Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich das Hohe Haus um Entschuldigung bitten für die Störung, die ich in der letzten Sitzung verursacht habe durch einen Streich, den mir die Natur gespielt hat und für den ich letztlich nicht kann. Darüber hinaus möchte ich dafür danken, daß mir die Möglichkeit gegeben ist, heute meine Betrachtungen vor dem Hohen Hause abzuschließen, um die Stellungnahme der sozialdemokratischen Fraktion zu dieser außerordentlich wichtigen Frage zu bekunden.
Im Interesse eines abgerundeten Bildes, das ich in der letzten Sitzung zu malen versucht habe, halte ich es für notwendig, wenigstens die abschließenden Sätze meiner damaligen Ausführungen noch einmal zu zitieren. Ich sagte u. a.:
Wenn wir uns heute die Jugend anschauen und wenn wir die Zahlen des Berichterstatters eindringlich auf uns wirken lassen, dann, glaube ich, werden wir von den Menschen, die vor einigen Jahren die Auffassung vertreten haben, das Schicksal der Jugend in die Kasernen und auf die Schlachtfelder verlagern zu müssen, heute zu fordern haben, daß sie der Jugend Werkzeuge in die Hand geben, die dem Aufbau dienen. Jugend wird immer ein aufbauender Faktor sein. Diejenigen, die einst die Instrumente für die Zerstörung, die Instrumente für das Töten anderer Menschen geliefert haben, haben heute die Verpflichtung, dieser Jugend Hammer und Kelle und die Werkzeuge zu reichen, die dem Frieden, dem Aufbau und dem Leben dienen.
Anschließend an diese letzten Sätze möchte ich einige Worte aus der Feder des Jugenddichters Dahmen wiedergeben, weil diese Worte die ganze Problematik, alle Nöte und Sorgen umreißen. Er sagt:
Es ist nicht wahr, daß wir den Kopf verloren, Daß unser Geist sich nebelhaft verliert.
Wir sind noch da und stehen vor den Toren Und sind trotz . Schlamm und Sterben nicht
vertiert!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liegt in diesen Worten nicht der unbändige Wille der jungen Generation, mit dem gesunden Kopf und dem Gang durch das Tor mitzuwirken am Aufbau unseres zerschlagenen Volkes? Wir, haben alle miteinander die Aufgabe, die Tore zu öffnen, die in die Werkstätten, in die Fabriken, in die Arbeitsstätten führen, in denen aus der Gemeinschaft der schaffenden Menschen sich wieder jene Arbeitsethik entwickeln wird, die wir brauchen, wenn wir in der Zukunft eine gute Facharbeiterschaft haben wollen.
In diesem Zusammenhang ein paar Worte über den Begriff der Arbeit, von dem soviele Menschen nur die Seite der Last kennen. Ich bin der Auffassung, daß wir der Jugend den Weg für die Klärung dieses Begriffes „Arbeit" auf Grund eigenen Erlebens ebnen müssen. Sie ist ein Bestandteil unseres gesamten Lebens und nur durch verschiedene Entwicklungen der hinter uns liegenden Jahrzehnte zum Teil zu einem Fluch geworden. Die Jugend aber, die nach dem Tor verlangt, kann nicht eine Jugend sein, von der viele aus der älteren Generation oft sagen, sie sei
verdorben oder schlecht. Die Jugend hat immer ihre Werte, und ich bekenne mich zu ihr und möchte, daß dieser Appell auch von jedem einzelnen von Ihnen an die Jugend gerichtet wird. Nur auf dieser Basis werden wir aus den Kräften, die das Parlament und das gesamte Volk aufwenden, in Verbindung mit der eigenen Tatkraft der Jugend die Maßnahmen verwirklichen können, die in dem Antrag des Ausschusses für Jugendfürsorge vorgeschlagen worden sind. Es ist aber unvermeidlich, auf die grausamen Folgen hinzuweisen, die sich ergeben würden, wenn die Lösung der gegenwärtigen schwierigen Lage nicht gelänge.
Ich erwähnte schon, daß die Arbeitsstätten jene Stellen seien, in denen wir Menschen für die Zukunft heranbilden. Ich denke daran, daß wir in fünf, sechs Jahren, wenn es uns nicht gelingt, heute die Lehrlinge in die Werkstätten hineinzubringen, einen Mangel an Facharbeitern haben, der es unserer Wirtschaft in der Gesamtheit unmöglich macht, die Konkurrenz mit der andern Welt zu bestehen. Wir dürfen uns also hier nicht kurzsichtig verhalten, sondern müssen den Blick über die gegenwärtige Zeit hinaus richten.
Eine weitere außerordentlich große Gefahr droht uns in der Gesamtheit auf der sozialen Ebene. Ich erinnere an die Jugendkriminalität, die nicht zuletzt auch durch die Auswirkungen des Soldatseins entwickelt und hervorgerufen worden ist. Ich denke an das Wettrennen geradezu, das oft um den besten Meister auf dem Gebiete des sogenannten „Organisierens" veranstaltet wurde. Ist es verwunderlich, daß damals 18-, 19jährige junge Menschen später dieses „Organisieren" zu einem gewissen Bestandteil ihres alltäglichen Lebens machten? Und wenn wir da nicht durch die Arbeit, durch die Unterschiedlichkeit der Arbeitsstätte und der Familie, des Weckens jenes Sehnens von der Arbeit in das Haus diese Dinge überwinden, nun, dann werden wir sehr, sehr arge Belastungen in bezug auf die Unterfaltung der Anstalten, in die die Jugend geschickt wird, und in bezug auf die Unterhaltung von Gefängnissen ertragen müssen, die wir nicht für die Jugend haben möchten.
Aus dem Grunde bitte ich gerade auch bei dieser Angelegenheit, bei der Gefahr, die uns auf der sozialen Ebene droht, daran zu denken, wie hier die Folgen des Krieges sich noch außerordentlich hart zeigen.
In allerengstem Maße liegt da auch die Ebene des Kulturellen. Wo können wir von einem Haus sprechen, von einem Heim, wo können wir von jener Feinfühligkeit und von jenem Hingezogenfühlen reden, wenn hier der Junge und das Mädel, die ohne Arbeit sind, diese Unterschiedlichkeit nicht kennen? Die gesamte kulturelle Aufgabe, die die Jugend zu erfüllen hat, würde lahmgelegt werden, und nicht zuletzt wird die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Kampfes gegen Schmutz und Schund und des Schutzes der Jugend in der Öffentlichkeit von diesen Fragen in starkem Maße beeinflußt werden.
Weiterhin dürfen wir nicht übersehen, was werden würde, wenn diese heute 18- bis 25jährigen nicht in den nächsten Jahren die Möglichkeit haben, wenn sie entsprechend alt geworden sind, nun auch eine Familie zu gründen, jene Träger des Lebens zu werden, von denen so oft gesprochen wird und die wir alle bejahen.
Alles in allem sehen wir letztlich zusammengefaßt in diesen einzelnen Punkten die gesamte politische Gefahr, die dem Volke durch diese Verhältnisse droht; die politische Gefahr, bestehend darin, daß ein großer Teil der jungen Generation wieder zu politischen Landsknechten wird, die Gefahr, einem Radikalismus von rechts oder links zu verfallen und nicht mehr zu unterscheiden, was sinnvoll ist. Und wenn wir heute an manche Appelle denken, die auf der politischen Ebene an Teile der Jugend gerichtet werden, dann brauche ich in diesem Augenblick und in diesem Hause wohl nicht mehr dazu zu sagen. Setzen wir aber an die Stelle eines Verfallens in einen Radikalismus den Willen zur Toleranz durch die Jugend, dann, meine ich, werden wir auch ein Fundament verbreitern und festigen helfen, das dem Parlament und der Demokratie und dem Volke in der Gesamtheit dient.
Aus diesen Gesichtspunkten heraus hat die sozialdemokratische Fraktion seinerzeit den Antrag auf Durchführung von Maßnahmen für die notleidende Jugend gestellt. Die vorgeschlagenen Maßnahmen umfassen eine ganze Reihe von einzelnen Punkten. Ich möchte aber, ohne auf einzelne weiter einzugehen, noch betonen, daß eine Generallösung nur möglich ist, wenn es uns gelingt, aus der wirtschaftspolitischen Gestaltung moglichst bald und schnell zu einer Voltbeschäftigung aller Menschen in Deutschland zu kommen.
Dann wird auch die Jugend ihren Platz und wieder ihre Heimat linden una deshalb richte ich die Bitte an die verantwortlichen Ministerien, vor allen Dingen aber an den Herrn Wirtschaftsminister und den Herrn Arbeitsminister, unabhängig von der Debatte, die wir des öfteren schon über die wirtschaftspolitische Tendenz gehabt haben, ihr Augenmerk auch mit auf die Jugend zu richten und nicht irgendwie aus einem sturen Festhalten an einer einmal eingenommenen Haltung hier etwas falsch zu machen.
Darüber hinaus haben wir aus den Zahlen des Berichterstatters, des Kollegen Ribbeheger, gehört, daß gerade die weibliche Jugend einen so großen Anteil an der Gesamtzahl der jugendlichen Arbeitslosen einnimmt. Wir brauchen auch hier für diese Madel etwas anderes und mehr als den Beruf der Hausfrau, der zweifellos auch von mir und meinen Freunden bejaht wird. Wir brauchen nach der Veränderung des Verhältnisses der Geschlechter untereinander nach dem Kriege auch für die Mädel und Frauen die feste Berufsgrundlage. Die beste Aussteuer für das Mädel und die beste Lebenssicherung für jede Erscheinung, für jede Schwankung, für jede Erschütterung ist der Beruf. Deshalb muß weitestgehend die Möglichkeit genutzt werden, die Mädels in die Stellen, in die Lehrstätten zu bringen, die sich für sie am besten eignen.
Da ist die Frage der Lehrwerkstätten ein wichtiger Komplex. Wir haben bei verschiedenen Unternehmungen, vor allem bei der Bundesbahn, noch Lehrwerkstätten, die nicht voll besetzt sind. Soweit ich erfahren habe, hat auch die Kollegin Niggemeyer in ihren Ausführungen in der vorigen Woche schon darauf hingewiesen. Ich will das mit vollem Herzen unterstützen und die Regierung bitten, gerade die noch nicht besetzten Lehrstellen der vorhandenen Lehrwerkstätten im gesamten Bundesgebiet — und dabei möchte ich als einzige, als eine von den vielen Paderborn erwähnen — zu besetzen, auch auf die Gefahr hin, daß das im Augenblick eine gewisse finanzielle Belastung für den Bund bedeutet.
Daneben wünsche ich, daß das in, Frage kommende Ministerium auch auf dem Wege der Ge-
staltung des Jugendarbeitsschutzgesetzes schnellstens die Dinge vorantreibt, damit hier auf der Basis einer tragbaren Lösung Hemmnisse, die heute noch zum Teil in Kreisen der Handwerker bestehen, beseitigt werden und manche Lücke gefüllt wird, die heute noch in bezug auf die Erschließung von Lehrstellen vorhanden ist.
Auf dem gesamten Komplex dieser Betrachtungen möchten wir, daß die Regierung bei der Durchführung ihrer Maßnahmen nicht eine kleinliche und enge Haltung einnimmt, sondern daß sie selbst in der Erkenntnis, daß hier ein wichtiger Teil unseres Volkes zu, betreuen ist, eine großzügige und weitherzige Haltung einnehmen möge. Es geht nicht um eine tote Materie, sondern es geht hier um lebendige junge Menschen. Wir müssen zuerst diese Menschen sehen, und ihnen muß dann vor allem zuerst geholfen werden. Ich möchte hier zur Jugend mit all den Nöten, wie wir sie kennen, ja sagen und zu dem Bekenntnis von vorhin hier erklären, daß ich sie als das Bauvolk der kommenden Welt, unseres kommenden Deutschlands betrachte. Und diese Jugend ist nicht nur Bauvolk, sondern sie ist zugleich auch Sämann, und sie ist Saat und wird und muß eines Tages auch noch Schnitter dieser Saat sein.
Wenn wir uns aus diesen Gedanken heraus der Jugend als Freunde gegenüberstellen, dann, glaube ich, wird es niemanden hier im Hause geben, der sich abseits stellt oder der in irgendeiner Gleichgültigkeit über die Dinge hinweggehen könnte. Wir haben dem jungen Baum in unserm Volk — wenn ich es einmal so sagen darf —, der Jugend, einen Halt und ein Gebinde zu geben, damit dieser Baum im Sturm und Wirbel des Zeitgeschehens nicht zerbricht.
Meine Damen und Herren! Helfen Sie und hilf du, deutsches Volk, auf allen Gebieten in diesem unserm Garten des Volkes gegenüber der Jugend im wahrsten Sinne des Wortes Gärtner zu sein. Damit werden wir unserm geschlagenen Vaterlande dienen; damit werden wir unserm künftigen Europa dienen, das auch einzig und allein auf den Schultern der jungen Generation von morgen getragen werden kann.