Rede von
Paul
Stech
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser ursprünglicher SPD-Antrag verlangte eine Umsiedlung von 600 000 Personen aus den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern in unterbelegte bzw. aufnahmefähige Länder. Die seinerzeit im Bundestag und im Ausschuß für Heimatvertriebene geführten Verhandlungen sind später auf die Ebene der Bundesregierung und des Bundesrates verlagert worden. Die anfänglich von Herrn Bundesflüchtlingsminister Dr. Lukaschek mit den Ländern zum Zwecke gütlicher Vereinbarungen geführten Verhandlungen waren nach unserer Ansicht von vornherein zum Scheitern verurteilt. Unsere seinerzeitige Warnung bzw. die von uns auf Grund jahrelanger Erfahrungen mit den Landesflüchtlingsverwaltungen immer wieder vertretene Auffassung hat sich nur zu sehr als zu Recht bestehend erwiesen.
Als Ergebnis dieser so geführten Verhandlungen ist festzustellen, daß in der Zeit vom 1. 1. bis zum 31. 12. 1950, und zwar auf Grund des Art. 119 des Grundgesetzes, ganze 300 000 Personen aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern in die Länder Baden, Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Rheinland-Pfalz umgesiedelt werden sollen; bei heutiger Betrachtung ein überaus mageres Ergebnis, wenn man bedenkt, daß von diesen 300 000 umzusiedelnden Personen auf Schleswig-Holstein 150 000, auf Niedersachsen und Bayern je 75 000 entfallen sollen. In Wirklichkeit würde nach bisheriger Sachlage die Zahl von 300 000 echt umzusetzenden Personen nie und nimmer erreicht, wenn die bisher geübte Methode beibehalten würde.
Was haben wir in diesem Zusammenhang festzustellen? Schleswig-Holstein wird bei Beibehaltung der bisherigen Praxis niemals in der Lage sein, 150 000 Personen umzusetzen, weil man dazu übergegangen ist, alles, was im Jahre 1949 ordnungsgemäß umgesetzt worden ist, glatt auf diese 150 000 zu verrechnen. Wir schätzen in Schleswig-Holstein, daß wir im Jahre 1950, wenn diese Methode so beibehalten werden sollte, vielleicht noch nicht einmal die Hälfte von 150 000 echt umsetzen können. Wenn das der Sinn der vom Herrn Flüchtlingsminister Dr. Lukaschek nach Art. 119 erbetenen und erfochtenen Rechtsverordnung sein soll, dann möchten wir uns" für eine solche Durchführung herzlichst bedanken. Wenn ich also bei einer 50%igen Quote Schleswig-Holsteins angekommen bin und nun das Land Niedersachsen beispielsweise betrachte, das in diesem Jahre 75 000 Personen umsetzen soll, so wird voraussichtlich und nach bisherigen Berechnungen der niedersächsischen Landesregierung nur noch eine Höchstzahl von ungefähr 37 000 umgesetzt werden können. Ähnlich liegen die Verhältnisse bezüglich des Landes Bayern.
Welche Folgerungen haben wir hieraus zu ziehen? Wir sind der Meinung, wenn die Rechtsverordnung nach Art. 119 von den Ländern kaum beachtet wird, wenn man willkürlich sagt: Wir erkennen nicht an, was seinerzeit ausgehandelt worden ist, dann entsteht die Frage, ob nicht mit einem Gesetz gearbeitet werden muß. Ich sagte bereits zu Beginn, die mit den Länderflüchtlingsverwaltungen gesammelten Erfahrungen lassen keine gütliche Vereinbarung zu, und wenn wir weiter feststellen, daß die Rechtsverordnung eben nicht den Boden hat, wie man es billigerweise verlangen kann, dann muß eben versucht werden, den Dingen mit schärferen Mitteln beizukommen. Ich sagte
schon: Ganze 300 000 sind jetzt für die Umsetzung übriggeblieben. Wir sind der Meinung, daß der Herr Berichterstatter mit seinen Feststellungen zum erheblichen Teil das Richtige getroffen hat, und meine Fraktion ist gewillt, dem Antrag des Ausschusses die Zustimmung zu erteilen, in dem es heißt:
Um eine gleichmäßige Eingliederung der Heimatvertriebenen in die Bevölkerung des Bundesgebietes zu erreichen, sind die Länder zu verpflichten, aus den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern zunächst insgesamt 600 000 Heimatvertriebene mit tunlichster Beschleunigung aufzunehmen.
Aus diesem „zunächst" wollen wir vom Ausschuß her erkennen lassen, daß das der Anfang im Jahre 1950 sein muß. Es kann nicht nur bei diesen 300 000 laut Rechtsverordnung bleiben, weil uns die Dinge tatsächlich inzwischen, wie im Ausschuß wiederholt betont wurde, über den Kopf wachsen werden.
Uns allen, die wir mit Heimatvertriebenenkreisen zu tun haben, gehen fast tagtäglich Notschreie zu, Protestentschließungen; Massenversammlungen finden draußen statt. Uns glaubt kein Mensch mehr, obwohl die sich freiwillig Meldenden davon überzeugt waren, daß es nach dem jahrelang vorausgegangenen Hin und Her endlich im Jahre 1950 zu klaren Rechts- und Umsiedlungsverhältnissen kommen würde.
Man soll uns nicht damit kommen, daß etwa die Bundesbahn nicht in, der Lage sei, täglich rund 1000 Menschen aus einem Abgabeland zu transportieren. Wenn man die Notschreie der Bundesbahn, daß sie unterbeschäftigt sei, hört und richtig versteht, sollte man beim deutschen Organisationsvermögen ruhig sagen können — und es liegen auch Auskünfte darüber vor —, daß die Bundesbahn noch im Jahre 1950 600 000 Menschen sauber und menschlich einwandfrei umsetzen kann. Bei gutem Willen ist das durchaus möglich.
Nun sagte ich eben: Bei gutem Willen ist das durchaus möglich. Da wollen wir uns doch einmal die Länder ansehen, die diesen guten Willen anscheinend nicht aufbringen wollen. Zwei Länder sind dabei insbesondere zu nennen; das ist Nordrhein-Westfalen einerseits und Hessen andererseits. Wenn man der Meinung ist, daß die Anrechnungen aus den Umsetzungen im Jahre 1949 entfallen, Herr Bundesflüchtlingsminister, dann müssen wir eine Korrektur vornehmen, wonach es bei der bisherigen Regelung, also bei 300 000 Umsiedlern ohne Anrechnung vorhergegangener Dinge bleiben muß, und dann einen Schritt weitergehen und sagen:
Im Jahre 1950 sind 600 000 Menschen umzusiedeln.
Das ist, wie ich schon bemerkte, technisch durchaus möglich. Nordrhein-Westfalen kann unmöglich erst Wohnungen bauen wollen, um dann die Auflagen nach der Rechtsverordnung der Bundesregierung zu erfüllen. Auf der anderen Seite aber hält man die Heranziehung von arbeitsfähigen Fachkräften- aus den Abgabeländern für nützlich, indem man sagt: Die Familienangehörigen müssen noch so lange in den Abgabeländern bleiben, bis in Nordrhein-Westfalen neuer Wohnraum für die Familienangehörigen erstellt worden ist. Sehr viele dieser Menschen haben jahrelang getrennt leben müssen, und wie froh waren sie, daß sie nach jahrelanger Trennung endlich wieder zusammengeführt werden konnten. Jetzt soll der Prozeß der
Trennung noch einmal beginnen, indem man die Familien wieder auseinanderreißen will. Gegen diese Art und Weise müssen wir uns mit aller Entschiedenheit wenden, und zwar nicht nur wegen der Anrechnung der Umgesiedelten des Vorjahres, sondern auch, weil man die Familien erneut trennen will. Das gleiche trifft in ähnlichem Umfange für Hessen zu.
Wir stimmen also dem Ausschußantrag zu. Alle Länder, die nach der Rechtsverordnung der Bundesregierung Flüchtlinge aufzunehmen haben, müssen das Letzte tun, die Umsiedlung in menschlichster Form zu gewährleisten, sowie die politischen Schwierigkeiten zu beseitigen, die sich in den Abgabeländern von Tag zu Tag steigern. Wir wünschen eine saubere Umsiedlung ohne irgendwelche Anrechnung im Jahre 1950 und in gleicher Weise mit ähnlichen Zahlen im Jahre 1951. Notfalls muß die Umsiedlung durch Bundesgesetz geregelt werden.