls wird er um so stärkere Garantien des Bestandes und des Funktionierens in sich tragen, je größer der Kreis der Beteiligten ist. In diesem Sinne bedeutet der Beitritt Westdeutschlands nicht nur einen Vorteil — und ich darf sagen: auch einen Erfolg für die Bundesrepublik —, sondern gleichzeitig einen Beitrag zur Vervollkommnung dieses Instrumentes der Weltwirtschaft im gemeinsamen Interesse aller Vertragsländer.
Sie werden fragen, meine Damen und Herren, warum es denn so lange gedauert hat, bis sich der Weltweizenrat auf seiner zweimal unterbrochenen Londoner Tagung über die Aufnahme Westdeutschlands geeinigt hat. Sie wollen mir gestatten, daß ich mich an dieser Stelle mit der uns gebotenen Zurückhaltung über diese Verzögerung äußere. Die Ursachen lagen jedenfalls nicht auf deutscher Seite, und die Schwierigkeiten ergaben sich eigentlich nicht aus dem deutschen Aufnahmeantrag, sondern aus seiner ursprünglichen Verkoppelung mit dem japanischen. Außerdem bedurfte die Aufteilung des
zusätzlichen Exportkontingentes auf die Ausfuhrländer einiger Überlegung.
Nun darf ich Ihnen die materielle Bedeutung des Abkommens mit einigen Daten erläutern. Wir haben, wie Ihnen allen bekannt ist, im vergangenen Jahr eine außergewöhnlich gute Ernte gehabt. Aber auch wenn unserer Landwirtschaft die geplante Produktionssteigerung gelingt und wir den Anteil der Eigenproduktion allmählich steigern können, bleibt unsere Ernährung aus den bekannten Gründen noch stark einfuhrabhängig. Nach der Versorgungsplanung 1949/50 ist Westdeutschland mit rund der Hälfte seines Brotgetreidebedarfes auf die Einfuhr angewiesen. Diese wiederum besteht ganz überwiegend aus Weizen. 1949/50 werden wir im ganzen ' einschließlich einer Erhöhung der Vorräte 3,4 Millionen Tonnen Brotgetreide einführen, wovon 2,7 Millionen Tonnen auf Weizen und 0,7 Millionen Tonnen auf Roggen entfallen. So sehr wir uns bemüht haben, die hoch zu subventionierende Weizeneinfuhr durch billigeren Importroggen zu ersetzen, so ist doch der Roggeneinfuhr eine Grenze gezogen, da erstens das Roggenangebot in der Welt beschränkt ist und wir zweitens Roggen im wesentlichen über Handelsverträge bekommen, die Roggeneinfuhr also an einen entsprechenden Industrieexport gebunden ist.
Um nun unsere große und kostspielige Weizeneinfuhr zu ermäßigen und zu verbilligen, gab es drei Möglichkeiten: Verminderung des Weizenverbrauchs, Verlagerung der Einfuhr vom teuren Dollarweizen zum billigeren Weizen aus Handelsverträgen und Beitritt zum Weltweizenabkommen. Die beiden ersten Wege haben wir bereits mit Erfolg beschritten. Der Weizenkonsum, der als Folge der Mangeljahre zeitweise stark übersteigert war, ist bereits zurückgegangen, und der Verbrauch lenkt wieder stärker zurück zum Roggenbrot. Der Weizenverbrauch 1949/50 wird voraussichtlich erheblich hinter dem Voranschlag zurückbleiben. Es war daher möglich, die Weizeneinfuhr zum Teil auf Lager zu nehmen und wieder normale Vorräte zu bilden, was mir angesichts der Ungewißheit unserer Einfuhrmöglichkeiten im kommenden Jahr als eine Vorsichtsmaßnahme und als Ausgleichsreserve für etwaige Spannungen in der Versorgungslage unerläßlich erscheint. Durch Ausnutzung der handelsvertraglich gebotenen Einfuhrmöglichkeiten haben wir ferner 400 000 Tonnen USA-Weizen durch billigeren Weizen aus Nicht-Dollarländern ersetzt. Den entscheidenden Schritt zur Verbilligung unserer Weizeneinfuhr aber soll der Beitritt zum Weltweizenabkommen bringen.
Ich muß nun einiges über die Grundgedanken des Abkommens sagen. Der Vertrag dient der Stabilisierung des Weltweizenmarktes. Er will den Importländern auch bei einer Verknappung am Weltmarkt und bei steigenden Marktpreisen den Einkauf eines bedeutenden Teils ihres Zuschußbedarfes zu nicht überschreitbaren Höchstpreisen garantieren, und er will andererseits den Exportländern die Sicherheit geben, daß sie auch bei wachsenden Überschüssen am Weltmarkt und sinkender Preistendenz ein Gesamtkontingent, das ursprünglich 12,4 Millionen Tonnen betrug und sich nach dem Beitritt Westdeutschlands auf 14,2 Millionen beläuft, zu einem nicht unterschreitbaren Mindestpreis absetzen können. Die Importländer — nach unserem Beitritt im ganzen 38 — verpflichten sich, den Exportländern bis zum Jahre 1952/53 jährlich bestimmte Mengen abzunehmen. Von den großen Weizenüberschußländern der Welt sind die Vereinigten Staaten,
Kanada und Australien Partner des Abkommens, von den kleineren Uruguay und Frankreich, dessen Weizenerzeugung in den letzten Jahren stark gestiegen ist und einen Export ermöglicht. Argentinien und Sowjetrußland sind am Abkommen nicht beteiligt,
was zur Folge hat, daß die Zuschußländer dort frei einkaufen und etwaige günstigere Marktchancen für den nicht vertragsgebundenen Teil ihres Weizenbedarfes wahrnehmen können.
Der Höchstpreis des Abkommens beträgt frei Schiff Exporthafen 180 Cents je Bushel für die kanadische Standardqualität und bleibt für die gesamte Laufzeit, also bis zum Jahre 1952, unverändert. Der Mindestpreis beträgt in diesem Jahre 150 Cents und sinkt jährlich um 10 Cents bis auf 120 Cents im Jahre 1952/53. Innerhalb der Spanne zwischen dem Höchstpreis und dem jeweiligen Mindestpreis bilden sich die effektiven Lieferpreise. Sie sind je nach der Marktlage in den einzelnen Exportländern verschieden und werden sowohl von dem Gesetz von Angebot und Nachfrage als auch von der stärkeren oder schwächeren Position der Kontrahenten beeinflußt.
Es hat sich zum Beispiel bisher schon gezeigt, daß Australien nicht geneigt ist, vom Höchstpreis abzugehen, wobei es seine starke Stellung als Pfundwährungsland ins Treffen führt, während die Vereinigten Staaten, die den Wunsch nach Verminderung ihres Weizenüberflusses haben, mit Hilfe von Exportsubsidien den Lieferpreis nicht unwesentlich unter den Höchstpreis ermäßigen.
Wichtig ist die Bestimmung, daß die Importländer zur vollen Abnahme ihrer Quoten nur dann verpflichtet sind, wenn sie zu Mindestpreisen zu liefern bereit sind, und daß umgekehrt die Exportländer ihre Lieferverpflichtung nur zu Höchstpreisen zu erfüllen brauchen. Wie sich diese Preisbestimmungen auf die tatsächliche Abwicklung der vertraglichen Lieferungen im ersten Jahre auswirken, wird man erst nach Ablauf des ersten Vertragsjahres am 31. Juli sagen können.
Wir haben nun, wie Ihnen bereits bekannt ist, die Quote, mit der wir in das Abkommen hineingehen wollen, auf 1,8 Millionen Tonnen bemessen. Damit stehen wir unter den Importländern des Abkommens an zweiter Stelle, hinter Großbritannien mit 4,8 Millionen Tonnen und weit vor dem nächsten Land, Italien, mit 1,1 Millionen Tonnen. Von dem Gesamtkontingent des Abkommens, das nach unserem Beitritt 14,2 Millionen Tonnen beträgt, entfallen auf die Bundesrepublik rund 13%. Wir sind bei der Bemessung unserer Quote davon ausgegangen, daß unser voraussichtlicher Jahreseinfuhrbedarf in den nächsten Jahren durchschnittlich etwa 2.5 Millionen Tonnen betragen wird, wovon also 72 % durch unsere Paktquote gedeckt werden. Wir behalten dann für die Weizenimporte außerhalb des Abkommens noch einen genügenden Spielraum. Die der deutschen Quote entsprechende Erhöhung der Exportkontingente der Überschußländer ist so vorgenommen worden, daß Westdeutschland den ganz überwiegenden Teil seines Paktweizens aus den Vereinigten Staaten beziehen wird, die unsere Weizenversorgung auch bisher schon fast vollständig bestritten haben. Das steht natürlich im engsten Zusammenhang damit, daß die Vereinigten Staaten uns auch die Kredite zur Finanzierung dieser Importe zur Verfügung stellen.
Damit komme ich auf die finanzielle Bedeutung unserer Mitgliedschaft. Dabei ist zweierlei zu unterscheiden: erstens die Ersparnis im Einkauf, zweitens die Ermäßigung des Subventionsbedarfs.
Zum ersten: Bisher haben wir für die Weizeneinfuhr aus den Vereinigten Staaten die sogenannten Kontraktpreise bezahlt, die jeweils das Kriegsministerium beim Einkauf der Mengen für uns auslegte und die sich cif deutscher Hafen auf 98 bis 101 Dollar je Tonne stellen. Wie teuer uns die Tonne Weizen im Rahmen des Abkommens durchschnittlich zu stehen kommen wird, läßt sich im Augenblick noch nicht genau sagen, da, wie erwähnt, der Lieferpreis Schwankungen unterliegt und von der Entwicklung des Marktes, der Frachten und anderer Faktoren abhängt. Wir glauben aber, nicht zu optimistisch zu sein, wenn wir zunächst mit einem cif-Preis von 82,5 Dollar je Tonne rechnen, wobei es nicht ausgeschlossen ist, daß sich der Preis schließlich noch etwas günstiger stellt. Ob und inwieweit uns nun aus dem Minderbedarf an ECA-Mitteln für die Weizeneinfuhr insofern ein Vorteil erwächst, als wir einen größeren Betrag für die Einfuhr anderer Nahrungsmittel verwenden können, muß allerdings noch als offene Frage gelten.
Um so wichtiger ist die Verminderung des Subventionsbedarfs. Es dürfte Ihnen bekannt sein, daß der größte Posten der Einfuhrsubventionen, die zum Ausgleich des höheren ausländischen Preisniveaus bisher erforderlich waren, auf die Weizeneinfuhr entfällt. Nach dem Voranschlag für die Zeit vom 1. Oktober 1949 bis zum 30. Juni 1950 beansprucht die Weizensubvention mit 310 Millionen DM fast 50 % des gesamten Nettosubventionsbedarfs. Für den kleinen Rest des laufenden Wirtschaftsjahres, also bis zum 30. Juni, wird sich auch beim laufenden Verbrauch noch eine sehr begrüßenswerte Subventionsersparnis ergeben.
Auf weitere Einzelheiten einzugehen; möchte ich mir für heute versagen. Es dürfte sich empfehlen, die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten. Ich habe nur noch die eine und sehr dringende Bitte, daß das Hohe Haus die Beschlußfassung in dieser Angelegenheit so sehr wie möglich beschleunigen möge. Die uns ursprünglich gesetzte Frist für die Überreichung der Beitrittserklärung in Washington, die am 30. April abgelaufen ist, ist uns um zehn Tage verlängert worden. Der Weltweizenrat hat aber wissen lassen, daß er auf die verfassungsmäßig vorgeschriebene Ratifikation durch die parlamentarischen Instanzen der Bundesrepublik innerhalb der festgesetzten Frist Wert legt.
Ich bitte daher das Hohe Haus im Namen der Bundesregierung um Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf und um seine baldige Verabschiedung.
Nach diesen Ausführungen des Herrn Bundesernährungsministers erkläre ich die erste Beratung des Gesetzentwurfs Drucksache Nr. 892 für beendet. Die zweite und dritte Beratung findet beschlußgemäß morgen, Freitag, statt.
Ehe wir in der Tagesordnung fortfahren, habe ich dem Haus folgende geschäftliche Mitteilung zu machen. Der Abgeordnete Dr. Franz Ott hat an mich nachfolgendes Schreiben gerichtet:
Als unabhängiger Abgeordneter erlaube ich mir, Ihnen mitzuteilen, daß ich aus Gründen der praktischen parlamentarischen Mitarbeit sofort unter Wahrung meiner vollkommenen Unab-
hängigkeit bei der Fraktion der WAV hospitiere.
— Nachdem die interne Aussprache über diese Mitteilung geschlossen ist, bitte ich, in der Abwicklung der Tagesordnung fortfahren zu dürfen. Ich rufe die Punkte 3 a) und b) der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Falkner, Dr. Etzel , Dr. Besold und Fraktion der Bayernpartei eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Art.131 des Grundgesetzes (Drucksache Nr.845);
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Falkner, Dr. Etzel , Dr. Seelos und Fraktion der Bayernpartei betr. Art. 131 des Grundgesetzes (Drucksache Nr. 824).
Der Ältestenrat schlägt für die Einbringung durch die Herren Antragsteller eine Redezeit von 15 Minuten und dann — ohne Debatte — die Überweisung an den zuständigen Ausschuß vor. — Ich höre keinen Widerspruch. Ich darf das Einverständnis des Hauses damit feststellen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Etzel. Ich nehme an, daß Herr Dr. Etzel als Antragsteller beide Anträge begründet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die beiden Anträge sind nicht viele Worte zu verlieren; sie wollen die Wiederherstellung des Rechtsgedankens, der bis jetzt in bezug auf den darin behandelten Gegenstand kaum verwirklicht worden ist. Dem Art. 131 des Grundgesetzes liegt zweifellos die Anerkennung bestehender Rechtsansprüche zugrunde. Die Absieht des Gesetzes war außerdem die Beschleunigung der Durchführung der dort vorgesehenen Regelung durch ein Bundesgesetz. Auch die Regierungserklärung vom September vorigen Jahres hat die Rechtsansprüche der beteiligten und betroffenen Personenkreise und -gruppen anerkannt und die politische Notwendigkeit einer beschleunigten Regelung beiaht. Am 8. Mai, am kommenden Montag, ist ein Jahr vergangen, seitdem der Parlamentarische Rat das Grundgesetz beschlossen und verabschiedet hat. Es scheint mir an der Zeit, daß die Ausführung des Art. 131, der entrechteten Gruppen ihre Rechte wiedergeben soll, nunmehr erfolgt. Nur weil die Ausführung dieses Artikels rasch erfolgen sollte, konnte die in Satz 3 liegende Rechts- und Prozeß-sperre hingenommen werden. Es ist zweifellos, daß unter den Art. 131 nicht nur die Gruppen der vertriebenen Beamten, sondern auch alle anderen, aus irgendeinem Grunde — Entnazifizierung, Auflösung früherer Dienststellen und dergleichen — aus ihren Dienststellen entlassenen Personenkreise mit einzubeziehen sind, vor allem auch die Wehrmacht-beamten und Berufssoldaten.
Dem Hohen Haus und der Bundesregierung obliegt es, hier einen Schlußstrich unter eine Phase zu ziehen, die zweifelsohne durch die Entwicklung und die Ausbildung einer weitgehenden politischen Skepsis. gekennzeichnet ist, einer Skepsis, die durch die allzulange Unterlassung der Ausführung des Art. 131 verursacht ist. Das Hohe Haus und die Bundesregierung haben es in der Hand, zu verhindern, daß aus dieser politischen Skepsis eine politische Sepsis entsteht; sie haben die Möglichkeit, unseren Antrag auf Beseitigung des Satzes 3 des Art. 131 durch eine sehr rasche Erledigung des Ausführungsgesetzes gegenstandslos zu machen.
Am 26. April dieses Jahres haben die beteiligten Bundesministerien bekanntgegeben, daß die Vorbereitungsarbeiten für das Bundesgesetz, das gemäß Art. 131 des Grundgesetzes die Rechtsverhältnisse der ausgeschiedenen Beamten, der Ruhestandsbeamten und ihrer Hinterbliebenen regeln soll, so weit gediehen seien, daß der Gesetzentwurf voraussichtlich in Kürze dem Bundestag vorgelegt werden könne. Ich möchte die Hoffnung ausdrücken, daß es bei dieser Ankündigung der Bundesregierung auch wirklich sein Bewenden hat, d. h. daß die Vorlage nun tatsächlich alsbald beim Bundestag eingeht, damit dieser in die Lage versetzt wird, dokumentarisch und geschichtlich zu beweisen, daß auch der Bund die Standarte des Guten und des Rechts ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach diesen Ausführungen des Herrn Antragstellers darf ich die Debatte über die Anträge auf Drucksache Nr. 845 und Drucksache Nr. 824 als geschlossen betrachten und das Einverständnis des Hauses damit annehmen, daß die Anträge Drucksachen Nr. 845 und Nr. 824 dem zuständigen Ausschuß, dem Ausschuß für Beamtenrecht,. als überwiesen gelten.
Wir würden jetzt zu Punkt 4 der Tagesordnung, erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Senkung der Tabaksteuer für Zigarren, kommen. Der Herr Bundesfinanzminister ist im Augenblick nicht da. Ich darf das Einverständnis des Hauses damit annehmen, daß wir zu Punkt 5 der Tagesordnung übergehen:
Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesfinanzhof .
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Dr.
Höpker-Aschoff ist nicht anwesend? — Meine Damen und Herren, dann müssen wir die Beratung
dieses Punktes aussetzen und kommen gleich zu
Punkt 7 — denn Punkt 6 ist abgesetzt —: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Heimatvertriebene über den Antrag der Abgeordneten Ollenhauer und Genossen betreffend Flüchtlingsausgleich .
Als Berichterstatter hat das Wort Herr Abgeordneter Pfender.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat am 5. Oktober 1949 den Antrag eingebracht:
Der Bundestag wolle beschließen:
Um mit einer gleichmäßigen Eingliederung der Heimatvertriebenen in die Bevölkerung des Bundesgebietes zu beginnen. sind die Länder — mit Ausnahme der Städte Hamburg und Bremen - zu verpflichten, aus den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bavern zunächst insgesamt 600 000 Heimatvertriebene mit tunlichster Beschleunigung aufzunehmen. Die Umsiedlung muß die Familien-, Haushaltsoder Lebensgemeinschaft der Heimatvertriebenen berücksichtigen und darf die Freiwilligkeit ihrer Beteiligung nicht beeinträchtigen.
Dieser Antrag wurde zunächst im Ausschuß für
Heimatvertriebene nicht endgültig behandelt, weil
der Ausschuß den Erlaß der angekündigten Verordnung der Bundesregierung abwarten wollte. Diese
Verordnung ist am 29. November 1949 verkündet
worden und sah vor, daß bis zum 31. Dezember 1950 zunächst 300 000 Heimatvertriebene aus den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern in der Hauptsache in die Länder der französischen Zone, Nordrhein-Westfalen, Württemberg-Baden und Hessen umgesiedelt werden sollten. Auf Grund dieser Verordnung hatte der Ausschuß für Heimatvertriebene am 24. Februar 1950 einstimmig beschlossen, dem Bundestag vorzuschlagen, den Antrag der SPD als erledigt zu erklären. Die Mitglieder der SPD-Fraktion hatten im Ausschuß zu Protokoll gegeben, daß sich die Fraktion vorbehalte, zu gegebener Zeit einen Antrag zu stellen, über diese Umsiedlung hinaus eine weitere Umsiedlung vorzunehmen.
Der Bundestag hat — in der Sitzung vom 17. März 1950 — diesem Antrag des Ausschusses nicht zugestimmt, sondern seine Zurückverweisung beschlossen. Der Ausschuß für Heimatvertriebene hat sich mit dem Antrag der SPD am 20. April 1950 nochmals eingehend beschäftigt und beschlossen, dem Bundestag nunmehr vorzuschlagen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Um eine gleichmäßige Eingliederung der Heimatvertriebenen in die Bevölkerung des Bundesgebietes zu erreichen, sind die Länder zu verpflichten, aus den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern zunächst insgesamt 600 000 Heimatvertriebene mit tunlichster Beschleunigung aufzunehmen.
Die Umsiedlung muß die Familien-, Haushaltsoder Lebensgemeinschaft der Heimatvertriebenen berücksichtigen und darf die Freiwilligkeit
ihrer Beteiligung nicht beeinträchtigen.
Im Ausschuß trat die übereinstimmende Meinung zutage, daß dieser Antrag nicht der Absicht des Bundesflüchtlingsministeriums widerspreche, bis Jahresende 1950 300 000 Vertriebene und anschließend weitere 300 000 umzusiedeln. Es wurde hierbei allerdings darauf hingewiesen, daß möglichst eine Beschleunigung erfolgen solle. Im Vordergrund aber soll die arbeits- und wohnraummäßige Unterbringung in den Aufnahmeländern stehen.
Auf Grund der Verordnung der Bundesregierung vom 29. November 1949 hatten zwischen den abgebenden und aufnehmenden Ländern Verhandlungen stattgefunden. Diese Verhandlungen haben zu Vereinbarungen geführt, und zwar erstens der Länder Bayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein mit dem Lande Rheinland-Pfalz, zweitens der Länder Niedersachsen, Schleswig-Holstein mit dem Lande Württemberg-Baden, drittens der Länder Bayern, Niedersachsen mit dem Lande Württemberg-Hohenzollern — die Vereinbarung Schleswig-Holsteins mit Württemberg-Hohenzollern steht noch aus, ist aber demnächst zu erwarten —, viertens der Länder Bayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein mit dem Lande Baden. Die Umsiedlungstransporte zwischen den vorstehend genannten Ländern sind bereits im Gange oder stehen unmittelbar bevor.
Kein Ergebnis zeitigten bis jetzt die Verhandlungen zwischen den Ländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein und dem Lande Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen ist wohl bereit, je nach Bedarf arbeitsfähige und alleinstehende Heimatvertriebene aufzunehmen, vorerst nicht aber auch deren Familien. Eine Aufnahme der Familien soll erst erfolgen, wenn die hierzu notwendigen Wohnungen geschaffen sind.
Außerdem lehnt Nordrhein-Westfalen es bisher ab, nicht erwerbsfähige Heimatvertriebene in seinem Lande aufzunehmen.
Zwischen den abgebenden Ländern und dem Lande Hessen kam es ebenfalls nicht zu einer Vereinbarung. Hessen will seine Aufnahmeverpflichtungen aus der Verordnung vom 29. November 1949 nur im Rahmen der natürlichen Wanderungsbewegung erfüllen. Dabei soll nicht nur der bis zum Inkrafttreten der Umsiedlungsverordnung entstandene, sondern auch der im Jahre 1950 noch entstehende Wanderungsgewinn angerechnet werden. Sollte bis 31. Dezember 1950 Hessen seine zahlenmäßige Aufnahmeverpflichtung infolge dieser natürlichen Wanderungsbewegung gegenüber den einzelnen Abgabeländern nicht erfüllt haben, so wünscht es eine Verrechnung mit dem Wanderungsgewinn aus anderen Aufnahme- oder Abgabeländern. Lediglich gegenüber Schleswig-Holstein hat sich Hessen bereit gefunden, aus monatlich vorzulegenden 200 Umsiedlungsanträgen geeignete Bewerber zu übernehmen. Zu dieser allgemeinen Stellungnahme gegenüber der Aufnahme von Vertriebenen gibt Hessen als Begründung an, daß es keine verfassungsrechtliche Handhabe besitze, Heimatvertriebene, die auf Grund der Verordnung vom 29. November 1949 nach Hessen umgesiedelt werden, in Gemeinden seines Landes einzuweisen. Es droht an, daß, wenn auf Grund dieser Verordnung die Aufnahme erzwungen werde, eine Unterbringung der Heimatvertriebenen nur in Lagern erfolgen könne.
Aus den Berichten der Vertreter der Bundesregierung und aus dem Bericht insbesondere des Vertreters des Landes Niedersachsen war zu entnehmen, daß mit den Ländern der französischen Zone und des Landes Württemberg-Baden eine zufriedenstellende Vereinbarung erzielt werden konnte, daß aber durch die Haltung Nordrhein-Westfalens und Hessens die restlose Durchführung der Umsiedlung von 300 000 Heimatvertriebenen in Frage gestellt ist.
Im Ausschuß kam übereinstimmend zum Ausdruck, daß die Bundesregierung durch geeignete Maßnahmen die beschleunigte und restlose Durchführung der Verordnung vom 29. November 1949 sicherstellen müsse und daß bereits jetzt die für eine Umsiedlung weiterer Heimatvertriebener notwendigen Vorarbeiten getroffen werden sollten mit dem Ziel, zunächst insgesamt 600 000 Heimatvertriebene umzusiedeln. Der Ausschuß ist der Auffassung, daß eine der wichtigsten Voraussetzungen, nämlich die gleichmäßige Eingliederung der Heimatvertriebenen in die Bevölkerung des Bundesgebietes, nur erfüllt werden kann, wenn die mit Heimatvertriebenen überbelasteten Länder an die bis jetzt zu schwach belasteten Länder abgeben können.
Der Ausschuß für Heimatvertriebene schlägt deshalb vor, seinem Antrag Drucksache Nr. 841 stattzugeben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen.
Für die Aussprache, meine Damen und Herren, schlägt Ihnen der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 60 Minuten nach dem üblichen Verteilungsschlüssel vor. Ich darf das Einverständnis des Hauses damit feststellen.
Als erster Redner hat das Wort Herr Abgeordneter Stech. — 12 Minuten, bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser ursprünglicher SPD-Antrag verlangte eine Umsiedlung von 600 000 Personen aus den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern in unterbelegte bzw. aufnahmefähige Länder. Die seinerzeit im Bundestag und im Ausschuß für Heimatvertriebene geführten Verhandlungen sind später auf die Ebene der Bundesregierung und des Bundesrates verlagert worden. Die anfänglich von Herrn Bundesflüchtlingsminister Dr. Lukaschek mit den Ländern zum Zwecke gütlicher Vereinbarungen geführten Verhandlungen waren nach unserer Ansicht von vornherein zum Scheitern verurteilt. Unsere seinerzeitige Warnung bzw. die von uns auf Grund jahrelanger Erfahrungen mit den Landesflüchtlingsverwaltungen immer wieder vertretene Auffassung hat sich nur zu sehr als zu Recht bestehend erwiesen.
Als Ergebnis dieser so geführten Verhandlungen ist festzustellen, daß in der Zeit vom 1. 1. bis zum 31. 12. 1950, und zwar auf Grund des Art. 119 des Grundgesetzes, ganze 300 000 Personen aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern in die Länder Baden, Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Rheinland-Pfalz umgesiedelt werden sollen; bei heutiger Betrachtung ein überaus mageres Ergebnis, wenn man bedenkt, daß von diesen 300 000 umzusiedelnden Personen auf Schleswig-Holstein 150 000, auf Niedersachsen und Bayern je 75 000 entfallen sollen. In Wirklichkeit würde nach bisheriger Sachlage die Zahl von 300 000 echt umzusetzenden Personen nie und nimmer erreicht, wenn die bisher geübte Methode beibehalten würde.
Was haben wir in diesem Zusammenhang festzustellen? Schleswig-Holstein wird bei Beibehaltung der bisherigen Praxis niemals in der Lage sein, 150 000 Personen umzusetzen, weil man dazu übergegangen ist, alles, was im Jahre 1949 ordnungsgemäß umgesetzt worden ist, glatt auf diese 150 000 zu verrechnen. Wir schätzen in Schleswig-Holstein, daß wir im Jahre 1950, wenn diese Methode so beibehalten werden sollte, vielleicht noch nicht einmal die Hälfte von 150 000 echt umsetzen können. Wenn das der Sinn der vom Herrn Flüchtlingsminister Dr. Lukaschek nach Art. 119 erbetenen und erfochtenen Rechtsverordnung sein soll, dann möchten wir uns" für eine solche Durchführung herzlichst bedanken. Wenn ich also bei einer 50%igen Quote Schleswig-Holsteins angekommen bin und nun das Land Niedersachsen beispielsweise betrachte, das in diesem Jahre 75 000 Personen umsetzen soll, so wird voraussichtlich und nach bisherigen Berechnungen der niedersächsischen Landesregierung nur noch eine Höchstzahl von ungefähr 37 000 umgesetzt werden können. Ähnlich liegen die Verhältnisse bezüglich des Landes Bayern.
Welche Folgerungen haben wir hieraus zu ziehen? Wir sind der Meinung, wenn die Rechtsverordnung nach Art. 119 von den Ländern kaum beachtet wird, wenn man willkürlich sagt: Wir erkennen nicht an, was seinerzeit ausgehandelt worden ist, dann entsteht die Frage, ob nicht mit einem Gesetz gearbeitet werden muß. Ich sagte bereits zu Beginn, die mit den Länderflüchtlingsverwaltungen gesammelten Erfahrungen lassen keine gütliche Vereinbarung zu, und wenn wir weiter feststellen, daß die Rechtsverordnung eben nicht den Boden hat, wie man es billigerweise verlangen kann, dann muß eben versucht werden, den Dingen mit schärferen Mitteln beizukommen. Ich sagte
schon: Ganze 300 000 sind jetzt für die Umsetzung übriggeblieben. Wir sind der Meinung, daß der Herr Berichterstatter mit seinen Feststellungen zum erheblichen Teil das Richtige getroffen hat, und meine Fraktion ist gewillt, dem Antrag des Ausschusses die Zustimmung zu erteilen, in dem es heißt:
Um eine gleichmäßige Eingliederung der Heimatvertriebenen in die Bevölkerung des Bundesgebietes zu erreichen, sind die Länder zu verpflichten, aus den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern zunächst insgesamt 600 000 Heimatvertriebene mit tunlichster Beschleunigung aufzunehmen.
Aus diesem „zunächst" wollen wir vom Ausschuß her erkennen lassen, daß das der Anfang im Jahre 1950 sein muß. Es kann nicht nur bei diesen 300 000 laut Rechtsverordnung bleiben, weil uns die Dinge tatsächlich inzwischen, wie im Ausschuß wiederholt betont wurde, über den Kopf wachsen werden.
Uns allen, die wir mit Heimatvertriebenenkreisen zu tun haben, gehen fast tagtäglich Notschreie zu, Protestentschließungen; Massenversammlungen finden draußen statt. Uns glaubt kein Mensch mehr, obwohl die sich freiwillig Meldenden davon überzeugt waren, daß es nach dem jahrelang vorausgegangenen Hin und Her endlich im Jahre 1950 zu klaren Rechts- und Umsiedlungsverhältnissen kommen würde.
Man soll uns nicht damit kommen, daß etwa die Bundesbahn nicht in, der Lage sei, täglich rund 1000 Menschen aus einem Abgabeland zu transportieren. Wenn man die Notschreie der Bundesbahn, daß sie unterbeschäftigt sei, hört und richtig versteht, sollte man beim deutschen Organisationsvermögen ruhig sagen können — und es liegen auch Auskünfte darüber vor —, daß die Bundesbahn noch im Jahre 1950 600 000 Menschen sauber und menschlich einwandfrei umsetzen kann. Bei gutem Willen ist das durchaus möglich.
Nun sagte ich eben: Bei gutem Willen ist das durchaus möglich. Da wollen wir uns doch einmal die Länder ansehen, die diesen guten Willen anscheinend nicht aufbringen wollen. Zwei Länder sind dabei insbesondere zu nennen; das ist Nordrhein-Westfalen einerseits und Hessen andererseits. Wenn man der Meinung ist, daß die Anrechnungen aus den Umsetzungen im Jahre 1949 entfallen, Herr Bundesflüchtlingsminister, dann müssen wir eine Korrektur vornehmen, wonach es bei der bisherigen Regelung, also bei 300 000 Umsiedlern ohne Anrechnung vorhergegangener Dinge bleiben muß, und dann einen Schritt weitergehen und sagen:
Im Jahre 1950 sind 600 000 Menschen umzusiedeln.
Das ist, wie ich schon bemerkte, technisch durchaus möglich. Nordrhein-Westfalen kann unmöglich erst Wohnungen bauen wollen, um dann die Auflagen nach der Rechtsverordnung der Bundesregierung zu erfüllen. Auf der anderen Seite aber hält man die Heranziehung von arbeitsfähigen Fachkräften- aus den Abgabeländern für nützlich, indem man sagt: Die Familienangehörigen müssen noch so lange in den Abgabeländern bleiben, bis in Nordrhein-Westfalen neuer Wohnraum für die Familienangehörigen erstellt worden ist. Sehr viele dieser Menschen haben jahrelang getrennt leben müssen, und wie froh waren sie, daß sie nach jahrelanger Trennung endlich wieder zusammengeführt werden konnten. Jetzt soll der Prozeß der
Trennung noch einmal beginnen, indem man die Familien wieder auseinanderreißen will. Gegen diese Art und Weise müssen wir uns mit aller Entschiedenheit wenden, und zwar nicht nur wegen der Anrechnung der Umgesiedelten des Vorjahres, sondern auch, weil man die Familien erneut trennen will. Das gleiche trifft in ähnlichem Umfange für Hessen zu.
Wir stimmen also dem Ausschußantrag zu. Alle Länder, die nach der Rechtsverordnung der Bundesregierung Flüchtlinge aufzunehmen haben, müssen das Letzte tun, die Umsiedlung in menschlichster Form zu gewährleisten, sowie die politischen Schwierigkeiten zu beseitigen, die sich in den Abgabeländern von Tag zu Tag steigern. Wir wünschen eine saubere Umsiedlung ohne irgendwelche Anrechnung im Jahre 1950 und in gleicher Weise mit ähnlichen Zahlen im Jahre 1951. Notfalls muß die Umsiedlung durch Bundesgesetz geregelt werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Donhauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie erinnern sich, daß wir schon zu wiederholten Malen zu diesem heiklen Thema Stellung genommen haben. Sie erinnern sich, daß wir das Hohe Haus schon mehrmals flehentlich gebeten haben, doch in dieser Angelegenheit, in dieser das ganze soziale und wirtschaftliche Leben des Bundes entscheidend beherrschenden Frage des innerdeutschen Flüchtlingsausgleichs wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen. Wir sind daher damals zu dem Entschluß gekommen, die Vorlage des Flüchtlingsausschusses zurückzuverweisen. Nun stehen wir heute vor einem neuen Beratungsergebnis des Ausschusses, vor einem Beratungsergebnis, das meine politischen Freunde und ich unterstützen. Wir sind also grundsätzlich durchaus mit dem mündlichen Bericht des Ausschusses einverstanden.
Aber angesichts der gewaltigen Arbeitslosigkeit, vor allem angesichts der Tatsache, daß im Maibericht der Bank Deutscher Länder wiederum festgestellt wurde, die strukturelle Arbeitslosigkeit sei in erster Linie auf den in weiten Teilen Westdeutschlands nicht vollzogenen innerdeutschen Flüchtlingsausgleich zurückzuführen, bitten wir Sie, diesen Bericht und diese Vorlage des Ausschusses insofern zu verstärken, daß Sie — über die bereits vollzogenen Maßnahmen des Herrn Bundesflüchtlingsminnisters hinaus — weitere 600 000 Menschen zur Umsiedlung empfehlen.
Deshalb bringe ich im Auftrage meiner politischen Freunde einen Abänderungsantrag ein. Er lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Im Abs. 1 des Antrages sind die Worte „zunächst insgesamt" zu ersetzen durch „weitere".
Ich übergebe hiermit den Abänderungsantrag. Präsident Dr. Köhler. Ich danke schön!
Meine Damen und Herren! Seien wir uns darüber klar, daß der innnerdeutsche Flüchtlingsausgleich, und zwar ein wirkungsvoller innerdeutscher Flüchtlingsausgleich, die absolute Voraussetzung für eine einigermaßen merkbare Befriedigung auf allen Gebieten des wirtschaftlichen und sozialen Lebens ist. Wenn wir heute vom Berichterstatter wiederum hören mußten, daß zwei deutsche Länder sich ihren Verpflichtungen in einer unerhörten Art und Weise zu entziehen versuchen, dann kann das nur als eine Sabotage am Gedanken des Bundes und als eine Sabotage am Gemeinschaftsgeist aller Deutschen bezeichnet werden.
-Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tichi. — Fünf Minuten bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem Bericht des Ausschusses für Heimatvertriebene zu. Die Umsiedlung ist ein wichtiger Teil des gesamten Flüchtlingsproblems. Die Notwendigkeit seiner Internationalisierung unter amerikanischer Führung hat Präsident Truman gerade gestern ausdrücklich unterstrichen. Wir können aber keinesfalls der Meinung des Herrn Bundesministers für die Vertriebenen Dr. Lukaschek beipflichten, der gestern in einer Pressekonferenz erklärt hat, daß das Flüchtlings- und Vertriebenenproblem grundsätzlich eine deutsche Angelegenheit, daß also Deutschland für seine Lösung verantwortlich sei. Nein, Herr Minister Dr. Lukaschek, wir sind da anderer Meinung. Wenn Ihre Meinung gelten würde, dann wäre es ein Bekenntnis zur Kollektivschuld des deutschen Volkes an dem verlorenen Krieg und seinen Folgen.
Für die Ausweisungen und das Flüchtlingselend von 12 Millionen Menschen sind auch die Mächte verantwortlich, die zu den Verträgen von Yalta und Potsdam ihre Zustimmung gaben.
Die können und dürfen wir nicht von der Mitverantwortung lossprechen.
Die bereits angeordneten und begonnenen Umsiedlungen sind in ihrer Tragik kennzeichnend für unser Flüchtlingselend. Sie brachten auch beschämende Beispiele des Verhaltens einiger Aufnahmeländer — wie es jetzt wiederholt aufgezeigt worden ist —, die der auch ihnen auferlegten Schicksalsgemeinschaft des gemeinsam verlorenen Krieges aus dem Wege gehen wollen.
Die Ausführungen des Herrn Referenten werden Ihnen diese Auffassung bestätigt haben.
Meine Damen und Herren! Es kann nicht bestritten werden, daß von den mit Flüchtlingen überbelegten Ländern — Bayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein — in der vergangenen Zeit und bis heute ungeheure finanzielle Opfer getragen worden sind, von denen die anderen Länder verschont geblieben sind.
Die Steuereinnahmen Bayerns betrugen vom Juli 1948 bis Juni 1950 15,5 Prozent des Gesamtaufkommens im Bunde, während sein Anteil an Vertriebenen 26 Prozent beträgt. Das reiche Nordrhein-Westfalen, das für die Aufnahme von Flüchtlingen Bedingungen stellt, nimmt in der gleichen Zeit 30 Prozent der Steuern ein, während es nur mit 8,5 Prozent aller Vertriebenen belegt ist.
Die Länder der französischen Zone sind noch viel besser dran. Daraus wird klar, daß alle diese Länder Hunderte von Millionen erspart haben, während die armen Länder Bayern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen die großen Opfer bei der Flüchtlingsbetreuung tragen müssen. Es wäre deshalb wohl am Platze, daß auch nachträglich ein finanzieller Ausgleich zugunsten der Länder stattfindet, die bis heute die großen Opfer gebracht haben.
Die innerdeutsche Umsiedlung stellt organisatorisch, wirtschaftlich und sozialpolitisch so ungeheure Aufgaben, daß es schwer sein wird, sie im Jahre 1950 zu lösen. Die Umsiedlung kann selbst dann nicht als restlos durchgeführt angesehen werden, wenn die Umsiedlung dieser 600 000 Menschen systematisch zu Ende geführt wird. Sie muß fortgesetzt werden, bis der Anteil der Flüchtlinge in allen elf Ländern des westdeutschen Staates im Verhältnis zur gesamten Bevölkerung ausgeglichen ist.
Die Umsiedlungsaktion ist auch ein gesamtdeutsches wirtschaftliches Problem. Die besondere Notlage wird durch die Tatsache gekennzeichnet, daß 37 % der Flüchtlinge arbeitslos sind, während der Anteil der Arbeitslosen an der Bevölkerung der Bundesrepublik 15 bis 18% beträgt. In Schleswig-Holstein beträgt der Anteil der Heimatvertriebenen an der Arbeitslosenzahl 60%, in Niedersachsen 43% und in Bayern 42%. Die Vertriebenen haben in Westdeutschland keine Dauerarbeitsplätze gefunden. Der große Anteil der Vertriebenen an der Gesamtzahl der Arbeitslosen ist in erster Linie auf die arbeitsmarktmäßig ungesunde regionale Verteilung der Vertriebenen zurückzuführen. Dem kann nur durch einen gerechten Ausgleich abgeholfen werden.
Es wird weiter auch darauf hingewiesen, daß die Umsiedlungsaktion die erwartete Entlastung der Flüchtlingsländer nicht gebracht hat oder nicht bringen wird, weil der Umsiedlungswille der Lagerinsassen erschreckend gering ist. Das mag zutreffen, aber man muß verstehen, daß ein großer Teil der Lagerinsassen in der unbestimmten Angst lebt, durch die Umstellung und den Wechsel in andere wirtschaftliche Verhältnisse — ohne die zwar dürftige, aber sichere Geborgenheit durch die helfende Hand der staatlichen Betreuung — gestellt zu werden. Diese Einstellung bringt das jahrelange Leben innerhalb der Lagermauern mit sich. Es ist eine seelische Erscheinung, die wir alle verstehen müssen. Wir, die wir mit diesen Menschen in den Lagern in Verbindung stehen, wissen aus eigener Erfahrung, daß diese Menschen mit ihren Familien aus den Lagern herauswollen. Sie wollen aber Sicherheit haben, eigene Wohnungen und Arbeitsmöglichkeiten in dem neuen Land zu bekommen, haben jedoch Angst vor jeder Umsiedlung ins Ungewisse.
Eins steht fest: die gedachte und begonnene Umsiedlungsaktion wird scheitern, wenn nicht ein fest umrissenes Weisungsrecht des Bundes für den Ausgleich zugunsten der Länder geschaffen wird, die mit Vertriebenen überbelegt sind. Wenn eine derartige Bestimmung in einem neuen Flüchtlingsgesetz nicht verankert sein wird, ist es verfehlt; sie muß darin verankert sein. Wir erwarten, daß der Herr Bundesminister für Vertriebene dem Bundestag ein Gesetz mit dieser Bestimmung ehestens vorlegen wird.
- Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krause. Fünf Minuten, bitte!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Man kann im westdeutschen Bundesgebiet zu uns ostdeutschen Heimatlosen und den von uns immer wieder erhobenen berechtigten Lebensforderungen stehen wie man will, soviel steht fest: An der Erkenntnis wird niemand mehr vorbeikommen, daß der Herr Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen, mein schlesischer Landsmann Dr. Lukaschek, ein wahres Wort geschrieben hat, wenn er im diesjährigen Februarheft der vom Sozialministerium des Landes Schleswig-Holstein herausgegebenen „Zeitschrift für das Vertriebenenwesen" die beachtenswerte Feststellung trifft, das Problem der Heimatvertriebenen werde immer mehr und mehr zu einer Schicksalsfrage unserer jungen Bundesrepublik. Seine Lösung ist nach den bitteren Erfahrungen der für uns besonders schweren Jahre seit Kriegsende 1945 auf die Dauer nicht mehr auf Länderebene, sondern nur noch auf Bundesebene mit Aussicht auf Erfolg möglich.
Einer der Wege zu diesem im Interesse unserer gesamtdeutschen Zukunft erstrebenswerten Ziel führt tatsächlich eben über den sogenannten Flüchtlingsausgleich. Allein die Tatsache, daß nur in Schleswig-Holstein — dem Flüchtlingsland Nr. 1 — durch die Vertriebenen — nicht durch ihre Schuld! — eine Bevölkerungszunahme von 71%, in Niedersachsen von 50% und in Bayern von 30 % hervorgerufen worden ist, beweist, daß wir ohne eine Entvölkerung dieser drei mit Vertriebenen am meisten belegten Bundesländer nicht mehr weiterkommen, wenn nicht die unter den Vertriebenen vorhandenen und täglich sich verschärfenden politischen und sozialen Spannungen eines Tages zur Entladung kommen sollen. Der Herr Kollege Tichi hat soeben ausführlich über die Arbeitslosigkeit im Zusammenhang mit dem Vertriebenenproblem gesprochen und beweiskräftige Zahlen angeführt, so daß ich es mir wohl ersparen kann, auf diese Dinge einzugehen.
Es wird aber das Hohe Haus interessieren, einmal die Meinung der Vertriebenen in einem Lande, das als Aufnahmeland zu gelten hat, zu erfahren. Bei einer Umfrage anläßlich einer Bezirksdelegierten-Tagung des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen des Zentralverbandes vertriebener Deutscher am 22. April dieses Jahres in Schwerte und bei einer Tagung des Kreisflüchtlingsbeirats des Kreises Lippstadt am 3. Mai 1950 ist sowohl bei den Einheimischen als auch bei den Vertriebenen festgestellt worden, daß man sich an sich nicht — wie es hier oft dargestellt worden ist — gegen eine Aufnahme sträubt, obwohl Nordrhein-Westfalen das am dichtesten besiedelte, aber auch das meistzerstörte Land des ganzen Bundesgebietes ist; siehe: Ruhrgebiet!
Auch wir Vertriebenen in Nordrhein-Westfalen haben allerdings die eine Bitte, daß man beim Flüchtlingsausgleich dann eine gerechte Verteilung auf die einzelnen Stadt- und Landkreise vor-
nimmt. Wir halten es im Interesse einer schnelleren Umsiedlung für erforderlich, daß den Aufnahmeländern Geldmittel für den Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden. Auf keinen Fall darf es vorkommen, daß die Umsiedlung aus den Abgabeländern in Richtung auf neue Massenunterkünfte oder gar Barackenläger erfolgt.
Zum Schluß, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich an den Herrn Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen hier in aller Öffentlichkeit doch einmal die Frage richten, wieweit es mit seiner Erklärung steht, die er in der 13. Sitzung des HeimatvertriebenenAusschusses am 25. April 1950 abgegeben hat, in der er nämlich auf die Frage nach dem Stand der Aufhebung der Zuzugsgenehmigung geantwortet hat, daß die Bundesregierung an die Militärregierung herangetreten sei, um die Aufhebung des einschlägigen Militärregierungsgesetzes zu erreichen. Ich glaube, der Flüchtlingsausgleich kann praktisch erst dann richtig wirksam werden, wenn die Frage der Zuzugsgenehmigung in einem für uns alle positiven Sinne endlich einmal gelöst sein wird.
Zusammenfassend, meine Damen und Herren, darf ich darauf hinweisen, daß ein großer Teil nicht nur der Einheimischen und Vertriebenen, sondern ein großer Teil der Bevölkerung auch in den sogenannten Aufnahmeländern auf dem Standpunkt steht: Die Frage des Flüchtlingsausgleichs ist eine entscheidende Lebens- und Zukunftsfrage der sozialen Schicksalsgemeinschaft aller Deutschen, die guten Willens sind!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller . 5 Minuten, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Es wäre geradezu ein schwerwiegender Fehler, wenn wir den Flüchtlingen mit dieser Vorlage etwa weismachen wollten, daß damit das Flüchtlingsproblem gelöst würde. Diese Vorlage des Ausschusses besagt nichts anderes, als daß man nur an Erscheinungen herumlaboriert, anstatt an die grundlegende Frage heranzugehen, wie überhaupt das Flüchtlingsproblem zu lösen ist.
Wenn vorhin ein Kollege davon sprach, daß in diesem Hause schon wer weiß wie oft, und zwar in flehentlichen Worten, mit denen man sich an das Haus selbst wie an die Regierung gewandt hat, davon gesprochen worden ist, man solle das Flüchtlingsproblem lösen und wie man es lösen solle -- der Kollege ist wahrscheinlich selbst ein Flüchtlingsvertreter —, so möchte ich hier vor allem diejenigen in den Regierungsparteien ansprechen, die die Möglichkeit hätten, dafür zu sorgen, daß entscheidende Maßnahmen ergriffen würden. Von dieser Regierung, der Regierung Adenauer-Lukaschek, ist für die Flüchtlinge keine ernsthafte Maßnahme zu ihren Gunsten und zur Lösung des Flüchtlingsproblems zu erwarten.
Die entscheidende Frage, auf die es ankommt, wenn man an die Ursachen herangehen will, ist, festzustellen: 1. Das Flüchtlingsproblem' ist nur zu lösen,
indem man im Zuge der völligen Gleichberechtigung ihnen, soweit es sich um Flüchtlingsbauern handelt, endlich Grund und Boden gibt.
Herr Lukaschek, ich habe Sie mehr als einmal von dieser Stelle aus gefragt: Was tun Sie, um der großen Masse der Flüchtlingsbauern Grund und Boden zu verschaffen?
— Ich freue mich darüber, daß Sie jetzt, wie schon so oft, in dieser Art und Weise, durch Ihre Zwischenrufe zum Ausdruck bringen, daß Ihnen die Regelung der Flüchtlingsfrage, wie sie in der Deutschen Demokratischen Republik erfolgt ist, verdammt unangenehm ist.
Das weiß ich. Ich hatte erst vor zwei Tagen Gelegenheit, mit Flüchtlingsvertretern, die in der
Deutschen Demokratischen Republik waren und die
nicht Mitglieder der Kommunistischen Partei sind,
sondern Vertreter anderer Parteien, zu sprechen.
Sie haben mir auf Grund ihrer eigenen Studien in der Deutschen Demokratischen Republik erklärt, daß es dort drüben ein Umsiedler- oder Flüchtlingsproblem nicht mehr gibt.
Man hat nämlich den Herren, die teils in Ihren Reihen sitzen oder Sie zu den Zwischenrufen veranlassen, dort drüben die Rittergüter weggenommen, und .da, wo einer geherrscht hat, sitzen heute 10, 20 und 30 Flüchtlingsbauern.
Eine zweite, die entscheidende Frage: Auch wenn im Zuge der Umsiedlung oder des Flüchtlingsausgleichs, wie er in dieser Vorlage vorgesehen ist, von den Ländern, die überbelegt sind, gewisse Spitzen weggenommen werden, ist damit der Arbeitsplatz und der Wohnraum für die Flüchtlinge im neuen Aufnahmeland noch lange nicht geschaffen; sie werden, ob sie nach Hessen oder nach Nordrhein-Westfalen oder in andere Länder der Bundesrepublik kommen, auch dort dem Elend der Arbeitslosigkeit preisgegeben sein, solange nämlich diese Regierung und Ihre Parteien eine Politik machen, die durch Unterstützung der Demontagen den Arbeitsplatz demontiert und damit auch die Flüchtlinge arbeitslos macht.
- Jawohl, das sind die Tatsachen, und Sie können sie durch eine Hetze unter den Flüchtlingen gegen den Osten nicht mehr verwischen, und können nicht verhindern, daß ihnen die Augen darüber geöffnet werden. Hier sitzen die Schuldigen und bei
den Parteien, die an dem Flüchtlingselend bei uns in Westdeutschland schuld sind.
Wir werden im Hinblick auf die Tatsache, daß gewisse Notwendigkeiten eines Spitzenausgleichs
sich ergeben, der Vorlage zustimmen, möchten aber noch einmal betonen, — —
Meine Damen und Herren, die Redezeit wird durch viele und laute Zwischenrufe nur künstlich verlängert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe nichts dagegen, Herr Präsident, sondern freue mich darüber; denn die Zurufe sind ein Beweis dafür, daß ich recht habe.
Ich lege aber entscheidenden Wert auf eine Feststellung zur Vorlage selber, daß nämlich unter keinen Umständen ein wie immer auch gearteter Zwang, ob direkt oder indirekt, bei einer Umsiedlung auf die Flüchtlinge ausgeübt werden darf. Das ist entscheidend für unsere Stellung, wenn wir dieser Vorlage zustimmen. Die Flücht linge selber aber werden die Aufgabe haben, sich darüber klar zu werden, daß sie von dieser Regierung und diesen Parteien nichts zu erwarten haben.
Eine Lösung ihrer Probleme wird nur dann erfolgreich in Angriff genommen werden können,
wenn sie den Weg gehen, der in der Deutschen
Demokratischen Republik beschritten worden ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Höfler. 12 Minuten, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube mit meinen Freunden,
daß dieses Problem nicht durch wilde Reden, sondern nur dadurch gelöst werden kann, daß wir eifrig danach trachten, die Dinge zu tun, die notwendig sind.
— Ich glaube, an der Verursachung dieses Elends sind Ihre Freunde nicht ganz unschuldig!
Es wird ja allmählich langweilig, daß man diese Reden immer wieder anhören muß.
Es kümmert einen wirklich nicht mehr, wenn in dieser Weise über dieses Problem geredet wird. Ich sage ganz offen: es ist eine Schande, daß die Dinge immer wieder diesen Lauf nehmen, wenn Ihre Freunde sich hierherstellen.
Was getan werden muß, ist zweierlei. Einmal müssen wir als Deutsche unsere Pflicht tun. Es Ist notwendig, daß alle daran denken, daß so-viele in Not gekommen sind, weil sie für uns gelitten haben. Und wenn es einige Länder gibt, die der Verordnung des Herrn Ministers Lukaschek nicht nachkommen wollen, so muß man doch sehen, ob man nicht durch neue Verhandlungen und vielleicht durch etwas strafferes Anziehen mit diesen Ländern dahin kommen kann, daß sie das tun, was sie mit ausgemacht haben und was zu tun notwendig ist. Vielleicht werden wir das nicht gesetzlich festzulegen brauchen; denn ich
glaube doch, daß deutsche Menschen und ihre verantwortlichen Lenker in den Ländern schließlich dahin kommen werden, das zu tun, was sie längst eingesehen haben.
Was weiter geschehen muß, ist die Internationalisierung dieses Problems, nachdem wir gestern noch hörten, daß einige Fortschritte auf diesem Gebiet zu erwarten sind. Aber ich sage noch einmal: Wenn wir uns international um diese Dinge kümmern wollen, dann wird es notwendig sein, daß wir zuerst unsere eigene Pflicht im Lande erfüllen.
Wenn gesagt wird, daß die Bundesbahn nicht ganz imstande wäre, das nötige Kontingent pro Jahr in diesem Verteilzeitraum zu befördern, so klingt das nicht ganz wahrscheinlich, und ich glaube, auch hier wird man von Regierungsseite her nach dem Rechten sehen müssen, damit etwa mangelndem gutem Willen ein wenig nachgeholfen wird. Ich nehme aber an, daß sich der gute Wille leicht herausstellen wird.
Es ist vorhin über die Länder der französischen Zone etwas gesagt worden, was man doch nicht ganz unwidersprochen hinnehmen darf. Die Länder der französischen Zone standen — das ist allgemein bekannt — bis jetzt unter ganz besonderen Verhältnissen, sowohl was die Inanspruchnahme des dort vorhandenen Wohnraums wie die Stärke der Besatzung und auch die finanziellen Leistungen für die Besatzungslasten angeht; haben wir doch beispielsweise in unserem Lande Baden etwa 50 % — manchmal sogar mehr — des Steueraufkommens verwenden müssen, um den Besatzungskosten gerecht zu werden.
Das darf man nicht außer Anschlag lassen, wenn wir auch durchaus zugeben, daß etwa Nordrhein-Westfalen als am stärksten zerstörtes Land -- es ist aber auch das reichste und wahrscheinlich das aufnahmekräftigste! — einiges dagegen einwenden könnte.
Meine Freunde stimmen diesem Antrag zu. Sie meinen, sein Inhalt sei geeignet, uns der Lösung des Problems ein wenig näherzubringen. Dem Antrag der Bayernpartei widerraten wir, weil wir der Meinung sind, daß wir es zunächst darauf anlegen müssen, die 300 000 und die 600 000 des Antrags zu erfüllen und erst dann vielleicht zu Weiterem fortzuschreiten.
Meine Damen und Herren, wird das Wort weiter gewünscht?
— Bitte, Herr Abgeordneter Strauß.
— Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Richter! 3 Minuten!
Meine Damen und Herren! Ich darf im Namen meiner Freunde mitteilen, daß wir selbstverständlich dem Ausgleich der Vertriebenen innerhalb der Länder der deutschen Bundesrepublik zustimmen. Wer die Verhältnisse in den Gebieten kennt, die in ganz besonderem Maße das Flüchtlingselend zu spüren bekommen haben — Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein —, wer weiß, daß da
oben gar keine Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen, um diesen Menschen zu einer Arbeit und damit zu ihrem Lebensunterhalt zu verhelfen, dem muß natürlich daran gelegen sein, daß so bald wie möglich auch eine größtmögliche Zahl Vertriebener in anderen Ländern untergebracht wird, aber nicht in einer Form, bei der sie dort wieder ein Lagerdasein fristen müssen, sondern indem sie wohlvorbereitet möglichst rasch in den Arbeitsprozeß eingeschaltet werden können.
Eines möchte ich gleich betont haben. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß das Gesamtproblem der Vertriebenen nicht allein von Deutschland gelöst werden kann. Diejenigen, die das Potsdamer Abkommen unterschrieben haben, haben vielmehr auch eine moralische Verpflichtung, sich selber mit für das Elend verantwortlich zu fühlen, das sie damit über das deutsche Volk gebracht haben, und für Abhilfe zu sorgen.
Weiter sei dabei auch folgendes betont. Wir hielten es für vollkommen falsch, das Flüchtlingsproblem etwa in der Form lösen zu wollen, daß man in der „altbewährten" Form des Kulturdüngers Deutsche in großen Mengen auswandern läßt. Wir glauben vielmehr, daß Deutschland gerade in den Ostvertriebenen sehr viele wertvolle Kräfte hat, die es für den Wiederaufbau des zerstörten Vaterlandes in Zukunft noch dringend benötigen wird und die nur entsprechend eingesetzt werden müssen.
Folgendes sei auch noch hervorgehoben. Wir finden es nachgerade geschmacklos — um hier keinen anderen Ausdruck zu gebrauchen —, daß man uns mit Rezepten kommen will, die aus den Vertriebenen keine zufriedenen Menschen machen können, sondern, wie ja die Verhältnisse in der Ostzone klar und deutlich zeigen, aus den Vertriebenen — und das neben der Gesamtproletarisierung des Volkes — nur Arbeitssklaven machen. Wir lehnen diese Rezepte ab. Wir sind uns allerdings darüber klar, daß man neue Platten aus der Ostzone nicht so schnell beschaffen kann. Infolgedessen haben wir heute wieder das alte Lied gehört. Wir glauben aber, daß man mit den Methoden, die man im Osten angewandt hat, niemals zufriedene Menschen wird schaffen können; ganz im Gegenteil: wir müssen andere Wege suchen, und ich glaube, daß man sie in Deutschland auch finden kann.
— Nein, die Arbeitslager, Herr Renner, bestehen nachweislich in der Ostzone, und darüber ist auch schon zur Genüge geschrieben und gesprochen worden.
— Ich habe Sie leider nicht verstanden, Herr Renner. Ich möchte aber sagen: wir können uns trotz aller Bedrückung, unter der wir noch stehen, glücklich schätzen, daß wir mehr Freiheit genießen und daß wir vor allen Dingen über diese ganzen Fragen offener sprechen können, als es Ihre eigenen Genossen drüben in der Ostzone tun können.
Wir stimmen dem Antrag zu.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Strauß. Noch 7 Minuten, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen t und Herren! Der Inhalt des Antrags selbst befaßt sich- ja nicht mit der gesamten Lösung des Problems, das wir das Flüchtlingsproblem nennen, sondern nur mit einem dringenden Teil des Problems, nämlich der Umquartierung der Heimatvertriebenen, damit eine gleiche Belastung in allen deutschen Ländern eintritt.
Von dem Sprecher der KPD ist die Frage der Gesamtlösung des Flüchtlingsproblems mit Vorwürfen gegen die Regierung und gegen die Regierungsparteien angeschnitten worden. Ich kann dazu nur sagen: Sie, Herr Renner, und Ihre Fraktion könnten einen großen Beitrag zur Gesamtlösung leisten, indem Sie nämlich das Unrecht, das Ihre Gesinnungsfreunde angerichtet haben, dadurch wiedergutmachen, daß Sie für die Rückkehr dieser Menschen eintreten.
Das scheint mir die einzig wahre Lösungsmöglichkeit zu sein, die es bei unseren Mitteln und Kräften überhaupt gibt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß und nicht der Herr Abgeordnete Renner.
Es geht ja von der Redezeit ab! Und wenn Kollege Renner Märchen erzählen will, kann er das in seiner eigenen Partei und Presse tun.
Was die Unterbringung der Heimatvertriebenen in den deutschen Ländern betrifft, so darf man natürlich heute, d. h. im Jahre 1950/51, wenn die Verordnung zur Neuverteilung der Heimatvertriebenen durchgeführt werden soll, eines nicht übersehen. Erstens: wir können, wollen und dürfen bei der Umquartierung der Heimatvertriebenen innerhalb Deutschlands nicht mehr mit den Methoden arbeiten, mit denen man seinerzeit diese Menschen aus der Heimat weggerissen und in Massentransporten in unsere Länder, in unsere Stadt- und Landkreise geschickt hat. Zweitens: wir können auch bei den Ländern, die jetzt Flüchtlinge aufnehmen müssen — das sehen wir ein —, nicht mehr mit den gleichen Methoden arbeiten, mit denen damals die Verwaltung in den Regierungsbezirken und in den Landkreisen arbeiten mußte, um die Transporte, die oft in einer Stärke von 2000 Menschen wöchentlich angekommen sind, innerhalb weniger Tage von der Straße und von den Lagern wegzuholen und in Häusern und sonstigen Unterkünften unterzubringen. Trotzdem darf ich aber hier — und das ist ein echtes Anliegen eines jeden Föderalisten — herzlichst darum bitten, daß sich im Interesse des Föderalismus alle deutschen Länder nicht nur theoretisch zur Aufnahme bereit erklären, sondern dann auch praktisch die nötige Konsequenz ziehen und den guten Willen wirklich in der Tat zeigen, um eine gleichmäßige Aufnahme der Heimatvertriebenen auch dort durchzuführen, wo sie sich bis heute noch nicht vollzogen hat.
Es darf sich dabei aber nicht allein darum handeln, daß man nur gewillt ist, erwerbsfähige Per-
sonen, möglichst ohne Kinder, möglichst ohne Familie, aufzunehmen, die sich für bestimmte bereitstehende Arbeitsplätze eignen. Es muß sich vielmehr darum handeln, daß man die Last, die hauptsächlich in den drei Ländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern übernommen worden ist, nunmehr mit anderen Mitteln und mit anderen Methoden als solchen, mit denen damals gearbeitet werden mußte, auf das ganze Bundesgebiet gleichmäßig verteilt. Es kann auch niemand den guten Willen derjenigen Länder bezweifeln, die am stärksten von der Last der Heimatvertriebenen betroffen worden sind. Allein das Land Bayern hat im Haushaltsjahr 1949/50 eine halbe Milliarde D-Mark für Aufnahme, Unterbringung in Arbeit und Betreuung der Heimatvertriebenen aufgebracht. Das ist bei weitem nicht das, was hätte aufgebracht werden müssen; es ist aber das gewesen, was aufgebracht werden konnte.
Wir sind auch dafür dankbar, daß das Ausland allmählich beginnt, das Flüchtlingsproblem als eine internationale Frage anzusehen. Es ist ja müßig, darüber zu streiten, ob das Problem in der Entstehung ein innerdeutsches Problem ist oder nicht. Wir sind hier bestimmt anderer Meinung als das Ausland. Die Folgen dieses Problems werden jedenfalls nicht eine innerdeutsche Frage bleiben; das ist klar. Die Auswirkungen werden sich weit über die Grenzen Deutschlands erstrecken. Das sollte man draußen begreifen, bevor es zu spät ist.
Wir werden dem Antrag zustimmen. Wir sind auch der Meinung — und das sage ich an die Adresse der Bayernpartei gerichtet —, daß über diese Quote von 600 000 hinaus in einem endgültigen, weiterverlaufenden Ausgleich die Einzelbelastung der Länder ausgeglichen werden muß, bis einigermaßen eine Gleichmäßigkeit eintritt. Aber was hat es heute für einen Sinn, eine deklamatorische Forderung zu stellen, daß weiter 600 000 Menschen umquartiert werden, bevor die Verordnung zur Umquartierung der ersten 300 000 überhaupt erfüllt ist?
Unsere Bitte an den Herrn Btindesflüchtlingsminister geht dahin, in Zusammenarbeit mit den Landesregierungen dafür zu wirken, daß die erste Quote jetzt endlich einmal rasch umquartiert wird und daß die Umquartierung der zweiten Quote, die hier gefordert wird, ebenfalls in Kürze vor sich geht. Darum geht es uns im Interesse des Bundes und im Interesse der Existenz der Länder.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann erteile ich dem Herrn Bundesminister für Angelegenheiten der Heimatvertriebenen das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt die Annahme des Antrages. Die Bundesregierung und insbesondere ich sind bei den Verhandlungen in dem Ausschuß niemals entgegengesetzter Meinung gewesen. Ich darf unterstreichen, daß das Problem der Umsiedlung eines der allerwichtigsten auf dem Gebiete der Vertriebenenpolitik ist; denn in der falschen Verlagerung der Massen der Heimatvertriebenen, die in den Jahren 1945 und 1946 in unplanmäßiger Weise hereingedrückt worden sind, liegt eines der Hauptmomente für die böse Lane der Heimatvertriebenen überhaupt. Es ist ein absolut gerechtfertigter Anspruch der notleidenden Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und
Bayern, von der Überlastung befreit zu werden. Über diese Fragen herrscht bei keinem irgendein Streit, und unter diesem Gesichtspunkt ist die Verordnung aus Art. 119 der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates vom 29. November 1949 ergangen, die vorsieht, daß im Jahre 1950 300 000 Heimatvertriebene in die minderbelasteten Länder umgesiedelt werden müssen. Es ist gleichzeitig ein gewisser Schlüssel aufgestellt worden.
Bei Erlaß dieser Verordnung herrschte auch Klarheit darüber, daß eine gleiche Verordnung im Oktober dieses Jahres bezüglich einer weiteren Zahl von 300 000 ergehen muß; denn es war die Forderung, daß 600 000 innerhalb zweier Jahre umgesiedelt werden. Daß diese Teilung eingetreten ist, lag nur an technischen Dingen, technisch nicht in dem Sinne, daß die Eisenbahnen nicht hätten 300 000 transportieren können, sondern technisch in dem Sinne, daß die Aufnahmeländer ja irgendwelche wirklich planmäßigen Vorbereitungen treffen müssen, damit nicht das Unglück eintritt, daß Heimatvertriebene aus Schleswig-Holstein, die aus einem Massenlager kommen, als Einwohner von Rheinland-Pfalz in ein anderes Massenlager transportiert werden, sondern damit sie an Stellen eingesetzt werden, wo es Arbeit und womöglich auch Wohnungen gibt. Das ist eine riesige Planungsarbeit.
Nun wird gewöhnlich übersehen, daß in § 1 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung vom 29. November 1949 steht:
Dabei werden Heimatvertriebene, die seit
dem 1. April 1949 aus einem der drei Abgabe-
länder kommend in einem Aufnahmeland
nachweislich aufgenommen sind, angerechnet. Diese Anrechnung mußte im ersten Jahre erfolgen, weil die Verhandlungen zwischen den Länderregierungen vom 1. April 1949 angelaufen sind und man sich nicht gut auf den Standpunkt stellen konnte, daß ein Land, das so großzügig war, möglichst viele vorweg aufzunehmen, nun eine relativ erhöhte Quote bekommen soll. Das ist also eine sachlich gerechtfertigte Bestimmung. Sie kommt im nächsten Jahre nicht in Betracht. Dazu möchte ich folgendes sagen: Wenn der Herr Abgeordnete Krause gesagt hat, es sei notwendig, daß die Zuzugsgenehmigung aufgehoben werde, und ich hätte am 25. April erklärt: dieser Antrag ist gestellt —, so ist das richtig. Der Antrag auf Aufhebung der Zuzugsgenehmigung, und zwar gestellt durch das Kabinett, liegt auf dem Petersberg. Ich hoffe alle Tage, daß er genehmigt wird. Der Abgeordnete Krause hat vollkommen recht, wenn er sagt, daß nur in Verbindung mit diesen beiden Dingen ein wirklich durch den natürlichen Ausgleich unterstützter geplanter Ausgleich helfen kann.
Nun möchte ich eines dazu sagen: Die Verhandlungen mit den Ländern über alle diese Dinge sind außerordentlich schwierig, ich möchte sagen: schweißtreibend. Wer die Ehre hat, diese Verhandlungen zu führen, der weiß, wie mühevoll das ist. Aber ich kann doch feststellen, daß sich innerhalb des letzten halben Jahres eine starke Aufnahmebereitschaft gefunden hat, und ich stehe nicht an, von der französischen Zone insbesondere die Länder Südwürttemberg und Rheinland-Pfalz zu nennen, die sich außerordentliche Mühe geben, die Dinge zu erfüllen.
Nun sind in Nordrhein-Westfalen und in Hessen Schwierigkeiten eingetreten, die hier hervorgehoben worden sind. In Hessen sind es geringere Schwierigkeiten; da handelt es sich nur um 8000 Leute, über die man nicht viel zu reden braucht. In Nordrhein-Westfalen sind die Dinge schwieriger auf Grund der etwas schwierigen Lage. Ich kann wohl sagen, daß da noch manches Hemmnis, das zum Teil auf bürokratischen Schwierigkeiten beruht, überwunden werden muß. Weil es dort zu einer Einigung nicht gekommen ist, hat das Bundeskabinett in seiner Sitzung vom 2. Mai von der Berechtigung im § 4 der Notverordnung Gebrauch gemacht, wo es heißt:
Die Bundesregierung wird ermächtigt, die zur Durchführung dieser Verordnung erforderlichen Weisungen, insbesondere über die gebietsmäßige und zeitliche Verteilung der Heimatvertriebenen zu erteilen.
Diese Weisungsverordnung ist rechtskräftig, und ich habe das Recht, die Weisungen auszuüben und jetzt, da es zu keiner Einigung gekommen ist, durch Beschluß zu erklären: Ihr habt das und das zu tun! Dem haben sich die Länder zu beugen.
Ich darf aus der Weisung vom 2. Mai folgende Sätze vorlesen, die auch das Problem gleichzeitig etwas umreißen. Es heißt dort zu § 1 Abs. 2 Satz 2:
Für die Heimatvertriebenen, die aus einer Familienhaushalts- oder Lebensgemeinschaft hinausgehend in einem Aufnahmeland Aufnahme gefunden haben, findet die Anrechnung erst statt, nachdem die umsiedlungswilligen Angehörigen dieser Gemeinschaft gleichfalls aufgenommen worden sind.
Wenn also Nordrhein-Westfalen einen Arbeiter angesetzt und irgendwo aufgenommen hat, der die Familie in Schleswig-Holstein hat zurücklassen müssen, so wird ihm dieser Arbeiter auf die Quote nicht angerechnet oder erst angerechnet, wenn die Familie nachgekommen ist.
Weiter heißt es:
Sofern sich ein Abgabeland mit einem Aufnahmeland über die Anrechnung von Heimatvertriebenen nicht einigt, entscheidet auf Anruf die Bundesregierung.
Damit ist also jetzt das Rechtsinstrument vorhanden.
Ich darf aber erklären, daß ich den denkbar größten Wert auf eine freiwillige Einigung lege. Nur mit einer freiwilligen Einigung können wir zu einem Erfolg kommen; denn bei dem Problem der Heimatvertriebenen handelt es sich nicht nur um materielle, sondern um ganz große sittliche Aufgaben, die das deutsche Volk zu erfüllen hat.
Nun lassen Sie mich auf die Worte des Herrn Abgeordneten Tichi zu meiner gestrigen Erklärung vor der Presse zum Walter-Bericht eingehen. Dieser Walter-Bericht ist eines der allererfreulichsten Instrumente auf internationalem Boden, die wir, solange die Bundesregierung in Tätigkeit ist, erlebt haben. Es ist ein ungewöhnlich objektiver Bericht, der Seite für Seite unsere deutsche Ansicht bestätigt. Wir können dafür nur dankbar sein. Wir können insbesondere dafür dankbar sein, daß sich gestern gleichzeitig auch Präsident Truman dafür ausgesprochen hat, daß eine internationale Kommission, in der die Bundesregierung Sitz und Stimme haben soll, diese Fragen prüfen soll. Wir können also international über diese Dinge sprechen. Wenn in diesem Bericht ausgesprochen ist, daß die Vertriebenenfrage eine deutsche Frage ist, so ist damit nichts von irgendwelcher Schuld gesagt. Es ist zunächst eine deutsche Frage, und es ist völlig falsch, wenn wir fortwährend sagen: Bitte, ihr seid schuld daran und müßt daher die Dinge lösen. Damit kommen wir nicht weiter. Es bleibt, auch wenn die anderen schuld sind, nun einmal eine Frage der deutschen Verantwortung, und das deutsche Volk hat die Pflicht, alles bis zum äußersten zu tun und vorzuleisten, damit international eingesehen wird, daß wir diese Frage allein nicht lösen können, sondern daß zum mindesten wegen der ungeheuerlichen Folgen die ganze Welt uns bei der Lösung dieser Frage helfen muß. Ich kann nicht genug unterstreichen, von welcher außerordentlichen Wichtigkeit und Erfreulichkeit dieser Walter-Bericht ist. Ich werde mir gestatten, den Herren und Damen des Bundestages in der allernächsten Zeit die Übersetzung dieses Berichtes auszuhändigen. Der Bericht ist ein Kompendium der Wissenschaft der Vertriebenenfrage. Man mag über Einzelheiten verschiedener Ansicht sein; im großen und ganzen aber ist er außerordentlich erfreulich. In Anknüpfung an die Frage der Umsiedlung steht auch die heilige Mahnung an alle deutschen Stellen darin, alles zu tun, um von sich aus dieses Problem zu lösen.
Meine Damen und Herren! Ich erkläre die Beratung über den Antrag auf Drucksache Nr. 841 für beendet.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Abänderungsantrag des Herrn Abgeordneten Donhauser bzw. der Bayernpartei, der dahin lautet, im Abs. 1 vorletzte Zeile die Worte „zunächst insgesamt" durch die Worte zu ersetzen „weitere". Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. -Ich danke und bitte um die Gegenprobe. — Das war sehr ungewiß. Ich bitte, die Abstimmung zu wiederholen. Wer für diesen Abänderungsantrag der Bayernpartei ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Wer ist dagegen? - Das erste war ,die Mehrheit. Damit ist der Abänderungsantrag angenommen.
Wer nunmehr für den Antrag auf Drucksache Nr. 841 unter Berücksichtigung der soeben beschlossenen Abänderung im ganzen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich danke und bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist so gut wie einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren! Wir kommen damit zurück zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Senkung der Tabaksteuer für Zigarren .
Ich habe schon eingangs erklärt, daß in der Aussprache gleichzeitig die Anträge auf den Drucksachen Nr. 865, 867, 868 und 885 mitbehandelt werden sollen mit der Maßgabe, daß mit Schluß der ersten Beratung dieses Gesetzentwurfes die genannten Anträge an den Ausschuß als Material überwiesen werden.
Der Ältestenrat richtet an den Herrn Bundesfinanzminister die Bitte, sich mit etwa 10 bis 15
Minuten zu begnügen und schlägt im übrigen eine Redezeit von 60 Minuten vor. Darf ich dazu das Einverständnis des Hauses feststellen? — Es erfolgt kein Widerspruch.
Ich erteile dem Herrn Bundesfinanzminister zur Einbringung der Vorlage das Wort.
Meine Damen und Herren! In der Begründung des Gesetzentwurfes, den die Bundesregierung Ihnen vorgelegt hat, ist davon ausgegangen, daß nicht nur bezüglich' der Zigarren, sondern bezüglich sämtlicher Tabakwaren Wünsche auf eine Reform der Steuer vorgebracht worden sind. Diese Wünsche konnten mit Rücksicht auf die haushaltsmäßigen Folgen und das sich daraus ergebende Risiko nicht berücksichtigt werden. Es ist bekannt, daß gerade durch den Schmuggel die Tabak-, die Zigarettensteuer etc. in ihren Erträgen stark bedroht ist. Es muß daher versucht werden, diesen Schmuggel durch eigene unmittelbare Maßnahmen zu bekämpfen. Wir werden uns voraussichtlich in acht Tagen darüber im einzelnen unterhalten, um das Risiko, das für die Haushaltsgebarung gegeben wäre, zunächst zu vermeiden.
Die Senkung der Zigarrensteuer wurde Ihnen aus zwei Gründen vorgeschlagen. Sie waren der Anlaß, die Besteuerung der Zigarren aus dem Gesamtrahmen der Besteuerung ,der Tabakwaren herauszunehmen. Einmal deshalb, weil sich das Verhältnis in der Besteuerung zwischen Zigarren und den übrigen Tabakwaren seit dem Jahre 1946 verschoben hat. In Deutschland haben Zigarren, Zigaretten und Rauchtabak bisher immer in einem festen Verhältnis gestanden; sie sind in einem gewissen Sinne gemeinsam Träger der Steuer gewesen. Dieses Verhältnis in der Besteuerung wurde im Jahre 1946 zuungunsten der Zigarre wesentlich geändert. Es war deshalb ein Anlaß dieser Steuerreform, dem alten Verhältnis wieder näherzukommen.
Der zweite unmittelbare Anlaß war, daß wohl infolge dieser inneren Verschiebung des Verhältnisses in der Besteuerung der verschiedenen Tabakwaren die Zigarrenindustrie im Herbst und Winter dieses Jahres vor einem Zusammenbruch stand, daß der Absatz stark zurückgegangen war und damit in den Reihen der Zigarrenarbeiter Arbeitslosigkeit eingebrochen ist. Deshalb sollte die Reform der Steuer kommen. Wir haben damals den außerordentlichen Weg beschritten, daß wir im Vorgriff auf die Steuersenkung mit Zustimmung des Haushaltsausschusses dieses Hohen Hauses eine Stundung für .die Zigarrensteuer gewährt haben, die der vorgeschlagenen Senkung der Steuer entspricht. Heute können wir die Auswirkungen, die der Steuervorschlag hat, zum Teil nachrechnen und nachprüfen.
Wenn wir das Steuererträgnis des Monats Januar nehmen, das noch nicht unter das Gesetz bzw. noch nicht unter die Stundung fällt, so ist es für Zigarren 11,9 Millionen D-Mark gewesen. Im Monat Februar hat das Steuererträgnis 12,7 Millionen D-Mark betragen. Das Steuererträgnis ist also nach der Stundung, nach dem Vorgriff auf die Senkung der Steuer nicht gesunken, sondern gestiegen. Mengenmäßig ist der Absatz in der Zwischenzeit von 98,2 Millionen Stück im Monat Januar, der 31 Tage zählt, auf insgesamt 176 Millionen Stück im Monat Februar, der eine geringere Tageszahl hat, gestiegen. Also das, womit der Gesetzentwurf
in seiner Begründung rechnete, es werde eine Steigerung des Zigarrenkonsums, die den Steuerausfall vermeidet, eintreten, hat sich im ersten Monat voll bewahrheitet. Damit ist ein endgültiges Urteil über die volkswirtschaftlichen Folgen dieses Gesetzentwurfes aber noch nicht gesprochen. Dieses endgültige Urteil könnte erst gesprochen werden, wenn man nachrechnen kann, ob die Zunahme im Konsum der Zigarren sich in einer unmittelbaren Rückwirkung auf den Zigarettenkonsum - durch eine Abnahme des Zigarettenkonsums — zeigt, die nicht auf andere Ursachen, sondern nur auf die Zunahme des Zigarrenverbrauchs zurückzuführen wäre. Ein sicheres Urteil 'darüber kann meiner Überzeugung nach noch nicht gesprochen werden.
Das, worunter die Tabakwarenindustrie im allgemeinen, die Zigarettenindustrie im besonderen, aber auch andere deutsche Industrien leiden und was sich auch bei anderen deutschen Verbrauchssteuern zeigt, ist der Schmuggel und damit die Einwanderung von unverzollten, unversteuerten Waren, die eine schwere Sorge für .den Bundesfinanzminister geworden sind.
Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie bitten, über diesen Gesetzentwurf zu beraten und ihn dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Die großen Fragen, die auf diesem Gebiet sonst zu behandeln sind, können meiner Überzeugung nach in Ruhe daneben weiterbehandelt und in Angriff genommen werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neuburger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorgelegte Gesetzentwurf zur Senkung der Tabaksteuer für Zigarren ist nicht nur zu begrüßen; er entspricht vielmehr einem dringenden Gebot der Stunde. Geht es doch bei der Zigarrenindustrie tatsächlich um Sein oder Nichtsein und um das Schicksal von weit über 60 000 allein bei der Zigarrenherstellung beschäftigten Personen. Es geht weiter um das Schicksal ganzer Gemeinden und ganzer Kreise, weil die Zigarrenindustrie sich seit Jahrzehnten auf Grund besonderer Umstände gerade an bestimmten Orten lokalisiert hat. Diese Kreise sind heute zu ausgesprochenen Notstandsgebieten geworden. Es sind Kreise in Nordrhein-Westfalen wie Herford und Lübbecke; es sind Bezirke in Hessen, und es sind insbesondere Gebiete in Nordbaden zwischen Heidelberg und Karlsruhe einerseits und dann in Südbaden zwischen Offenburg und Freiburg andererseits. In diesen Gebieten ist die Zigarrenindustrie seit Jahrzehnten heimisch. Sie gab der Bevölkerung bisher Existenz und Brot. Diese Gebiete liegen meistens ziemlich weit von den üblichen Arbeitszentren entfernt. Sonstige Industrien sind nicht vorhanden. Es hat sich in den meisten Fällen gezeigt, daß gerade wegen der ungünstigen Verkehrslage auch verlagerte Betriebe in diesen Gebieten nur sehr schwer ansetzbar sind. Aus diesem Grunde sind die Menschen dort sozusagen mit Leib und Leben der Zigarrenindustrie verhaftet. Die Lage dieser Industrie ist von der Steuer abhängig; wenn die Steuer zu hoch ist, geht diese Industrie zugrunde.
Bis zum letzten Krieg bestand ein verhältnismäßig gut ausgewogenes Verhältnis zwischen der
Besteuerung der Zigarre einerseits und der Besteuerung der Zigarette sowie des Rauchtabaks andererseits. Durch die Kontrollratsgesetzgebung — der Minister hat schon darauf hingewiesen — wurde dieses Verhältnis zuungunsten der Zigarre in einer geradezu existenzvernichtenden Weise geändert. Wenn die Folgen erst vor einem halben Jahr für jedermann erkennbar wurden, so nur deshalb. weil in den Zeiten der Reichsmark eben das Geld nicht den Wert hatte und in den ersten Monaten nach der Währungsreform die Menschen zu ihrem neuen Geld noch nicht die Beziehung hatten, wie sie das inzwischen wieder haben lernen müssen. So brach denn im Spätjahr 1949 das volle Unheil auf diese Industrie herab. Der Konsum ging radikal zurück. das Weihnachtsgeschäft sogar konnte keinerlei Belebung bringen. Die Industrie mußte kurzarbeiten und zum Teil über die Hälfte ihrer Arbeiter entlassen. Ganze Dörfer. die von der Zigarrenindustrie lebten, wurden arbeitslos.
Dank der verantwortungsvollen Entschlußfreudigkeit des Finanzministers und der Regierung wurde damals im Februar. sozusagen in letzter Stunde die Stundung eingeführt, die in der Zwischenzeit die außerordentlich bemerkenswerte Belebung gebracht hat. Aber mit dieser Stundungsmaßnahme ist die Krisis nicht gemeistert. Der Stundung muß noch das Gesetz folgen.
Im Anschluß daran erhebt sich weiter die Frage, ob die Stundungsermäßigungen auch tatsächlich genügen, um die Krisis der Zigarrenindustrie endgültig zu bannen. Dazu ist zu sagen. daß sie meines Erachtens nicht ganz ausreichend sind. Der Steuersatz ist heute noch 30 %. Er muß meines Erachtens insbesondere in den normal marktgängigen Waren noch weiter gesenkt werden, so daß zum
Beispiel die Zigarre. die bisher 25 Pfennig gekostet hat — ich spreche nicht nro domo. ich bin Nichtraucher —, nur noch 15 Pfennig kostet und die bisherige 40-Pfennig-Zigarre mit 25 Pfennig auf den Markt kommen kann. Meines Erachtens ist das möglich: denn die erfolgte Stundung erweist bereits die Richtigkeit der Senkung. indem sich eben das Steueraufkommen trotz der Stundung in der Zwischenzeit erhöht hat. Daher besehen auch gar keine Bedenken. die Stundung so weit durch zuführen. daß die Zigarre wieder für die breiten Schichten unserer Bevölkerung zu kaufen ist.
In diesem Zusammenhang kommt noch hinzu, daß mit dem Rückgang der Zigarrenindustrie auch der Tabakbauer sehr schwer gefährdet war und gefährdet ist. Die Stockung im Zigarrenabsatz hat die Preise des inländischen Tabaks in den Krisenmonaten beinahe um 50 % sinken lassen. Sie wissen, auch der Tabakanbau ist bei uns zwangsläufig, bedingt durch die klimatischen und die Bodenverhältnisse, an ganz bestimmte Gebiete gebunden. Die Bauern dort können im allgemeinen andere Produkte nur ganz unökonomisch anbauen, und die Tabakbauern dort leben zwangsläufig von dem Ertrag des Tabaks. Die Zigarrenindustrie allein nimmt diesen Tabak nicht ab.
Damit komme ich noch zu den beiden Schwesterindustrien, zur Zigarettenindustrie und zur Rauchtabakindustrie, die auch wesentliche Bestände des inländischen Tabaks abnehmen. Auch dort sind, wie wir gehört haben und wie alle Raucher wissen, die Steuersätze unvernünftig hoch; auch dort muß an eine Senkung herangegangen werden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den großen Umfang des Schmuggels auf diesem Gebiet. Es ist wohl für jedermann unschwer erkennbar, daß hier
Millionen und aber Millionen verlorengehen. Wird die Zigarettensteuer gesenkt, dann unterbleibt der Schmuggel. Warum? Weil er nicht mehr interessant ist. Damit fließen dann einerseits diese Millionen dem Steuerfiskus zu, während andererseits der Raucher eine billige Zigarette hat.
Damit möchte ich zum Schluß kommen; ich will keine weiteren Worte mehr verlieren. Verbrauchssteuern sollen den Verbrauch besteuern, sollen aber nicht den Verbrauch drosseln. Sie sollen nicht konsum feindlich sein, insbesondere dann nicht, wennn es sich um Produkte der heimischen Industrie handelt. Sind sie das, dann sind sie wirtschaftsschädlich, bringen also volkswirtschaftlich nur Nachteile.
Wir haben seinerzeit beim Einkommensteuergesetz gesagt, daß Voraussetzung für eine gesunde Wirtschaftspolitik eine gesunde Steuerpolitik sei. Wir sehen auch in diesem' Gesetz eine Etappe auf dem Wege dahin.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Etzel .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem vorliegenden Entwurf handelt es sich um einen eigenartigen Versuch der Gesetzgebung. Er nimmt aus einer bestehenden gesetzlichen Gesamtregelung einen Sektor heraus, aus einem einheitlichen. in sich abgewogenen Gesetz, dem Tabakwarensteuergesetz, um eire isolierte, aus dem Zusammenhange gelöste steuerliche Regelung zu treffen. Der Entwurf begründet diese Vorwegnahme mit der starken Überhöhung der auf Zigarren gelegten Steuer und besonders mit der Notwendigkeit, das ursprüngliche Verhältnis in der steuerlichen Belastung der einzelnen Gruppen von Tabakwaren wiederherzustellen. Das wäre also ein finanzpolitischer Gesichtspunkt. Die Begründung sagt weiterhin, die Folge dieser steuerlichen Überhöhung — und hier kommen wir zu einer wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Überlegung — sei die große Arbeitslosigkeit in der Zigarrenindustrie, vor allem in Baden. Hessen und Westfalen gewesen. und dies habe auch seine Rückwirkung nicht bloß auf die Beschäftigtenzahlen, sondern auch auf den Tabakanbau in der Rheinpfalz und in Baden.
Bei Beachtung und Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse der Zigarrenindustrie, die anders aufgebaut ist und mit anderen Mitteln und Methoden als die Zigarettenindustrie arbeitet, wird niemand verkennen, daß hier eine echte Notlage besteht, ein echter Notstand, der deswegen von besonderer sozialer Bedeutung ist, weil es sich hier nicht um innerhalb großer Fabrikgemeinschaften stehende eigentliche Industriearbeiter handelt, sondern um Menschen, die irgendwo draußen ihre eigene kleine Ackernahrung haben. Jedermann wird also der Meinung sein: es ist notwendig, der Zigarrenindustrie hier eine Erleichterung zu verschaffen.
Weil Eile geboten schien, hat die Bundesregierung auf Grund des Art. 84 Abs. 2 des Grundgesetzes mit Zustimmung des Bundesrates eine Verwaltungsanordnung erlassen, durch welche die Steuerbeträge generell in einem gewissen Ausmaß gestundet bzw. erlassen, d. h. vergütet wurden. Diese Verwaltungsanordnung ist verfassungswidrig, denn sie bedeutet nichts anderes als eine Rechtsetzung, eine Rechtsnorm, und als solche
käme außerhalb der normalen Gesetzgebung nur eine Rechtsverordnung nach Art. 80 des Grundgesetzes in Frage. Auf diesen Punkt werde ich gleich noch zu sprechen kommen.
Wesentlich aber scheint mir zu sein, daß hier für einen Teil des Tabakgewerbes eine Sonderregelung gesucht wird, während gerade auch für die übrigen Sektoren, zum Beispiel die Zigarettenindustrie, die Lösung bestehender Schwierigkeiten ebenfalls vordringlich wäre. Durch die Vorwegnahme dieses Sondergesetzes wird nun das einheitliche Gefüge der Tabakwarenbesteuerung gestört, wenn nicht zerstört werden.
Ich darf in dem Zusammenhang auf folgende Zahlen hinweisen. Der Steuersatz für Zigarren ist von 23 % des Kleinverkaufspreises vor dem letzten Krieg auf jetzt 46 % erhöht worden und soll nunmehr auf 30 % bzw. 35 % des Kleinverkaufspreises gesenkt werden. Mit anderen Worten: Die Steuer für die Zigarre soll jetzt von 23% des VorkriegsKleinverkaufspreises auf 30 %, also um 7% des Kleinverkaufspreises erhöht werden. Das ist eine Erhöhung des ursprünglichen Steuersatzes um 30,4 %. Der Steuersatz für Zigaretten dagegen ist von 37 % des Kleinverkaufspreises auf 66 %, also um 29% des Kleinverkaufspreises erhöht worden. Die Erhöhung beträgt hier nicht weniger als 78 % des Ausgangssatzes. Hier ist also eine viel stärkere Belastung als bei irgendeiner anderen Tabakwarenart vorgenommen worden, höher auch als bei Feinschnitt oder sonstigem Pfeifentabak, bei Kautabak oder anderen Tabakwarengruppen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit läuft ab!
Ich darf hier feststellen: das angestrebte Gleichgewicht. d. h. ein gesundes Verhältnis in der Besteuerung der einzelnen Tabakwarengruppen würde nicht erreicht werden. Das Gegenteil wäre der Fall.
In dem Zusammenhang möchte ich auch auf eine Verlautbarung des Presse- und Informationsamtes der Bundsregierung vom 26. April hinweisen Dort ist festgestellt. daß der Kleinverkaufswerte bei Zigarren im Februar — Ermäßigung. Vergiftung bzw. Stundung hatten erst am 20. Februar Platz gegriffen — vvn rund 26 Millionen DM auf rund 38 Millionen DM, also um 45 1 v. H. gestiegen ist und daß sich die versteuerte Stückzahl noch erheblich stärker. nämlich um 79.8 v. H. erhöht hat. Gleichzeitig sind jedoch die abgesetzten Mengen und die Kleinverkaufswerte bei Zigaretten und Rauchtabak gefallen. Zigaretten wurden im Betrage von nur rund 158 Millionen DM versteuert
gegenüber 171 Millionen DM im Januar. Hier ist in Wahrheit des einen Uhl des anderen Nachtigall. Es geht meines Erachtens nicht an, aus einem einheitlichen Tabakwarensteuergesetz einen Teil herauszunehmen und ihn gesondert zu regeln. Wir erkennen die Dringlichkeit einer Regelung für die Zigarrenindustrie durchaus an. Di ese Dringlichkeit besteht aber auch für die übrigen Industrien, vor allem für iene, welche aus einem Kilo Tabak einen viel höheren. einen mehrfachen. ia sogar einen vielfachen Steuerwert herausproduzieren, wi e di es bei der Zigarette gegenüber der Zigarre der Fall ist.
Ich darf zum Schluß kommen und feststellen: Die Anordnung vom 14. Februar ist verfassungswidrig. Wir wollen an diese Tatsache keine Weiterungen knüpfen, halten es aber für erforderlich, daß die Einheitlichkeit der Tabaksteuergesetzgebung gewahrt bleibt.
Ich darf folgenden Antrag einbringen
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Senkung der Tabaksteuer für Zigarren wird ausgesetzt.
Die Bundesregierung wird ersucht, mit tunlichster Beschleunigung einen Gesamtentwurf über die Tabaksteuerreform vorzulegen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Höpker-Aschoff.
Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. Etzel hat eben gemeint, die Bundesregierung habe aus einem wohlabgewogenen Gesetzgebungswerk ein Stück in Form einer besonderen Behandlung der Tabaksteuer für die Zigarre herausgenommen. Herr Kollege Etzel, das wohlabgewogene Gesetzgebungswerk mit den wohlabgewogenen Relationen der Besteuerung von Zigaretten, Zigarren und Tabak war durch die Gesetze der Besatzungsmächte längst zerstört worden,
und das ist eben der Anlaß dafür gewesen, daß der Herr Bundesminister der Finanzen sich zu einer Notmaßnahme entschlossen hat. Durch die Gesetze der Besatzungsmächte ist ja die Besteuerung der Zigarre von früher 23 % des Verkaufspreises auf 46 % in die Höhe getrieben worden, also verdoppelt worden. Die Besteuerung der Zigarette ist nur von 37 % des Verkaufspreises auf 66% erhöht worden und die Besteuerung des Feinschnitts nur von 50 auf 55 %. Also eben durch diese Gesetze der Besatzungsmächte ist die alte, von allen Seiten -als wohlabgewogen betrachtete Relation zwischen der Besteuerung der verschiedenen Tabakarten gestört worden.
Meine Damen und Herren, das hat innerhalb der Zigarrenindustrie zu schweren sozialen Notständen geführt. Ich glaube, in diese Dinge einen gewissen Einblick zu haben, weil diese Steuergesetze der Besatzungsmächte auch in meinem Heimatgebiet, dem Regierungsbezirk Minden mit den jedem Raucher wohlbekannten Orten Enger, Bünde, Lübbecke, Herford, Vlotho und Oerlinghausen, schwere Notstände ausgelöst haben. Die Dinge waren im Dezember vorigen Jahres so weit gediehen,- daß in allen diesen kleinen Gemeinden der Zigarrenindustrie große Arbeitslosigkeit herrschte und daß auch die Gemeinden in eine schwere finanzielle Notlage gerieten, weil sie für die Arbeitslosen aufzukommen hatten und weil auf der anderen Seite ihr Aufkommen an Gewerbesteuer einen starken Rückgang erfuhr. Die Zigarre wird in diesen Gebieten — und ähnlich liegen die Verhältnisse ja auch in Süddeutschland — zum Teil in Heimarbeit hergestellt, zum Teil aber in Filialen auf dem Lande, die von Werkmeistern geleitet werden. Alle diese Leute, die so oder so in der Zigarrenindustrie beschäftigt sind, sind fest eingesessen, in der Regel mit eigener Wohnung, Gartenland und Viehhaltung, und sind schlechthin nicht umzusiedeln oder in einer andern Industrie zu verwenden. Sie sind viel ach auch gar nicht in der Lage, schwerere Arbeiten in einer anderen Industrie aufzunehmen. Es war also eine unbedingte Notwendigkeit, daß hier eingegriffen wurde.
Wenn Herr Dr. Etzel meinte, daß der Herr Bundesminister der Finanzen dabei eigenmächtig vorgegangen sei, vielleicht nicht einmal rechtmächtig, so möchte ich doch darauf hinweisen, daß der Herr
Minister uns im Finanz- und Steuerausschuß von seinem Vorhaben Kenntnis gegeben hat und daß wir gegen sein Vorhaben keinen Widerspruch erhoben haben. Es gilt auch hier, daß in Notzeiten unter Umständen etwas Ungewöhnliches geschehen muß.
Die zunächst im Wege der Verordnung angeordnete Senkung der Zigarrensteuer, die nun eben durch dieses Gesetz sanktioniert werden soll, hat ganz überraschende Ergebnisse gehabt. Der Absatz der Zigarre ist so stark gestiegen, daß trotz der Senkung der Steuer das Steueraufkommen aus der Zigarrensteuer sich nicht unerheblich erhöht hat. Es zeigt sich hier eben doch, daß Jonathan Swift mit seinem Steuereinmaleins nicht so ganz unrecht hatte. Die siebente Gleichung in diesem Steuereinmaleins lautet: zwei mal zwei ist eins. Das will sagen, daß man von einer Verdoppelung der Steuer nicht den doppelten Ertrag erzielt, sondern unter Umständen nur den halben Ertrag. Und die Richtigkeit dieses Steuereinmaleins unter gewissen Verhältnissen zeigt sich hier in der umgekehrten Weise: die Senkung der Steuer hat nicht zu einem Rückgang des Steueraufkommens, sondern zu einer Zunahme geführt.
Aber, meine Damen und Herren, die Frage ist nun, ob wir uns auf die Senkung der Steuer für die Zigarre beschränken können oder ob wir die Dinge nicht in einem größeren Zusammenhang sehen müssen, auf den eben Herr Kollege Etzel mit Nachdruck hingewiesen hat. Hier tauchen sehr schwierige Probleme auf. Soll auch die Zigarettensteuer gesenkt werden? Soll beim Feinschnitt die alte Regelung wieder eingeführt werden, daß nur der. Tabak steuerbegünstigt ist, der dem Beimischungszwang unterliegt? Eine Forderung, die von den Tabakbauern in Baden und in der Pfalz immer wieder, und meiner Meinung nach mit Recht, erhoben wird. Es taucht hier aber auch die so außerordentlich schwierige Frage auf: Wie werden wir des verhängnisvollen Schmuggels Herr, der das Steueraufkommen insbesondere aus der Zigarettensteuer immer stärker bedroht? Der Rückgang des Absatzes der versteuerten Zigaretten liegt auf der Hand. Er ist vielleicht weniger auf einen Rückgang des Konsums als darauf zurückzuführen, daß der Schmuggel mit Zigaretten in einer geradezu erschreckenden Weise zunimmt. Wir werden hier ohne eine Hilfe der Besatzungsmächte nicht auskommen können.
Meine Damen und Herren, in dem Schreiben der Besatzungsmächte, mit dem sie damals das Veto bei der Einkommensteuer begründeten, heißt es unter Ziffer 3: Verbesserung der Methoden zur Steuereinziehung und Durchführung der Gesetze, die geeignet wären, die Steuerhinterziehung bei Einkommensteuer und anderen Steuerarten zu verhindern und Deutschlands ehemals so guten Ruf hinsichtlich seiner hohen Steuermoral wieder herzustellen. Also die Besatzungsmächte fordern von uns, daß wir Mittel und Wege suchen, um Steuerhinterziehungen und insbesondere den Steuerschmuggel zu verhindern. Aber wir müssen ihnen dann doch offen sagen, daß wir dieser Dinge nicht Herr werden können, wenn uns die Besatzungsmächte nicht dabei helfen, und es wird dann auch die Frage erörtert werden müssen, ob man dem Steuerschmuggel allein mit solchen Verwaltungsmaßnahmen — schärfere Überwachung der Grenze — Herr werden kann, ob man nicht auch durch eine Steuersenkung die Gewinnprämie, die der Schmuggler nun einmal hat, herunterdrückt und auf die Weise von zwei Wegen her des Schmuggels Herr zu werden sucht.
Das sind alles Probleme, die im Ausschuß erörtert werden müssen.
Aber ich möchte hier zu gewissen Besorgnissen, die vielleicht auf dem Petersberg laut werden könnten, noch das eine sagen: Was uns zu all diesen Überlegungen treibt, ist nicht nur der Wunsch, dem Konsumenten zu helfen und ihm einen billigeren Verbrauch zu gewähren, sondern auch die große Sorge um den Haushalt des Bundes selbst. Es ist tatsächlich so, daß wir, glaube ich, doch zu dem Ergebnis kommen müssen: Wenn wir uns das volle Aufkommen dieser hochbedeutsamen Steuer, der wichtigsten Steuer des Bundes neben der Umsatzsteuer, sichern wollen, werden wir an Steuersenkungsmaßnahmen für die Tabaksteuer allgemein nicht vorbeikommen.
Meine Damen und Herren! Ich möchte beantragen, damit wir all diese Probleme im Ausschuß eingehend erörtern können, die Vorlage und die dazugehörigen Anträge dem Finanz- und Steuerausschuß zu überweisen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohl.
Meine Damen und Herren! Der Gesetzesvorlage der Regierung stimmen wir zu. Ich ergreife das Wort zur Begründung der von uns gestellten Anträge Drucksachen Nr. 867 und Nr. 868. In Nr. 867 verlangen wir eine Änderung der Verordnung des Herrn Bundesfinanzministers in bezug auf die Herabsetzung der Tabaksteuer und die Bestandsaufnahme am 14. Februar. Wir sind der Meinung, daß die Verordnung in ihrem letzten Satz, in dem sie davon spricht, daß die Bestände, soweit sie im Einzelfall über 50 DM hinausgehen, erfaßt werden sollen, zu außerordentlichen Härten führt. Uns wurde von Vertretern des Verbandes des Tabakeinzelhandels mitgeteilt, daß bei vorhergehenden Besprechungen im Bundesfinanzministerium in diesem Ministerium die Auffassung vertreten worden sei, daß man im Einzelfall über 5 DM nicht hinausgehen solle. Man muß sich darüber im klaren sein, daß von dieser Anordnung des Bundesfinanzministeriums nur die kleinen Tabakgeschäfte getroffen werden und ein besonders großer Gewinn dabei nicht herauskommt.
Zu dem Antrag Nr. 868 einige Bemerkungen. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß auch meine Vorredner die Frage der generellen Steuer für alle Tabakwarenerzeugnisse mitdiskutiert haben. Die gegenwärtig bestehende Tabaksteuer in ihrer Gesamtheit ist eine Massensteuer und belastet als solche natürlich in außerordentlich starkem Maße vor allen Dingen die Kreise, die weniger zahlungskräftig sind. Ich denke beispielsweise an die Bedenken, die die Hohen Kommissare in der Frage der kleinen Steuerreform geltend gemacht haben. Dort wurde festgestellt, daß voraussichtlich in der kommenden Zeit mit neuen Massenverbrauchssteuern zu rechnen sein wird. Grundsätzlich vertrete ich die Auffassung, daß diese Tabaksteuer auf Zigaretten in der gegenwärtigen Höhe nicht mehr gerechtfertigt erscheint, weil eine solch hohe Steuer ganz zwangsläufig einmal in eine gewisse Relation zu der Kaufkraft der Menschen
gebracht werden muß, die nun eine Zigarette rauchen wollen, und das ist größtenteils die Masse der Verbraucher, sind hier die Arbeiter und Angestellten.
Wir vertreten die Auffassung, daß unser Antrag, der einen Kleinverkaufspreis von 6 Pfennig für die Zigarette vorsieht, tragbar erscheint und daß man mit dieser Senkung der Zigarettensteuer das Rezept, das der Herr Finanzminister zur Begründung seiner Gesetzesvorlage gegeben hat, ebenfalls anwenden kann, nämlich eine gewaltige Steigerung des Umsatzes.
Ich entsinne mich, daß in der Begründung der Reform des Einkommensteuergesetzes der Herr Finanzminister die Meinung vertreten hat, eine Senkung der unmöglich hohen Steuersätze, wie er sagte, müsse durchgeführt werden, weil damit einmal die Wiederherstellung der Steuermoral erreicht werden solle. Herr Finanzminister, wir empfehlen Ihnen, wenden Sie diesen Grundsatz auch in der Beurteilung unseres Antrags an, dann werden Sie am besten den Schwarzmarkt bekämpfen. Wenn ich die Inseratenplantagen großer Zeitungen betrachte und darin Aufrufe der Finanzämter lese, in denen man die Raucher und Kaffeetrinker beispielsweise auffordert, ja keine unversteuerten Zigarren und Zigaretten zu rauchen und keinen unversteuerten Kaffee zu trinken, so mutet das wirklich wie ein schlechter Witz an. Damit lockt man wirklich niemand hinter dem Ofen hervor. Sie werden doch nicht in der heutigen Zeit irgend jemand zumuten können, lediglich deshalb, damit er Steuern bezahlen darf, versteuerte Zigaretten zu rauchen, wenn das Angebot an unversteuerten billigeren und qualitätsmäßig besseren Zigaretten außerordentlich stark ist. Sie werden also nur dann eine Änderung auf diesem Gebiet erreichen, wenn Sie von sich aus auch in dieser Frage eine vernünftige Steuerpolitik durchführen. Und deswegen sagen wir: Wenden Sie für die Bekämpfung des Schwarzmarktes und zur Hebung der Steuermoral gegenüber den Massen die Grundsätze an, die Sie einer bestimmten besitzenden Schicht bei der Einkommensteuer gegenüber angewandt haben!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat gegen die Vorlage, die jetzt endlich kommt, nichts einzuwenden. Sie begrüßt es, daß einem außerordentlich arbeitsintensiven Gewerbe, das schon vor einiger Zeit in Not geraten ist, endlich Hilfe zuteil wird. Es ist auch richtig: die bereits vorliegenden zahlen weisen nach, daß die Voraussage, das Steueraufkommen würde durch diese Steuersenkung nicht geschmälert, tatsächlich eintreffen wird.
Wir begrüßen die Vorlage ferner, soweit sie vielleicht ein Anzeichen dafür sein könnte, auch die Regierung neige sich nunmehr der Erkenntnis zu, daß die soviel beschriene Steuerlast nicht nur in der Einkommensteuer der hohen Einkommen besteht, sondern eben in den Verbrauchssteuern, die heute eine ganz besonders wirtschaftsbindende und wirtschaftsbelastende Funktion haben und die einen immer steigenden Anteil an dieser Steuerlast in Anspruch nehmen, und zwar einen Anteil der eben nicht von den hohen Einkommen, sondern fast
gleichmäßig von jedem, auch von dem, der kein Einkommen hat, getragen wird.
Das Materielle der Einzelheiten mag den Ausschußberatungen vorbehalten bleiben. Wir halten die Maßnahme selbst tatsächlich für dringlich und werden deswegen Aussetzungsanträgen auch nicht zustimmen können.
Wir haben aber einen sehr scharfen Protest gegen das Verfahren einzulegen, das in dieser Sache eingeschlagen worden ist,
das der Herr Bundesfinanzminister als einen außerordentlichen Weg bezeichnet hat, das der Herr Abgeordnete Etzel dagegen — ich glaube, mit mehr Recht — als eine Verfassungswidrigkeit bezeichnet hat. Tatsächlich hat die Regierung im Januar dieses Jahres nicht im Haushaltsausschuß, sondern im Finanzausschuß eine Mitteilung gemacht, daß sie die Steuer vorläufig in der Art stunden wolle, wie hier im Gesetz als Steuersenkung vorgesehen.
Meine Damen und Herren! Das war damals schon reichlich spät. Denn was in der Zigarrenindustrie los war, das war schon einige Monate vor dem Januar zu beobachten. Es war eigentlich schon jedermann klar, was hier geschehen mußte; aber die Regierung war offenbar mit anderen Steuersenkungsplänen vordringlich beschäftigt.
Der Ausschuß — das möchte ich ausdrücklich feststellen —, und zwar zunächst die sozialdemokratische Fraktion im Ausschuß, hat zu dieser Mitteilung des Herrn Bundesfinanzministers weder zustimmend noch ablehnend Stellung genommen, aus dem Grunde, weil wir es nicht als die Aufgabe eines Ausschusses ansahen, jedenfalls nicht als die unsrige, derartige Maßnahmen der Regierung irgendwie im Ausschuß zu sanktionieren.
— Wir sind sonst nicht schüchtern — allerdings —, und wir werden auch in diesem Falle nicht schüchtern sein. Wir haben klipp und klar erklärt, daß weder Zustimmung noch Ablehnung für uns in Frage komme, weil wir auch gar nicht übersehen konnten, ob dieser oder irgendein anderer Weg der Stundung oder der Vorbereitung des Gesetzes der richtige war. Meiner Erinnerung nach hat sich der Ausschuß selbst dem auch angeschlossen, und der Herr Bundesfinanzminister hat sich damit zufrieden gegeben.
Wenn wir den Dingen damals zunächst keine andere Folge gegeben haben, so deswegen, weil wir mit dem sachlichen Gehalt der Maßnahme an und für sich einverstanden waren und auch heute noch sind und weil wir damals nicht übersehen konnten, daß die Regierung noch drei weitere Monate brauchen würde, um das Gesetz hier einzubringen. In der Tat ist im Januar diese Mitteilung im Ausschuß gemacht worden, im Februar ist eine sogenannte Verwaltungsanordnung ergangen. Der Herr Kollege Etzel hat aber vollkommen recht: es handelt sich hier nicht um eine Verwaltungsanordnung im Sinne einer Stundung. Die Regierung hat in ihrer schriftlichen Mitteilung an den Ausschuß selbst klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, daß diese Steuer, die da gestundet wird, wenn hier irgend etwas anderes beschlossen wird, nie wieder einzubringen ist, daß sie niedergeschlagen werden muß und nicht mehr eingezogen werden kann. Das ist selbstverständlich keinerlei Verwaltungsanordnung, sondern das ist eine Vorwegnahme der Gesetzgebung, wie Sie ja im übrigen klar und deutlich
im Text dieses Gesetzes auch lesen. Das ist in dieser Form allerdings verfassungswidrig.
Es war auch gar kein Grund vorhanden — und jetzt nachschauend können wir das mit vollkommener Deutlichkeit feststellen —, den ordnungsmäßigen Weg nicht zu beschreiten. Länger als die drei Monate, die die Regierung seit dem Januar gebraucht hat, um dieses Gesetz hier vorzulegen, hätten wir bestimmt nicht gebraucht. Dieses Gesetz ist uns am 22. April vorgelegt worden, und heute kommt es schon zur Beratung.
Ich hoffe nicht, meine Damen und Herren, daß Sie derartiges für Formalitäten halten und meinen, über das Sachliche sei man ja einig, und man könne darüber hinwegsehen. Es sind keine Formalitäten! Diese Usurpation von Rechten des Parlaments, die ihr Gegenstück in der ständigen Nichtausführung von Parlamentsbeschlüssen findet, ist genau der Weg, auf dem man diese Demokratie zugrunde richten könnte.
Wieweit die Dinge gehen können, werden wir vielleicht sehen, wenn wir hören werden, was an Pressenachrichten wahr ist, wonach die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Genehmigung des Einkommensteuergesetzes Verpflichtungen zu gesetzlichen Maßnahmen übernommen haben soll. Sollte es wirklich bereits so weit sein, daß man nicht nur Abkommen schließt, ohne das Parlament zu fragen, sondern daß man im stillen Kämmerlein ohne das Parlament Verpflichtungen übernimmt, die überhaupt sonst niemand zur Kenntnis gebracht werden?
Und ein Weiteres. Ich will gar nicht davon sprechen. daß, wenn irgend etwas anderes von den gesetzgebenden Instanzen oder irgendeiner anderen Instanz, etwa der Hohen Kommission, festgelegt wird, das Geld. das hier gestundet worden und nicht mehr hereinzubringen ist, verschleudertes Staatsgeld ist. für das diejenigen, die hier beteiligt sind, persönlich. zivil- und strafrechtlich nach den Begriffen einer geordneten Verwaltung — und die sollten wir langsam wieder einführen — verantwortlich wären.
Das Zweite ist, daß die Regierung im Zuge ihrer Absicht der ständigen Ausschaltung des Parlaments die Gewohnheit angenommen hat und ständig weitertreibt, immer erst dann dem Parlament Vorlagen machen zu wollen, wenn sie mit sämtlichen Interessenten, die sie für wichtig hält, einig ist oder zu sein glaubt. Wir sehen einer derartigen Handhabung bei der Biersteuer schon geraume Zeit zu. Das sind Methoden, die erstens einmal nicht im Sinne der parlamentarischen Verfassung liegen und zweitens die Dinge nicht irgendwie beschleunigen oder sachlich erleichtern, sondern außerordentlich erschweren. Denn diese Interessenten werden bei irgendeiner Entscheidung der Regierung, die ihnen nicht paßt, selbstverständlich — und das ist ihr gutes Recht, das ihnen niemand bestreiten kann — zu uns Parlamentariern kommen und bei uns noch einmal die ganze Sache zur Sprache bringen. Wir werden diese Situation immer wieder erleben.
Das sind nicht nur formale Gesichtspunkte, und deswegen unser Protest, den wir hier vorbringen. Wir sind der Ansicht, daß dieser Zigarrensteuersenkung andere Dinge in der Behandlung werden folgen müssen. Eine Reihe von Anträgen liegt vor. Die
Zigarettensteuer ist ein Problem, die Biersteuer ist es ebenfalls, und es gibt andere Steuern, die ebenso angesprochen und dem Parlament längst hätten zur Behandlung vorgelegt werden müssen. Wir sind der Ansicht, die Regierung möge etwas weniger verhandeln und etwas weniger reden, auch etwas weniger singen,
aber sie möge etwas mehr handeln, und zwar handeln zusammen mit dem Parlament , wie es die demokratische Verfassung vorschreibt.
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Meine Damen und Herren! Ich ergreife nicht das Wort, um mich dagegen zu verteidigen, daß ich zuviel singe. Ich kann überhaupt nicht singen.
Ich nehme auch nicht das Wort, um die Frage der
Tabaksteuer aufzugreifen. Ich ergreife das Wort,
weil der Herr Vorredner eine Frage aufgeworfen
hat, die nach meinem Dafürhalten einer sofortigen
Klarstellung bedarf. Der Herr Vorredner hat den
Satz ausgesprochen, daß es in Pressemeldungen —
in welchen, weiß ich nicht; ich habe sie nicht gelesen
— so geschildert worden sei, als ob die Bundesregierung beim Gespräch mit den Hohen Kommissaren
auf dem Petersberg Verpflichtungen für künftige
gesetzliche Maßnahmen, die die Bundesregierung
treffen wolle, übernommen habe. Wenn mir eine
solche Pressenotiz zugegangen wäre, dann hätte ich
ihr auf das schärfste widersprochen.
Nachdem durch die Worte aus dem Munde des Herrn Vorredners der Gedanke erweckt werden könnte, daß an solchen mir bisher unbekannten Gerüchten irgendein wahres Wort sei, möchte ich feststellen, daß kein wahres Wort daran ist. Die Bundesregierung hat irgendeine Verpflichtung, die ihr den Charakter einer selbständigen souveränen Bundesregierung nehmen und sie zu Vollzugsorganen der Westmächte machen würde
— und das ist wohl der Kern dieser Gerüchte —, nicht übernommen.
Auf dem Petersberg — ich kann es hier verraten
— ist von den Herren Kommissaren überhaupt nur der Brief, der die vorläufige Ablehnung des Einkommensteuergesetzes aufhob, mit einem gewissen Wort der Anerkennung für das Verhalten der Bundesregierung in dieser Krisenzeit übergeben worden. Über den sachlichen Inhalt ist gar nicht mehr gesprochen worden, weil darüber nicht mehr gesprochen zu werden brauchte. Was die Bundesregierung erklärt hat, hat sie in dem Memorandum niedergelegt, über das ich in der Pressekonferenz vom 28. April gesprochen habe und das der Presse auch im Wortlaut mit Ausnahme der Stellen, die die Zahlen für eine kommende Gesetzgebung enthalten, zur Verfügung gestellt worden ist und das man Wort für Wort nachlesen kann. Ich wäre dem Herrn Vorredner sehr dankbar, wenn er, falls ihm solche Gerüchte wieder zukommen sollten, diesen energisch widersprechen und sagen würde, daß solche Gerüchte dem Ansehen der Bundesregierung, aber auch der ganzen Deutschen Bundesrepublik, sehr
abträglich sind. Das lediglich zu diesem einen Punkt.
Im übrigen darf ich feststellen, daß der Bundesfinanzminister im Bundesrat und im Finanzausschuß des Bundestages im Januar — ich glaube, Ende Januar war es — rechtzeitig davon Kenntnis gegeben hat, daß der drohende Zusammenbruch der Zigarrenindustrie sofortige Maßnahmen verlangt, und daß er deshalb beabsichtige, eine Stundung zu gewähren, die der kommenden geplanten Senkung der Zigarrensteuer entspreche. Ein Widerspruch ist von keiner Seite erfolgt. Aber die Schlußfolgerung zu ziehen, daß etwa die Bundesregierung hier ein Scheinmanöver getrieben habe und dann den Gesetzentwurf drei Monate bis heute habe liegen lassen, ist völlig falsch. Ich darf feststellen, daß der Gesetzentwurf bereits am 10. Februar dem Deutschen Bundesrat zugegangen ist. Damit hatte die Bundesregierung getan, was sie tun konnte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie werden nicht erwarten, daß ich innerhalb der wenigen Minuten Redezeit, die meiner Fraktion vergönnt sind, in längeren Rechtsausführungen darlege, wieso die Stundungsverordnung der Regierung nach meiner Auffassung unter allen Umständen verfassungsgemäß ist und daß von einem verfassungswidrigen Rechtsakt gar nicht die Rede sein kann.
Tatsache ist, daß, wie in der Vorlage erwähnt und heute von verschiedenen Seiten hervorgehoben, da, mals im Januar angesichts der Entwicklung in der deutschen Zigarrenwirtschaft, besonders der deutschen Zigarrenindustrie, der sofortige Zusammenbruch drohte, wobei es doch keinen Deutschen gab, der nicht wußte, daß die von den Besatzungsmächten festgelegte Zigarrensteuer ein wirtschaftliches Unding sei. Deshalb hat man eine Maßnahme ergriffen, die meiner Erinnerung nach im Steuergesetzgebungswesen keineswegs einzigartig dasteht, nämlich zunächst einmal die Steuer nach dem unmöglichen Satz gestundet, bis ein Gesetz dies sanktionieren und die entsprechende Senkung vornehmen würde. Wenn Sie der Meinung sind, daß das nicht sachgemäß gewesen sei, dann müssen Sie schon den 3 der heutigen Vorlage ablehnen; dann werden die Regierungsparteien diese Selbstverständlichkeit allein beschließen müssen.
Aber dazu möchte ich nun ein Wort sagen. Bitte, seien sich doch alle Parteien dieses Hauses darüber einig, daß die in Deutschland bis 1945 nicht mehr gewohnt gewesene parlamentarische Demokratie an sich — ich möchte sagen: ihrem Wesen entsprechend — den Mangel hat, daß sie natürlich nicht sehr rasch aktionsfähig ist, daß alle Pläne reichlich Zeit bis zur Verwirklichung brauchen. Wenn also eine entschlossene, verantwortungsfreudige Regierung eine Maßnahme rasch durchführen will, so muß sie eben zu Palliativmitteln greifen, oder es heißt: „Fiat justitia, pereat mundus!" Ich bin der Ansicht, alle echten Demokraten sollten froh sein, daß es Wege und Mittel gibt, durch die auch eine parlamentarische Demokratie einmal einem Notstand rasch begegnen kann. Das zu diesem Punkt.
Nun noch ein allgemeines Wort. Die besondere Senkung der Steuer für Zigarren ist durch die katastrophale Wirtschaftslage der Zigarrenindustrie
nicht nur gerechtfertigt, sondern auch als Sondermaßnahme notwendig. Gegen dieses Gesetz bezüglich der Steuersenkung für Zigarren sind heute auch von der Opposition keinerlei Einwendungen erhoben worden. Ich sehe gar nicht ein, warum diese Vorlage erst einem Ausschuß überwiesen werden soll. Wir könnten sie doch heute in erster Lesung verabschieden und dann morgen die zweite und dritte vornehmen. Dann wäre das Gesetz unter Dach und Fach. Ich wüßte nicht, was im Ausschuß zu diesem Teilproblem noch zu sagen wäre.
Wesentlich mehr aber und wesentlich Wichtigeres ist zu den übrigen hiermit verbundenen Anträgen zu sagen, von welchen Parteien sie immer gestellt sein mögen. Es sind dies Anträge, die mit der Interpellation wegen der Kaffeesteuer zusammenhängen, die wir vor einigen Tagen — ich glaube, bis zur nächsten Woche — zurückgestellt haben. Insoweit handelt es sich um weitere Steuersenkungen, die ja „höheren Orts", wie ich wohl sagen darf, leider nicht beliebt sind, auch dann nicht, wenn sie mehr Steuern einbringen. Man scheint im Ausland offenbar noch nicht die Erfahrung gemacht zu haben, daß übersetzte Steuern einen Steuerminderertrag zu erbringen pflegen. Diese Steuersenkungen sind aber nicht nur aus wirtschaftspolitischen Gründen erforderlich; sie sind auch nicht nur, wie Herr Dr. Höpker-Aschoff nachgewiesen hat, aus finanzpolitischen Gründen dringend geboten; für mein Gefühl sind sie noch entscheidend wichtiger aus rechtsmoralischen Gründen! Denn darin hat mein kommunistischer Vorredner vollkommen recht: der Mensch läßt sich durch noch so liebevolle Beschwörungen nicht veranlassen, redlich zu sein, wenn es sich um den Selbsterhaltungstrieb dreht. Wenn man, wie es der Fall ist, vorzüglichen Kaffee und bessere Zigaretten billiger als zu dem Preis, der legal zu zahlen ist, kaufen kann, so ist der Mensch leider Gottes zur Rechtsbrecherei nur allzusehr aufgelegt.
Ich weiß nicht, ob Sie die statistischen Zahlen über den Konsum von Kaffee und Zigaretten, insbesondere in Süddeutschland, in Berlin und hier im Westen kennen. Deshalb verstößt die Mehrheit der Konsumenten dauernd gegen unsere heutigen Gesetze, Menschen jeglichen Standes halten es also für selbstverständlich, heute Zigaretten ohne Banderolen zu rauchen! Das ist für jeden rechtlich Denkenden eine Feststellung, die nur durch Erinnerungen an die Reichsmarkzeit ermöglicht scheint und deren Voraussetzungen wir raschestens abschaffen müssen. Wir können sie nur dadurch abschaffen, daß der Schmuggelhandel unrentabel wird. Dieser ist ja zur Zeit offenbar ein hervorragend blühendes Geschäft. Er wird keineswegs vornehmlich von Deutschen betrieben — das betone ich —; die Einführer dieser Artikel gehören nicht zur Deutschen Bundesrepublik, die sitzen ganz woanders, und die Riesengewinne werden auch nicht von Deutschen bezogen, sondern die großen Geschäftemacher sitzen ebenfalls woanders; ich glaube, wohl kaum erklären zu müssen, wo. Dieser ganze Betrieb muß unrentabel werden, dann ist er mit einem Schlage beseitigt. Er ist nur dadurch rentabel, daß die Steuer auf den einzelnen Gegenstand so enorm ist, daß dabei beliebig hohe Verlustrisiken gelaufen werden können, so daß den Unternehmern dieses illegalen Handels auf jeden Fall unsinnige und unwahrscheinlich hohe Gewinnsummen zufallen.
Ich bin aus diesem Grunde der Meinung, daß die weiteren Steuersenkungsanträge eiligst und gründ-
lichst beraten werden sollten, möchte aber anregen, den besonderen Antrag auf Zigarrensteuersenkung nicht mit dieser Frage zu verquicken, sondern möglichst heute zu verabschieden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bertram.
Meine Damen und Herren! Die Darstellung, die der Herr Finanzminister gegeben hat, bedarf in einigen Punkten einer Ergänzung. Die Notlage der Zigarrenhersteller ist nicht erst Ende Januar 1950 plötzlich zur Kenntnis des Finanzministeriums oder der Öffentlichkeit gekommen. Schon Monate vorher wurden wir alle mit entsprechenden Denkschriften und Bittschriften überschüttet, und in der Öffentlichkeit wurden zahlreiche eingehende Berichte gerade über die Notlage der Zigarrenindustrie erstattet. Man kann nicht annehmen, daß der Herr Finanzminister nicht auch schon seit vielen Monaten, spätestens seit Herbst 1949, über diese Situation unterrichtet gewesen wäre. Dann war es aber seine Aufgabe, die geplanten Maßnahmen unverzüglich auf dem dafür vorgesehenen gesetzlichen Wege durchzuführen. Statt dessen haben monatelange Verhandlungen stattgefunden, und zwar mit den interessierten Kreisen, und bis man sich einig war, war es Ende Januar 1950 geworden. Dann sollte — und das ist das Entscheidende und das Verfassungswidrige — von einem Tag zum andern, nachdem die Einigung zwischen dem Finanzminister und den Interessenten herbeigeführt worden war, unter Ausschaltung des Parlaments eine Steuersenkung verordnet werden.
Die Tabaksteuer ist ja insofern — und da muß ich dem Kollegen Ewers widersprechen — eine besondere Steuer, als Steuerpflichtige und Steuerträger auseinanderfallen. Bei einer solchen Steuer, bei der Steuerpflichtige und Steuerträger auseinanderfallen, bedeutet eine Stundung Erlaß. Der Herr Finanzminister hat uns im Ausschuß auch erklärt, es sei nicht möglich, bei einer solchen Stundung die Steuer nachträglich wieder einzuholen, weil ja der letzte Raucher dem Händler nicht bekannt gewesen ist und deshalb die Steuer nicht mehr eingeholt werden kann. In der Ausschußsitzung ist dem Finanzminister aber unmißverständlich zum Ausdruck gebracht worden, daß das von ihm gewählte Verfahren mit den Gesetzen nicht in Übereinstimmung steht, und er hat darauf erklärt: Mir genügt es, daß ich Ihnen die künftigen Sätze bekanntgegeben habe. Uns kann das nicht genügen!
Wenn dann erklärt wird, man könne ja mit der Regierungsmehrheit über solche Dinge hinweggehen und solche Fehler niederstimmen, so scheint mir diese Auffassung mit der Achtung vor dem Grundgesetz nicht vereinbar zu sein.
Das Grundgesetz ist eine Rechtsnorm, die uns alle bindet und der wir uns innerlich auch verbunden fühlen müssen. Nur dann, wenn wir uns auch innerlich diesem Grundgesetz und damit dem Recht verbunden fühlen und unterordnen, werden wir wirklich einen Rechtsstaat aufbauen können. Das Verfahren, das hier von dem Finanzminister oder seinem Ministerium eingeschlagen worden ist, widerspricht den Prinzipien des Rechtsstaates. Es ist eine Verwaltungsmaßnahme, eine Verwaltungsanordnung, wie sie früher üblich war, und deshalb müssen wir gegen dieses Verfahren auf das allerschärfste Protest erheben. Wir werden bezüglich dieses Punktes alle Maßnahmen ergreifen, die überhaupt nur möglich sind, sei es im Haushaltsrecht, sei es bei der Rechenschaftslegung usw., damit nicht im Anfang unseres staatlichen Lebens solche Dinge einreißen, die dann später nicht wiedergutgemacht werden können.
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß ich wieder zu einer sachlichen Berichtigung gezwungen bin. Der Herr Vorredner hat behauptet, es sei seinerzeit im Finanzausschuß zum Ausdruck gekommen, daß das Vorgehen der Bundesregierung, also der Vorschlag des Bundesfinanzministers, den Gesetzen widerspreche. Das ist nicht richtig. Richtig ist, daß damals Herr Dr. Bertram aus rein geschäftsordnungsmäßigen Gründen Widerspruch dagegen erhoben hat, daß der Vorschlag, den ich damals machte, zur Abstimmung gebracht wird. Ich habe dann erklärt: mir genügt es, daß ich den Ausschuß unterrichtet habe und daß im Ausschuß von keiner Seite Widerspruch erhoben worden ist. Mit dieser Feststellung war die Debatte damals abgeschlossen.
Ich habe später noch ausdrücklich die Zustimmung des Bundesrats eingeholt und, wie ich vorsorglich nebenbei bemerken möchte, mich auch nach anderen Seiten darüber informiert, daß gegen dieses Vorgehen, welches beim Zuckersteuergesetz bereits ein Vorbild hat, nichts zu erinnern ist. Es ist eine Stundung. Ob technisch die Schwierigkeit, die gestundeten Beträge hernach beizubringen, gegeben ist oder nicht, hat mit dem Charakter als Stundung, mit dem Rechtsvorgang nichts zu tun.
Ich muß in diesem Zusammenhang aber noch folgendes erwähnen. Wenn -ich in diesem Falle mit Interessentenvertretern spreche, rede ich mit ihnen genau wie bei der Biersteuer nicht darüber, wie die Steuersätze festzusetzen sind, sondern darüber, daß diese Steuersenkung nicht den Wirtschaftskreisen, sondern dem Verbraucher zugute kommen soll.
Ich muß deshalb die Garantie haben, daß sich die Steuersenkung auch in einem Verbraucherpreis auswirkt, der den Konsum steigert und den breiten Massen eine Verbilligung der einfachen Lebens-und Genußmittel bringt.
Wenn auch von den Herren Vorrednern Widerspruch gegen dieses Vorgehen erhoben wird, meine Damen und Herren, so werde ich doch in der Öffentlichkeit, bei den Verbrauchern keinen Widerspruch finden!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Herr Kollege Loritz, so geht es ja nicht. Sie müssen sich mindestens schon vorher mal in die Rednerliste eintragen. Das Wort hat also der Herr Abgeordnete Loritz.
— Ja, wollen Sie das Wort?
— Dann bitte!
Da der Herr Finanzminister nochmals das Wort ergriffen hat, steht es jedem Abgeordneten frei, hier jederzeit nochmals in die Aussprache einzutreten.
- Gut, aber wenn Sie das wissen, wundern mich Ihre Zurufe.
Ich möchte Ihnen namens der Fraktion der WAV eines erklären: Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, daß sich die Steuersenkung auf sämtliche Tabakwaren erstrecken soll und muß. Es ist weder volkswirtschaftlich noch auch vom Standpunkt der allgemeinen Gerechtigkeit und Billigkeit aus zu vertreten, daß zwar für die Zigarren eine Steuersenkung eintritt, sie aber für andere Tabakwaren nicht oder nicht in diesem Umfang eintreten soll.
— Ich kenne die Gründe sehr wohl, Herr Kollege; aber mir scheinen diese Gründe keineswegs durchschlagend zu sein. Ich möchte den Standpunkt meiner Fraktion hier ausdrücklich betonen. Wir müssen eine Senkung der Steuern für sämtliche Tabakwaren haben, weil das die einzige Möglichkeit ist, um erstens zu einer Reduktion der weit überteuerten Preise für diese Waren zu kommen und zweitens den ungeheuer großen Schwarzhandel auf diesem Gebiet zu unterbinden.
Wenn der Herr Finanzminister soeben erklärt hat, er denke n u r an das Wohl der Verbraucher, so möchte ich dazu sagen, daß er dann gerade auch zu einer allgemeinen Senkung der Tabaksteuer seine Zustimmung geben müßte. Ich möchte dem Herrn Finanzminister aber noch ein weiteres entgegnen:
0 er müßte als Finanzminister sowohl an das Interesse der Verbraucher als auch an das Interesse all der mittelständlerischen Gewerbebetriebe denken, die dem Herrn Finanzminister Jahr für Jahr ebenfalls Steuern in rauhen Mengen liefern und auch ein Interesse daran haben, eine Verdienstspanne zu erhalten, um in ihrer Selbständigkeit geschützt zu sein.
Diese beiden Interessen, die Interessen des Tabakkleinhandels und der -industrie und der darin tätigen Arbeiterschaft sowie die Interessen der Verbraucher lassen sich ohne weiteres auf einen einheitlichen, gemeinsamen Nenner bringen, dann nämlich, wenn der Herr Finanzminister endlich das tut, was der größere Teil des Volkes von ihm schon lange erwartet, wenn er eine starke Senkung der Tabaksteuer für s am t l i c h e Tabakwaren vornimmt.
Das ist der Standpunkt der Fraktion der WAV.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über die Senkung der Tabaksteuer für Zigarren, Drucksache Nr. 856. Dazu liegen die Anträge Drucksachen Nr. 865, 867, 868 und 885 vor.
— Darüber bin ich mir auch klar.
Außerdem liegt ein Antrag der Bayernpartei vor, die Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Senkung der Tabaksteuer bei Zigarren auszusetzen und die Bundesregierung zu ersuchen, mit tunlicher Beschleunigung einen Gesamtentwurf über die Tabaksteuerreform vorzulegen. Der Antrag geht also dahin, die Beratung und Entscheidung über den vorliegenden Regierungsentwurf aufzuschieben. Ich bitte diejenigen, die für diese Art der geschäftsordnungsmäßigen Behandlung sind, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit. Der Antrag ist also abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu dem Antrag, die Regierungsvorlage und die vorhin genannten Anträge dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen zu überweisen. Ich bitte diejenigen, die damit einverstanden sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war zweifellos die Mehrheit; es ist also so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesfinanzhof .
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Dr. Höpker-Aschoff.
Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf ist bereits in zweiter Lesung vom Plenum verabschiedet worden. Bei Vornahme, der dritten Lesung wurde er auf Antrag der sozialdemokratischen Fraktion an den Ausschuß zurückverwiesen, und zwar mit der Begründung, daß bei der Bestellung der Richter des Bundesfinanzhofes ein Richterwahlausschuß mitzuwirken habe und dieser Gesetzentwurf erst dann verabschiedet werden könne, wenn ein allgemeines Gesetz über die Bildung der Richterwahlausschüsse, die ja auch bei anderen Bundesgerichten vorgesehen sind, vorgelegt und verabschiedet worden sei.
Meine Damen und Herren, wir sind über die Bedenken, die diesem Antrag der Sozialdemokratischen Partei zugrunde lagen, bei den wiederaufgenommenen Ausschußberatungen hinweggekommen, indem wir die wichtigsten Bestimmungen über die Bildung und Arbeit eines Richterwahlausschusses in das Gesetz eingearbeitet haben. Wir haben in den Gesetzentwurf einen neuen § 8 a aufgenommen, der die Bestimmungen, die für die Zusammensetzung und Arbeit des Richterwahlausschusses notwendig sind, einer allgemeinen Regelung vorwegnimmt. Es heißt dort, daß die zu wählenden Mitglieder des Richterwahlausschusses vom Bundestag nach dem Höchstzahlverfahren gewählt werden, daß sie zum Bundestag wählbar sein müssen, daß der Bundesminister der Finanzen den Ausschuß beruft und in ihm ohne Stimmrecht den Vorsitz führt, daß der Ausschuß beschlußfähig ist, wenn je die Mehrzahl der Landesfinanzminister und der gewählten Mitglieder anwesend ist, daß sowohl der Bundesminister der Finanzen als auch die Mitglieder des Ausschusses Vorschläge für die Berufung der Richter machen können, daß endlich der Ausschuß in nichtöffentlicher Sitzung mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet. Der Bundesminister der Finanzen hat dann im Anschluß an die Wahl zu erklären, ob er zustimmt oder nicht, und wenn er zustimmt, unverzüglich die Ernennung durch den Herrn Bundespräsidenten herbeizuführen.
Wir haben uns über diesen neuen § 8 a im Ausschuß geeinigt. Er ist in voller Einmütigkeit verabschiedet worden. Damit sind die Bedenken, die die sozialdemokratische Fraktion in der dritten Lesung vorgebracht hat und die zur Zurückverweisung der ganzen Vorlage geführt haben, glaube ich, ausgeräumt.
Es ist nun aber bei dieser erneuten Beratung des Ausschusses noch eine andere Frage wieder aufgekommen, nämlich die Frage der Qualifikation der Richter des Bundestinanznofes. In der zweiten Lesung war beschlossen worden, daß zum Mitglied des Bundesfinanzhofes nur ernannt werden kann, wer das 35. Lebensjahr vollendet hat, und weiter, daß mindestens die Hälfte der Mitglieder die Befahigung zum Richteramt erlangt haben und daß die Mitglieder, soweit sie nicht die Befähigung zum Richteramt besitzen, die Befähigung zum hofieren Verwaltungsdienst erlangt haben mussen. Die Frage ist, wie gesagt, noch einmal erörtert worden. in dieser Frage hat nun eine Verständigung zwischen den beiden Ausschüssen, dem Rechtsausschuß und dem Finanz- und Steuerausschuß, die ja gemeinsam verhandelt haben, nicht herbeigeführt werden können, sondern in dieser Frage der Qualifikation der Richter des Bundesfinanzhofes haben die beiden Ausschüsse -- der Rechtsausschuß einerseits, der Finanz- und Steuerausschuß andererseits — eine abweichende Stellung bezogen.
Meine Damen und Herren! Ich möchte hier, um Irrtümer von vornherein auszuschließen, gleich auf das eine hinweisen: Es handelt sich hierbei nicht um die Beteiligung von Laien in der Rechtsprechung. Eine solche Beteiligung von Laien in der Rechtsprechung der Finanzgerichte kennen wir in den unteren Instanzen in den Steuerausschüssen und auch bei den Finanzgerichten, wo früher nach der Reichsabgabenordnung zwei Berufsrichter und drei Laien entschieden und auch in Zukunft entscheiden sollen. Es bestand bei uns allen Einmütigkeit darüber, daß eine solche Beteiligung von Laien in der Rechtsprechung des höchsten Finanzgerichtes, des Bundesfinanzhofes, nicht in Frage kommen kann, weil hier nur über Rechtsfragen entschieden wird. Es handelt sich also um die davon-streng zu unterscheidende Frage der Qualifikation der auf Lebenszeit zu berufenden hauptamtlichen Richter.
Hier ist nun, wie gesagt, eine Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden Ausschüssen aufgetreten. Der Rechtsausschuß schlägt folgende Fassung des § 3 Abs. 3 vor:
Zum Mitglied des Bundesfinanzhofes kann nur ernannt werden, wer das 35. Lebensjahr vollendet, die Befähigung zum Richteramt erlangt hat und sich durch besondere Kenntnisse auf dem Gebiet des Steuerrechts ausgezeichnet hat.
Mit anderen Worten: der Rechtsausschuß will als Berufsrichter im Bundesfinanzhof nur solche Personen zulassen, die die Qualifikation zum Richteramt haben und sich außerdem durch besondere Kenntnisse auf dem Gebiete des Steuerrechts auszeichnen. Die Begründung liegt auf der Hand. Der Rechtsausschuß ist der Meinung, daß ein Gerichtshof, der als Revisionsinstanz Rechtsfragen zu entscheiden hat, nur mit Leuten besetzt werden soll, die die Qualifikation zum Richteramt haben und in diesem besonderen Falle auch noch über besondere Kenntnisse auf dem Gebiete des Steuerrechts verfügen.
Die Entscheidung des Rechtsausschusses ist mit einer Stimmenmehrheit von 1.5 gegen 9 Stimmen erfolgt. Der Finanz- und Steuerausschuß hingegen hat eine etwas weitherzigere Auffassung vertreten. Der Vorschlag, der Ihnen vom Finanz- und Steuerausschuß unterbreitet wird und der innerhalb des Finanz- und Steuerausschusses mit 17 gegen 3 Stimmen verabschiedet ist, geht dahin, daß zum Mitglied des Bundesfinanzhofes nur ernannt werden kann, wer das 35. Lebensjahr vollendet hat, und besagt dann weiter: mindestens die Hälfte der Mitglieder muß die Befähigung zum Richteramt haben. Die übrigen Mitglieder müssen entweder die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst haben oder aber sich als hauptamtliche Mitglieder eines Finanzgerichtes in mindestens dreijähriger Tätigkeit bewährt haben.
Der Finanz- und Steuerausschuß hat sich dabei von folgenden Erwägungen leiten lassen. Es ist früher durchaus üblich gewesen, in den Reichsfinanzhof nicht nur, sagen wir, Oberlandesgerichtsräte, Reichsgerichtsräte, also Leute, die ohne weiteres über die Qualifikation zum Richteramt verfügen, zu berufen, sondern man hat auch Leute aus der Finanzverwaltung, aus der Ministerialbürokratie, die dann oftmals nicht die Qualifikation zum Richteramt, wohl aber die Qualifikation zum höheren Verwaltungsdienst hatten, dorthin berufen. Man war im Finanz- und Steuerausschuß der Meinung, daß man dies auch in Zukunft möglich machen sollte. Man war aber darüber hinaus der Meinung, daß auch im Bundesfinanzhof andere erfahrene Männer, die sich etwa als Diplomkaufleute oder Diplomvolkswirte mit Steuerfragen eingehend befaßt und die darüber hinaus nun als hauptamtliche Richter in einem Finanzgericht sich in dreijähriger Tätigkeit bewährt haben, nicht von der Berufung in den Bundesfinanzhof ausgeschlossen werden sollten.
Es ist noch eine vermittelnde Meinung aufgetreten, eine Meinung, die dahin ging, man sollte als Richter einmal Leute zulassen, die die Qualifikation zum Richteramt haben, dann aber auch Leute, die die Qualifikation zum höheren Verwaltungsdienst erlangt haben, aber nur auf Grund eines akademischen Studiums und zweier Staatsprüfungen. Diese Meinung hat sich zu Anträgen nicht verdichtet, aber wenn ich recht unterrichtet bin, wird ein dahingehender Antrag jetzt noch von Mitgliedern der Freien Demokratischen Partei eingebracht werden.
Die übrigen Bestimmungen des Gesetzentwurfes einschließlich des neuen § 8 a sind kaum mehr strittig und werden hoffentlich mit großer Einmütigkeit angenommen werden. In dieser Frage muß das Plenum nun entscheiden, ob es sich der Auffassung des Rechtsausschusses oder aber des Finanz- und Steuerausschusses anschließen will.
Eine schnelle Verabschiedung des Gesetzes ist unter allen Umständen notwendig — wir stehen ja auch in der dritten Lesung —, weil tatsächlich ein Notstand besteht. Es fehlt heute in Steuersachen in zwei Zonen, in der französischen und in der britischen Zone, die letzte Instanz, die Revisionsinstanz, die über Rechtsbeschwerden entscheiden könnte und daher die Gewähr für eine einheitliche Auslegung der schwierigen Steuergesetze bietet. Der in Bayern bestehende Finanzgerichtshof, der Nachfolger des alten Reichsfinanzhofes, ist heute eine bayerische Einrichtung und, auf Grund einer Vereinbarung zwischen den Ländern der amerikanischen Zone, in der ganzen amerikanischen Zone, aber nur hier, zuständig. Das Gesetz muß also so schnell wie möglich verabschiedet werden, damit
wir auch moglichst bald in den beiden anderen Zonen zu einer letzten Instanz kommen, die über die Rechtsbeschwerden zu entscheiden hat.
Ich möchte dann noch auf eine redaktionelle Frage hinweisen. In § 1 ist davon die Rede, daß der Bundesfinanzhof für Streitfragen über alle Abgaben zuständig ist, die von den Hauptzollämtern, von den Finanzämtern oder den Oberfinanzpräsidien verwaltet werden. Über den materiellen Inhalt besteht Einmütigkeit. Wir haben uns aber inzwischen bei der Beratung des Verwaltungsgesetzes dahin entschieden, daß wir die Oberfinanzpräsidien in Oberfinanzdirektionen umtaufen wollen. Wir wissen nicht, ob diese Entscheidung des Ausschusses auch vom Plenum gebilligt werden wird. Wenn sie gebilligt werden würde, müßte in dieser Beziehung der Text dieses Gesetzes geändert und das Wort „Oberfinanzpräsidien" durch „Oberfinanzdirektionen" ersetzt werden. Aber vielleicht kommen wir über diese Schwierigkeiten dadurch hinweg, daß wir die Bundesregierung ermächtigen, bei der Ausfertigung des Gesetzes den Text entsprechend den Beschlüssen zu ändern, die wir bei der Verabschiedung des Verwaltungsgesetzes fassen werden.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die Aussprache ein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mertins.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Berichterstatter hat schon darauf hingewiesen, daß mein Kollege Dr. Arndt in der 54. Sitzung dieses Hohen Hauses die Bedenken der Sozialdemokratischen Partei gegen den vorliegenden Gesetzentwurf zur Sprache gebracht und die Zurückverweisung an den 23. und 11. Ausschuß zu gemeinsamer Beratung beantragt hat. Die Mehrheit dieses Hauses hat dann so beschlossen und dadurch auch dokumentiert, daß bei der Beratung dieses Gesetzentwurfes Schwierigkeiten aller Art aufgetaucht sind.
Nach der Meinung meiner Fraktion bestehen diese Schwierigkeiten hauptsachlich auf drei Gebieten. Wir sind der Meinung, daß eine ordnungsmäßige Erledigung der strittigen Fragen in Finanz- und Steuersachen auf jeden Fall eine zwingende Notwendigkeit ist. Wir haben den betrüblichen Zustand zu verzeichnen, daß wir in der britischen und auch in der französischen Zone — in der britischen Zone seit Mitte 1948, in der französischen seit 1945 — keine Rechtsbeschwerdeinstanz in Finanz-und Steuersachen haben. Dadurch wächst die Ge- fahr der verschiedenartigen Gesetzesauslegung und der Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung auf dem Gebiete der Finanzen und Steuern. Wir begrüßen daher jede Initiative auf diesem Gebiet.
Wir sind aber der Meinung, daß diese Initiative am verkehrten Ende eingesetzt hat. -Die richtige Reihenfolge der Abwicklung dieser Dinge wäre doch die gewesen, daß zunächst einmal ein Gesetz über die Bundesfinanzverwaltung von dem Hohen Hause verabschiedet worden wäre. Dieses Gesetz liegt dem Hohen Hause vor. Es fehlt aber das Gesetz über die Finanzgerichtsbarkeit im allgemeinen. Es ist angekündigt worden, und es soll schließlich die Bestimmungen dieses Gesetzes über den Bundesfinanzhof aufnehmen. Darin liegt eine der großen Schwierigkeiten, daß wir das Gesetz, das in der' Reihenfolge eigentlich am Schlusse steht und an der Stelle behandelt werden sollte, nun vorwegnehmen müssen.
Eine zweite Schwierigkeit, auf die meine Fraktion hinzuweisen hat, ist, daß in diesem Gesetz über den Bundesfinanzhof von einem Richterwahlausschuß gesprochen worden ist, der nach Art. 95 Abs. 3 des Grundgesetzes durch ein Richterwahlgesetz eigentlich erst eingerichtet werden soll. Die einheitliche Regelung der Richterwahl für alle oberen Bundesgerichte halten wir für eine Angelegenheit, die diesem Gesetz eigentlich vorauszugehen hätte. Es liegt nämlich sonst die Gefahr der Präjudizierung dieses Richterwahlgesetzes vor. Wir begrüßen es daher, daß mit § 8 a des jetzt durch den Ausschuß neu gefaßten Gesetzes eine Zwischenlösung gefunden worden ist.
Die letzte Schwierigkeit, auf die ich hinweisen möchte, besteht im § 3, und zwar ist diese Schwierigkeit noch nicht einmal in der Ausschußberatung ausgemerzt worden. Es liegen uns zwei Fassungen vor, wie es der Herr Berichterstatter hier auch bereits bekanntgegeben hat. In der Fassung des 23. Ausschusses, des Rechtsäusschusses, wird der Bundesfinanzhof gewissermaßen zu einer Domäne der Nur- und Volljuristen gemacht. Wir werden diesem Antrag nicht folgen und unsere Stimme für den Antrag des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen abgeben, der hier — vielleicht zum erstenmal in der Geschichte der oberen Gerichte — etwas Fortschrittliches enthält, und zwar dahingehend, daß auch das fachlich versierte — ich betone ausdrücklich: das fachlich versierte — Laientum die Möglichkeit hat, in diesem oberen Gericht mitzuwirken. In diesem oberen Gericht sind tatsächlich nicht nur reine Rechtsfragen zu entscheiden, sondern es muß von den Richtern an diesem oberen Gericht auch verlangt werden, daß sie entweder alle oder wenigstens einige von ihnen auf dem Gebiete der Wirtschaft im allgemeinen und vor allen Dingen auf dem des Bilanzwesens auch genauer Bescheid wissen. Wir halten das für unerläßlich und werden daher dem Antrag des 11. Ausschusses zustimmen.
Wir haben mit Interesse festgestellt, daß die Mitglieder der CDU im Rechtsausschuß für den Antrag des Rechtsausschusses und im Finanzausschuß fur den Antrag des Finanzausschusses gestimmt haben. Ich möchte wünschen, daß die Mitglieder der CDU im Rechtsausschuß sich in der Zwischenzeit zu der Meinung ihrer Kollegen des Finanzausschusses bekehrt haben, damit wir diesen bescheidenen Fortschritt wenigstens einmal in Gesetzesform festlegen können.
Zum Schluß möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Bundesregierung das Richterwahlgesetz dem Hohen Hause möglichst schnell vorlegt. Ich erinnere daran, daß ein Entwurf der SPD für dieses Richterwahlgesetz schon seit Monaten vorliegt. Die Regierung sollte sich unserer Meinung nach etwas beeilen, damit nicht noch weitere Schwierigkeiten dieser Art bei anderen Gesetzen oder bei der Einrichtung anderer oberer Bundesgerichte auftreten.
Darüber hinaus bitten wir um die schnelle Vorlegung des Gesetzes über die allgemeine Finanzgerichtsbarkeit, damit dieses Gesetz über den Bundesfinanzhof dort eingereiht werden kann und damit endlich einmal der Beschwerdeweg durchgängig von unten bis oben gegeben ist. Unsere Wünsche bezüglich dieses Gesetzes über den Bundesfinanzhof sind nicht restlos erfüllt worden. Aber da wir die schnelle Verabschiedung des Gesetzes und die baldige Einrichtung eines solchen oberen Gerichtes für unbedingt notwendig halten, werden
2252 Deutscher Bundestag. — 91. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Mai 1950
wir diesem Gesetzentwurf unsere Zustimmung geben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe daher die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf in der Fassung der Beschlüsse des 23. und des 11. Ausschusses: § 1, — § 2. — Da sich kein Widerspruch erhoben hat, sind diese Paragraphen angenommen.
Wir kommen zu § 3. Die Absätze 1 und 2 kann ich wohl als angenommen erklären. —
Bei Abs. 3 besteht ein Unterschied in der Fassung der Beschlüsse des 11. Ausschusses und des 23. Ausschusses. Es ist nicht ganz leicht, in diesem Augenblick zu entscheiden, welche Fassung als die weitergehende anzusehen ist. Ich nehme aber an, daß die Fassung des Rechtsausschusses .die weitergehende ist,
weil sie in der sachlichen Beschränkung eigentlich am weitesten geht. Ich stelle also diesen Antrag zuerst zur Abstimmung.
- Das ist der Antrag des 23. Ausschusses, des Rechtsausschusses; also auf Seite 4 der Vorlage. Wer für diese Fassung des 23. Ausschusses ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, unter diesen Umständen ist über die Mehrheit keine Klarheit zu bekommen. Wir müssen also eine Abstimmung durch Hammelsprung vornehmen.
Ich bitte diejenigen, die für den Antrag sind, durch die Ja-Tür, die dagegen sind, durch die Nein-Tür, und diejenigen, die sich der Stimme enthalten, durch die Mitteltür hereinzukommen. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, sich an den Türen zur Auszählung aufzuhalten.
Ich bitte, mit der Zählung zu beginnen.
Die Auszählung ist beendet. Ich bitte, die Türen zu schließen.
Meine Damen und Herren, das Abstimmungsergebnis: abgegeben sind 117 Ja-Stimmen, 179 Nein-Stimmen bei 5 Enthaltungen. Damit ist der Beschluß des 23. Ausschusses abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr ab über den Beschluß des 11. Ausschusses. Ich bitte diejenigen, die
dafür sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit. § 3 Abs. 3 ist in dieser Form angenommen.
Ich rufe nunmehr auf § 3 Abs. 4, — § 4, —§ 5,—§6,—§ 7,—§ 8,—§8a,—§ 9,§ 10, — Einleitung und Überschrift. Da keine Abänderungsanträge vorliegen, kann ich die aufgerufenen Paragraphen wohl für angenommen erklären.
Wir kommen nunmehr zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die für Annahme des Gesetzes in der soeben beschlossenen Fassung in seiner Gesamtheit sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das Gesetz ist mit überwiegender Mehrheit angenommen und damit verabschiedet.
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Dr. Höpker-Aschoff!
Meine Damen und Herren! Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß in § i des Gesetzes von „Oberfinanzpräsidium" die Rede ist, daß wir aber im Ausschuß bei der Beschlußfassung über das Finanzverwaltungsgesetz das Wort „Oberfinanzpräsidium" durch das Wort „Oberfinanzdirektion" ersetzt haben. Für den Fall, daß das Plenum in der nächsten Woche bei der Verabschiedung des Finanzverwaltungsgesetzes das billigen sollte, müßte in diesem Gesetz in § 1 das Wort „Oberfinanzpräsidium" durch das Wort „Oberfinanzdirektion" ersetzt werden. Ich glaube, wir können über diese Schwierigkeit dadurch hinwegkommen, daß wir die Regierung ermächtigen, bei der Ausführung des Gesetzes je nach dem Ausfall der Beschlüsse in der nächsten Woche das Wort „Oberfinanzpräsidium" durch das Wort „Oberfinanzdirektion" zu ersetzen.
Meine Damen und Herren, wird dem Vorschlag des Herrn Abgeordneten Dr. Höpker-Aschoff widersprochen? Das ist nicht der Fall. Dann nehme ich die Zustimmung des Hauses zu diesem Vorschlag an.
Meine Damen und Herren, mir ist der Wunsch unterbreitet worden, wegen der vorgerückten Stunde die Sitzung nunmehr zu schließen und den Rest der heutigen Tagesordnung in der Sitzung morgen vormittag zu behandeln. — Ich höre keinen Widerspruch und darf daher die Zustimmung zu diesem Vorschlag annehmen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen vormittag 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.