Protokoll:
18229

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 229

  • date_rangeDatum: 31. März 2017

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 13:41 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/229 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 229. Sitzung Berlin, Freitag, den 31. März 2017 Inhalt: Tagesordnungspunkt 34: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie: Neuauf- lage 2016 Drucksache 18/10910 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23079 A Peter Altmaier, Bundesminister für besondere Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23079 B Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 23081 B Florian Pronold, Parl . Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23082 B Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23083 B Carsten Träger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23084 C Birgit Menz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 23085 B Dr . Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23086 B Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23087 A Jeannine Pflugradt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 23088 A Matern von Marschall (CDU/CSU) . . . . . . . . 23089 A Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 23090 B Peter Stein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23091 B Tagesordnungspunkt 35: a) Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Solidarische und gerechte Finanzierung von Gesundheit und Pflege Drucksache 18/11722 . . . . . . . . . . . . . . . . 23092 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Sechster Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung und den Stand der pflegerischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland Drucksache 18/10707 . . . . . . . . . . . . . . . . 23092 B Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23092 C Erwin Rüddel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23093 D Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23095 C Thomas Stritzl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23095 D Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23097 A Erich Irlstorfer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23098 C Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 23100 C Dr . Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23101 C Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23102 D Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23103 C Sabine Dittmar (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23105 C Tagesordnungspunkt 36: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der durch die Europäische Union geführten EU NAVFOR Somalia Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias Drucksache 18/11621 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23106 D Dr . Ralf Brauksiepe, Parl . Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23107 A Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . . . 23108 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 229 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 31 . März 2017II Dirk Vöpel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23108 D Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23109 D Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 23110 C Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . 23110 D Tagesordnungspunkt 37: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- zes zur Änderung des E-Government-Ge- setzes Drucksache 18/11614 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23111 D Dr . Ole Schröder, Parl . Staatssekretär BMI . . . 23112 A Dr . Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23112 D Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 23113 C Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23114 D Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23115 D Tagesordnungspunkt 38: Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Radverkehr konsequent fördern Drucksache 18/11729 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23116 D Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23117 A Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 23118 B Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23119 C Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23120 C Stefan Zierke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23122 A Patrick Schnieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23123 D Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23125 A Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 23126 A Tagesordnungspunkt 39: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Für gute Bildung in Europa – Er- folgreiches Programm Erasmus+ wei- terentwickeln Drucksache 18/11726 . . . . . . . . . . . . . . . . 23127 A b) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Eras- mus+ europäische Gemeinschaft erleben Drucksache 18/11737 . . . . . . . . . . . . . . . . 23127 B Thomas Rachel, Parl . Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23127 B Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 23128 B Martin Rabanus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23129 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23130 C Katrin Albsteiger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23131 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23132 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 23133 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23134 A (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 229 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 31 . März 2017 23079 229. Sitzung Berlin, Freitag, den 31. März 2017 Beginn: 9 .00 Uhr
  • folderAnlagen
    Katrin Albsteiger (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 229 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 31 . März 2017 23133 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 31 .03 .2017 Auernhammer, Artur CDU/CSU 31 .03 .2017 Beckmeyer, Uwe SPD 31 .03 .2017 Bergner, Dr . Christoph CDU/CSU 31 .03 .2017 Binding (Heidelberg), Lothar SPD 31 .03 .2017 Böhmer, Dr . Maria CDU/CSU 31 .03 .2017 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 31 .03 .2017 Buchholz, Christine DIE LINKE 31 .03 .2017 Bülow, Marco SPD 31 .03 .2017 Drobinski-Weiß, Elvira SPD 31 .03 .2017 Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 31 .03 .2017 Ehrmann, Siegmund SPD 31 .03 .2017 Fabritius, Dr . Bernd CDU/CSU 31 .03 .2017 Feiler, Uwe CDU/CSU 31 .03 .2017 Flisek, Christian SPD 31 .03 .2017 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 31 .03 .2017 Gabriel, Sigmar SPD 31 .03 .2017 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 31 .03 .2017 Gohlke, Nicole DIE LINKE 31 .03 .2017 Hajek, Rainer CDU/CSU 31 .03 .2017 Hänsel, Heike DIE LINKE 31 .03 .2017 Harbarth, Dr . Stephan CDU/CSU 31 .03 .2017 Heller, Uda CDU/CSU 31 .03 .2017 Huber, Charles M . CDU/CSU 31 .03 .2017 Hüppe, Hubert CDU/CSU 31 .03 .2017 Jung, Andreas CDU/CSU 31 .03 .2017 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Kaufmann, Dr . Stefan CDU/CSU 31 .03 .2017 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 31 .03 .2017 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 31 .03 .2017 Korte, Jan DIE LINKE 31 .03 .2017 Krüger, Dr . Hans-Ulrich SPD 31 .03 .2017 Malecha-Nissen, Dr . Birgit SPD 31 .03 .2017 Michelbach, Dr . h . c . Hans CDU/CSU 31 .03 .2017 Möhring, Cornelia DIE LINKE 31 .03 .2017 Mosblech, Volker CDU/CSU 31 .03 .2017 Müller (Erlangen), Stefan CDU/CSU 31 .03 .2017 Müntefering, Michelle SPD 31 .03 .2017 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 31 .03 .2017 Pau, Petra DIE LINKE 31 .03 .2017 Pilger, Detlev SPD 31 .03 .2017 Poschmann, Sabine SPD 31 .03 .2017 Pothmer, Brigitte BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 31 .03 .2017 Rüthrich, Susann * SPD 31 .03 .2017 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 31 .03 .2017 Schipanski, Tankred CDU/CSU 31 .03 .2017 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 31 .03 .2017 Schmidt (Ühlingen), Gabriele CDU/CSU 31 .03 .2017 Schmidt, Dr . Frithjof BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 31 .03 .2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 229 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 31 . März 201723134 (A) (C) (B) (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Stamm-Fibich, Martina SPD 31 .03 .2017 Stauche, Carola CDU/CSU 31 .03 .2017 Steinbach, Erika fraktionslos 31 .03 .2017 Strebl, Matthäus CDU/CSU 31 .03 .2017 Vietz, Michael CDU/CSU 31 .03 .2017 Vogler, Kathrin DIE LINKE 31 .03 .2017 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 31 .03 .2017 Wöllert, Birgit DIE LINKE 31 .03 .2017 Woltmann, Barbara CDU/CSU 31 .03 .2017 Zöllmer, Manfred SPD 31 .03 .2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur hat mitgeteilt, dass er gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht 2015 der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Ei- senbahnen für den Bereich Eisenbahnen mit Stellungnahme der Bundesregierung Drucksachen 18/10913, 18/11225 Nr. 1 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Petitionsausschuss Drucksache 18/10932 Nr . A .1 EP P8_TA-PROV(2016)0452 Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/11484 Nr . A .1 Ratsdokument 6379/17 Innenausschuss Drucksache 18/8668 Nr . A .9 Ratsdokument 7905/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .16 Ratsdokument 11313/16 Drucksache 18/10311 Nr . A .6 Ratsdokument 12824/16 Drucksache 18/10449 Nr . A .7 Ratsdokument 13530/16 Drucksache 18/10706 Nr . A .3 Ratsdokument 14369/16 Drucksache 18/11029 Nr . A .2 Ratsdokument 15387/16 Drucksache 18/11029 Nr . A .3 Ratsdokument 15399/16 Drucksache 18/11029 Nr . A .6 Ratsdokument 15810/16 Drucksache 18/11693 Nr . A .3 Ratsdokument 6171/17 Finanzausschuss Drucksache 18/10932 Nr . A .10 Ratsdokument 14892/16 Haushaltsausschuss Drucksache 18/11029 Nr . A .16 Ratsdokument 15743/16 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/11484 Nr . A .15 Ratsdokument 5647/17 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 229 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 31 . März 2017 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 229. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 34 Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie 2016 TOP 35 Finanzierung von Gesundheitsversorgung und Pflege TOP 36 Bundeswehreinsatz EU NAVFOR Atalanta vor Somalia TOP 37 Änderung des E-Government-Gesetzes TOP 38 Förderung des Radverkehrs TOP 39 Bildung in Europa – ERASMUS-Programm Anlagen Anlage 1 Anlage 2
Gesamtes Protokol
Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822900000

Einen wunderschönen, sonnigen guten Morgen! Die

Sitzung ist eröffnet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie

Neuauflage 2016

Drucksache 18/10910
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda

Wir waren uns nicht ganz sicher, ob die Bundesregie-
rung es schaffen würde, in ihrer gesamten Zusammenset-
zung rechtzeitig hier vertreten zu sein . Aber wie immer
hat sie das rechtzeitig geschafft.

Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Darüber be-
steht allgemeines Einverständnis . Dann ist das so be-
schlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile zu Beginn das
Wort Herrn Bundesminister Peter Altmaier für die Bun-
desregierung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Peter Altmaier, Bundesminister für besondere Auf-
gaben:

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es wird oft darüber diskutiert, nicht nur in Deutschland,
inwieweit der Umweltschutz, insbesondere der Klima-
schutz, und die Wirtschaft im Wettbewerb miteinander
oder im Gegensatz zueinander stehen . Nachhaltigkeit –
darüber reden wir heute – ist natürlich weit mehr als
Nachhaltigkeit in der Umwelt- und Klimaschutzpolitik .
Eines möchte ich an dieser Stelle ganz deutlich sagen:
Wir werden die Wachstums- und Wohlstandspotenziale
dieses Planeten nur dann ökologisch verträglich heben
können, wenn es uns gelingt, diesen vermeintlichen Ge-
gensatz aufzuheben, wenn es uns gelingt, das Klima so
zu schützen und die Ressourcen so effizient zu nutzen,
dass Wachstum auch in Zukunft umweltverträglich mög-
lich ist .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Carsten Träger [SPD])


„Für uns ist die Förderung einer nachhaltigen Ent-
wicklung grundlegendes Ziel und Maßstab des Regie-
rungshandelns .“ – das steht im Koalitionsvertrag von
2013 . Man kann darüber diskutieren, ob es an der einen
oder anderen Stelle vielleicht eines deutlicheren Akzen-
tes bedurft hätte; aber wir haben die Nachhaltigkeit als
Bundesregierung und als Parlament in diesen vier Jah-
ren gemeinsam vorangebracht . Deshalb bin ich an die-
ser Stelle zunächst einmal dem Parlamentarischen Bei-
rat für nachhaltige Entwicklung zu nachhaltigem Dank
verpflichtet. Wir haben quer über alle Parteigrenzen hin-
weg mit allen Mitgliedern dieses Beirates eine gute und
fruchtbare Zusammenarbeit gepflegt. Ich habe mich sehr
dafür eingesetzt, gleich zu Beginn dieser Wahlperiode
die Sitzungen des Staatssekretärsausschusses für nach-
haltige Entwicklung für die Parlamentarier zu öffnen. Ich
kann mich an keinen Punkt erinnern, wo wir uns gegen-
seitig behindert oder bekämpft hätten . Das können wir
uns auch nicht leisten .

Wir haben im Januar in der Bundesregierung eine
neue Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen, die
wesentlich auf der Agenda 2030 für nachhaltige Ent-
wicklung der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2015
basiert . Das Jahr 2015 war ein gutes Jahr für die Nach-
haltigkeit und ein gutes Jahr für den Klimaschutz . Es
waren die Verabschiedung dieser Agenda 2030 und der






(A) (C)



(B) (D)


Erfolg der Pariser Klimakonferenz, die vielen Menschen
in Deutschland Hoffnung gegeben haben, dass auch The-
men wie Nachhaltigkeit nicht von der politischen Agen-
da verschwinden . Im Gegenteil: Die Agenda 2030 war
ein großer Erfolg, und sie zeigt, dass ein globaler Schul-
terschluss bei zentralen Herausforderungen unserer Zeit
nach wie vor möglich ist .

Die Verankerung des Prinzips der nachhaltigen Ent-
wicklung als Leitprinzip in allen Politikbereichen ist
gerade in weltpolitisch schwierigen Zeiten kein Luxus,
sondern pure Notwendigkeit . Wir arbeiten auch im Rah-
men der G 20 – dort tragen wir in diesem Jahr eine beson-
dere Verantwortung – an engagierten Festlegungen der
führenden Industrie- und Schwellenländer für die Um-
setzung der Agenda 2030 . Das ist nicht immer einfach;
das sieht man daran, wie sich einzelne Akteure aus dem
Bereich der G 20 positionieren und auch auf nationaler
Ebene um ihren Kurs ringen .

Auch die Europäische Union muss mehr tun . Die
Europäische Union hatte sich mit Nachdruck für eine
ehrgeizige Agenda 2030 eingesetzt . Sie sollte jetzt eine
Vorreiterrolle bei der internationalen Umsetzung über-
nehmen . Wir brauchen eine systematische, glaubwürdige
und ambitionierte Herangehensweise . Ein neuer strategi-
scher Rahmen auf EU-Ebene ist erforderlich . In diesem
Sinne werben wir gegenüber der Europäischen Kommis-
sion .

Wir erwarten auch, dass sich die Vereinten Nationen
stärker an der Erreichung der globalen Nachhaltigkeits-
ziele, der sogenannten berühmten SDGs, ausrichten . Es
ist gut, dass der neue Generalsekretär António Guterres
seine Stellvertreterin Amina Mohammed mit der Umset-
zung der Agenda 2030 betraut hat . Dies ist ein wichtiges
politisches Signal . Wir erwarten nun mit großem Interes-
se die Vorschläge zu mehr Effizienz und Koordination im
VN-System und sind bereit, den Generalsekretär tatkräf-
tig zu unterstützen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die internationale Glaubwürdigkeit macht sich auch
daran fest, wie wir als Vorreiter im Bereich der Nach-
haltigkeit bei uns mit den Herausforderungen umgehen .
Genau dazu dient die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie .
Wir haben sie in einem beispiellosen Dialogprozess mit
Ländern und Kommunen, mit Partnern aus Wirtschaft,
Wissenschaft und Zivilgesellschaft erarbeitet . Ich möch-
te allen danken, die hieran engagiert mitgearbeitet haben .
Diese Agenda war ein erster wichtiger Schritt zur Umset-
zung der Agenda 2030 in, durch und mit Deutschland; sie
bildet den Rahmen für unsere künftigen Aktivitäten . Des-
halb war es notwendig, dass wir die Verbreiterung der
Strategie auf die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung
der Vereinten Nationen und der Agenda vorgenommen
haben . Sie bilden die neue Struktur für unser Nachhaltig-
keitsmanagement, das künftig 63 Indikatoren umfassen
wird . Ich weiß, dass darüber lange diskutiert worden ist
und die Auswahl der 63 Indikatoren teilweise umstritten
war . Neu sind zum Beispiel Themen wie Armut und Un-
gleichheit, nachhaltiger Konsum und nachhaltige Pro-
duktion .

Außerdem werden wir die internationale Wirkung un-
seres Handelns stärker einbeziehen . Wir hatten uns als
erstes Land bereit erklärt, vor dem Hochrangigen Poli-
tischen Forum der Vereinten Nationen über den laufen-
den Prozess zu berichten . Im Zusammenhang mit dem
Bericht 2016 ist dies geschehen . An den Reaktionen ha-
ben wir feststellen können, dass Deutschland eine hohe
Expertise und eine hohe Glaubwürdigkeit bei allen Nach-
haltigkeitsthemen beigemessen wird . Dies ist eine gute
Ausgangsbasis, insbesondere im internationalen Ver-
gleich . An Deutschland wird sichtbar, dass man eine gute
wirtschaftliche Situation, ein hohes Umweltschutzniveau
und ein hohes Maß an sozialem Zusammenhalt mit einem
klaren Bekenntnis zur Nachhaltigkeit vereinbaren kann .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ebenfalls ist positiv, dass wir für die Umsetzung der
Agenda 2030 an bewährte Strukturen und Strategien an-
knüpfen können, die auch in anderen Ländern als Vorbild
angesehen werden . Wir sind gerne bereit, denjenigen, die
sich dafür interessieren, die Art und Weise, wie wir im
Bereich der Nachhaltigkeit arbeiten, stärker und besser
zu erklären . Ich habe den Staatssekretärsausschuss und
die Kolleginnen und Kollegen aus dem Parlamentari-
schen Beirat für nachhaltige Entwicklung erwähnt . Bei
der Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Gruppen,
wenn sie zum Beispiel Ressortvorschläge prüfen, wenn
wir mit ihnen darüber diskutieren, haben wir es geschafft,
Synergien zu erzeugen und insgesamt besser zu sein, als
wir es einzeln jeweils sein können . Es ist wichtig, dass
wir in Deutschland auch die Bundesländer und die Kom-
munen stärker in diesen Prozess einbeziehen . Inzwischen
haben 13 Bundesländer eigene Nachhaltigkeitsstrategi-
en . Wir werben dafür, dass sich in der nächsten Zeit alle
Bundesländer zur Erarbeitung eigener Nachhaltigkeits-
strategien verpflichten.

Die neue Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie zeigt Er-
folge in Politikfeldern wie Bildung, erneuerbare Energi-
en oder Staatsverschuldung . Die unabhängige Analyse
des Statistischen Bundesamts zeigt hierbei als Symbol
eine Sonne . Es gibt allerdings noch viele Aufgaben, bei
denen auch wir besser werden müssen . Deshalb gibt es
auch einige Indikatoren, die auf „Wolke“ oder auf „Ge-
witter“ stehen . Darüber wird es eine Debatte geben müs-
sen . Die Indikatoren sollen dazu beitragen, diese Debat-
ten zu ermöglichen .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Eisregen!)


– Eisregen gab es am Wahlabend im Saarland für die
eine oder andere Partei, die das nicht erwartet und keinen
Schirm dabei hatte .


(Beifall des Abg . Thomas Jarzombek [CDU/ CSU])


Aber das hat mit Nachhaltigkeit weniger zu tun .

Wir tun gut daran, dass wir auch dort, wo die Indi-
katoren eine Wolke oder ein Gewitter zeigen, uns klar-
machen, dass wir Nachholbedarf im nationalen Bereich
haben, unabhängig davon, dass wir auch in diesen Be-
reichen oftmals viel besser als manche andere sind, mit
denen wir im internationalen Wettbewerb stehen .

Bundesminister Peter Altmaier






(A) (C)



(B) (D)


Wir sollten Zielkonflikte deutlicher benennen und of-
fen debattieren . Wenn der Preis mit Blick auf den Kon-
sum auch langfristige Umweltentwicklungen und die so-
ziale Seite widerspiegelt, ist manches Produkt vielleicht
etwas teurer als ein Produkt, bei dem die Umweltkosten
externalisiert werden, die Ressourceneffizienz keine Rol-
le spielt . Dennoch gibt es viele Bürgerinnen und Bürger –
davon bin ich überzeugt –, die bereit sind, für eine richtig
verstandene Nachhaltigkeit an der einen oder anderen
Stelle einen etwas höheren Preis zu bezahlen . Deshalb
müssen wir Transparenz in dieser Hinsicht herstellen .
Die Bundesregierung hat im Rahmen der Vergaberechts-
reform die Möglichkeiten verbessert, Nachhaltigkeitsge-
sichtspunkte auch bei der öffentlichen Beschaffung stär-
ker zu berücksichtigen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir können an dieser Stelle nicht darauf verzichten, die-
ses Signal zu senden .

Herausforderung für die Strategie der Bundesregie-
rung bleiben die Verbesserung der Politikkohärenz und
die stärkere Einbeziehung der gesellschaftlichen Ak-
teure . Deshalb haben wir eine Wissenschaftsplattform
eingerichtet, die vom BMBF gemeinsam mit dem Bun-
desumweltministerium und dem Ministerium für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung betrieben
wird . Wir werden künftig jährlich ein Forum zur Nach-
haltigkeit organisieren, und in allen Ressorts werden
Koordinatoren für die nachhaltige Entwicklung benannt .
Das ist ein Wunsch unter anderem aus dem Parlamentari-
schen Beirat, den wir gerne aufgegriffen haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nachhalti-
ge Politik und Nachhaltigkeitsthemen haben es schwerer
als andere Umweltthemen, als Klimaschutzthemen oder
Themen, die uns auf den Nägeln brennen, weil oftmals
die Folgen verfehlter Nachhaltigkeit nicht hier und heute,
nicht in der nächsten Woche und nicht im nächsten Mo-
nat sichtbar werden, sondern in 10, 20 oder 30 Jahren,
wenn es für eine Korrektur oder für ein Gegensteuern
zu spät ist . Deshalb glaube ich, dass wir eine große Ver-
antwortung und ein gemeinsames Interesse daran haben,
dass auch in Konkurrenz zu vielen anderen wichtigen
Themen das Nachhaltigkeitsthema von Bundestag und
Bundesregierung immer wieder in angemessener Weise
in die politische Debatte eingebracht wird . Wir als Bun-
desregierung sind dazu bereit und bieten Ihnen unsere
Zusammenarbeit an .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822900100

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin

Katja Kipping .


(Beifall bei der LINKEN)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822900200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst

möchte ich dem Parlamentarischen Beirat für nachhalti-

ge Entwicklung danken, dass er diese Debatte angescho-
ben hat .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Angesichts des Klimawandels sowie der Armut weltweit
und hierzulande wäre eine wirkliche Nachhaltigkeitsstra-
tegie angebracht . Leider wird das, was die schwarz-rote
Bundesregierung vorgelegt hat, diesem Anspruch nicht
gerecht . Das ist blamabel .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aus Zeitgründen kann ich das nur an zwei Punk-
ten verdeutlichen . Nehmen wir den Klimaschutz . Der
UN-Klimareport kommt zu dem Ergebnis, dass in Bälde
in Afrika bis zu 200 Millionen Menschen von akuter Dür-
re und Trinkwassermangel bedroht sind . Der Teilnehmer
einer Klimaschutzkonferenz brachte die Situation wie
folgt sehr plastisch auf den Punkt: Wenn meine Heimat
ein Backofen wird, was glauben Sie, dass ich dann ma-
che? Glauben Sie, dass ich hier sitze, bis ich verdurstet
bin? Natürlich nicht! – Das heißt also: Der Klimawandel
wird zu einem extremen Migrationsdruck führen . Klima-
wandel und Umweltzerstörung werden die Fluchtursa-
che Nummer eins der Zukunft werden . Deswegen sind
Klimagerechtigkeit und Klimaschutz zutiefst Fragen der
globalen Gerechtigkeit und der sozialen Gerechtigkeit,
die wir mit aller Entschiedenheit angehen müssen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der CO2-Ausstoß muss reduziert werden . Dieses Ziel
erreichen wir aber nicht durch das Bedrucken von ge-
duldigem Papier . Dieses Ziel werden wir nur erreichen,
wenn wir eine Verkehrswende einleiten . Wir brauchen
weniger Verkehr auf der Straße und eine Umverlagerung
zu umweltfreundlichen Verkehrsträgern, bis hin dazu,
dass wir unnötigen Verkehr vermeiden . Wir müssen auch
die Energiewende in Angriff nehmen. Wir müssen hin zur
Nutzung erneuerbarer Energien, und wir brauchen dezen-
trale Formen der Energieversorgung . Nur wenn uns das
gelingt, werden wir auch den CO2-Ausstoß reduzieren .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zu einer nachhaltigen Entwicklung gehört auch der
entschiedene Kampf gegen Armut . Schauen wir uns ein-
mal die Ziele, die sich die schwarz-rote Bundesregierung
da vornimmt, an – das habe nicht ich mir ausgedacht,
sondern in Ihrer Liste stehen dazu zwei kleine Punk-
te –: Im Hinblick auf den Kampf gegen materielle Un-
terversorgung sagt die Bundesregierung, ihr Ziel sei, die
entsprechenden Zahlen hierzulande deutlich unter dem
Durchschnitt der EU 28 zu halten . Im Klartext heißt das:
Schwarz-Rot reicht es, wenn es im Durchschnitt der ge-
samten EU den anderen schlechter geht .

Ja, was soll das denn, bitte schön, den Menschen, die
hierzulande von Armut betroffen sind, sagen? Der Rent-
nerin, die nach einem langen Arbeitsleben mit 800 Euro
im Monat über die Runden kommen muss, sagen Sie

Bundesminister Peter Altmaier






(A) (C)



(B) (D)


also: „Alles super! Im EU-Durchschnitt geht es anderen
noch schlechter!“? Sagen Sie einem Kind, das in einer
Hartz-IV-Familie lebt, das aus den Turnschuhen heraus-
gewachsen ist und dessen Eltern sich die neuen Turn-
schuhe vom Munde absparen müssen: „Stell dich nicht
so an! Im Durchschnitt der EU 28 sieht es noch schlim-
mer aus!“? Was für eine beschämende Kapitulation vor
der Armut!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich meine, eine Gesellschaft, in der alle vor Armut
geschützt sind, ist möglich . Wir Linke wollen uns nicht
damit abfinden, dass auch nur ein Kind hierzulande in
Armut aufwachsen muss . Deswegen kämpfen wir für
eine Gesellschaft, in der jedes Kind einen guten Start ins
Leben hat .


(Beifall bei der LINKEN)


Übrigens: Auch wenn es um den Kampf gegen Un-
gleichheit geht, sind Ihre Ziele von beredter Bescheiden-
heit . Auch da reicht es Ihnen, wenn es den anderen im
Durchschnitt schlechter geht .

Ich fasse zusammen: In der vorliegenden Nachhaltig-
keitsstrategie der Bundesregierung stehen schöne Sätze
und schöne Metaphern zur Problembeschreibung; das
kann man nicht leugnen . Aber wenn es um Lösungen
geht, dann werden Sie auffällig kleinlaut. Kurzum: Geht
es um eine Lösung der großen Menschheitsaufgaben –
Klimaschutz und Kampf gegen Armut –, wird man von
dieser Regierung nichts erwarten können . Ich aber meine
bzw . die Linke meint, der Klimaschutz und der Kampf
gegen Armut müssen mit aller Entschiedenheit angegan-
gen werden . Deswegen streiten wir voller Energie für
eine sozialökologische Gerechtigkeitswende .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822900300

Für die Bundesregierung hat jetzt der Parlamentari-

sche Staatssekretär Florian Pronold das Wort .


(Beifall bei der SPD)


Fl
Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1822900400


Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie-
be Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn wir unterstel-
len, dass es im Jahr 2050 9 Milliarden Menschen auf
der Welt geben wird, und wenn die Entwicklung anhält,
dass ein Zuzug in die Städte stattfindet, wie derzeit welt-
weit zu beobachten ist, dann wird in Zukunft weltweit
eine ganze Menge zusätzlicher Wohnraum gebaut . Wenn
die bisherige Entwicklung bis 2050 fortschreitet, sind
40 Prozent unseres CO2-Kontos schon allein durch den
Städtebau aufgebraucht . Es hat noch keine Kuh ihren
Verdauungsvorgang abgeschlossen, und es ist noch kein
Auto gefahren, und schon sind allein durch die Stadt-
entwicklung 40 Prozent der CO2-Belastungen bis zum
Jahr 2050 vorherbestimmt .

Vor diesem Hintergrund müssen wir unsere Nachhal-
tigkeitsziele auch durch eine andere Art und Weise des
Bauens verfolgen . Betrachtet man die bestehenden Ziel-
konflikte, so zeigt sich, wie wir Nachhaltigkeit definieren.
Wir müssen beim Bauen viel mehr als bisher nachwach-
sende Rohstoffe verwenden, nicht nur in Deutschland,
sondern auch weltweit .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

hier ein Fortbildungsseminar?)

Für das Umwelt- und Bauministerium bezieht sich
Nachhaltigkeit aber nicht nur auf Klimaschutz, sondern
auch auf Umweltgerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit .
Frau Kollegin Kipping, es hätte geholfen, die Nachhal-
tigkeitsstrategie besser zu lesen, statt nur der eigenen
Propaganda zu glauben .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Ich habe das hier!)


Eines der zentralen Entwicklungsziele, um Armut
zu bekämpfen, ist in Ziel 11 der Nachhaltigkeitsstrate-
gie festgelegt: eine nachhaltige Stadtentwicklung . Da
geht es auch um die Frage von Armutsbekämpfung . Der
Anteil der Menschen in Deutschland und weltweit, die
mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für Wohnen aus-
geben müssen, nimmt zu, und zwar dramatisch . Dieser
Entwicklung muss man entgegenwirken, und das tun
wir auch . Wir haben zum Beispiel die Mittel für die so-
ziale Wohnraumförderung verdreifacht, wir haben die
Mietpreisbremse eingeführt, wir haben die Erhebung
der Mak lergebühren geregelt, wir haben die Städtebau-
förderung mehr als verdoppelt, um hier ganz aktiv etwas
zu tun . Der Kampf gegen Armut und für Nachhaltigkeit
wird nur erfolgreich sein, wenn es national wie internati-
onal gelingt, den Schutz der planetaren Grenzen als Ziel
mit der sozialen Gerechtigkeit und der nachhaltigen wirt-
schaftlichen Entwicklung zusammenzubringen . Das ist
die Grundvoraussetzung für Nachhaltigkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da gibt es Zielkonflikte; das berücksichtigen wir alltäg-
lich in den Debatten, die wir führen, und bei der Neuaus-
richtung von Zielen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen in die andere Richtung schauen!)


– Herr Krischer, Sie rufen immer gerne dazwischen; da-
für sind Sie ja bekannt . Das ist aber nicht nachhaltig .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zwischenrufe sind nicht nachhaltig . Wenn Sie eine Frage
haben, melden Sie sich; ich beantworte sie gerne .

Ich glaube, man muss auf die Zielkonflikte aufmerk-
sam machen und sie in diesem Hause auch diskutieren .
Wenn wir den Klimaschutz im Gebäudebereich voran-
bringen wollen, dann muss es uns gleichzeitig gelingen,
dass Wohnraum für die Menschen bezahlbar bleibt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Katja Kipping






(A) (C)



(B) (D)


Wir dürfen eben nicht zulassen, dass nur diejenigen mit
einem großen Geldbeutel in energetisch sanierten Woh-
nungen leben können . So werden wir die Klimaziele
nicht erreichen . Darum ist es so wichtig, darüber nach-
zudenken, wie man einen Quartieransatz hinbekommt,
also nicht mehr nur das einzelne Gebäude betrachtet,
sondern Lösungen für ganze Quartiere findet. Hier muss
man neue Wege finden, um CO2-Ziele und die Frage der
sozialen Gerechtigkeit zusammenzubringen .

Die Nachhaltigkeitsstrategie wird nur Erfolg ha-
ben, wenn alle mitmachen, auch die Zivilgesellschaft .
Deutschland kann, wie in vielen Fällen, mit gutem Bei-
spiel vorangehen; aber es muss deutlich werden, dass
Nachhaltigkeit für die gesamte Gesellschaft, für unseren
Planeten als Ganzes gelten muss. Der Begriff „Nach-
haltigkeit“ wurde in der Forstwirtschaft geprägt; daher
kommt dieser Begriff. Heute wissen wir, dass die pla-
netaren Grenzen sehr schnell erreicht sind . Wir werden
die planetaren Grenzen gerade in ökologischer Hinsicht
nicht schützen können, wenn es uns nicht auch gelingt,
Ungerechtigkeit und Armut auf der Welt zu bekämpfen .
Das müssen wir zusammenbringen; nur das ist nachhal-
tig . Die Bundesregierung hat viele gute Beispiele in die-
sem Bereich gebracht und die Zielkonflikte benannt.

Ich möchte mich dem Dank an den Nachhaltigkeits-
beirat anschließen . Ich glaube, es ist wichtig, dass nicht
nur Parlament und Regierung handeln . Letztlich kommt
es auf das Handeln der gesamten Gesellschaft an . Nur
dann wird es uns gelingen, neben der Nachhaltigkeitsde-
batte auch die „Macht-Frage“ zu stellen: Wer macht was,
wer setzt was um?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822900500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Göring-

Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
In Somalia, im Südsudan, in Nigeria, im Jemen sind
20 Millionen Menschen, darunter sehr viele Kinder, von
einer akuten Hungersnot bedroht . Wir nehmen das jeden
Tag in den Zeitungen, in den Fernsehnachrichten wahr .
Die Vereinten Nationen schätzen, dass für die kommen-
den sechs Monate 4 Milliarden Euro notwendig sind, um
das schlimmste Leid zu lindern . Aber gerade einmal ein
Zehntel dieser Summe ist zugesagt . Wenn wir heute über
Nachhaltigkeitsziele reden, müssen wir auch über diese
20 Millionen Menschen reden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie stehen symptomatisch für die Frage, ob wir die Pro-
bleme an der Wurzel angehen oder ob wir weiter abwar-
ten .

Der Hunger allein in diesen vier Ländern wurde durch
Staatsverfall, durch Krieg, durch Korruption hervorgeru-
fen und hat sich – Herr Altmaier hat ganz allgemein da-

rauf hingewiesen – durch die Klimakrise verschlimmert .
Wir kennen das aus Syrien . Wir wissen: Hungerkrise und
Klimakrise sind zwei der größten Herausforderungen,
vor denen wir heute stehen, und führen zu immer mehr
Fluchtbewegungen; Frau Kipping hat das bereits gesagt .
Ich frage Sie heute Morgen: Warum ist die Bundesregie-
rung nicht bereit, wenigstens jetzt sofort die Zusage zu
machen, Mittel in Höhe von 1 Milliarde Euro bereitzu-
stellen, um das Schlimmste zu verhindern und die größte
Not zu lindern? Das wäre eine Aussage, die wir heute
Morgen hier treffen könnten, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das wäre Prävention . Im Übrigen könnten Sie Herrn
Trump zugleich zeigen, was Humanität bedeutet .

Nachhaltigkeit, was heißt das eigentlich? Ganz ein-
fach: Wir verbrauchen nur so viele Ressourcen, wie uns
ohne Raubbau zur Verfügung gestellt werden . Nachhal-
tigkeit heißt, dass unser Wohlstand nicht auf Kosten un-
serer Kinder bzw . auf Kosten zukünftiger Generationen,
auf Kosten der Natur und der Lebenschancen in anderen
Teilen der Welt gehen darf .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Altmaier, Sie haben 2015 gesagt: „Es geht um nicht
weniger als alles .“ – Ich stimme Ihnen zu . Ich habe aller-
dings nicht den Eindruck, dass dieser Impetus, dass diese
Energie von der Umsetzung dieser Strategie ausgeht, die
diese Bundesregierung verfolgt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen die Luftverschmutzung verringern, wir
müssen dafür sorgen, dass das Essen anständig und ge-
sund produziert wird, dass unser Wasser sauber ist, dass
Natur und Lebewesen in ihren Arten erhalten bleiben,
nicht weil es jemand in der weiten Welt von uns verlan-
gen würde, sondern weil wir es uns selber schuldig sind
und weil es notwendig ist . Aber was tun Sie? Ich will in
der Kürze der Zeit nur zwei Beispiele nennen: den Was-
serschutz und die CO2-Emissionen . Aber zuvor: Wenn
es mit dem Klimaschutz so dringlich ist, wie Sie, Herr
Altmaier, eben gesagt haben, dann wundert mich schon,
dass genau an dem Tag, an dem Donald Trump die Kli-
maschutzpläne vom Tisch gewischt hat, das Thema Kli-
maschutz es noch nicht einmal auf die Tagesordnung
des Koalitionsausschusses geschafft hat, wobei ich nicht
weiß, wie viele Punkte auf der Agenda stehen, auf die
sich der Ausschuss sowieso nicht einigen kann . Dring-
lichkeit geht anders, Herr Altmaier!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Lassen Sie mich aber zu den genannten Beispielen
kommen, zunächst zum Wasserschutz . Wenn Sie auf
der einen Seite sagen, das sei ein zentrales Ziel, dann
müssen Sie doch auf der anderen Seite mit echten Auf-
lagen dafür sorgen, dass die Gülle auf unseren Feldern
von Schleswig bis Passau nicht weiterdampfen darf, um
dann in unserem Wasser zu landen, im Grundwasser und
im Trinkwasser, und die Meere zu verschmutzen . Wenn
die Grünen in den Ländern nicht wenigstens etwas getan

Parl. Staatssekretär Florian Pronold






(A) (C)



(B) (D)


hätten, wäre in diesem Bereich überhaupt nichts passiert .
Sie beteiligen sich daran, die Meere in diesem Land zu
Müllkippen zu machen . Das kann man nicht zulassen;
das darf man nicht zulassen . Das ist alles andere als nach-
haltig, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zu Recht wurde auf dem G-7-Gipfel in Elmau darü-
ber geredet, dass die CO2-Emissionen sinken müssen .
Sie haben gesagt, das brenne Ihnen auf den Nägeln . Ich
merke davon nichts .


(Jeannine Pflugradt [SPD]: Das sind auch seine Nägel und nicht Ihre!)


In Deutschland steigen die CO2-Emissionen wieder . Was
haben Sie dazu gesagt? Sie haben gesagt, man müsse
jetzt europäisch an die Sache herangehen . – Ja, das muss
man; man muss es sogar global angehen . Das heißt aber
nicht, dass man sich auf nationaler Ebene zurücklehnt
und gar nichts mehr unternimmt, so wie Sie das gerade
tun, oder sogar das Gegenteil provoziert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht um Klimaschutz, aber eben auch um Arbeitsplät-
ze . Es geht um 50 000 Arbeitsplätze in der Solarbranche .
Es geht um Arbeitsplätze, die Sie aufs Spiel setzen, wenn
Sie nicht dafür sorgen, dass sich die Automobilindustrie
jetzt verändert und die Elektromobilität zum Standard
wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Altmaier, ich bin fest davon überzeugt, dass,
wenn Sie es nicht schaffen, in der Verkehrspolitik eine
Wende einzuleiten – die Verweigerung hat einen Namen:
Alexander Dobrindt –, Sie die Nachhaltigkeitsziele wei-
ter verfehlen werden . Meine Damen und Herren, Sie ha-
ben noch sechs Monate Zeit . Sie könnten noch jetzt den
Hebel umlegen, –


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu Ihnen haben wir noch Zeit!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822900600

Frau Kollegin, Sie denken an die Redezeit .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– statt Nachhaltigkeitsgesichtspunkte auch bei der
öffentlichen Beschaffung anzukündigen. Wenn Sie das
weiter aussitzen wollen, dann sage ich Ihnen: Lassen Sie
im September lieber andere dran!

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822900700

Für die SPD spricht jetzt der Kollege Carsten Träger .


(Beifall bei der SPD)



Carsten Träger (SPD):
Rede ID: ID1822900800

Einen wunderschönen guten Morgen! Sehr geehrter

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Welt hat sich mit 17 Nachhaltigkeitszielen zu einem bes-
seren Umweltschutz und zur Bekämpfung von Armut
und Ungleichheit verpflichtet. Und Deutschland geht bei
der Umsetzung – international und gleichzeitig hier bei
uns, in unserer Heimat – voran . Wenn die Regierung das
umsetzt, was sie in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrate-
gie aufgeschrieben hat, dann, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, sind wir einen großen Schritt weiter .


(Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn! Das ist das Problem!)


Die Bundesregierung – voran das Bundeskanzleramt,
das Umweltministerium und das BMZ – hat zusammen
mit den Verbänden und dem Statistischen Bundesamt
wirklich hervorragende Arbeit geleistet . Deutschland
setzt sich ambitionierte Ziele, entwickelt Maßnahmen
und – ganz wichtig! – misst die Erfolge dieser Maßnah-
men . In meiner alten Branche gab es eine Regel: Miss es
oder vergiss es . Nur dann, wenn die Einhaltung der Re-
geln kontrolliert und die Erfolge gemessen werden, kann
am Ende ehrlich bewertet werden, ob das ganze Projekt
gut war und auch, wo es noch gehakt hat . Deshalb bin ich
sehr froh, dass wir ambitionierte Indikatoren haben, mit
denen wir die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie Schritt
für Schritt verbessern können und werden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das alles ist Work in Progress; aber wir haben die Mess-
latte hochgehängt . Und das ist eine wirklich gute Nach-
richt in diesen Zeiten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Regie-
rung auch für die Ernsthaftigkeit dankbar, mit der sie die
globalen Nachhaltigkeitsziele anpackt . Wir haben hier
und im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Ent-
wicklung schon oft debattiert, wie wichtig diese Ziele
sowohl für die Entwicklung unseres Planeten als auch
für uns hier zu Hause in Deutschland sind . Denn auch,
wenn es diesem Land gut geht, so gibt es doch noch viel
Ungerechtigkeit . Deshalb freue ich mich, dass ich hier
voller Überzeugung sagen kann: Die Deutsche Nachhal-
tigkeitsstrategie ist ein progressives Dokument .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier steht – als eine vom ganzen Kabinett mitgetra-
gene Regierungsstrategie – schwarz auf weiß: Die Bun-
desregierung bekennt sich zur Einhaltung der planetaren
Grenzen, den Belastungsgrenzen unserer Erde . Daraus
ergibt sich ein Transformationsauftrag und – ich darf
wörtlich aus der Nachhaltigkeitsstrategie zitieren –:

Es geht darum, umfassende, beschleunigte Verän-
derungen in Wirtschaft und Gesellschaft einzuleiten
und voranzutreiben: in unserer Art zu leben, zu ar-
beiten, zu konsumieren, in Technologien, Institutio-
nen und Praktiken .

Das, meine Damen und Herren, ist ein klares Bekenntnis
zu einem sozialen, ökologischen und wirtschaftlich ver-

Katrin Göring-Eckardt






(A) (C)



(B) (D)


nünftigen Fortschritt . Ich als Sozialdemokrat freue mich
über dieses Bekenntnis .


(Beifall bei der SPD)


Und nun, liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Par-
lament, sind wir dran . Die Regierung hat ordentlich vor-
gelegt . Nun müssen wir nachlegen . Ziele und Indikatoren
sind das eine; aber die Ziele müssen natürlich mit guter
Politik, mit Leben gefüllt werden . Das ist unser Job . Es
braucht engagierte und progressive Politik, um engagier-
te und progressive Ziele zu erreichen .


(Beifall bei der SPD)


Hier stehen jetzt alle, die bisher Nachhaltigkeit für sich
proklamiert haben, auch in der Verpflichtung. Liebe Kol-
leginnen und Kollegen, es ist an uns .

Die Vereinten Nationen haben mit den globalen Nach-
haltigkeitszielen einen großen, einen historischen Schritt
getan . Die Bundesregierung hat mit ihrer Strategie nach-
gezogen . Und jetzt ist es an der Zeit für dieses Parlament,
dass auch wir einen großen Schritt wagen . Es ist an der
Zeit, dass wir Nachhaltigkeit im Grundgesetz verankern .


(Beifall bei der SPD)


Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwick-
lung und der Rat für Nachhaltige Entwicklung haben
hier gemeinsam gute Vorarbeit geleistet . Große Köp-
fe wie Klaus Töpfer, Gesine Schwan, Ernst Ulrich von
Weizsäcker sowie Hans-Jürgen Papier sind mit uns der
Auffassung: Nachhaltigkeit gehört ins Grundgesetz. Es
ist an der Zeit . Wer es wirklich ernst meint mit der Be-
kämpfung von Armut und Ungleichheit, mit der Bewah-
rung der Schöpfung und mit einem wirklich nachhaltigen
Wachstum, das auch die künftigen Generationen im Blick
hat, der sollte vor diesem Schritt nicht zurückschrecken .

Ich rufe Ihnen zu, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Union und auch von den Grünen: Geben Sie Ihr Zö-
gern auf! Verstecken Sie sich nicht länger hinter verfah-
renstaktischen Scheinargumenten! Es geht um Größeres!

Wir alle führen in Sonntagsreden das Wort „Nachhal-
tigkeit“ im Mund . Nun ist es an der Zeit, zu liefern . Das
wäre ein großer Schritt des deutschen Parlaments . Wann,
wenn nicht jetzt, meine Damen und Herren?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822900900

Als Nächste spricht die Kollegin Birgit Menz für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Birgit Menz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822901000

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe

Gäste! Katja Kipping hat es schon deutlich gemacht: Wir
sehen die Strategie mehr als kritisch, und wir haben allen
Grund dazu . Seit sich die Staats- und Regierungschefs
bei den Vereinten Nationen mit der Agenda 2030 auf
nichts weniger als auf eine Transformation unserer Welt
verständigt haben, ist nun über ein Jahr vergangen .

Dass die Aushandlung einer Strategie viel Zeit braucht
und dass dabei jeder Kompromisse machen muss, ist
klar . Aber Sie hatten seit 2015 Zeit, konkrete Politik zu
machen, die zumindest erste Schritte in die richtige Rich-
tung macht .

Aber was haben Sie in dieser Zeit getan? Sie haben
einen Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Men-
schenrechte“ verabschiedet, mit dem die Bundesregie-
rung weiter auf Freiwilligkeit setzt, statt endlich verbind-
liche Regeln für deutsche Unternehmen und Konzerne
einzuführen, die sich an Landraub beteiligen oder durch
Raubbau an der Natur die Existenzgrundlage lokaler und
regionaler Ökonomien zerstören .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie halten weiter an Verhandlungen über neoliberale
Konzernschutzabkommen fest, trotz massiver Proteste
der Menschen gegen TTIP und CETA . Diese Aktivitä-
ten, die dem Ziel der Agenda 2030 klar entgegenstehen,
finden sich nun in der Strategie wieder, mit der Sie die
Umsetzung der SDGs erreichen wollen . Verzeihen Sie,
wenn uns da Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser Stra-
tegie kommen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung schätzt die Herausforderung,
vor der wir stehen, durchaus richtig ein . Es geht in der
Tat darum, umfassende, beschleunigte Veränderungen
in Wirtschaft und Gesellschaft einzuleiten und voran-
zutreiben . Aber woran es dieser Strategie fehlt, ist eine
kritische Ursachenanalyse, die die bisherige neoliberale
Politik der Bundesrepublik und der EU als Teil des Pro-
blems versteht .

Diese Ursachenanalyse nachzuholen, fordert die Lin-
ke in ihrem Entschließungsantrag zur Deutschen Nach-
haltigkeitsstrategie . Denn nur auf der Grundlage einer
ehrlichen Ursachenanalyse ist es möglich, sinnvolle Zie-
le zu setzen und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um
die Ziele auch wirklich zu erreichen .

Die Linke hat sich über den gesamten Post-2015-Pro-
zess immer wieder mit Anträgen dafür eingesetzt, die
verfehlte Politik der Industrieländer, auch Deutschlands,
in den Bereichen der Agrar-, Wirtschafts- und Handels-
politik klar als Ursachen von Hunger, Armut und Un-
gleichheit zu benennen . Deutsche Politik muss Verant-
wortung dafür übernehmen, welche Auswirkungen unser
Handeln für die Chancen auf eine sozial gerechte und
ökologisch verträgliche Entwicklung weltweit hat .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Nachhaltigkeitsstrategie muss diese internationale
Verantwortung als Aufgabe aller Politikbereiche definie-
ren . Die Linke hat dazu konkrete Forderungen vorge-
legt: Nachhaltigkeitsklauseln statt Liberalisierungsver-
pflichtungen in Handelsabkommen, Besteuerung von
Spitzeneinkommen und Vermögen, Aufbau von sozialen
Sicherungssystemen und Mindestlöhnen, Transaktion-
steuern, Verbot von Spekulationen mit Nahrungsmit-
teln, eine internationale Bekämpfung von Steuerflucht
und -vermeidung, eine Kartellbehörde zur Entflechtung
marktbeherrschender globaler Unternehmen, Abbau von

Carsten Träger






(A) (C)



(B) (D)


Rüstungsetats und eine Umwidmung der freiwerdenden
Mittel für die Entwicklungsfinanzierung, um nur ein paar
Punkte zu nennen .

Sie haben sich entschieden, all diese strukturellen Fra-
gen nicht in die Strategie einfließen zu lassen. Stattdes-
sen diskutieren Sie, nur ein paar Monate nachdem Ihre
Strategie zur Umsetzung der SDGs verabschiedet wurde,
über eine drastische Erhöhung des Verteidigungshaushal-
tes .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Unglaublich!)


Das zeigt: Sie sprechen von Transformation und glo-
baler Verantwortung, aber eine entsprechende Politik
machen Sie nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Durch Ihre Politik wird dem Begriff „Transformation“
das gleiche Schicksal widerfahren wie dem der „Nach-
haltigkeit“, nämlich dass er verbrannt wird, weil sich ihn
alle aneignen wollen, ohne damit inhaltliche Konsequen-
zen zu verbinden . Aber Nachhaltigkeit verlangt die Sys-
temfrage . Transformation anerkennen muss heißen, eine
andere, eine sozial ökologische Politik zu machen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822901100

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege

Dr . Andreas Lenz .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1822901200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Agen-
da 2030 der Vereinten Nationen ist ein wichtiger Schritt
auf dem Weg zu einer nachhaltigen, einer nachhaltigeren
Welt . Es geht um nicht weniger als das Ziel eines Le-
bens in Würde für alle Menschen auf dieser Erde, und
dies unter Wahrung der planetaren Grenzen . Deutschland
hat sich unter der Bundesregierung das Ziel gesetzt, eine
führende Rolle bei der Transformation der Weltgemein-
schaft hin zu mehr Nachhaltigkeit einzunehmen . Ich will
betonen, dass Nachhaltigkeit national mit Bundesminis-
ter Peter Altmaier und international mit Bundesminister
Gerd Müller – beide sind anwesend – in Verbindung ge-
bracht wird . Dafür herzlichen Dank .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Nachhaltigkeitsstrategie stellt eine ehrliche Be-
standsaufnahme dar . Wir haben schon die Symbolik von
Sonne und Wolken vernommen . Ich denke, dass die Dar-
stellung die Beschreibung „heiter bis wolkig“ verdient .
Das Erreichte wird berücksichtigt und gewürdigt . Trotz-
dem werden ambitionierte Ziele für die Zukunft gesetzt .
Unsere Nachhaltigkeitspolitik wird in vielerlei Hinsicht
anspruchsvoller, zum einen, weil die Zahl der Nachhal-
tigkeitsindikatoren von 38 auf nunmehr 63 steigt, und
zum anderen, weil die Nachhaltigkeitsstrategie dyna-

misch und zukunftsoffen angelegt ist. Bereits 2018 wer-
den die Indikatoren fortgeschrieben .

Wenn es um die Beurteilung der Strategie geht, ist mir
eines in Erinnerung geblieben . Die grüne Obfrau Valerie
Wilms hat in dieser Woche gesagt, wir seien bei der
Nachhaltigkeitsstrategie einen wichtigen Schritt voran-
gekommen und es sei eine passable Nachhaltigkeitsstra-
tegie geworden . Wer Frau Wilms kennt, weiß, dass das
in ihrem Vokabular fast einem Superlativ gleichkommt .
An dieser Stelle ganz herzlichen Dank für das Lob der
Grünen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Christoph Strässer [SPD] – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das zeigt aber auch, dass Nachhaltigkeitspolitik keine
Erfindung der Grünen ist.

Wir als größtes und wirtschaftlich stärkstes Land der
Europäischen Union gehen bei der Nachhaltigkeit voran
und werden natürlich weiterhin Vorbild sein . Das zeigt
sich bei zahlreichen Einzelbeispielen: bei der Etablie-
rung des Textilsiegels und der Fortschreibung des Res-
sourceneffizienzprogramms, aber auch bei den Anstren-
gungen hinsichtlich einer höheren Transparenz bei den
internationalen Lieferketten . Deutschland betreibt eine
Nachhaltigkeitspolitik mit globalem Anspruch . Die Welt
rückt zusammen . Was in Deutschland geschieht, hat un-
mittelbare Auswirkungen auf die Welt, und andersherum .
Deshalb ist es richtig, dass die Nachhaltigkeitsstrategie
verstärkt eine globale Perspektive einnimmt .

Die Nachhaltigkeitsstrategie geht in diesem Kontext
in einem Beispiel auf die nationale, die europäische und
die globale Dimension von Flucht ein . Erst wenn wir es
schaffen, auch in den Herkunftsländern eine nachhaltige
Entwicklung zu ermöglichen, leisten wir einen effektiven
Beitrag zur Bekämpfung der Fluchtursachen . Das zeigt,
was es bedeutet, die Agenda in den einzelnen Zielen in
Deutschland, mit Deutschland und durch Deutschland
voranzubringen . Frau Göring-Eckardt, nachhaltige Poli-
tik ist mehr als tagespolitischer Aktionismus .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so!)


Nachhaltigkeit ist nach wie vor Chefsache im Kanz-
leramt . Zukünftig werden in allen Ressorts Stellen für
Nachhaltigkeitskoordinatoren eingerichtet . Das Thema
Nachhaltigkeit bekommt so auch in den einzelnen Res-
sorts ein höheres Gewicht. Dabei werden Zielkonflikte
um den Begriff der Nachhaltigkeit bestehen bleiben.
Wenn ich mir die Strategie genau anschaue, dann stelle
ich fest, dass beispielsweise einerseits der Besitz eines
Farbfernsehers als Wohlstandsindikator gilt – zu Recht –
und dass andererseits die Bekämpfung von Adipositas,
von starkem Übergewicht, als Gesundheitsziel aufgeführt
wird . Da stellt sich schon die Frage, ob hier nicht gewis-
se Kreuzkorrelationen bestehen, die den Zielen vielleicht
zuwiderlaufen . Aber das ist nur ein kleines Beispiel da-
für, welches Ringen um den Begriff der Nachhaltigkeit
zuweilen notwendig ist .

Birgit Menz






(A) (C)



(B) (D)


Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwick-
lung wird die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie
intensiv begleiten und bei der Weiterentwicklung mitwir-
ken . Wir wollen, dass dieses Thema Ausgangspunkt poli-
tischen Handelns wird und nicht Anhang . Mit der neuen
Nachhaltigkeitsstrategie ist ein Aufschlag gemacht, die
planetaren Grenzen im politischen Handeln zu berück-
sichtigen und damit die Zukunftsfähigkeit unseres Lan-
des insgesamt zu stärken . Jetzt gilt es, das Ganze poli-
tisch zu unterfüttern .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822901300

Das Wort hat die Kollegin Dr . Valerie Wilms von der

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822901400

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Gestern haben wir viel See-
gang gemacht, heute lassen wir es ein bisschen ruhiger
angehen .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Schade! Deswegen bin ich extra gekommen!)


Die Nachhaltigkeitsstrategie, Kollege Lenz, ist eine
rot-grüne Erfindung – immer daran denken! Das war
2003/2004 .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie ist eines der wenigen Dinge, die unter der jetzigen
Koalition tatsächlich besser geworden sind . Auch Herr
Altmaier – Sie verstecken sich – und Herr Bauernfeind,
der die praktische Arbeit im Hintergrund macht, sind
hier . Herzlichen Dank .

Sicherlich kann und sollte man weiterhin inhaltlich
streiten . Auch ich bin nicht mit allen Maßnahmen und
inhaltlichen Beschreibungen einverstanden . Aber durch
die strukturellen Veränderungen in der Strategie kann
man jetzt genau sehen, wo wirkliche Anstrengungen un-
ternommen werden und wo eben nicht . Deshalb rate ich
den Kolleginnen und Kollegen: Schaut in die Strategie,
nutzt sie für eure Arbeit! Dafür ist sie da . Nur so können
wir gemeinsam ihre Umsetzung vorantreiben .


(Beifall im ganzen Hause)


Kollege Träger, den Streit ums Grundgesetz sollten
diejenigen, die in der nächsten Wahlperiode noch dabei
sind, weiterführen,


(Carsten Träger [SPD]: Nein, jetzt!)


aber darauf kommt es nicht an . Es kommt darauf an, aus
dem Ding, wie es jetzt da ist, etwas zu machen . Dafür
brauchen wir keinen Eingriff ins Grundgesetz.


(Jeannine Pflugradt [SPD]: Aber es hilft!)


Im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwick-
lung begleiten wir die Fortentwicklung der Nachhaltig-

keitsstrategie kontinuierlich – Herr Altmaier und auch
andere Kollegen haben es angesprochen –, und wir tun
dies mit einer Herangehensweise, die in unserem Hohen
Hause keineswegs üblich ist . Wir sind kein klassischer
Ausschuss, und das ist auch gut so . Die Punkte, auf die
wir uns einigen, müssen nämlich langfristig Bestand
haben und dürfen nicht alle vier Jahre hier umgeändert
werden .

Deshalb treffen wir unsere Entscheidungen möglichst
im Konsens . Das ist manchmal mühselig – das gebe ich
zu – und führt auch nicht zur Durchsetzung von Maxi-
malforderungen . Das ist aber auch nicht das Ziel . Wir su-
chen den größten gemeinsamen politischen Nenner, und
der ist manchmal kleiner als erhofft, manchmal aber auch
größer .

Im Nachhaltigkeitsbeirat wollen wir Nachhaltigkeit
stärken . Deshalb schauen wir nach vorne und vermeiden
es, uns in rituellen Koalitions-Oppositions-Hakeleien zu
verlieren . Das gelingt manchmal besser und manchmal
etwas schlechter .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Diese Woche hatten wir ein etwas schlechteres Beispiel .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, von unserer Seite
aus hätten wir oft gerne ein Mehr an Nachhaltigkeit . Das
sieht man durchaus an unserer grünen inhaltlichen Ar-
beit . Auch möchten wir Nachhaltigkeitsaspekte im politi-
schen Prozess stärker verankern . Da gibt es nach unserer
Ansicht durchaus einige Ansatzpunkte . Diese haben wir
in unserem Antrag zur Stärkung von Nachhaltigkeit im
politischen Prozess aufgeschrieben .

Erfolgreiche nachhaltige Politik braucht meines Er-
achtens zwei Dinge . Wir sprechen auch im Nachhaltig-
keitsbeirat zu oft nur mit Gleichgesinnten . In der Echo-
kammer der Nachhaltigkeit sind sich dann alle einig . Das
reicht aber nicht . Wir müssen raus aus dieser Echokam-
mer .


(Beifall im ganzen Hause)


Dafür ist die heutige Debatte schon mal ein ganz guter
Anfang .

Wir haben zur Umsetzung nachhaltiger Politik die
Nachhaltigkeitsstrategie . Sie ist sogar eine Leitstrategie
der Bundesregierung, Herr Altmaier . Nur, was passiert,
wenn diese von einzelnen Ressorts nicht umgesetzt wird?
Ich habe da schon einmal nachgefragt: Nichts, gar nichts!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So wird das nichts werden, Kollegen . Es muss auch
einmal etwas passieren, wenn nicht nachhaltige Politik
gemacht wird . Im Moment ist es doch so: Wir haben
verdammt viel Zuckerbrot, aber die Peitsche, die gege-
benenfalls aus dem Kanzleramt kommen müsste, suchen
wir vergebens .


(Heiterkeit – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Herr Altmaier traut sich nicht!)


Nur so könnten wir in Zukunft Wahlkreisbeglückungen
zum Beispiel mit unnötigen Ortsumgehungen verhin-

Dr. Andreas Lenz






(A) (C)



(B) (D)


dern . Das hat dieses Mal beim Bundesverkehrswegeplan
wieder nicht funktioniert .

Mein Fazit: Schön und hilfreich, dass es diese Strate-
gie gibt . Zum ersten Mal hat die Bundesregierung eine
Nachhaltigkeitsstrategie vorgelegt, die diesen Namen
auch verdient . Noch schöner wäre allerdings, sie würde
auch wirklich umgesetzt . Herr Altmaier, da gehen Sie
wirklich einmal intensiv heran .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Mit der Peitsche!)


Ziehen Sie einmal die Peitsche .

Danke .


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822901500

Wir alle hier sind für gewaltfreie Politik .


(Heiterkeit)


Nächste Rednerin ist die Kollegin Jeannine Pflugradt
für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Jeannine Pflugradt (SPD):
Rede ID: ID1822901600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Werte Gäste! Nach Frau Wilms zu sprechen,
ist schwierig . Meine Rede wird bestimmt nicht so stim-
mungsvoll, aber vom Inhalt her auch sehr interessant .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Spannung steigt!)


In Südamerika gibt es einen See, dessen Namensge-
bung auf Vertreter der indianischen Kultur zurückgeht .
Sinngemäß übersetzt lautet der Name: Wir fischen auf
unserer Seite, ihr fischt auf eurer Seite, und niemand
fischt in der Mitte. – Dahinter steckt eine Erkenntnis:
Wenn alle auf allen Seiten fischen und versuchen, mög-
lichst viel für sich selbst zu sichern, bleibt am Ende für
niemanden etwas . Nachhaltiges Handeln als Fähigkeit,
vorauszublicken und vorzusorgen, ist alt . Nachhaltigkeit
war und ist eine Überlebensstrategie, die mittlerweile
eine globale Dimension angenommen hat .

Die im September 2015 in New York verabschiedete
Agenda 2030 der Vereinten Nationen hat gezeigt, dass
die Erkenntnis der globalen Bedeutung von Nachhaltig-
keit bei den Staatenlenkern angekommen ist . Die globa-
len Herausforderungen lassen sich nur gemeinsam be-
wältigen . Das Leitprinzip der nachhaltigen Entwicklung
muss konsequent und in allen Bereichen und in allen
Staaten angewandt werden . Uns allen muss bewusst sein,
dass unser Verhalten auf ökonomischer, sozialer sowie
ökologischer Ebene Auswirkungen auf unsere Kinder,
Enkelkinder sowie auf das gesamte Ökosystem unseres
Planeten hat .

Als Berichterstatterin meiner Fraktion zum Thema
„gesunde Ernährung“ möchte ich einen kurzen Blick
auf ebendieses Thema in der Nachhaltigkeitsstrategie

richten . Ernährung ist ein Menschenrecht . Deshalb ha-
ben nicht nur die Beendigung des weltweiten Hungers,
sondern auch die Verringerung der Adipositasquote von
Jugendlichen und Erwachsenen als Ziele Einzug in un-
sere nationale Nachhaltigkeitsstrategie gefunden . Auch
wenn Sie es nicht mehr hören können, liebe Kolleginnen
und Kollegen: Lebenswichtig bleibt dieses Thema alle-
mal . Es bleibt Thema Nummer eins für Nachhaltigkeit im
Bereich Gesundheit oder – nennen wir es lieber so – im
Bereich „länger leben“ .

Übergewichtige und fettleibige Jugendliche sind häu-
fig mit Ausgrenzung und sozialem Rückzug konfrontiert,
Erwachsene sehr oft ebenfalls mit gesundheitlichen Aus-
wirkungen, zum Beispiel mit Herz-Kreislauf-Erkrankun-
gen, Diabetes oder Gelenkschäden . Hier ist das Ziel der
Nachhaltigkeitsstrategie klar definiert: Der Anteil der be-
troffenen Jugendlichen darf nicht weiter ansteigen, und
der Anteil der betroffenen Erwachsenen muss reduziert
werden .

Um die Dimension der Problematik einmal zu verdeut-
lichen: Circa 10 Prozent der Jugendlichen in Deutschland
werden als adipös eingestuft – Tendenz steigend . Bei den
Erwachsenen über 18 Jahren in unserer Bevölkerung
gelten fast 35 Prozent als übergewichtig – Tendenz stei-
gend . Wen wundert’s?! Der Grund für diesen Befund: die
Zunahme von ungesundem Ernährungsverhalten gepaart
mit mangelnder Bewegung .

Man kann die Menschen nicht zwingen . Das ist rich-
tig, und das wollen wir auch nicht als Politik . Deshalb
muss das Ziel auf nationaler Ebene aber sein, das Wis-
sen über Ernährung und Ernährungsstile zu verbessern
und Verbraucherinnen und Verbrauchern die Wahl eines
gesünderen, ausgewogenen Ernährungsverhaltens zu er-
leichtern .

Um den Menschen einen gesunden Lebensstil näher-
zubringen, wurden bereits zahlreiche Maßnahmen um-
gesetzt, und viele stehen noch in den Startblöcken . Das
reicht allerdings nicht aus . Meines Erachtens brauchen
wir eine bessere Kennzeichnung von Lebensmitteln, die
es uns Verbraucherinnen und Verbrauchern auch ohne
Pharmaziestudium und Lupe ermöglicht, zu erkennen,
welche Nährstoffe in einem Produkt enthalten sind, das
unsere Verbraucher und Bürger und wir selber auch kau-
fen wollen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zum Abschluss noch einen Satz zum Parlamentari-
schen Beirat für nachhaltige Entwicklung; einiges ist
schon gesagt worden . In den vergangenen dreieinhalb
Jahren hat sich das Prinzip der gemeinsamen Arbeit im
Beirat als sehr fruchtbar erwiesen . Wünschenswert für
die Zukunft wäre es jedoch, wenn der Beirat nicht nur
kontrollierende, sondern darüber hinausgehende Kompe-
tenzen hätte .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit mehr Kompetenzen als bisher würde es künftig
vielleicht auch gelingen, gemeinsam erarbeitete und vo-
rangetriebene Projekte, zum Beispiel die erwähnte und
leider gescheiterte Verankerung der Nachhaltigkeit im
Grundgesetz, zu einem Erfolg zu führen . Wenn wir beim

Dr. Valerie Wilms






(A) (C)



(B) (D)


Grundgesetz sind, nehmen wir die Kinderrechte gleich
noch mit dazu; dann haben wir schon ganz viel erreicht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ganz kurz noch Folgendes: Frau Kipping und Frau
Göring-Eckardt, so schwarz, wie Sie Deutschland und die
Nachhaltigkeitspolitik malen, so schwarz ist Deutschland
in der Nachhaltigkeit nicht . Sie als Opposition müssen
das wahrscheinlich sagen; das gehört wahrscheinlich zu
Ihrer Rolle dazu . Aber man kann auch als Opposition mal
loben – das fände ich gut – und darf nicht nur meckern .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . Ein schönes
Wochenende!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822901700

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Matern

von Marschall .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Matern von Marschall von Bieberstein (CDU):
Rede ID: ID1822901800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

glaube, es ist sehr Wichtiges gesagt worden . Die Arbeit
im Parlamentarischen Beirat ist gerade nicht von partei-
politischer Polemik geprägt . Diese Polemik ist hier von
denjenigen in die Diskussion gebracht worden, die nicht
Mitglieder in diesem Beirat sind .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Kollegin Wilms, ich glaube, das, was Sie ausgeführt
haben, hat sich auch – so habe ich das jedenfalls inter-
pretiert – an die Kollegin Göring-Eckardt gerichtet . Ver-
ehrte Kollegin Göring-Eckardt, Ihre Kritik auch an der
Entwicklungszusammenarbeit hat mir gezeigt, dass Sie
überhaupt nicht wahrgenommen haben, was sich dort in
der letzten Dekade getan hat . Es gab eine Verdopplung
des Etats .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben – das ist der wesentliche Ansatz, dem die Po-
litik im Augenblick folgt – auch die Mittel zur Klima-
schutzfinanzierung über das BMZ – mittlerweile 2 Milli-
arden Euro – verdoppelt .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das doch mal den Leuten im Jemen! Sagen Sie das denen, die im Jemen gerade hungern!)


– Frau Göring-Eckardt, ich glaube nicht, dass Sie, wenn
Sie diese Dinge bewusst übersehen, Ihrer Fraktion und
Ihrer Partei einen Gefallen tun . Insofern fände ich es
schon ganz hilfreich, Sie würden zumindest die Anstren-
gungen zur Kenntnis nehmen, die da unternommen wer-
den, insbesondere auch von Bundesminister Müller mit
dem, was er – ich bin ganz dankbar, dass der Name so
lautet – „Marschallplan mit Afrika“ nennt .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Er setzt sehr wichtige Akzente, um bei der Migrationskri-
se, in der sich diese Welt befindet, die wesentlichen und
richtigen Schritte zu machen .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den habe ich übrigens gar nicht kritisiert! Wenn Sie sich erinnern wollen, wenn Sie mir zugehört haben!)


– Ich würde mich freuen, Sie würden mir noch einen
Moment zuhören . – Ich glaube, dass die Nachhaltigkeits-
agenda die parteipolitische Polemik, die Sie hier aufru-
fen, überhaupt nicht verdient .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen mal sagen, wie Sie es umsetzen! Sie setzen nichts um!)


– Es ist bei Ihnen genauso .

Wir versuchen, drei Kapitel auszubalancieren: eine
vernünftige wirtschaftliche Entwicklung, eine angemes-
sene gesellschaftliche Entwicklung und eine gute ökolo-
gische Entwicklung. Ich finde, jeder von uns – übrigens
je nachdem, welche parteipolitische Perspektive und
welchen Schwerpunkt seine Fraktion, seine Partei dies-
bezüglich hat – sollte versuchen, die Perspektive gerade
derjenigen Bereiche in der Ausbalancierung der Nach-
haltigkeitsaspekte zu betrachten, die er sich ungern zu
eigen macht .


(Zuruf der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Schauen wir nach Afrika . Natürlich ist vor allen Din-
gen wichtig, dass die Menschen dort Jobs bekommen .
Sie können nämlich überhaupt erst leben, wenn sie Ar-
beit haben . Das ist genau das, was wir zum Beispiel mit
den Initiativen des BMZ dort voranbringen . Schauen
wir nach Nordafrika, schauen wir in den Maghreb . Dort
betreiben wir Klimaschutzfinanzierung. Dort sind die
weltgrößten Photovoltaik- oder, besser gesagt, Thermo-
solarkraftwerke installiert worden: mit einer Finanzie-
rung durch die KfW . Das sind Investitionen, die nicht
nur unserer Wirtschaft, etwa Siemens oder denjenigen,
die die Parabolspiegel für die Solaranlagen herstellen,
etwas bringen, sondern die auch dort Jobs bringen, die
auch dort eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen und
die dann die Lebensgrundlage der Menschen wirklich gut
und langfristig sichern . Die Menschen sind so nicht ge-
zwungen, den Weg über das Mittelmeer zu nehmen und
Geld in die Geldbeutel der Schlepperbanden zu werfen,
um hier eine Zukunft zu suchen, die sie hier gar nicht
finden können.

Das ist unser Ansatz . Ich glaube, dieser Ansatz ist ver-
antwortlich, er ist umfassend, und er ist vor allen Dingen
auch kohärent . Wir schauen uns nämlich jedes Politik-
ressort an . Wir schauen uns nicht nur die Ökologie an,
sondern wir schauen uns auch die Wirtschaft und die
Gesellschaft an . Wir versuchen, über den Tellerrand hi-
nauszuschauen, und das ist, glaube ich, ganz wichtig in
Zeiten, in denen Vereinfachungsthesen in vielen Ländern
die Diskussionen bestimmen und es Rückzugsgefechte in
die scheinbar heile Welt nationaler Politik gibt . In dieser

Jeannine Pflugradt






(A) (C)



(B) (D)


Zeit versuchen wir, genau das Gegenteil zu machen . Wir
sagen: Wir können nur vorankommen, wenn wir über un-
seren Tellerrand hinausschauen, wenn wir nicht nur die
nationale, sondern auch die internationale Verantwortung
wahrnehmen und wenn wir auf diesem Weg dazu beitra-
gen, dass die Globalisierung zukunftsfähig, langfristig,
tragfähig und verantwortungsvoll gestaltet wird .

Das ist unser Ansatz, und das ist der Ansatz, der ganz
deutlich aus den Prinzipien der neuen nationalen Nach-
haltigkeitsstrategie hervorgeht . Deswegen bin ich Ihnen,
lieber Herr Altmaier, lieber Herr Bauernfeind und all
denjenigen, die daran in den letzten Monaten viel und
erfolgreich gearbeitet haben, sehr dankbar .

Zum Abschluss . Ich glaube schon, dass der Parlamen-
tarische Beirat eine wichtigere und eine hörbarere Rolle
bekommen muss . Wir sollten darüber nachdenken, wie
wir in allen Debatten auch anderer Ausschüsse, in denen
Nachhaltigkeit eine Rolle spielt, mindestens eine Stim-
me aus dem Parlamentarischen Beirat für Nachhaltigkeit
hören können, damit dieser umfassende, kohärente und
letzten Endes über die Ressortgrenzen hinausgehende
Aspekt der Nachhaltigkeit akzentuiert und auch sicht-
bar und hörbar wird. Wir sind es auch der Öffentlichkeit
schuldig, diese Debatte nach außen zu tragen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822901900

Der Kollege Christoph Strässer spricht als Nächster

für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1822902000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

glaube, zumindest eines ist in der Debatte, die wir heute
führen, deutlich geworden: Das, was wir mit der Nach-
haltigkeitsstrategie betreiben, ist ein Prozess . Ich habe
ein Stück weit die Debatten im Rahmen der Vereinten
Nationen zur Verabschiedung der SDGs erlebt . Das war
ein unglaublich mühsames Verfahren. Ich finde, das, was
dabei herausgekommen ist, war ein Paradigmenwechsel
in der internationalen Zusammenarbeit . Daran haben
viele mitgearbeitet, und niemanden von ihnen sollten wir
enttäuschen, aber bei niemandem sollten wir die Erwar-
tung wecken, dass all das, was dort niedergeschrieben ist,
bis übermorgen verwirklicht ist . Ich glaube, das ist ein
Ansatz, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen .


(Beifall bei der SPD)


Insofern bin ich der Bundesregierung dankbar, dass
sie diesen Prozess auf den Weg gebracht hat . Ich möch-
te noch etwas zu diesem Prozess sagen . Wir reden jetzt
hier ganz viel über Regierungshandeln . Wir reden über
parlamentarische Beteiligung, und ich sage einmal un-
abgesprochen: Ich bin als neues Mitglied im Parlamen-
tarischen Beirat der Auffassung, dass dieser Beirat auch
eine deutlich hörbarere Stimme im Verfahren gewinnen
muss, wie auch immer das in der nächsten Legislaturpe-
riode, vielleicht durch eine Änderung der Geschäftsord-
nung, möglich ist . Man sollte jedenfalls dafür werben;

denn Nachhaltigkeit ist nichts, was man nur begleitet .
Vielmehr müssen diejenigen, die sich generell mit Nach-
haltigkeit beschäftigen, auch etwas zu entscheiden und
mehr zu sagen haben als bisher, und daran sollte man ge-
meinsam arbeiten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir ist eines noch
ganz wichtig, und daher finde ich es gut, dass wir dies
in diesem Rahmen diskutieren können: Es ist gut, dass
sich durch die SDGs auch im Rahmen der Entwicklungs-
zusammenarbeit ein Paradigmenwechsel vollzogen hat,
nämlich weg davon, dass wir die Geber sind und dass die
Staaten des globalen Südens – der Dritten Welt dürfen
wir ja nicht mehr sagen – sozusagen die Bettler sind, de-
nen wir etwas gewähren . Dazu würde ich gerne ein paar
Sätze sagen .

Es ist heute schon mehrfach angesprochen worden:
Die Menschen, die in diesen Ländern leben, haben sich
bei der Geburt nicht ausgesucht, in welchem Land sie
geboren werden . Sie haben genauso das Recht, so zu le-
ben, dass sie ihre Menschenwürde behalten . Das ist eine
Erfüllung der Menschenrechtscharta der Vereinten Nati-
onen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich glaube, das ist der Kern der Auseinandersetzung,
um den wir uns jetzt streiten müssen . In dem Prozess,
den wir begonnen haben, steckt eine ganze Menge . Die-
ser inklusive Prozess, der unter sehr breiter Beteiligung
der Zivilgesellschaft, unter anderem von VENRO und
anderen Entwicklungsorganisationen, stattgefunden hat,
war beispielhaft . Natürlich – das kann ja gar nicht aus-
bleiben, das kenne ich auch aus anderen Diskussionspro-
zessen; der Nationale Aktionsplan „Wirtschaft und Men-
schenrechte“ ist schon angesprochen worden – findet
sich Zivilgesellschaft nicht eins zu eins in einem Papier
der Bundesregierung und auch der Parlamente wieder .
Ich glaube aber schon, dass man daraus lernen kann, wie
man gesellschaftliche Prozesse organisiert . Man sollte
diejenigen, die Fachwissen haben, die vor Ort arbeiten,
nicht außen vor lassen und sagen: Wir sind hier diejeni-
gen, die das machen, und ihr könnt hinterher zustimmen
oder nicht . – Ich glaube, dieser Prozess war bemerkens-
wert, auch wenn vieles von dem, was die Organisationen
gefordert haben, jetzt nicht mehr in den Papieren drin-
steht .

Meine Damen und Herren, ich möchte noch zwei kri-
tische Punkte ansprechen . Wenn von einem Prozess die
Rede ist, dann heißt das ja auch, dass es weitergeht . Diese
kritischen Punkte beziehen sich auf einige der SDGs, die
wir hier angesprochen haben . Der erste Punkt ist die Ar-
mutsbekämpfung . Ich sehe das nicht so kritisch wie Sie
von der Linkspartei . Der Nationale Aktionsplan „Wirt-
schaft und Menschenrechte“ bringt massive Fortschrit-
te . Er ist nicht das Ende der Fahnenstange . Aber wenn
wir Armut bekämpfen wollen, dann brauchen wir faire,
transparente Handelsbeziehungen, die auch die Men-
schen und die Staaten, mit denen wir den Handel treiben,
unterstützen und die nicht ausschließlich auf die eigene

Matern von Marschall






(A) (C)



(B) (D)


ökonomische Situation und auf die Verbesserung unserer
Standards ausgerichtet sind . Ich glaube, da muss nachge-
bessert werden in diesem Nationalen Aktionsplan „Wirt-
schaft und Menschenrechte“ .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Andreas Lenz [CDU/CSU])


Der zweite Punkt, der mir seit ungefähr 40 Jahren
auf der Seele brennt – das muss ich jetzt einmal sagen;
da war ich noch Mitglied der FDP –, ist die Erfüllung
der sogenannten ODA-Quote . Sie steht ja auch in Ihrem
Strategiepapier . Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor
40 Jahren haben wir in Deutschland im Konsens gesagt:
Wir brauchen 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts,
um unsere Verpflichtung in der internationalen Entwick-
lungszusammenarbeit zu erfüllen . – Diese Quote ist jetzt
etwas angestiegen . Wir wissen aber auch, dass das im
nächsten Jahr wieder anders sein wird, weil dann die ein-
maligen Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen
nicht mehr eingerechnet werden . In dieser Strategie ist
als Zeitpunkt für die Erreichung dieses Ziels nicht mehr
das Jahr 2020, sondern das Jahr 2030 angegeben . Meine
Damen und Herren, das ist eine Bankrotterklärung, was
die ODA-Quote angeht . Da muss deutlich nachgebessert
werden . Da müssen wir etwas anderes erreichen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822902100

Zum Abschluss hat in dieser Aussprache für die CDU/

CSU der Kollege Peter Stein das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Stein (CDU):
Rede ID: ID1822902200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachhaltigkeit ist
ein wunderbares Gesetz der Schöpfung . Um etwa 1000
vor Christus entstand unter König David ein Großstaat .
Das Land wurde ausgebaut, Städte wurden befestigt . Be-
sonders in der Hauptstadt Jerusalem boomte das Bauen .
Dazu brauchte man viel Holz, mehr als das eigene Land
liefern konnte. Dieses Holz schafften Phönizier aus dem
Libanon und aus Persien gegen gute Bezahlung heran .
Das Ganze war also ein Jobmotor . In der Glanzzeit Isra-
els unter König Salomo erreichte dieser Bauboom seinen
Höhepunkt. Das ganze florierende Land brauchte Massen
an Holz als Rohstoff. Diese Nutzung dauerte Jahrhunder-
te an . Die Bestände der Libanon-Zeder wurden fast bis
zur Ausrottung geplündert . Nachhaltig war das nicht .

Daraus wurde gelernt: Jedes siebte Jahr begingen die
Juden später als sogenanntes Sabbatjahr, in dem nicht ge-
sät und geerntet werden durfte . Das galt sowohl für die
Feldfrüchte als auch für die Früchte der Bäume . Damit
erhielten die Böden eine Regenerationspause, die ein
Auslaugen verhinderte, und Bäume konnten nachwach-
sen . Der Bibel verdanken wir auch den ersten schriftli-
chen Hinweis auf einen zur Aufsicht dieser Handlungs-
weise bestellten Förster . In Nehemia, Kapitel 2, Vers 8,

ist von Asaf als dem obersten Verwalter über die Wälder
des persischen Königs die Rede . Sicher ist heute überlie-
fert, dass der Begriff der Nachhaltigkeit aus dem Forst-
wesen stammt . Die Bibel belegt uns an dieser Stelle die-
se uralten Wurzeln der Menschheit . Nun sind wir einige
Tausend Jahre später nicht viel klüger, obwohl wir mehr
wissen und andere Technologien haben . Das sollte uns
eigentlich helfen, derartige Fehler nicht wieder zu bege-
hen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und
Herren, heute reden wir über die Nachhaltigkeitsstrategie
der Bundesregierung . Diese baut auf den 17 Nachhaltig-
keitszielen, den sogenannten SDGs, auf . Da steckt un-
glaublich viel Kraft drin . Ich glaube, es ist an uns, diese
Kraft auf die Straße zu bringen . Wir müssen den wissen-
schaftlichen Elfenbeinturm verlassen . Wir müssen den
Menschen erklären, was wir mit Nachhaltigkeit meinen .
Wir müssen sie mitnehmen und sie dafür begeistern, dass
das, was wir uns vorstellen und niedergeschrieben haben,
auch funktioniert .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dafür brauchen wir eine Definition. Wir haben die
Definition der Brundtland-Kommission. Für mich muss
ich ehrlich sagen: Ich brauche keine fixe Definition von
Nachhaltigkeit . Ich denke, Nachhaltigkeit ist ein Prozess,
und die Definition ergibt sich aus dem Handeln. Dazu
gehört Teilhabe . Dazu gehört Verständnis . Dazu gehört,
dass wir diese Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesre-
gierung, die ja sagt, dass wir auf dem Weg in eine en-
kelgerechte Gesellschaft sind, tatsächlich in die nächste
Generation einbinden . Denn die kommende Generation
muss mit uns gemeinsam die nächste enkelgerechte Ge-
sellschaft entwickeln .

Wir geben uns zu Beginn dieser Strategie Manage-
mentregeln . In der ersten Regel steht das, was ich gerade
beschrieben habe: Jede Generation muss ihre Aufgaben
selber erfüllen und selber lösen . In der zweiten Regel
heißt es bereits: Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und
Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen müssen Hand
in Hand gehen . Weiter heißt es: Wirtschaftliche, politi-
sche und gesellschaftliche Kräfte sind zusammenzufüh-
ren . Das machen wir auch heute hier in der Debatte, und
dies muss als Signal nach draußen gehen: Wir sind dazu
bereit, nicht nur strategisch, sondern tatsächlich mit un-
serem gemeinsamen Handeln in Richtung Nachhaltigkeit
zu wirken .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Nachhaltigkeit und Bildung – diese beiden Begriffe
sind für mich eins . Allein schon im Kern dieser beiden
Begriffe steckt, dass es sich um die Aufgaben handelt, die
wir in die nächste Generation hineingeben . Dazu gehört
zuallererst, dass wir im Bereich der Bildung den Begriff
der Nachhaltigkeit vom Kindergarten über die Schulen,
die Hochschulen bis zum lebenslangen Lernen niemals
vergessen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, 17 SDGs –
die Nachhaltigkeitsziele sind vereinbart, und zwar von

Christoph Strässer






(A) (C)



(B) (D)


allen Staaten. Anders als offenbar die Führung in den
USA stehen wir zu den Vereinbarungen von New York
und Paris .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben die Klima- und Umweltschutzkanzlerin .
Wir stehen an der Seite der freien Welt und nicht an der
Seite der Dummheit . Wir wählen die Zukunft, nicht die
Ignoranz . Mister President: Mauern, die zwischen den
Menschen und der Erkenntnis stehen, können niemals
schöne Mauern sein . Ich sage: Mister Trump, tear down
this wall of ignorance!

Herzlichen Dank .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822902300

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10910 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Der Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11767
soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden . Sind
alle damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann sind
die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 35 a und 35 b
auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Harald Weinberg, Pia Zimmermann, Sabine
Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Solidarische und gerechte Finanzierung von
Gesundheit und Pflege

Drucksache 18/11722
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Sechster Bericht über die Entwicklung der
Pflegeversicherung und den Stand der pfle-
gerischen Versorgung in der Bundesrepublik
Deutschland

Drucksache 18/10707
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Dazu besteht
allgemeines Einverständnis . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile zu Beginn der
Debatte der Kollegin Sabine Zimmermann für die Frakti-
on Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822902400

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die gesetz-
liche Krankenversicherung arbeitet grundsätzlich nach
dem Solidarprinzip . Die große Mehrheit der Menschen
in der Bundesrepublik findet das gut; denn nur so kann
Gerechtigkeit stattfinden. Deshalb unterstützen wir die-
ses Prinzip . Wer viel verdient, zahlt mehr ein . Wer wenig
verdient, zahlt weniger . So muss es sein, entsprechend
dem Geldbeutel,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Erich Irlstorfer [CDU/CSU] – Reiner Meier [CDU/CSU]: Das haben wir gestern diskutiert!)


anders als es jetzt der Fall ist .

Im Krankheitsfall müssen alle Bürgerinnen und Bür-
ger die ärztliche Behandlung bekommen, die für sie drin-
gend notwendig ist .


(Reiner Meier [CDU/CSU]: Korrekt!)


Dieses Solidarprinzip in der Krankenversicherung steht
heute aber massiv unter Druck . Immer mehr Versicher-
te bekommen das auch zu spüren . Krankheit wird mehr
und mehr zu einem finanziellen Risiko. Politisch sind
die Weichen im Gesundheits- und Pflegebereich von den
letzten Regierungen immer mehr auf Wettbewerb und
Privatisierung gestellt worden: Privatisierung sowohl der
Gewinne als auch der gesundheitlichen Risiken . Das hat
die Zweiklassenmedizin weiter befördert, und das, mei-
ne Damen und Herren, kann so nicht sein . Damit muss
Schluss sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen auch ganz deutlich: Die Entwicklung
der Pflegeversicherung wird immer unsozialer, und die
Bundesregierung unternimmt hier nichts .


(Zuruf der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Seit der Einführung der Pflegeversicherung wurden die
Leistungen nur unzureichend erhöht . Die Kosten steigen
von Jahr zu Jahr, die Leistungen der Pflegeversicherung
kaum .


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Reiner Meier [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn?)


Daran ändern auch Ihre Pflegestärkungsgesetze nichts.
Kollegin Rawert, ich muss Ihnen sagen: Die großen The-
men sind Sie einfach nicht angegangen:


(Reiner Meier [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn!)


Den Pflegenotstand und auch die Teilkaskofinanzierung
sind Sie nicht angegangen .


(Reiner Meier [CDU/CSU]: 20 Prozent mehr an Geld!)


Peter Stein






(A) (C)



(B) (D)


Die Leute müssen immer mehr und mehr bezahlen und
können sich das einfach nicht mehr leisten .


(Beifall bei der LINKEN – Reiner Meier [CDU/CSU]: Oh Gott! – Maria Michalk [CDU/CSU]: Sie wissen selber, dass das nicht stimmt!)


Die Privatisierung fängt ja beim Nebeneinander von
privater und gesetzlicher Kranken- und Pflegeversiche-
rung an; schon beginnt die Rosinenpickerei . Die hoch-
rentablen privaten Versicherer nehmen natürlich die Jun-
gen und die Besserverdienenden . Das führt dazu, dass
zum Beispiel die Rücklagen in der privaten Pflegever-
sicherung rund 30 Jahre reichen und die in der sozialen
Pflegeversicherung nicht einmal vier Monate. Das, mei-
ne Damen und Herren, ist doch nicht gerecht; das können
Sie doch wirklich nicht ernsthaft wollen .


(Beifall bei der LINKEN – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nur eine Verschiebung, mehr nicht!)


Die Linke schlägt deshalb eine solidarische Gesund-
heits- und Pflegeversicherung vor. Was wollen wir?

Erstens: deutliche Leistungsverbesserungen bis hin
zur Pflegevollversicherung. Das bedeutet, alle im Pflege-
fall anfallenden Kosten müssen von der Pflegeversiche-
rung übernommen werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Die solidarische Pflegeversicherung nach
unserem Konzept bezieht alle Einkommen gerecht ein,
und dadurch wird auch eine stabile und zukunftsfeste Fi-
nanzierungsgrundlage geschaffen. Das wäre wichtig.

Drittens . Zahlreiche internationale Studien belegen:
Je höher der Anteil von Pflegekräften, desto besser die
Pflege. Man sieht es am Zustand der Gepflegten: weniger
Wundliegen, bessere Ansprechbarkeit, weniger Psycho-
pharmaka und andere Medikamente .

Viertens . Wir wollen eine gute Ausbildung, eine gute
Arbeit und eine gute Pflege durch die Pflegekräfte.


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das wollen wir doch aber alle! – Maria Michalk [CDU/CSU]: Da sind wir uns doch einig!)


Wir wollen gutbezahlte Pflegekräfte, meine Damen und
Herren .


(Beifall bei der LINKEN – Tino Sorge [CDU/ CSU]: Da sind wir uns völlig einig!)


Auch die pflegenden Angehörigen müssen entlastet wer-
den, und das machen Sie eben nicht . Sie müssen nämlich
bis zu 50 Prozent der Kosten selber tragen, und das ist
von den Menschen nicht mehr leistbar .


(Beifall bei der LINKEN)


Fünftens wollen wir die unsäglichen Arbeitsbedin-
gungen der Pflegekräfte verbessern. Wir fordern eine
verbindliche Personalbemessung . Das können Sie nicht

erst einmal mit einem Gutachten bis zum Jahre 2020 hi-
nausschieben . Wir brauchen sie jetzt .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zum Schluss möchte ich Ihnen sagen: Pflege und Ge-
sundheit gehören in öffentliche Hand, sie müssen Be-
standteil der öffentlichen Daseinsvorsorge sein. Das ist
unsere Forderung .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, ich finde es unverantwort-
lich, wie Sie hier in der Großen Koalition um die Berufs-
ausbildung in der Pflege streiten. Es ist wirklich wahr:
Wir brauchen die Reform der Berufsausbildung jetzt .


(Mechthild Rawert [SPD]: Was ist denn Ihr Vorschlag? Ist doch keine Generalistik, oder?)


Das können Sie nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hi-
nausschieben . Sie können sich nicht einigen . Wir wollen
die integrierte Ausbildung – das ist bekannt, Verdi fordert
sie auch –, und damit wollen wir den Erhalt der Berufs-
stände . Das muss endlich kommen .

Hören Sie endlich auf, zu streiten . Tun Sie was! Unter-
stützen Sie deshalb unseren Antrag!


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Das ist etwas zu viel verlangt!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822902500

Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege

Erwin Rüddel .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Erwin Rüddel (CDU):
Rede ID: ID1822902600

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Wir haben jetzt hier gerade eine klassen-
kämpferische, ideologisch geprägte Darstellung gehört .


(Widerspruch bei der LINKEN – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Quatsch! – Tino Sorge [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Der 40 . Parteitag ist doch schon vorbei!)


Ich danke der Bundesregierung, dass wir jetzt den
Sechsten Bericht über die Entwicklung der Pflegeversi-
cherung und den Stand der pflegerischen Versorgung in
der Bundesrepublik Deutschland vorliegen haben .


(Beifall des Abg . Thomas Stritzl [CDU/ CSU])


Er zeigt, wie gut die Pflege in Deutschland ist und wie
gut die Arbeit ist, die wir in den zurückliegenden dreiein-
halb Jahren in dieser Koalition geleistet haben . Da hilft
keine Ideologie . Wir beweisen das in der Praxis .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie groß das Versagen die Jahre davor war!)


Der Pflegebericht zeigt unter anderem, dass die Leis-
tungen der Pflegeversicherung durch das Pflegestär-

Sabine Zimmermann (Zwickau)







(A) (C)



(B) (D)


kungsgesetz I deutlich ausgebaut und besser auf die Be-
dürfnisse der Betroffenen und Angehörigen ausgerichtet
wurden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was ganz wichtig ist: Anträge der Versicherten auf Leis-
tungen werden von der Pflegekasse schneller bearbeitet.
Es ist auch eine spürbare Verbesserung bei der Qualifi-
zierung und der Gewinnung von Pflegepersonal zu er-
kennen .

Die guten Ergebnisse des Pflegeberichts sind erfreu-
lich, aber sie überraschen uns nicht; denn diese Koalition
hat zu Beginn der Legislaturperiode versprochen: mehr
Qualität, mehr Geld, mehr Betreuung und mehr Hände
für gute Pflege – und wir haben Wort gehalten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Sabine Dittmar [SPD] – Mechthild Rawert [SPD]: Und wir wollen noch mehr Bildung!)


Wir haben gemeinsam, Frau Rawert, die umfassendste
Reform der sozialen Pflegeversicherung seit der Einfüh-
rung vor 20 Jahren verwirklicht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Seit dem 1. Januar 2015 stehen für die Pflegeleistungen
zusätzlich 2,4 Milliarden Euro – und ich betone aus-
drücklich: pro Jahr – zur Verfügung . Die Mittel kommen
dort an, wo sie gebraucht werden: bei den Pflegebedürfti-
gen, deren Angehörigen und bei den Pflegekräften.

Zum weiteren Nutzen des ambulanten Bereiches ha-
ben wir beispielsweise nicht nur die Kurzzeit- und Ver-
hinderungspflege sowie die Tages- und Nachtpflege aus-
gebaut, sondern wir haben auch die Leistungen deutlich
flexibler gestaltet. Zudem gibt es höhere Zuschüsse für
die Verbesserung des Wohnumfeldes .

Auf das Erste Pflegestärkungsgesetz folgte mit der fäl-
ligen Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs der
zweite große Reformschritt . Im Ergebnis sind vor allem
Menschen mit demenziellen Erkrankungen in der Pflege-
versicherung jetzt deutlich besser gestellt als zuvor: Es
gibt passgenaue Einstufungen, die Minutenpflege wurde
abgeschafft,


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wegen! Keine Pflegerin und kein Pfleger weiß, wie viel Zeit sie für die Pflege haben!)


und für bereits pflegebedürftige Menschen gilt der Be-
standsschutz . Mit Blick auf Menschen mit kognitiven
und somatischen Einschränkungen haben wir gemeinsam
eine große Gerechtigkeitslücke geschlossen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Ergebnis mobilisieren wir jährlich – jährlich! – 5 Mil-
liarden Euro zusätzlich . Das sind circa 20 Prozent mehr
Leistungen, die vor allem der Versorgung von demenz-
kranken Menschen zugutekommen .

Man kann es nicht oft genug sagen: In der Summe be-
deuten die beiden Pflegestärkungsgesetze eine so mas-
sive Aufstockung eines sozialen Sicherungssystems, wie

es das noch nie in der Geschichte der Sozialversicherung
in Deutschland gegeben hat .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Schließlich haben wir mit dem Pflegestärkungsge-
setz III den Kommunen zusätzliche Beratungsaufgaben
übertragen . Es geht dabei um die bessere Vernetzung
örtlicher Angebote und um aufsuchende Beratung für
Pflegebedürftige und deren Familien. Möglichst in je-
dem einzelnen Fall soll ein individuelles Paket geschnürt
werden, das optimal auf die jeweiligen Bedürfnisse zu-
geschnitten ist. Das hilft pflegebedürftigen Menschen, so
lange wie irgend möglich in ihrer vertrauten Umgebung
zu bleiben . Ausdrücklich begrüße ich auch die zusätzli-
chen Anreize für niedrigschwellige Betreuungs- und Ent-
lastungsleistungen .

Meine Damen und Herren, wir haben im PSG III klare
Worte zur Frage der Qualitätskontrollen gefunden . Sie
dürfen nicht zum Schaden der Pflegeversicherung ver-
hindert werden. Wer Leistungen aus der sozialen Pflege-
versicherung erhält, muss bereit sein, die erbrachten Leis-
tungen auf ihre Qualität hin überprüfen zu lassen . Wer
solchen Überprüfungen nicht zustimmt, hat sein Recht
verwirkt, Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung
zu erhalten. Wir verschärfen die Kontrollen, damit Pfle-
gebedürftige, ihre Familien und die Pflegekräfte besser
vor betrügerischen Pflegediensten geschützt werden.

Außerdem haben wir geregelt, dass in Vergütungsver-
handlungen zwischen Pflegekassen und Pflegediensten
Tariflöhne bei tarifgebundenen Einrichtungen nicht als
unwirtschaftlich abgelehnt werden dürfen . Damit stellen
wir sicher, dass Tariferhöhungen wirklich bei den Be-
schäftigten ankommen . Mit dem PSG III wird diese Re-
gelung auch auf die nichttarifgebundenen Einrichtungen
ausgedehnt . Damit ist sichergestellt, dass sich der Tarif-
lohn kurz- und mittelfristig in der Altenpflege flächende-
ckend durchsetzen wird .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, es gibt in dieser Wahlperi-
ode praktisch kein Gesetzesvorhaben im Bereich der Ge-
sundheit, das nicht zugleich einen wichtigen Beitrag zur
Runderneuerung der Pflege leistet. Der Bürokratieabbau,
der neue Pflege-TÜV, mehr Medikamentensicherheit,
das Hospiz- und Palliativgesetz, das E-Health-Gesetz
mit dem einheitlichen Medikationsplan – das sind alles
Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, die wir eingelöst
haben . Im Zentrum stand immer das Bemühen um mehr
Qualität in der Pflege. Dies gilt ausdrücklich auch für das
Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung,
mit dem wir nicht nur eine gute Qualität der Produkte,
sondern auch eine fachkundige begleitende Beratung und
einen anständigen Service sicherstellen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der nahenden
Bundestagswahl ist auch das Gespenst der Einheitskasse
wieder auferstanden .


(Mechthild Rawert [SPD]: „Bürgerversicherung“ klingt viel netter!)


Erwin Rüddel






(A) (C)



(B) (D)


Eine solche Einheitskasse würde Wirtschaft und Versi-
cherte belasten, ohne ein besseres Gesundheitssystem zu
schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bleibe dabei: Eine staatliche Einheitskasse führt di-
rekt in die von ihren Vordenkern beklagte Zweiklassen-
medizin; denn wer genug Geld hat, wird immer einen
Arzt finden – für jede Therapie – und eine Zusatzversi-
cherung .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn heute?)


Warum sollen wir ohne jede Not hier bei uns solche Ver-
hältnisse wie in Großbritannien schaffen?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Und das, obwohl eine Untersuchung erst vor wenigen Ta-
gen belegt hat, dass Deutschlands Gesundheitssystem im
EU-Vergleich spitze ist:


(Beifall bei der CDU/CSU)


freie Arztwahl und geringe Wartezeiten, schneller Zu-
gang zu Fachärzten und Kliniken sowie zu innovativen
Medikamenten, große Wahl- und Therapiefreiheit, gerin-
ge oder keine Zuzahlungen .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das ist das Verdienst der GKV und nicht das Verdienst der PKV!)


Zusammengefasst: Die Versorgung hierzulande ist die
beste in Europa, weshalb 80 Prozent der Versicherten in
Deutschland mit ihrer medizinischen Versorgung zufrie-
den sind, also keine Experimente, wie Konrad Adenauer
es schon gesagt hat .

Statt unsere Energie auf ein Projekt mit höchst unge-
wissem Ausgang zu konzentrieren, sollten wir uns als
Gesundheitspolitiker lieber darum kümmern, das beste-
hende System weiter zu verbessern, im Sinne von Evolu-
tion statt Revolution .

Wir haben in der Koalition Wort gehalten und in gro-
ßer Geschlossenheit grundlegende Reformen auf den
Weg gebracht . Ob man das „Meilenstein“ oder „Quan-
tensprung“ nennt – es ist auf jeden Fall ein großer Wurf,
der uns gemeinsam gelungen ist . Ich danke allen Kol-
leginnen und Kollegen, die daran mitgearbeitet haben .
Ein ganz besonderer Dank geht an das Ministerium für
die gute Zusammenarbeit . Ich glaube, wir gehen im Ge-
sundheitssystem, gerade im Bereich Pflege, einer guten
Zukunft entgegen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822902700

Als Nächste spricht die Kollegin Maria Klein-

Schmeink für Bündnis 90/Die Grünen .


(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Jetzt aber Mut zur Wahrheit! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Herr Rüddel, in den vergangenen neun
Minuten hätten Sie eigentlich über die solidarische und
gerechte Finanzierung von Gesundheit und Pflege reden
sollen .


(Matern von Marschall [CDU/CSU]: Voll erfüllt! Hat er gut gemacht!)


Ich muss sagen: Sie haben die Zeit vollständig für etwas
vollkommen anderes genutzt, nämlich für eine Marke-
tingveranstaltung . Es ging nur um das, was Sie meinen
für die Pflege getan zu haben. Ich kann nur sagen: Damit
sind Sie zu kurz gesprungen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Am Ende der Wahlperiode müssen wir ganz eindeutig
sagen: Das Thema „solidarische und gerechte Finanzie-
rung“ gehört auf die Tagesordnung . Denn wir müssen
feststellen: Acht Jahre Große Koalition und vier Jahre
Schwarz-Gelb haben dazu beigetragen, dass wir heute
eben nicht sagen können, dass wir eine stabile Finanzie-
rung in der GKV und in der sozialen Pflegeversicherung
haben .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Milliarden an zusätzlichen Geldern für die Pflege, zur Verbesserung der Pflege!)


Vielmehr haben wir das traurige Ergebnis, dass allein die
Versicherten sämtlichen Kostenaufwuchs in der Gesund-
heitsversorgung stemmen müssen . In den Jahren 2015
und 2016 haben die Versicherten der GKV – sie ganz al-
lein – insgesamt 24,1 Milliarden Euro an Zusatzbeiträgen
gezahlt . Das zeigt, wie ungerecht dieses System ist


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die traurige Wahrheit!)


und dass wir da dringend etwas tun müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822902800

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Stritzl?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, gerne . Die vier Minuten Redezeit sind sowieso zu
wenig .


Thomas Stritzl (CDU):
Rede ID: ID1822902900

Frau Kollegin, erlauben Sie mir folgende Zwischen-

frage:

Erstens . Bin ich richtig informiert, dass unter rot-grü-
ner Regierungsbeteiligung ein Sonderbeitrag für die
GKV zulasten der Arbeitnehmerschaft eingeführt wurde?
Wenn ja, in welcher Höhe wurde er eingeführt?

Erwin Rüddel






(A) (C)



(B) (D)


Zweitens . Können Sie mir sagen, welchen Wert die
Rücklagen in der gesetzlichen Krankenversicherung der
Bundesrepublik Deutschland zurzeit insgesamt haben?

Danke schön .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke für die Fragen . – Es ist in der Tat so, dass un-
ausgewogene Finanzierungskonzepte für die gesetzliche
Krankenversicherung – nur die Löhne und Gehälter wur-
den einseitig belastet – in der damaligen konjunkturellen
Phase dazu geführt haben, dass man sich entschieden
hat, einen Sonderbeitrag für die Arbeitnehmer zu schaf-
fen . Aber man muss ganz eindeutig sagen: Das war ein
einmaliger Schritt, der zu einer einseitigen Belastung der
Versicherten geführt hat, sozusagen eine Konjunkturhil-
fe durch die Versicherten . Ich muss deutlich feststellen:
Heute gibt es keinen Grund, genau diese Sonderbelas-
tung nur der Versicherten fortzuführen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist ein Geschenk für die Arbeitgeber, das sie erstens
nicht brauchen und zweitens die gesellschaftliche Soli-
darität insgesamt beeinträchtigt . In dem Sinne wird deut-
lich: Es muss zu einer Umkehr kommen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Rücklagen!)


Genau darauf komme ich jetzt im weiteren Fortgang mei-
ner Rede zu sprechen . – Danke schön .


(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Die Rücklagenhöhe!)


– Die Rücklagenhöhe ist so, dass man tatsächlich sa-
gen muss: Es ist eine ordentliche Rücklage, insgesamt
24 Milliarden Euro in den verschiedenen Töpfen . – Aber
wir müssen natürlich gleichzeitig sagen: Diese 24 Milli-
arden Euro sind zwischen den Krankenkassen nicht ge-
recht verteilt . Es kommt vielmehr zu Verwerfungen, die
wir derzeit haben, dass einzelne Kassen den Zusatzbei-
trag noch einmal anheben müssen . Genau dazu kam es
in dieser Woche bei drei Krankenkassen, die ihre Zusatz-
beiträge um 0,3 Prozentpunkte erhöhen mussten . Diese
einseitige Belastung von Versicherten können wir nicht
wollen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dies führt auch dazu, dass das gesamte System der
gesetzlichen Krankenversicherung in eine Schieflage
kommt . Das haben Sie zu verantworten . Das werden wir
in den nächsten Monaten und Jahren deutlich zu spü-
ren bekommen, wenn es nicht zu einem Politikwechsel
kommt . Gerade deshalb ist er so wichtig . – Danke schön
für diese Frage .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE] – Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Bitte schön!)


Insgesamt haben wir eine Situation, in der man sagen
muss: Ja, Sie haben in den letzten vier Jahren deutliche
Leistungsverbesserungen beschlossen; das stimmt .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist doch mal was Positives!)


Einige waren mehr als überfällig und Resultat einer völ-
lig verfehlten schwarz-gelben Politik . Aber wir alle ver-
missen ein Konzept, wie Sie diese Leistungsverbesserun-
gen in der nächsten Wahlperiode finanzieren wollen,


(Hilde Mattheis [SPD]: Wir haben ja eines! Bitte differenzieren!)


außer dass die Versicherten allein dafür zahlen . Das ist
das Konzept, das Sie als Große Koalition vereinbart ha-
ben . Das ist zutiefst ungerecht und auf Dauer auch nicht
tragfähig . Das wissen auch Sie . So darf man die gesell-
schaftliche Solidarität nicht strapazieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun kommen wir zu einer weiteren Baustelle: Das
Nebeneinander von privater und gesetzlicher Kranken-
versicherung produziert viele Verliererinnen und Ver-
lierer . Darüber haben wir gestern sehr lange diskutiert .
Gerade bei den kleinen Selbstständigen gibt es große
Verwerfungen . Diese gibt es aber auch bei niedrig einge-
stuften Beamten mit Familie und bei Rentnern, die zum
Teil übermäßig hohe Beiträge in der PKV zahlen müssen,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Allerdings!)


obwohl sie nur kleine Renten haben . Das ist soziales Dy-
namit für die nächste Wahlperiode . Sie haben keinerlei
Konzept, wie Sie das Problem angehen wollen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb wollen wir mit der Bürgerversicherung ei-
nen Schritt gehen, der keine Revolution, sondern nur die
Weiterentwicklung des heutigen gesetzlichen Systems
bedeutet, das sich gut bewährt hat . 90 Prozent der Be-
völkerung sind in der gesetzlichen Krankenversicherung
versichert .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich auch!)


Die weiteren 10 Prozent wollen wir hereinholen, indem
wir den Versicherten ein Angebot machen . Das ist ja sehr
oft auch die Lösung von sozialen Problemen, die sich
durch dieses Nebeneinander auftun .

Ein weiteres Problem . Wir haben eine unterschiedli-
che Honorargestaltung bei ärztlichen Leistungen für Pri-
vat- und gesetzlich Versicherte. In der Folge finden wir
Fachärzte nur noch dort, wo viele Privatversicherte sind .


(Zuruf von der CDU/CSU: Ach wo!)


Das kann doch nicht die Lösung dafür sein, wie wir eine
einheitliche und gute Versorgung in allen Landesteilen
sicherstellen wollen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Thomas Stritzl






(A) (C)



(B) (D)


Sie haben wiederum keine Antwort darauf, wie Sie das
angehen wollen . Wir brauchen dringend ein gemeinsa-
mes Honorarsystem, das gute Leistungen und mehr Zeit
für das Gespräch mit dem Patienten ermöglicht und nicht
danach bezahlt, ob jemand privat oder gesetzlich versi-
chert ist . Das muss doch der Weg sein .

Das sind die wesentlichen Kernpunkte der Bürgerver-
sicherung: Es geht darum, alle einzubeziehen . Es geht
darum, alle Einkommensarten einzubeziehen, nieman-
dem mehr Risiken aufzubürden, sondern jeden gemäß
seiner Leistungsfähigkeit zu veranlagen . Das ist der rich-
tige Weg .

Ich möchte wissen, was Ihre Antwort für eine stabi-
le und gerechte Finanzierung sein wird . Ich habe noch
nichts gehört .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Weinberg [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822903000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Mechthild Rawert

für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1822903100

Herr Vizepräsident! Werte Kolleginnen und Kolle-

gen! Liebe Zuschauende! Ich freue mich, dass ich dank
des Antrages der Linken und dank des Pflegeberichtes
für den Zeitraum 2011 bis 2015 abermals zum politisch
hochbrisanten Thema Pflege reden darf.


(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Der Bericht zeigt: Pflegebedürftige, ihre Angehörigen
und auch die Pflegekräfte nehmen die in diesem Zeit-
raum gesetzlich auf den Weg gebrachten Verbesserungen
gut an .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Genau!)


Eine lange Liste ist vorhin schon diskutiert worden .
Mir kommt es jetzt darauf an, zu unterstreichen, dass
dazu auch die Realisierung des Prinzips „Reha vor Pfle-
ge“ zählt . Das wollen wir dezidiert ausbauen .

Ich möchte dezidiert die bedarfsgerechtere Unterstüt-
zung pflegender Angehöriger durch verbesserte Freistel-
lungsregelungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und
Familie und Pflege betonen.


(Beifall bei der SPD)


Diese Leistungsverbesserungen sind und waren nicht
das Ende der Fahnenstange . Das hat sich allein schon
darin gezeigt, dass wir kurz danach die Pflegestärkungs-
gesetze II und III verabschiedet haben . Seitdem gilt der
neue Pflegebedürftigkeitsbegriff. Mit dem neuen Begut-
achtungsverfahren ermöglichen wir den Leistungsemp-
fangenden den Zugang zu allen Leistungen, und zwar
unabhängig von der Beeinträchtigung – egal ob es sich
um eine kognitive, psychische oder körperliche Beein-

trächtigung handelt . Das ist ein Riesenschritt in Richtung
Gerechtigkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht noch weiter: Mit 60 Modellkommunen stellen
wir die Pflegeberatung vor Ort auf noch bessere Beine.
Mit Personaluntergrenzen stabilisieren wir wichtige Pfle-
gebereiche im Krankenhaus .

Sie sehen: Der Begriff einer Bewegung in der Com-
munity der Pflegefachkräfte, die sich „Pflege in Bewe-
gung“ nennt, hat sich auch im Deutschen Bundestag nie-
dergeschlagen .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind alle ganz frustriert und nicht begeistert!)


Wir wollen, dass pflegebedürftige Menschen eine
passgenaue und individuell angepasste Versorgung be-
kommen . Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-
kraten ist Pflege eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Der
Auf- und Ausbau einer hochwertigen Pflegeinfrastruktur
ist eine Herausforderung für unser gesamtes Gemeinwe-
sen .


(Beifall bei der SPD)


Pflege gehört in die Mitte der Gesellschaft. Ich sage es
frank und frei: Ausführungen über die Organisation einer
guten Pflege gehören in jedes Wahlprogramm; denn Pfle-
ge ist ein hochpolitisches Thema. Pflege ist und bleibt in
Bewegung .

Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung des Zen-
trums für Qualität in der Pflege hat gezeigt, dass die
Versorgung älterer hilfebedürftiger Menschen und das
Thema „Gute Pflege für alle“ für 43 Prozent der 61,5 Mil-
lionen wahlberechtigten Bürger und Bürgerinnen bei der
Bundestagswahl 2017 sehr wichtig bei ihrer Wahlent-
scheidung ist. Insbesondere betrifft dies die maßgebliche
Altersgruppe 50 plus . Hier sind es sogar 53 Prozent, die
sagen, dass Pflege – und damit auch Gesundheit – für sie
zur Daseinsvorsorge gehört. Im Bereich der Pflege be-
steht also weiterhin Handlungsbedarf .

Was sagt diese repräsentative Befragung noch?
71 Prozent der zumeist Älteren halten die Arbeitsbedin-
gungen in der Pflege für am dringendsten verbesserungs-
bedürftig, und 42 Prozent der Befragten glauben, dass
pflegende Angehörige dringend noch besser zu unterstüt-
zen sind – alles Aspekte, die wir ständig hervorgehoben
haben . Es freut mich, dass die Älteren intergenerativ, also
auch an die Lebenssituationen der Jüngeren denken, was
da heißt: Auch die Frauen in diesen Berufen leben nicht
von Luft und Liebe allein, sondern sie brauchen auch ein
anständiges Einkommen . Wir müssen ebenso gute Ver-
einbarkeitsstrukturen schaffen.


(Beifall bei der SPD)


Zum Thema Finanzierung . Ja, natürlich müssen wir
schauen, wie wir die ganzen Regelungen finanzieren.
Von den Verbesserungen für die Pflegefachkräfte bei der
Tarifierung wurde schon berichtet. Das Traurige ist: Nur
sehr wenige Pflegeeinrichtungen haben eine Tarifbin-

Maria Klein-Schmeink






(A) (C)



(B) (D)


dung, und sehr wenige Pflegefachkräfte sind in Gewerk-
schaften organisiert, und sie fallen deswegen nicht unter
die Tarifverträge . Daher an dieser Stelle mein Appell:
Bitte organisieren Sie sich alle, und schließen Sie Tarif-
verträge ab!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir als SPD werden im Kontext der sozialdemokrati-
schen Politik weiterhin nach Lösungen suchen, wenn es
um die Personalausstattung, die Transparenz von Quali-
tät, die Durchsetzung der Rechte von pflegebedürftigen
Menschen und auch – ich bleibe dabei – die Stärkung
einer pflegeberuflichen Bildung geht.


(Beifall der Abg . Sabine Dittmar [SPD])


Das ist von großer Bedeutung . Denn mehr Leistungen
allein bedeuten nicht, dass eine pflegebedürftige Person
tatsächlich schon die nötige Pflege bekommt. Es ist auch
qualifiziertes Personal nötig, das die entsprechenden
Leistungen kompetent erbringen kann .

Das Thema Bürgerversicherung ist im Antrag der Lin-
ken – ich sage es einmal nett – ein wenig durcheinander
dargestellt worden;


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Was?)


deswegen gehe ich darauf jetzt gar nicht näher ein .


(Dr . Edgar Franke [SPD]: Gut!)


Jedem, der unser Konzept nachlesen möchte, sage ich:
Erste Züge stehen schon seit November letzten Jahres im
Internet . Wenn Sie nach „Fortschritt und Gerechtigkeit –
Chancen für alle“ suchen, werden Sie unser Konzept fin-
den .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ich empfehle www .linksfraktion .de!)


Wir sind für jede Ergänzung dankbar .

Ich habe eine weitere und abschließende Bitte an die
1,2 Millionen beruflich Pflegenden – der Deutsche Pfle-
getag hat das gezeigt –: Bündeln Sie Ihre Interessen! Tre-
ten Sie ein in eine Gewerkschaft, in einen Berufsverband,
in eine Pflegekammer oder auch in eine Partei! Denn es
stimmt: Sie haben die Wahl; Sie entscheiden mit . Ma-
chen Sie Ihr Kreuz auch unter Berücksichtigung Ihrer
eigenen Interessen bei denjenigen, die sich für eine gute,
generalistische Pflegeausbildung einsetzen.

Seien Sie gegrüßt!


(Beifall bei der SPD – Dr . Edgar Franke [SPD]: Gute Rede!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822903200

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Erich

Irlstorfer .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Erich Irlstorfer (CSU):
Rede ID: ID1822903300

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt mal zur Finanzierung!)


Die Kollegin Rawert schafft es immer wieder, mich beim
Thema „generalistische Ausbildung“ zu reizen . Gratula-
tion!


(Heiterkeit bei der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: So persönlich war das nicht gemeint! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und das schaffen wenige, und sie ist stolz darauf!)


Ich erwähne das Ganze nur mit wenigen Sätzen – denn
heute geht es ja um ein anderes Thema –: Verehrte Kolle-
gin, Sie kennen den Kompromissvorschlag .


(Mechthild Rawert [SPD]: Noch liegt gar nichts vor! Derzeit ist alles Schneegewitter!)


Ich weiß, dass er Ihnen nicht in Gänze gefällt – uns auch
nicht, aber so ist das bei Kompromissen nun einmal .
Glauben Sie mir: Ich bin wirklich davon überzeugt, dass
es wichtig wäre, Ministerin Schwesig dazu zu bringen,
ihre Eitelkeiten zu vergessen


(Zurufe von der SPD: Oh! – Na!)


und zuzustimmen; bitte erlauben Sie mir, das zu sagen .


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist eine so nette und solide Frau! Keine Frauendiskriminierung! – Zuruf von der CDU/CSU: Das wird aber eine sehr schwierige Aufgabe für die Kollegin Rawert!)


– Das ist eine nette Person . Das habe ich auch nicht an-
ders gesagt .

Werte Kolleginnen und Kollegen, Frau Zimmermann
hat gerade den Antrag der Linken begründet . Darunter
waren ja Äußerungen, die wirklich unterirdisch waren .


(Mechthild Rawert [SPD]: Welche?)


Deshalb schenke ich es mir, darauf näher einzugehen .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Weil Sie nicht wollen!)


Ich möchte nur darauf hinweisen: Nach 20 Jahren Be-
stehen der gesetzlichen Pflegeversicherung hat die uni-
onsgeführte Bundesregierung in der laufenden Legislatur
eine umfassende Reform der Pflege in Angriff genom-
men .


(Mechthild Rawert [SPD]: SPD-getrieben!)


Das ist unbestreitbar . Dabei war uns klar, dass Struk-
turverbesserungen zwar wichtig, aber nicht ausreichend
sein würden .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Pflegenotstand!)


Deshalb haben wir deutliche und spürbare Leistungsaus-
weitungen beschlossen, die nicht nur die Versorgung von
Pflegebedürftigen verbessert, sondern vor allem auch den
Kreis der Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher
deutlich vergrößert haben .

Mechthild Rawert

http://www.linksfraktion.de





(A) (C)



(B) (D)


Die dadurch entstehenden zusätzlichen Kosten –
Frau Klein-Schmeink hat darauf hingewiesen – können
wir nur deshalb rechtfertigen, weil wir für eine stabile
wirtschaftliche Lage in Deutschland mit einer Rekord-
beschäftigung gesorgt haben, von der nun auch der Sozi-
alstaat und die Sozialsysteme profitieren.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür haben Sie nicht gesorgt!)


– Das ist die Wahrheit. – Die finanziellen Mittel werden
zielgerichtet eingesetzt und kommen bei den Betroffenen
an, die Verbesserungen sind für die Menschen erlebbar
und werden angenommen .

Im Sechsten Bericht der Bundesregierung über die
Entwicklung der Pflegeversicherung werden die Bemü-
hungen, Bedürfnisse und Wünsche der Pflegebedürftigen
hinsichtlich der Reform der Pflegeversicherung beleuch-
tet . Diesen wollen wir gerecht werden . Neben Verbesse-
rungen für die Pflegebedürftigen wollten wir gleicherma-
ßen aber auch sicherstellen – das ist uns auch gelungen –,
dass die Angehörigen, die in Deutschland bei der Pflege
noch immer eine enorme Leistung schultern, entlastet
werden und die Verbesserungen auch spüren . An dieser
Stelle sei die Möglichkeit der Inanspruchnahme von
Lohnersatzleistungen oder der Reduzierung der Arbeits-
zeit von bis zu zwei Jahren erwähnt . Dazu kommt, dass
wir für die Angehörigen auch den Schutz in der Arbeits-
losenversicherung verbessert haben . Das dürfen wir nicht
vergessen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


In den letzten beiden Jahren ist der Anteil der durch An-
gehörige versorgten Bedürftigen wieder leicht angestie-
gen, auf 67 Prozent, beeinflusst durch diese und weitere
Verbesserungen in diesem Bereich .

Der Dreiklang der Pflege – ich sage es zum wieder-
holten Male – bliebe aber aus meiner Perspektive ohne
Verbesserungen für die Pflegekräfte unvollständig. Des-
halb ist es notwendig, dass wir auch in diesem Bereich
den nächsten Reformschritt machen . Uns war wichtig,
einer übermäßigen Arbeitsbelastung durch den Einsatz
zusätzlicher Kräfte sowie den Abbau von überflüssiger
Bürokratie entgegenzuwirken . Das sind erste Schritte,
die hier gegangen wurden . Gleichermaßen spielt für die
Attraktivität des Berufes natürlich die Vergütung eine
sehr wichtige Rolle. Die Bezahlung von Tariflöhnen –
hier sind wir uns einig – muss eine Selbstverständlich-
keit sein . Auch hier sind wir schon Schritte in die richtige
Richtung gegangen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: Da müssen wir jetzt gucken, dass alle auch tarifgebunden sind!)


Werte Kolleginnen und Kollegen, es ist der Größe der
Aufgabe geschuldet, dass wir das Pflegereformvorhaben
in eine Reihe von einzelnen Gesetzen gepackt haben,
in die Pflegestärkungsgesetze I bis III. Die Leistungen
der Pflegeversicherung und die pflegerische Versorgung
konnten durch das Erste Pflegestärkungsgesetz bereits im
ersten Jahr seiner Wirksamkeit deutlich ausgebaut wer-
den . Es gibt zusätzliche Leistungen für die Betreuung im
Rahmen der häuslichen Pflege sowie für Rehabilitation

und Prävention. Mit dem Pflegestärkungsgesetz I wurde
erstmals die Vergütung sämtlicher Leistungen der Pfle-
geversicherung an die Preisentwicklung der vergangenen
drei Jahre angepasst und in einem Umfang von 4 Prozent
angehoben . Auch das dürfen wir nicht verschweigen .

Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskom-
petenz haben seit Januar 2015 Zugang zu allen Leistun-
gen der häuslichen Pflegeversicherung, einschließlich
der Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege.

Umgekehrt können auch Pflegebedürftige, die vor-
rangig körperlich beeinträchtigt sind, besondere An-
gebote der allgemeinen Anleitung und Betreuung, der
hauswirtschaftlichen Versorgung oder von den Ländern
anerkannte niedrigschwellige Betreuungs- und Entlas-
tungsangebote in Höhe von bis zu 208 Euro im Monat
von ihrer Pflegekasse erstattet bekommen. Auch das sind
Verbesserungen .

Es handelt sich hierbei um nicht gerade wenige Men-
schen; wir sprechen für das Jahr 2015 – das sollten wir
uns vor Augen halten – von 1,5 Millionen Pflegebedürf-
tigen . Dementsprechend haben sich auch die Ausgaben
für zusätzliche ambulante Betreuungsleistungen von
437 Millionen Euro im Jahr 2013 auf 684 Millionen Euro
im Jahr 2015 erhöht . Bringen Sie die Information über
diese niedrigschwelligen Betreuungsangeboten bitte un-
ter die Leute, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, und
verunsichern Sie mit solchen Anträgen nicht die Men-
schen!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die mit dem Ersten Pflegestärkungsgesetz eingeführ-
ten Leistungsausweitungen im Bereich des Wohnumfel-
des kommen bei den Betroffenen an. Die Zahlen sprechen
hier eine deutliche Sprache: Gab die Pflegeversicherung
im Jahr 2011 rund 103 Millionen Euro dafür aus, stieg
dieser Betrag bis 2015 auf knapp 305 Millionen Euro .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist doch was!)


Auch das sind Verbesserungen . Das kann man nicht ein-
fach unter den Teppich kehren und so tun, als wäre nichts
passiert .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir über Solidarität in der Pflege sprechen, ge-
hört zur Betrachtung der aktuellen Situation nicht nur der
finanzielle Aspekt, also die finanziellen Mittel, die in die
Pflege investiert werden, sondern auch die Ausweitung
des Pflegebedürftigkeitsbegriffs, die wir durch das Pfle-
gestärkungsgesetz II ermöglicht haben . Es sind nun nicht
mehr nur Menschen mit körperlichen Einschränkungen
erfasst, sondern auch geistig und seelisch beeinträchtigte
Menschen .

Mit dem Pflegestärkungsgesetz III haben wir schließ-
lich die kommunale Ebene gestärkt, damit dort eine bes-
sere Koordination, Kooperation und Steuerung erfolgen
können .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dadurch, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir
eine unabhängige und zentral gesteuerte Beratung er-

Erich Irlstorfer






(A) (C)



(B) (D)


möglichen, die den Pflegebedürftigen die bestmöglichen
Angebote aus einer Hand offeriert. Dabei soll es zu einer
Verzahnung der kommunalen Angebote und der Bera-
tungsangebote der Pflegekassen kommen.

Am Ende wollen wir es den pflegebedürftigen Men-
schen vor allem ermöglichen, so lange wie möglich in
ihrem gewohnten Umfeld zu bleiben . Ambulant vor stati-
onär – das ist der Wunsch der Menschen und somit unser
Auftrag .

Ein Wort an die Linke . Es gibt Gott sei Dank jüngere
Kolleginnen und Kollegen – ich habe darüber Gesprä-
che gehabt –, die wahrnehmen, dass man hier den ersten
richtigen Schritt getan hat . Aber, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Linken, so, wie wir es gemacht haben, ist es
in meinen Augen politische Solidarität . Mit dem, was Sie
in Ihrem Antrag darstellen, gaukeln Sie den Versicherten
ein Schlaraffenland vor. Das Ganze soll bei Ihnen auch
noch zum Nulltarif funktionieren . Ich kann nicht nach-
vollziehen, wie Sie in Ihrem Antrag bei einem gleichblei-
benden Beitragssatz auf Mehreinnahmen in Höhe von
12 Milliarden Euro kommen .


(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Das verstehen wir auch nicht!)


Dieser Betrag wird in der Regel als jährliche Verlust-
spanne angegeben .

Würde es die Privatversicherungen nicht geben, wür-
de es sicherlich anders ausschauen . Das ist der Konstruk-
tionsfehler Ihres Allheilmittels, der Bürgerversicherung .
Wir müssen dieses gute und wirklich einzigartige sowie
hervorragend funktionierende System von gesetzlicher
und privater Krankenversicherung immer wieder an die
Realität anpassen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Wollen wir ja, mit der Bürgerversicherung!)


Erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung . Allein durch
Privatversicherte fließen jedes Jahr fast 29 Milliarden
Euro in unser Gesundheitssystem .


(Mechthild Rawert [SPD]: Überversorgt!)


Dieses Geld benötigen wir .

Mit allem anderen, was zum Thema Bürgerversiche-
rung hier gesagt wurde und im Wahlkampf noch an-
gesprochen werden wird, werden wir uns sehr kritisch
auseinandersetzen. Nur die Begrifflichkeit in den Raum
zu werfen, ohne Fleisch am Knochen, wird nicht funkti-
onieren .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822903400

Der Kollege Harald Weinberg spricht als Nächster für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Weinberg (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822903500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Irlstorfer,
was Ihre Ausführungen zu „Fleisch und Knochen“ an-
geht, besteht das Problem darin, dass ich in fünf Minuten
nur wenig von dem Konzept darlegen kann, das wir für
die solidarische Gesundheitsversicherung haben . Ich will
aber versuchen, es anhand von ein paar Punkten zu ver-
deutlichen . Dabei werde ich ein bisschen ausholen und
an die vorhergehende Debatte zum Thema Nachhaltig-
keit anknüpfen .

Es geht hier – das ist sozusagen das Thema – um die
Nachhaltigkeit der Finanzierung der Gesundheitsver-
sicherung und der Pflege. Wir hatten seinerzeit einmal
einen Nachkriegskonsens . Der bestand darin, dass wir
gesagt haben: Wir nehmen bestimmte Bereiche aus der
Marktwirtschaft heraus, da lassen wir marktwirtschaftli-
ches Geschehen und auch Profitwirtschaft nicht zu. Das
betraf im Wesentlichen die Altersversorgung, die Ge-
sundheit und die Arbeitslosenversicherung .


(Beifall bei der LINKEN)


Allgemein wurde das „Daseinsvorsorge“ genannt .

Im Zusammenhang mit der Übermacht der Ideologie
des absoluten Marktes, Herr Rüddel – das ist auch Ihre
Ideologie, das ist das Problem –,


(Beifall bei der LINKEN)


hat es eine Öffnung dieser Bereiche für die Kapitalver-
wertung bzw . für anlagesuchendes Kapital gegeben . Bei
den Krankenkassen hat es dazu geführt, dass wir sie in-
zwischen de facto als Unternehmen sehen und mit den
Zusatzbeiträgen in einen ruinösen Wettbewerb getrieben
haben . Das ist die Situation .

Ich komme zum Thema Einheitskasse. Ich finde es
schon – das muss ich sagen – ein bisschen drollig, uns
die Einheitskasse vorzuwerfen, gleichzeitig aber einen
Wettbewerb voranzutreiben, der dazu geführt hat, dass
innerhalb der letzten Jahre die Zahl der Kassen von 1 000
auf inzwischen 150 gesunken ist . Und diese Entwicklung
geht weiter . Am Ende werden wir also durch den Wett-
bewerb, den Sie organisiert haben, eine Einheitskasse
haben .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg . Thomas Stritzl [CDU/CSU])


– Doch, das ist die Situation .

Ich sage Ihnen noch eines: Der Vergleich mit Groß-
britannien stimmt natürlich komplett nicht . Denn das,
was wir als solidarische Gesundheitsversicherung vor-
schlagen, ist ein beitragsfinanziertes System; es ist kein
steuerfinanziertes System. Es geht nicht über den Finanz-
minister . Der entscheidet nicht darüber, welche Gelder
eingenommen werden . Das ist allerdings in Großbritan-
nien der Fall gewesen . Dann war es natürlich so, dass
jemand wie Margaret Thatcher den Finanzhahn relativ
leicht zudrehen konnte . Ja, in der Tat, dann ist der NHS in
die Knie gegangen . Es gab lange Wartezeiten und Quali-
tätsprobleme . Denn es war eine politische Entscheidung,
den Hahn, aus dem die Steuermittel flossen, einfach zu-

Erich Irlstorfer






(A) (C)



(B) (D)


zudrehen. Das geht in einem beitragsfinanzierten System
nicht. Deswegen sind wir auch konsequent für ein bei-
tragsfinanziertes System.


(Beifall bei der LINKEN)


Was ist das Wesen der solidarischen Gesundheitsver-
sicherung? Das Wesentlichste bei ihr – neben der Frage
PKV/GKV, auf die ich jetzt nicht eingehen werde – ist
die Verbreiterung der Einnahmebasis . Sie kann durch die
Verstärkung bzw . Wiederherstellung des Prinzips der So-
lidarität – von dem war bereits eben die Rede – erreicht
werden .

Ich will versuchen, Ihnen das an einem Beispiel zu
verdeutlichen: Ein Arbeitnehmer verdient mit unselbst-
ständiger Arbeit 4 000 Euro monatlich . Die werden kom-
plett verbeitragt, ganz normal . Ein anderer Beschäftigter
verdient 1 000 Euro monatlich, erhält aber 3 000 Euro
Zinsgewinne pro Monat – also hohe Zinsgewinne . Der
hat dann ebenfalls 4 000 Euro . Der erste Beschäftigte
zahlt einen viermal höheren Beitrag als der zweite in die
Gesundheitsversicherung ein . Wir sagen: Das passt nicht
mehr in diese Zeit, in eine Zeit, in der die Unternehmen-
seinkünfte sowie die Einkünfte aus Kapital, Vermietung
und Verpachtung immer weiter in die Höhe gehen . Wir
müssen diese Einkünfte in die Verbeitragung bzw . Finan-
zierung der Gesundheitsversicherung mit hineinnehmen .


(Beifall bei der LINKEN)


Dann werden wir auch erstens in der Lage sein, die Zu-
zahlungen abzuschaffen. Und zweitens – das hat jetzt
Professor Rothgang in einer aktuellen Studie ausgerech-
net –


(Mechthild Rawert [SPD]: Die nicht öffentlich ist!)


wären wir dann in der Lage, den Beitrag auf unter
12 Prozent herunterzubringen . Das heißt also, eigentlich
müssten sogar die Arbeitgeber, die Sie ja so gerne vertre-
ten, in höchstem Maße für die solidarische Bürgerversi-
cherung sein . Denn ihr Anteil würde dann logischerweise
auf unter 6 Prozent sinken . Das Problem dabei ist ganz
offensichtlich: Es gibt gewisse Verbandelungen mit der
privaten Assekuranzwirtschaft . Von daher hat sich das of-
fensichtlich noch nicht so weit herumgesprochen, sodass
weiterhin gegen eine solidarische Gesundheitsversiche-
rung angegangen wird .

Als Letztes möchte ich sagen: Wir müssen die Ge-
sundheitsversorgung in Deutschland in Zukunft nachhal-
tig finanzieren und öffentlich organisieren. Das sind die
beiden wesentlichen Punkte . Und dafür wird die Linke
gebraucht .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822903600

Der Kollege Dr . Edgar Franke spricht jetzt für die

SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Edgar Franke (SPD):
Rede ID: ID1822903700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Auf eines kann man sich freitagmorgens fast immer
verlassen: Wir diskutieren einen Antrag der Linken zur
Bürgerversicherung .


(Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Tino Sorge [CDU/CSU]: Und täglich grüßt das Murmeltier!)


Viele Argumente kennen wir schon . Aber zunächst
ist die Frage: Worum geht es beim Thema Gesundheit,
und worum geht es beim Thema Pflege wirklich? Es geht
um Perspektiven für eine gute medizinische Versorgung .
Es geht um Perspektiven für eine älter werdende Gesell-
schaft . Wir müssen uns fragen: Sind wir auf eine älter
werdende Gesellschaft vorbereitet? Wir müssen uns das
inhaltlich fragen .

Wir wissen alle, dass die medizinische Versorgung im-
mer besser wird, aber Krankheiten wie Demenz stellen
uns vor große Herausforderungen . Die Politik muss sich
fragen, ob wir diesen demografischen und gesellschaftli-
chen Herausforderungen gewachsen sind .

Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir damit um-
gehen . Für die SPD ist die politisch entscheidende Frage,
wie wir die steigenden Kosten einer älter werdenden Ge-
sellschaft solidarisch verteilen können . Das ist die Frage
der SPD, meine sehr verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD – Tino Sorge [CDU/ CSU]: Ihr denkt immer nur ans Verteilen, nicht ans Arbeiten!)


Das betrifft gerade die Pflege. Wir brauchen eine Pfle-
ge, die den demografischen Herausforderungen gerecht
wird, eine Pflege, mit der jeder den bestmöglichen Zu-
gang zur gesundheitlichen Versorgung bekommt .

Sie wissen vielleicht noch, dass wir 1995, vor 22 Jah-
ren, die Pflegeversicherung eingeführt haben, die eine
Besonderheit aufweist: Die Leistungen der Pflegeversi-
cherung, sowohl der privaten als auch der gesetzlichen,
sind gleich, aber die Beiträge sind unterschiedlich . Des-
halb eignet sich gerade die Pflegeversicherung besser für
eine Bürgerversicherung als eine private Versicherung .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das ist keine sozialistische Einheitsversicherung,
Erwin Rüddel . Es gibt nämlich gute Argumente dafür .


(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Ha, ha, ha!)


Erster Punkt: Mit der Pflegeversicherung verbreitern
wir die Einnahmebasis .

Zweiter Punkt: Es zählt das individuelle Einkommen .
Maßgebend ist also die persönliche Leistungsfähigkeit,
und auch die Gutverdienenden und die Gesündesten kön-
nen sich der Solidarität nicht entziehen . Auch das ist ein
wichtiger Punkt .

Harald Weinberg






(A) (C)



(B) (D)


Dritter Punkt: Wie Sie wissen, sind die Arbeitgeber-
beiträge bei 7,3 Prozent eingefroren .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das beschlossen?)


Wer finanziert denn den ganzen medizinischen Fort-
schritt? Das sind doch die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer . Deswegen muss auch die Versicherung pa-
ritätisch finanziert werden, meine sehr verehrten Damen
und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir brauchen auch eine einheitliche Honorarordnung .
Egal ob jemand privat oder gesetzlich versichert ist: Es
gibt keinen Anreiz mehr, Versicherte vorzuziehen . Auch
das ist ein Grund für eine Bürgerversicherung gerade im
Bereich Pflege.

Aber – auch das sage ich ausdrücklich – wir haben
in der Pflege gemeinsam viel erreicht. Das haben auch
Herr Irlstorfer und Herr Rüddel angesprochen . Vor allen
Dingen haben wir mit 1,4 Milliarden Euro die häusliche
Pflege gestärkt. Es ist ein ganz wichtiger Punkt, dass
die Menschen zu Hause auch dann in ihren eigenen vier
Wänden alt werden können, wenn sie pflegebedürftig
sind; denn Pflegebedürftigkeit darf kein Grund für ei-
nen Umzug sein . Ich war lange Bürgermeister, und ich
war Chef einer kommunalen Pflegestation. Ich weiß, wie
wichtig es ist, dass man im häuslichen Quartier bleiben
kann . Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt, den
wir gemeinsam erreicht haben, meine sehr verehrten Da-
men und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Erich Irlstorfer [CDU/CSU] – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Mit einem sehr guten Minister!)


Wir geben außerdem ab 2017 5 Milliarden Euro pro
Jahr zusätzlich für die Pflege aus. Das ist ein immenser
Betrag für eine Strukturreform hin zu dem erweiterten
Pflegebedürftigkeitsbegriff mit fünf Pflegegraden, der
dazu führen wird, dass Menschen besser gepflegt werden
und auch ganzheitlich betreut werden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben eine wirklich außergewöhnliche Strukturre-
form hinbekommen, die positiv zu bewerten ist .

Wir müssen uns aber auch die Frage stellen, wie wir
mit denjenigen umgehen, die pflegen. Wir brauchen bis
2030 200 000 neue Pflegekräfte, und zwar gut ausgebil-
dete Pflegekräfte. Deswegen ist die Aufwertung der Pfle-
geberufe eine Herzensangelegenheit der SPD . Das haben
die Menschen verdient; deshalb ist das eine Herzensan-
gelegenheit der SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt ei-
nen roten Faden in der Gesundheitspolitik .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Herzensangelegenheit ist aber erst für die nächste Legislaturperiode vorgesehen!)


Der rote Faden ist eine bestmögliche Versorgung, unab-
hängig vom Einkommen, unabhängig vom Alter, unab-
hängig vom Wohnort . Es ist sozusagen ein roter Faden
der sozialdemokratischen Gesundheitspolitik im doppel-
ten Sinn . Herr Stritzl, Gesundheitspolitik muss immer
aus Sicht der Patientinnen und Patienten bzw . der Men-
schen betrieben werden, die davon betroffen sind.


(Beifall bei der SPD)


Wir brauchen Zukunftsentwürfe in der Gesundheits-
politik und gerade in der Pflegepolitik. Ein solcher Zu-
kunftsentwurf ist eine Bürgerversicherung in der Pflege.
Ich sage es noch einmal: Das ist keine sozialistische Ein-
heitsversicherung .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822903800

Als nächste Rednerin hat Elisabeth Scharfenberg von

der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir als Grüne teilen nicht alle Forderungen der Linken .
Aber wir sind uns darüber einig, dass es in der Kranken-
genauso wie in der Pflegeversicherung an Solidarität und
Gerechtigkeit fehlt . Liebe Kolleginnen und Kollegen von
Union und SPD, jetzt hören wir einmal auf, uns selbst
zu feiern . Sie selbst sehen ja noch viel Handlungsbedarf .
Sonst hätten Sie heute nicht die Beratung über den Pfle-
gebericht der Bundesregierung mit auf die Tagesordnung
gesetzt, einen Pflegebericht – das sehe ich anders als
mein Kollege Herr Rüddel –, der das gesamte Problem-
panorama der Pflege beschreibt.

Dass es noch viel zu tun gibt, dafür haben Sie selbst
in dieser Woche einen ganz traurigen Beweis geliefert .
Nach monatelangem Stillstand haben Sie die notwendige
Reform der Pflegeausbildung in den Sand gesetzt.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr!)


Sie haben da ein beschämendes Polittheater aufgeführt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es war eine Schmierenkomödie, bei der sich die Pflege-
kräfte in diesem Land – um es freundlich zu formulie-
ren – veralbert vorkommen müssen. Sehr geehrte Pflege-
kräfte, das haben Sie wirklich nicht verdient!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dr. Edgar Franke






(A) (C)



(B) (D)


Dieses Ignorieren der Nöte der Pflegekräfte zieht sich
durch. Sie haben den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff
eingeführt; das ist gut . Darauf haben wir alle sehr lange
gewartet . Doch wie soll diese Reform ohne ausreichend
Pflegekräfte gestemmt werden? 500 000 Menschen wer-
den zusätzlich Leistungen aus der Pflegeversicherung be-
kommen . Das kann doch überhaupt nicht funktionieren .
Es herrscht doch schon jetzt ein dramatischer Personal-
mangel in Pflegeeinrichtungen und bei Pflegediensten.
Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie den Pflegekräften mit
all dem aufbürden? Sie versprechen ein Personalbemes-
sungsinstrument . Aber das verschieben Sie weit in die
Zukunft . Von einer verbindlichen Einführung sprechen
Sie erst einmal gar nicht . Ehrlich, das ist zu wenig, um
mehr Menschen für die Pflegeberufe zu gewinnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie machen sich auf dem Rücken der Pflege einen schlan-
ken Fuß. Das lassen wir, das lassen auch die Pflegekräfte
im Land Ihnen nicht durchgehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zurück zur Finanzierung . Sie feiern sich im aktuellen
Pflegebericht für einige Maßnahmen, die Sie von 2011
bis 2015 ergriffen haben, um die finanzielle Stabilität der
Pflegeversicherung zu erhalten. Sie nennen die Beitrags-
satzerhöhungen, den sogenannten Pflege-Bahr und den
Pflegevorsorgefonds.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das war eine andere Koalition!)


Über den Pflege-Bahr möchte man ja eigentlich gar nicht
mehr sprechen, so schlecht konstruiert und überflüssig ist
dieser Quatsch . Aber es gibt diesen Quatsch immer noch .
Liebe SPD, eure Ankündigungen, den Pflege-Bahr wie-
der abzuwickeln, habt ihr ganz schön schnell vergessen .


(Mechthild Rawert [SPD]: Wo stand das? Faktencheck!)


Dann zum Pflegevorsorgefonds. Auch das ist so eine
unsägliche und sinnlose Aktion . Er hat mit Nachhaltig-
keit überhaupt nichts zu tun . Der Fonds bindet einfach
nur sehr viel Geld, Geld, das wir jetzt dringend für die
Pflegebedürftigen und die Pflegekräfte brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Sie wollen immer alles gleich einsetzen! Das ist nicht richtig!)


Die Pflegeversicherung braucht mehr Geld. Deshalb war
eine Erhöhung der Beiträge richtig . Aber, verehrte Kolle-
ginnen und Kollegen, Sie haben auch hier nicht über den
Augenblick hinaus gedacht . Schon in diesem Jahr wird
die Pflegeversicherung deutlich mehr Ausgaben als Ein-
nahmen haben . Spätestens 2022 wird der Beitrag wieder
steigen müssen . Sie haben die grundlegenden Finanzie-
rungsprobleme nicht gelöst . Mutig und ehrlich sieht ganz
anders aus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir stehen in der Pflegeversicherung vor riesigen He-
rausforderungen . Dafür brauchen wir eine solide und ge-
rechte Finanzierungsbasis . Das funktioniert nur mit einer

solidarischen Bürgerversicherung, in der alle Bürgerin-
nen und Bürger versichert sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben diese Reform wieder einmal verschoben .
Das ist ein hoher Schuldschein, den Sie der nächsten
Bundesregierung hinterlassen . In allen Umfragen kommt
heraus, dass es eine menschenwürdige Pflege ist, was die
Menschen massiv umtreibt . Deswegen sind wir alle auf-
gefordert, uns ehrlich um Pflege zu kümmern.


(Mechthild Rawert [SPD]: Machen wir!)


Es liegen weiterhin große Herausforderungen vor uns .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben jedenfalls
keinen Grund, sich auszuruhen . Beenden Sie endlich Ihre
taktischen Spielchen zulasten der Pflege!

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822903900

Als nächster Redner spricht Rudolf Henke für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rudolf Henke (CDU):
Rede ID: ID1822904000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich finde es eine ausgezeichnete Idee, sich um die wirk-
lich zentralen Fragen der Zukunft der gesundheitlichen
Versorgung und der Pflegeversorgung zu kümmern. In
der Tat ist dies das, woran die Menschen prüfen können,
ob es gut wird, ob es besser wird, ob es solidarischer
wird, ob es gerechter wird . Ich glaube, diese permanent
wiederholte Finanzdebatte hilft Ihnen, die Sie diese füh-
ren, mit der jeweils unterschiedlich artistisch präsentier-
ten Akrobatik am Hochreck unterschiedlicher Konzepte
von Bürgerversicherung selbst nicht wirklich .


(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)


Denn das ist gar nicht die zentrale Frage der zukünf-
tigen Pflegeversorgung. Edgar Franke hat mit Recht von
Zukunftsentwürfen gesprochen . Welche Zukunftsent-
würfe brauchen wir denn? Ich glaube, Zukunftsentwürfe
brauchen wir im Bereich von Vernetzung über die Gren-
zen der verschiedenen Professionen in der gesundheitli-
chen und pflegerischen Versorgung hinweg. Zukunftsent-
würfe, das bedeutet, dass wir die neuen elektronischen
Instrumente, um diese Vernetzung zu befördern, einset-
zen und nutzen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen ist beispielsweise das E-Health-Gesetz, das
wir gemeinsam verabschiedet haben, ein Stück dieser
Zukunftssicherung und dieses Zukunftsentwurfs .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich glaube, Zukunftsentwurf heißt, dass wir in der
Frage der Prävention mehr tun . Ich will das an einem
Beispiel zeigen . Die wirtschaftlichen Schäden – ich rede
jetzt nicht von potenziellem Schadensersatz, ich rede nur

Elisabeth Scharfenberg






(A) (C)



(B) (D)


von wirtschaftlichen Schäden – durch den Tabakmiss-
brauch belaufen sich auf direkte Kosten in Höhe von
25 Milliarden Euro und auf indirekte Kosten in Höhe von
50 Milliarden Euro . Wir vergeuden 75 Milliarden Euro
an volkswirtschaftlichem Eigentum jedes Jahr dadurch,
dass es uns nicht gelingt, den Tabakkonsum auf null zu-
rückzudrängen .

Ich nenne ein weiteres Beispiel: Reha vor Rente . Wir
haben in dieser Legislaturperiode die Mittel erhöht, die
es möglich machen, vor dem Hintergrund der veränder-
ten Altersschichtung und der Änderung des Rentenein-
trittsalters mehr Rehamittel zur Verfügung zu stellen . Ich
sage: Ein Aspekt des Zukunftsentwurfs wird auch sein,
ob es uns gelingt, Reha vor Pflege zu praktizieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir immer und immer wieder die Frage des
Aufkommens der Finanzierung diskutieren, dann müssen
wir an dieser Stelle auch ein bisschen ehrlich sein . Ich
finde es schön, wie man die Lastenverteilung betreibt.
Ich weiß auch, dass Lohnfortzahlung in Streiks erkämpft
worden ist und Ausdruck einer Tarifvereinbarung zwi-
schen Gewerkschaften und Arbeitgebern war . Dennoch
muss man natürlich die Belastung, die diese Leistung für
die Produktivität des einzelnen Arbeitsplatzes darstellt,
mit in die Lastenverteilung einkalkulieren . Dann muss
man eben auch sagen, dass zu den direkten Kosten für
die gesundheitliche Versorgung und für die Pflege noch
einmal 40 Milliarden Euro für die Lohnfortzahlung hin-
zukommen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage nicht, dass das alles ungerecht verteilt ist,
aber ich will sagen: Es langweilt mich inzwischen sehr,
wie der Ansatz zur Bürgerversicherung immer wieder
gewählt wird . In meinen Augen ist das ein Schildbürger-
streich .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen lassen Sie uns lieber bei der Debatte darüber
bleiben, was uns in diesem Erfolgsbericht – und ich nen-
ne diesen Bericht einen Erfolgsbericht – der Bundesre-
gierung vorgetragen wird .

Frau Rawert hat ein paar Beispiele daraus genannt: Die
Leistungen werden genutzt . Die Zahl der Leistungsemp-
fänger der sozialen Pflegekasse ist im Zeitraum von 2011
bis 2015 von 2,3 Millionen auf 2,7 Millionen Menschen
gestiegen; das ist ein Anstieg um 17 Prozent . Die Leis-
tungsausgaben haben im gleichen Zeitraum um 27 Pro-
zent zugenommen . Das Ende des Berichtszeitraums ist
auch nicht der Endpunkt unserer Pflegepolitik; vielmehr
werden weitere Maßnahmen ergriffen, deren Auswertung
erst in weiteren Berichten erfolgen kann .

Die Leistungsausweitungen durch das Erste Pflege-
stärkungsgesetz kommen bei den Pflegebedürftigen an.
Nehmen wir als Beispiel den Einbau einer altersgerech-
ten Dusche in den Wohnraum . Die Leistungsausgaben
für Wohnumfeldverbesserungen im Jahr 2011 betrugen
103 Millionen Euro . Im Jahr 2015 waren es 305 Millio-

nen Euro . Ist das weniger oder ist das mehr Solidarität?
Natürlich ist das mehr Solidarität und nicht weniger .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch die zusätzliche Betreuung in der häuslichen
Pflege kommt bei den Leuten an. Im Bereichszeitraum
haben sich die Ausgaben dafür von 330 Millionen Euro
auf rund 680 Millionen Euro pro Jahr mehr als verdop-
pelt . Ist das weniger Solidarität, oder ist das mehr Solida-
rität? Es ist mehr Solidarität .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Thema Demenz bewegt viele Menschen und
erfüllt sie mit Sorge und mit Angst . Für Menschen mit
demenziellen oder psychischen Erkrankungen und geis-
tigen Behinderungen haben wir seit Verabschiedung des
Pflegestärkungsgesetzes I, seit dem 1. Januar 2015, auch
in der sogenannten Pflegestufe 0 Zugang zu allen Leis-
tungen der Pflegeversicherung, die die häusliche Pflege
stärken, weil sie seitdem Tages- und Nachtpflege, Kurz-
zeitpflege, den sogenannten Wohngruppenzuschlag und
die Anschubfinanzierung für Wohngruppen in Anspruch
nehmen können .

Sogar das eben erwähnte Prinzip „Reha vor Pflege“
ist zumindest im Ansatz leicht gestärkt worden, weil
wir die Rehaempfehlungsquote von früher 0,6 Prozent
über 1 Prozent auf 2,3 Prozent gesteigert haben, also die
Anzahl der Pflegebegutachtungen, bei denen der MDK
auftragsgemäß prüft, ob Rehabilitation ein Potenzial hat,
und dann eine Rehaempfehlung ausspricht . Ich behaupte
einmal: Da sind wir noch ein ganzes Stück von dem ent-
fernt, was wir an Rehabilitationspotenzial wirklich ha-
ben . Dieses Potenzial werden wir – auch das ist eine Auf-
gabe für die Zukunft – weiter heben müssen . Ich glaube,
dass das die Frage nach Zukunftsentwürfen zutreffend
beantwortet und dass es nicht damit getan ist, hier immer
wieder die gleiche Freitagmorgendebatte immer wieder
in der gleichen Form zu führen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es geht um mehr und bessere Pflegeberatung.

Am 1. Januar 2017 ist der neue Pflegebedürftigkeits-
begriff in Kraft getretenen. Ich will an Wolfgang Zöller
erinnern, an unseren früheren stellvertretenden Frakti-
onsvorsitzenden und späteren Patientenbeauftragten der
Bundesregierung . Er war Vorsitzender des Expertenbei-
rats zur konkreten Ausgestaltung des neuen Pflegebedürf-
tigkeitsbegriffs. Es erging uns mit diesem Pflegebedürf-
tigkeitsbegriff – da wollen wir ganz ehrlich sein – ganz
ähnlich, wie es uns mit der Präventionsgesetzgebung
ergangen ist: viele Anläufe, immer wieder ein neuer Ver-
such . Es hat bis in diese Legislatur hinein gedauert, bis
der Beschluss endlich gefasst werden konnte. Ich finde,
es ist angebracht, Wolfgang Zöller und allen seinen Mit-
streitern in diesem Beirat für das zu danken, was sie dort
geleistet haben; denn jetzt wird der neue Pflegebedürftig-
keitsbegriff wirksam.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dies bedeutet: In der Pflegebegutachtung ist jetzt
endlich Schluss mit der Vorstellung, dass man Pflegebe-
dürftigkeit so ermitteln kann: Zähneputzen – 5 Minuten

Rudolf Henke






(A) (C)



(B) (D)


anerkannt; Waschen des Unterkörpers – 12 bis 15 Minu-
ten anerkannt; mundgerechtes Zerkleinern der Nahrung –
2 bis 3 Minuten aufgeschrieben . Für das Anreichen von
Nahrung pro Hauptmahlzeit – 15 bis 20 Minuten aufge-
schrieben usw . usw .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie noch nichts dran verändert!)


So war das bisher .

Jetzt stellt der MDK völlig andere Fragen . Durch die-
ses System wird zwar ein individueller Bedarf ermittelt,
aber es werden dabei die kognitiven und psychischen
Einschränkungen, die Demenzkranke haben und unter
denen sie und ihre Angehörigen leiden, einbezogen . Wel-
che Mobilität weist die Person auf?


(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Genau!)


Welche kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten hat
sie? Wie wird die Verhaltensweise eingestuft? Gibt es
psychische Probleme? Wie gut kann sich der Betreffende
selbst versorgen? Wie selbstständig kann er mit krank-
heits- oder therapiebedingten Belastungen umgehen?
Wie gut kann er seinen Alltag gestalten und soziale Kon-
takte pflegen? Und: Niemand muss Sorge haben, dass er
nach dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff Leistungen
gekürzt bekommt . Im Regelfall werden die Leistungen
höher sein als vorher .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es hat gegen die solidarische Finanzierung durch Ar-
beitgeber und Arbeitnehmer keinerlei Widerspruch gege-
ben, sondern das ist gesellschaftlich akzeptiert worden,
weil die Menschen eingesehen haben, dass alle diese
Schritte notwendig sind, wenn man den Herausforderun-
gen – demografischer Wandel, Demenz, Dynamisierung
von Leistungen – begegnen will .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822904100

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen .


Rudolf Henke (CDU):
Rede ID: ID1822904200

Ja, ich komme zum Schluss . – Deswegen, liebe Kol-

leginnen und Kollegen: Die Bilanz dieser Debatte kann
nicht das Bild sein, wir hätten weniger Solidarität und
weniger Gerechtigkeit . Wir haben mehr davon: mehr So-
lidarität, mehr Gerechtigkeit in der Gesundheitsversor-
gung und in der Pflege. Das ist eine große Leistung dieser
Koalition. Ich finde, das muss auch betont werden; –


(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Genau!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822904300

Herr Kollege, ich muss Sie jetzt wirklich ermahnen .


Rudolf Henke (CDU):
Rede ID: ID1822904400

– denn wenn wir die Leistungen von Regierungen und

Parlamenten in Demokratien nicht darstellen oder falsch
darstellen, lösen wir damit Parlamentsverachtung und
Politikverdrossenheit aus . Das ist das, was wir am aller-
wenigsten brauchen können .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822904500

Sabine Dittmar hat als nächste Rednerin für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Sabine Dittmar (SPD):
Rede ID: ID1822904600

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und

Kollegen! Zum wiederholten Mal beschäftigen wir uns
in dieser Legislatur mit ähnlich lautenden Anträgen der
Linken .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Lautenden oder lauen!)


Lassen Sie mich deshalb in aller Kürze noch einmal
zusammenfassen: Einige Inhalte Ihres Antrags finden
durchaus meine Sympathie . Es ist richtig, dass wir uns
mit dem Leistungskatalog beschäftigen müssen und uns
unter anderem die Belastungen bei der Sehhilfe oder
beim Zahnersatz noch einmal genau ansehen müssen .
Die Forderung nach Parität in der Finanzierung der ge-
setzlichen Krankenversicherung ist allerdings längst Be-
schlusslage der SPD; denn, meine Damen und Herren,
es ist zutiefst ungerecht, wenn die Kosten des medizi-
nischen Fortschritts allein durch die Zusatzbeiträge von
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern getragen wer-
den . Das ist unsolidarisch .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb steht für uns fest: Die Rückkehr zur Parität – die
Wortwahl ist jetzt ganz bewusst – ist alternativlos .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht schaffen es ja Herr Laumann oder der Arbeit-
nehmerflügel der Union, bis zur Sommerpause den Rest
ihrer Parteifreunde davon noch zu überzeugen .

Aber eines ist für uns Sozialdemokraten klar: Wir sind
vertragstreu . Nachdem Ihr Antrag, meine Damen und
Herren von den Linken, in vielen Punkten wenig sub-
stanziell ist und rechtliche Fragen offenlässt, fällt es uns
auch gar nicht so schwer, diesen abzulehnen .


(Zuruf des Abg . Harald Weinberg [DIE LINKE])


Sehr geehrte Damen und Herren, unsere Debatte be-
schäftigt sich auch mit dem sechsten Pflegebericht der
Bundesregierung . Dieser ist nicht nur lesenswert; er ist
vor allem sehr bemerkenswert. Wir haben mit den Pfle-
gestärkungsgesetzen, aber auch mit dem Hospiz- und
Palliativgesetz sowie dem Präventionsgesetz erhebliche
Leistungsverbesserungen und -ausweitungen auf den
Weg gebracht .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir haben Ihnen da auf die Sprünge geholfen!)


Rudolf Henke






(A) (C)



(B) (D)


Diese dienen nicht nur dazu, die pflegerische Versorgung
weiterzuentwickeln, sondern sie unterstützen auch pfle-
gende Angehörige und professionelle Pflegekräfte. Las-
sen Sie mich auf ein paar wenige Aspekte eingehen, die
mir besonders wichtig sind .

Auch wenn sich dieser Bericht nicht mit der erfolg-
reichen Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbe-
griffs beschäftigt, der endlich körperliche, geistige und
seelische Beeinträchtigungen gleichrangig behandelt und
damit für über 500 000 Menschen einen zusätzlichen
Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung be-
gründet, zeigt uns dieser Bericht doch, dass die Maßnah-
men, die im Vorfeld getroffen worden sind, sehr effizient
sind .


(Beifall bei der SPD)


Die zusätzlichen Leistungen im Bereich der Tages-
und Nachtpflege können den Alltag der pflegenden An-
gehörigen ungemein erleichtern: Sie ermöglichen es, ein-
mal Zeit zu haben für einen eigenen Termin, ohne unter
dem Druck zu stehen, dass zu Hause alles Kopf steht .
Wie ich es aus meiner eigenen Praxis weiß, wirbelt oft-
mals der gestörte Tag-Nacht-Rhythmus bei demenziell
erkrankten Patienten auch den Rhythmus des Pflegenden
erheblich durcheinander. Hier den Pflegebedürftigen bei
Bedarf in professioneller Nachtpflege zu wissen, tut gut
und dient auch der eigenen Regeneration .

Ich möchte an dieser Stelle ebenfalls auf den für
pflegende Angehörige gesetzlich verankerten Rechtsan-
spruch auf Rehabilitationsmaßnahmen hinweisen, der
leider noch viel zu wenig in Anspruch genommen wird .

Meine Damen und Herren, der Kollege Henke hat
es schon angesprochen, aber es ist auch mir sehr wich-
tig, noch einmal darauf hinzuweisen: Die Quote bei der
Durchführung der Rehabilitation bei Pflegebedürftigen
ist nach wie vor viel zu gering . Wir alle wissen hier, dass
Rehabilitation Pflege hinauszögert oder eine Verschlech-
terung verhindert . Deshalb muss der Grundsatz „Reha
vor Pflege“ mit wirklich sehr viel mehr Leben erfüllt
werden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Gesetzgeberisch haben wir in einem der letzten Pfle-
gestärkungsgesetze den Begutachtungsstandard noch
einmal optimiert . Es gab auch eine Steigerung der Emp-
fehlungsquote, aber, wie gesagt, es ist noch Luft nach
oben .

Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt eingehen,
der mir wichtig ist, weil ich hier während meiner haus-
ärztlichen Tätigkeit massive Defizite erlebt habe. Wir
hatten eine echte Versorgungslücke bei der sogenannten
Übergangspflege, also bei kurzfristigem zeitlich begrenz-
tem pflegerischem Bedarf, zum Beispiel nach einem
Krankenhausaufenthalt oder einer schweren Erkrankung
zu Hause. Jetzt sind die erforderliche Grundpflege und
die hauswirtschaftliche Versorgung oder auch notwendi-
ge stationäre Kurzzeitpflege sichergestellt.

Wichtig ist auch, dass wir den Betreuungsschlüssel
in den stationären Einrichtungen deutlich verbessert ha-
ben; denn genauso wichtig wie eine gute pflegerische

Versorgung ist die Hinwendung: Zeit zum Vorlesen, zum
Spazierengehen, zum Basteln oder auch nur, um einfach
am Bett zu sitzen und die Hand zu halten . Wir haben die
Anzahl der Betreuungskräfte verdoppelt .

Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich
Ihre Aufmerksamkeit noch auf ein weiteres wichtiges
Thema lenken . Das ist die hausärztliche und fachärztli-
che Versorgung in Heimen. Mit der Verpflichtung, Ko-
operationsverträge zu vereinbaren, konnte hier in Teilen
eine wirkliche Verbesserung erreicht werden . Auch für
die zahnärztliche Versorgung haben wir Regelungen ge-
troffen. Doch meine ich, dass die Situation hier insgesamt
noch nicht befriedigend ist . Ich war erst gestern Abend
auf einer Veranstaltung, die sich mit der augenärztlichen
Versorgung von Heimbewohnern befasste . Kolleginnen
und Kollegen, es ist nicht zu akzeptieren, dass jeder fünf-
te Heimbewohner unzureichend mit Sehhilfen versorgt
ist oder akute und chronische Augenerkrankungen nur
ungenügend einer Therapie zugeführt werden . Ich glau-
be, da haben wir noch erheblichen Handlungsbedarf .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Kolleginnen und Kollegen, das Thema Pflege ist ein
facettenreiches Querschnittsthema, das mit Blick auf
den demografischen Wandel und immer neue Heraus-
forderungen kontinuierlich weiterentwickelt und an die
Bedürfnisse angepasst werden muss . Wir haben in dieser
Legislaturperiode sehr viel auf den Weg gebracht, aber
uns geht die Arbeit in der nächsten ganz gewiss nicht aus .

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822904700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/11722 und 18/10707 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der durch die Europäi-
sche Union geführten EU NAVFOR Somalia
Operation Atalanta zur Bekämpfung der Pi-
raterie vor der Küste Somalias

Drucksache 18/11621
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Sabine Dittmar






(A) (C)



(B) (D)


Für die Aussprache sind nach einer interfraktionel-
len Vereinbarung 25 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für
die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Dr . Ralf Brauksiepe das Wort .

D
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1822904800


Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Das Hohe Haus hat gestern Abend dan-
kenswerterweise die Fortsetzung der Beteiligung der
Bundeswehr an der EU-geführten Ausbildungs- und Be-
ratungsmission EUTM Somalia beschlossen . Im Rahmen
der Beratung dieses Mandats ist hier im Plenum wie auch
bei der Ausschussbefassung ja schon über die nach wie
vor schwierige Situation Somalias und über die Entwick-
lung, die dieses Land in den vergangenen Jahren genom-
men hat, gesprochen worden . Ich erinnere ausdrücklich
an diese Debatte, weil ja mit Recht die Erwartung dieses
Hohen Hauses besteht, dass wir eine nachhaltige, eine
kohärente Strategie in Bezug auf diesen Krisenherd So-
malia verfolgen, eines der ersten Länder, über die im Zu-
sammenhang mit dem Begriff „Failed State“ gesprochen
worden ist .

Insofern ist es wichtig, dass wir uns noch einmal deut-
lich machen: Wir sind bei EUTM Somalia engagiert, es
gibt die Mission EUCAP Somalia, es gibt den Polizeiauf-
bau im Rahmen der VN-Mission UNSOM und die Un-
terstützung der Friedensmission AMISOM . Gemeinsam
mit diesen Operationen trägt die Operation Atalanta zur
Stabilisierung und Befriedung dieser Region bei . Das ist
notwendig, und es ist ein kohärenter Ansatz . Es ist wich-
tig, dass wir den Teil Atalanta in dieses Gesamtkonzept
einbauen . Darum geht es heute in dieser Debatte . Es ist
wichtig, dass wir der Region insgesamt helfen, dass wir
stabilisieren und befrieden . Dazu tragen wir heute bei,
liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Seegebiet vor dem Horn von Afrika ist ein wich-
tiges Seegebiet, ist eine wichtige Handelsroute auch zwi-
schen Europa, der Arabischen Halbinsel und Asien . Das
zu sagen, bedeutet nicht, irgendetwas einzuräumen . Dass
die Operation Atalanta auch die Wahrung des legitimen
Interesses beinhaltet, dass diese Handelsroute vital bleibt,
ist richtig und gehört auch zu dem, was wir uns vorge-
nommen haben . Denn eine sichere Seeverbindung ist für
den Souveränitätsanspruch Somalias und natürlich auch
für die humanitäre Hilfe des Welternährungsprogrammes
bedeutsam . Auch dem dient es, diese Handelsroute zu er-
halten, zu sichern und zu schützen . Auch darum geht es,
und auch dafür stehen wir ein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Jahr 2011 wurden in den Gewässern vor Somalia
253 Piratenangriffe registriert. Es gab 26 entführte Han-
delsschiffe, 35 entführte Daus, 192 versuchte Entführun-
gen . Dabei reden wir ja nicht nur über einen erheblichen

wirtschaftlichen Schaden, sondern wir reden auch über
sehr großes menschliches Leid, über Angst, über Sorgen
der Menschen . Dieses Leid zu verhindern, ist auch Auf-
gabe dieser Mission, der sie mit Erfolg nachgekommen
ist . Auch die Entführung der „Aris 13“, über die wir erst
vor kurzem gehört haben, ändert an dieser Einschätzung
nichts . Diese Mission zur Bekämpfung der Piraterie ist
erfolgreich . Deswegen ist es wichtig, dass wir diesen er-
folgreichen Weg weitergehen . Denn kriminelle Netzwer-
ke an Land sind weiterhin intakt, und sie sind weiterhin
in der Lage, mindestens punktuell für Bedrohungen der
Schifffahrtswege am Horn von Afrika zu sorgen. In die-
sem Zusammenhang dient das militärische Engagement
im Rahmen der Operation Atalanta als Rückversicherung
zur See für die umfassenden Stabilisierungsbemühungen
der EU an Land und im angrenzenden Küstenmeer .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allein über
6 Millionen Somaliern, die von humanitärer Hilfe abhän-
gig sind, sind Einschränkungen, insbesondere was die
Versorgung mit Gütern des Welternährungsprogrammes
angeht, nicht hinnehmbar . Uns ist sehr bewusst, welche
schwierige und katastrophale wirtschaftliche Lage in der
Region besteht . Von der Hungersnot ist nicht nur Somalia
betroffen. Auch der Südsudan, Jemen und Nigeria sind
bedroht . Es ist wichtig, dass wir diese Routen freihalten,
damit auch die dringend notwendige humanitäre Hilfe
die Menschen in Somalia erreichen kann .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dirk Vöpel [SPD])


Um das bisher mit der Operation Atalanta Erreichte
nachhaltig zu bewahren und in die Zukunft zu überfüh-
ren, wird die EU bis Ende dieses Jahres eine Transitions-
strategie vorlegen . Mit der unveränderten Fortsetzung
unserer Beteiligung an Atalanta um ein weiteres Jahr er-
gänzen wir einerseits unser vernetztes Engagement am
Horn von Afrika im Rahmen des umfassenden Ansatzes
der EU und begleiten andererseits diese Transition von
Atalanta konstruktiv . Denn Somalia braucht weiterhin in-
ternationale Unterstützung auf dem Weg zu Frieden und
Stabilität .

Man wird und muss weiterhin über vieles sprechen,
was es an Unzulänglichkeiten in Somalia und der an-
grenzenden Region gibt . Ich rate uns noch immer, liebe
Kolleginnen und Kollegen, nicht nur das zu beschreiben,
was nicht funktioniert, sondern sich die Frage zu stellen:
Was wäre in und um Somalia besser, wenn wir nicht dort
wären? Die Antwort ist: Nichts wäre besser . Vieles wäre
noch schlimmer . – Deswegen ist es wichtig, dass wir blei-
ben . Für diese Unterstützung bitte ich um Ihre Stimme .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822904900

Als nächster Redner spricht Dr . Alexander Neu für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822905000

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau

Präsidentin! Gestern wie heute sprechen wir über So-
malia . Gestern ging es um die Verlängerung von EUTM
Somalia, heute reden wir über die Verlängerung von
Atalanta .

Atalanta läuft seit 2008. Wir befinden uns also jetzt
im zehnten Jahr der Mission Atalanta . Ein Ende der Mis-
sion ist nicht abzusehen, es gibt ein paar vage Andeu-
tungen . Das wurde gerade gesagt, aber es sind Zweifel
angebracht .

Für den Mandatszeitraum 2017 bis 2018 wird diese
Mission die Steuerzahler – Sie da oben also –


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: „Sie da oben“! Was ist das denn?)


erneut 63 Millionen Euro kosten . Fragen wir einmal nach
Erfolg oder Misserfolg der Mission Atalanta . Atalanta, so
sagt die Bundesregierung, habe dazu beigetragen, die Pi-
raterie am Horn von Afrika erfolgreich zurückzudrängen .
Die Symptombekämpfung war also erfolgreich . Hier
kann man zustimmen . Demgegenüber ist die Ursachen-
bekämpfung nach wie vor nicht angegangen worden .
Nach wie vor finden illegale Fischereien fremder Flotten
statt, auch im Binnenmeer, auch im Küstenmeer von So-
malia . Das raubt den Fischern die Lebensgrundlage, die
sich dann anderen Erwerbstätigkeiten wie der Piraterie
zuwenden . Diese Duldung unter den Augen von Atalan-
ta, dass dort fremde Flotten illegal fischen, kann ich nicht
nachvollziehen . Das wäre eine Ursachenbekämpfung .
Das heißt, der einzig richtige Weg, den es gibt, das zu
verhindern, wird nicht beschritten . Ich habe bisher noch
keine einzige zufriedenstellende Erklärung gehört, wa-
rum Atalanta hier nichts unternimmt . Man könnte den
Eindruck gewinnen, es geht nicht um die Menschen, es
geht auch nicht um die Stabilität des Landes,


(Zuruf von der SPD: Es geht um die Fische!)


sondern es geht in erster Linie um Interessen – das wurde
gerade auch dargelegt –, es geht um Handelswege .

Die Lebenssituation der Menschen in Somalia ver-
bessert sich derzeit nicht, sondern verschlimmert sich
dramatisch angesichts der anhaltenden Dürre, auch ver-
ursacht durch den Klimawandel, der vor allem von den
Industriestaaten und somit auch von Deutschland mit zu
verantworten ist . Nigeria, Südsudan, Somalia – die Men-
schen dort sind akut vom Hungertod bedroht: Frauen,
Kinder, Männer . Insgesamt leiden rund 20 bis 25 Millio-
nen Menschen an Hunger, sind vom Hungertod bedroht,
rund 6,2 Millionen Menschen allein in Somalia, etwa die
Hälfte der Einwohner Somalias .

D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1822905100
Wir tragen doch 16,5 Mil-
lionen Euro gegen den Hungertod bei . 16,5 Millionen
Euro bei 6,2 Millionen Menschen, die akut vom Hun-
gertod bedroht sind, das sind umgerechnet 2,60 Euro für
einen einzigen Tag, Herr Roth, nicht täglich 2,60 Euro,
sondern für einen einzigen Tag . Steigt da nicht die Scha-
mesröte in Ihr Gesicht, bei einer solchen Aussage und ei-

ner solch großzügigen Spende? Das ist ein Skandal, sehr
geehrte Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Atalanta schützt doch!)


Allein das geplante Einsatzjahr 2017/2018 von
Atalanta soll 63 Millionen Euro kosten, also das Vier-
fache dessen, was Sie spenden wollen. Ich finde, so ein
Zahlenverhältnis sagt mehr aus als tausend moral- und
wertegeschwängerte Sonntagsreden seitens der Bundes-
regierung .


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Das ist eine Sonntagsrede von dir!)


Wenn es um Militär geht, sprudeln die Steuergelder .
Wenn es um zivile Hilfe geht, weiß man nicht, wo Geld
ist . Künftig sollen bis zu 35 Milliarden Euro zusätzlich
in die Bundeswehr investiert werden, weil US-Präsident
Trump es will, weil sich die Rüstungsindustrie freut, um
das 2-Prozent-Ziel der NATO zu erreichen . Warum sage
ich das? Das Verhältnis 35 Milliarden Euro zu 16,5 Mil-
lionen Euro, die die Bundesregierung großzügig nach So-
malia spendet, beträgt 2 150 : 1, also nicht 3-mal so viel,
nicht 7-mal so viel, sondern 2 150-mal so viel. Ich finde,
sehr geehrte Damen und Herren, verantwortungsvolle
Außenpolitik sieht anders aus .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Das war wirklich Quatsch, Alexander! Entschuldigung!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822905200

Als nächster Redner spricht Dirk Vöpel für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dirk Vöpel (SPD):
Rede ID: ID1822905300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir beraten jetzt zum dritten Mal innerhalb der letzten
24 Stunden über die Lage in den Krisenregionen in Ost-
afrika und rund um das Horn von Afrika . Vielleicht ist
das Zufall, aber der Zeitpunkt für diese Debatten könnte
kaum aktueller gewählt sein . Denn in Ländern wie So-
malia, Nigeria und dem Jemen droht eine Hungerkata-
strophe, wie sie die Welt seit vielen Jahren nicht mehr ge-
sehen hat . In Teilen des Südsudan, über den wir gestern
Nachmittag gesprochen haben, musste die Hungersnot
bereits offiziell ausgerufen werden. Auch in Äthiopien
und Kenia spitzt sich die Situation aufgrund der anhal-
tenden Rekorddürre weiter zu .

In Somalia, diesem von Bürgerkrieg, Hunger und
Krankheit geschundenen Land, hängt das Überleben von
Millionen Menschen davon ab, dass die Schiffe des Welt-
ernährungsprogramms mit ihren Lebensmittellieferun-
gen die Häfen sicher anlaufen können .


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Genau!)







(A) (C)



(B) (D)


Dazu leistet die europäische Marinemission Atalanta zur
Bekämpfung der Piraterie entlang der 3 300 Kilometer
langen Küste Somalias einen wesentlichen Beitrag .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch den Golf von
Aden und die angrenzenden Seegebiete im Indischen
Ozean und im Roten Meer verläuft eine Hauptschlag-
ader des Welthandels. Mehr als 20 000 Schiffe, die über
90 Prozent des Handelsvolumens zwischen Europa, Afri-
ka und Asien befördern, passieren diese Gewässer jedes
Jahr . Dieser Seeweg ist aber auch die humanitäre Na-
belschnur, über die der regelmäßige Fluss von Hilfslie-
ferungen für die Hungergebiete Ostafrikas sichergestellt
werden kann . Das Letzte, was wir angesichts der ohnehin
schon gigantischen Probleme in dieser Region brauchen,
ist das Wiederaufflammen des somalischen Piratenunwe-
sens .

Atalanta ist und bleibt ein europäisches Erfolgspro-
jekt . Diese Operation der Gemeinsamen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik hat seit der ersten Mandatierung im
Jahr 2008 im Zusammenwirken mit anderen Staaten und
privaten Akteuren ganz unbestreitbar positive Fakten ge-
schaffen. Die Piraterie konnte drastisch zurückgedrängt
werden . Seit 2012 ist es den Piraten fast fünf Jahre lang
nicht ein einziges Mal gelungen, ein Schiff in ihre Ge-
walt zu bringen . Auf dem Höhepunkt der Piratenkrise im
Januar 2011 wurden noch über 700 Seeleute auf mehr
als 30 Schiffen als Geiseln gehalten. Gegenwärtig sind
es keine . Die seegehenden Einheiten von Atalanta haben
mehr als 400 Schiffe des Welternährungsprogramms der
UNO und weit über 100 Versorgungstransporte für die
AMISOM-Friedenstruppe der Afrikanischen Union si-
cher in die somalischen Häfen eskortiert .

Vor etwas mehr als zwei Wochen, am 13 . März, ist es
einer Gruppe Somalier erstmals seit einem halben Jahr-
zehnt wieder gelungen, ein Schiff zu kapern. Glückli-
cherweise konnte diese Entführung nach vier Tagen ohne
Blutvergießen und angeblich auch ohne Lösegeldzah-
lung beendet werden, übrigens unter maßgeblicher Mit-
wirkung von Atalanta-Kräften vor Ort und im operativen
Hauptquartier in Northwood. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, dieser Vorfall markiert noch keine Trendwen-
de, und er ist sicher auch nicht das Fanal zur Rückkehr
der Piraterie auf breiter Front . Aber wir sollten diese Ent-
führung als Warnschuss verstehen: Die bisher erreichten
Erfolge sind nicht in Stein gemeißelt oder unumkehrbar,
es kann auch wieder schlimmer werden .

Die somalischen Piraten werden derzeit durch die
robuste Marinepräsenz und die erfolgte Aufrüstung der
Handelsschifffahrt abgeschreckt. Wir haben die Sympto-
me im Griff. Die tieferen Ursachen für die Piraterie lassen
sich hierdurch aber nicht beseitigen . Für eine nachhalti-
ge Sicherung der Seewege kommt es vor allem darauf
an, den Fortschritt beim Aufbau staatlicher Strukturen in
Somalia, einschließlich des Aufbaus der Fähigkeiten der
Sicherheitsbehörden an Land und zur See, weiter voran-
zutreiben . Ziel bleibt, die somalischen Behörden in die
Lage zu versetzen, die Kontrolle über das gesamte Staats-
gebiet einschließlich des angrenzenden Küstenmeers au-

tonom auszuüben . Die demokratischen Fortschritte bei
den Parlamentswahlen und der anschließenden Wahl des
neuen somalischen Präsidenten am 8 . Februar 2017 sind
ermutigende Teilerfolge .

Die EU engagiert sich mit ihrem umfassenden Ansatz
am Horn von Afrika . Neben substanziellen Finanzbeiträ-
gen an die AU-Mission AMISOM ist die EU in erhebli-
chem Maße involviert: politisch, entwicklungspolitisch
und humanitär . Im Rahmen der GSVP ist die Europäi-
sche Union neben Atalanta auch mit der zivilen Mission
EUCAP Somalia sowie der Ausbildungsmission EUTM
Somalia aktiv; wir haben gestern die deutsche Beteili-
gung an dieser Mission um ein Jahr verlängert . In diesem
Zusammenhang dient das militärische Engagement im
Rahmen der Operation Atalanta als „Rückversicherung
zur See“ für den umfassenden Stabilisierungsansatz der
EU an Land .

Mit Blick auf die weitere Zukunft der Operation und
die im laufenden Jahr 2017 zu erarbeitende Anpassungs-
strategie kann das nur heißen: Bloß nichts überstürzen!
Bewährte und eingespielte Strukturen lassen sich leider
viel leichter abwickeln als wieder aufbauen . Wir sollten
die erreichten Erfolge jedenfalls nicht leichtfertig aufs
Spiel setzen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Beitrag der
Bundeswehr kann sich sehen lassen: Seit der Erstman-
datierung vor fast 10 Jahren hat die deutsche Marine re-
gelmäßig Fregatten, Korvetten, Einsatzgruppenversorger
und vor allem auch Seefernaufklärer in den Einsatz am
Horn von Afrika entsandt . Zurzeit dienen insgesamt über
90 Soldatinnen und Soldaten unter dem neuen deutschen
Kontingentführer, Fregattenkapitän Heiko Millhahn, bei
Atalanta . Seien Sie von dieser Stelle herzlich gegrüßt .

Mein Dank gilt den mittlerweile mehr als 10 000 An-
gehörigen der Bundeswehr, die seit 2008 dazu beigetra-
gen haben, die Seewege rund um das Horn von Afrika
zu sichern . Sie haben einen hervorragenden Job gemacht .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822905400

Jürgen Trittin hat als nächster Redner das Wort für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822905500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja,

Atalanta macht Sinn . Anders als zum Beispiel für den
Einsatz von deutschen Tornados über Syrien gibt es hier
eine eindeutige völkerrechtliche Grundlage . Atalanta
schützt im europäischen Verbund internationale Rechts-
güter . Der Zugang zum Beispiel der internationalen
Hilfsorganisationen nach Somalia und übrigens auch der
Schutz der Seewege im Sinne der Seerechtsübereinkünf-

Dirk Vöpel






(A) (C)



(B) (D)


te sind internationale Rechtsgüter . Sich daran zu beteili-
gen, ist sinnvoll .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nun muss man eines dazusagen: Die Bundesregierung
hat einen Anteil daran, dass der Erfolg der Mission ge-
fährdet ist . Herr Vöpel, Sie haben es eben gesagt: Es gab
zum ersten Mal seit langem wieder einen Piratenüberfall .
Das hat Ursachen, und diese Ursachen können Sie am
heutigen Tag festmachen .

Heute ist der letzte Tag des Monats März . Bis heute
wollten die Vereinten Nationen von ihren Mitgliedstaa-
ten 4,4 Milliarden Euro haben, um 20 Millionen Men-
schen, die in dem Gürtel von Somalia bis rüber nach Ni-
geria leben, vor akutem Verhungern zu bewahren . Und es
ist eine Schande, eine moralische Schande, dass dies bis
heute nicht gelungen ist . Auch Deutschland hat sich nicht
entsprechend seinen Beiträgen beteiligt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg . Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD])


Was hat das mit Atalanta zu tun? Sehr viel! Denn die
unzureichende Finanzierung des World Food Programme
führt dazu, dass nicht in großem Stil und mit langfris-
tigen Verträgen eingekauft werden kann . Das heißt, sie
kriegen für das gleiche Geld weniger . „Weniger“ heißt,
weniger zu transportieren . Man braucht keine großen
Schiffe mehr einzusetzen. Man setzt kleinere Schiffe
ein. Was heißt das vor Somalia? Kleinere Schiffe werden
schneller Opfer von Piraterie . Das heißt, Ihr Versagen bei
der humanitären Hilfe gefährdet den Erfolg, weil Pirate-
rie begünstigt wird . Deswegen glaube ich, Sie sollten in
sich gehen und sehr schnell dafür sorgen, dass Deutsch-
land wenigstens seinen Teil erfüllt . Sie können sich doch
nicht ernsthaft die Logik von Donald Trump zu eigen
machen: Ich gebe mehr fürs Militär aus und nehme das
Geld dafür aus dem Topf für die Entwicklungshilfe . Das
wird nicht funktionieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Tino Sorge [CDU/ CSU]: Ich glaube, Sie sollten in sich gehen!)


Sie haben recht, Herr Neu: Nötig wäre es auch, Maß-
nahmen zu ergreifen, damit dort nicht weiter illegal ge-
fischt wird und Ähnliches. Aber dadurch, dass Sie das
feststellen, wird daraus kein Argument gegen Atalanta;
denn selbst wenn Sie solche Maßnahmen ergreifen wür-
den, müssten Sie kurzfristig dafür sorgen, dass beispiels-
weise die Versorgung von AMISOM und des World Food
Programme durchkommt .

Jetzt komme ich zu einem Punkt, der mich immer ein
bisschen wundert, liebe sozialdemokratischen Freundin-
nen und Freunde .


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Ein bisschen Wahlkampf, was?)


– Nein, es geht gar nicht um Wahlkampf . – Wir waren
uns mal einig:


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Ja, eben!)


Diese Mission ist in Ordnung; aber man darf diese Mis-
sion nicht dadurch belasten, dass man gleichzeitig das
Mandat erteilt, in Somalia an Land selber Krieg zu füh-
ren . – Jetzt stellen wir fest: Es ist überaus unklar, wie
lange die Mission noch laufen wird . In den letzten fünf
Jahren, seit diese Option besteht, ist diese Option ein
einziges Mal genutzt worden . Welchen Grund gibt es ei-
gentlich, diese Option angesichts einer, zumindest was
die EU angeht, auslaufenden Mission weiterhin aufrecht-
zuerhalten? Wäre es nicht jetzt an der Zeit, zu sagen: Wir
konzentrieren uns auf das, was nötig ist; wir sichern die
Versorgung der Menschen, indem wir genug Geld zur
Verfügung stellen; wir sichern die Transporte ab, aber
wir hören auf, an Land Krieg zu spielen . Für ein solches
Mandat hätten Sie hier eine sehr breite Mehrheit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822905600

Als letzte Rednerin in der Aussprache hat Julia

Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1822905700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen!

Die Menschen in Somalia stehen vor einer huma-
nitären Katastrophe . 6,2 Millionen Menschen hun-
gern, davon allein 300 000 Kinder . Wenn nicht
schnell Hilfe ankommt, werden Tausende Men-
schen sterben .

Mit diesen Worten hat Ihre Kollegin von der Linken
gestern die Situation in Somalia beschrieben . Ja, die
Menschen am Horn von Afrika leiden, und sie brauchen
unsere Hilfe . Aber damit diese Hilfe ankommen kann,
brauchen wir die Operation Atalanta: um die Schiffe des
Welternährungsprogramms zu schützen .

Mit diesem maritimen Einsatz wurden die Piraten
am Horn von Afrika zurückgedrängt . In der Hochphase,
2011, gab es rund 250 Piratenangriffe. 30 Schiffe und
900 Menschen waren in der Gewalt von Piraten . Die
Schiffe des Welternährungsprogramms wurden zu dieser
Zeit mehrmals wöchentlich angegriffen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822905800

Frau Obermeier, lassen Sie eine Zwischenfrage des

Abgeordneten Neu zu?


Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1822905900

Ja, bitte .


Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822906000

Geschätzte Kollegin Obermeier, wir reden gerade wie-

der über Symptombekämpfung: World Food Programme
etc . Aber es geht doch darum, dass das Land, dass die
Gesellschaft in Somalia zumindest mittel- und langfris-
tig wieder auf eigenen Beinen stehen kann . Ich habe es
gerade angesprochen – der Kollege Trittin auch –: Wa-
rum wird Atalanta nicht in die Lage versetzt, die Raubfi-

Jürgen Trittin






(A) (C)



(B) (D)


scherei im Hoheitsgebiet des somalischen Küstenmeeres
zu unterbinden? Warum duldet man das? Warum schaut
man zu? Haben Sie dafür eine Begründung?


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie mehr Atalanta? Stimmen Sie da zu? – Gegenruf des Abg . Tino Sorge [CDU/CSU]: Lassen Sie sie doch mal antworten! Das hilft beim Erkenntnisgewinn! Wirklich!)



Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1822906100

Herr Kollege Neu, es geht bei den Problemen in So-

malia nicht allein um die Raubfischerei. Die Ursachen
liegen tiefer . Die Bundesregierung verfolgt einen ver-
netzten Ansatz mit Maßnahmen im Bereich Polizei, mit
Maßnahmen zum Aufbau staatlicher Strukturen und zur
Stärkung der eigenen Sicherheitsstrukturen in Somalia .
Darauf gehe ich später in meiner Rede noch ein .


(Beifall bei der CDU/CSU – Tino Sorge [CDU/ CSU], an den Abg . Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE] gewandt: Dann haben Sie ja was, worauf Sie sich freuen können, Herr Kollege! – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das war nicht die Antwort! – Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du kannst ja das Willy-Brandt-Korps einsetzen!)


Seit fast fünf Jahren gab es keine Piratenangriffe
mehr in der Region . Nur so erreichen die Lieferungen
des Welt ernährungsprogramms ihr Ziel, nämlich die not-
leidende Bevölkerung von Somalia . Freie und sichere
Seewege sind wichtig für die humanitäre Hilfe und auch
für den internationalen Handel . Allerdings wurde vor gut
zwei Wochen erstmals wieder ein Schiff von somalischen
Piraten gekapert . Das zeigt: Sobald die internationale
Gemeinschaft hier nachlässt, schlagen die Piraten wieder
zu . Deshalb brauchen wir die Mission auch in Zukunft,
und deshalb braucht es auch weiterhin die Unterstützung
der Bundeswehr .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Seit 2008 beteiligt sich die Bundeswehr mit Schiffen,
Booten und Flugzeugen, aktuell mit einem Seeaufklä-
rungsflugzeug. Ebenso wichtig ist uns aber auch, Herr
Neu, der Aufbau Somalias . Derzeit setzt Deutschland
hierfür in der Entwicklungszusammenarbeit Mittel in
Höhe von über 100 Millionen Euro ein . Deutschland ist
damit der viertgrößte internationale Geldgeber . Diese
Hilfe ist aufgrund der Dürre und der drohenden Hungers-
not dringend notwendig . Denn die Dürre bedroht auch
die möglichen politischen Fortschritte nach der Wahl, die
im Februar stattgefunden hat . Der neue Präsident Far-
majo gilt als relativ unabhängiger Kandidat . Er hat der
Korruption den Kampf angesagt. Das ist ein Hoffnungs-
schimmer . Aber neben der dringend notwendigen Versor-
gung der Bevölkerung liegen weitere Mammutaufgaben
vor ihm, insbesondere beim Aufbau staatlicher Struktu-
ren und starker Sicherheitskräfte .

Auch hier unterstützten die internationale Gemein-
schaft und Deutschland Somalia . Deutschland stellt der-
zeit bis zu fünf Polizisten, darunter den Leiter der Polizei-

komponenten, in der politischen Unterstützungsmission
UNSOM . Auch beteiligen wir uns an EUTM Somalia,
die mehr als eine reine Ausbildungsmission ist . Sie unter-
stützt auch die somalischen Behörden bei der Errichtung
starker staatlicher Strukturen . Im Rahmen von EUCAP
Somalia bilden wir Küstenschutzkräfte für den Aufbau
einer somalischen Küstenwache aus . Das ist natürlich
besonders wichtig, damit die Somalier selbst gegen Pira-
ten und gegen illegale Fischerei in ihren Hoheitsgebieten
vorgehen können . Es ist ein Fortschritt, meine Damen
und Herren, dass die somalische maritime Polizeieinheit
seit kurzem in der Bucht von Mogadischu patrouilliert .

Deutschland verfolgt in Somalia einen umfassenden
Ansatz, der sowohl sicherheitspolitische als auch ent-
wicklungspolitische Instrumente miteinander vernetzt .
Auch wenn auf EU-Ebene eine Strategie erarbeitet wird,
wie die Antipirateriemission eines Tages beendet werden
kann, ist klar, dass wir hier einen langen Atem brauchen
werden, um eines der ärmsten Länder der Welt, Soma-
lia, nachhaltig zu stabilisieren . Deshalb unterstützen wir
diese erfolgreiche maritime Mission Atalanta auch wei-
terhin .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822906200

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11621 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . – Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich komme zum nächsten Tagesordnungspunkt . Ich
bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zu wech-
seln, damit wir in unseren Beratungen zügig fortfahren
können .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des E-Government-Gesetzes

Drucksache 18/11614

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Parlamentarische Staatssekretär Dr . Ole Schröder für die
Bundesregierung das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Alexander S. Neu






(A) (C)



(B) (D)


D
Dr. Ole Schröder (CDU):
Rede ID: ID1822906300


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In Zeiten der Digitalisierung sind Daten ein im-
mer wichtiger werdender Rohstoff.


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!)


Der Staat verfügt über einen enormen Datenschatz, der
für unterschiedliche Geschäftsmodelle genutzt werden
kann .

Open Data, also offene Daten, beschreibt ein Konzept,
bei dem diese Daten für jedermann ohne Zugangsbe-
schränkungen frei verfügbar sind . Dazu müssen sie unbe-
arbeitet und vor allen Dingen maschinenlesbar sein . Die
Daten können dann nachgenutzt und verbreitet werden,
soweit keine Rechte Dritter entgegenstehen . Wir wollen
dem Prinzip der offenen Daten mit diesem Gesetzentwurf
endlich zum Durchbruch verhelfen, meine sehr verehrten
Damen und Herren .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön wär’s!)


Der gewünschte Grad an Transparenz und Offenheit
erfordert ein Umdenken in der Verwaltung . Der dazu not-
wendige Kulturwandel setzt eine klare Legitimation und
vor allen Dingen Sicherheit für die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter in den Behörden des Bundes voraus . Will
Deutschland die Vorteile offener Daten in vollem Um-
fang nutzen können, muss dieser Prozess durch gesetz-
liche Regelungen begleitet und vorangetrieben werden .

Bereits im Dezember des vergangenen Jahres hat die
Bundesregierung die Teilnahme Deutschlands an der in-
ternationalen Open Government Partnership erklärt . Wir
haben damit ein klares Signal für offenes und transpa-
rentes Handeln gesetzt . Der vorgelegte Gesetzentwurf ist
ein wichtiger Meilenstein auf diesem Weg, meine sehr
verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Gesetzentwurf setzt zentrale Kriterien für Open
Data um: die entgeltfreie Bereitstellung und den freien
Zugang zu den Daten sowie die Maschinenlesbarkeit .
Vor allem läuten wir einen Paradigmenwechsel im Um-
gang mit aus Steuergeldern finanzierten Daten ein. Die-
se müssen künftig standardmäßig veröffentlicht werden.
Dieses Prinzip des „Open Data by default“ führt dazu,
dass bei allen Daten zu fragen ist, warum sie nicht ver-
öffentlicht werden können, anstatt zu fragen, warum sie
veröffentlicht werden müssen.

Bei der Erstellung des Gesetzentwurfs mussten auch
die zu erwartenden Aufwände und die rechtlichen Rah-
menbedingungen für die Herausgabe von Daten berück-
sichtigt werden . Der Entwurf beschränkt sich daher auf
sogenannte Rohdaten . Berichte, Stellungnahmen, Be-
wertungen oder gar sensible Daten sind nicht erfasst;
denn deren Bereitstellung ist durch das Informationsfrei-
heitsgesetz geregelt .

Der Gesetzentwurf wahrt die Arbeitsfähigkeit der Ver-
waltung . Gerade im Bereich der Sicherheitsbehörden ist

es natürlich Voraussetzung für erfolgreiche Arbeit, dass
nicht alle Daten und Informationen öffentlich sein kön-
nen . Personenbezogene Daten sind selbstverständlich
zu schützen und nicht zu veröffentlichen. Auch der Zeit-
punkt der Freigabe von sensiblen Informationen kann
relevant sein . Deshalb sind im vorliegenden Gesetzent-
wurf entsprechende Ausnahmen aufgeführt . Ziel bei der
Umsetzung wird sein, möglichst viele Daten zu veröf-
fentlichen und nicht möglichst viele Ausnahmegründe
anzuwenden .

Die Auffindbarkeit wird über die von Bund und Län-
dern gemeinsam betriebene zentrale Open-Data-Platt-
form sichergestellt . Die Konferenz der Ministerpräsi-
dentinnen und Ministerpräsidenten der Länder hat auch
beschlossen, dass die Länder ebenfalls Open-Data-Re-
geln erlassen werden . Sie werden sich dabei an den Re-
gelungen des Bundes orientieren . Deshalb ist es notwen-
dig, dass wir das auf den Weg bringen . Der Bund nimmt
deshalb mit diesem Gesetzentwurf eine Vorreiterrolle
ein, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Sebastian Hartmann [SPD])


Wirklich erfolgreich kann Open Data jedoch nur wer-
den, wenn alle Ebenen wirklich an einem Strang ziehen,
das Thema gemeinsam als Chance begreifen und den
Kulturwandel in den Verwaltungen auf den unterschied-
lichen Ebenen vorantreiben . Die Bundesregierung will
ihren Teil dazu beitragen sowie Open Data fordern und
fördern . Der vorgelegte Gesetzentwurf ist hierfür ein
wichtiger Meilenstein .

Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822906400

Dr . Petra Sitte hat als nächste Rednerin für die Frakti-

on Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822906500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Es ziemt dem Untertanen nicht, an die Handlungen
der Obrigkeit den Maßstab seiner beschränkten Ein-
sicht anzulegen . . .

So wird der preußische Innenminister von Rochow aus
dem Jahr 1838 zitiert . Damit ist auch das Staatsverständ-
nis auf den Punkt gebracht, dem wir historisch das Prin-
zip des Aktengeheimnisses verdanken . Wenn auch spät,
wurde dies in Deutschland 2005 durch das Informations-
freiheitsgesetz erstmals aufgebrochen und mit ihm ein
voraussetzungsloses Recht auf staatliche Informationen
geschaffen. Wenn es aber darum geht, dass die öffentli-
che Hand einen Schritt weiter geht und von sich aus In-
formationen und Daten zur Verfügung stellt, bleiben wir
noch weit hinter dem Möglichen zurück . Dabei gibt es
hier ein enormes Potenzial, was den öffentlichen Nutzen
anbetrifft.






(A) (C)



(B) (D)


Nun liegt uns nach Jahren der Ankündigungen der
Entwurf eines Open-Data-Gesetzes vor . Besser spät als
nie, könnte man sagen . Aber statt dem Vorbild mehrerer
Bundesländer zu folgen und das Informationsfreiheits-
gesetz zu einem echten Transparenzgesetz weiterzuent-
wickeln, wie wir, die Linke, es hier zuletzt im Februar
vergangenen Jahres beantragt hatten, verbleibt der Vor-
schlag in einem sehr kleinen Rahmen;


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rähmchen!)


das hat ja auch der enthusiastische Beitrag von Herrn
Schröder gezeigt .


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)


Weder schafft er tatsächlich ein durchsetzbares Recht
auf die Veröffentlichung von Daten, noch erfasst er mehr
als einen kleinen Ausschnitt der Bereiche, in denen offe-
ne Daten nutzbringend eingesetzt bzw . genutzt werden
könnten;


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Haben Sie den Text eigentlich gelesen?)


denn laut Entwurfstext bestehen viele Einschränkungen
und Ausnahmen .

Demokratie und Mitbestimmung? Fehlanzeige . So ist
der Geltungsbereich des Gesetzentwurfs auf die unmit-
telbare Bundesverwaltung beschränkt . Das heißt also,
zahlreiche Behörden und andere, nachgelagerte Institu-
tionen mit durchaus interessanten Datenbeständen wer-
den überhaupt nicht erfasst . Er schließt beispielsweise
Daten aus, die für Forschungszwecke erhoben wurden .
Er schließt Daten aus, die vor Inkrafttreten des Gesetzes
erhoben wurden – selbst wenn sie veröffentlichungsbe-
reit vorliegen . Daten sollen auch dann aus dem Anwen-
dungsbereich fallen, wenn sie Verhältnisse der Behörde
selbst betreffen. Offene Haushaltsdaten oder Informatio-
nen zum Aktenbestand wird es dann also auch hier nicht
geben .

An dieser Stelle wird ein grundlegendes Problem
deutlich: Dem ganzen Entwurf liegt ein Verständnis von
Open Data zugrunde, das nur den Aspekt der wirtschaft-
lichen Verwertung in den Blick nimmt, nicht aber den
möglichen Gewinn an politischer Transparenz und damit
eben auch nicht den demokratischen Gewinn, der damit
verbunden sein könnte .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist eine sehr einseitige Sichtweise!)


Nur konsequent ist, dass im Vergleich zu früheren Ent-
würfen auch alle Bezüge darauf aus der Begründung ent-
fernt wurden . Damit bleibt die Bundesregierung hinter
dem zurück, was sie selbst in ihrer Digitalen Agenda for-
muliert hat .

Als wirklicher Schritt nach vorn bleibt hier allein die
Einrichtung einer zentralen Beratungsstelle zu nennen .
Gerade dabei ist aber umso unverständlicher, wieso die
Beratungsleistung nur der unmittelbaren Bundesverwal-

tung und nicht allen Behörden gleichermaßen zugute-
kommen soll .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Ansonsten gilt: Wenn dieser Gesetzestext die Grenzen
von Open Data für die Zukunft abstecken soll, so wird er
am Ende mehr Bremse als Motor sein .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822906600

Als nächster Redner hat Sebastian Hartmann für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1822906700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehr-

ten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Ja, das Open-Data-Gesetz liegt endlich vor, und es
kommt im ersten Regierungsentwurf zur Änderung des
E-Government-Gesetzes daher; das ist in der Tat richtig .

Selbstverständlich ist es so – da werbe ich um das Ver-
ständnis aller Kolleginnen und Kollegen hier im Hohen
Hause –: Wir befinden uns in der ersten Lesung, wir re-
den über einen Entwurf, und natürlich kann man einen
Entwurf noch verbessern . – Das soll aber nicht darüber
hinwegtäuschen, dass wir damit auch einer Vereinbarung
des Koalitionsvertrages nachkommen . An dieser Verein-
barung im Koalitionsvertrag werden wir Sozialdemokra-
tinnen und Sozialdemokraten uns auch messen lassen .
Sie lautete:

Die Bundesverwaltung muss auf Basis eines Ge-
setzes mit allen ihren Behörden Vorreiter für die
Bereitstellung offener Daten in einheitlichen ma-
schinenlesbaren Formaten und unter freien Lizenz-
bedingungen sein .

Darauf hatten wir uns damals geeinigt . Wir werden ein-
mal schauen, ob wir vielleicht noch weitergehen können,
weil wir im jetzt vorliegenden Entwurf nur die unmittel-
baren Bundesbehörden aufgeführt haben .

In der Tat ist das ein erster Schritt . Aber da wir die
nationalen Aktionspläne und entsprechenden Plattfor-
men auch im internationalen Vergleich kennen, ist klar,
dass die entsprechenden Gesetze – beginnend mit dem
Informationsfreiheitsgesetz, das wir als rot-grüne Bun-
desregierung schon 2005 auf den Weg gebracht haben –
perspektivisch zu einem umfassenden Gesamtwerk zu-
sammengefasst werden müssen . Da sind wir gar nicht
weit auseinander . Das muss das Ziel des Handelns sein,
und deswegen nehmen wir diesen Gesetzentwurf der
Bundesregierung auch als Ansatzpunkt für eine echte
parlamentarische Beratung, liebe Kolleginnen und Kol-

Dr. Petra Sitte






(A) (C)



(B) (D)


legen, um das Gute vielleicht doch noch etwas besser
machen zu können .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Thomas Jarzombek [CDU/CSU])


Die Weiterentwicklung ist notwendig . An dieser Stelle
folgen wir immerhin glatte zwölf Jahre später dem ers-
ten Ansatz; der Zeitrahmen ist somit nicht wirklich eng .
In der Gesetzesbegründung – wir nehmen das Wort der
Bundesregierung ja wie immer ernst – kann man jedoch
lesen, dass es in zahlreichen Bundesbehörden noch gar
keine Open-Data-Strategie gibt . Das zeigt auf, liebe Kol-
leginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, dass
gerade wir als Parlament jetzt aufgefordert sind, uns mu-
tig aufzumachen und zu sagen: Das ist unsere Idee . Wir
wollen hier vorangehen und Deutschland damit eines der
modernsten Open-Data-Gesetze überhaupt geben .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön wär’s!)


– Das kann als Ansatzpunkt dienen, Herr Kollege von
Notz . Ich werde auch Ihren Worten – Sie folgen mir ja
in wenigen Minuten nach, können es aber anscheinend
kaum erwarten – lauschen . Es geht ja um ein gemein-
sames parlamentarisches Handeln . Einige Punkte des
Gesetzentwurfes sollten wir uns deshalb tatsächlich noch
einmal genauer anschauen .

Es ist zum Beispiel denkbar, dass man über einen
allgemeinen Rechtsanspruch nachdenkt und zu diesem
Zweck das Thema einmal nicht aus der Sicht der Be-
hörden betrachtet . Ich würde hier als Sozialdemokrat
natürlich einen Unterschied zu den Linken machen, die
sich einer Aussage des preußischen Innenministers be-
dient haben: Das soll nicht unsere Leitlinie sein . Nein,
ich glaube, bei einem modernen Verständnis von Staat
und Gesellschaft ist der Staat die Gesellschaft, und damit
gibt es auch einen entsprechenden Anspruch darauf, auf
Daten, die einmal geschaffen und bereitgestellt wurden,
auch zugreifen zu können .

Das Vorhaben bietet auch eine große Chance, hier et-
was für die Digitalisierung zu tun, Deutschland in diesem
Bereich voranzubringen und zu einem der kreativsten
Räume der Welt zu machen . Das bringt auch mit sich,
dass wir uns noch einmal anschauen müssen, wie es ei-
gentlich mit den Daten aussieht, die wir erhoben haben,
bevor das Gesetz in Kraft tritt . Auch hier können wir uns
etwas Progressiveres vorstellen und würden auch gerne
weitergehen . Bitte nicht missverstehen: Wir wollen kei-
nen unnötigen Verwaltungsaufwand betreiben . Es geht
nicht darum, die Bundesbehörden, die effizient arbeiten,
noch stärker zu belasten und mit weiteren Aufgaben zu
überfrachten . Aber lassen Sie uns doch die Datenbestän-
de anschauen, die wir haben .

Das leitet mich zu einem dritten Punkt über: Wir
könnten uns diesem Thema vielleicht auch einmal an-
dersherum nähern und sagen: Nein, alle Daten, die wir
haben, sind vom Prinzip her offen, und die Ausnahme ist
zu begründen . – Es gibt entsprechende Vorschläge für ein
Ampelverfahren, für genaue Prüfungen und zur Anony-
misierung, sodass Dritte mit diesen Daten nicht etwas tun

können, was man mit einem Open-Data-Ansatz gerade
nicht erreichen wollte .

Überall da liegen große Chancen, und ich hoffe sehr
auf das Beratungsverfahren . Wir sollten uns das in den
Ausschussberatungen – auch im Dialog mit unserem Ko-
alitionspartner – noch einmal genau anschauen und uns
überlegen, was man noch tun könnte .

Es geht also um neue Daten, verbunden mit dem An-
satz – das könnte man auch als Anspruch formulieren –,
dafür zu sorgen, dass diese Daten breit verfügbar sind
und das Ganze nicht mit Regeln und Ausnahmen kom-
plizierter wird, als es notwendig ist, liebe Kolleginnen
und Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben den Koalitionsvertrag zu Anfang erwähnt .
Das ist die Maßgabe . Ohne diesen Koalitionsvertrag, den
wir gemeinsam beschlossen haben, wäre es sicherlich
nicht zu diesem Gesetzentwurf gekommen . Die Regie-
rung ist nun den Koalitionsfraktionen zuvorgekommen,
die ansonsten sicher einen eigenen Open-Data-Ansatz
formuliert hätten .

Ich glaube, dass der vorliegende Entwurf zur Ände-
rung des E-Government-Gesetzes ein guter Ausgangs-
punkt für die Beratungen ist . Er bietet große Chancen .
Wir können uns an Nachbarstaaten orientieren, um das
Ziel zu erreichen, das auch in der Gesetzesbegründung
dargelegt worden ist: Wir wollen den modernsten Ansatz
und den modernsten Zugang zu Informationen, wir wol-
len den Informationsfreiheitsanspruch weiterentwickeln
und den Open-Data-Ansatz umfassend in allen Bundes-
behörden – ich betone: in allen Bundesbehörden, nicht
nur in den bundesunmittelbaren – implementieren . Es
w
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1822906800
Wir werden als Bundesebene mit gutem
Beispiel anderen staatlichen Ebenen vorangehen können .

Ich freue mich auf die Beratungen und lade uns herz-
lich dazu ein, das Gute noch besser zu machen . Ansätze
dafür sind ja mehr als zur Genüge vorhanden .

Danke .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822906900

Dr . Konstantin von Notz hat als nächster Redner das

Wort für die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Offene Da-
ten sind heute mehr denn je von einer enormen Bedeu-
tung für Teilhabe und Innovationskraft in Gesellschaft,
Wissenschaft und Wirtschaft – vom Start-up über For-
schungscluster bis zur persönlichen Recherche . Hierin
sind wir uns, nach den Redebeiträgen zu urteilen, alle
einig . Insofern ist dies zwar ein viel zu später, aber ein

Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)


erster richtiger Schritt, Herr Staatssekretär; kein Meilen-
stein, aber immerhin ein Meilensteinchen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das ist schon fast ein Lob!)


– Ja, fast . Die Betonung liegt auf „fast“ .

Bürgernah, transparent und nachvollziehbar agieren-
de Behörden sind das beste Mittel gegen staatsfeindliche
Populisten und Verschwörungstheoretiker . Statt sich und
ihre Datenschätze zu verstecken, kann eine offene und
selbstbewusste Staatlichkeit, die zugänglich und nach-
vollziehbar ist, nur Vertrauen gewinnen, meine Damen
und Herren. Doch Sie haben es offensichtlich in der Res-
sortabstimmung noch hinbekommen, jeden Hinweis auf
das – ich zitiere – „Informationsungleichgewicht zwi-
schen öffentlicher Verwaltung und Gesellschaft“ zu til-
gen .

Ja, die Selbstverständlichkeit, dass eine informierte
Bürgerschaft sich stärker beteiligt und damit zu besserem
Regierungshandeln führt, musste aus der Vorlage wieder
heraus .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schiebung!)


Offensichtlich haben Sie an wirklicher Transparenz und
Teilhabe nur wenig Interesse . Warum eigentlich? So geht
es jedenfalls im Jahr 2017 nicht, meine Damen und Her-
ren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wie im Mittelalter!)


Aber diese Haltung erklärt auch, warum Sie nun nur noch
die unmittelbare Bundesverwaltung, nicht aber öffentli-
che Stiftungen oder Körperschaften erfassen wollen, ob-
wohl dort ganz erhebliche Aufgaben und Umsätze, also
auch Daten von großem Wert, liegen . Auch eine rasch
greifende Regelung für die Forschungsdaten: Fehlanzei-
ge! Man wartet lieber jahrelang auf eine EU-Reform .

Daten über Behördenvorgänge selbst sollen pauschal
gar nicht zugänglich sein . Sicher, es gibt hier legitime
Schutzbelange – keine Frage –, doch oft auch berechtig-
ten Informationsbedarf. So viel Differenziertheit war Ih-
nen dann doch zu heikel . So kommt man eben zu nichts,
weder in der Netzpolitik noch bei Open Data, meine Da-
men und Herren .

Wenn der Bundeskanzlerin auf dem IT-Gipfel ausge-
rechnet nur das Ende der Datensparsamkeit einfällt und
der Mautminister der Automobilwirtschaft das Daten-
eigentum andient, dann darf man sich nicht wundern,
dass Sie hier nach Jahren des Wartens bei diesem brei-
ten gesellschaftlichen Thema – die Kollegin Sitte hat es
gesagt – einen reinen wirtschafts- und wahlkampfgetrie-
benen Kurzsprung hinlegen . Wir brauchen aber endlich
ein umfassendes Transparenzgesetz, das die wichtigen
Grundlagen im IFG zusammen- und fortführt . Hamburg

und Nordrhein-Westfalen haben das beispielhaft vorge-
macht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


So überfällig und richtig dieses Gesetz nach jahrelan-
gem Warten auch ist: Es ist einfach zu wenig Substanz
und zu viel Big-Data-Budenzauber . Das gilt gerade für
den neuralgischen Datenschutz . Hier können wir uns
nicht allein auf ein elf Jahre altes IFG verlassen . An-
gesichts immer größerer Datenberge, die immer besser
vernetzt und ausgewertet werden, braucht es Schutzstan-
dards auf dem neuesten Stand und eine Beratungsstel-
le – auch das hat Kollegin Sitte angesprochen –, die ihren
Namen auch verdient, und nicht nur ein paar Planstellen .

Die Praxiserfahrung mit dem IFG zeigt: Es kommt auf
den Verwaltungsalltag an . Nehmen Sie dafür Geld in die
Hand! Volkswirtschaftlich lohnt es sich, aber auch für die
Verwaltung selbst .

Ob die unendlich peinliche Geschichte um die Störer-
haftung, die zögerliche Ambivalenz bei der IT-Sicherheit,
der absolute Stillstand im Urheberrecht oder das Chaos
bei Hate Speech: An Ihrer verpfuschten Leistungsbilanz
im Bereich des Digitalen ändert das bisschen Open Data
heute leider gar nichts, meine Damen und Herren .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822907000

Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Thomas

Jarzombek für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Sebastian Hartmann [SPD])



Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1822907100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf

einfach sagen: Ich bin wirklich stolz . Ich bin wirklich
stolz darauf, dass wir jetzt hier heute stehen und sagen
können, dass wir es hinbekommen haben, in erster Le-
sung über das Open-Data-Gesetz zu verhandeln . Das ist
ein großer Erfolg, weil der Weg lang gewesen ist .

Lieber Kollege von Notz, trotz der einen oder ande-
ren kritischen Einlassung darf ich aber auch Ihnen Danke
schön sagen. In der Enquete-Kommission der letzten Le-
gislaturperiode haben Sie die Projektgruppe „Demokratie
und Staat“ geleitet . Und Sie haben anhand von zehn Kri-
terien zu diesem Thema maßgebliche Vorgaben gemacht,
von denen ich glaube, dass wir sie auch alle erfüllen .

Zur Frage, ob hier mehr geht, hat der Kollege
Hartmann schon eine Menge gesagt . Ich kann seinen
heutigen Ausführungen – im Gegensatz zu denen von
gestern – durchgehend zustimmen . Aus diesem Grunde
kann ich also nur sagen: Da geht sicherlich noch was im
Verfahren .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das wäre gut!)


Dr. Konstantin von Notz






(A) (C)



(B) (D)


Aber worüber reden wir hier heute eigentlich? Meine
Damen und Herren, wenn wir in Deutschland über eine
Internetinfrastruktur nachdenken, fällt den Deutschen häu-
fig erst einmal Hardware ein. In Hardware sind wir einfach
gut . Da geht es um Breitbandkabel, Mobilfunksender und
Satellitenverbindungen . Den vielleicht wichtigeren Inf-
rastrukturrahmen stellen heute aber die Daten dar . Ohne
Daten funktioniert das Internet nicht . Derjenige, der die
Daten hat und mit ihnen arbeiten kann, ist der Innovati-
onsführer . Und dem folgt am Ende alles – bis hin zu den
Arbeitsplätzen und dem, was mit dranhängt. Deshalb finde
ich es so wichtig, dass wir hier einen Einstieg finden und
sagen: Auch die Daten des Staates sind ein großer Schatz .
Sie sind ein Schatz für Innovationen und für die Wirtschaft .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Deshalb ist das Open-Data-Thema auch ein wirtschafts-
politisches .

Ich habe schon am Mittwoch in unserer Ausschuss-
sitzung gesagt – das adressiere ich an die Wirtschaftsmi-
nisterin –: Wenn in dem gesamten Weißbuch zu digitalen
Plattformen nur ein einziger Satz dem Thema Open Data
gewidmet wird, dann wird offensichtlich, dass das The-
ma zumindest im Wirtschaftsministerium noch nicht so
verstanden worden ist, wie es notwendig wäre . Deshalb
habe ich hier und heute die Bitte – das ist auch eine Auf-
forderung –, dass das ein Thema auch des Wirtschaftsmi-
nisteriums werden muss . Das ist von ganz entscheiden-
der Bedeutung .


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie finden im Gesetzentwurf die verschiedensten

Zahlen in Bezug dazu gesetzt, welchen volkswirtschaft-
lichen Nutzen das Ganze erbringt . Nicht zuletzt hat die
Konrad-Adenauer-Stiftung – der ich für ihre wertvolle
Studie danke, mit der sie auch die wirtschaftlichen Aus-
wirkungen untersucht hat – herausgestellt, dass Open
Data zu 40 000 neuen Arbeitsplätzen in Deutschland füh-
ren kann .

Natürlich ist es so: Wenn wir jetzt am Wochenende in
unsere Wahlkreise zurückkehren und den Leuten im Bier-
zelt erzählen wollen, dass wir jetzt ein Open-Data-Ge-
setz beraten, dann werden die Emotionen wahrscheinlich
nicht bis unter die Decke hochkochen . Es wird nicht so
sein, dass alle „Jawohl, das ist es!“ schreien . Aber, meine
Damen und Herren, zehn solcher Gesetze schaffen eine
halbe Million Arbeitsplätze . Und die Frage ist, ob wir,
wenn wir das nicht wahrnehmen, am Ende nicht die Tür
für Populisten aufmachen, die dann irgendwann kommen
und sagen könnten: Guckt euch einmal diese wirtschafts-
politischen Leistungen an! – Sie werden dann vollkom-
men falsche Rezepte propagieren wie Protektionismus
und andere Dinge . Deshalb ist das ein so wichtiger Be-
standteil und eine so wichtige Initiative für Innovations-
fähigkeit und für den Arbeitsmarkt in Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist, glaube ich, gut, an dieser Stelle einmal dieje-
nigen zu loben, die hier schon, bevor wir dieses Gesetz
in Angriff genommen haben, einiges hinbekommen ha-
ben . Dabei geht es vor allem auch um den Bundesver-

kehrsminister, der mit seiner mCloud schon eine sehr
umfangreiche Open-Data-Initiative gestartet hat . Er hat
damit eine gute Plattform bereitgestellt . Er hat auch die
Deutsche Bahn angetrieben, die hier mit Hackathons und
einer eigenen Open-Data-Plattform vorbildlich agiert .
Die Nahverkehrsunternehmen liegen hier aber – darüber
haben wir gestern schon gesprochen – massiv zurück .
Sie sollten ebenfalls Open-Data-Plattformen einführen .
Das wird auch ein Thema sein, das wir in der nächsten
Legislaturperiode weiter behandeln müssen . Dabei geht
es nicht nur um die Frage, ob die unmittelbaren Bundes-
behörden daran beteiligt werden sollen, sondern insbe-
sondere darum, was eigentlich mit den Ländern und den
Kommunen sowie den Nahverkehrsbetrieben ist und all
den anderen, bei denen solche Datenschätze liegen . Die
müssen geöffnet werden.

Nicht zuletzt ist das auch ein Bereich, mit dem wir
eine Menge Geld sparen können . Bei Open Data ist
Großbritannien Vorreiter in der EU – zumindest solange
noch, wie es Mitglied der Europäischen Union ist . Leute
aus der britischen Regierung, die wir eingeladen haben,
haben uns erklärt, dass in Großbritannien der wichtigste
Treiber für Open Data inzwischen der Finanzminister ist .
Durch Open Data erzielt er nämlich Milliardeneinspa-
rungen. Das Kuriose in der öffentlichen Verwaltung ist
ja, dass die eine Behörde gar nicht weiß, was die andere
alles an Daten hat . Durch die Open-Data-Initiative sieht
der eine auf einmal jedoch, was der andere an Daten hat
und muss sie dann nicht mehr neu erstellen .

Ich weiß, dass Jens Spahn ein großer Fürsprecher die-
ser Themen ist . Deshalb freue ich mich darauf, dieses
Thema weiter zu bearbeiten . Ich freue mich auch sehr,
dass wir heute an diesem Punkt sind, und freue mich auf
die weitere Beratung .

Ich danke Ihnen .

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822907200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11614 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann
ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Radverkehr konsequent fördern

Drucksache 18/11729
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

Thomas Jarzombek






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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das auch
so beschlossen .

Wir beginnen mit der Aussprache, sobald die Kolle-
ginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben .

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat
Matthias Gastel für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort .


Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822907300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Es ist das erste Mal in dieser Legislatur-
periode, dass im Deutschen Bundestag über das Thema
Radverkehr diskutiert wird .


(Stefan Zierke [SPD]: Da haben Sie wohl gefehlt!)


Anlass ist der Antrag der grünen Bundestagsfraktion
„Radverkehr konsequent fördern“.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE])


Ermutigt dazu, diesen Antrag zu stellen, wurden wir da-
durch, dass auch in Deutschland immer mehr Menschen
mit dem Fahrrad unterwegs sind . Alleine in Berlin hat
sich der Radverkehrsanteil seit dem Jahr 2005 verdop-
pelt .

Die Botschaft, die von dieser Debatte ausgehen soll,
ist, dass der Bund die Radverkehrsförderung nicht allein
den Ländern und Kommunen überlassen kann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Denn der Bund steht in der Mitverantwortung für den
Klimaschutz, für die Verkehrssicherheit, für die Ressour-
ceneffizienz, für den Schutz der Menschen vor zu viel
Lärm und Abgasen . Damit steht der Bund auch in der
Mitverantwortung für die Lebensqualität der Menschen.

Vor all diesen Verantwortlichkeiten duckt sich aber
einer weg, und das ist unser Bundesverkehrsminis-
ter Dobrindt . Von 13 Milliarden Euro, die vom Bund
pro Jahr in die Verkehrsinfrastruktur investiert werden,
geht noch nicht einmal 1 Prozent in die Radverkehrsin-
frastruktur . Im Bundesverkehrswegeplan spielt der Rad-
verkehr überhaupt keine Rolle . Das Desinteresse von
Dobrindt ist nicht zu übersehen . Beispielsweise wird er
nächsten Montag bei seiner eigenen Veranstaltung, dem
Nationalen Radverkehrskongress in Mannheim, fehlen,
genauso wie er auch heute auf der Regierungsbank fehlt
und damit sein Desinteresse an diesem Thema ausdrückt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)


Die Bilanz der Großen Koalition in Sachen Radver-
kehr ist aber insgesamt vernichtend


(Stefan Zierke [SPD]: Ausgezeichnet!)


– insgesamt vernichtend –; denn für Radwege entlang
von Bundesfernstraßen wird mit 98 Millionen Euro pro

Jahr weniger ausgegeben als in früheren Jahren . Der Zu-
stand der Radwege entlang von Bundesfernstraßen ist der
Bundesregierung noch nicht einmal bekannt, und die An-
zahl der Diensträder in Bundesbehörden ist seit Antritt
der Großen Koalition, seit dem Jahr 2013, um sage und
schreibe 85 Prozent zurückgegangen .


(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Ist das Ihr Maßstab für Radwegepolitik, oder was?)


Die Große Koalition verkennt die Chancen, die das Fahr-
rad bietet: Chancen für die Verminderung von Stau und
Abgasen, Chancen für die Gesundheit derer, die mit dem
Fahrrad unterwegs sind, und Chancen für lebenswerte
Städte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE])


Der Großteil der Gesellschaft ist da viel weiter als Sie
von der Großen Koalition .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


82 Prozent der Menschen in Deutschland wünschen sich
in den Städten weniger Auto- und mehr Radverkehr . Ge-
nau da setzt unser Antrag an, der sowohl die Städte als
auch die ländlichen Räume im Blick hat .

Wir wollen sichere und attraktive Infrastruktur für den
Radverkehr durch verbindliche Qualitätsstandards .

Wir wollen die Mittel für Radwege entlang von Bun-
desfernstraßen auf 200 Millionen Euro pro Jahr verdop-
peln .

Wir wollen des Weiteren die Mittel für den Bau von
Radschnellwegen – immerhin gibt es sie in diesem Jahr
zum ersten Mal überhaupt – auf 100 Millionen Euro ver-
vierfachen .

Wir wollen aber auch ein modernes Straßenverkehrs-
recht schaffen, mit dem beispielsweise den Kommunen
ermöglicht wird, innerorts alleine über die Ausweisung
von Tempo-30-Zonen zu entscheiden . Wer weiß besser,
was angemessen ist, als die Kommunen? Außerdem wol-
len wir, dass endlich verpflichtend Abbiegeassistenten
für Lkws eingeführt werden . Rechtsabbiegeunfälle sind
mit die häufigsten und vor allem die schwerwiegendsten
Unfälle . Da müssen wir unbedingt rangehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Kirsten Lühmann [SPD] und Stefan Liebich [DIE LINKE])


Außerdem beantragen wir ein Förderprogramm für
den Aufbau von Verleihstationen für Lastenräder . Wir
wollen 2 000 Lastenradverleihstationen in Deutschland
aufbauen . Wir erwarten von der Bundesregierung, dass
sie endlich Einfluss auf die Deutsche Bahn nimmt, damit
in jedem Zug Fahrräder mitgenommen werden können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dann können wir endlich auch im Nationalen Radver-
kehrsplan ambitionierte, aber realistische Ziele aufneh-
men, insbesondere das Ziel, den Anteil des Radverkehrs
bis zum Jahr 2030 auf 25 Prozent zu erhöhen .

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Spätestens mit dem Dieselskandal und den anstehen-
den Fahrverboten in Städten aus Gesundheitsgründen ist
klar: Wir brauchen eine andere Verkehrspolitik . Große
Teile der Bevölkerung sind bereit dazu . In jedem dritten
Großstadthaushalt gibt es überhaupt kein Auto mehr . Ge-
rade bei Jüngeren wird das mehr und mehr zur Norma-
lität . In Deutschland werden inzwischen mehr Fahrräder
als Autos verkauft . Wir Grüne wollen den Radverkehr
fördern . Wir wollen ihm mehr Platz im Verkehrsraum zu-
billigen. Wir wollen Konflikte des Radverkehrs mit dem
Fußverkehr und dem Kfz-Verkehr vermeiden . Wir wol-
len die Sicherheit erhöhen . Radfahren darf keine Aben-
teuerlust erfordern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Uns gefällt ganz gut die Philosophie aus den Nie-
derlanden . In den Niederlanden heißt es: Wie gut oder
schlecht eine Radverkehrsinfrastruktur ist, zeigt sich da-
ran, ob sich Kinder und Ältere trauen, mit dem Fahrrad
unterwegs zu sein . Dahin sollten wir auch in Deutschland
kommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE])


Die Länder und die Kommunen müssen dafür viel
tun . Sie brauchen dafür aber die aktive Unterstützung des
Bundes . Deswegen lautet unser Appell an die Große Ko-
alition und den Deutschen Bundestag: Gehen Sie runter
von der Bremse! Treten Sie in die Pedale! Schalten Sie
hoch!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822907400

Als nächster Redner hat Gero Storjohann für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gero Storjohann (CDU):
Rede ID: ID1822907500

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Kollege Gastel, da haben Sie sich aber Mühe
gegeben, hier ein schlechtes Bild von der Radinfrastruk-
tur und der Radpolitik in Deutschland zu zeichnen .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es war schwierig, sich auf sechs Minuten zu beschränken! Das war das Problem!)


Insgesamt stelle ich fest: Der Radverkehr boomt .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotz Ihnen!)


Immer mehr Fahrräder werden verkauft .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotz der Bundesregierung!)


Es wird immer mehr Fahrrad gefahren . So schlecht kann
es bisher in Deutschland also nicht gemacht worden sein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Viele Punkte, die Sie angesprochen haben, sind rich-
tig . Aber sie sind inzwischen auch Allgemeingut . Sie ha-
ben sich viel Mühe gegeben, einzelne Dinge aufzuschrei-
ben, obwohl diese schon erfüllt sind .


(Kirsten Lühmann [SPD]: Richtig! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre schön!)


Kommen wir generell zur Zukunft . Wir werden mehr
Verkehr in den Städten bekommen . Die entscheidende
Frage lautet, wie wir diesen Verkehr kompensieren, ob
es uns gelingt, Verkehrskonzepte zu entwickeln, die den
Bürgern gefallen . Wenn es uns gelingt, den zusätzlichen
Verkehr in den Städten aufs Fahrrad zu bringen, dann ist
uns schon viel gelungen . Dafür brauchen wir eine ent-
sprechende Infrastruktur. Diese müssen wir neu schaffen.

Ich schaue mir genau an, wie es in Hamburg läuft,
wo Rot-Grün versucht, eine Infrastruktur für Fahrräder
aufzubauen . Dabei muss sich Rot-Grün entscheiden, ob
Parkplätze entwidmet und Bäume gefällt werden sollen,
um letzten Endes vernünftige Fahrradwege durch die
Stadt zu den Arbeitsplätzen zu führen . Das ist nicht auf
die Schnelle gemacht . Wir alle sind dabei und wollen das
umsetzen .


(Beifall der Abg . Kirsten Lühmann [SPD])


Zurzeit werden durchschnittlich 10 Prozent aller Wege
in Deutschland mit dem Fahrrad zurückgelegt . In einigen
Regionen liegt der Anteil bei 30 Prozent, in anderen bei
15 Prozent; nicht überall ist der Wert gleich hoch . Auch
Kopenhagen hat es nicht in fünf Jahren geschafft, Fahr-
radstadt zu werden .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie haben damit angefangen!)


Seit wir, die Mitglieder des Verkehrsausschusses, Ko-
penhagen besucht haben, wissen wir, dass dafür 40 Jahre
notwendig waren . Es sind jetzt andere Zeiten . Wir versu-
chen, das zu beschleunigen .

Wir haben hier einen Nationalen Radverkehrs-
plan 2020 verabschiedet, und der wird von der Bundes-
regierung umgesetzt .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage! Da hat sie sich bemüht, irgendwas reinzuschreiben!)


– Er wird wirklich umgesetzt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber Sie können gar nicht sagen, wie! Es gibt keine Antwort!)


Ich möchte Ihnen einmal aufzeigen, welche Mittel wir
zurzeit zur Verfügung stellen . Sie haben in Ihren Antrag
ganz locker hineingeschrieben, das müsse mehr werden .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es war schon mal mehr!)


Matthias Gastel






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Allein was Mittel für Fahrradwege an Bundesstraßen
betrifft, haben wir 98 Millionen Euro zur Verfügung ge-
stellt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist weniger geworden als früher!)


– Früher waren es 100 Millionen Euro . Dann kam die
Finanzkrise, und die Mittel sind auf 60 Millionen Euro
zurückgeführt worden . Dann ist der Betrag sukzessive
wieder auf 98 Millionen Euro hochgeführt worden . Ich
habe mich sehr stark dafür eingesetzt, dass die Mittel
wieder erhöht werden .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seither sind 15 Jahre vergangen! 15 Jahre!)


Ich habe bei mir in Schleswig-Holstein nachgefragt,
was das Land mit dem zusätzlichen Geld gemacht hat .
2012 hatten wir den Regierungswechsel in Schles-
wig-Holstein . Damals wurden die Mittel noch mehr als
zufriedenstellend ausgeschöpft, nämlich zu über 166 Pro-
zent . Dann kamen die Jahre, in denen Ihre Kollegen von
den Grünen Mitverantwortung trugen, Herr Gastel: 2013
wurden 20 Prozent der Mittel zurückgegeben, 2014 wa-
ren es 25 Prozent, und 2015 wurden 15 Prozent zurück-
gegeben .


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Warum braucht man mehr Geld, wenn man das vorhandene nicht ausgibt?)


Ich frage jetzt immer beim Verkehrsminister nach:
Warum macht ihr das? Dann kommt leider die Antwort:
Weil es sinnvoller ist, Straßen zu bauen als Fahrradwe-
ge . Wir können dann mit der gleichen Ingenieurleistung
mehr Mittel abgreifen . – Fangen Sie erst einmal da an,
wo Sie Verantwortung haben, das umzusetzen, was Sie
hier immer fordern!


(Beifall bei der CDU/CSU – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit!)


Die Zustandserfassung der Fahrradwege ist eine
wunderbare Aufgabe, die in den Ländern gemacht wer-
den muss . Die Länder wissen auch, wie der Zustand
der Fahrradwege ist . Das wird alles schon gemacht . Sie
springen praktisch auf den Zug auf . Wir wollen natür-
lich auch sehr genau wissen, wo noch Lücken sind . Die
Bundesregierung legt zurzeit ein Programm auf, mit dem
die Lücken offensiv angegangen werden sollen. Aber ge-
schlossen werden müssen sie von den Ländern . Nicht der
Bund macht die Planung, nicht der Bund kann dem Land
vorschreiben, irgendwo einen Fahrradweg zu bauen, son-
dern es sind die Länder, die entscheiden . Da werden wir
ansetzen müssen . Da können Sie gerne mitmachen; denn
auch Sie sind in gewisser Weise in Verantwortung .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Radschnellwege sind in diesem Haushalt zum ers-
ten Mal aufgenommen worden . Wir hatten dazu eine An-
hörung . Sie wissen auch, dass wir vielleicht zur Jahres-
mitte zum ersten Mal Mittel vergeben können . Deswegen
ist der Ansatz von 25 Millionen Euro erst einmal richtig .
Dieser Ansatz wird höher werden, es werden mehr Mittel

eingestellt werden müssen . Das wollen wir auch . Aber
Mittel müssen auch abgerufen werden können .

Dazu gibt es ein paar Projekte . Erst einmal kommt die
Potenzialanalyse, dann kommt die Planung . Wenn wir in
drei oder vier Jahren zum ersten Mal für neu geplante
Radschnellwege – alleine in der Metropolregion Ham-
burg sind wir dabei, vier oder fünf Radschnellwege zu
erbauen – richtig viel Geld ausgeben können, dann ma-
chen wir das auch . Insofern sind wir da auf einem sehr
guten Weg .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822907600

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage von

Herrn Gastel zu?


Gero Storjohann (CDU):
Rede ID: ID1822907700

Ich habe Zeit, ja .


Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822907800

Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege, vielen Dank

für die Zwischenfrage . – Sie haben die Problematik des
Mittelabrufs durch die Länder angesprochen, einmal,
was die Radwege entlang von Bundesfernstraßen angeht,
und jetzt auch, was die Radschnellwege angeht . Ein Pro-
blem ist, dass bisher die Rechtsauffassung die gewesen
ist, dass Radwege entlang von Bundesfernstraßen unmit-
telbar entlang der Straße geführt werden müssen . Das ist
aber vielerorts nicht möglich, weil die Topografie das
nicht zulässt, zum Beispiel aufgrund der Platzverhältnis-
se, oder weil es nicht besonders attraktiv ist, einen Rad-
weg entlang einer Bundesstraße mit 30 000, 40 000 oder
50 000 Fahrzeugen am Tag zu bauen .

Es gibt eine Rechtsauffassung, die aus unserem
Rechtsgutachten stammt, die besagt, dass die Radwege
auch anders geführt werden können . Das heißt, es muss
nur die Richtung gleich sein, aber der Radweg muss nicht
direkt entlang der Straße geführt werden . Wenn das auch
die Rechtsauffassung des Bundes wäre, entstünden ganz
neue Möglichkeiten, Radwege entlang von Bundesfern-
straßen zu bauen und tatsächlich die Mittel abzurufen . Ist
es auch Ihre Auffassung, dass das möglich ist?


(Stefan Zierke [SPD]: Das wird doch schon umgesetzt in Teilen!)



Gero Storjohann (CDU):
Rede ID: ID1822907900

Herr Kollege, ich bin kein Jurist . Der Punkt, der da

zum Tragen kommt, ist, dass es letzten Endes um die
Verkehrssicherheit geht . Das heißt, der Fahrradfahrer soll
bei großer Differenzgeschwindigkeit nicht auf der Bun-
desstraße fahren . Wenn man einen neuen Fahrradweg
1 Kilometer neben einer Bundesstraße anlegt, dann ist
nicht mehr eindeutig, ob dieser Fahrradweg im Zusam-
menhang mit der Bundesstraße steht oder ob er eher tou-
ristischen Zwecken dient . Deswegen verfolgen wir bei
Radschnellwegen eine andere Konzeption . In erster Linie
sprechen wir über Bundesradschnellwege . Insofern sehe
ich den Konflikt nicht, den Sie da aufzeigen.

Es ist wünschenswert, eine eigene Radinfrastruktur zu
haben . Wir kommen inzwischen von dem Fahrradstreifen

Gero Storjohann






(A) (C)



(B) (D)


auf Straßen weg; denn der ist nicht für alle Generationen
sicher. Die Rechtsauffassung, die Sie eben vorgetragen
haben, teile ich nicht . Aber ich sehe das Problem, das wir
mit den Radschnellwegen lösen werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Länder haben eine hohe Verantwortung . Den Län-
dern werden jetzt sehr kontinuierlich bis 2030 Regiona-
lisierungsmittel zur Verfügung gestellt . Der ÖPNV wird
sehr stark ausgestattet . Das heißt, der Bund gibt den Län-
dern eine verlässliche Finanzierungsgrundlage und somit
auch Planungssicherheit .

Das, was Sie, Herr Gastel, ansprechen – die Bevor-
rechtigung von Fußgängerverkehr –, ist nach der StVO
nicht zulässig . Ich halte das auch nicht für sinnvoll; denn
jeder Teilnehmer – sei es ein Autofahrer, ein Fahrradfah-
rer oder ein Fußgänger – hat sich nach § 1 der StVO so zu
verhalten, dass er niemanden gefährdet, und dabei sollte
es auch bleiben .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem würde ich nie widersprechen!)


Die von Ihnen angesprochenen Abbiegeassistenzsys-
teme oder Kameramonitorsysteme in Lkw finden Unter-
stützung im aktuellen Förderprogramm „De-minimis“;
das gibt es also schon .

Radfahrende Kinder unter zehn Jahren haben Sie noch
angesprochen . Eltern dürfen jetzt ihre Kinder beim Rad-
fahren auf dem Gehweg begleiten . Das haben wir im
Dezember letzten Jahres beschlossen . Zu diesem Thema
steht auch etwas in Ihrem Antrag .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Lesen Sie den Antrag bitte genau!)


Der Einsatz eines grünen Pfeils in Lichtzeichenanla-
gen ist möglich . Dafür müssen die Kommunen sorgen .
Die Anbringung eines Blechschildes „grüner Pfeil“ ist
möglich .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist nicht möglich für den Radverkehr!)


Auch die Beantwortung der Frage, ob generell die
Möglichkeit besteht, von Fahrradweg zu Fahrradweg
rechts abzubiegen, ist in der Bearbeitung . Ich bin da-
für, dass wir diese Möglichkeit schaffen. Die generelle
Abbiegemöglichkeit ohne Fahrradweg ist rechtlich pro-
blematisch, sodass wir sie wahrscheinlich nicht werden
schaffen können. Aber darin, dass der Verkehrsfluss für
Fahrradfahrer erhöht werden muss, sind wir uns wirklich
einig .

Meine Damen und Herren, –


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822908000

Herr Kollege, das war ein guter Schlusssatz .


Gero Storjohann (CDU):
Rede ID: ID1822908100

– ich habe das gehört, Frau Präsidentin; ein Punkt

noch –, Stichwort „Fahrradmitnahme bei ICEs“ . Die
Fahrradmitnahme ist möglich bei Regionalexpresszügen,

also im Nahverkehr sehr wohl . Dort ist sie hoch aner-
kannt . Der ICE 4 wird ab 2017 Fahrradmitnahme mög-
lich machen .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt aber auch noch andere ICE-Züge!)


Wir im Parlament haben zehn Jahre dafür gekämpft, dass
die Bahn Fahrradmitnahme bei ICEs möglich macht . Sie
hat es jetzt versprochen . Insofern ist in Deutschland ein
Klimawandel für den Fahrradverkehr eingeleitet wor-
den – nicht mit Ihrem Antrag, aber mit unserer guten
Politik .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Kirsten Lühmann [SPD])



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822908200

Vielen Dank, Herr Kollege . – Als Nächste hat das

Wort Sabine Leidig von der Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822908300

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste auf den Tribünen! Ja, Fahrradfahren wird
immer beliebter – aus guten Gründen: Man ist nicht nur
flexibel unterwegs, sondern auf kurzen Strecken meis-
tens auch schneller . Radfahren ist nicht nur gesund, son-
dern auch kostengünstig . Fahrradfahren produziert weder
Lärm noch Abgase . Das schont die Umwelt und macht
das Leben angenehmer . Viele von Ihnen radeln bestimmt
mit Freude im Urlaub, als Sport und zur Erholung, und in
vielen Regionen geht das inzwischen auch ziemlich gut .

Aber das reicht nicht . Es geht darum, dass der Alltag
auf den Straßen insgesamt viel fahrradfreundlicher wer-
den muss . Die Berliner Zeitung zeigte gestern auf ihrer
Titelseite weiße Gedenkfahrräder, die an die wachsende
Zahl von Fahrradunfallopfern erinnern: 17 Getötete, 12
davon von Lkw überrollt oder von Pkw gerammt; dazu
583 Schwerverletzte im Jahr 2016 allein in der Stadt Ber-
lin .

Wir alle wissen, dass das wichtigste Mittel gegen sol-
che Unfälle sichere Radwege sind .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das ist die zentrale Herausforderung, die überall gemeis-
tert werden muss . Es ist klar, dass vieles davon in den
Städten passieren muss und auch schon getan wird – es
gibt viele gute Beispiele –; aber im Großen und Ganzen
geschieht viel zu wenig, und es geht viel zu langsam . Das
liegt auch an diesem Bundestag und an der Bundesregie-
rung . Sie ruhen sich darauf aus, dass es einen Nationalen
Radverkehrsplan gibt – ausgestattet mit 100 Millionen
Euro pro Jahr . Das ist nicht einmal 1 Prozent von den In-
vestitionsmitteln im Verkehrsetat . Aber der Fahrradver-

Gero Storjohann






(A) (C)



(B) (D)


kehr hat heute schon einen Anteil von 10 Prozent . Hier
muss dringend umverteilt werden .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Linke fordern, dass uns die unsinnigsten Ausbau-
projekte für Autobahnen aus dem Bundesverkehrswege-
plan erspart bleiben . 10 Milliarden Euro könnte man so
verfügbar machen und damit stattdessen einen Verkehrs-
wendefonds füllen – das schlagen wir vor –, einen Fonds,
aus dem die Kommunen zweckgebunden Geld für den
Umbau ihrer Verkehrsinfrastruktur bekommen: 1 Milli-
arde Euro pro Jahr, und das zehn Jahre lang .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Damit könnte wirklich viel für bessere Fahrradver-
kehrsverhältnisse getan werden, und zwar rasch .

Wir schlagen auch vor, dass Bürgerinitiativen und
Verbände die Möglichkeit erhalten, Projektmittel aus die-
sem Fonds zu beantragen, weil man nicht darauf warten
kann, dass auch in der letzten Gemeinde die Verwaltung
aufwacht .


(Stefan Zierke [SPD]: Also die Kommunen sind nicht kompetent!)


Außerdem kann der Bund die Straßenverkehrs-Ord-
nung reformieren . Dort sind die Belange des Fahrrad-
verkehrs viel zu wenig berücksichtigt, und das muss sich
ändern .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kollege Storjohann, Sie haben neulich auf einem Po-
dium gesagt: Wenn ich in meiner Fraktion vom Fahrrad
rede, dann schauen mich alle an wie ein Auto .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Wie ein deutsches Auto!)


Genau das ist das Problem . Liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der Regierungskoalition – es sind leider sehr
wenige da –,


(Steffen Bilger [CDU/CSU]: Wir sind gut vertreten!)


benutzen Sie eine Woche lang einfach mal das Fahrrad
und nicht den Fahrdienst!


(Kirsten Lühmann [SPD]: Das tun wir, und das wissen Sie!)


Wenn Sie das getan haben, wissen Sie genau, wo es
brennt und was geändert werden muss .


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Dann sieht man die Kollegen im Auto sitzen! Das passiert dann! Das ist mir jedenfalls schon passiert!)


Ich nenne nur ein paar Beispiele: Da ist ein schmaler
Radweg auf dem Gehweg, auf dem Baumwurzeln Sie
durchschütteln . An der Bushaltestelle ist Chaos, weil die
Leute ein- und aussteigen; wenn Sie ausweichen, besteht

Kollisionsgefahr mit fotografierenden Touristen; dann
lieber auf der Straße radeln .


(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Sie reden über das rot-rot-grün regierte Berlin! Richtig! Rot-Rot-Grün in Berlin! Bravo!)


– Da wird einiges passieren . Sie haben den Koalitions-
vertrag vielleicht gelesen .


(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Deshalb ruckelt es ja auch so!)


Das Fahrradvolksbegehren wird dort umgesetzt . Die rot-
rot-grüne Koalition ist erst einige Monate im Amt . Zau-
bern können auch wir nicht .


(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: So sind die Verantwortlichkeiten, auch im Radverkehr! Nehmen Sie das zur Kenntnis! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Sonst erzählen Sie immer, Sie könnten zaubern! Jetzt auf einmal nicht!)


– Die Verantwortlichen für den Fahrradverkehr saßen die
letzten was weiß ich wie viele Jahre in der Großen Koa-
lition in Berlin .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Es waren nur fünf Jahre! Gott sei Dank!)


Sie hätten da schon etwas machen können .


(Beifall bei der LINKEN)


Weitere Beispiele: Wenn Sie auf der Straße radeln,
dann haben Sie wirklich Pech, wenn – das kommt oft
vor – vor Ihnen eilig parkende Personen die Autotür
aufreißen, ohne zu gucken, sodass Sie straucheln und
im schlimmsten Fall stürzen . Sie werden spüren, wie es
ist, wenn ungeduldige Autofahrer laut Gas geben, mit
50 Zentimeter Abstand an Ihnen vorbeiziehen und vor
der nächsten roten Ampel auf die Fahrradspur einbiegen .
Sie erleben den Ärger, wenn auf dem erfreulichen Stück
Fahrradstreifen wieder einmal ein Lieferwagen steht,
sodass Sie in den Autoverkehr ausweichen müssen . Sie
sind genervt, weil Sie immer wieder vor einer roten Am-
pel warten, obwohl das Rechtsabbiegen gefahrlos und
ohne Störung anderer möglich wäre .

Das alles kann und muss besser werden . Wir brauchen
gute Standards für eigene Fahrradstreifen auf der Straße .
Wir brauchen Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in den
Städten und Gemeinden, damit es für alle entspannter
wird. Die Haltepflicht vor roten Ampeln soll für Fahr-
radfahrer und Fußgänger gelockert werden . Die Strafen
für Verkehrsteilnehmer, die andere gefährden und behin-
dern, müssen deutlich höher sein und abschrecken . So
ist es übrigens in unseren europäischen Nachbarländern
üblich . Nur im sogenannten Autofahrerland Deutschland
geht das nicht .


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822908400

Kommen Sie bitte zum Schluss .

Sabine Leidig






(A) (C)



(B) (D)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822908500

Wir wollen, dass das Fahrrad zum Massentransport-

mittel Nummer eins werden kann: sozial, ökologisch,
kostengünstig, gesund und attraktiv .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822908600

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Als Nächster spricht

der Kollege Stefan Zierke von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Stefan Zierke (SPD):
Rede ID: ID1822908700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Sehr ge-

ehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Gastel,
ich habe schon von diesem Pult aus über Radverkehr ge-
sprochen . Auch Sie haben von diesem Pult aus im Deut-
schen Bundestag über Radverkehr gesprochen .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht das eigentliche Thema!)


Das heißt also, der erste Satz Ihrer Rede – sinngemäß: im
Deutschen Bundestag wurde das Thema Rad noch nicht
behandelt – ist schon einmal nicht wahr . Aber das ist nur
eine sachliche Darstellung . Damit müssen in dem Fall ja
Sie leben und nicht wir .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich denke, Schleswig-Holstein


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist ein SPD-Verkehrsminister! Aufpassen!)


macht eine gute Radpolitik; Herr Albig macht das sehr
gut . Von daher sollte das vielleicht die letzte Wahlkampf-
kampagne sein, die man im Deutschen Bundestag von
diesem Pult aus führt . Wir wollen uns doch auf das The-
ma Radverkehr konzentrieren .

In Teilen ist das wirklich ein guter Antrag; das muss
man sagen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In großen Teilen! Man kann schon sagen: zu 100 Prozent!)


– Da kann man auch klatschen . – Die vielen Seiten des
Vorspanns bestätigen das, was wirklich in Deutschland
passiert: Wir haben einen großen Radverkehrszuwachs .
Der Fachhandel profitiert, der Tourismus profitiert, die
Fahrradindustrie profitiert. Wir haben in dieser Branche
viele neue Mitarbeiter, und davon sollen natürlich auch
alle profitieren. Das ist so.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Frau Leidig, es ist aber auch so, dass die Kommunen
und Landkreise viel Energie investieren, um Radwege zu
bauen .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber nicht alle! Bei weitem nicht alle!)


Gerade im ländlichen Raum ist es für die Kommunen
sehr schwer, die Wege auf den vielen Kilometern ent-
sprechend auszubauen .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Deshalb wollen wir sie ja auch unterstützen!)


Daher freuen wir uns, dass wir auch europäische Mittel
zur Verfügung haben, um in den Radverkehr zu inves-
tieren, und das wird auch gemacht . Aus diesem Grund
wächst der Radverkehr übrigens, weil es eine große An-
strengung der Länder, Kommunen, Landkreise und Tou-
rismusverbände gibt, den Radverkehr zu stärken .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber das reicht doch bei weitem nicht!)


Der Bund ist nun einmal nicht zuständig .

Ja, Radverkehr ist emissionsfrei, leise, gesund und
soll natürlich in Zukunft auch die Verkehrsprobleme der
urbanen Region lösen, wobei ich bei dem Wort „urban“
bin . Liebe Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Ihr Antrag
ist ein Großstadtantrag . Herr Gastel hat gesagt, dass dies
auch den ländlichen Raum betreffe. Das sehe ich nicht.
Aber eine Großstadtpartei macht eben auch nur Groß-
stadtanträge . Das ist so .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorsicht, ich stelle gleich eine Zwischenfrage!)


– Gerne . – Aber man sollte sich über den ländlichen
Raum nicht nur verbal äußern, sondern man sollte hier
auch konkret werden . Wer 25 Prozent Radverkehr bis
2030 auf allen Wegen haben will, den frage ich: Wie wol-
len Sie das im ländlichen Raum schaffen?


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Da ist doch die Hälfte unter 6 Kilometer!)


Wenn Lastenräder – wahrscheinlich von einer Kleinstadt
zur nächsten und von einer Kommune zur nächsten – ge-
fördert werden sollen, dann ist das ein klares Förderpro-
gramm für Städte, nicht für den ländlichen Raum . Das
sind zwei Beispiele dafür .


(Zuruf des Abg . Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was hat die Koalition nun erreicht? Dass wir die Mit-
tel für Radwege von 60 Millionen auf 100 Millionen
Euro erhöht haben, haben Sie ja festgestellt. Ich finde,
das ist enorm viel Geld, was wir dort investieren .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist einfach wieder zurückgeführt! Die Kürzung haben Sie rückgängig gemacht!)


Ich sage Ihnen aber, wo das wirkliche Problem liegt .
Nehmen wir die Bundesstraßen begleitende Wege . Sie
haben gesagt, dass es manchmal abenteuerlich sei mit
dem Radverkehr . Das kann ich Ihnen aus dem ländlichen






(A) (C)



(B) (D)


Raum bestätigen . Wir wollten entlang einer Bundesstra-
ße einen Radweg bauen lassen, um an dieser Straße ge-
fährliche Situationen für Radfahrer zu entschärfen . Aber
wer hat diesen Radwegebau verhindert? Es waren die
Naturschützer, die verhindert haben, dass dieser Rad-
weg gebaut wird . Das heißt, das Geld war da, alles war
da; nur die Naturschützer haben gesagt: Wir wollen das
nicht . – Naturschutz vor Menschenschutz, das war dort
die Prämisse . Den Radweg gibt es nach wie vor nicht .
Die Stelle ist nach wie vor gefährlich . Von daher kann
es nicht am Geld liegen . Es liegt vielleicht manchmal an
der Ideologie .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meistens findet sich da eine Lösung, wenn man mit den Leuten redet!)


– Sie können dazwischenrufen, wie Sie wollen, aber das
ist nachvollziehbar . Das kann man vor Ort sehen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es aber ganz flach hier!)


Ich nenne ein zweites Beispiel zu abenteuerlichen
Fahrten: Im ländlichen Radwegebau wollten wir einen
Radweg bauen, der durch ein Naturschutzgebiet führt .
Da ist aber eine Tierart, die geschützt werden muss . In ei-
ner Entfernung von 1 Kilometer verläuft eine Autobahn .
Weil aber diese Tierart dort geschützt werden muss,
haben wir den Radweg über Jahre nicht gebaut bekom-
men – und Sie glauben nicht, woran das gelegen hat: Es
hat an Naturschützern gelegen, dass dieser Radwegebau
verhindert wurde .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gleich kommt der Hamster! Das gibt es doch nicht! Solche ollen Kamellen! Dass Sie das hier ernsthaft erzählen in einer Debatte über Radwege!)


Das Geld war da, die Motivation war da, aber leider nicht
der Wille .


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da waren im Planungsbüro Kommunikationsprofis am Werk!)


Gerade die Fraktion der Grünen hat keinen Willen ge-
zeigt, dieses Geld zu verbauen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist peinlich! Erbarmungswürdig! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ich verstehe die Zwischenrufe nicht . Wenn nur einer
redet, dann kann man es vielleicht verstehen . Wenn alle
gleichzeitig sprechen, ist das ungünstig .

Was belastet aber die Kommunen besonders beim
Radwegebau? Das sind die zum Teil naturbelassenen
Radwege, die wir bauen müssen, die die Kommunen
bauen müssen und für deren Pflege den Kommunen dann
das Geld im Budget fehlt . Das ist doch die Realität . Von
daher freue ich mich auf die Ausschussdiskussion und
die Frage, wie wir damit umgehen .

Was hat die Bundesregierung im Übrigen noch ge-
macht? Was hat das Parlament gemacht? Was haben wir
zusammen gemacht? Wir haben zum ersten Mal Rad-
schnellwege auf den Weg gebracht – wir wollen dafür
noch Gesetze ändern bzw . haben sie geändert – und dafür
25 Millionen Euro im Haushalt bereitgestellt . Danke hier
noch einmal an Umweltministerin Barbara Hendricks,
dass sie sich dafür eingesetzt hat . Man sieht also: Es geht
sogar ministeriumsübergreifend, was Sie ja sonst nie
glauben .


(Beifall bei der SPD – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Verkehrsminister hat daran keinen Anteil!)


Stichwort „Elektromobilität“ . Wir haben hier den Bau
des Radwegs Deutsche Einheit beschlossen, in den viel
Geld hineinfließt.


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: So ist es!)


Von Bonn bis Berlin bauen wir moderne Radstätten, an
denen man sein Fahrrad aufladen kann. Das wissen Sie
doch . Da kann man doch nicht sagen, dass da nichts pas-
siert . Das ist auch nicht richtig .

Mein letzter Punkt, den ich noch anbringen möchte,
ist die gegenseitige Rücksichtnahme im Straßenverkehr .
Wir reden ja hier viel von Berlin . Ich muss sagen: Wenn
alle Verkehrsteilnehmer sich an Regeln halten,


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch die Fahrradfahrer!)


sich gegenseitig akzeptieren und auch einmal den an-
deren vorlassen würden, auch wenn er einmal nicht das
unbedingte Recht auf seiner Seite hat, dann wäre, glaube
ich, schon viel erreicht .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig, ersetzt aber keine gute Infrastruktur!)


Darüber sollten wir auch einmal reden: wie sich einzel-
ne Verkehrsteilnehmergruppen – da schließe ich alle mit
ein – im Straßenverkehr unterhalten . Es ist manchmal
wirklich abenteuerlich; da gebe ich Ihnen recht . Aber
auch da sollten wir vielleicht mehr an die Vernunft appel-
lieren . Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss .
Dann schauen wir, wie Ihr Antrag weiter behandelt wird .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822908800

Vielen Dank, Herr Kollege Zierke . – Als Nächster

spricht Patrick Schnieder von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Patrick Schnieder (CDU):
Rede ID: ID1822908900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Die Bedeutung des Radverkehrs hat in der Tat in
den letzten Jahren zugenommen . Das Fahrrad ist ein
zunehmend beliebtes und ökologisches Verkehrsmittel .
E-Bikes boomen . Es ist auch ein gesundes Verkehrsmit-
tel, und es wird sehr stark touristisch genutzt . Ich sage

Stefan Zierke






(A) (C)



(B) (D)


das ganz bewusst, weil ich aus einer Destination kom-
me, wo gerade Radwege, die jüngst dort angelegt worden
sind, dem Tourismus einen neuen Schub verliehen haben .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wo ist denn diese Destination?)


Weil der Radverkehr an Bedeutung zugelegt hat, hat
auch die Koalition entsprechend gehandelt . Wir haben
nicht nur Anträge geschrieben und darüber gesprochen,
sondern wir haben auch etwas auf den Weg gebracht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht viel! Sehr, sehr wenig!)


Die Bilanz kann sich sehen lassen: Im rechtlichen Be-
reich haben wir die Straßenverkehrs-Ordnung sorgfältig
und vorsichtig novelliert . Wir haben viel Geld für den
Radverkehr zur Verfügung gestellt . Die Zahlen sind
genannt worden: Etwa 100 Millionen Euro wurden für
Radwege an Bundesstraßen, aber auch für Radwege an
Bundeswasserstraßen zur Verfügung gestellt . Wir haben
den Radweg Deutsche Einheit auf den Weg gebracht .


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Das Wichtigste!)


Man darf nicht vernachlässigen, wie viel Geld in den
Bereich Verkehrssicherheit und in Verkehrserziehungs-
kampagnen fließt. Auch das kommt der Sicherheit des
Radverkehrs zugute . Ich erinnere an die Förderprojekte
im Rahmen des Nationalen Radverkehrsplans in einem
Umfang von über 3 Millionen Euro pro Jahr, an die For-
schungsprojekte im Bereich E-Bike und E-Lastenräder,
die zwischen 2011 und 2016 mit über 7 Millionen Euro
gefördert wurden, und nicht zuletzt an die 25 Millionen
Euro für Radschnellwege in fremder Baulast, die wir
jetzt noch auf den Weg bringen . Wenn ich das einmal zu-
sammenrechne, dann kann ich nur zu dem Schluss kom-
men, dass diese Bundesregierung, diese Große Koalition
eine ambitionierte Radverkehrspolitik betreibt; das muss
man einmal festhalten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

NIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, wenn das bei
Ihnen ambitioniert ist!)

Für manche – Herr Gastel, da haben sie recht – ist sie
zu ambitioniert . Das zeigen die Zahlen, wenn wir uns
andere zum Radwegebau Verpflichtete einmal näher an-
schauen . Es ist ja nicht allein der Bund, der dafür zustän-
dig ist .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat ja keiner behauptet!)


Er unterstützt den Radwegebau . Aber in erster Linie sind
ja die Kommunen und die Länder gefordert .

Die Einschätzung „zu ambitioniert“ trifft auch zu,
wenn ich mir manches Bundesland anschaue, das ja dafür
verantwortlich ist, dass geplant und letztendlich gebaut
wird . 2014 sind 11 Millionen Euro von den Ländern nicht
abgerufen worden, 2015 9 Millionen Euro . Warum? Weil
die Länder die Gelder nicht verbauen konnten . Das ist
übrigens kein Problem des Radwegebaus allein, das ist

auch ein Problem beim Straßenbau . Auch dort sind 2016
Gelder in Millionenhöhe zurückgeflossen.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einen Grund habe ich vorhin aufgeführt!)


– Das ist Ihre Radwegepolitik . – Es ist einfach, nach der
Verantwortlichkeit und dem Geld des Bundes zu rufen .
Allerdings ist man auf Länderebene nicht in der Lage,
das zur Verfügung gestellte Geld anständig zu verbauen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte noch einige weitere Bemerkungen ma-
chen . Sie werfen uns hier vor, es stünden keine Radwege
im Bundesverkehrswegeplan .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stehen sie auch nicht!)


Da stehen sie natürlich nicht drin . Wer ein bisschen
Ahnung von Verkehrspolitik hat, weiß, dass es dort um
großräumig wirksame Investitionen in Bundesverkehrs-
wege geht .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber jede noch so popelige Umgehungsstraße entsteht ohne jede Wirksamkeit im regionalen Verkehr!)


Aber wenn keine Fernverkehrsbedeutung vorliegt, dann
kann ich auch keine Radwege dort einstellen .


(Beifall der Abg . Daniela Ludwig [CDU/ CSU])


Wir unterstützen demnächst den Bau von Radschnellwe-
gen mit 25 Millionen Euro . Aber Sie müssen die Sys-
tematik der Straßenverkehrspolitik in Deutschland mit
Blick auf das, was Sie hier vorschlagen, schon ein biss-
chen beachten .

Ihr Antrag enthält noch andere interessante Passagen,
zum Beispiel die Kaufprämie für E-Bikes .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: E-Lastenräder stehen da drin!)


Wann ist es überhaupt gerechtfertigt, dass man Kauf-
prämien für Fahrzeuge, für andere Wirtschaftsgüter vor-
sieht? Das ist doch nur dann der Fall, wenn ein Markt-
versagen vorliegt . Ich kann nur feststellen: Der Markt für
Elektrofahrräder funktioniert hervorragend .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon ist auch nicht die Rede! Lesen Sie einmal, was im Antrag steht!)


Wir können in den letzten Jahren ein stetiges Wachstum
in diesem Bereich verzeichnen, auch wenn sie teurer sind
als gewöhnliche Fahrräder . Sie werden immer beliebter,
sie werden gekauft .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Lastenräder!)


Deshalb braucht man auch für die Lastenräder keine
Kaufprämie. Das ist eher ein Ausweis einer verqueren
Wirtschaftsauffassung, einer vollkommen falschen ord-

Patrick Schnieder






(A) (C)



(B) (D)


nungspolitischen Vorstellung, wie man Förderung auch
im Bereich Radverkehr zu stricken hat .

Unter dem Strich: Der Radverkehr ist unter Verkehrs-
ministern der Union fester Bestandteil des Mobilitätsmi-
xes geworden .


(Lachen des Abg . Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir sehen das Potenzial . Wir handeln, wir haben die Mit-
tel erhöht, wir haben das Recht weiterentwickelt . Es ist
also eine mehr als erfolgreiche Radverkehrspolitik, die
diese Koalition betreibt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822909000

Vielen Dank, Herr Kollege Schnieder . – Als Nächste

spricht Kirsten Lühmann von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1822909100

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe

Kolleginnen! Sehr verehrte Anwesende! Ich freue mich,
dass wir auch dieses Jahr in diesem Haus eine Debatte zu
dem wichtigen Thema Radverkehr führen . Wir sind uns
alle einig: Im Radverkehr steckt ein hohes ökologisches
Potenzial . Allerdings ist der Radverkehr auch der, wie wir
es nennen, schwächere Teil in unserem Verkehrssystem .
Darum gibt es, von der Bundesregierung mitinitiiert, seit
2011 die Kampagne „Ich trag’ Helm“ . Eines ist uns allen
klar: Der Fahrradhelm rettet Leben, liebe Kollegen und
Kolleginnen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Diese Kampagne hat auch Erfolg . Seitdem ist die
Helmtragequote in Deutschland von 11 Prozent auf
17 Prozent gestiegen . Aber wir wissen: Immer noch gibt
es sehr viele, die Ressentiments gegen den Helm haben .
Es gibt aber Alternativen . Auch ich bin in Berlin regel-
mäßig Fahrradfahrerin . Ich trage diesen Airbag, der im
Falle eines Unfalles aufgeht und dann auch meinen Kopf
schützt . Ich sage einmal: Es gibt auch Möglichkeiten für
Helmmuffel, dem Sicherheitsaspekt Rechnung zu tragen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Warum rede ich hier über Sicherheitstechnik und -aus-
stattung beim Fahrrad? Es ist ein so einfacher wie trauri-
ger Fakt: Jeden Tag stirbt auf unseren Straßen ein Fahr-
radfahrender . Liebe Kolleginnen und Kollegen, dagegen
müssen wir etwas tun .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Bundesregierung hat viel erreicht . Das wurde
schon gesagt . Unter anderem haben wir in diesem Jahr
den Etat für die Verkehrssicherheitsarbeit auf 14 Millio-
nen Euro erhöht . Ich nutze diese Gelegenheit, ein herz-
liches Dankeschön zu sagen an alle Ehrenamtlichen und
Hauptamtlichen, die in den Jugendverkehrsschulen, bei

der Deutschen Verkehrswacht und beim Deutschen Ver-
kehrssicherheitsrat dafür sorgen, dass unsere Straßen si-
cherer werden . Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben hier erst die Einbringung des Antrags, das
heißt, wir werden uns mit den einzelnen Punkten des An-
trages noch vertieft auseinandersetzen . Lassen Sie mich
nur zwei anführen, um Ihnen deutlich zu machen, dass
wir dieses Thema schon angegangen sind, insofern es
diesen Antrag nicht gebraucht hätte .

Das eine Thema wurde schon erwähnt: Kinder bis
zum Alter von acht Jahren können den Gehweg mit Be-
gleitpersonen benutzen . Das ist eine Neuerung, die vom
Verkehrsministerium eingeführt wurde und die wir für
wichtig und richtig halten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das zweite Thema ist mir auch sehr wichtig: Schutz-
streifen auf Straßen außerorts . Wir warten alle auf die
Freigabe des Berichtes der Bundesanstalt für Straßenwe-
sen durch Minister Dobrindt über einen Feldversuch zu
diesem Thema .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da warten wir schon lange! Der wird verschleppt, verschleppt, verschleppt!)


Wir sind uns alle einig: Natürlich ist außerorts der Fahr-
radweg die sicherste Möglichkeit . Aber wenn es ihn nicht
gibt – oder wenn es ihn noch nicht gibt –, müssen wir
etwas tun, um das Radfahren außerorts sicherer zu ma-
chen. Ich erhoffe mir von diesem Bericht Handlungsan-
weisungen für unsere Straßenbaubehörden, um, wenn es
sinnvoll ist, einen Schutzstreifen auch außerorts aufzu-
bringen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber uns beschäftigt auch beim Radverkehr innerorts
eine Thematik: Es gibt Untersuchungen, die besagen,
dass der Fahrradfahrende innerorts besser auf der Straße
als auf dem Gehweg aufgehoben ist – es passieren we-
niger Unfälle, insbesondere beim Abbiegen . Ich kenne
aber viele Fahrradfahrende, die sich innerorts auf der
Fahrbahn unsicher fühlen, und ich kann sie verstehen,
liebe Kolleginnen und Kollegen . Wir müssen, wenn wir
innerorts die Fahrräder auf die Fahrbahn bringen, auch
dafür sorgen, dass sich die Fahrradfahrenden dort sicher
fühlen . Das heißt – es wurde schon gesagt –, wir müssen
daran arbeiten, dass die motorisierten Verkehrsteilneh-
menden nicht dicht an den Radfahrenden vorbeifahren .
Wie können wir das erreichen? Indem wir auch innerorts
einen Fahrradschutzstreifen aufbringen . Dann können
wir die Fahrräder auf die Fahrbahn bringen, und dann ist
es sicher .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich auf
die Debatte im Ausschuss . Es gibt Themen, die ich dort
gerne ansprechen würde, zum Beispiel das Thema Fahr-
rad und Alkohol . Das steht nicht in dem Antrag, aber es

Patrick Schnieder






(A) (C)



(B) (D)


ist mir ein Herzensanliegen . Vielleicht können wir auch
darüber reden .

Jetzt wünsche ich uns erst einmal eine sichere Heim-
fahrt – sei es auf dem Fahrrad, im Auto, mit dem Zug –
und ein schönes Wochenende .

Danke sehr .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822909200

Liebe Frau Lühmann, aber wir haben noch eine De-

batte . Also noch nicht alle in die Osterpause schicken! –
Als letzte Rednerin in dieser Aussprache spricht Daniela
Ludwig von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Daniela Raab (CSU):
Rede ID: ID1822909300

Verehrte, liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Genau 200 Jahre ist es her, dass Karl Drais zum ersten
Mal mit seiner Draisine durch Mannheim fuhr .


(Michael Donth [CDU/CSU]: In Baden-Württemberg! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Am Montag wird es in Mannheim gefeiert, und Dobrindt glänzt mit Abwesenheit!)


Damit war sozusagen der absolute Trend für das Fahr-
rad gesetzt . Ich glaube, er hätte sich damals tatsächlich
nicht vorstellen können, welche Bedeutung dieser fahr-
bare Untersatz tatsächlich einmal gewinnen könnte und
dass er es sozusagen zu einer Bundestagsdebatte bringen
würde . Insofern ist es sehr wichtig, dass wir uns heute
mit dem auseinandersetzen, was mit dem Radverkehr zu
tun hat .

Es ist viel dazu gesagt worden, wie viel Geld der Bund
investiert . Es ist viel dazu gesagt worden, wie wichtig
hier die enge Verzahnung von Bund, Ländern und Kom-
munen ist . Wichtig ist auch das, was vor Ort passiert .
Lieber Herr Zierke, Sie haben mir da aus der Seele ge-
sprochen: Das Bekenntnis zum Radverkehr darf nicht
nur hier und in Sonntagsreden abgelegt werden, sondern
man muss sich der Verantwortung stellen und sich zu
dem Flächenverbrauch bekennen, der mit dem Ausbau
der Radwege verbunden ist . Er führt aber zu einem Si-
cherheitsgewinn für die Verkehrsteilnehmerinnen und
Verkehrsteilnehmer, die sich für das Fahrrad interessie-
ren und es benutzen wollen .

Dass das Thema Radverkehr ein Wirtschaftsfaktor
ist, haben wir heute auch schon gehört . Zum mittlerwei-
le siebten Mal findet die VELOBerlin hier in der Messe
statt . Daran sieht man: Es tut sich etwas in diesem Be-
reich . Das Fahrrad ist nicht mehr nur Fortbewegungsmit-
tel, sondern durchaus auch in – es ist ein Trend .

Lassen Sie mich, weil sonst schon alles beleuchtet
worden ist, als Tourismuspolitikerin sagen: Das Thema
Fahrradtourismus gewinnt in Deutschland zunehmend
an Bedeutung . Das liegt natürlich auch an unseren bisher
schon sehr guten Radwegen . Schauen wir uns gemein-

sam die Zahlen an: 5,2 Millionen Bundesbürger haben im
letzten Jahr einen reinen Fahrradurlaub unternommen,
und zwar hier bei uns im Land . Das ist ein Zuwachs von
über 16 Prozent . Kaum ein Bereich verzeichnet einen
so großen Zuwachs . So schlecht kann es also um unsere
Radwege in der Tat nicht bestellt sein .

Der Radweg Deutsche Einheit – es ist gesagt worden –
ist nicht mehr nur ein Radweg; es ist ein totaler Erleb-
nispfad . Man kann sich überall mit Touchpads über die
Historie informieren . Es gibt freies WLAN für die, die da
radeln . Das heißt, wir gehen hier schon einen Schritt in
die richtige Richtung . Und jawohl: Wir als Bund beken-
nen uns zu unserer Verantwortung .

Ein Fahrradweg gehört mittlerweile wie selbstver-
ständlich zu einer Bundesstraße . Ich bin ja bei Ihnen: Das
ist ausbaufähig, und wir müssen noch mehr investieren,
aber dann bitte auch in Kooperation mit den Verantwort-
lichen vor Ort . Es kann nicht sein, dass immer nur die
Antwort kommt: Das wollen wir hier jetzt nicht, weil
vielleicht ein Molch über die Straße laufen könnte . – So
funktioniert das nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir stellen 130 Millionen Euro nur für den Ausbau der
Radinfrastruktur zur Verfügung . Der Ausbau von Radwe-
gen an Bundesstraßen ist schon angesprochen worden .
Auch die Ertüchtigung von Betriebswegen an Bundes-
wasserstraßen für Zwecke des Radverkehrs ist ein ganz
wichtiger Punkt, nicht nur touristisch . Außerdem sind
25 Millionen Euro für den Ausbau der Radschnellwege
vorgesehen, und damit sind wir Vorreiter in Europa; das
muss man in aller Deutlichkeit sagen .

Der Radverkehr gewinnt im Allgemeinen an Bedeu-
tung: für Pendler, aber auch für diejenigen, die unser
Land touristisch erkunden wollen .

Liebe Frau Lühmann, wir wollen, dass die Menschen
sicher unterwegs sind, und zwar von Anfang an . Ich als
Mutter von zwei radelnden Fünfjährigen kann nur sagen:
Ich bin heilfroh, dass sie ein bisschen länger auf dem
Gehweg fahren dürfen; denn trotz Fahrradhelm ist einem
nicht immer wohl dabei, wenn die Kinder mit dem Fahr-
rad unterwegs sind .


(Kirsten Lühmann [SPD]: Das stimmt!)


Aber ich denke, es gehört bei uns dazu, dass die Kinder
frühzeitig sicher radeln lernen . Wir müssen ihnen den
Weg in den Verkehr ebnen .

Der Bund übernimmt Verantwortung . Aber auch alle
anderen Akteure sind in der Pflicht, sowohl an der Finan-
zierung als auch an der Planung mitzuwirken; denn sonst
bekommen wir es bundesweit nicht hin . Bekennen Sie
sich zur Ihrer Verantwortung! Dann sind wir auf einem
sehr guten Weg .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Kirsten Lühmann






(A) (C)



(B) (D)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822909400

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Ludwig . – Ich schlie-

ße damit die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11729 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a und 39 b auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Für gute Bildung in Europa – Erfolgreiches
Programm Erasmus+ weiterentwickeln

Drucksache 18/11726
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, Özcan
Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mit Erasmus+ europäische Gemeinschaft er-
leben

Drucksache 18/11737
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst das
Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Thomas
Rachel für die Bundesregierung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


T
Thomas Rachel (CDU):
Rede ID: ID1822909500


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Am Sonntag wurde der Unterzeichnung der Rö-
mischen Verträge vor 60 Jahren gedacht . Diesen Mitt-
woch hat Großbritannien den Austritt aus der Europäi-
schen Union beantragt; ein bitterer Tag für uns, für die
Briten und auch für die Europäische Union insgesamt .

Vor 70 Jahren war es übrigens ein Brite, nämlich
Winston Churchill, der in seiner Rede an der Universi-
tät Zürich die „Neuschöpfung der europäischen Völker-
familie“ gefordert hat, und das nach zwei verheerenden
Weltkriegen . Das war wahrlich visionär . Seine Vision ist
Wirklichkeit geworden: ein gemeinsames Europa, die
Europäische Union . Aber: Sie ist nicht mehr unbestritten .

Der Brexit ist ein tiefgreifender Einschnitt im Prozess
der europäischen Einigung . Er ist für uns alle ein Weck-
ruf . Seine genauen Auswirkungen kennen wir noch nicht .
Nicht nur bei uns, auch in anderen europäischen Ländern
gibt es nationalistische und populistische Anfeindungen,
die uns herausfordern .

Natürlich ist die Europäische Union nicht perfekt .
Oft wirkt sie im Stillen . Sie hat uns viele Freiheiten
und Vorteile gebracht, die wir leider im täglichen Leben
manchmal nicht mehr wahrnehmen . Sie werden uns erst
dann wieder richtig bewusst, wenn sie plötzlich infrage
gestellt werden, wie gerade in Großbritannien das Auf-
enthaltsrecht für EU-Ausländer .

Wie erleben heutzutage eigentlich junge Menschen
Europa? Ich denke, zunächst durch das freie Reisen,
durch Freizügigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer, durch die Ausbildung und das Studium im be-
nachbarten Ausland . All das war vor 60 Jahren undenk-
bar .

Kein Programm macht Europa für die junge Generati-
on so erlebbar wie Erasmus+ .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Vor 30 Jahren war es meist nur wenigen vorbehalten, im
Ausland zu studieren . Das Erasmus-Programm hat dies
grundlegend geändert . Breite Schichten in allen Mit-
gliedstaaten haben mittlerweile diese Möglichkeit . Fast
10 Millionen junge Menschen haben in dieser Zeit dank
Erasmus im europäischen Ausland studiert, Praktika
gemacht oder gelehrt, darunter fast 1,3 Millionen Men-
schen aus Deutschland . Diese Generation Erasmus lernt
andere Kulturen, Arbeitsweisen und Lebensgewohnhei-
ten kennen – in der beruflichen Bildung, im Studium, in
anderen europäischen Schulen, aber auch in der Erwach-
senenbildung und in der europäischen Jugendarbeit . Für
die Generation Erasmus ist ein Europa mit nationalen
Grenzen unvorstellbar . Sie verstehen und fühlen sich als
europäische Bürger, und das ist auch gut so .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das aktuelle, um 40 Prozent ausgebaute, mit 17,4 Mil-
liarden Euro finanzierte Programm Erasmus+ läuft bis
2020 . Wo besteht Reformbedarf für die Zukunft?

Erstens . Das gemeinsame europäische Dach Erasmus+
hat große Vorteile, weil es sichtbar ist; aber für jeden
einzelnen Bildungsbereich muss künftig eine zielgrup-






(A) (C)



(B) (D)


penspezifische Ansprache gelingen. Die einzelnen Pro-
grammbereiche sollen größere Sichtbarkeit erhalten,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir schon vor vier Jahren gefordert!)


die ihrem jeweiligen Stellenwert entspricht .

Zweitens . Der Zugang zum Programm muss verein-
facht werden . Antrags-, Berichts- und Abrechnungsver-
fahren müssen in einem vernünftigen Verhältnis zu der
zur Verfügung gestellten Fördersumme stehen .

Schließlich drittens . Dieses große europäische Mobili-
tätsprogramm verdient eine nachhaltige finanzielle Auf-
stockung durch die Europäische Union .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Gerade den Auszubildenden wollen wir mehr Mobili-
tät und Erfahrungen in anderen europäischen Betrieben
ermöglichen, damit sie ihre kulturelle Einbettung ken-
nenlernen können . Angesichts von Nationalismus und
Abschottung setzen wir hier – ich denke, gemeinsam –
auf mehr Mobilität von Jugendlichen, von Auszubilden-
den und Studenten in Europa; denn nichts prägt die euro-
päische Identität und die Identifikation mit Europa mehr
als persönliche Begegnungen sowie erlebtes und gelebtes
Miteinander über Ländergrenzen hinweg .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Erasmus und Erasmus+ sind eine Erfolgsgeschichte .
Wir wollen dieses Programm gemeinsam mit dem Parla-
ment für die Zukunft ausbauen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822909600

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär Rachel . – Als

Nächste spricht Frau Dr . Rosemarie Hein von der Frak-
tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822909700

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf
den Tribünen! Wenn einer eine Reise tut, dann kann er
oder auch sie etwas erzählen, heißt es . Die Welt anschau-
en, andere Erfahrungen und Lebensweisen kennenlernen,
lohnt sich aber auch, um die Welt um uns besser verste-
hen zu lernen . Es ist eine Möglichkeit, dem wachsenden
Nationalismus Einhalt zu gebieten, Toleranz und Weltof-
fenheit nicht nur zu postulieren, sondern auch zu leben .


(Beifall bei der LINKEN)


Das Programm Erasmus+ ist eines der erfolgreichsten
Programme der Europäischen Union und sehr geeignet,
genau diese Ziele zu stärken . Erasmus+ umfasst auch die

früher selbstständigen Programme für den Austausch im
Schulbereich, in der Berufsbildung, in der Erwachsenen-
bildung, im Sport und für den Jugendaustausch . Es läuft
zunächst bis 2020 .

Noch in diesem Jahr soll ein Zwischenbericht vorge-
legt werden . Doch es häufen sich schon jetzt die Hinwei-
se, dass nachgebessert werden muss . Es scheint kurios:
Der Erfolg des Programmes ist gleichzeitig sein Problem .
Die Zahl der Förderanträge ist teilweise extrem angestie-
gen, was ja für das Programm spricht . So wurden 2011
allein aus Deutschland knapp 34 000 Teilnehmerinnen
und Teilnehmer aus dem Bereich Hochschule gefördert .
2015 waren es schon 42 000 Personen .

Der Hochschulbereich ist gleichzeitig der mit Abstand
stärkste Förderbereich; nur halb so groß ist der der be-
ruflichen Bildung. Zwar wird dort eine höhere Förder-
quote erreicht, aber die Zahl der Antragstellungen ist
wesentlich geringer . Professor Esser, der Präsident des
Bundesinstitutes für Berufsbildung, nannte in dieser Wo-
che in der Anhörung zur Internationalisierungsstrategie
der Bundesregierung im Ausschuss auch den Grund: Der
Bürokratieaufwand bei der Antragstellung sei für viele
Betriebe zu hoch . Ähnliches beklagt auch die Arbeitsge-
meinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland .
300 Seiten Programmleitfaden seien nicht nutzerfreund-
lich, finden sie. Wir finden das auch.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Darum sind es vielleicht – wie in meinem Bundesland –
vor allem die größeren und erfahreneren Träger, die wie-
derholt auf erfolgreiche Antragsstellungen verweisen
können .

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundes-
tages hat schon vor einem Jahr darauf hingewiesen, dass
in den meisten Förderbereichen des Programmes die För-
derquoten oder die Förderbeträge sinken. Auch das ist ein
Ausdruck des Programmerfolges . Darum bedarf es drin-
gend einer Aufstockung und einer Entbürokratisierung,
damit mehr Menschen von diesem Austausch profitieren
können . Das hat vorhin auch der Staatssekretär gesagt .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das gilt insbesondere auch für den Schulbereich .
Auch hier ist der Etat gewachsen, aber hauptsächlich für
den Austausch von Lehrkräften . Doch in meinem Bun-
desland – sicherlich nicht nur dort – ist das Interesse der
Schulen


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das war doch Sachsen-Anhalt, Ihr Bundesland, Frau Kollegin? – Martin Rabanus [SPD]: Das schönste Bundesland!)


– so ist es –, allen voran der über 20 Europaschulen, un-
gebrochen . Aber Reisen muss man sich auch leisten kön-
nen . Dieses Austauschprogramm ist für Bildung, Weltof-
fenheit und Toleranz unersetzbar . Darum muss der Etat

Parl. Staatssekretär Thomas Rachel






(A) (C)



(B) (D)


dringend weiter aufgestockt werden, damit niemand aus
finanziellen Gründen darauf verzichten muss.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Martin Rabanus [SPD])


Mehreren Berichten entnehmen wir, dass die Sicht-
barkeit der ehemals selbstständigen Programme „Co-
menius“ für die Schulen, „Jugend in Aktion“ für den
Jugendaustausch, „Leonardo da Vinci“ für die berufliche
Bildung und „Grundtvig“ für die Erwachsenenbildung
hinter dem dominierenden Programm Erasmus zurück-
steht . Allerdings hatten wir das schon 2012 befürchtet .
Die Bundesregierung hat das damals eigentlich auch so
gesehen, wie man ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage
unserer Fraktion aus dem Jahre 2012 entnehmen kann .

Ich glaube, wir müssen hier jetzt in der Tat reagieren .
Wir haben in der kommenden Sitzungswoche im Aus-
schuss ein Fachgespräch zu diesem Thema. Ich hoffe,
dass wir aus diesem Fachgespräch etwas schlauer he-
rausgehen, dass wir also nicht nur die Probleme kennen,
sondern vielleicht auch für Lösungsstrategien sorgen
können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822909800

Vielen Dank, Frau Dr . Hein . – Als Nächster spricht

Martin Rabanus von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Martin Rabanus (SPD):
Rede ID: ID1822909900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen! Lie-
be Zuschauer! Ich weiß zwar noch nicht genau, was die
Grünen gleich vortragen werden,


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Angst!)


aber es ist schon erkennbar, dass der letzte Tagesord-
nungspunkt dieser Sitzungswoche kurz vor Ostern offen-
sichtlich einer ist, bei dem hier im Hause viel Konsens
herrscht. Das finde ich ganz schön.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schöner grüner Antrag!)


Ich glaube, dass sich Kai Gehring für die Grünen nachher
auch sehr konstruktiv an der Debatte beteiligen wird .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, wir alle sind uns diesbezüglich wirklich
einig . Wir haben in den letzten Monaten immer wieder
Diskussionen über Europa geführt, über die Probleme an
den Rändern Europas, zum Beispiel gestern in der ver-
einbarten Debatte zum Brexit, der ja inzwischen zum
Synonym für all das, was in Europa nicht so gut läuft,
geworden ist . Wenn wir nun heute über das Bildungspro-

gramm Erasmus+ sprechen, sprechen wir über die Hoff-
nung und über die Zukunft für Europa .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Seit 2014 steht Erasmus+ für das Gemeinsame, das
Grenzen Überschreitende, das Lernen, den Austausch
miteinander . Durch diesen Austausch wächst Europa
weiter zusammen . Erasmus+ ist ein hervorragendes In-
strument, um den Zusammenhalt zwischen den Nationen
Europas zu stärken. Die internationale Erfahrung eröffnet
den jungen Menschen persönliche, aber auch berufliche
Perspektiven sowie Qualifikationen. Das ist auch für den
europäischen Arbeitsmarkt gut. Ich finde, auch das darf
man nicht vergessen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir feiern
30 Jahre Erasmus in diesem Jahr . Die europäischen Staa-
ten haben sich nach zwei Weltkriegen zu einer Gemein-
schaft entwickelt, die durch Kultur, Bildung, persönli-
ches Erleben und Freundschaften entstanden ist . Erasmus
und die anderen Bildungsprogramme haben sich im Lau-
fe der Zeit immer weiterentwickelt und großen Anklang
gefunden .

Damit fördern die europäischen Bildungsprogramme
seit 30 Jahren Lehren und Lernen, interkulturelle Begeg-
nungen und die Zusammenarbeit in Europa . 1987 haben
nach der Gründung des Erasmus-Programms gerade
einmal 657 deutsche Studierende an diesem Programm
teilgenommen . Frau Hein hat die Zahl genannt: Heute
sind es 42 000 . Das zeigt, welch eine Akzeptanz dieses
Programm hat .

Seit 2014 heißt dieses Programm Erasmus+ . Weil die
einzelnen Marken leider ein bisschen hinter den über-
mächtigen Teil Erasmus zurücktreten – ich sehe das
genauso wie Frau Kollegin Hein –, will ich diese be-
nennen . Da ist „Comenius“ für die Schulbildung . Da ist
„Jugend in Aktion“ für die außerschulische Bildung und
„ Leonardo da Vinci“ für die berufliche Bildung. Ich darf
an dieser Stelle dazu sagen, dass es ein besonderes Inte-
resse meiner Fraktion darstellt, auch die Mobilität bei der
beruflichen Bildung in Zukunft weiter zu stärken.


(Beifall im ganzen Hause – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch unserer Fraktion!)


– Das ist ein besonderes Anliegen der Koalition und des
gesamten Hauses, wie ich merke .

Da ist „Grundtvig“ für die Erwachsenenbildung . Da
sind Jean-Monnet-Aktivitäten für Forschung und Lehre .
All das ist jetzt unter Erasmus+ zusammengefasst .

Wir müssen bei der Evaluierung und der Weiterent-
wicklung darauf Wert legen, dass diese einzelnen Mar-
ken wieder sichtbarer werden . Denn auch dadurch kön-
nen wir die Mobilität aus meiner Sicht erhöhen .

Andere Stichworte wurden genannt . Die Ziele für die-
ses Zusammenführen der Programme waren natürlich
Effizienzsteigerungen und schlankere Strukturen. Das

Dr. Rosemarie Hein






(A) (C)



(B) (D)


Antragsverfahren und das Management sollten einfacher
werden . Auch das ist gesagt worden . Da ist noch Luft
nach oben; ich formuliere das sehr vorsichtig .

Die Antragsverfahren sind nach wie vor sperrig . Sie
sind nicht in allen Teilen so konzentriert, wie es mög-
lich und vielleicht auch nötig wäre . Vor allen Dingen –
auch das ist schon erwähnt worden – sind die kleineren
Programmpartner – viele kommen aus dem Bereich des
Ehrenamts – natürlich mit so mächtigen Antrags- und
Abrechnungsverfahren am Ende des Tages überfordert .
Daran müssen wir verstärkt weiterarbeiten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die transeuropäische Mobilität steigt für alle Berei-
che . Der Erfolg des Programms ist zugleich sein Fluch .
So ist es vorhin gesagt worden, und so ist es tatsächlich
auch . Auch wenn wir im Moment über ein Gesamtbudget
in Höhe von 14,7 Milliarden Euro verfügen, haben wir
natürlich an allen Ecken und Enden eine Decke, die zu
kurz ist .

Damit wir das nicht vergessen, will ich Folgendes sa-
gen: In der aktuell laufenden Programmphase werden wir
4 Millionen Menschen am Ende des Tages die Möglich-
keit gegeben haben, durch dieses Programm Europa und
andere europäische Länder kennenzulernen . 125 000 In-
stitutionen, 2 Millionen Studierende, 650 000 Schüler
und Auszubildende, 500 000 junge Menschen aus Frei-
willigendiensten und 25 000 strategische Partnerschaften
werden mit diesem Budget finanziert werden können.
Das ist ein hervorragender und ein großer Schritt, den
wir nicht kleiner machen dürfen, als er tatsächlich ist .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dennoch werden wir – das sicherlich in großem Ein-
vernehmen – dafür streiten, zusätzliche Mittel für das
Programm zu bekommen . Auch müssen wir noch einmal
ein bisschen genauer schauen, ob die Justierung der ein-
zelnen Programmbereiche und die Budgetverteilungen
zwischen den Programmbereichen so richtig sind .

Ich will aus meinem Herzen keine Mördergrube
machen; den Bereich der beruflichen Bildung habe ich
eben genannt . Ich glaube, ihn müssen wir stärken . Auch
die vermeintlich kleineren Programmbereiche wie „Ju-
gend in Aktion“, die Erwachsenenbildung oder auch die
Schulbildung sollten im besonderen Fokus unserer Auf-
merksamkeit stehen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein
starkes Erasmus+ . Wir brauchen ein starkes Bildungs-
und Mobilitätsprogramm . Denn wir wollen den Feinden
der Freiheit in Europa Freundschaft und Verständigung
zwischen den europäischen Nationen entgegenstellen .
Dafür brauchen wir ein starkes Erasmus+ . Umberto
Eco hat einmal gesagt: Erasmus hat die erste Genera-
tion Europäer hervorgebracht . – Ich wünsche mir, dass

viele weitere Generationen überzeugter Europäer durch
Erasmus+ unseren Kontinent zusammenhalten: für Frie-
den, für Freiheit, für uns alle .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg . Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE])



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822910000

Herzlichen Dank, Herr Kollege . – Als Nächster spricht

Kai Gehring von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822910100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die gefähr-
lichste Weltanschauung ist die derer, die die Welt nie
angeschaut haben .“ Das wusste schon Alexander von
Humboldt . Europa ist ein Stabilitätsanker in einer Welt
mit Krisen und Konflikten, ein Kontinent der Demokratie
und Rechtsstaatlichkeit, mit garantierten Menschen- und
Freiheitsrechten .

Das Einigungswerk steht unter Druck . Europafeindli-
che und nationalistische Strömungen stellen europäische
Werte und die Union infrage .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Unsere Union aber nicht!)


Ich sage für uns sehr klar: Ausgrenzung, Abschottung und
Renationalisierung führen in die Sackgasse, und sie sind
unvereinbar mit unserer europäischen Gemeinschaft .


(Beifall im ganzen Hause)


Auch wenn die Brexit-Verhandlungen in den nächsten
Jahren viel Kraft binden werden, sollten wir nicht auf-
hören, die europäische Integration voranzutreiben und
unsere universellen Gemeinschaftsrechte zu verteidigen;
denn Europa muss sozialer, ökologischer, demokrati-
scher und sicherer werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bei so manchem Schatten gibt es aber auch viel Licht .
Für viele ist Europa eben doch selbstverständlicher All-
tag, insbesondere in den Grenzregionen . Ich will mir jetzt
einen Seitenhieb auf die Maut ersparen, um die Einigkeit
hier nicht zu stören .


(Martin Rabanus [SPD]: Sehr anständig von Ihnen – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Bis eben war es noch gut!)


Aber wissen Sie: Gerade die Jugend – und damit die Zu-
kunft – Europas lebt und schätzt Europa mit seiner Viel-
falt, den Freiräumen und den Chancen . Im Rahmen der
europäischen Bildungsprogramme sind in der Vergan-
genheit über 7 Millionen Menschen zum Leben und Ler-
nen in ein anderes EU-Land gegangen – eine echte Er-
folgsstory . Daher auch von uns herzlichen Glückwunsch

Martin Rabanus






(A) (C)



(B) (D)


zum 30 . Geburtstag! Wir meinen, wer Europa auf diese
Weise erfährt, kennt seinen Wert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir Grünen im Bundestag und die Koalitionsfrakti-
onen legen heute Anträge vor, mit denen wir dafür sor-
gen wollen, dass Bildung stärker zur europäischen Eini-
gung beiträgt . Ich sehe auch in dieser Debatte sehr viel
Einigkeit . Eine fraktionsübergreifende Initiative wäre
ein großartiges Zeichen ins Land und auch in Richtung
Brüssel gewesen . Deshalb: Schade, dass das nicht mög-
lich war . Ich sage sehr klar: Wir Grüne stehen weiter für
einen einvernehmlichen Antrag des gesamten Hohen
Hauses bereit;


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Des gesamten?)


denn wir alle wollen einen Chancenkontinent .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen, dass Erasmus+ noch besser läuft . Es wird
noch viel zu sehr als Programm für Studierende wahr-
genommen . Es ist wichtig, seine Anwendungsmöglich-
keiten in allen Bildungsbereichen sichtbarer zu machen
und bei Azubis, Schülerinnen und Schülern sowie Lehr-
kräften viel aktiver für die Teilnahme an Erasmus+ zu
werben . Gerade junge Auszubildende gehen noch viel
zu selten ins Ausland . Sowohl in den Berufsschulen als
auch bei den Arbeitgebern ist noch Überzeugungsarbeit
zu leisten, dass es auch für den Betrieb von Vorteil ist,
wenn Azubis und auch die Beschäftigten eine Zeit lang
ins Ausland gehen . Wir fordern deshalb die Wirtschafts-
verbände auf, gerade kleine und mittlere Unternehmen
für Erasmus+ zu gewinnen . An die Bundesregierung ge-
richtet sage ich: Vereinfachen Sie endlich die Anträge!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jugendliche aus finanzschwächeren Elternhäusern
sind leider noch unterrepräsentiert . Ein besseres BAföG
und mehr Stipendien würden wirken . Auch da kann der
Bund nachlegen; auch dazu kann man sich verabreden .
Wer ins Ausland geht, soll sich sicher sein können, dass
seine anderswo erbrachten Leistungen und Abschlüsse
hierzulande auch anerkannt werden . Mobilität darf nicht
von der Herkunft und nicht vom Konto abhängen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unterrepräsentiert sind auch Jugendliche aus man-
chen EU-Ländern und -Regionen . Die Teilnahmestaaten
sollten darum endlich Ideen entwickeln, wie die Men-
schen in allen europäischen Regionen von Erasmus+
besser profitieren können. Statt eingefahrener Ströme nur
in eine Richtung oder nur zwischen bestimmten Staaten
wollen wir vielfältige Mobilität; denn genau das macht
Europa aus . Mobilität ist für alle da . Nur das ist gerecht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mehr europäischer Austausch ist ein Baustein für ein
zusammenwachsendes Europa . Erasmus+ überzeugt die
Menschen von den Vorzügen der europäischen Eini-
gung und ist damit eine ganz konkrete Antwort auf die
Schwarzmaler und die nationalen Egoisten . Bildung
schafft Identität, auch europäische Identität, und öffnet
europaweit Türen, Köpfe und Herzen, ob hierzulande, in
Frankreich, in süd- oder osteuropäischen Ländern . Wir
tun, glaube ich, gut daran, die Begeisterung der Gene-
ration Erasmus für Europa gemeinsam zu stärken und
weiterzuverbreiten .

Vielen Dank .


(Beifall im ganzen Hause)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822910200

Herzlichen Dank, Herr Kollege Kai Gehring . –

Als Nächstes spricht Katrin Albsteiger von der CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Albsteiger (CSU):
Rede ID: ID1822910300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Vieles kann die Parlaments-
arbeit manchmal mühsam machen . So schön es ist, wenn
man sich hier in Plenardebatten richtig aneinander reiben
und wirklich auch sehr unterschiedliche Auffassungen
zu dem einen oder anderen Thema vertreten kann – auch
gestern hatten wir so eine Debatte hier im Plenum; wahr-
scheinlich waren es mehrere dieser Art –, so schön ist es
doch auch – gerade zum Ende dieser Sitzungswoche –,
über ein Thema zu diskutieren, bei dem große Einigkeit
in diesem Parlament herrscht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Für den vorliegenden Antrag – ich möchte gar nicht
sagen, dass er nach langwierigen Verhandlungen entstan-
den ist – haben wir uns durchaus viel Zeit genommen .
Dafür möchte ich mich auch herzlich bei meinem Kol-
legen Martin Rabanus bedanken . Das war eine sehr gute
Zusammenarbeit . Gerne wieder!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Martin Rabanus [SPD]: Ebenso! Das kann ich nur zurückgeben!)


– Herzlichen Dank .


(Beifall des Abg . Dr . Thomas Feist [CDU/ CSU])


Es ist schon gesagt worden: Derzeit befindet sich das
Programm Erasmus+ in der Zwischenevaluation . Wir
erwarten bis Ende des Jahres die Veröffentlichung des
Ergebnisses . Deswegen und schon allein deshalb, weil
schließlich auch die europäische Ebene erfahren muss,
wie wir über dieses Programm denken, ist gerade jetzt
ein sehr guter Zeitpunkt, um uns hier im Parlament auch
noch einmal mit diesem Thema zu beschäftigen .

Wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag
auf, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


die Gelder, die erheblich aufgestockt wurden, bis zum
Ende der Programmperiode, 2020, tatsächlich auch für
das Programm verwendet werden können und dass die-
ses wichtige und richtige Programm auch danach, nach
2020, fortgesetzt wird .


(Beifall im ganzen Hause)

Wie es in dieser Debatte schon mehrfach angespro-

chen worden ist, war es uns ebenfalls ein Anliegen – Sie
finden das im Antrag –, dass wir alle Einzelprogramme
hier auch gesondert benennen, weil jedes Einzelpro-
gramm ein spezifisches Programm mit einer ganz be-
stimmten Zielgruppe ist .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Name ist nicht wichtig! Wichtiger ist das, was drin ist!)


Die kleineren Programmbereiche müssen, wenn sie noch
nicht so bekannt sind, noch ein bisschen bekannter und
sichtbarer gemacht werden . Das können wir auch heute
hier bei dieser Debatte leisten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Um einen Programmbereich noch einmal herauszu-
streichen – mein Kollege hat das auch bereits getan –:
Wichtig für uns ist die berufliche Bildung. Diesen Punkt
halte ich tatsächlich für sehr wichtig .

Auch in der letzten Legislaturperiode haben wir uns
dazu schon ein Ziel gesetzt, nämlich, 10 Prozent aller
Auszubildenden eine Auslandserfahrung zu ermögli-
chen . Das ist ein sehr schönes Ziel . Wenn man sich aber
anschaut, wo wir gerade sind, dann sieht man, dass wir
bei circa 4 Prozent liegen . Hier ist noch massiv Luft nach
oben und muss noch einiges passieren .

Im europäischen Vergleich sind wir hier im Übrigen
gar nicht so schlecht, aber das hat natürlich auch seinen
Grund. Warum? Die duale berufliche Bildung hat bei uns
in Deutschland eine lange Tradition und ist unheimlich
erfolgreich .


(Beifall bei der CDU/CSU)

Gerade deshalb ist es sehr wichtig, dass unsere Auszubil-
denden auch als Botschafter in andere Länder gehen und
zeigen, wie großartig das duale System ist, welche Chan-
cen und welche Nähe zum Arbeitsmarkt es bietet und
was für ein tolles Instrument es ist – auch, um Jugend-
arbeitslosigkeit zu verhindern . Genau deswegen wollen
wir darauf auch weiterhin unseren Schwerpunkt setzen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Über die Bedeutung von Erasmus+ in Europa ist hier
schon viel gesprochen worden . Es ist tatsächlich auch ein
Gegengift für Populismus und Euroskepsis . Auf die Fei-
erlichkeiten zum 60 . Jahrestag der Römischen Verträge
und auf das 30-jährige Jubiläum des Programms Erasmus
ist hingewiesen worden . Das sind tolle Sachen .

Darüber hinaus gibt es aber auch andere, neue Ideen,
die dazu beitragen, dass Europa gerade für junge Men-
schen erlebbarer gemacht und denjenigen entgegenge-
wirkt wird, die immer nur Phrasen dreschen und sagen:

„Europa und die Werte sind wichtig“, während sie ei-
gentlich gar nicht wissen, was genau dahintersteckt .

Genau deswegen finde ich es zum Beispiel auch toll,
dass es Initiativen wie die gibt, allen, die 18 werden, ein
Interrailticket zur Verfügung zu stellen – das ist tatsäch-
lich großartig –, damit die Mobilität der jungen Men-
schen erhöht wird und sie Erfahrungen sammeln können .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, machen Sie mit? Cem Özdemir hat das diese Woche auch gefordert!)


Aber auch das Europäische Solidaritätskorps, um das
hier einmal anzusprechen, ist eine tolle Initiative, die wir
unterstützen sollten .


(Beifall des Abg . Dr . Thomas Feist [CDU/ CSU] – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur zu!)


Deswegen möchte ich mich zum Schluss dieser De-
batte herzlich bedanken und alle einladen, diese Vision
von Erasmus weiterzutragen und unseren Antrag zu un-
terstützen; denn wir haben mit der heutigen Debatte die
Gelegenheit, eine ein Stück weit Wirklichkeit gewordene
Vision weiterzutragen und auszubauen .

Was ist der millionenfache Austausch von jungen
Menschen, von Jugendlichen in Europa anderes als das
tatsächliche Zusammenwachsen Europas,


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Beste Friedenspolitik!)


in dem Grenzen sowie sprachliche und kulturelle Unter-
schiede überwunden werden und in dem Nachbarn von
Fremden tatsächlich zu Freunden werden?


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Beste Außenpolitik!)


Lassen Sie uns daran gemeinsam weiterarbeiten . – Jetzt
wünsche ich Ihnen allen ein schönes Wochenende .

Herzlichen Dank .


(Beifall im ganzen Hause)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822910400

Vielen Dank, Frau Albsteiger . – Ich schließe die Aus-

sprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/11726 und 18/11737 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall .
Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 26 . April 2017, 13 Uhr, ein .

Bis dahin wünsche ich Ihnen eine gute Heimreise, viel
Zeit für sich, für die Familie, für die schönen Dinge des
Lebens . Bis bald und schöne Osterzeit . In diesem Sinne:
Die Sitzung ist geschlossen .