Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Sitzung ist eröffnet. Ich möchte Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben. -
Am Mittwoch, dem 26. April 1995, verstarb das langjährige Mitglied des Deutschen Bundestags Herr Bundesminister a. D. Egon Franke.
Egon Franke, der 1913 geboren wurde, war stolz auf seine Herkunft aus der Arbeiterbewegung. Noch während seiner Lehre als Tischler trat er mit 14 Jahren der Sozialistischen Arbeiterjugend bei. Er erkannte schon bald die Gefahren des heraufziehenden Nationalsozialismus. Nach der Machtergreifung Hitlers leistete Egon Franke aktiven Widerstand und wurde 1935 wegen angeblicher Vorbereitung zum Hochverrat zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Als Soldat mußte Franke im berüchtigten Strafbataillon 999 von 1943 bis 1945 dienen.
Nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft wurde er in seiner Heimatstadt Hannover einer der engsten Mitarbeiter Kurt Schumachers und wirkte dort maßgebend am Wiederaufbau der Sozialdemokratischen Partei mit.
Dem Deutschen Bundestag gehörte Egon Franke von 1951 bis 1987 an. Von 1967 bis 1969 leitete er den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen, 1969 übernahm er in der sozialliberalen Koalition das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen; Bundesminister war er bis 1982.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Hier ist sachliche Arbeit zu verrichten, die nicht das Spektakel ins Vordertreffen führt, sondern das sachliche Ergebnis anstrebt." Soweit Egon Franke.
Wir gedenken dieses hochverdienten Kollegen in Dankbarkeit und Anerkennung. -
Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Unsere frühere Kollegin Claire Marienfeld, die gleich ihren Eid als Wehrbeauftragte leisten wird, hat am 28. April 1995 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolger hat der Abgeordnete Wolfgang Meckelburg am 2. Mai 1995 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Ich begrüße unseren Kollegen Wolfgang Meckelburg auf das herzlichste im Bundestag und wünsche gute Zusammenarbeit.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes - Drucksache 13/1301 -
2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS: Maßnahmen zur Bekämpfung erhöhter Konzentrationen an bodennahem Ozon - Drucksache 13/1295 -
3. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Eckpunkte zur Bekämpfung umwelt- und gesundheitsgefährdender bodennaher Ozonkonzentration - Drucksache 13/1307 -
4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS: Verzicht auf den geplanten Bau eines Großflughafens Berlin-Brandenburg-International - Drucksache 13/1296 -
5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Nachtwei, Dr. Antje Vollmer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Errichtung einer Bundesstiftung ,.Entschädigung für NS-Unrecht" - Drucksache 13/1193 -
6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Lilo Blunck, Hans Martin Bury, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Privatgirokonto - Drucksache 13/1306 -
7. weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Senkung der Mineralölsteuer far erdgasbetriebene Fahrzeuge - Drucksache 13/1071 -
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bierstedt, Dr. Christa Luft und der Gruppe der PDS: Wiedereinführung einer Investitionszulage für den kleinen und mittelständischen Einzelhandel - Drucksache 13/ 859-
8. weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Driften Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes - Drucksache 13/115 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes - Drucksachen 13/781, 13/1141, 13/1315 -
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Manfred Such, Kerstin Müller , Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
- zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
- zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU und F.D.P. Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
- Drucksachen 13/1176, 13/1196, 13/1202, 13/1323 -
Zugleich soll von der Frist für den Beginn der Beratung, soweit dies erforderlich ist, abgewichen werden.
Des weiteren ist vereinbart worden, den interfraktionellen Antrag „Humanitäre Geste für die Opfer des NS-Unrechts in den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland", Punkt 8 der Tagesordnung, abzusetzen und die Beratung des Tagesordnungspunktes 12a bis c, Recht auf ein Girokonto, auf heute vorzuziehen. Die Beratungen ohne Aussprache, Tagesordnungspunkte 13 und 14, werden vor der Fragestunde aufgerufen.
Außerdem mache ich auf nachträgliche Ausschußüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Die in der 15. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. 1. 1995 überwiesenen nachfolgenden Anträge sollen nachträglich dem Innenausschuß und dem Rechtsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden:
Antrag der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sofortprogramm zum Abbau von Obdachlosigkeit - Drucksache 13/96 -
Antrag der Abgeordneten Gabriele Iwersen, Achim Großmann, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Wohnungslosigkeit - Obdachlosigkeit und Wohnungsnotfälle in der Bundesrepublik Deutschland und Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung - Drucksache 13/ 247 -
Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Werner Dörflinger, Herbert Frankenhauser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hildebrecht Braun , Dr. Klaus Röhl, Horst Friedrich, Lisa Peter und der Fraktion der F.D.P.: Obdachlosigkeit - eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung - Drucksache 13/288 -
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann haben wir das so beschlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 2 auf: Eidesleistung der Wehrbeauftragten
Der Deutsche Bundestag hat in seiner 31. Sitzung, am 30. März 1995, Frau Claire Marienfeld zur Wehrbeauftragten gewählt. Gemäß § 14 Abs. 4 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages leistet dieser vor dem Bundestag den in Art. 56 des Grundgesetzes vorgesehenen Eid.
Frau Wehrbeauftragte, ich bitte Sie zur Eidesleistung. -
Darf ich Sie bitten, die Eidesformel zu sprechen.
Claire Marienfeld, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages: Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.
Frau Wehrbeauftragte, Sie haben den Eid geleistet. Ich möchte Ihnen für Ihre schon aufgenommene Arbeit Gottes Segen, viel Glück und Erfolg wünschen und in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bundestag alles erdenklich Gute im Interesse auch unserer Soldaten.
Claire Marienfeld, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages: Herzlichen Dank.
Unser Dank gilt auch dem ausgeschiedenen Wehrbeauftragten, Alfred Biehle.
Lieber Herr Biehle, ich habe Ihnen am 27. April dieses Jahres, am Tag der Beendigung Ihrer Amtszeit, die Entlassungsurkunde ausgehändigt.Ich möchte auch hier im Plenum des Deutschen Bundestages noch ein Wort des Dankes sagen. Sie haben mehr als 20 Jahre als Bundestagsabgeordneter im Verteidigungsausschuß, dessen Vorsitzender sie über acht Jahre waren, zum Wohl der Bundeswehr und ihrer Soldaten Verteidigungspolitik mitgestaltet. In den letzten fünf Jahren als Wehrbeauftragter sind Sie entschlossen für die Rechte der Soldaten in einer für die Bundeswehr schwierigen, aber auch aufgabenreichen und spannenden Zeit eingetreten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1995 2689
Präsidentin Dr. Rita SüssmuthIch erinnere an die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes, den Zusammenbruch des Warschauer Paktes, den Aufbau der Bundeswehr Ost, die Umstrukturierung der Bundeswehr und ihre erweiterten Auf gaben im Rahmen der UN-Friedensmaßnahmen.Sie haben, was die Stellung und die Möglichkeiten des Wehrbeauftragten betrifft, gerade auch in den mittelost- und osteuropäischen Staaten tatkräftig gewirkt. Sie haben Ihr Amt stets politisch verstanden.Wir möchten Ihnen von hier aus auch im Namen der Soldaten ganz herzlich für Ihre Arbeit im Deutschen Bundestag und als Wehrbeauftragter danken. Herzlichen Dank!
Meine Damen und Herren, ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:a) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Expertenkommission Wohnungspolitik- Drucksache 13/159 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Rechtsausschuß FinanzausschußAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugendb) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungStellungnahme der Bundesregierung zu dem Bericht der Expertenkommission Wohnungspolitik- Drucksache 13/1268 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
RechtsausschußFinanzausschußAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und JugendDazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Wir verfahrenso.Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Kollege Dr. Meister das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Bericht der Expertenkommission Wohnungspolitik liegt uns eine fachliche Grundlage für die Orientierung der Wohnungspolitik der nächsten Jahre vor. Die Vorgehensweise, zunächst fachlichen Rat einzuholen, anschließend eine Bewertung vorzunehmen und daraus politische Handlungsweisen abzuleiten, ist nach unserer Auffassung methodisch richtig.
Die wohnungspolitische Situation hat sich Ende der achtziger Jahre zugespitzt. Eine erhöhte Nachfrage nach Wohnraum in Deutschland, ausgelöst durch die Zuwanderung von etwa 4 Millionen Menschen zwischen 1988 und 1992, sowie gesellschaftliche Veränderungen mit starker Zunahme von Single-haushalten und steigendem Pro-Kopf-Wohnflächenbedarf haben zu Engpässen in Segmenten des Wohnungsmarktes, insbesondere bei Familien mit Kindern, geführt.
Hinzu kamen die gewaltigen Probleme einer vierzigjährigen sozialistischen Mifiwirtschaft in den neuen Bundesländern, die den verantwortlichen Wohnungsbaupolitikern zahlreiche und schwierige neue Fragen aufgaben. Diese Fragen reichen von der Eigentumsproblematik über den enormen Sanierungsbedarf bis hin zu Mietpreisen und Wohngeld. Sie werden hier im Hause gesondert diskutiert, und ich habe sie deshalb nur stichwortartig zur Abrundung des Gesamtbildes genannt.
Die unionsgeführte Bundesregierung hat auf diese Herausforderungen richtig reagiert. Verschiedene Maßnahmen - das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz, das Wohnungsbauförderungsgesetz, die zweistufige Mietenreform und das Wohngeld Ost - wurden durchgesetzt und haben die gewünschten Erfolge gebracht.
Begleitend hierzu hat die Bundesregierung dankenswerterweise den fachlichen Rat von Experten angefordert, um eine objektive Analyse der wohnungsbaupolitischen Landschaft in Deutschland unter den neuen Rahmenbedingungen zu erhalten.
In den vergangenen vier Jahren wurden in Deutschland mehr als 2 Millionen Wohnungen neu gebaut. Mit etwa 570 000 fertiggestellten Wohnungen wurde dabei 1994 ein neuer Höchststand erreicht.
Ferner wurden 710 000 Baugenehmigungen erteilt. In diesem Jahr kann dieses hervorragende Ergebnis voraussichtlich noch gesteigert werden.
Die Zahl der fertiggestellten Wohnungen hat sich nach den Gesetzen des Marktes auch auf den Mietpreis ausgewirkt. Ferner hat der Bausektor als Motor der konjunkturellen Entwicklung auch über die neuen Bundesländer hinaus positiv gewirkt.
Der vorliegende Bericht der Expertenkommission bestätigt die Entscheidungen der Koalition in vielfältiger Weise. Er bietet uns nun ein gutachterliches Fundament, auf dem wir in den kommenden Monaten konkrete politische Schritte aufbauen werden.
Es geht nach meiner Auffassung dabei nicht darum, den Bericht der Expertenkommission unkritisch zu bejubeln oder - die andere Alternative - diesen Bericht bedingungslos zu verwerfen, sondern wir alle sollten die Bereitschaft aufbringen, uns mit diesem Bericht auseinanderzusetzen, die vorgeschlagenen Lösungswege aufzunehmen und weiterzuentwickeln und nach intensiver politischer Debatte in qualifizierte Entscheidungen zu überführen.
Dr. Michael Meister
Dieser Bericht enthebt uns also nicht der Pflicht, die Analyse sorgfältig und kritisch zu hinterfragen und vor dem Hintergrund unserer politischen Grundüberzeugungen die erforderlichen Schlußfolgerungen zu ziehen.
Ziel der Koalition ist es, die Rahmenbedingungen für eine Verstetigung des Wohnungsbaus zu schaffen, die finanzielle Effizienz und soziale Treffsicherheit der wohnungsbaupolitischen Instrumente zu verbessern und damit insbesondere in den Ballungsräumen einen nach wie vor festzustellenden Mangel an preiswerten Wohnungen für Familien mit Kindern zu beheben.
Die politische Umsetzung des Expertenberichts steht unter der Prämisse, marktwirtschaftliche Effizienz mit subjektbezogener Wohnungs- und Sozialpolitik in wirkungsvoller Weise zu verbinden, wie dies erfreulicherweise Eingang in die Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Bericht gefunden hat.
Die Konzentration staatlicher Maßnahmen auf die Definition von Rahmenbedingungen und die Abfederung von sozialen Verwerfungen als Prämisse unserer Politik stehen dabei in klarem Kontrast zu einer wie immer schattierten sozialistischen Lenkungswirtschaft. Die Weiterentwicklung wohnungsbaupolitischer Instrumente im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft sehen wir als Pflichtaufgabe an, weil wir die immer noch bestehenden Probleme in den neuen Bundesländer, in den Ballungsräumen, für Familien oder bei der Eigentumsquote nicht verkennen und gezielt angehen wollen.
Bei unserer Entscheidungsfindung können wir in Anbetracht vorgegebener Haushaltsdaten leider nicht alle wohnungsbaupolitisch wünschenswerten Maßnahmen sofort realisieren. Meine Fraktion begrüßt, daß die Bundesregieurng bereits richtungsweisende Maßnahmen, basierend auf den Aussagen der Experten, eingeleitet hat. Das sind etwa die stärkere Betonung der einkommensorientierten Subjektförderung auch im sozialen Wohnungsbau, ohne der Kommission hinsichtlich der Abschaffung der Objektförderung des ersten und zweiten Förderweges zu folgen, die beabsichtigte Wohngeldnovellierung unter Berücksichtigung der Entwicklung der Mieten- und Einkommenssituation, hinsichtlich der Verfahrenvereinfachung und der Stärkung der Familienkomponente sowie der Vereinheitlichung der Rechtslage in der Bundesrepublik.
Die Möglichkeit zur Regelung der Wohn- und Sozialpolitik über den Ankauf von Belegungsrechten durch Kommunen im Wohnungsbauförderungsgesetz sollte angestrebt werden, wobei die Übertragung von Verantwortung an die Kommunen, die sachlich zweifellos gerechtfertigt ist, nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie von einer ausreichenden finanziellen Ausstattung begleitet wird, die wir im Dritten Wohnungsbaugesetz regeln wollen.
Für die Wohnungswirtschaft in den neuen Ländern ist insbesondere von Bedeutung, daß sehr bald Planungssicherheit für Investoren, Eigentümer und Mieter geschaffen wird. Die Erhöhung der durch die sozialistische Zwangswirtschaft bedingten überaus niedrigen Eigentumsquote in den neuen Bundesländern steilt neben der städtebaulichen Frage in diesem Bereich die größte wohnungsbaupolitische Herausforderung der nahen Zukunft in den neuen Bundesländern dar.
Eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen besteht schließlich in der Entrümpelung des Baurechts von unnötigen Vorschriften und im Abbau von Hemmnissen für Bauherren, um Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Die Wohnungsbaupolitik der Regierungskoalition befindet sich auf richtigem Kurs.
- Ich weiß nicht, warum Sie so überrascht sind.
Unsere Politik wird auf dieser Grundlage die Rahmenbedingungen für einen geordneten Wohnungsmarkt schaffen, in dem sich Angebot und Nachfrage zeitnah einander anpassen werden.
Schönen Dank.
Nach dieser Jungfernrede von Herrn Meister
hat jetzt der Abgeordnete Otto Reschke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Gegensatz zum Kollegen Meister bin ich schon ein wenig länger dabei. Kollege Meister, es ist schon eine komische Situation: Die Regierung beschließt in der letzten Wahlperiode, eine Kommission zu berufen, der Bundestag debattiert darüber und empfiehlt, diese einzusetzen - gegen die Stimmen der Opposition, weil wir sagen, wir sollten sofort handeln. Die Regierung hat ein dreiviertel Jahr Schwierigkeiten - eine Findungsphase -, die Expertenkommission zu berufen.
Und was ist hier heute am Rednerpult zu sehen? - Der Wohnungsbauminister stellt den Bericht, den die Bundesregierung zuerst beschlossen hat, dem Plenum noch nicht einmal vor. Er spricht nicht über die Stellungnahme. Er wagt es nicht, an das Pult zu gehen, erst einmal zu hören, was die Fraktionen zu dem sagen, was zumindest ein Gutachter in der vergangenen Woche „tote Leiche" genannt hat. Damit war der Bericht dieser Kommission gemeint. So sieht es aus in der Wohnungspolitik dieser Bundesregierung, die eine ganze Menge Fehlentscheidungen im letzten Jahrzehnt getroffen hat.
Otto Reschke
Mit Flickschusterei, wie sie in den letzten Jahren erfolgte, mit zahlreichen kurzfristigen Änderungen in den gesetzlichen Rahmenbedingungen, mit kurzfristiger Aufstockung, aber auch der Löschung von Programmen hat sie versucht, Wohnungspolitik zu machen. Dabei hat sie jedoch mehr Probleme produziert, als Lösungen geliefert.
Baurecht wurde deformiert, und der Kollege der CDU sagte gerade selber, es müsse wieder entrümpelt werden. Dabei ist dieses Baurecht noch nicht einmal zehn Jahre alt. Das Baubuch von Herrn Schneider haben wir hier im Bundestag diskutiert.
Der § 7b wurde zum § 10e deformiert. Die Eigentumsförderung wurde dadurch nicht gerechter und nicht wirkungsvoller, wie der Bundestag nach knapp sieben Jahren einstimmig festgestellt hat.
Der soziale Wohnungsbau wurde eingestellt, dann wieder anfinanziert, und 1995 wurden die Haushaltsmittel von 4 Milliarden DM wieder auf 2,9 Milliarden DM zurückgefahren. Die Gemeinnützigkeit wurde in Deutschland gestrichen, und dies wurde als Reform verkauft. Ich glaube, dies zeigt ganz deutlich, wie der Zickzackweg der Wohnungspolitik dieser Regierung gewesen ist.
In jeder Wahlperiode, meine sehr verehrten Damen und Herren, gab es einen neuen Minister, damit keinem die Altlasten der vergangenen Periode angelastet werden konnten: Oscar Schneider bis 1987, Gerda Hasselfeldt bis 1990, Irmgard Schwaetzer bis 1994. Klaus Töpfer steht nun bereits zum Abruf - bis zum Abruf des Kanzlers, oder der Kanzler beruft ihn selber in vielen Punkten ab.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Mieten steigen doppelt so schnell wie die Preise. Dies ist die Politik der Bundesregierung. Sie haben zwar die Minister ausgewechselt, aber die Politik von Pannen und Fehlern bringt in der Summe 2 Millionen fehlende Wohnungen in Deutschland mit sich. Dies müssen wir alle zur Kenntnis nehmen. Dies haben diese vier Minister, die Regierung und diese Koalition verursacht.
Ich wiederhole: Die Mieten steigen doppelt so schnell wie die Preise. Der Abbau von Mieterschutz macht sich bemerkbar. Bezahlbare Wohnungen mit Bindungen gibt es in Deutschland kaum noch. Wohnungsnot und Obdachlosigkeit nehmen in den Städten zu. Bauland treibt seine Blüten in der Spekulation, und die Eigentumsförderung - wie der Bundestag dies festgestellt hat - ist wenig effektiv und muß schnellstens abgelöst werden.
Insgesamt kann man sagen: Das Förderkonzept für den Wohnungsbau weist Fehlentwicklungen in bezug auf Wirksamkeit, Stetigkeit, Neubauförderung, Übersichtlichkeit, soziale Gerechtigkeit und ökologische Notwendigkeiten auf.
Treffender als das Zentralkomitee der deutschen Katholiken können wir die Wohnungspolitik nicht beschreiben. Die Katholiken sagen: Die Wohnungspolitik ist wenig familiengerecht; die Mieten explodieren; die Mietbelastungsquote ist an der Grenze angelangt, preiswerter, kindergerechter Wohnraum ist kaum mehr zu finden. Das ist keine sozialdemokratische Schrift, sondern das ist die Schrift des Zentralkomitees der Katholiken.
Alle Vorschläge der Sozialdemokraten zur Lösung der Probleme sind von der Mehrheit dieses Hauses abgelehnt worden. Mit dem Hinweis auf die Sinngutachter wurde jede Initiative abgelehnt bzw. in der vergangenen Periode sinnlos.
Wir haben nun auf der einen Seite falschen Reformeifer bei Schneider, Reparaturbetrieb bei Frau Hasselfeldt, Stillstand bei Frau Schwaetzer - ihr stand ja das Wasser zuletzt sowieso bis zum Hals - und auf der anderen Seite jetzt Ankündigungsinitiativen bei Herrn Töpfer zu verzeichnen. Dabei ist sich Herr Töpfer übrigens wie bisher seiner Linie in vielen Punkten treu geblieben.
Nach über zweieinhalb Jahren Beratungen der Expertenkommission können wir als Sozialdemokraten feststellen: Die Vorschläge der Kommission gehen in ihren Kernpunkten an den politischen Erfordernissen, die an die Wohnungspolitik heute und in der Zukunft gestellt werden, vorbei. Den sozialen Wohnungsbau im ersten und im zweiten Förderweg zu streichen, wie es die Kommission vorschlägt, halten wir wirklich für wenig sinnvoll. Gerade die Streichung des sozialen Wohnungsbaus in den 80er Jahren hat doch die heutige Wohnungsnot gebracht. Das müssen Millionen von Mietern teuer bezahlen.
Weiter schlägt die Kommission vor, die Kappungsgrenzen für Mieterhöhungen ganz zu streichen und das Mietrecht einzuschränken. Das Wohngeld würde quasi zur einzigen Fördermöglichkeit in der Wohnungspolitik. Das wäre die teuerste Möglichkeit, die es jemals bei uns gab. Ohne Kappungsgrenzen müssen alle Mietsteigerungen über Wohngeld aufgefangen werden. Dies wäre nichts anderes als staatlich sanktionierter Raubzug durch die öffentlichen Kassen.
Wir kennen ein ähnliches Gesetz von Schneider aus dem Jahre 1982 - es hieß „Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen" -, das nur Mieterhöhungen, Wohnungsnot und weniger Mieterschutz gebracht hat. Wir werden uns gegen ein solches Gesetz wenden.
Die Gemeinden haben in Zukunft Belegungsrechte und für kommunales Wohngeld zu sorgen, als ob sie nicht schon die Folgen der Arbeitslosigkeit fi-
Otto Reschke
nanzieren, die zunehmende Armut mit Sozialhilfe auffangen müssen und für die, Obdachlosigkeit in Form von Millionen D-Mark für Wohnkosten, die sie aufzubringen haben, in Anspruch genommen werden.
Außerdem werden in Zukunft die Städte und Gemeinden für die Baulandbereitstellung verantwortlich gemacht. Man muß den Gutachtern doch einmal empfehlen, in einen Rat einer Gemeinde hineinzugehen, damit sie wissen, wie Bau- und Bodenpolitik in Deutschland in vielen Punkten läuft.
In den Flächennutzungsplänen der Städte sind Baurechte für Millionen von Wohnungen ausgewiesen. Aber den Städten in Deutschland gehören nur 6 % des Bodens und damit die Verfügbarkeit und die Wertschöpfung.
Es war doch diese Regierung, die steuerliche Maßnahmen im vorigen Jahr abgeblockt hat und das gemeindliche preislimitierte Vorkaufsrecht im Baurecht gestrichen hat. Jetzt beschweren Sie sich doch nicht darüber, daß die Gemeinden nichts tun können!
Ebenso entschieden ist der Vorschlag der Expertenkommission abzulehnen, die steuerliche Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums auf einen Schuldzinsenabzug umzustellen. Es kann doch nicht Ziel staatlicher Wohnungsförderung sein, die Häuslebauer und Erwerber von Gebrauchtimmobilien sich bis über beide Ohren verschulden und ins finanzielle Abenteuer stürzen zu lassen, damit sie den steuerlichen Höchstbetrag ausschöpfen. Schuldzinsenabzug hemmt Einsatz von Eigenkapital, senkt das Interesse der Eigentümer an einer alsbaldigen Entschuldung und ist währungspolitisch bedenklich, weshalb er übrigens 1974 - lesen Sie es doch einmal nach! - abgeschafft worden ist.
Die SPD fordert weiterhin die Umstellung des § 10e EStG auf einen progressionsabhängigen Abzug von der Steuerschuld. Verläßliche Rahmenbedingungen für die Bewirtschaftung, die steuerlichen Rahmenbedingungen für den Neubau sollen nicht geändert werden, und Neubau und Modernisierungen sollen gleichbehandelt werden. Auch dies ist einer der wesentlichen Punkte, die die Kommission anspricht.
Ich weiß nicht, welche Analysen die Kommission bisher durchgeführt hat. Aber sie sollte sich einmal die Einkommensteuerstatistik vor die Brust nehmen. Da kann die Kommission feststellen, daß 90 % aller Verluste, die bei der Lohn- und Einkommensteuer in Deutschland geltend gemacht werden, aus der Vermietung und Verpachtung stammen. 1989 - das letzte durchgerechnete Jahr vor der Wiedervereinigung - waren das 40 Milliarden DM und damit rund 18 Milliarden DM Transfer über die Steuer. Diese Summe wird sich mittlerweile verdoppelt haben, eine Umverteilung ohnegleichen. Wir werden dies nicht weiter mitmachen.
Die Probleme am Wohnungsmarkt haben sich im letzten Jahr zwar nicht weiter verschärft, aber sie haben sich auch nicht entschärft. Das muß jeder wissen.
Die gesteigerte Wohnungsbautätigkeit ist erfreulich. Aber man muß sehen, die Bedarfslücke besteht. Die Neubauquote deckt gerade 1 % des Bedarfs. Wir haben eine Bevölkerungszunahme von 5 Millionen bis zum Jahr 2000 zu erwarten. Ein Defizit von 2 Millionen Wohnungen und 5 Millionen Bevölkerungszunahme heißt: Eine ganze Menge an Bautätigkeit muß entwickelt werden.
Wir Sozialdemokraten warnen davor, mit Leerstandsmeldungen und sinkenden Mieten die Offentlichkeit irrezuführen. Wohnen in Deutschland wird nicht preiswerter und nicht auswahlreicher, sondern wird weiter knapp, mit Mietsteigerungen, die doppelt so hoch sind wie die Steigerung der Lebenshaltungskosten - das muß jeder zur Kenntnis nehmen -, weil die Handlungsfähigkeit dieser Regierung, dieser Koalition nicht gegeben ist.
Wenn die Probleme nicht mit einem neuen Ansatz, Stichwort Drittes Wohnungsbaugesetz, gelöst werden, werden in der nahen Zukunft Neid und Mißgunst die Ballungsräume zu Pulverfässern machen, die sich leicht entzünden und schwere Konfliktsituationen hervorrufen werden. Wir müssen begreifen, daß Wohnungspolitik investive Sozialpolitik für die heutigen und künftigen Generationen ist und daß wir damit zumindest das Grundbedürfnis auf eine Wohnung in naher Zukunft für mehrere Generationen decken wollen und müssen.
Um Wohnungsnot nachhaltig zu bekämpfen, ist eine Zusammenarbeit einerseits von Bund, Ländern und Gemeinden und andererseits zwischen der Bauwirtschaft und den Mieterverbänden unerläßlich. Dies ist sträflich vernachlässigt worden. Mit der Berufung der Expertenkommission ist eine ganze Periode dieses Parlaments in der Wohnungspolitik zum Stillstand geraten. Wir müssen das Parlament und die gesellschaftlichen Gruppen beteiligen.
Wir Sozialdemokraten können uns nur dem Urteil der Arbeitsgemeinschaft der Bauminister anschließen, die das Gutachten wie folgt bewertet:
Das Gutachten ist in vielen Teilen zu theoretisch. Die Praktikabilität wird oft vernachlässigt. Die Vorstellungen der Gutachter sind teilweise wirklichkeitsfremd. Konzepte für die notwendigen Anpassungsprozesse und die damit verbundenen Lastenverteilungen fehlen.
Ich glaube, treffender kann es nicht gesagt werden.
Als nächste spricht die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vorab sagen, daß in diesem Bericht der Expertenkommission eine Reihe von sehr guten und brauchbaren Analysen stehen. Ich möchte
Franziska Eichstädt-Bohlig
aber doch hier zunächst über die Grundhaltung dieses Berichtes reden, weil ich glaube, daß die hinter dem Bericht stehende Ideologie - ich sage dieses Wort bewußt - sehr kennzeichnend für das ist, was sich derzeit im gesellschaftlichen Umbruch bewegt. Es ist im Endeffekt das auch in anderen Politikfeldern zunehmende Bestreben, das Sozialstaatsprinzip zu demontieren.
Dies wird ganz bewußt und gezielt nicht nur in der Kurzfassung des Gutachtens, die wir im Herbst vorliegen hatten, sondern auch im ausführlichen Gutachten immer wieder zum Grundtenor aller Empfehlungen und interessanterweise auch der Analysen gemacht, die die Expertenkommission der Regierung und letztlich dem Bundestag gibt.
Zusammenfassend kann man eigentlich nur sagen: Das Wichtigste, was die Gutachter überhaupt nicht beachtet haben, ist Art. 14 des Grundgesetzes, in dem es heißt, daß das Eigentum dem Wohle der Allgemeinheit verpflichtet ist. Dies bedeutet, daß der Eigentümer nicht nur das Recht auf Verwertung seines Eigentums hat und daß es nicht angehen kann, daß die Verpflichtung, dem Wohle der Allgemeinheit zu dienen, letztlich den Kommunen aufgedrückt wird. Das halten wir für einen grundsätzlich falschen Politikansatz, gegen den wir uns mit allen Kräften immer wieder stellen werden, auch wenn uns das Gegenteil von der Koalitionsseite eingeredet werden soll.
Ein zweiter Punkt, der noch zu wenig beachtet worden ist, der sich aber durchgängig durch dieses Gutachten hindurch zieht: Die Probleme sollen letztlich einseitig gelöst werden: Während auf der einen Seite der Markt seine Gewinne machen soll, soll auf der anderen Seite der Staat die Probleme kompensieren. Die Gesellschaft dazwischen, die Menschen sind in diesem ganzen Gutachten nur so viel wert, wie sie Geld haben, um entweder Mieten zu zahlen oder Eigentum zu erwerben. Die Selbsthilfekräfte der Menschen, die Organisations- und Mitbestimmungspotentiale, all das wird in diesem Gutachten so gut wie überhaupt nicht erwähnt. Nur beim eigentumbildenen Menschen ist überhaupt Eigeninitiative gewünscht und möglich. Ansonsten ist der Mensch wirklich nur das Geld wert, das er hat.
Auch diese Grundideologie halten wir für falsch. Gerade heute ist es an der Zeit, daß wir nicht ständig den Pingpongball zwischen Staat und Markt hin und her werfen. Vielmehr ist es nötig, die Menschen selbst zu aktivieren und zur Verantwortung für die Lösung der Probleme mit zu mobilisieren.
Ich möchte das an einigen Beispielen jetzt deutlich machen; einiges hat Herr Reschke ja schon gesagt. Die wichtigsten Merkmale dieses Berichts zielen auf eine ziemlich knallharte Marktliberalisierung ab: Das Mietrecht soll von Kappungen und Begrenzungen befreit werden, der Kündigungsschutz soll weitestgehend gelockert werden, das Recht der Umwandlung von Wohnungen in Gewerberaum soll freigegeben werden, der soziale Wohnungsbau soll abgeschafft werden, der Osten soll nach der Fasson des Westens selig werden usw. Das Hauptproblem dabei - Herr Reschke hat es angesprochen - ist, daß die Folgen und Folgekosten einer solchen Politik einfach durch Wohngeld kompensiert werden sollen. Ich frage mich, wieviel Wohngeld wir haben müssen,
um hinter dieser Mietenfreigabe und hinter dieser Marktwirtschaft her zu subventionieren.
Insofern müssen wir uns ernsthaft klar machen, daß schon jetzt das Ringen um das Wohngeld zum zentralen Problem geworden ist. In diesem Jahr ist es gegenüber dem letzten Jahr um 800 Millionen DM gekürzt worden.
Wer glaubt denn da, daß es in den nächsten Jahren entscheidende Wohngeldsteigerungen geben wird?
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, den ich auch für grundsätzlich sehr interessant halte. Die Expertenkommission führt einen neuen Begriff ein. Sie unterscheidet nämlich zwischen Wohnungspolitik und Wohnungssozialpolitik. Die Wohnungspolitik hat dabei die Aufgabe, Investitionsanreize, Baulandvermehrung usw. zu schaffen. Die Wohnungssozialpolitik soll dann die Drecksarbeit machen. Sie soll die Probleme lösen, die z. B. durch Investitionsanreize entstehen.
Wir halten diese Politik der Separierung der Probleme für völlig falsch. Wir plädieren dezidiert für eine integrierte Wohnungspolitik, bei der der Ausgleich zwischen wirtschaftlichen Notwendigkeiten, wirtschaftlichen Zielen, die wir selbstverständlich auch mittragen - wir wollen keine Stoppolitik -, und sozialen Zielen gewährleistet sein muß. Denn dies sollen letztlich die Kommunen leisten, und sie sollen sehen, woher sie das Geld vom Bund erbetteln. - So kann es nicht sein!
Ich möchte einen nächsten Punkt ansprechen: die Ursachenforschung. Das Gutachten tut so, als sei der Wohnungsbestand von einem marktwirtschaftlichen Himmel gefallen. Tatsache ist aber - jedenfalls habe ich es so gelernt -, daß unendlich viele Steuergelder und viele öffentliche Subventionen in diesem Wohnungsbestand, so wie wir ihn jetzt haben, drinstekken.
Das Problem ist jedoch nicht unbedingt ein Zuviel an Subventionen, sondern daß den Eigentümern zu große Rechte zur Verwertung dieser öffentlichen Subventionen gegeben worden sind. Ich möchte es einmal deutlich sagen: Wenn immer so viel über die Fehlsubventionierung von Mietern gesprochen wird, dann muß endlich auch einmal über die Fehlsubven-
Franziska Eichstädt-Bohlig
tionierung von Eigentümern und über das Recht auf Spekulationen mit Sozialwohnungen geredet werden, denn das ist das zentrale Problem, das wir haben.
Ein nächster Punkt, den ich vorhin schon erwähnt habe: Ich habe nichts über Selbsthilfe und Eigenleistungen von Mietern gelesen, weder über die bisherigen, unendlich großen Eigenleistungen, die insbesondere auch im Osten erbracht worden sind, noch über die Möglichkeit, diese Potentiale der Menschen wirklich zu aktivieren. Statt dessen finde ich immer wieder die Hinweise: Die Mieter sollen doch mehr Mobilität zeigen. - Das heißt, Wohnen als Ware soll zum Prinzip werden. Das Recht auf Heimat, das Recht auf den Ort, wohin man gehört, soll dem Mieter genommen werden, weil er sich, wenn die Wohnung zu teuer wird, irgendwo eine billigere suchen soll - die er aber garantiert nicht findet.
Ich möchte auf einen weiteren, mir sehr wichtigen Punkt hinweisen. Hier bin ich existentiell erschrokken. In Ziffer 3201 wird das Problem der Wohnungslosigkeit in einer wirklich beschämenden Weise simplifiziert. Das Problem wird in keiner Weise als eine Frage von Kosten, von Miete und Einkommen dargestellt, sondern es wird ausschließlich als subjektives Problem der Menschen, die sich - man merke - „nicht in Hausgemeinschaften einfügen" können, die „abweichende Verhaltensweisen und Merkmale" haben und die als „Teilnehmer am Markt nicht akzeptiert" werden, dargestellt. Obdachlosigkeit wird hier praktisch zur Diskriminierung der Menschen benutzt, die davon betroffen sind.
Das ist für mich ein politischer Skandal. Ich bitte darum, daß sich die Regierung von diesem Punkt dezidiert distanziert. Ich halte es wirklich für unmöglich, einen Bericht zu akzeptieren, der mit solchen Positionen hausieren geht.
Als letztes zur Stellungnahme der Bundesregierung: Die ist natürlich, wie zu erwarten, pflaumenweich und überwiegend unverbindlich. In dem Punkt, der sich mit dem Mietrecht befaßt, wird zwar zur Vereinfachung des Mietrechts gesprochen, aber es wird in keiner Weise gesagt, ob das Mietrecht im Sinne der Experten weiter gelockert werden soll oder ob es vielleicht in unserem Sinne deutlicher zu einem Eindämmen der Mieteninflation genutzt werden soll. Hier hält sich die Regierung fein bedeckt und macht keine Aussagen. Immerhin ein Punkt, ein kleines Bonbon: Der bestehende Kündigungsschutz soll nach der Stellungnahme der Regierung nicht angetastet werden. Dafür sind wir schon sehr dankbar.
Der soziale Wohnungsbau soll auch nicht ganz gestrichen werden. Aber wenn wir uns den diesjährigen Haushalt ansehen, dann stellen wir fest, daß das Wort „sozial" im sozialen Wohnungsbau eigentlich kaum eine Rolle spielt, denn die einkommensorientierte Förderung ist letztlich eine Förderung im Mietenspektrum zwischen 12 und 18 DM. Das trifft einfach nicht die Gruppen, die es am nötigsten haben. Insofern wiederhole ich unsere Forderung, die wir schon öfter hier vorgetragen haben: Für uns hat die Behebung von Wohnungslosigkeit erste Priorität, ein sozialer Wohnungsbau, der den wirklich bedürftigen Schichten zugute kommt. Erst danach können wir über Eigentumsförderung und über Wohnungsbauförderung für mittlere und besserverdienende Schichten reden, aber nicht immer umgekehrt, wie es letztlich die Tendenz der Regierungsstellungnahme ist.
Über die Kostensenkungen kann ich eigentlich nur milde lächeln; denn die Forderungen nach Kostensenkungen stehen im Endeffekt schon seit Jahr und Tag im II. Wohnungsbaugesetz. Trotzdem ist es bisher noch nicht gelungen, diese Kostensenkungen durchzusetzen. Aber Sie können sicher sein, daß Sie, wenn es hier gute Vorschläge gibt - also mehr als nur Pilotprojekte, wie es in der Stellungnahme angekündigt wird -, unsere Unterstützung haben werden; denn wir wissen alle, daß das ein zentrales Problem ist.
Die Förderung des Wohnungseigentums wird insbesondere auch von der Regierung herausgestrichen. Wir sind nicht gegen die Eigentumsförderung; wir unterstützen da tendenziell die Position, die von Herrn Reschke eben vertreten wurde, insbesondere auch in bezug auf j 10e. Ich sage es aber noch einmal - ich kann es nicht genug betonen -: Zuerst kommt die Beseitigung der Wohnungslosigkeit, dann kommt die Eigentumsförderung - nicht umgekehrt, wie Sie es immer machen.
Zum Wohngeld kann ich eigentlich nur sagen: Ich habe von der Regierung als Reaktion auf diesen Bericht erwartet, daß sie die Experten oder ein anderes Gremium auffordert, auszurechnen und zu simulieren, was die marktwirtschaftliche Mietenfreigabe an Wohngeld wirklich kostet. Die Tatsache, daß darüber kein Wort verloren wird, sondern so getan wird, als sei das nur ein Problem der Änderung des Wohngeldrechts, halte ich politisch, auch haushaltspolitisch für nicht vertretetbar. Es muß einmal gerechnet werden: Was kostet das die öffentlichen Hände, und was müßte den Kommunen dann an Wohngeld gegeben werden, damit sie die Probleme überhaupt lösen können?
Im Regierungslager gibt es in wohnungspolitischer Hinsicht leider nicht viel Neues. Ich habe Sorge, daß letztlich indirekt noch mehr Positionen der Expertenkommission unterstützt werden, als momentan zugegeben wird. Wir werden dem aber nach Kräften entgegenwirken. Ich bin sicher, daß wir da auch die richtigen Argumente haben.
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Hildebrecht Braun.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen über das Expertengutachten zur Wohnungspolitik und erleben hier eine Gespensterdebatte, die einen frösteln läßt.
Herr Reschke, Sie haben hier eine Rede gehalten, die vielleicht 1990 Sinn gemacht haben kann. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß Sie als einer der führenden Wohnungspolitiker der Opposition seit Jahren nicht bemerkt haben, daß sich in den letzten Jahren eine ganze Menge getan hat. Ist Ihnen entgangen, daß 1990 im Westen Deutschlands 200 000 Wohnungen und in diesem Jahr über 500 000 gebaut wurden? Worauf führen Sie das zurück? Fallen die Wohnungen vielleicht vom Himmel? Oder ist diese Steigerung nicht vielmehr die Folge vernünftiger Politik, die in diesem Bereich von der Koalition gemacht wurde?
Es ist nahezu unglaublich, daß wir uns zum einen im Ausschuß in nichtöffentlicher Sitzung gemeinsam sachlich bemühen, vernünftige Lösungen für die anstehenden Fragen zu finden, und daß zum anderen hier Sprechblasen abgesondert werden, die überhaupt nicht berücksichtigen, daß sich in den letzten Jahren eine Menge getan hat.
Herr Reschke, Frau Eichstädt-Bohlig, ist Ihnen entgangen, daß in den letzten beiden Jahren wegen des starken Wohnungsbaus die Neuvermietungsmieten bundesweit - nicht nur in München, Berlin und Hamburg, sondern auch auf dem flachen Land - zurückgegangen sind?
Ist Ihnen das wirklich entgangen?
Herr Kollege, genehmigen Sie eine Zwischenfrage von Frau Eichstädt-Bohlig?
Ja.
Das ist mir nicht entgangen. - Ich frage aber Sie, ob Ihnen entgangen ist, daß sich dieses Mietenspektrum von 30 DM über 25 DM bis zu 20 DM und im günstigsten Fall 18 DM bewegt
und daß diese 18 bis 20 DM - wenn sie überhaupt angeboten werden - von den Mietern, die mir am Herzen liegen, nicht gezahlt werden können, so daß sehr viele von diesen wunderbaren neugebauten
Wohnungen leerstehen. Ist Ihnen das entgangen, Herr Braun? Ich fände das sehr schade.
Liebe Frau Eichstädt-Bohlig, es konnte mir deswegen nicht entgehen, weil es so nicht zutrifft. Es ist bundesweit flächendeckend - unabhängig von der Ausgangsbasis der Neuvermietungsmieten - ein drastischer Rückgang zu verzeichnen. Lassen Sie sich von der Stadt Augsburg erzählen, wo ich als Bundestagskandidat angetreten bin. Dort lag die Neuvermietungsmiete bis vor zwei Jahren bei 13 bis 14 DM; jetzt liegt sie bei 10 DM. Das wurde durch die Schaffung eines ausreichenden Angebots erreicht. Darum geht es eben: Wir wollen hier nicht ein Konzept der Mängelverwaltung vortragen, sondern uns bemühen, die Mängelsituation zu beseitigen.
Das ist der Unterschied zwischen der Politik der Regierungskoalition und der Politik der Opposition.
Herr Reschke, ich hatte wirklich den Eindruck, Sie sprechen von einem ganz anderen Land. Wir haben in den letzten Jahren eine solche Entspannung auf dem Wohnungsmarkt erlebt - und dies kommt nicht von ungefähr -,
daß sie Ihnen nicht entgangen sein kann.
Ich möchte meine kurze Redezeit im Moment aber nicht zur Auseinandersetzung mit der Opposition oder mit einzelnen Vorschlägen der Gutachter nutzen.
Vielmehr will ich mich dem Thema widmen: Wie geht dieser Bundestag mit den von ihm beauftragten Gutachtern um?
Wie mögen sich die Männer fühlen, die nach einem Auftrag des Bundestags von der Bundesregierung berufen wurden, eine umfassende gutachterliche Stellungnahme zur deutschen Wohnungspolitik abzugeben?
Die Herren wurden unter Hunderten von Wissenschaftlern, Wirtschaftlern auf Grund ihrer besonderen Kompetenz für diese außerordentlich schwierige Aufgabe ausgewählt. Sie haben in zwei Jahren eine riesige Arbeitsleistung erbracht, die sie mit Stolz der Bundesregierung und der Öffentlichkeit vorgelegt haben.
Hildebrecht Braun
Ihre Freude dürfte wohl einigermaßen getrübt worden sein, als sie die Reaktion der meisten Politiker, zumeist der deutschen Opposition, aber besonders auch der deutschen Presse wahrnehmen mußten. Da wurden sie als die miesesten Typen der Nation hingestellt, die der Mehrheit unseres Volkes ans Leder wollten und völlig aberwitzige, ja teuflische Vorschläge ausgeheckt hatten. Die Stimmung im Volk wurde aufgeheizt, so daß Mitglieder der Kommission Personenschutz anfordern mußten.
Es war geradezu eine Schande, wie Öffentlichkeit und Politiker mit den von der Regierung berufenen Experten umgingen.
Völlig übergangen wurde, daß die Experten nicht nur Wohnungsmarktpolitik fordern, sondern eben auch eine effiziente Wohnungssozialpolitik. Frau Eichstädt-Bohlig, Wohnungspolitik ist Teil der Sozialpolitik - völlig d'accord -, die Frage ist nur, wie dies umgesetzt wird. Die Experten sagen völlig zu Recht: Die bloße Tatsache, daß der Begriff „sozialer Wohnungsbau" auch das Etikett „sozial" enthält, sagt eben leider noch lange nichts darüber, ob dieses Konzept, speziell das des ersten Förderwegs, auch wirklich sozial ist. Die Experten haben darauf hingewiesen - das wissen doch mittlerweile alle -, daß die staatlichen Mittel im sozialen Wohnungsbau, besonders im ersten Förderweg, fehlgeleitet werden, daß sie nicht zielgenau eingesetzt werden,
daß in vielerlei Hinsicht die Falschen gefördert werden. Ich möchte das Thema aber nicht vertiefen; ich habe dazu hier schon mehrfach Stellung genommen.
Die Experten fordern einen effizienten Mitteleinsatz. Wer würde ihnen hier wohl widersprechen wollen? Sie sagen, sie wollen Subjektförderung, sie wollen eine Verbesserung des Wohngelds. - Das ist richtig, das wollen Sie doch auch.
Das ist die notwendige Korrektur der marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die wir alle haben wollen. Dann brauchen wir ein Wohngeld, das in der individuellen Lebenssituation des einzelnen ausreicht, das so gestaltet ist, daß jeder bei uns - wohlgemerkt: jeder - eine angemessene Wohnung haben kann.
Nun, nach sieben Monaten, haben sich die Wogen etwas geglättet. Einige Kritiker, die sich zunächst mit peinlichen Kommentaren vernehmen ließen, hatten zwischenzeitlich Gelegenheit, den einen oder anderen Teil des Gutachtens, zumindest der Kurzfassung, zu lesen. - Es ist ja bekannt: Lesen bildet. -
Es trat eine Versachlichung ein. Wir konnten im Bauausschuß und in Fachgesprächen immer wieder aus dem Gutachten zitieren, ohne negative Reaktion. Selbst Sie, Herr Reschke, haben im Ausschuß bereits zur Unterstützung eigener Thesen aus dem Gutachten zitiert.
Die Sachverständigen mögen sich von dem Schock ihres Lebens erholt haben. Und dennoch, ich fürchte, sie sind bereits in die nächste Depression verfallen. Denn was macht der Bundestag, was machen die Länderbauminister seit Vorlage des Gutachtens? Sie verhalten sich so, als gälten für sie die beiden obersten bayerischen Rechtssätze, nämlich „Wo karret ma denn da hi?" - auf hochdeutsch: Das wäre ja noch schöner! - und „Jetzt erst recht! "
Die Experten wissen, daß die Lösung der Wohnungsprobleme in der ausreichenden Zahl der zur Verfügung stehenden Wohnungen liegt. Das Wohnungsproblem ist ein Mengenproblem.
Die Experten wissen auch, daß nur ein Meiner Bruchteil der Wohnungen vom Staat gebaut wird und gebaut werden kann. Die große Mehrzahl der Wohnungen muß also von Privaten erstellt werden, die Wohnungen als Wirtschaftsgut bauen und bauen müssen und deswegen natürlich entsprechende Rahmenbedingungen brauchen, da andernfalls diese Investitionen nicht stattfinden können.
Zumindest langfristig müssen sich auch beim Bau von Wohnungen die Perspektiven einer ausreichenden Rendite ergeben, sonst kann Wohnungsbau nicht stattfinden.
Viele Politiker sehen das hier offensichtlich ganz anders. Sie halten es einfach für gottgegeben, daß Wohnungen vorhanden sind. Sie glauben quasi an das Manna, das vom Himmel fällt.
Die Gutachter sprechen sich nachhaltig gegen Kappungsgrenzen jedweder Art aus. Unsere glorreichen Bauminister erfinden statt dessen in einem Gesetz gleich zwei neue, nämlich im Mietenüberleitungsgesetz bei der Modernisierung und bei den Mieterhöhungsspielräumen im Bestand. Am liebsten würden sie auch noch bei der Neuvermietung eine gesetzliche Kappungsgrenze einführen, obwohl sie es wirklich besser wissen müßten. Ich habe es nachgewiesen, und jeder von Ihnen hätte es nachlesen
Hildebrecht Braun
können: Die Einführung von Kappungsgrenzen im Mietrecht führt tendenziell zu noch mehr steigenden Mieten. Von 1977 bis 1982 stiegen die Mieten weniger als der Lebenshaltungskostenindex.
Ab 1983, just als die Kappungsgrenze im westdeutschen Mietrecht eingeführt wurde, stiegen die Mieten um 1,7 % im Jahresdurchschnitt bis heute schneller als der Lebenshaltungskostenindex. Das ist die Folge der Kappungsgrenze, Frau Eichstädt-Bohlig. Prüfen Sie es nach!
Die Gutachter weisen darauf hin, daß sich viele Mieterschutzregelungen gerade gegen die zu Schützenden wenden. Dies hindert Politiker aber nicht daran, immer wieder neue Rechte zu erfinden, die scheinbar die Mieter schützen, sich in Wirklichkeit aber langfristig gegen sie wenden.
Die Gutachter schreiben nahezu auf jeder Seite dieser vielhundertseitigen Expertise, daß wir in der Wohnungspolitik mehr Markt brauchen und weniger Staat. Aber die glorreichen Sieben, nämlich die sechs östlichen Bauminister und der bayerische Ministerpräsident, verstehen die Aufforderung genau umgekehrt. Sie sorgen für mehr Staat und für weniger Markt.
Die Kommission weist darauf hin, daß ein Mietrecht, welches die Mieten künstlich niedrig hält, zu einer Verknappung von Wohnraum und damit zu seiner Verteuerung führen wird. Die glorreichen Sieben wissen es natürlich besser und überbieten sich in Forderungen, statt der Marktmiete generell für alle, ja sogar für die Großverdiener in Bilderbuch-Jugendstilwohnungen, eine staatliche Billigstmiete zu verordnen.
Die Kommission mahnt eine regionale Differenzierung der Miethöhe an, wie sie der Markt fordert. Der Bundestag schickt sich an, für menschenleere Gebiete in Ostpommern nahezu die gleiche Miete wie für Bestlagen in Dresden festzulegen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, wenn meine Redezeit nicht so eng bemessen wäre.
Ich würde mich nicht wundern, wenn unsere arg gebeutelten Experten zu folgendem Ergebnis kämen: Sie schreiben einfach ihr Gutachten um. Sie fordern exakt das Gegenteil dessen, was sie bisher in diesem Gutachten als Forderung erhoben haben. Nach ihren bisherigen Erfahrungen müßten sie nämlich dann davon ausgehen, daß die Politiker wieder das exakte Gegenteil tun, und dann würden sie das Richtige tun.
Ich will nicht leugnen, daß einige Vorschläge der Experten von uns Politikern nicht übernommen werden können, aber nicht etwa, weil sie falsch sind, sondern weil sie als Experten, als Wissenschaftler einen wichtigen Punkt nicht richtig gewichtet haben, nämlich daß wir für alle Maßnahmen um die Zustimmung der Bevölkerung werben müssen. Eine Reihe von Vorschlägen der Gutachter würde das Verständnis unserer Bürgerinnen und Bürger überfordern. Deshalb können diese Vorschläge auch nicht aktuelle Politik werden.
Die frühere Bauministerin Schwaetzer wies bei der Vorstellung des Gutachtens deshalb völlig zu Recht darauf hin: Die Experten haben ein Gutachten erstellt; Politik wird aber von uns, den Politikern, gemacht. Ich kann uns allen allerdings nur raten, möglichst viele von den Vorschlägen im Gutachten Wirklichkeit werden zu lassen. Das wäre der dauerhaften Versorgung der Bevölkerung mit Wohnungen, insbesondere auch mit preiswertem Wohnraum, nur dienlich.
Es würde aber von uns Politikern erfordern, daß wir genügend Rückgrat beweisen, momentanen Wünschen von vielen Unwissenden, leider auch von Verbänden, zu widerstehen und statt dessen an diejenigen zu denken, die in zwei, in vier und in sechs Jahren eine Wohnung suchen und dann eine bezahlbare Wohnung brauchen. Wenn wir verantwortungsvolle Wohnungspolitik machen wollen, dann wird uns dieses Gutachten in den nächsten Jahren ständig begleiten. Wenn wir allerdings mehr auf momentane Zustimmung setzen, dann können wir es getrost zur Seite legen.
Nun hat der Abgeordnete Klaus-Jürgen Warnick das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Anfang etwas zu meinem Kollegen Herrn Braun. Sie sagten, das Problem des bezahlbaren Wohnens in Deutschland sei in erster Linie ein Mengenproblem. Ich denke, das Problem des bezahlbaren Wohnens ist ein Problem der falschen Wohnungsbaupolitik in Deutschland.
Sie können in Deutschland Millionen von Wohnungen bauen; solange es sich für einen Investor, für einen Vermieter jedoch steuerlich lohnt, diese Wohnungen leerstehen zu lassen, werden Sie dieses Problem so nicht lösen können.
Nun zum Bericht der Expertenkommission. Anstatt überfällige Reformen in der Wohnungspolitik einzuleiten, retteten sich die Regierungsparteien 1992 mit der Bildung einer Kommission über die 12. Wahlperiode. Sämtliche wohnungspolitischen Anträge der Oppositionsparteien wurden mit der Begründung abgeschmettert, daß man das Ergebnis der Expertenkommission abwarten müsse. Unter diesem Vorwand wurde die Konzipierung der künftigen Mie-
Klaus-Jürgen Warnick
tenpolitik in Ostdeutschland ebenso verschleppt wie auch die Schaffung eines für die gesamte Bundesrepublik geltenden Wohngeldgesetzes sowie die dringende Reformierung des § 10e.
Bände sprach vor allem die von der Regierung vorgenommene Zusammensetzung der Kommission. Banker, Volkswirte und Hausbesitzer waren reichlich vertreten, aber keine einzige Frau, kein einziger Ostdeutscher, kein einziger Vertreter eines Mieterbundes, von Behindertenverbänden, von Gewerkschaften, von Seniorenverbänden oder anderen Betroffenen. Erst nachträglich wurde - wohl als Alibi - ein ostdeutscher Experte in die Kommission hineingenommen.
Ein Antrag der PDS-Bundestagsgruppe zur Erweiterung der Kommission wurde abgelehnt, angeblich weil die Bundesregierung trotz aller Bemühungen keine geeigneten Persönlichkeiten fand. Das ist meines Erachtens nicht nur eine falsche, sondern auch hanebüchene Behauptung.
Bedanken möchte ich mich deshalb bei der seit zwei Jahren auf Initiative der PDS-Bundestagsgruppe unter Vorsitz des Zivilrechtlers Prof. Joachim Göhring ehrenamtlich tätigen alternativen Expertenkommission „Wohnen ist Menschenrecht", welche mit dem von ihr im August 1994 vorgelegten Zwischenbericht ihre Sicht der Problematik darstellte. Verzicht auf Borniertheit und Einbeziehung von einigen dieser Sachverständigen hätten dem Gutachten sicher gutgetan.
Angesichts der wenigen mir zur Verfügung stehenden Minuten will ich mich auf sechs Stichpunkte zum vorliegenden Gutachten beschränken.
Erstens. Das Gutachten enthält viele kluge Analysen und vermittelt interessante Einblicke in die Zusammenhänge, kann sich aber in den Schlußfolgerungen vom Markt und vom Eigentumsfetischismus nicht lösen. Vor allem fehlt die Zielstellung, das Menschenrecht auf angemessene und bezahlbare Wohnungen für alle zu gewährleisten. Um so mehr ist von der Sicherung der Kapitalrendite und von Steuerersparnis die Rede.
Zweitens. Notwendig wäre es auch gewesen, Aussagen zum Umfang der Wohnungsnot und der Obdachlosigkeit in Deutschland zu treffen, Berechnungen zur erweiterten Reproduktion des Wohnungsbestandes an Hand der Bedarfsentwicklung anzustellen und Strategien zur Lösung der anstehenden Probleme zu entwickeln. Aber genau das fehlt.
Drittens. Das Gutachten wird geprägt von Eigentumsfetischismus contra Wohnen zur Miete. Der Erwerb von Eigentumswohnungen auch aus dem Bestand wird favorisiert, obwohl dieses Konstrukt nach unserer Meinung in jeder Hinsicht fragwürdig ist. Kategorische Ablehnung verdient die Position der Gutachter, jegliche Mietpreisbindung, auch bei öffentlich geförderten Wohnungen, abzuschaffen. Deswegen ist auch das Fehlen von Vorschlägen zur Förderung des genossenschaftlichen bzw. kommunalen Wohnungsbaus nicht verwunderlich.
Viertens. Zu unterstützen ist der Vorschlag, das Vergleichsmietenverfahren durch ein Mietspiegelgesetz verbindlicher auszugestalten.
Fünftens. Abzulehnen ist aber die weitere Verknüpfung von Wohnungsbauförderung und Eigentumspolitik, weil sie Wohnflächen und Bauland frißt und damit wohnungspolitisch und ökologisch kontraproduktiv wirkt und verteilungspolitisch Besserverdienende bevorteilt.
Sechstens. Die Kommission hat sich eingehend mit Problemen der Bau- und Bodenpolitik befaßt. Beklagt werden das Regelungsdickicht, der Mangel an Eingriffsmöglichkeiten der Kommunen bzw. kommunaler Verbände zur Mobilisierung von Baulandreserven, die Blockadehaltung von Umlandgemeinden gegenüber dem Baulandbedarf von Kernstädten, eine zu starre Gebietstypisierung, die eine gesunde Funktionsmischung behindert, und vieles mehr.
Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage, welche praktischen rechtlichen Schlußfolgerungen aus Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes - „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen" - zu ziehen sind. Das Gutachten liefert dafür durchaus interessante Denkansätze. Aber das Thema selbst ist so wichtig und so komplex, daß eine grundsätzliche Erörterung und eine politische Willensbildung, die von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und vom Leistungsprinzip ausgeht, dringend geboten erscheinen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Insgesamt hat die mit über 2 Millionen DM ausgestattete Expertenkommission „Wohnungspolitik" eine wichtige Arbeit geleistet. Die wichtigste Aufgabe aber bleiben eine Reform der Wohnungsbauförderung entsprechend dem tatsächlichen Bedarf und zielgerichtet für die, die diese Förderung unbedingt brauchen, sowie veränderte Miethöhe- und Wohngeldgesetze, die den Mietern Luft zum Atmen lassen und zugleich die normale Wirtschaftlichkeit von Wohnungsunternehmen sichern.
Ein entscheidender Punkt ist hierbei, parasitäre Elemente in der Wohnungsbaufinanzierung und in der Bodenpolitik entscheidend zurückzudrängen. Das vorliegende Gutachten, die zahlreichen Vorschläge und Ausarbeitungen von Mieterorganisationen, Verbänden der Wohnungswirtschaft, Gewerkschaften, Kirchen und wissenschaftlichen Einrichtungen wie auch der von der alternativen Expertenkommission vorgelegte Zwischenbericht „Wohnen ist Menschenrecht" sind eine gute Grundlage, damit die politisch Verantwortlichen unter Einbeziehung breitester gesellschaftlicher Kräfte zügig eine Neukonzipierung der Wohnungspolitik mit dem Ziel sicherer und bezahlbarerer Wohnungen für alle Menschen vornehmen und zum erfolgreichen Abschluß bringen können.
Ob Herr Töpfer und die Regierungsparteien dazu bereit und auch in der Lage sind, steht allerdings auf
Klaus-Jürgen Warnick
einem anderen Blatt. Aber man soll die Hoffnung ja nicht aufgeben.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Wöhrl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie der Herr Kollege Braun schon gesagt hat, hat es im Anschluß an die Veröffentlichung des Gutachtens im Oktober 1994 einen Sturm der Entrüstung in unserer Presselandschaft gegeben. Die meisten Berichterstattungen und Pressemitteilungen haben jedoch erkennen lassen, daß sich seinerzeit anscheinend niemand die Mühe gemacht hat, sich fair und seriös mit dem damaligen Abschlußbericht auseinanderzusetzen.
Zielsetzung war, Wege zur Verbesserung der wirtschaftlichen Effizienz des Wohnungswesens aufzuzeigen, ohne daß die Sozialaufgabe der Wohnungspolitik aus den Augen verloren werden sollte. Die Kommission hat an vielen Schlüsselstellen Reformbedarf aufgezeigt, und unsere Aufgabe wird es nun sein, die angesprochenen Vorschläge der jeweiligen einzelnen Reformvorhaben in die Diskussion mit einzubringen und sie gründlich zu prüfen.
1994 wurden 573 859 Wohnungen gebaut - das waren 26 % mehr als im Vorjahr -, es wurden 257 Milliarden DM im Wohnungsbau verbaut, es wurden 710 000 Baugenehmigungen erteilt, d. h. es ist mit der Fertigstellung von über 600 000 Wohnungen im laufenden Jahr zu rechnen.
Trotz dieser erfreulichen Zahlen wissen wir natürlich alle, meine Damen und Herren, daß immer noch bezahlbare, preisgünstige Wohnungen fehlen, und zwar vor allem in Ballungsräumen.
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch die Prognose über die Einwanderung und die Zuzüge aus Osteuropa, die von einem Anwachsen unserer Bevölkerung um 5 Millionen auf 85,7 Millionen bis zum Jahr 2010 ausgeht. Alle diese Menschen müssen zukünftig ein Dach über dem Kopf haben.
Hier, meine Damen und Herren, sind wir auf Privatkapital und auf private Investitionen angewiesen. Zu Recht wird im Gutachten darauf hingewiesen, daß ohne marktwirtschaftliche Effizienz die Sozialpolitik unbezahlbar ist. Zu Recht wird auch darauf hingewiesen, daß unsere gesetzlichen Eingriffe in den Wohnungsmarkt viel zu viele Investoren abschrekken.
Unser Mietrecht ist für viele Menschen nicht mehr kalkulierbar, auch nicht für die Mieter. So haben sich in den letzten Jahren teilweise enorme Spannungen zwischen Vermieter und Mieter aufgebaut. Es geht nun darum, diese Spannungen wieder abzubauen.
Für Herrn Reschke ein kurzes Zitat aus einem Gutachten der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung:
Investitionsschwäche im frei finanzierten Wohnungsbau und die Probleme der Wohnraumversorgung hängen damit zusammen, daß die Wohnung zu einem negativ besetzten Investitionsgut geworden ist. Als Ursache gelten die Eingriffe in das Mietrecht wie auch die ideologische Abwertung der Tätigkeit als Vermieter.
Dies nur zu Ihrer Erinnerung.
Grundsätze unseres Mietrechts müssen sein, auf der einen Seite den vertragstreuen Mieter - ich spreche vom vertragstreuen Mieter - vor Kündigung ohne Grund und vor unangemessenen Mietzinsforderungen zu schützen, während auf der anderen Seite eine Rentabilität für den Hausbesitzer gegeben sein muß. Deswegen müssen wir daran arbeiten, überzogene Regulierungen im Mietrecht abzubauen, ohne das soziale Mietrecht anzutasten.
Es muß dem Investor wieder klar sein, welche Miet- und Wertsteigerungen er zu erwarten hat. Mieter wie auch Vermieter müssen sich wieder auf dauerhafte Rahmenbedingungen einstellen können. Sie müssen sich auf unsere Gesetzgebung und unsere Rechtsprechung wieder verlassen können.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, daß wir - ich spreche die momentanen Verhandlungen an - möglichst rasch zu einem einheitlichen Mietrecht in unserem gesamten Deutschland kommen.
Dagmar Wöhrl
Meine Damen und Herren, Aufgabe der öffentlichen Hand ist es, daß sie für sozial Schwächere in einer marktwirtschaftlich ausgerichteten Wohnungswirtschaft für angemessenen Wohnraum sorgt. Jedoch darf übertriebener Mieterschutz nicht zum Hindernis für potentielle Bauherren werden;
denn damit würden wir den sozial Schwächeren einen Bärendienst erweisen. Es gilt noch immer, daß ausreichendes Wohnungsangebot der beste Mieterschutz ist.
- Es ist ja gut, daß Sie sich wenigstens durch unsere Reden hier lin Plenum informieren können.
Die Experten gehen in ihrem Gutachten von einer negativen Auswirkung der Kappungsgrenzen und von einer viel zu starken Zementierung der ortsüblichen Vergleichsmieten durch § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes und § 2 des Miethöhengesetzes aus. Wir wissen, daß sich das empirisch nicht belegen lat. Deswegen ist es begrüßenswert, daß die Bundesregierung eine Untersuchung zu dieser Problematik durchführen lassen wird.
Das Gutachten stimmt mit uns darin überein, daß unser hoher Bauaufwand, unsere hohen Grundstückspreise und planerischen Rahmenbedingungen die Entwicklung behindern, preiswerten Wohnraum zu schaffen.
Zu Recht werden hier eine intensivere Baulandausweisung und eine Vereinfachung des Planungs- und Baurechts empfohlen. Letzteres werden wir mit der geplanten Novellierung unseres Baurechts angehen.
Hier hat Bayern eine Vorreiterrolle übernommen - das wissen Sie -, und zwar mit der Bayerischen Bauordnung, die wir letztes Jahr novelliert haben.
- Das ist typisch für Sie: Nur an die Vergangenheit und nicht an die Zukunft denken.
- Wir sind zukunftsgerichtet. Wir sind eine zukunftsgerichtete Partei und nicht eine Partei der Ewiggestrigen.
Die Verbesserung des Wohnungsangebots setzt ein ausreichendes Wohnbaulandangebot voraus. Hier, meine Damen und Herren, kann die kommunale Planungs- und Baulandpolitik nicht aus der Pflicht genommen werden.
Frau Wöhrl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reschke?
Auf Grund der kurzen Redezeit, die ich habe, -
Das wird Ihnen nicht angerechnet.
- möchte ich in meinem Konzept fortfahren.
Es wurden den Kommunen von der Regierung Instrumentarien an die Hand gegeben, wie der städtebauliche Vertrag, der Vorhaben- und Erschließungsplan oder die Entwicklungsmaßnahmen; diese Instrumentarien sollten in den Kommunen eigentlich nicht nur in den Schubläden von Vorzimmern liegen, vielmehr sollten sie angewendet werden.
Ziel der Länder muß es ebenfalls sein, Maßnahmen zur Vergrößerung des Wohnbaulandangebotes und zur Durchsetzung eines preiswerten und ökologisch verträglichen Wohnungsbaus zu ergreifen. Auch in dieser Beziehung ist Bayern Vorreiter. Denn das Land Bayern stellt den Kommunen zehn Millionen DM pro Jahr zur Ausweisung von preisgünstigem Wohnbauland bereit.
Unser im internationalen Vergleich zu hohes Baukostenniveau muß abgebaut werden. Wir haben inzwischen immens hohe Baustandards, auch im sozialen Wohnungsbau. Es gilt, Hemmnisse gegenüber kostengünstigem Bauen abzubauen, wie auch Märkte für preiswertes Wohneigentum zu schaffen. Dabei geht es jetzt nicht nur um eine eventuelle Abänderung der HOAI, wo kostensparendes Bauen belohnt werden sollte; es geht auch um technische und architektonische Innovationen, wie u. a. vorgefertigte Bauelemente und die Holzbauweise. Ich glaube auch nicht, daß jedes Haus einen Keller braucht.
Dagmar Wöhrl
Mit kostengünstigem Bauen können wir erreichen, daß wieder mehr Menschen Zugang zum Neubaumarkt bekommen werden. Das führt zu mehr Wohneigentumsbildung und dadurch schließlich natürlich auch zu niedrigeren Neubaumieten.
Zusammenfassend läßt sich sagen: Das Gutachten beinhaltet eine Vielzahl von guten Anregungen, die es wert sind, daß sie bei unseren jeweils aktuellen Reformvorhaben in der Diskussion auch von der Opposition berücksichtigt werden.
Vielen Dank.
Auch bei der Rede von Frau Wöhrl handelte es sich um eine Jungfernrede, die erste lebhafte Rede in der Debatte.
Nun hat das Wort der Kollege Volkmar Schultz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der bisherige Verlauf der Debatte hat schon gezeigt, daß wir kontrovers diskutieren und diskutieren müssen; denn wir vertreten unterschiedliche Konzepte und unterschiedliche Interessen. Ich will ganz deutlich sagen, auf welcher Seite die Sozialdemokraten in dieser Debatte stehen,
nämlich auf der Seite der Menschen, deren Wohnverhältnisse nicht oder nicht dauerhaft gesichert sind, die im Wettbewerb des Wohnungsmarktes aus den unterschiedlichsten Gründen schlechtere Chancen haben, deren Nachfragemöglichkeiten kein entsprechendes Angebot gegenübersteht, die mit überproportionalen Mietsteigerungen nicht mehr zurechtkommmen
oder die ihren großen Traum vom kleinen Eigentum nicht verwirklichen können.
Diese Menschen waren in der Kommission, die Frau Schwaetzer einberufen hat, nicht vertreten.
So ist es nicht verwunderlich, daß die Arbeit der Kommission eine starke Schlagseite zur neoklassizistischen Volkswirtschaftslehre hat. In der Deregulierung, also in der Befreiung von staatlichen Eingriffen, wird das Heil der Wohnungspolitik gesehen. Die bei den Experten erkennbare Marktgläubigkeit läßt freilich außer acht, daß auch in einer marktwirtschaftlich verfaßten Gesellschaftsordnung die Besonderheiten des Gutes Wohnung eine staatliche Regulierung erforderlich machen. Ich füge hinzu: Die Bundesrepublik Deutschland ist bis zum Ende der sozialliberalen Koalition sehr gut damit gefahren.
Die Wohnung ist der soziale Lebensmittelpunkt der Menschen; sie ist Grundlage für persönliche Entfaltung und für die Ausübung von Freiheits- und Bürgerrechten. Das Wohnen kann eben nicht durch andere Konsumformen, wie etwa Autofahren oder Fernsehen, ersetzt werden; es ist unverzichtbar. Die Wohnung ist zugleich Wirtschafts- und Sozialgut von ganz besonderer Art. Dieser Überlegung trägt der Bericht nicht annähernd ausreichend Rechnung.
Eine der Kernthesen des Gutachtens, soweit es sich auf den Mietwohnungsbau bezieht, lautet: Laßt uns den Mieterschutz herunterfahren und die Mieten steigen lassen; dann wird der Markt von ganz allein mehr Wohnungen produzieren. Meine Damen und Herren, die Kommission hätte es besser wissen können. Schon 1983 hat diese Regierungskoalition mit dem Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen einen Versuch in die gleiche Richtung getan, und von da an ging es dann rapide bergab. Niemals wurden weniger neue Mietwohnungen errichtet und an den Markt gebracht als in den Jahren nach 1983. Das Ergebnis war eine zehn Jahre andauernde Unterproduktion mit all ihren Folgen am Markt, Verdrängung etc., etc.
- Der Markt, Herr Kollege Braun, hat uns eben nicht den gewünschten Gefallen getan.
Nach den fatalen Erfahrungen, die wir da gemacht haben, kann ich der Kommission in ihrer ungebremsten Markteuphorie nicht folgen.
- Lassen Sie mich im Zusammenhang sprechen; ich habe nur ein paar Minuten. Haben Sie Verständnis, bitte.
Nun berufen Sie sich auf die Erfolge der letzten zwei Jahre. Da müßten Sie sich natürlich auch auf die Mißerfolge der ersten zehn Jahre Ihrer Koalition berufen
- das tun Sie natürlich wohlweislich nicht -, und Sie müßten darstellen, daß auch heute noch, bei der hohen Zahl von Wohnungen, die produziert werden, gerade die Länder ganz besondere Anstrengungen unternommen haben. Im öffentlich geförderten Bereich finanzieren die Länder über 80 % des Volumens.
Volkmar Schultz
Eine weitere Kernthese heißt, der soziale Wohnungsbau ist zu teuer geworden, und deshalb gehen wir jetzt von der Objektförderung in die Subjektförderung, also in das Wohngeld hinein. Das soll dann billiger werden. Ich frage, für wen billiger und für wen teurer. Nein, auch die Richtigkeit dieser These darf man getrost in Frage stellen.
Mit dem Wegfall der Objektförderung entfällt auch ein wesentlicher Investitionsanreiz für Investoren. Wohngeld ist eine wichtige Hilfe, schafft aber keinen zusätzlichen Wohnraum. Außerdem ist die Erfahrung, welche die Mieter bei dieser Bundesregierung mit dem Wohngeld machen, doch die, daß es ständig hinterherhinkt.
Dann kommt der geniale Gedankenblitz der Expertenkommission: Jetzt schaffen wir ein Zusatzwohngeld, zu dessen Zahlung die Gemeinden verpflichtet werden sollen. Ich frage Sie: In welcher Welt leben eigentlich unsere Experten?
Die Bundesregierung sagt, daß dieser Vorschlag kurzfristig nicht zu verwirklichen ist. Wir sagen der Bundesregierung: Er wird auch langfristig nicht zu verwirklichen sein, weil Sie keinen Vorschlag für einen entsprechenden Finanzausgleich finden werden und weil Sie keine Garantie dafür haben werden, daß aus höherem Wohngeld zusätzlicher Wohnungsbau resultiert.
Dasselbe gilt für den von der Bundesregierung mitgetragenen Gedanken des Erwerbs von Belegungsbindungen durch die Kommunen. Da hat die Regierungskoalition 1988 mit der Preisgabe der Wohnungsgemeinnützigkeit millionenfache Bindungen verschenkt,
und nun sollen die Kommunen die gleichen Bindungen teuer zurückkaufen.
Dann fördern wir bereits vorhandene Wohnungen ein zweites und ein drittes Mal, und das nennen wir dann Effizienz. Honni soit qui mal y pense, sagt der Engländer - ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Im übrigen legen wir energischen Protest gegen die Auffassung der Kommission ein, die Wohnungspolitik liege vorwiegend in der Verantwortung der Gemeinden. Dies widerspricht dem Sozialstaatsprinzip, das für den Gesamtstaat zu gelten hat.
Meine Damen und Herren, ich würde gerne noch auf das Instrument der einkommensabhängigen Förderung eingehen, aber die Zeit erlaubt das nicht. Jetzt nur soviel: Es wächst die Skepsis gegenüber diesem völlig unerprobten, im Würzburger Planspiel regelrecht abgestürzten Modell. In Gemeinden und bei Investoren herrscht große Zurückhaltung, weil man erkennt, daß die völlig unabsehbaren Risiken dieser Fördermethode den Gemeinden, den Mietern und auch den Investoren zugeschoben werden sollen.
Die baugewerblichen Verbände sprechen in einer jüngsten Veröffentlichung von einem drohenden Attentismus im Wohnungsneubau im Zusammenhang mit dieser Fördermethode, und das wäre ja nun wirklich das letzte, was wir brauchen können.
Das Gutachten läßt übrigens eine wirklich sachgerechte und sorgfältige Auseinandersetzung mit den bereits heute praktizierten Modellen der einkommensabhängigen Förderung - das sind die Fehlbelegungsabgabe und Zinserhöhungen auch für Eigentümer - vermissen.
Im größten Bundesland, in Nordrhein-Westfalen, wird dieses Systems quasi flächendeckend angewandt. Allein die Fehlbelegungs- oder, besser gesagt, die Fehlsubventionierungsabgabe hat bisher zum zusätzlichen Neubau von über 12 000 Wohnungen geführt. Für Polemik, wie sie hier zuweilen geäußert worden ist, gibt es überhaupt keinen Grund. Aber ich glaube, die sachliche Beschäftigung mit diesem Thema paßte nicht so sehr in den Auftrag von Frau Schwaetzer.
Die Arbeitsgemeinschaft der Bauminister kommt denn auch zu einer kritischen Bewertung der Kommissionsvorschläge. Dieser Kritik schließen wir uns an, aber das soll nicht bedeuten, daß wir nicht auch Reformbedarf sehen.
In der Tat, meine Damen und Herren, der Wohnungsbau in Deutschland, und zwar nicht nur der soziale Wohnungsbau, ist im internationalen Vergleich zu teuer. Die Konsequenz heißt aber nicht, daß wir ihn abschaffen, sondern die Konsequenz heißt, daß wir ihn kostengünstiger machen. Darin liegt die eigentliche Schlüsselfrage für die Zukunft des bezahlbaren Wohnens in unserem Land.
Diese Debatte ist nicht so sehr eine Standarddebatte. Sie kann in Teilbereichen auch eine Standarddebatte sein, sie ist aber im wesentlichen eine Innovationsdebatte. Das Bauwesen, das gesamte Planungswesen, die Baumethoden, die Bauverfahren müssen in der Tat innovativ neu gestaltet werden.
Hierzu liegen in allen Bundesländern praktikable Erkenntnisse vor, auch bei hierzulande geltendem Baurecht. Hierzu hat auch die Bundesregierung soeben einen guten, einen ausführlichen Bericht vorgelegt, den wir ebenso begrüßen wie die Stellungnahme der Kommission zu diesem Thema.
Meine Damen und Herren, der amerikanische Präsident hat für sein Land kürzlich die Devise ausgegeben, in zehn Jahren die Baukosten zu halbieren. Wenn wir uns ein ähnlich ehrgeiziges Ziel setzen, dann können wir auch in Zukunft mit bewährtem Instrumentarium, aber mit weniger Geld das soziale Wohnen in unserem Lande gewährleisten. An der Verwirklichung dieses Ziels arbeiten die Sozialdemokraten gerne mit.
Volkmar Schultz
Ich will das wiederholen, was der Kollege Reschke eben schon gesagt hat: Wir hätten uns gefreut, wenn der Herr Wohnungsbauminister am Anfang dieser Debatte in die Bütt gegangen wäre. Ich weiß, Sie werden noch kommen, nachdem Sie nun gehört haben, woher der Wind weht.
Wir hätten uns aber gefreut, wenn Sie die Führerschaft in dieser Diskussion übernommen hätten.
Herzlichen Dank.
Es spricht jetzt Peter Götz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Seit Jahren, verehrter Herr Kollege Reschke, propagieren Sie den Weltuntergang in der Wohnungspolitik. Was ist wirklich geschehen? Der Wohnungsbau boomt; wir haben die höchste Bautätigkeit seit 20 Jahren.
Dies ist, ob es Ihnen paßt oder nicht, ein Erfolg dieser Bundesregierung, den wir uns nicht zerreden lassen.
Herr Kollege Großmann, Wohnungspolitik ist ein höchst sensibles Thema, vor allem für Menschen, die keine Wohnung haben, für Menschen, die eine Wohnung suchen,
ein Thema, mit dem wir sorgfältig umgehen sollten!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war ohne Zweifel richtig, frei vom politischen Alltagsgeschäft das gesamte Spektrum der Wohnungspolitik ohne Zeitdruck vorbehaltlos auf den Prüfstand zu stellen, und dies gilt auch dann, wenn das Ergebnis der vorgelegten Untersuchungen und die Vorschläge nicht in allen Punkten passen.
Wir haben heute - und ich sage das Ihnen, Herr Kollege Schultz - in Deutschland auf dem Wohnungsmarkt gegenüber früher total veränderte Rahmenbedingungen. Sie haben das offensichtlich immer noch nicht gemerkt. Wenn in wenigen Jahren mehr als 4 Millionen Menschen, aus welchen Gründen auch immer, in unser Land gekommen sind, so ist dies nicht spurlos am Wohnungsmarkt vorbeigegangen. Wenn wir wissen, daß die meisten dieser Menschen nicht nur unser großzügig gestaltetes soziales Netz in Anspruch nehmen, sondern vor allem auch ein Dach über dem Kopf brauchen, und wenn wir wissen, daß diese Menschen gerade in den preiswerten Wohnungsbestand drängen, so erfordert dies ein Umdenken, und wir müssen uns schon fragen, Herr Kollege Reschke, wer für diese Entwicklung maßgeblich mitverantwortlich ist.
Wir können zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben nicht mit den Antworten, die gestern noch richtig waren, die Fragen von heute und morgen lösen; das wissen wir. Dies gilt übrigens in nahezu allen Feldern der Politik, auch im Wohnungsbau.
Die Forderung nach mehr Geld des Steuerzahlers, wie sie gerade von der Opposition in den letzten Jahren zu hören war, ist leicht zu erheben; das ist der einfachste Weg. Wir wissen aber: Die Grenzen der finanziellen Belastbarkeit sind erreicht.
Das Geld der Bürgerinnen und Bürger muß erst erarbeitet und erwirtschaftet werden, bevor wir in Bonn es ausgeben, und sei der Zweck auch noch so sinnvoll.
Wir sollten unseren Grips anstrengen, wie wir erreichen, mit dem gleichen Geld mehr bezahlbare Wohnungen zu bauen.
Wir brauchen mehr Bauland, eine Aktivierung privaten Kapitals - das wurde heute vormittag gesagt -, aber auch - das ist ohne Frage richtig - den Einsatz von öffentlichen Mitteln.
Wenn wir wissen, daß wir mit 1 Milliarde DM staatlicher Mittel Bauleistungen für maximal 4 000 Sozialwohnungen oder für 10 000 freifinanzierte Mietwohnungen oder aber für 20 000 Wohnungen als eigengenutztes Wohneigentum ermöglichen können, so wird deutlich, wo es anzusetzen gilt.
Allein dieses Beispiel, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, zeigt, daß die Subvention, die der Steuerzahler in Bund, Ländern und Gemeinden für eine Sozialwohnung ausgibt, mehr als das Doppelte gegenüber einer Mietwohnung und das Fünffache gegenüber der Förderung einer eigengenutzten Wohnung ausmacht. Das heißt doch, meine Damen und Herren: Die Stärkung der Förderung eigengenutzten Wohn-
Peter Götz
eigentums durch den Staat erzielt die größte Wirkung am Wohnungsmarkt.
Jeder, Herr Kollege Reschke, der eine eigengenutzte Wohnung bezieht und sich mit persönlichem Einsatz und Opfern engagiert, macht eine andere Wohnung frei - das widerspricht dem, was die Kollegin Eichstädt-Bohlig vorhin ausgeführt hat -,
die dem Wohnungsmarkt dann genauso zur Verfügung steht.
- Natürlich muß sie neu entstehen.
Nach unseren Vorstellungen müssen sich die wohnungspolitischen Ziele an den Bedürfnissen von Kindern und Familien orientieren.
Es ist unstrittig, daß trotz der Rekordzahlen bei fertiggestellten Wohnungen nach wie vor Wohnungen fehlen, vor allem preiswerte Wohnungen für Familien mit Kindern.
- Ich sage es Ihnen: Die beste Wohnform für die Familie ist das familiengerechte, möglichst mehreren Generationen dienende selbstgenutzte Eigenheim. Familien mit Kindern wollen Wohneigentum.
- Ich komme noch darauf.
Seit Jahren stagniert die Eigentumsquote in Deutschland auf niedrigem Niveau. Sie liegt im Westen bei 40 %, im Osten, sicherlich sozialismusbedingt, bei 25 %.
Im europäischen Vergleich sind wir das Schlußlicht. Länder wie Griechenland, Spanien oder Irland, um nur einige Beispiele zu nennen, weisen eine Eigentumsquote von 80 % auf,
d. h. 80 % der Menschen leben dort in einer eigenen Wohnung.
- Glauben Sie, den 20 %, die in diesen Ländern nicht in einer eigenen Wohnung leben, geht es besser?
Unser Steuerrecht hat dazu geführt - da teile ich die Auffassung von vielen, die heute hier geredet haben -, daß nahezu ausschließlich Haushalte mit hohem Einkommen Wohneigentum bilden können. So können Familien mit mittleren Einkünften die steuerlichen Möglichkeiten selten ausschöpfen. Hinzu kommt das fehlende Eigenkapital.
Wir müssen jungen Menschen möglichst früh den Weg zu Wohneigentum eröffnen.
Das Durchschnittsalter bei der Schaffung von Wohneigentum beträgt in Deutschland 38 Jahre.
Das heißt: In den meisten Fällen sind die Kinder bereits aus dem Haus, Herr Großmann, wenn sich die Familie ein Eigenheim oder eine eigene Wohnung leisten kann.
Durch ein attraktives Vorsparen, eine verbesserte Bausparförderung
und durch die gezielte Förderung bei der Schaffung und dem Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum können wir das spürbar verbessern.
- Vielleicht schaffen wir das gemeinsam, Herr Kollege Großmann.
- Die werden noch kommen, keine Frage.
Nach meinem Verständnis darf die Förderung von Familienheimen und Eigentumswohnungen für Familien nicht schlechter gestellt werden als die Schaffung von Mietwohnungen. Deshalb sollten wir die steuerliche Förderung im komplizierten § 10 e unseres Einkommensteuergesetzes streichen und durch eine an der Kinderzahl orientierte direkte Förderung - nach meinem Verständnis möglichst außerhalb des Steuerrechts - ersetzen.
So ermöglichen wir auch jungen Familien, die noch kein hohes Einkommen haben, in den entscheidenden Jahren der Kindererziehung, solange die Kinder noch klein sind, die Bildung von Wohneigentum. Das gilt übrigens vor allem auch für Familien in den neuen Ländern.
Peter Götz
Meine Damen und Herren, das Ringen um die beste Lösung ist nicht einfach.
Das ist keine Frage. Ich hoffe - und ich bin auch sehr zuversichtlich, Frau Kollegin -, daß es in den nächsten Wochen gemeinsam gelingen wird, die verschiedenen Modelle, die auf allen Ebenen diskutiert werden, auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.
Ob das leichter wird, nachdem im Bundesrat neben den beiden bekannten Modellen aus BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz noch ein drittes
von Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt vorgeschlagen worden ist, ist eine andere Frage.
Wir brauchen eine Lösung, die familien- und kinderfreundlich, möglichst einfach und transparent ist
und gleichzeitig das komplizierte Steuerrecht radikal vereinfacht.
Es lohnt sich, dafür gemeinsam zu arbeiten. Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt Herr Minister Töpfer.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Mehrmals ist angemahnt worden, die Bundesregierung müsse doch am Anfang sprechen. Dem Kollegen Reschke ist entgangen, daß die Bundesregierung am Anfang gesprochen hat. Wenn Sie sich die Tagesordnung ansehen, Herr Kollege Reschke, stellen Sie nämlich fest, daß die Diskussion über die Stellungnahme der Bundesregierung zum Sachverständigengutachten darauf steht.
Sie wurde am 5. Mai veröffentlicht, und hätten Sie
sie gelesen, wüßten Sie, was die Bundesregierung
dazu sagt. Deswegen haben also wir als erste gesprochen, Herr Kollege.
Aber - um das gleich hinzuzufügen - es ging ja gar nicht um die Frage, wer als erster spricht, sondern darum, ob Frau Brusis als letzte spricht; denn sie möchte gern noch ein bißchen Wahlkampf machen, und die Freude wollen wir ihr gönnen.
Darum geht es, meine Damen und Herren. Ich freue mich, Frau Kollegin, daß Sie hierhergekommen sind. Es ist in der Tat dringlich, daß Sie hier noch Wahlkampf machen. Gehen Sie davon aus, daß die Wähler darauf auch nicht mehr hereinfallen werden.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Reschke?
Sehr gerne.
Herr Minister, können wir uns denn darauf einigen, daß wir jetzt wissen - schriftlich übermittelt -, was die Bundesregierung meint? Wir hätten aber gerne gleich am Anfang dieser Debatte gehört, was sie tun will.
Sehen Sie, Kollege Reschke, manche Frage gibt sich die Antwort schon selbst. Diese gehört dazu. Wenn Sie es wirklich gelesen hätten, wüßten Sie, daß darin steht, was die Bundesregierung tut. Wir haben nicht nur kommentiert, sondern gesagt, was wir daraus machen wollen und was nicht.
Das mag von Ihnen anders gesehen werden. Deswegen war ich aber der Meinung: Da wir das gemacht haben, wollen wir erst einmal respektvoll die kritische Stellungnahme des Parlamentes hören und dann darauf antworten. Das ist meiner Ansicht nach vernünftig.
Dem könnte ich nur noch hinzufügen, daß das Gutachten von diesem Hohen Haus erbeten worden ist, so daß daher eine zusätzliche Begründung mehr als gegeben ist.
Nein, das andere ist das Wichtigere, also spricht Frau Brusis als letzte.
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Jetzt zur Sache. Meine Damen und Herren, viele, die hier zuhören, sind möglicherweise der Ansicht, es würde über unterschiedliche Gutachten gesprochen. Das hat etwas damit zu tun, daß es in Deutschland üblich geworden ist, ein Gutachten nur dann als gut zu empfinden, wenn es die eigene, vorgefaßte Meinung widerspiegelt.
Das hat sich leider durchgesetzt.
Daß ein Gutachten gerade deswegen gut sein kann, weil es einmal gegen den Strich bürstet und möglicherweise der eine oder andere Dreck herausfällt, den man schon nicht mehr bemerkt hat, sollte sich in Deutschland auch einmal wieder durchsetzen.
Deswegen halte ich das Gutachten für eine gute Sache.
Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Wenn hierüber keine kontroverse Diskussion in Gang gekommen wäre, dann wäre es ein schlechtes Gutachten. Es hat die Diskussion ausgelöst, es wird diese Diskussion leiten und weiterführen. Deswegen bedanke ich mich für die Bundesregierung in aller Form bei den Gutachtern dafür, daß sie diese Arbeit vorgelegt haben.
Nebenbei: Wäre es nicht so, wäre eine solche Beauftragung von Gutachtern in der Tat eine Verschwendung von Steuermitteln; denn dann will ich nur meine vorgefaßte Meinung bestätigen lassen. Das aber ist keine Aufgabe, für die man Steuermittel einsetzen sollte. Die Gutachter sollen uns, wenn es denn sein soll, auf die Füße treten.
Generell wird immer gesagt, das Gutachten sei zu theoretisch. Auch das überrascht mich. Ich habe mit hinreichendem Erfolg Volkswirtschaft studiert. Da es üblich geworden ist, zu zitieren, was unsere englischen Kollegen sagen, möchte ich das auch tun. Es gibt den großen Ökonomen John Maynard Keynes.
- Ich bin hierhergekommen, um etwas zu lernen. Das habe ich auch gelernt, Herr Kollege.
John Maynard Keynes, einer der ganz großen Ökonomen, hat den schönen Satz gesagt: Without theory we are lost in the woods. Übersetzt: Ohne Theorie sind wir wirklich im Wald verloren. Denn dann sehen wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.
Hätten wir ein Gutachten vorgelegt bekommen, das keine Theorie zur Grundlage gehabt hätte, dann hätte ich gesagt: Schickt das Gutachten zurück! Ich kritisiere nicht, daß es theoretisch ist, sondern wir können uns überlegen, ob die Theorie zur richtigen Schlußfolgerung führt. Aber zu diskutieren, es sei theoretisch, führt zu nichts. Ich will nicht nur ein praxisorientiertes Gutachten, sondern eine theoretisch nachvollziehbare Konzeption haben. Diese möchte ich auch zur Diskussion stellen. Deswegen kann ich den Vorwurf, es sei theoretisch, nicht als Kritik ansehen.
Das Gutachten ist nebenbei alles, nur nicht theoretisch. Denn wäre es wirklich zu theoretisch, wie Sie meinen, wie könnte es dann eine solch breitangelegte öffentliche Diskussion mit allen Praktikern auslösen? Ich habe mir wirklich vieles vorzuhalten, nur nicht, daß ich zu wenig Veranstaltungen mitgemacht habe. An den meisten haben Gutachter, also Mitglieder dieser Expertenkommission, teilgenommen. Die gesamten Einladungen kamen von hohen Praktikern und Unternehmen.
- Nein, sie sind ganz im Gegenteil in vollem Maße aufgegriffen worden. Ich halte das für gut.
Dritter Punkt: Was muß ein Gutachten wirklich bringen, das ein Politikfeld aufarbeitet? Für meine Begriffe muß es zunächst einmal so etwas wie eine Erfolgskontrolle vorangegangener Politik beinhalten. In der Tat - das ist zu bedauern - fordern wir diese Aufgabe unseren Politikern an vielen Stellen nicht ab. Wir tun das vielleicht auch deswegen nicht, weil wir uns nicht so gerne von Gutachtern sagen lassen, daß die sicherlich immer gutgemeinten Maßnahmen, die wir durchgeführt haben, die Ziele, die wir erreichen wollten, gar nicht erreicht haben.
Gut gemeint waren sie alle. Was das Gutachten sagt, bestätigt das, was der Volksmund sagt: Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. Das ist wahr. Deswegen machen die Gutachter eine relativ schonungslose Erfolgskontrolle der Politik. Das führt an vielen Stellen dazu, daß man uns sagt: Leute, Ihr wolltet mit Einzelmaßnahmen soziale Ziele erreichen und seid dazu gekommen, daß Ihr gerade die sozialen Ziele nicht erreicht habt. Das ist die Erfolgskontrolle, die Sie sogar indirekt bestätigt haben.
- Nein, die muß wohl stimmen, Frau Kollegin; denn Sie kommen exakt zu dem Ergebnis, das Sie, die SPD, auch beklagen.
Also mache ich die Erfolgskontrolle mit. Ich muß Ihnen eines sagen: In wenigen Politikfeldern ist das nötiger als in der Wohnungspolitik; denn hier stehen Jahr für Jahr 50 Milliarden DM in der Förderung direkt oder indirekt zur Diskussion.
Wenn wir 50 Milliarden DM zur Diskussion stellen, dann müssen wir fragen: Wo gehen die hin? Gehen die an die richtigen Stellen, ja oder nein? Auch das hat niemand hier bestritten. Warum kritisieren Sie ein Gutachten, das genau das macht?
Was einen großen Anteil der Maßnahmen angeht, ist bisher die Frage gestellt worden: Machen wir einen ganz bestimmten, objektbezogenen sozialen
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Wohnungsbau, bauen wir also für sozial schwache Mitglieder unserer Gesellschaft Häuser und Wohnungen, oder unterstützen wir diese sozial Schwachen, indem wir ihnen zusätzliche Einkommen schaffen, damit sie die Wohnungen bezahlen können? Das war bisher die Frage.
In der Vergangenheit haben wir in hohem Maße entschieden, Wohnungen unter Einbeziehung einer Förderung selber zu bauen. Es gab den ersten, den zweiten und den dritten Förderweg sowie zusätzliche Vereinbarungen. Jetzt wird gesagt, es solle zu keinem Abrücken von der sozialen Zielsetzung kommen. Da wir diese sozialen Zielsetzungen mit dem ersten und zweiten Förderweg nur in vergleichsweise sehr teurer Weise erreichen, kann man nicht sagen, Befürworter eines anderen Weges seien gegen die soziale Zielsetzung. Sie fragen vielmehr, wie man dieses Ziel effizienter erreichen kann.
Meine Damen und Herren, wenn Sie das „ökonomisiert" nennen, dann muß ich sagen: In der Tat gilt auch für jeden Politikbereich das Rationalitätsprinzip, daß man ein gegebenes Ziel mit möglichst günstigen Mitteln erreichen sollte.
Das ist ein generelles Rationalitätsprinzip. Was ist denn daran eigentlich zu kritisieren?
- Es gibt in der Tat Leute, Herr Kollege Reschke, die meinen, eine Politik sei um so besser, je mehr sie zur Erreichung der Ziele einsetze.
Das würde bedeuten, die Qualität der Wohnungspolitik von der Höhe der Fördermittel abzulesen. Ich sage: Die Qualität hängt von der Erreichung der Ziele ab. Wenn wir die mit möglichst günstigen Mitteln erreichen, dann ist das eine gute Sache.
Ich freue mich über unsere gute Wohnungspolitik. Das wird gleich die Frau Kollegin Brusis bestätigen. Sie hat ja eine erfolgreiche Politik gemacht. Das wird sie uns gleich alles erzählen. - Das hätten Sie von der SPD jetzt aber ruhig beklatschen können. Das ist nicht nett.
- Gut.
Meine Damen und Herren, mehr und mehr kommen auch die Lander zu der Überzeugung: Wir müssen von dem ersten und zweiten Förderweg weg und hin zu einer einkommensorientierten Förderung. Warum? Weil dies die Möglichkeit gibt, jemandem zu helfen, der etwa am Anfang seiner beruflichen Entwicklung steht oder sich in bestimmten Situationen befindet und dieser sozialen Hilfe bedarf, in einem Objekt eine einkommensbezogene Miete zu zahlen. Wenn sich seine soziale Situation dann ändert, soll sich daran anknüpfend auch seine Miete ändern.
Wenn wir das nicht tun, dann laufen wir doch permanent den Entwicklungen hinterher. Jeder weiß doch, daß die Fehlbelegungsabgabe dieses Problem nicht löst. Deshalb sage ich: Lassen Sie uns den Weg einer einkommensorientierten Förderung gehen! So ergeben sich gezielte Lösungen für soziale Probleme, und so ergibt sich gleichzeitig ein besserer Einsatz von Steuergeldern.
Was ist gegen eine vereinbarte Förderung zu sagen, die gerade denen zugute kommt, die in ganz besonderer Weise die Hilfe unseres Staates brauchen?
Frau Eichstädt-Bohlig, Ihr Vorwurf der sozialen Kälte gegen die Experten mit Blick auf die Obdachlosigkeit ist nicht fair. Die Experten machen eine Unterscheidung, die durchaus nachvollziehbar ist. Sie sagen, es gibt Obdachlosenprobleme - die haben wir auch hier diskutiert -, die zu einem wichtigen Teil durch finanzielle Probleme begründet sind. Sie sagen, dort, wo die finanziellen Probleme gegeben sind, helfen wir mit dem Wohngeld.
- Ich habe das gelesen.
Sie kommen zusätzlich zu dem Hinweis, daß es aber nicht nur finanzielle Probleme sind, sondern daß es darüber hinaus auch andere Probleme gibt, die man mit dem Wohngeld nicht lösen kann. Dann sagen sie: Für diese Fälle der Obdachlosigkeit brauchen wir so etwas wie Belegungsrechte.
Man kann sich darüber unterhalten, ob wir die Kommunen richtig ausstatten. Den Experten aber soziale Kälte vorzuwerfen würde allen Experten nicht gerecht. Deswegen möchte ich sie vor diesem Vorwurf nachhaltig in Schutz nehmen. Darum geht es mir.
Wir wollen den sozialen Wohnungsbau nicht abschaffen, sondern wir wollen die knappen Mittel erstens besser einsetzen, um gegebene soziale Ziele zu erreichen.
Zweitens. Wir sind der Überzeugung, daß die sozialste Wohnung das selbstgenutzte Wohneigentum ist.
Je weiter wir in diesem Bereich kommen, um so günstiger wird dies ohne jeden Zweifel für die Wohnungspolitik insgesamt. Dies hat eine Vielfalt von zusätzlichen positiven Wirkungen für die Familien, für die Eigentums- und Vermögensbildung und hinsichtlich der Lösung sozialer Probleme.
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
- Ich hatte nicht ganz zehn Jahre Zeit. Ich werde es aber allen Vorgängern gerne mitteilen.
Eines habe ich auch gelernt - sicherlich nicht so intensiv -: Der Hinweis, man hätte das schon vorgestern machen können, enthebt uns nicht der Notwendigkeit, jetzt die richtige Analyse durchzuführen und zu handeln.
Damit komme ich noch einmal zu der Aussage, daß die Expertenkommission in ihren Prioritäten so falsch wohl nicht liegt. Das bedeutet nicht, daß ich sie voll übernehme. Aber sie hat genau auf die Dinge hingewiesen, die uns allen ein bißchen weh tun, weil wir sie ein Stück versteckt haben, indem wir uns der Erfolgskontrolle eigentlich gar nicht richtig gestellt haben.
Deswegen möchte ich den Wohneigentumsanteil durch gezieltere Förderung derjenigen, die ohne eine staatliche Förderung nicht bauen können, erhöhen, ohne gleichzeitig das falsche Signal zu geben, daß auch noch diejenigen bauen sollten, die die verbleibenden Schulden eigentlich nicht tragen können. Eines der ganz großen sozialen Probleme unserer Zeit in Deutschland besteht darin, daß man sich zu sehr verschulden kann und aus dem damit verbundenen Teufelskreis nicht mehr herauskommt. Manche Familie ist eher daran als durch andere familienpolitische Maßnahmen kaputtgegangen.
Ich gehe - auch das möchte ich deutlich sagen - an dieses Thema nicht ideologisch heran. Ich möchte wissen, wer die Belastungen hinterher wirklich tragen kann, damit die Familie die neue Wohnung auf Dauer hat und nicht hinterher Vater und Mutter gezwungen sind, ganztags zu arbeiten, so daß das eigentlich für die gesamte Familie vorgesehene Eigenheim tagsüber nicht mehr von den Eltern, sondern nur noch von Schlüsselkindern bewohnt wird.
Auch aus diesem Grunde diskreditiere ich den Mietwohnungsbau nicht. Wir müssen alles daransetzen, daß auch er weiter vorangebracht wird.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Eichstädt-Bohlig? An sich ist Ihre angemeldete Redezeit fast vorbei. Aber ich stoppe die Zeit.
Gern.
Genau die Tatsache, daß sich Haushalte für die Eigentumsbildung zu stark verschulden, ist eines der zentralen Probleme. Ich frage Sie, ob Sie dies im Zusammenhang mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz und mit dem dadurch ausgelösten Druck im Osten in Richtung Privatisierung bedenken.
Frau Kollegin, da wir das Altschuldenhilfe-Gesetz in wenigen Minuten bei dem nächsten Tagesordnungspunkt behandeln, werden wir diese Thematik sicherlich dort aufgreifen. Ich freue mich aber, daß Sie die genannten Probleme bestätigen. Es wäre gut, wenn wir uns darüber vorher etwas ausgetauscht hätten. Es handelt sich um einen wichtigen Bereich.
Um die Probleme zu lindern, ist eine bessere Förderung notwendig. Zusätzlich müssen wir die zur Bildung von Eigentum gebauten Wohnungen und Häuser preiswerter - nicht billiger - machen. Wir müssen, ökonomisch gesehen, andere Produktpaletten anbieten. Es gibt viele Maßnahmen, um Wohneigentum preiswerter zu machen.
Damit Frau Kollegin Brusis das entsprechende Stichwort hat, möchte ich ihr eines sagen. Offenbar geht es so, wie Sie die Landesbauordnung novelliert haben, nicht. So mache ich für Sie Werbung, denn in dem vor mir liegenden Artikel ist ein Bild von Ihnen gleich mit enthalten. Zu dieser Novelle sagen die Experten: Durch diese Maßnahme wird der Staat eben nicht schlanker, der Staat wird dadurch überhaupt nicht leichter werden, eher im Gegenteil.
Wir wollen wirklich, daß der Staat schlanker wird, damit mehr gebaut wird und damit wir durch ein höheres Angebot an Wohnungen im Mietrecht die Entlastungen bewirken, die den Mietern zugute kommen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Das Wort hat die Kollegin Ilse Brusis.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Ich bin immer etwas verwundert, wenn ich in dieses Hohe Haus komme und Debatten, die in den Landtagen ähnlich geführt werden, hier mit vertauschten Rollen erlebe.
Die Regierung preist die Erfolge der Wohnungspolitik, die Opposition weist auf die noch vorhandenen Defizite hin. Ich denke, beide haben recht. Wir haben Erfolge gehabt, aber nach wie vor sind hohe Defizite vorhanden. Wir haben in den nächsten Jahren noch viel zu tun.
Aber was die Erfolge anbetrifft, so wird von seiten der Vertreter der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen dieses Hohen Hauses immer so getan, als hätten sie jede Wohnung selbst gebaut, die in den letzten Jahren erstellt worden ist. Ich möchte ganz bescheiden darauf hinweisen: Was die finanziellen Mittel anbetrifft, so haben Nordrhein-Westfalen 80 %
Ministerin Ilse Brusis
und die Bundesregierung in den letzten Jahren etwa 20 % erbracht. In diesem Jahr ist der Anteil des Bundes sogar auf 15,5 % abgesunken. Das nur in aller Bescheidenheit.
Also sagen wir doch offen: Es waren unsere gemeinsamen Erfolge, und das, was wir noch nicht geleistet haben, müssen wir in den nächsten Jahren gemeinsam noch leisten.
Nun bitte ich aber darum, dieses Gemeinsame noch einmal unterstreichen zu dürfen; denn Wohnungspolitik ist in der Tat ein Geschäft, das Bund, Länder und Gemeinden nur mit einem gewissen Maß an Gemeinsamkeit bewerkstelligen können,
und dazu brauchen sie auch noch die Investoren.
Aber wenn ein Geschäft nur in Gemeinsamkeit betrieben werden kann - auch gemeinsam mit der freien Wirtschaft -, ist es um so wichtiger, daß die Politik klare Rahmensetzungen gibt und rechtzeitig genug sagt, wohin es gehen soll.
- Ja, nur habe ich die konkreten Aussagen beim Herrn Kollegen Töpfer vermißt, wohin es denn nun gehen soll.
Herr Kollege Töpfer, Sie haben natürlich recht: Wir haben alle Ihre Stellungnahme zum Gutachten der Expertenkommission bekommen. Aber wo sind denn die konkreten Aussagen?
Als ich die Regierungserklärung las, die einige wichtige Grundsätze der Wohnungspolitik noch einmal unterstrichen hat, die aber auch viele Gemeinplätze enthielt, war ich ja noch guten Mutes und dachte, jetzt träte endlich eine Wende ein, die Bundesregierung würde erst einmal mit den Ländern und mit allen an der Wohnungspolitik Beteiligten die Gespräche aufnehmen, und dann würden wir ans Werk gehen, weil wir es nur in gemeinsamer Arbeit schaffen können. Ich kann bisher nicht feststellen, daß dies geschehen ist; aber es ist dringend notwendig.
Noch haben wir eine gute Konjunktur im Wohnungsbau, Gott sei Dank. Dies hat auch Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Löhne, worüber ich sehr froh bin. Aber es gibt Warnungen, daß wir 1996 einen Einbruch im Wohnungsbau bekommen könnten. Es muß unser aller Sorge sein, dies zu verhindern. Dazu sind jetzt klare Entscheidungen notwendig.
Nun haben wir also erst einmal ein Expertengutachten. Das finde ich auch gar nicht schlecht. Es enthält ja viele gute Vorschläge, und bei denen, die man nicht unbedingt akzeptiert, ist es wichtig, daß man sich mit ihnen noch einmal auseinandersetzt und dann weiß, warum man sie nicht akzeptiert, und dafür gute Gründe hat. Dagegen habe ich überhaupt nichts. Nur, die Zielbestimmung, Herr Kollege Töpfer, von der Sie hier vorhin behauptet haben, daß man an ihr die wohnungspolitischen Instrumente und deren Tauglichkeit messen müßte, ist in diesem Gutachten - das haben ja auch die Landesbauminister bemängelt - bedauerlicherweise nicht vorgenommen worden.
Deshalb meine ich, daß wir wenigstens im Bereich der Politik versuchen sollten, uns über die Zielbestimmung klarzuwerden, und zwar möglichst schnell.
Ich höre jetzt nicht nur in Presseveröffentlichungen, sondern auch bei Diskussionen immer wieder, daß inzwischen viele Investoren verunsichert sind und fragen, wohin es denn nun geht.
Wir brauchen einen etwas längeren Atem, beispielsweise auch, was die Finanzierung der Wohnungsbaupolitik anbetrifft. Der Bundeshaushalt für 1995, wie er von der Bundesregierung vorgelegt worden ist und dieses Hohe Haus ihn beschlossen hat, zeigt in der Wohnungspolitik diesen langen Atem nicht. Er ist nach wie vor von kurzfristigen Programmen gekennzeichnet. Das Sonderprogramm wird weitgehend abgebaut. Der Schuldzinsenabzug, den ich nie befürwortet habe, aber den wir nun einmal als ein Finanzierungsinstrument hatten, wird nicht fortgeführt. So kann es nicht gehen. Wir brauchen auch im Hinblick auf die finanziellen Rahmenbedingungen mehr Langfristigkeit und mehr Sicherheit auch für die Investoren.
Um auf das Gutachten zurückzukommen: Wichtige Erkenntnisse hat uns ja nicht erst das Gutachten vermitteln müssen. Daß man das Wohneigentum angemessener fördern kann, habe ich schon 1990 durch eine Bundesratsinitiative deutlich gemacht. Da hatte ich nämlich schon eine Änderung des § 10e EStG mit dem Instrument eines einkommensunabhängigen Abzugs von der Steuerschuld und eine Erhöhung des Baukindergeldes vorgeschlagen. 1990! Ich bin ja sehr froh, Herr Kollege Töpfer, daß Sie inzwischen auch zu der Erkenntnis gekommen und durch das Gutachten darin bestärkt worden sind, daß dies das
Ministerin Ilse Brusis
bessere Instrument ist. Nur: Wo bleibt eigentlich die Gesetzesinitiative? Die brauchen wir jetzt.
Wir müssen ab 1. Januar 1996 eine bessere steuerliche Förderung haben, um einen neuen Anschub in die Wohnungsbaupolitik hineinzubekommen.
Vorhin ist behauptet worden, es lägen doch Gesetzesentwürfe von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz vor. Wo denn? Es gibt eine Entschließung des Bundesrates auf der Grundlage eines Antrages des Landes Baden-Württemberg, keinen Gesetzentwurf.
Einen Gesetzentwurf des Landes Rheinland-Pfalz kenne ich auch nicht. Ich kenne ein sehr diskussionswürdiges Konzept meines Kollegen Mittler. Aber woran liegt es denn, daß es kein Gesetzentwurf des Landes Rheinland-Pfalz ist?
Wenn Sie, Herr Kollege Töpfer, mir Wahlkampf unterstellen, dann will ich deutlich sagen: An dieser Stelle mache ich Wahlkampf, weil nämlich dieses Exempel deutlich macht, wie wichtig klare, eindeutige, absolute Mehrheiten sind; denn in bestimmten Fragen kann man sich auf Koalitionspartner nicht verlassen.
Das zeigt dieses Beispiel des § 10e EStG und seine Diskussion in einigen Bundesländern.
Wo bleibt denn Ihr Gesetzentwurf, Herr Kollege Töpfer? Ich unterstütze Sie, wenn Sie über einen einkommensunabhängigen Abzug von der Steuerschuld sprechen. Die Landesregierung NordrheinWestfalen wird in dieser Frage tätig werden. Wir werden einen Gesetzentwurf vorlegen, wie wir es in der letzten Legislaturperiode schon mehrfach gemacht haben. Wir werden damit insbesondere die jungen Haushalte, die jungen Familien unterstützen. Wir werden das Baukindergeld anheben und damit insbesondere die Familien mit Kindern unterstützen.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Töpfer?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich gestatte eine Zwischenfrage.
Frau Kollegin, Sie haben gerade die Bedeutung der Regierungsmehrheit herausgestellt. Darf ich fragen, wann ich in meinem Posteingang den Regierungsentwurf des Landes Nordrhein-Westfalen habe?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bereits 1990 gab es einen Gesetzentwurf - es ist schon durch Zwischenrufe bestätigt worden -, der in der letzten Legislaturperiode wiederholt eingebracht wurde. Er ist immer an den Mehrheiten dieses Hohen Hauses gescheitert. Ein Gesetzentwurf des Landes Nordrhein-Westfalen sollte in der letzten Sitzung des Bauausschusses des Bundesrates eingebracht werden. Leider ist er wegen der Vielzahl der vorhandenen Anträge auf der Tagesordnung nicht mehr behandelt worden.
Er liegt aber vor und wird in der nächsten Sitzung des Ausschusses beraten. Sie können fest davon ausgehen.
- Bitte schön. Ich hoffe, ich habe Ihre Frage ausreichend beantwortet.
Der Gesetzentwurf liegt vor. Ich kann nichts dafür, wenn ein Ausschuß mit seiner Arbeit nicht so weit kommt, wie wir gehofft haben.
- Aber gerne, Herr Kollege Töpfer. Unverzüglich schicke ich Ihnen den Entwurf. Vielleicht übernehmen Sie ihn.
Ich sage noch einmal: Es wäre wichtig, die jungen Familien mit Kindern in der Wohneigentumsförderung stärker zu unterstützen. Die Gelegenheit hätten Sie in diesem Hause seit zwölf Jahren gehabt. Sie haben sie nicht wahrgenommen, obwohl die Anträge mehrfach vorgelegt worden sind.
Ich komme zur Frage des Wohngeldes. Ich bin sehr froh, daß die Expertenkommission noch einmal das Instrument Wohngeld ausdrücklich unterstrichen hat. Es ist eines der wichtigen wohnungspolitischen Instrumente. Nur, was machen Sie mit diesem Instrument? Seit 1990 ist das Wohngeldgesetz den gestiegenen Mieten und auch den Einkommensentwicklungen nicht angepaßt worden. Für viele Haushalte ist es kein wirksames Instrument mehr. Kennen Sie eigentlich die Nöte von Familien, von Menschen, die sagen: Bald kann ich meine Miete nicht mehr zahlen?
Was soll es, wenn wir immer wieder aufgefordert werden, wir sollen Wohnungsbaufördermittel für die Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten von
Ministerin Ilse Brusis
Obdachlosen einsetzen? Lassen wir sie doch erst gar nicht in die Obdachlosigkeit fallen. Das wäre doch der vernünftigere Weg, denn Obdachlosigkeit grenzt sozial aus.
Deshalb müssen wir Obdachlosigkeit vermeiden, indem wir das Wohngeld wieder zu einem wirkungsvollen Instrument machen. Das heißt aber, die Bundesregierung kann uns nicht von Jahr zu Jahr immer wieder auf einen späteren Zeitpunkt vertrösten, zu dem endlich wieder einmal das Wohngeldgesetz angepaßt werden soll. Es muß jetzt kommen, wie zugesagt zum 1. Januar 1996.
Dies ist vom Bundesrat 1994 in einer Entschließung gefordert worden. Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung dem folgen wird.
Nun komme ich zum sozialen Wohnungsbau. Ich begrüße es sehr, Herr Kollege Töpfer, daß die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme unterstrichen hat, daß wir weiterhin einen sozialen Wohnungsbau brauchen. Mit ihm schaffen wir nicht nur Wohnungen mit bezahlbaren Mieten, sondern wir verbinden damit auch das Belegungsrecht. Viele Menschen, die auf dem Wohnungsmarkt auf Grund ihrer sozialen Situation große Schwierigkeiten haben, sind auf dieses Belegungsrecht angewiesen.
Wir müssen die Schwächen, die im System des sozialen Wohnungsbaus liegen, beseitigen - da stimme ich Ihnen voll zu. Allerdings preisen Sie hier immer wieder das Instrument der einkommensorientierten Förderung. Gestatten Sie mir die Bemerkung: Wenn man die Fehlbelegungsabgabe flächendeckend erhebt, wenn man Darlehen für eigengenutzte Wohnungen ab einem bestimmten Zeitpunkt einkommensorientiert verzinst, hat man eine einkommensorientierte Förderung.
Das System der einkommensorientierten Förderung, das bei der Diskussion des Wohnungsbaugesetzes 1994 zur Sprache kam, scheint meiner Meinung nach nicht recht zu laufen, wenn ich die Situation in meinem eigenen Bundesland und anderen Bundesländern beobachte. Die Wohnungswirtschaft ist nicht hellauf begeistert davon, sondern sieht viele Unsicherheiten damit verbunden. Das habe ich bei der damaligen Diskussion dieses Wohnungsbaugesetzes vorausgesagt.
Es hat zu viele Unwägbarkeiten. Wir sollten weiter daran arbeiten.
Frau Ministerin, die Redezeit ist abgelaufen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sehe, Frau Präsidentin, meine Redezeit ist zu Ende; ich komme zum Schluß.
- Oh, das scheint mir aber eher das Pfeifen im Wald zu sein, Herr Dr. Kansy.
Meine sehr verehrten Herren und Damen, ich habe eingangs gesagt: Es bleibt noch viel zu tun. Wir sollten uns vor allzu überschwenglichen Erfolgsmeldungen hüten; sie könnten falsche Signale in das Land senden. Deshalb sage ich: Versuchen wir lieber, in gemeinsamer Arbeit die Probleme, die vor uns liegen, zu lösen! Ich glaube, da haben wir sehr viel zu tun.
Ja, ja, der Wahlkampf! - Ich schließe damit die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/159 und 13/1268 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Der Entschließungsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/ 1312 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie der Bericht der Expertenkommission. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes
- Drucksache 13/68 -
- Zweite und dritte Beratung des von dem Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick und den weiteren Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes
- Drucksache 13/100 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes
- Drucksache 13/230 -
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
- Drucksache 13/1103 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Rolf Rau Iris Gleicke
Bericht des Haushaltsausschusses gemäß j 96 der Geschäftsordnung
- Drucksachen 13/1316, 13/1317, 13/1318 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth
Jürgen Koppelin Dr. Rolf Niese Kristin Heyne
Zum Gesetzentwurf der Fraktion der SPD liegt ein Änderungsantrag der SPD vor, über den wir im Anschluß an die Aussprache namentlich abstimmen werden.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Achim Großmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach viel Theorie wollen wir uns nun der Praxis zuwenden und den Praxistest für die Bundesregierung machen -, bei einem Thema - Altschuldenhilfe-Gesetz -, das seit fünf Jahren ungelöst vor sich hindämmert. Schuld daran ist die Bundesregierung, die in den ersten drei Jahren dieses Problem vor sich hergeschoben und völlig unzulängliche Vorschläge gemacht hat - selbst die Gemeinden sollten ein Drittel der Altschulden der Wohnungswirtschaft tragen. Erst als nach drei Jahren das Solidarpaktgesetz auf den Tisch kam, ist es uns annähernd gelungen, eine vernünftige Lösung für dieses Problem zu finden.
In der Zwischenzeit hatten sich die Altschulden von etwa 36 Milliarden DM auf rund 60 Milliarden DM aufgetürmt. Das heißt, durch Untätigkeit der Bundesregierung in den ersten drei Jahren haben sich die Schulden fast verdoppelt - zu Lasten der Steuerzahler und zu Lasten der Mieterinnen und Mieter.
Nach Inkrafttreten des Altschuldenhilfe-Gesetzes haben wir dann gemerkt, daß dieses Altschuldenhilfe-Gesetz genau die Mängel hat, die wir schon während der Beratung angekreidet haben, nämlich daß es nicht greift. Nach zunächst drei Jahren und nun wiederum zwei Jahren vertaner Zeit versuchen wir, dieses Altschuldenhilfe-Gesetz in ganz bestimmten Bereichen zu ändern, weil es nicht funktioniert. Ich will das an Hand einiger Stellen erläutern.
In dieser ganzen Zeit hat sich die Bundesregierung nicht bewegt. Sie hat, was bei einem Gesetz ziemlich einmalig ist, einen Lenkungsausschuß eingesetzt, der kontrollieren soll, ob das Gesetz vernünftig umgesetzt wird. Dann hat die Bundesregierung in genau diesem Lenkungsausschuß den Blockierer gespielt. Sie hat sich nicht bewegt, hat nicht dazu beigetragen, daß die Privatisierung in Gang kommt.
Ich zitiere an dieser Stelle den Kollegen Rau von der CDU, der in der Debatte zur ersten Beratung der Novellierung am 19. Januar gesagt hat:
Nun ist es aber auch nicht verwunderlich, daß ein Gesetz auch Kritik auf sich zieht, wenn es auf den Weg gebracht wird, zumal es für meine Begriffe zu eng ausgelegt wird und bisher im Lenkungsausschuß die geforderte Bewegung nicht erfolgt ist.
Also, wenn das selbst ein Vertreter der Koalitionsfraktionen sagt, dann, glaube ich, wissen wir, was wir von diesem Gesetz halten müssen.
Es hat die mieterfreundliche und für die Wohnungswirtschaft sinnvolle Privatisierung bisher weitgehend verhindert. Deshalb ist es wichtig, daß wir dieses Gesetz novellieren.
Wir haben von Anfang an ein besseres Gesetz gewollt. Wir haben es immer für völlig unsinnig gehalten, daß z. B. Genossenschaften Genossenschaftswohnungen an Dritte verkaufen sollen, die nicht Mitglieder ihrer Genossenschaft sind. Das ist ein Bruch des Genossenschaftsrechtes. Das haben wir kritisiert, und das kritisieren wir weiter.
Wir haben uns in dem Novellierungsantrag, der in den Ausschüssen debattiert worden ist und heute neben anderen zur Abstimmung steht, auf drei wesentliche Eckpunkte bezogen. Zunächst geht es darum, daß die lineare Erlösabführung - diesen Begriff muß ich ein bißchen erweitern, das ist Fachchinesisch - eingeführt werden sollte. Was steht jetzt in dem Gesetz? Die Wohnungswirtschaft muß 15 % der Wohnungen privatisieren. Aber je länger sie braucht, desto mehr muß sie vom Verkaufserlös an den sogenannten Erblastentilgungsfonds, an die Kasse von Herrn Waigel, abführen.
Wer also nicht schnell genug privatisiert, wird bestraft.
Das Problem ist nur: Zum Beispiel in Wohnungsbeständen, über deren Zuordnung des Grundeigentums noch gar nicht entschieden ist, kann gar nicht so schnell privatisiert werden. Es gibt viele Wohnungen, deren rechtmäßiger Eigentümer immer noch nicht feststeht. Viele Mieterinnen und Mieter, die gerne kaufen wollen, sind nicht in der Lage, das innerhalb weniger Monate zu tun. Sie müssen ansparen.
Achim Großmann
Wir haben eben in einer dramatischen Einlassung vom Herrn Bundesbauminister gehört, wie schlimm das mit der Zwangsversteigerung ist. Die Leute überschulden sich immer mehr und werden dann ihr Eigentum wieder los. Genau das müssen wir verhindern. Wir können das aber nur verhindern, wenn dieser enorme zeitliche Privatisierungsdruck weggenommen wird, wenn die Mieterinnen und Mieter also die Möglichkeit haben, vernünftig anzusparen und sich darauf einzustellen, daß sie Wohneigentum schaffen wollen.
Das gleiche gilt für die Ausgründung der Genossenschaften - ein weiterer Eckpunkt. Warum macht es nicht Sinn, die Neugründung von Genossenschaften aus kommunalen Wohnungsunternehmen als Privatisierung anzuerkennen? Auch das ist eine Form von Eigentum. Von daher drängen wir nach wie vor darauf, daß die Ausgründung von Genossenschaften aus dem kommunalen Wohnungsbesitz auch wirklich als Privatisierung anerkannt wird.
Wenn man ein erstes Fazit zieht, wird man feststellen, daß unsere Forderungen in den zwei Jahren nichts bewegt haben, weil die Bundesregierung im Lenkungsausschuß und leider auch in den Debatten im Bauausschuß blockiert hat.
Jetzt, nach diesen zwei Jahren, gibt es hoffentlich etwas Bewegung; denn zumindest im Bauausschuß ist angekündigt worden, daß man sich Zwischenerwerbermodelle vorstellen könne, daß man sich die Ausgründung von Genossenschaften vorstellen könne. Einiges von dem, was bisher blockiert worden ist, kann man sich also vorstellen.
Das ist zuwenig, sagen wir. Denn die Beratungen im Bauausschuß wie auch die Debatte im Januar hier im Plenum haben bewiesen, daß es noch fundamentale Unterschiede zwischen den beiden Modellen gibt. Ich will sie an einem Beispiel deutlich machen. Wieder geht es um die Ausgründung von Genossenschaften, die wir - das ist doch völlig klar - im Rahmen des geltenden Genossenschaftsrechtes möglich machen wollen. Die Bundesregierung und anscheinend die Koalitionsfraktionen aber wollen eine andere Art von Genossenschaftsrecht. Sie wollen das Genossenschaftsrecht, das sich seit mehr als 100 Jahren bewährt hat, auf den Kopf stellen, und eine neue Form finden.
Ich zitiere an dieser Stelle wieder Herrn Rau:
Es ist des weiteren aus meiner Sicht wichtig und erforderlich, daß man in der Satzung oder in anderen Rechtsformen deutlich macht, daß die eingegebenen Mittel durch Besitzermodelle eine Form von Wertschöpfung erreichen, so daß im Veräußerungsfall nicht nur der Genossenschaftsanteil als der eingezahlte Anteil refinanziert wird,
sondern der Genossenschafter auch im Rahmen der Wertschöpfung im späteren Verkaufsfalle diese Leistung erhält.
- Ja, er sollte mal zur Volksbank oder zur Raiffeisenbank gehen und versuchen, seinen Genossenschaftsanteil von 1 000 DM zu verkaufen und gleichzeitig die Wertschöpfung der letzten zehn Jahre bei seiner Bank mitzunehmen.
Man will also ein völlig neues Genossenschaftsrecht. Das kann keinen Sinn machen. Ich habe schon in der ersten Debatte im Januar gesagt: Lassen wir die Finger von diesen neuen Modellen! Machen wir nicht die Menschen in den neuen Bundesländern zu Versuchskaninchen für neue Modelle!
Trotzdem sind wir der Meinung, daß diese beiden Bereiche - das Zwischenerwerbermodell, auf das ich nicht besonders eingegangen bin, und das Problem der Genossenschaften - im Lenkungsausschuß, also außerhalb des Gesetzes, gelöst werden können.
Es gibt allerdings ein großes Problem, nämlich die lineare Erlösabführung, diesen Privatisierungsdruck. Den können wir nicht außerhalb des Gesetzes lösen. Er muß innerhalb des Gesetzes gelöst werden. In einer Anhörung des Bauausschusses ist das klargeworden. Es gab keinen Experten, der gesagt hat, daß es außerhalb des Gesetzes gelöst werden könnte. Alle haben gesagt: Ändert bitte das Altschuldenhilfegesetz an der Stelle, an der es darum geht, die progressive Erlösabführung herauszunehmen und eine lineare Erlösabführung aufzunehmen.
Das haben alle Experten gesagt, das hat die Wohnungswirtschaft gesagt, das haben die Mieterverbände gesagt, das haben die Bauminister der ostdeutschen Länder gesagt. Alle waren für die Gesetzesänderung.
Um zu untermauern, daß das nicht nur im Antrag der SPD steht, der vielleicht wenig Rückhalt gefunden hat, will ich an dieser Stelle einige Zitate aus der Anhörung oder aus Briefen, die uns in den letzten Tagen erreicht haben, vortragen.
Die Wohnungswirtschaft schreibt:
Der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft teilt die Einschätzung in der Begründung zum Änderungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion, daß die jetzt progressive Erlösabführungsstaffel die entscheidende Ursache für die zur Zeit spürbare Privatisierungshektik ist -
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Braun?
Ich möchte zuerst zu Ende zitieren.
- und eine geordnete und überlegte Privatisierung mit Augenmaß unmöglich macht. Die progressive Erlösabführungsstaffel setzt die Unternehmen und die Mieter gleichermaßen unter Entscheidungsdruck. Dies ist für eine erfolgreiche sowie sozial und wirtschaftlich verträgliche Privatisierung kontraproduktiv.
Der GdW schreibt weiter:
Es wäre falsch und mit den Zielen des Altschuldenhilfe-Gesetzes unvereinbar, über die Progression rein fiskalpolitische Ziele zu verfolgen, ohne Rücksicht auf die negativen Auswirkungen für die Investitionsfähigkeit der Wohnungswirtschaft.
Schließlich wird noch darauf hingewiesen:
Hinzu kommt, daß große Teile der Wohnungsbestände auf Grund ungeklärter Eigentumsverhältnisse und des noch nicht voll funktionsfähigen Grundbuchwesens zur Zeit nicht in die Privatisierung einbezogen werden können.
Deutlicher kann man die Kritik nicht formulieren.
Herr Kollege Großmann, wenn sich das Genossenschaftsrecht insbesondere für Wohnungsgenossenschaften so bewährt hat, wie erklären Sie sich, daß nach dem Zweiten Weltkrieg fast keine neuen Wohnungsgenossenschaften gegründet wurden?
Ich darf ergänzend fragen: Wie bewerten Sie die Neubauleistung der Wohnungsgenossenschaften angesichts des wachsenden Bedarfs an Wohnraum?
Es gibt Millionen von Genossenschaftswohnungen. Wir haben einen Antrag vorgelegt, nach dem die Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus der steuerlichen Förderung des Wohneigentums gleichgestellt werden soll. Machen Sie das mit, dann werden Sie eine Renaissance der Genossenschaften erleben, weil das eine ganz tolle Form des Eigentums ist.
Ich will noch zwei ganz kurze Zitate vortragen. Der Städtetag schreibt:
Entscheidende Fortschritte bei der mieternahen Privatisierung werden vielmehr erst durch eine Änderung bei der Erlösabführungspflicht ermöglicht.
Auch dies ist ganz eindeutig.
Minister Meyer aus Brandenburg schreibt:
Der Kauf von Wohneigentum bzw. die Gründung einer Wohnungsgenossenschaft will sorgfältig überlegt und vorbereitet werden. Verunsicherte Mieter kaufen nicht, sondern sperren sich gegen alle Veränderungen, beispielsweise auch gegen sinnvolle Umzugsangebote.
Ich denke, diese drei Zitate, die für viele andere stehen, sprechen eine eindeutige Sprache. Wer das Gesetz - deshalb findet heute die namentliche Abstimmung nur zu dem Punkt der linearen Erlösabführung statt - an dieser Stelle nicht ändert, schafft eine Zweiklassengesellschaft bei den Wohnungsunternehmen und bei den Mietern, verhält sich ökonomisch und fiskalisch unvernünftig, weil er Investitionen verhindert, den Zuwachs von Arbeitsplätzen bremst und Steuer- und Mehreinnahmen verspielt und nach bereits fünf vertanen Jahren eine vertrauenschaffende, angstabbauende und mieternahe Privatisierung verhindert. Ich fordere Sie deshalb auf, unserem Änderungsantrag heute zuzustimmen und das endlich zu ändern.
Das Wort hat der Kollege Rolf Rau.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Großmann, daß Sie mich zweimal zitiert haben, ehrt mich, sogar in zweierlei Richtung. Zum einen kann ich das, was ich schon vor längerer Zeit gesagt habe, heute bestätigen. Zum anderen zeigt sich durch die Erkenntnisse, die aufgenommen worden sind, und die Beweglichkeit bei der Umsetzung dessen, was wir heute wollen, die Nähe der Koalitionsregierung.
- Ich denke schon.
Eine Bestandsaufnahme des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ende des Jahres 1994 besagt, daß in den neuen Bundesländern 20 % des Wohnungsbestandes im Besitz von Genossenschaften sind. In den alten Ländern sind es 4 %. Im vermieteten Privatbesitz sind 15 %, im kommunalen Besitz rund 35 % und im selbstgenutzten Privatbesitz 25 %. Allein die letzte Position besagt, daß sich in den alten Ländern rund 15 % mehr Wohnungen selbstgenutztes Eigentum sind. Die Debatte haben wir vorhin gehört.
Das bestätigt, daß wir mit dem AltschuldenhilfeGesetz und mit der Privatisierungsaufforderung im Interesse der Bürger der neuen Länder auf dem richtigen Weg sind.
Rolf Rau
Wir haben also ein Potential von ungefähr drei Millionen Wohnungen im genossenschaftlichen und kommunalen Bereich, die es zu modernisieren gilt, zumindest aber instandzusetzen, und dort, wo es die Bürger wünschen und die Wirtschaftlichkeit erfordert, dringend zu privatisieren. Ich glaube, man weiß, daß wir mit aller Konsequenz den Weg zum selbstgenutzten Wohneigentum beschreiten und dort, wo es noch nicht möglich ist, über eine angemessene Zeitspanne durch Zwischenerwerber und anderweitige Nutzung den Bürgern die Chance einräumen, ihre Wohnung zu einem späteren Zeitpunkt zu kaufen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß den Bürgern in den neuen Bundesländern die Möglichkeit eingeräumt wird, gerade auch im Hinblick auf die weitere Entwicklung in der Mietenpolitik und zur Erhaltung der Wohnsubstanz Eigentum zu schaffen. Denn selbstgenutztes Wohneigentum ist die sicherste Form und, so behaupte ich, die stabilste Miete.
Ich bin davon überzeugt, daß wir deshalb mit der von uns in der Ausschußfassung vorgetragenen Entschließung auf dem richtigen Weg sind und die Privatisierungsform bei der Umsetzung des Altschuldenhilfe-Gesetzes, um die es heute geht, weiterhin intensiv voranbringen. Deshalb bleibt es. dabei, daß die Wohnungsunternehmen Objekte aus ihrem Bestand auszuwählen haben, die sich für eine Mieterprivatisierung eignen, und daß trotz intensiver Bemühungen, insbesondere eingehender Beratung, und auch mieterfreundlicher Preise objektbezogen den Bürgern die Chance eingeräumt werden muß, ihre Kaufmöglichkeiten zu erkennen. Den Mietern sind dabei vor allem die Sanierungs- und Finanzierungspläne vorzulegen und die daraus folgende Belastung für den Fall des Erwerbs, auch im Vergleich bei der gleichen baulichen Entwicklung der entstehenden Miete. Es sind verbindliche Kaufangebote zu unterbreiten, und es ist eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen. Die Wohnungen dürfen an Fremde nicht zu günstigeren Bedingungen angeboten werden als an die von uns vordringlich gewünschten Mietererwerber.
Meine Damen und Herren, die kommunalen Gesellschaften und die Genossenschaften können bei diesem Vorgang auch die zukünftigen Zwischenerwerber oder andere Firmen einbinden, die in der Lage sind, die genannten vorbereitenden Leistungen zu vollziehen. So werden sie von ihrer Aufgabe als Wohnungsgesellschaft oder Wohnungsgenossenschaft nicht abgelenkt. Wir haben, um den Erwerb der eigenen Wohnung zu fördern, nicht umsonst mit dem Haushalt 1995 50 Millionen DM auf den Weg gebracht, um z. B. einen Drei-Personen-Haushalt mit 3 000 DM für den Haushaltsvorstand und je 1 000 DM pro weiteres Familienmitglied zu fördern.
- Der Situation entsprechend gebracht, Herr Großmann.
So können allein durch diese Möglichkeit ca. 10 000 Wohnungen erleichtert erworben werden. Diese Maßnahme der direkten Förderung sollte sich auch im Rahmen der Wohneigentumsförderung nach dem neugefaßten § 10 e für die nächsten Jahre deutlich handhabbarer gestalten, wobei diese Wohnungsbauförderung nur ein Teil der Möglichkeiten darstellt.
Überlegungen der Länder, wie sie mir beispielsweise aus Sachsen bekannt sind, können diese Projekte weiter begleiten, denn die Fördermittel würden ja sonst nicht ausreichen, um den insgesamt erwünschten Privatisierungs- und Modernisierungseffekt zu erzielen.
Ich denke, wir sollten heute auch darüber abstimmen, daß die Voraussetzung zu einer mieternahen Privatisierungsform geschaffen wird, d. h. sich bei Neugründung von Wohnungsgenossenschaften die Genossenschaftsmitglieder eine Satzung erarbeiten, die eigentumsorientiert zu gestalten ist, und entsprechend dem Genossenschaftsgesetz verfahren wird. Über Mehrheitsbeschlüsse sollte es Möglichkeiten des Erwerbs von Eigentum in der Endphase geben. Bei Neugründung der Genossenschaft ist der wirtschaftliche Eigenanteil eines Genossenschaftlers höher anzusetzen - ich könnte mir einen Betrag von 10 000 DM vorstellen -, um die Arbeitsfähigkeit einer so zu gründenden Genossenschaft in finanzieller Hinsicht solide auszugestalten.
Herr Großmann, man muß es einfach einmal sagen: Ich finde, die Bürger in den neuen Bundesländern sind keine Versuchskaninchen, wie Sie es dargestellt haben, sondern sie sind vielleicht in mancher Beziehung flexibler und offensiver bereit, bestimmte Dinge anzunehmen.
Sie wissen, daß in Dresden die Frage diskutiert wird: Wie kann man Genossenschaften neu gründen? Wenn Sie sich mit dieser Materie beschäftigen, wissen Sie, daß auch in Trachau diesbezüglich großes Interesse vorhanden ist.
An dieser Stelle will ich unterstreichen, daß auch im Zusammenhang mit der Chancengleichheit aus meiner Sicht die Größe einer Genossenschaft keine Rolle spielt, zumal die Erfahrungen zeigen, daß dort, wo die Rentabilität auf Grund bestimmter Größenunterschiede von Genossenschaften dazu führt, daß zu einem späteren Zeitpunkt Fusionen von Genossenschaften möglich sind, eine Leitungsform existiert, die eine wirtschaftliche Arbeitsweise garantiert.
Des weiteren möchte ich unterstreichen, daß wir die Zwischenerwerber wünschen, wobei, wie ich eingangs sagte, die Information der Bürger gewährleistet werden muß. Eine zweite Kaufbefragung in angemessener Zeit sollte gewährleistet werden.
Besonders wichtig erscheint mir beim Zwischenerwerber auch, daß dort die Möglichkeiten der Lenkung innerhalb eines Objekts oder einer Wohnanlage gegeben sein sollten, damit eine gegenseitige Verhinderung der Privatisierung oder die Situation, daß man sich gegenseitig in Bedrängnis bringt, ver-
Roll Rau
mieden wird. Das heißt also, dadurch kann eine Umwandlung objekt- bzw. gebäudeweise - bei größeren Anlagen könnte man auch sagen: aufgangsweise - erfolgen.
Im Zusammenhang mit dem Zwischenerwerbermodell freut es mich, daß die über viele Jahre nicht immer mit dem besten Ruf belastete Leizpiger Wohnungsbaugesellschaft jetzt zum Verkauf kommt und einen Modellversuch von 800 Wohnungen startet, gleichzeitig aber auch 10 000 Wohnungen auf den Markt bringt, wobei ich es für wichtig halte, daß dafür schon 60 Interessenten vorhanden sind. Dieses Potential sollte man ausnutzen, um kleingliedrig und überschaubar dieses Zwischenerwerbermodell anzuwenden, womit man gleichzeitig einer größeren Flexibilität gegenüber dem Mieter und vielleicht später eintretenden Entwicklungen und Erwerberwünschen Rechnung trägt und gegebenenfalls Risiken minimiert.
Ich möchte darauf hinweisen, daß wir in diesem Zusammenhang durch die Altschuldenhilfe ein großes Modernisierungspotential freisetzen. Dafür werden vom GdW 500 Milliarden DM genannt.
Diese Erkenntnis bestätigt mich in der Ansicht, im Gegensatz zum SPD-Antrag jetzt nicht den Fuß vom Gas zu nehmen und aus der progressiv gestaffelten Erlösabführung eine lineare Erlösabführung in den Erblastentilgungsfonds zu machen - auch wenn ich möglicherweise eingestehe, daß die etwas scharfe Staffelung nicht unbedingt besonders glücklich ist; aber der jetzige Zeitpunkt räumt uns reelle Chancen ein, diese gewünschten Privatisierungen ohne überhöhten Druck herbeizuführen.
In dieser Ansicht hat mich die Meldung aus Leipzig bestätigt, im Gegensatz zu den Briefen des GdW und auch von Ihnen, Herr Senator Nagel; Ihr Brief ist mir gestern kurzfristig auf den Schreibtisch geflattert.
Nachdem ich die Möglichkeiten des Erwerbs für eine eigentumsorientierte Genossenschaft und für den Zwischenerwerb dargestellt habe, möchte ich noch darauf hinweisen - wenn auch nicht vordringlich -, daß es wünschenswert ist, daß die Fondsgesellschaften in den neuen Bundesländern dort Anerkennung finden sollten, wo schuldrechtlich der Anspruch auf Individualeigentum besteht. Ich möchte ferner darauf hinweisen, daß die Fondsanteile zu 30 % an Fondsgesellschafter in den neuen Bundesländern gehen.
Einfacher gesagt: Der Mieter beteiligt sich an dem Fonds und kann zu einem späteren Zeitpunkt, nach dem Auslaufen der steuerrechtlichen Vorteile, seine Wohnung erwerben. Ich glaube, auch für den Bereich, der dann keine Wohnung erwirbt, ist über die Fondslaufzeit ein guter Mieterschutz gewährleistet.
In vielen Genossenschaften und Gesellschaften sind in den letzten Wochen und Monaten zahlreiche vorbereitende Arbeiten geleistet worden, um die Modernisierung und die Instandsetzung weiter voranzubringen, um auf dem Weg der Privatisierung erfolgreich arbeiten zu können.
Die Beispiele - ob in Leipzig oder bei der Wohnungsgenossenschaftsgründung in Dresden - zeigen: Wir sind als Deutscher Bundestag am Zuge, mit diesem Beschluß die weitere Gestaltung in den neuen Bundesländern voranzubringen. Ich würde mir wünschen, daß unverzüglich die Anweisung zur detaillierten Handhabung von Ihnen, Herr Minister, an die Kreditanstalt für Wiederaufbau auf den Weg gebracht würde, um im Detail darzustellen, wie verfahren werden kann.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin nach wie vor ein bißchen Neuling hier. Trotzdem habe ich bei der Behandlung der Gesetzesinitiativen zum Altschuldenhilfe-Gesetz einiges gelernt.
Das Fazit ist: Es hat sehr qualifizierte Diskussionen gegeben - das muß man sagen -, sehr kontroverse, aber auch sehr engagierte und mit sehr viel Erfahrung angereichert. Im Endeffekt jedoch ist das, was Beschlußempfehlung ist, zu kurz gegriffen. Wenn das beschlossen wird, wird es die Probleme nicht lösen.
Das zweite, was ich gelernt habe - das habe ich aber eigentlich schon in den letzten vier Jahren in Berlin gelernt -, ist die Unerbittlichkeit, mit der danach gestrebt wird, die Menschen im Osten auf Deubel komm raus nach der Fasson der Westler selig zu machen. Diese Unerbittlichkeit verunsichert und irritiert immer wieder. Warum wird den Menschen nicht mehr Gestaltungsraum gegeben, ihre Länder, ihre Städte und Gemeinden und auch ihr Wohnen nach ihrer Fasson zu gestalten?
Ich bitte darum, daß die Menschen in den neuen Ländern wirklich ernstgenommen werden, daß man mit mehr Einfühlung vorgeht und nicht immer vorschnelle Urteile fällt.
- Ihre Fraktionen leider, Herr Mahlo, das ist so. Es tut mir leid. Ich habe jetzt wirklich kapiert, wie es funktioniert. Früher habe ich gedacht, die Zeitungen würden immer nur Nachteiliges darüber schreiben, wie es im Bundestag abläuft. Aber ich lerne, daß es tatsächlich so funktioniert.
Ich komme zur Sache. Es ist auf unseren Antrag hin immerhin gelungen, eine doch sehr qualifizierte Anhörung zum Problem Altschuldenhilfe-Gesetz und
Franziska Eichstädt-Bohlig
zu den praktischen Erfahrungen durchzuführen. Leider war sie nicht öffentlich, aber immerhin. Ich möchte noch einmal sagen, was die wesentlichen Punkte in unserer Gesetzesinitiative waren; denn der Antrag wird heute niedergestimmt.
Der erste Punkt ist: Wir haben das Prinzip der Altschulden grundsätzlich akzeptiert.
Der zweite Punkt ist - das schließt an das an, was ich eingangs gesagt habe -: Wir plädieren sehr stark dafür, gemeinschaftliche Formen der Privatisierung wie Hausgemeinschaften und neue Genossenschaften dem Individualeigentum gleichzustellen, und zwar ohne, wie es die Koalitionsfraktionen machen, gleich wieder den Druck auszuüben: Ihr müßt perspektivisch doch ins Einzeleigentum gehen. Diese anderen Formen müssen gleichwertig anerkannt werden. Sie sind, wie Herr Großmann schon gesagt hat, sehr wichtige Eigentumsformen.
Der dritte Punkt: Genossenschaften, die eigentlich privat sind, müssen von der Privatisierungspflicht befreit werden, und zwar ganz. Wenn sie aus eigenem Antrieb privatisieren wollen, dann ist das ihre Entscheidung. Aber es muß nicht sein, daß der Gesetzgeber sie dazu nötigt.
Der vierte Punkt: Ausnahmeregelungen für kleine Gesellschaften und auch für andere, bei denen die Probleme so groß sind, daß die Privatisierungspflicht an sich widersinnig ist, halten wir nach wie vor für eine sehr wichtige Forderung.
Der nächste Punkt - es ist sehr schade, daß er zuwenig diskutiert worden ist -: Wir sind nach wie vor der Meinung, daß, wenn man schon über das Altschuldenhilfe-Gesetz Aktivitäten in die neuen Länder hineinbringen will, dann bitte auch Mitbestimmungsrechte und umgekehrt Mitbestimmungsverpflichtungen für die Gesellschaften.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Wir hätten uns gewünscht, daß auch mehr über § 12 des Altschuldenhilfe-Gesetzes diskutiert worden wäre, nämlich über die Belegrechte für die Kommunen. Wir sind noch immer der Auffassung, daß die Belegrechte, wie sie dort ausgewiesen werden, nämlich in Form von Höchstgrenzen - maximal 50 % bis maximal zum Jahre 2013 -, viel zu dürftig sind. Das ist praktisch der Rest an Gemeinnützigkeit und an Sozialem, was für den Ostwohnungsbestand übrigbleibt. Das ist zuwenig.
Wir haben uns entschieden gegen das Zwischenerwerbermodell gewandt und tun das auch nach wie vor. Das Schreiben, das Sie, Herr Nagel, geschickt haben - das sage ich als Kritik an der SPD -, bestätigt an sich unsere Vorbehalte, daß das Zwischenerwerbermodell doch zum großen Teil eine Privatisierungsform in Richtung Kapitalanleger West wird. Es ist ja inzwischen vom Lenkungsausschuß beschlossen, nur ein Drittel muß an die Mieter privatisiert werden, zwei Drittel können einmal wieder an Kapitalanleger und sonstige an Eigentum Interessierte gehen.
Der letzte Punkt - er ist, glaube ich, in der heutigen Debatte der wichtigste -: Wir haben uns dezidiert, genauso wie die SPD und eigentlich alle nachdenklichen Experten, für die lineare Erlösabfuhr ausgesprochen. Ich bedauere sehr, daß die CDU/ CSU-Fraktion und die F.D.P.-Fraktion sich diesem Problem nach wie vor nicht stellen wollen. Ich bin sicher: Sie werden heute gegen den Ergänzungsantrag der SPD stimmen, den ich für sehr wichtig und sehr richtig halte und bei dem ich zum erstenmal, obwohl ich sonst sehr dagegen bin, deutlich für eine große Koalition werben möchte. Ich erwarte aber, daß Sie dagegen stimmen werden. Damit wird das Thema in spätestens einem Jahr wieder auf der Tagesordnung sein. Das halte ich für keine gute Politik. Denn die Probleme für die ostdeutschen Gesellschaften und letztlich auch für die Mieter, die vor der Entscheidung stehen, bleiben im Endeffekt bestehen.
Ich möchte noch einmal dafür werben: Überlegen Sie es sich noch einmal in den paar Minuten, die wir noch bis zur Abstimmung haben, ob wir nicht wenigstens in diesem einen Punkt das Problem heute vom Tisch bekommen und Sie dem Antrag der SPD an dieser Stelle zustimmen können. Wir werden das tun, auch als Signal an die Menschen und die Wohnungsbaugesellschaften im Osten.
Ich möchte einen allerletzten Punkt anführen - meine Redezeit ist zu Ende -, der sich auf die Altschuldenhöhe, die Zinshöhe und die Lasten bezieht. Wir sehen nach wie vor nicht ein, warum marktorientierte Zinsen von Banken genommen werden müssen, die eigentlich öffentliche Banken sind oder waren, und daß mit diesen Banken ein schwunghafter Handel getrieben wird, wie jetzt mit dem Transfer der Deutschen Kreditbank auf die Bayerische Landesbank. Wir sind der Meinung, die Regierung müßte intensiv mit dem Ziel verhandeln, daß es in dieser Beziehung begünstigte Zinsen gibt.
Eine letzte Forderung: Es muß mindestens drei Monate Aufschub beim Zinsendienst und der Tilgung geben. Sie haben nämlich das ganze Mietüberleitungsgesetz verschleppt, und jetzt stehen die ostdeutschen Gesellschaften vor der Situation, daß sie die Zinsen und die Tilgung für die Altschulden bezahlen sollen, weil Sie mit dem Magdeburger Beschluß nicht zu Potte gekommen sind. Das halte ich für unseriöse Politik.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Joachim Günther.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Altschuldenhilfe-Gesetz wurde ja bereits in der vergangenen Legislaturperiode vom Bauausschuß umfangreich diskutiert und durch Besuche in den neuen Bundesländern analysiert. Durch die finanziellen Rahmenbedingungen - ich erinnere noch einmal an die Übernahme der 32 Milliarden DM durch den Bund - konnten die Genossenschaften, die Wohnungsunternehmen, aber auch private Vermieter im
Joachim Günther
Endeffekt die Kappungsgrenze von 150 DM pro Quadratmeter Wohnfläche im Altschuldenbereich erreichen. Das ist eine Größenordnung - das muß man auch einmal realistisch sagen -, von der viele Unternehmen in den alten Bundesländern nur träumen.
Nicht zu vergessen sind auch die großzügigen Regelungen, die bei der Übernahme von Grund und Boden vor allem für die Genossenschaften erreicht wurden. Ich betone diese bekannten Größen extra noch einmal am Anfang, weil Sie, Herr Großmann, vorrangig die negativen Punkte aufgeführt haben. Das Altschuldenhilfe-Gesetz insgesamt bezieht sich aber auf viel mehr. Es betrifft eben nicht nur die Privatisierung und die Abführung an den Erblastentilgungsfonds, der Inhalt des Altschuldenhilfe-Gesetzes ist umfangreicher. Die Altschuldenlösung entspricht auch - dies mit voller Absicht; deswegen möchte ich noch einmal darauf verweisen - Art. 22 Abs. 4 des Einigungsvertrages, nach dem die Privatisierung der Wohnungen in den neuen Bundesländern zu beschleunigen und vorrangig den Mietern zum Verkauf anzubieten ist. Es gab in diesem Zusammenhang viele Diskussionen über den Umfang der Privatisierungen. Wir wissen jetzt, 15 % des kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbestandes stehen im Altschuldenhilfe-Gesetz zur Diskussion. Aber 15 % von 60 % Bestand, die eben die Kommunen und im Endeffekt die Genossenschaften und Unternehmen in den neuen Bundesländern haben, sind eine ganz andere Zahl, als sie in manchen Kampagnen und Pressemeldungen herauskommt, mit denen auch Sie von der PDS vor allem im Wahlkampf Propaganda unter dem Motto gemacht haben, „der ganze Osten wird auf einmal verkauft". Das ist einfach nicht richtig, und das muß man auch einmal klarstellen können.
Meine Damen und Herren, in diesem hochsensiblen Bereich vor allem ist es erforderlich, daß wir eine gute Informationspolitik betreiben, eine Informationspolitik, die an den Mieter herankommt, eine Informationspolitik, die im Endeffekt dazu beiträgt, daß sachlich über dieses Thema diskutiert wird.
Keiner von uns hat - auch nicht in der vergangenen Legislaturperiode - je gesagt, daß die Mieterprivatisierung eine einfache Angelegenheit ist. Es gibt bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen, wenn das Ganze zum Erfolg kommen soll, und wir kennen die rechtlichen Schwierigkeiten; wir haben sie auch miteinander diskutiert. Ich nenne nur noch einmal die Vermögenszuordnung, die Grundbucheintragungen oder in der Anfangsphase auch die Eigentumsfrage in den Gesellschaften selbst. Aber der entscheidende Punkt bei der Privatisierung, und davon lasse ich mich einfach nicht abbringen, ist der politische Wille der vor Ort Verantwortlichen, damit diese Privatisierung überhaupt durchgeführt wird.
- Herr Großmann, wir haben es doch gemeinsam in der Praxis erlebt; wir waren doch oft genug in den neuen Bundesländern unterwegs, und wir haben von Politikern und von Geschäftsführern von Wohnungsgesellschaften immer gehört, warum die Privatisierung nicht geht, warum noch Jahre dazu gebraucht werden. Aber man muß in solchen Fällen auch einmal fragen: Wollen nicht manche dieser kommunalen Politiker das Monopol ihrer kommunalen Gesellschaften auf dem Wohnungsmarkt aufrechterhalten?
Genau das ist der Punkt, der im Endeffekt geändert werden muß.
Ich finde es schon erstaunlich, meine Damen und Herren, wenn gerade Herr Minister Meyer aus Brandenburg - Sie haben sicher aus dem gleichen Brief zitiert - wieder ein Schreiben an unsere Fraktion schickt, in dem er mitteilt, was das entscheidende Hindernis für die Privatisierung sei. Ich weiß nicht, ob es das analoge Schreiben ist; ich zitiere es deshalb einmal, wie ich es erhalten habe; daß
die extreme Progression bei der Erlösabführung das entscheidende Hindernis
ist, und gleichzeitig weist er darauf hin, daß die Gesellschaften kaum eine andere Wahl als die Zwischenerwerbermodelle haben. Herr Meyer schreibt dann weiter:
Die echte Mieterprivatisierung, der Verkauf von Eigentumswohnungen und die Ausgründung von Bewohnergenossenschaften erfordern einen erheblichen zeitlichen Vorlauf.
Das ist richtig, darüber gibt es überhaupt keine Diskussion, aber, meine Damen und Herren, wir sind nicht mehr im Jahre eins des Altschuldenhilfe-Gesetzes. Was hat denn Herr Meyer in den vergangenen Jahren auf dieser Strecke getan, um überhaupt voranzukommen?
- Gestatten Sie mir, diesen Satz noch zu Ende zu führen.
Gerade in diesem Zusammenhang hat der damalige Besuch des Ausschusses in Brandenburg gezeigt, daß die Zwischenerwerbermodelle gefordert werden, und jetzt, da sie auf den Tisch kommen, gibt es im Endeffekt wieder Zweifel an diesen Zwischenerwerbermodellen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Günther, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß Herr Meyer gar nicht arbeiten kann, wenn der Lenkungsaus-
Achim Großmann
schuß Zwischenerwerbermodelle gar nicht möglich gemacht hat?
Die Zwischenerwerbermodelle sind in der Diskussion; sie sollen jetzt auf den Weg gebracht werden.
Aber wo hat denn Herr Meyer gewirkt, um die Privatisierung, wie sie bisher in den Gesellschaften möglich war, voranzubringen? Gerade in der Stadt Potsdam sind die höchsten Preise beim Verkauf von Eigentumswohnungen verlangt worden.
Meine Damen und Herren, wegen der fortgeschrittenen Zeit möchte ich in drei Punkten zusammenfassen, was ich als Schwerpunkte ansehe.
Erstens. Ausschlaggebend für eine zügige und mieterfreundliche Privatisierung ist der politische Wille der Beteiligten vor Ort, das Ganze auf eine Schiene zu bringen.
Zweitens ist eine umfassende Beratung der Mieter wichtig. Hier spielt der Verkaufspreis eine entscheidende Rolle. Wir sind uns wohl alle einig, daß die bestehenden finanziellen Spielräume nicht immer zugunsten der Mieter ausgenutzt werden. Das ist ein wichtiges Anliegen, das hier mit durchgesetzt werden muß.
Drittens. Die frühzeitige Erfüllung der Privatisierungsauflage schafft für die Unternehmen auch eine Sicherheit für Investitionen und für Modernisierung. Sie schafft Sicherheit für Zukunftsplanungen, und auch das haben wir in der Praxis bewiesen bekommen: Die Unternehmen, die in der ersten Phase mit der Privatisierung begonnen haben, sind in der Regel jetzt diejenigen, die den höchsten Sanierungs- und Modernisierungsstand aufzuweisen haben.
Mit der Anerkennung dieser mieternahen Privatisierungsformen wollen wir auch die Wohnungsunternehmen honorieren - und die gibt es ja auch, das möchte ich überhaupt nicht in Abrede stellen -, die sich intensiv um Privatisierung bemüht haben, aber die 15 % bisher nicht erreicht haben. Sie können sie jetzt mit diesen Modellen auffüllen, sie können diese 15 % erreichen oder überschreiten. Und ich freue mich auch, daß sich in Leipzig, einem der ersten Schwerpunkte, inzwischen die Meinung geändert hat und die Privatisierung zügig in Angriff genommen wird.
Die Kritik an der progressiven Erlösabführungsstaffel ist meiner Meinung nach damit maßgeblich entschärft. Ohne diese Progression - und das haben viele Beispiele gezeigt - würde die Privatisierung weiter auf die lange Bank geschoben werden. Deshalb wollen wir, daß diese Progression in der nächsten Zeit erhalten bleibt und die angegangenen Modelle schnell in die Tat umgesetzt werden.
Die F.D.P. wird deshalb den Gesetzentwürfen der Opposition nicht zustimmen können.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus-Jürgen Warnick.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie sehr sich ideologische Auffassungen sowie Vernunft und Realitätssinn widersprechen können, wurde nicht nur in der Politik der SED sichtbar, sondern wird es auch in der Politik dieses Staates und der hier herrschenden Parteien.
Markantes Beispiel hierfür ist für mich die sogenannte Altschuldenproblematik.
Während Sie, meine Damen und Herren, das Altschuldenhilfe-Gesetz als eine Wohltat preisen, sehen die Menschen in Ostdeutschland dies völlig anders. In kaum einem anderen Themengebiet ist mir ein so eklatanter Widerspruch, eine so abgrundtiefe Kluft zwischen der Meinung der Regierenden und der von ihnen Regierten aufgefallen wie gerade bei den sogenannten Altschulden. Selbst einem ansonsten gutwilligen CDU-Wähler - F.D.P.-Wähler gibt es im Osten ja sowieso so gut wie nicht mehr - ist die logische Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens nicht mehr beizubringen.
Ich kann Ihnen berichten, daß die Leute hellauf empört sind und fragen, warum im Bundestag nichts dagegen unternommen wird.
- Nein, wir haben sie nicht aufgehetzt. Es gibt dort Wählerklientelen aus allen Parteien,
die das nicht im geringsten begreifen können und begreifen wollen und denen man nicht im geringsten beibringen kann, daß man etwas zu Schulden gemacht hat, was nie Schulden waren, daß man nicht eine vernünftige Lösung hätte finden können. Daß es eine vernünftige Lösung gegeben hätte, sieht man an den Zahlen: 36 Milliarden DM ehemals, jetzt 60 Milliarden DM. Man hätte statt der 31 Milliarden
Klaus-Jürgen Warnick
DM auch die 36 Milliarden DM erlassen können, und dann hätte man viele Probleme nicht gehabt, beispielsweise jetzt die Hektik beim Übergang ins Vergleichsmietensystem. Es hätte diese Lösung gegeben.
Die Mieter in den neuen Bundesländern müssen jetzt auf Jahrzehnte 2,5 Milliarden DM pro Jahr für Zinszahlungen aufbringen. Das ist ja keine Tilgung, es sind nur Zinsen, und die Mieterhöhungen, die jetzt kommen, reichen noch nicht einmal aus, um diese Zinszahlungen in den nächsten Jahren abzudecken.
- Wer hätte was tun sollen?
- Ich? Wenn Sie mich für die Wohnungspolitik in der DDR verantwortlich machen, dann könnte ich genausogut Herrn Töpfer für den Unfall im Tschernobyl verantwortlich machen. Das wäre genauso unsinnig.
- Also, ich war da nicht an der Macht, tut mir leid.
- Ich bin nicht Mitglied dieser Partei. Aber gut.
Ich bitte um etwas Ruhe.
Erst werden mit dem politischen Willen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD aus Verrechnungseinheiten der DDR-Planwirtschaft Altschulden der Wohnungswirtschaft, und dann werden mittels Altschuldenhilfe-Gesetz die Mieterinnen und Mieter sowie die Wohnungsunternehmen Ostdeutschlands zur Kasse gebeten. Als Zugabe wird mittels finanzieller Daumenschrauben politischer Wille - hier die Zwangsprivatisierung - durchgedrückt.
Im Ergebnis - und natürlich nur aus sozialer Verantwortung - gingen seit der Übernahme der DDR Zigtausende Wohnungen in den Besitz westdeutscher Banken, Immobilienfirmen und Kapitalanleger über, zusätzlich motiviert durch großzügige Steuergeschenke. Sicherlich nicht wegen des zu erwartenden Gewinns, sondern aus reiner Nächstenliebe hat die Bayerische Landesbank die Deutsche Kreditbank AG samt aller sogenannten Altschulden der ostdeutschen Wohnungswirtschaft gekauft.
Sie verlangen, daß die Menschen in Ostdeutschland für die Fehler des Einigungsvertrages und für die Fehlentscheidungen der DDR-Wohnungspolitik bezahlen. Dabei war und ist es mit dem entsprechenden Willen möglich, den Mietern und Genossenschaftlern der Wohnungswirtschaft und den Kommunen in Ostdeutschland bessere Bedingungen für sicheres, bezahlbares und menschenwürdiges Wohnen zu ermöglichen. Dies ist unserer Meinung nach auch bezahlbar.
Ein Schritt in diese Richtung wäre die Novellierung des Altschuldenhilfe-Gesetzes. Mit der ersatzlosen Streichung des § 5, also der Zwangsprivatisierung sowie der Übernahme der verbliebenen Altschulden als zinslose öffentliche Darlehen, könnte ein entscheidender Beitrag zum Erhalt preisgünstigen Wohnraums mit Belegungsrechten geleistet werden. Wären Wohnungsunternehmen in der Lage, sich auf die vordringliche Aufgabe der Sanierung und Modernisierung des Bestandes zu konzentrieren, wären Mietern Ängste genommen. Als positiver Nebeneffekt entfiele der Druck, ein unausgereiftes Mietenüberleitungsgesetz im Eiltempo durchpeitschen zu müssen; das habe ich vorhin schon erwähnt.
Der Druck zu schneller Privatisierung führt zwangsläufig zum verstärkten Streben, an Dritte zu verkaufen. Auf diese Weise wird die Grundintention sowohl des Gesetzes als auch des Einigungsvertrages, nämlich zur Bildung selbstgenutzten Wohneigentums für die Menschen in Ostdeutschland beizutragen, in das Gegenteil verkehrt. Mit der offiziellen Zulassung von sogenannten Zwischenerwerbern wird diese Entwicklung noch forciert. Nicht ohne Grund warnte der Sachverständige Herr Bergmeister in der Anhörung am 8. März vor einer überzogenen Erwartung an diese Ersatzform der Privatisierung. Diese sei, wenn sie nicht in Umgehungsabsicht durchgeführt würde, in der Regel wirtschaftlich uninteressant.
Die von der SPD und von der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Gesetzentwürfe bringen leider nur punktuelle Verbesserungen. Trotzdem habe ich, nachdem der PDS-Antrag als der weitestgehende abgelehnt wurde, diesen Anträgen im Bauausschuß zugestimmt, da selbst geringfügige Änderungen des Altschuldenhilfe-Gesetzes besser sind als keine. Dieses werde ich auch heute tun.
Die Probleme sind damit aber noch nicht vom Tisch. Die PDS wird auch weiterhin gemeinsam mit den Betroffenen für eine wirkliche Novellierung des Gesetzes streiten.
Machen Sie mit diesem Altschuldenhilfe-Gesetz nur weiter so! Die Wahlen im Herbst in Berlin stehen bevor. Ich denke, Sie werden dafür die entscheidende Quittung bekommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Josef Hollerith.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bleibe dabei: Es ist ein schlechter Treppenwitz der Weltgeschichte, daß sich die Nachfolger der Verbrecherpar-
Josef Hollerith
tei SED hier zu den Hütern der Interessen der Wohnungsmieter der neuen Bundesländer aufspielen können.
Das ist und bleibt ein schlechter Treppenwitz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist die Funktion der Opposition, die Dinge grau in grau zu malen.
Die Realität des Altschuldenhilfe-Gesetzes vom Juli 1993 mit der Lösung der Altschuldenproblematik sieht anders aus: Das Altschuldenhilfe-Gesetz hat ein bedeutendes Investitionshemmnis beseitigt und bringt eine massive finanzielle Entlastung. Allein der Bund trägt davon 32 Milliarden DM, zusätzlich werden von Bund und Ländern, je zur Hälfte, 7 Milliarden DM aufgebracht.
Der Erfolg des Altschuldenhilfe-Gesetzes läßt sich auch daran messen, wie sich die Wohnungswirtschaft verhalten hat. 90 % aller Antragsberechtigten haben einen Antrag auf Teilentlastung und Zinshilfe gestellt, allein 86 % aller im Gesamtverband der deutschen Wohnungswirtschaft zusammengeschlossenen Unternehmer.
Die Mieter werden monatlich um zwischen 2 DM und 7 DM pro Quadratmeter entlastet. Die durchschnittliche Schuldenbelastung der Wohnungsunternehmen Ost liegt deutlich unter der der Wohnungsunternehmen West. Investitionen von rund 30 Milliarden DM im Jahr sind durch die Lösung der Altschuldenproblematik angestoßen worden. Das ist wahrlich ein Erfolg,
ein Erfolg der Leistung dieser Bundesregierung.
Jetzt brauchen wir eine Beendigung der Diskussion über mögliche andere Lösungen - ich bin sehr dankbar, daß dies heute mit der Abstimmung erfolgen wird -, da eine fortgesetzte Diskussion zu einer abwartenden Haltung in der Wohnungswirtschaft führt und Investitionen und Privatisierungen unterbleiben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte die Gelegenheit der Diskussion des Altschuldenhilfegesetzes auch nutzen, um mit ein paar Gedanken eine Bilanz der Wohnungsbaupolitik Ost zu ziehen.
Der Wohnungsbau in Deutschland boomt wie seit 20 Jahren nicht mehr. Er boomt besonders in den neuen Bundesländern. Ich erinnere daran, daß im Jahre 1992 in den neuen Bundesländern 11 200 Wohnungen fertiggestellt wurden. Im Jahre 1994 waren es bereits 68 661 Wohnungen. Im Jahre 1994 wurden in den neuen Bundesländern 126 260 Baugenehmigungen ausgestellt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, jeder weiß, daß der beste Mieterschutz ein ausreichendes Angebot an Wohnungen ist. Genau dies haben wir mit unserer Politik der Anstöße, der Anreize, der Privatisierung, der Lenkung des privaten Kapitals in den Wohnungsmarkt bewirkt.
In den neuen Bundesländern, in den Ballungsräumen Dresden und Leipzig sinken daher bereits die Neubaumieten. Sie sinken wegen dieser angebotsorientierten Politik der Schaffung von neuen Mietwohnungen.
Das ist der beste Mieterschutz, den wir mit unserer Politik bewirkt haben.
Es sind 2,5 Millionen Wohnungen modernisiert und instandgesetzt worden, und zwar durch die Programme Aufschwung Ost und durch das KfW-Zinsverbilligungsprogramm. Dadurch sind allein im Jahre 1993 für 11 Milliarden DM Investitionen in den neuen Bundesländern angestoßen worden. Die Zahlen sagen das Gegenteil von dem, was Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, grau in grau darstellen wollen.
Im Februar 1994 gab es in der Bauwirtschaft in den neuen Ländern 4 771 Unternehmen mit über 20 Beschäftigten; im Februar 1995 waren es 5 968 Unternehmen. Im März 1994 gab es 380 354 Beschäftigte in der Bauwirtschaft. Im Februar 1995 waren es 431 107 Beschäftigte in den Unternehmen des Bauhandwerks, der Bauwirtschaft in den neuen Bundesländern.
Aufschwung an allen Ecken und Enden! Wir hatten einen Boom und haben ihn nach wie vor in den realen Bauinvestitionen in den neuen Bundesländern. Im Jahre 1994 gab es eine Steigerung gegenüber 1993 allein im Wohnungsbau von realen 38,6 %.
Meine Damen und Herren, das ist eine Bilanz des Erfolgs der Politik dieser Bundesregierung, des Fleißes der Menschen in den neuen Bundesländern. Das lassen wir uns durch Sie von der Opposition nicht zerreden.
Ich danke.
Das Wort hat jetzt der Bausenator von Berlin, Wolfgang Nagel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich rede heute von dieser Stelle, weil ich Sie im Interesse der ostdeutschen Wohnungswirtschaft und der ostdeutschen Mieterinnen und Mieter bitten muß, einer mehrheitlichen Beschlußempfehlung des zuständigen Ausschusses dieses Hauses nicht zu folgen.
Besonders die Empfehlung zu den vorliegenden Änderungsanträgen zum Altschuldenhilfe-Gesetz ist meines Erachtens mehr von der Furcht vor der notwendigen Änderung bisheriger Auffassungen als von innerer Überzeugung geprägt.
Im übrigen ist diese Beschlußempfehlung auch ignorant, denn sie ignoriert die einhellige Auffassung der gesamten Fachwelt, die sich in den letzten Wochen mit diesem Thema befaßt hat - ich betone ausdrücklich „der Fachwelt", nicht nur der Betroffenen, der betroffenen Wohnungsunternehmen, wie Sie dem Protokoll der Anhörung des Ausschusses vom 8. März entnehmen können.
Meine Damen und Herren, die Beschlußempfehlung ignoriert darüber hinaus auch entsprechende Empfehlungen der neuen Länder. Deshalb bin ich dankbar, daß ich hier reden kann.
Wenn es trotzdem, was vorauszusehen ist, zur Annahme dieser Empfehlung kommt, dann meines Erachtens wohl auch deshalb - vergewissern Sie sich, bitte -, weil von außen offensichtlich der nötige Druck fehlte, weil die ostdeutsche Öffentlichkeit gegenwärtig so sehr mit dem Mietenthema beschäftigt ist, daß das Privatisierungsthema in den Hintergrund getreten ist.
Wenn heute allerdings eine falsche Entscheidung getroffen wird, dann ist nicht auszuschließen, daß der negative Teil der Diskussion über die Privatisierung im Rahmen des Altschuldenhilfe-Gesetzes wieder an Fahrt gewinnt und sich mit dem Mietenthema verquickt und eine politisch sogar gefährliche, jedenfalls sozialpolitisch unverantwortliche Situation eintritt.
Ich will an dieser Stelle ehrlichkeitshalber anfügen, daß mir bewußt ist, daß mich manch einer in diesem Hause für einen schlechten Kronzeugen in Sachen Privatisierung halten mag, weil Berliner Wohnungsunternehmen Ende 1993 insgesamt 10 000 Wohnungen an Wohnungsunternehmen, aber auch an Banken und an Mittelständler veräußert haben. Ich weiß, daß es im Deutschen Bundestag dazu durchaus auch Kritik gegeben hat.
Dennoch: Seinerzeit war das wohnungspolitisch unbedingt notwendig, um die Wohnungsunternehmen der Stadt vor dem bevorstehenden wirtschaftlichen Ruin im Interesse der überwiegenden Zahl ihrer Mieter zu bewahren.
Herr Minister, einen Moment bitte.
Ich bitte um etwas Ruhe für den Redner und darum, den Mittelgang freizumachen. Wenn man etwas zu verhandeln hat, bitte draußen.
Bitte, Sie haben das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, ich freue mich natürlich über das rege Interesse an meiner Rede, wenn mir auch bewußt ist, daß sicherlich mancher andere Gründe, bisweilen vielleicht auch eher materielle Gründe hat, die zu diesem Interesse führen.
Heute geht es um etwas anderes. Im Altschuldenhilfe-Gesetz befindet sich in § 5 die sogenannte Abführungsstaffel, darüber ist heute schon viel geredet worden. Diese Staffel ist übrigens 1993 nicht etwa in der Absicht entstanden, besonders viel Geld einzunehmen, sondern, wie erwähnt, einen ökonomischen Zwang zur möglichst schnellen Privatisierung auszuüben.
Entgegen einer weitverbreiteten Legende ist diese Staffel keine Erfindung der Länder gewesen. Die Länder haben vielmehr im Bundesrat eine von der Bundesregierung damals vorgeschlagene Staffel mit wesentlich größeren Sprüngen durch eine lineare Progressionsstaffel ersetzen wollen, die dann allerdings erst in den Bundestagsberatungen durch die Koalition eine wesentlich stärkere Progressionswirkung erhalten hat.
Meines Erachtens müssen wir uns bei dieser Diskussion heute vernünftigerweise die Frage stellen: Fördert diese Staffel aus heutiger Sicht die im Gesetz geforderte Privatisierung an Mieter oder behindert sie sie eher? Bei ehrlicher Betrachtung der bisher vorliegenden Erfahrungen müssen doch alle, die sich mit dieser Materie befaßt haben, zugeben, daß die Privatisierung aus vielerlei Gründen länger dauert als ursprünglich geplant.
Auch die Kampagne „Neue Werte" der früheren Bundesbauministerin hat keinen Ansturm der Mieter auslösen können. Heute müssen wir als Wohnungspolitiker, aber auch die Fachleute einfach feststellen, es dauert einfach länger als erwartet, unabhängig davon, ob man das politisch forcieren möchte oder nicht.
So haben z. B. die städtischen Wohnungsunternehmen Berlins den besten Sachverstand engagiert, der in Deutschland für die Mieterprivatisierung zu haben ist, und in der Tat nimmt die Zahl der Kaufverträge an Mieter zu. Gleichwohl bleiben die Ergebnisse deutlich hinter den Erwartungen zurück.
In dieser Situation wäre es ehrlich und sachgerecht zu sagen: Wir dürfen die Mieterprivatisierung nicht mehr nur als Kurzfristgeschäft betrachten, sondern sie ist eine Aufgabe, die nur mittelfristig erfolgreich sein kann. Wenn das so ist - darin gibt es im Prinzip Übereinstimmung -, dann müssen wir alle politischen und rechtlichen Maßnahmen unterlassen, die dieses Ziel letzten Endes gefährden.
Dann muß auch die Abführungsstaffel dieser neuen Einsicht angepaßt werden; denn sie zwingt die Unternehmen zu Kurzfrist-Aktivitäten, die dem politischen Ziel der vorrangigen Veräußerung an Mieter entgegenstehen.
Senator Wolfgang Nagel
Dem Vernehmen nach - das scheint auch gesichert - will die Bundesregierung nach Abschluß dieser Debatte hier im Deutschen Bundestag die Kreditanstalt für Wiederaufbau anweisen, in Zukunft als Privatisierung im Sinne des Altschuldenhilfe-Gesetzes auch den Verkauf an Zwischenerwerber zuzulassen, die ihrerseits die Wohnung dann an Mieter weiterveräußern sollen. Um keinen Zweifel über die Position der Länder aufkommen zu lassen: Gegen die Weiterveräußerung an Zwischenerwerber ist nichts zu sagen. Das entspricht auch den Forderungen der Länder. Es kommt dabei auf die Randbedingungen an.
Wenn aber in solchen Fällen für die Abführung von Erlösanteilen der Zeitpunkt der Veräußerung an den Zwischenerwerber maßgeblich ist, während die normale und eigentlich gewollte Mieterprivatisierung - die halt so schnell nicht zu haben ist - weiter mit der progressiven Staffel bedacht wird, dann werden doch die Intentionen des Gesetzes geradezu konterkariert. Dann werden jene Unternehmen geradezu bestraft, die es sich zum Programm gemacht haben, vorrangig an Mieter zu veräußern.
Meine Damen und Herren, wir kommen also in die Situation, daß in ein Gesetz, das seinen Zweck in der Mieterprivilegierung hat, durch Weisung des zuständigen Ministers eine Unternehmensprivilegierung eingebaut wird, die schließlich die Mieterprivilegierung verdrängen wird. Am Ende werden wir nicht mehr Wohnungen in Mieterhand haben, sondern wir werden mehr Wohnungsunternehmen haben - bei diesem Vorgang dazu noch mehr Wohnungsunternehmen, die zum Teil halbseiden und unseriös dieses Geschäft der Zwischenerwerbung betreiben werden. Diese Folge ist doch mit den Händen zu greifen.
Meine Damen und Herren, denken Sie - da richte ich mich an die Koalition - bitte noch einmal - Sie werden dieses Thema nicht von der politischen Tagesordnung wegbekommen, egal, wie Sie heute abstimmen - über folgendes nach: Das Altschuldenhilfe-Gesetz ist Teil des Solidarpakts. Es ist - bei aller Kritik an Einzelheiten - als Teil des Solidarpakts zweifellos mit erheblichen positiven Wirkungen für Ostdeutschland zu verbinden. Das ist unübersehbar.
Denken Sie z. B. an den enormen Investitionsschub im Plattenbau, den das Altschuldenhilfe-Gesetz ausgelöst hat. Wir wissen aber inzwischen natürlich auch um die Mängel des Altschuldenhilfe-Gesetzes. Wir sollten die positive Wirkung dieses Gesetzes durch eine Novellierung in die falsche Richtung bei den Menschen in Ostdeutschland nicht diskreditieren.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt Herr Minister Töpfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage des Altschuldenhilfe-Gesetzes ist sicher eine der wichtigsten, die wir gegenwärtig zu diskutieren und weiterzuentwickeln haben. Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen - das wurde hier unterschwellig und kritisch angesprochen -, einmal darauf hinzuweisen, wo diese Altschulden herkommen. Das gehört auch zu der wirklichen Vernebelungskampagne - gerade auch einiger, die hier gesprochen haben - in den neuen Bundesländern.
Meine Damen und Herren, in der Bilanz der Staatsbank der DDR standen insgesamt 76 Milliarden Mark Ost an Krediten für den kommunalen und den genossenschaftlichen Wohnungsbau. Ich wäre dankbar, wenn die PDS zuhörte, wenn ich ihr sage, was sie an absolut nicht belegten Punkten angeführt hat.
Mir liegt wirklich daran, das den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern deutlich zu machen. Es gab eine Kreditsumme in Höhe von 76 Milliarden Mark Ost für den Wohnungsbau. Die waren, wenn Sie so wollen, in der Gläubigerposition bei den Sparguthaben der Menschen in der ehemaligen DDR gutgeschrieben. Da wir, was ich für richtig halte, diese Sparguthaben der Menschen in der ehemaligen DDR nicht gestrichen,
sondern sie entsprechend auf D-Mark West umgestellt haben, mußte eine Gegenbuchung in Altschulden bei der Wohnungswirtschaft gegeben sein. Das ist - ich möchte es einmal so formulieren - Ökonomie Teil I.
Die Schulden in Höhe von 76 Milliarden Ostmark sind nur zur Hälfte in D-Mark umgesetzt worden. Sie sind dann gestundet worden. Das heißt: Sie sind nicht bedient worden, und der Zinsdienst ist aufgelaufen. Insgesamt sind 59 Milliarden DM Altschulden vorhanden. Diese 59 Milliarden DM sind über das Altschuldenhilfe-Gesetz jetzt aufgeteilt worden. Es klingt manchmal fast so, als sei das ein Belastungsgesetz. Es ist für die Menschen in den neuen Bundesländern ein zentrales Entlastungsgesetz.
Denn von den 59 Milliarden DM werden immerhin 31 Milliarden DM in den Erblastentilgungsfonds überführt und deswegen nicht über Miete oder über Wohnungsunternehmen zu finanzieren sein.
Ich möchte darauf hinweisen, daß 28 Milliarden DM übrigbleiben, die über die Mieten mit refinanziert werden. Das sind etwa 150 DM Fremdkapital pro Quadratmeter Wohnung. Vor dem Hintergrund der gesamtdeutschen Diskussion muß man einmal die Wohnungsunternehmen und die Genossenschaften suchen, die in der Tat nur 150 DM Fremdkapital pro Quadratmeter in ihren Bilanzen stehen haben.
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Es scheint mir wichtig, daß man einmal die Zusammenhänge aufgreift, sonst geht wirklich unter, was in diesem Zusammenhang insgesamt bewältigt worden ist und dauernd weiter zu finanzieren ist. Das und nicht von irgendwoher gekommene Schulden, die man dann jemandem aufdrückt, ist der Hintergrund. Ich sage noch dazu: Ich halte es für richtig, daß man das auf 150 DM pro Quadratmeter vermindert hat, denn die Menschen in den neuen Bundesländern haben recht. Sie haben mit sehr viel Muskelhypothek mit daran gearbeitet, daß diese Wohnungen vorhanden sind. Man sollte ihnen heute dafür eine Gutschrift zukommen lassen.
Aber diese Altschulden müssen jetzt bedient werden, auch über den Erblastentilgungsfonds. Dann ist zu fragen: Was kann man dazu ergänzend machen? Die Antwort, die man mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz gefunden hat, war: Wir verbinden das mit der Möglichkeit, einen gewissen Anteil dieser Wohnungen zu privatisieren. Auch darüber gibt es zumindest mit der SPD keinen Streit. Wir haben nicht gesagt, es müßten alle privatisiert werden, sondern wir haben von 15 % gesprochen. Ich möchte denjenigen, die von einer kalten Enteignung sprechen, sagen: 85 % der Wohnungen sind davon völlig unbetroffen. 85 % bleiben im Eigentum von Wohnungsunternehmen und Genossenschaften, auch auf Dauer. Daß wir 15 % privatisieren, hat etwas mit gesellschaftspolitischen Vorstellungen zu tun. Es hat massiv aber auch mit der Kapitalausstattung der Unternehmen zu tun, denn wenn sie 15 % verkaufen, dann verbessert sich natürlich ihre Eigenkapitalausstattung, die sie dringend brauchen, wenn sie weiterhin in Modernisierung und neuen Wohnungsbau investieren wollen. Deswegen ist es gut, daß diese Privatisierung durchgeführt wird.
Es geht urn die Frage: Was ist Privatisierung, und wieviel muß man abführen? Herr Kollege Nagel ist ein erfahrener Politiker und hat den Haupteinwand, glaubend, damit sei er widerlegt, sofort vorweggenommen. Die niedrigste Abführung hatte derjenige, der diese Wohnungen noch vor Gültigkeit des Altschuldenhilfe-Gesetzes privatisiert hat. Das hat Berlin gemacht und hat nichts abgeführt. Jetzt kommt Herr Kollege Nagel und beklagt sich darüber, daß andere jetzt 30 % abführen sollen. Dadurch, daß man es aufgreift, Herr Kollege, ist man zwar rhetorisch geschickt vorgegangen, hat aber noch nichts über den Hintergrund gesagt. Ich möchte wie Sie, daß wir die Unternehmen kapitalmäßig besser ausstatten. Lassen Sie uns daher zu einer möglichst schnellen Privatisierung von den 15 % dieser Wohnungen kommen.
Meine Damen und Herren, ich habe mir die Mühe gemacht - es war keine große Mühe -, das Protokoll der ersten ARGEBAU-Sitzung mitzubringen; die ARGEBAU ist die Arbeitsgemeinschaft der Bauminister in Deutschland. Sie hat am 1. und 2. Dezember 1994 in Berlin getagt. Ich war das erste Mal als Gast dabei.
Herr Minister, der Abgeordnete Braun hat den Wunsch zu einer Zwischenfrage.
Herzlich gerne.
Bitte, Herr Braun.
Herr Minister Töpfer, Sie haben betont, daß 85 % der Wohnungen auf Dauer im Eigentum der Genossenschaften bzw. der kommunalen Wohnungsgesellschaften bleiben würden. Sind Sie nicht mit uns der Meinung, daß es wünschenswert wäre, daß die Genossenschaften und kommunalen Wohnungsgesellschaften über den Pflichtbereich von 15 % hinaus privatisieren?
Ich bin dabei voll und ganz Ihrer Meinung. Aber wir diskutieren hier, wie auch Sie unterstrichen haben, die rechtliche Notwendigkeit des Altschuldenhilfe-Gesetzes. Deswegen bin ich nur auf die dieses Gesetz betreffenden Aspekte eingegangen. Grundsätzlich sollte man die Privatisierung sicherlich ausdehnen.
Meine Damen und Herren, die Bauminister der Länder haben nun am 1./2. Dezember 1994 einstimmig folgendes beschlossen:
1. Die Ministerkonferenz der ARGEBAU fordert den Bund
- also den Bundesbauminister -
auf, seine bisher restriktive Gesetzesinterpretation insbesondere bei der Erfüllung der Privatisierungsverpflichtungen aufzugeben. Es sollen Veräußerungen an neugebildete Genossenschaften bisheriger Mieter, Käufe von Häusern durch Mietergemeinschaften sowie Zwischenerwerbermodelle ebenfalls als anerkennungsfähige Privatisierungen akzeptiert werden.
Genau das soll heute, Frau Kollegin, in diesem Entschließungsantrag akzeptiert werden, und ich werde, wenn er akzeptiert wird, die KfW beauftragen, diese Regelung entsprechend umzusetzen. Ich kann nach der heutigen Diskussion nur sagen: Auftrag erfüllt! Ich mache das nur deutlich, weil mich gewundert hat, daß der Kollege Nagel als Vorsitzender der ARGEBAU diesen Beschluß der Bauministerkonferenz nicht zitiert hat.
Der Beschluß geht weiter:
Außerdem werden zügige Entscheidungen über die Ausgestaltung der Härtefallregelungen erwartet ...
Zufälligerweise gerade heute diskutiert der Lenkungsausschuß genau über die Härtefallregelungen. Also kann ich auch sagen: Machen wir!
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer Hinzugefügt ist:
... und über die Festlegung einer Untergrenze für die Privatisierungsverpflichtung zu treffen sein.
Darüber diskutieren wir in der Tat weiter.
Dies alles ist jetzt also nicht überraschend von der Koalition oder den sie tragenden Fraktionen gekommen, sondern ist Auftrag der Bauminister der ostdeutschen Länder an mich. Ich hätte mir eigentlich gewünscht, daß Herr Kollege Nagel hier gesagt hätte: Herr Kollege Töpfer, ich danke Ihnen herzlich, daß Sie in relativ kurzer Zeit das umgesetzt haben, was wir am 1./2. Dezember von Ihnen erwartet haben.
Das wäre eigentlich ganz schön gewesen. Er hätte es ja einmal machen können. An anderer Stelle komme ich mit dem Kollegen Nagel ja ganz gut über die Runden. Deswegen hatte ich geglaubt, er würde mir wenigstens diese Freude machen. Aber das paßte wohl nicht so ganz; deswegen hat er es nicht gemacht.
- Ja, ich komme ja dazu. Nur die Ruhe!
Wir haben also exakt das getan, was man von uns erwartet, und ich bin dankbar und freue mich, daß die Koalitionsfraktionen im Ausschuß dies mit Ernst und Nachdruck diskutiert haben und heute auch beschließen wollen.
Dann kommen wir, meine Damen und Herren, zu der Staffelung. Das ist natürlich eine ganz wichtige und zentrale Fragestellung. Wir waren uns auch bei dieser Konferenz in Berlin eigentlich einig: Je breiter wir die Privatisierungsmöglichkeiten anlegen, desto mehr wird der Druck von der Staffel genommen und desto eher kann man privatisieren. Daß wir möglichst früh privatisieren wollen, das ist doch auch ganz unstrittig.
Damit das aber nicht alleine steht, hieß es in Berlin auch - ich zitiere noch einmal aus dem Protokoll dieser Sitzung -:
Minister Dr. Heyer regt an, die nach dem Altschuldenhilfe-Gesetz notwendige Privatisierung durch eine Fortführung der Privatisierungszuschüsse zu erleichtern.
Was steht dahinter? Wir wollen den Mieter unterstützen; wenn er seine Wohnung kauft, soll er Geld dazubekommen. Das haben wir in der Vergangenheit gemacht. Insgesamt sind 280 Millionen DM an Bundesgeldern in die Privatisierung hineingeflossen. Das war eine prima Sache, und man kann nur sagen, es war ein Beleg dafür, wie ernst es uns damit ist, gerade Mieterprivatisierung durchzuführen. 280 Millionen DM!
Dieses Programm der Mieterprivatisierungshilfe -
etwa 7 000 DM pro Wohnung je nach Familienstand -
lief Ende letzten Jahres aus. Nun entstand die Situation, daß noch viele ihre Wohnung kaufen wollten und es als ärgerlich empfanden, daß andere, die etwas früher dran waren, die Hilfe bekommen haben, sie aber nicht mehr. Deswegen der Hinweis des Kollegen Heyer.
Auch diesem Hinweis sind wir nachgegangen, auch diese Bitte, meine Damen und Herren, haben wir in der Zwischenzeit erfüllt. Im Haushalt 1995, der sicherlich in dieser Form auch endgültig Gesetz wird, steht, daß wir auch in diesem Jahr 50 Millionen DM für die Mieterprivatisierung einsetzen. Auch hier hätte ich mich natürlich gefreut, Herr Kollege Nagel, wenn Sie heute gesagt hätten: Wir Länder werden die Mieterprivatisierung mitfinanzieren. - Das wäre die beste Unterstützung für die Mieterprivatisierung gewesen.
Also lassen Sie uns die 50 Millionen DM plus die bei allen Bundesländern sicherlich vorhandenen 50 Millionen DM nutzen, um in der Mieterprivatisierung voranzukommen, die wirklich eine ganz gezielte Hilfe darstellt. Ich halte das für eine gute Sache.
Nun gibt es Diskussionen darüber - das muß man ernst nehmen -, daß faktische Regelungen die Privatisierung eventuell unmöglich machen. Ich nenne z. B. die Frage der Grundbucheintragungen. Hier muß ich deutlich sagen: Für solche individuellen Fälle nehme ich exakt das auf, was wir beschlossen haben. Hier müssen wir mit den Ländern über die Erlösabführstaffel weiter diskutieren. Das biete ich hiermit an, Herr Kollege Nagel. Das halte ich für richtig.
Wenn mir objektiv nachgewiesen werden kann, daß es bestimmte Wohnungsunternehmen gibt, die deswegen nicht privatisieren können, weil die behördlichen Voraussetzungen - Grundbucheintragung usw. - nicht erfüllt werden können, ist das nicht eine Last, die wir den Unternehmen anlasten können, sondern dann müssen wir uns in den individuellen Fällen darüber unterhalten, wie wir so etwas weiter ausgestalten können. Das ist etwas anderes, als wenn ich eine generelle Verschiebung von Abführungsstaffeln bekomme, weil ich dann im Zweifel die mit prämiere, die eigentlich gar nicht privatisieren wollen und die mit hohen Preisen vom Privatisieren ablenken wollen.
Deswegen werden wir mit Ihnen gemeinsam weiterhin individuelle Regelungen treffen, aber eine generelle Regelung ist nicht notwendig, weil wir genau das durch Mieterprivatisierung erreichen, was wir uns vorgenommen haben, nämlich für die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern mehr Eigentum zu schaffen, Ihnen die Möglichkeit zu geben, im selbstgenutzten Wohneigentum mit einer kalkulierbaren, mit einer stabilen Belastung zu leben. Ich meine, der Beschlußantrag der Koalitionsfraktionen ist, so wie er jetzt vorliegt, richtig.
Ich danke für diese Unterstützung.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes auf Drucksache 13/68. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/1310 vor, über den wir zuerst abstimmen. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Damit schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszahlung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich hiermit die Sitzung.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD, Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes - Drucksache 13/1310 - bekannt: Abgegebene Stimmen: 646. Mit Ja haben gestimmt: 315. Mit Nein haben gestimmt: 330. Enthaltungen: eine. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 644
ja: 314
nein: 329
enthalten: 1
Ja
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt
Hans Berger Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Lilo Blunck
Dr. Ulrich Böhme Arne Börnsen (Ritterhude) Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Freimut Duve
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
his Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag
Anke Fuchs
Katrin Fuchs
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth Norbert Gansel
Konrad Gilges Iris Gleicke
Günter Gloser Dr. Peter Glotz
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl-Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Leim Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Christa Lörcher
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß Winfried Mante Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau)
Kurt Neumann Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
Ursula Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
Reinhard Schultz Volkmar Schultz (Köln)
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt
Karsten D. Voigt Josef Vosen
Hans Georg Wagner Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit
Gert Weisskirchen Gunter Weißgerber
Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf
Heide Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne
Michaele Hustedt Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa Nickels
Cern özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Waltraud Schoppe Werner Schulz Rainder Steenblock Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Uwe-Jens Heuer Stefan Heym
Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Andrea Lederer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Maus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter H. Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Kurt Faltlhauser Jochen Feilcke
Dr. Karl H. Fell
Ulf Fink
Dirk Fischer Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt Rainer Haungs
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinrich Hornhues Siegfried Hornung Heinz-Adolf Hörsken Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung
Ulrich Junghanns Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein
Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger
Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Johannes Lamp Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach Walter Link
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten Wolfgang Meckelburg
Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Elmar Müller
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Peter Harald Rauen Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu
Norbert Schindler Dietmar Schlee
Ulrich Schmalz
Bernd Schmidbauer Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr
von Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian
Schwarz-Schilling Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer
Simon Wittmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Joachim Günther(Plauen)
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Inner
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Heinz Lanfermann
Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Enthalten
CDU/CSU
Wolfgang Krause
Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt auf Drucksache 13/1103 unter Nr. 1, den Gesetzentwurf insgesamt abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/68 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe der PDS zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes auf Drucksache 13/100.
Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt auf Drucksache 13/1103 unter Nr. 2, auch diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/100 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung von allen Fraktionen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes auf Drucksache 13/230.
Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt auf Drucksache 13/1103 unter Nr. 3, diesen Gesetzentwurf ebenfalls abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/230 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. —
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung.
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
- Drucksache 13/1301 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Christian Ruck.
- Wir warten noch einen Moment, bis es ruhig ist und die Kollegen, die den Saal verlassen wollen, das auch getan haben. - Bitte, Herr Kollege.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! CDU/CSU und F.D.P. haben zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes einen Entwurf eingebracht, dessen Kernpunkte zwar kein neues Füllhorn eröffnen, aber doch handfeste Verbesserungen für bedürftige Studenten bringen sollen,
nämlich die Anhebung der Bedarfssätze beim BAföG und der Freibeträge jeweils um 4 % sowie eine Anhebung der Sozialpauschalen, eine Änderung der Härteverordnung, die vor allem Sonderentwicklungen in den neuen Bundesländern beim studentischen Wohnraum berücksichtigt, die Anrechnung von Kinderbetreuungskosten für Alleinerziehende bei der Darlehensrückzahlung und schließlich eine Förderung auch über das 30. Lebensjahr hinaus für Meister, die sich für ein Studium qualifiziert haben. Dies alles soll am 1. Juli 1995, also in wenigen Wochen, in Kraft treten.
Außerdem sieht unser Gesetzentwurf Maßnahmen gegen möglichen Mißbrauch vor, z. B. die Einführung eines Studienstandsnachweises nach dem zweiten Fachsemester.
Dies ist nicht unumstritten, meine Damen und Herren von der Opposition, wie ich höre. Man kann über das Ob und Wie durchaus diskutieren. Ich möchte allerdings davor warnen, aus unserem Vorschlag ein zu großes Drama zu machen.
- Nein, nicht alle. Denken Sie an den Vertreter der Hochschulrektorenkonferenz!
- Nein, der war dafür.
Nach unserem Entwurf soll der Student lediglich eine Bestätigung vorlegen, daß er den bei einem geordneten Verlauf der Ausbildung am Ende des ersten Studienjahres üblichen Studienstand erreicht hat.
Das ist in den meisten Studiengängen bereits heute üblich oder zumindest ohne weiteres möglich, z. B. durch das Absolvieren von Scheinen.
Wichtig ist auch, daß wir dies nicht nur für BAföG- Bezieher, sondern - wie die Hochschulrektorenkonferenz auch - für alle Studenten anstreben. Wir glauben, daß es im Sinne der Studenten selbst ist, wenn sie sich nach einem Jahr kritisch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob sie ein ihren Fähigkeiten und Neigungen gemäßes Studium gewählt haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Peter Glotz?
Ja, bitte. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte.
Herr Kollege, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß Herr Dr. Lange, der Generalsekretär der Hochschulrektorenkonferenz, gestern kritisiert hat, daß das 50 000 zusätzliche Prüfungen bei einer schlechten Personalsituation in den Hochschulen bedeuten würde und daß eine solche Prüfung deshalb unsinnig ist?
Herr Kollege Glotz, da ich in demselben Hearing war wie Sie, ist mir nicht entgangen, was Herr Lange gesagt hat. Herr Lange hat sich allerdings nicht generell gegen einen solchen Nachweis nach dem ersten Studien-
Dr. Christian Ruck
jahr ausgesprochen. Die Punkte, die er kritisiert hat, sehe ich teilweise genauso wie er. Was allerdings seinen Hinweis auf die Bürokratie anbelangt - die auch der RCDS-Vorsitzende eingebracht hat -, teile ich diese Kritik nicht. Denn sie widerspricht dem, was schon jetzt in den meisten Studiengängen üblich ist.
Ich möchte eines ausdrücklich anerkennen: daß bei einem solchen Studienstandsnachweis manche Professoren zu Recht stärker als bisher gefordert sind, sich um ihre Studienanfänger intensiv zu kümmern.
Wenn die Studentenorganisationen und andere Institutionen umfangreichere Leistungsverbesserungen fordern, als sie unser Gesetzentwurf ausweist, ist dies sicher in manchen Punkten verständlich. Die gestrige Anhörung hat ja einige Handlungsfelder bestätigt, bei denen wir weiter nachdenken müssen, etwa Probleme bei der Versorgung mit bezahlbarem studentischem Wohnraum in den Ballungsgebieten und in begehrten Studienorten wie München. Das Geld für ein neues milliardenschweres Wohnraumbauprogramm ist derzeit nicht aufzubringen. Aber den Spielraum bei der Härteverordnung gerade in diesem Bereich zu vergrößern, halte ich für überlegenswert.
Auch die Verlängerung der Studienabschlußförderung, die im nächsten Jahr ausläuft, sollten wir wohlwollend und mit positivem Gestaltungswillen angehen, sofern der vom Bundestag bestellte Bericht im Herbst dieses Jahres nicht zu anderen Schlüssen kommt.
Zu bedenken ist auch, ob das Diskussionsritual um das BAföG alle zwei Jahre stattfinden muß und ob die zunehmende Internationalisierung des ökonomischen und des wissenschaftlichen Lebens nicht auch eine gewisse Internationalisierung des BAföG bedingt, d. h. daß ein BAföG-Bezieher auch im Ausland gefördert werden kann, wenn er dort anrechenbare Studienzeiten verbringt.
Das gestrige Hearing hat vor allem noch einmal einen beträchtlichen Reformbedarf bezüglich des gesamten Hochschulsystems in Deutschland deutlich gemacht. Das ist eine Aufgabe, der sich nicht nur der Bund, sondern vor allem auch die Länder und die Hochschuleinrichtungen selbst stellen müssen, was sie bereits in unterschiedlicher Weise tun.
Im Zusammenhang mit der Notwendigkeit einer solchen Reform zur Sicherung der Qualität des BAföG-Systems beschränke ich mich auf einige Stichworte. Höchst unterschiedliche Studienzeiten im selben Studienfach an unterschiedlichen Universitäten, überfrachtete Prüfungsordnungen, unausgewogenes Verhältnis zwischen Hochschulen und Fachhochschulen, schleppende Anerkennung von
Auslandssemestern - dies alles sind Punkte, die wir gemeinsam anpacken müssen, wenn wir auch in Zukunft die Treffsicherheit und die Effizienz unseres BAföG-Systems erhalten wollen.
Der nächste wichtige Schritt ist jedoch die Leistungsverbesserung für die Studenten durch den vorliegenden Entwurf. Trotz der angespannten Haushaltslage garantieren diese Verbesserungen, daß das Ziel des BAföG auch weiterhin erreicht wird, nämlich daß niemand in der Bundesrepublik Deutschland auf ein Studium verzichten muß, weil die Eltern zuwenig verdienen. Wem die Erhöhung zu gering ist, möge nicht nur die angespannte Haushaltslage von Bund und Ländern bedenken, sondern auch berücksichtigen, daß wir nicht nur die Leistungsverbesserungen beim BAföG im Haushalt unterbringen, sondern ebenfalls noch in diesem Jahr mit allem Nachdruck den Einstieg in die Förderung des beruflichen Aufstiegs durchsetzen wollen. Die Aufstiegsförderung ist für uns ein unverzichtbarer Schritt zur vielbeschworenen Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung. Ich glaube, das ist von größter Bedeutung für ein ausgewogenes Bildungs- und Ausbildungssystem. Diese Ausgewogenheit ist nicht zum Nulltarif zu haben. Auch da bitte ich Sie alle um Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Doris Odendahl.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Mit Verlaub, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition - viele sind es ja nicht -: Es gehört schon ein gehöriges Maß an Realitätsverlust dazu, den heute von Ihnen vorgelegten Entwurf der 17. BAföG-Novelle als bildungspolitische Wohltat an die Studierenden verkaufen zu wollen.
Es ist ärgerlich, daß wir uns hier im Abstand von nur wenigen Wochen erneut mit der ersten Lesung einer BAföG-Novelle befassen müssen, weil weder die Bundesregierung noch die Regierungskoalition rechtzeitig die Kurve gekriegt haben. Es ist noch viel ärgerlicher, daß in Ihrem Gesetzentwurf materiell nichts enthalten ist, was nicht schon im letzten Sommer als Koalitionslinie bekannt war. Tatsache ist, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung viel zu spät beschlossen wurde und jetzt nicht einmal - wie in Aussicht genommen - zum Herbst 1995 in Kraft treten könnte, wenn die Koalitionsfraktionen nicht eine Kopie mit verändertem Absender als Rettungsmaßnahme hier einbringen und uns damit eine erneute
Doris Odendahl
Debatte über längst bekannte Tatsachen bescheren würden.
Der Gesetzentwurf ist von seiten der Bundesregierung viel zu spät beschlossen worden. Das Fingerhakeln mit dem Finanzminister hat zu lange gedauert. Herr Laermann, Sie haben Erfahrungen in diesem Bereich.
Wenn ihr tatsächlich daran gelegen ist, daß die 17. BAföG-Novelle nun endlich zum Herbst 1995 mit einem Jahr Verzögerung - das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen - in Kraft tritt, müssen die parlamentarischen Beratungen im Bundesrat und im Bundestag Ende Juni abgeschlossen sein. Das ist nur noch unter großem Zeitdruck für die Plenar- und Ausschußberatungen möglich und dient nicht der seriösen parlamentarischen Beratung.
Die Bundesregierung hatte Zeit genug. Sie hätte ihre Vorstellungen bei ihrer Stellungnahme zum Bundesratsgesetzentwurf vom September 1994 bereits im Dezember 1994 konkretisieren können. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben es fertiggebracht, das Gesetzgebungsverfahren um ein volles Jahr zu verzögern. Sie haben damit die bedürftigen Studenten um die notwendigen Leistungsanpassungen für ein volles Jahr geprellt.
Schäbig, meine Damen und Herren, kann man da nur sagen.
Nun zum materiellen Teil. In der von der SPD- Fraktion beantragten und gestern durchgeführten Expertenanhörung zur 17. BAföG-Novelle waren alle befragten Sachverständigen einhellig der Meinung: Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen vorgesehenen Anhebungen der Freibeträge und der Bedarfssätze sind unzureichend und kommen zu spät. Sie tragen der Entwicklung der sozialen Lage der Studierenden weder in den alten noch in den neuen Bundesländern Rechnung.
Nach den Ergebnissen der mit den Mitteln des Bundesministers für Bildung und Forschung geförderten 14. Sozialerhebung wäre eine Anhebung der Bedarfssätze um 9,4 % und der Freibeträge um 9,8 % erforderlich. Der dramatische Rückgang der Gefördertenquote in den alten wie in den neuen Bundesländern wird sich auf Grund einer unzureichenden Anhebung der Bedarfssätze und der Freibeträge um je 4 % - nach dem Willen der Bundesregierung jetzt erst zum Herbst 1995 - fortsetzen.
Das steht in diametralem Gegensatz zum Ziel der Chancengleichheit. Es darf nicht dazu kommen, daß ein Studium in Deutschland zum Luxusgut wird. Aber offenbar hält die Regierungskoalition an der Politik der Abschreckung vom Studium fest. Immerhin sieht Ihre Bilanz so aus, daß in Ihrer Regierungszeit, also seit 1982, der Anteil von Studierenden aus einkommensschwächeren Familien von 23 % auf 15 % gesunken ist
und der Anteil der BAföG-Empfänger innerhalb von drei Jahren von 28 % auf 24 % zurückgegangen ist.
Das macht auch deutlich, daß insbesondere die Studierenden in der Vergangenheit mehr als andere Gruppen von Sozialleistungsempfängern zur Haushaltskonsolidierung beitragen mußten.
Auch die in dem Gesetzentwurf geforderte Anpassung von 4 %, die auf dem 1994 im Vermittlungsausschuß gefundenen Kompromiß beruht, ist nur dann tragbar, wenn die Erhöhung rückwirkend auch für 1994 gezahlt würde.
Wenn das haushaltstechnische Schwierigkeiten macht, gibt es sicher Mittel und Wege - darüber könnten wir uns verständigen -, die von Ihnen verursachte Verzögerung in Form einer Einmalzahlung auszugleichen. Man muß nur wollen, meine Damen und Herren.
Einhellig abgelehnt wurde in der Sachverständigenanhörung der von der Bundesregierung geforderte Studienstandsnachweis - mir kommen bei diesem Wort immer Wasserstandsmeldungen in den Sinn - bereits nach dem zweiten Fachsemester. Alle Studentenverbände - unter Einschluß der den Parteien der Koalitionsfraktionen nahestehenden RCDS und LHG - und die Vertreter der Hochschulrektorenkonferenz, des BAföG-Beirats und des Deutschen Studentenwerkes haben sich gegen diesen zusätzlichen Leistungsnachweis ausgesprochen. Wenn dieser zusätzliche Leistungsnachweis nicht aus der 17. Novelle gestrichen wird, stellt er einen ganz empfindlichen Störfaktor für die durch die Länder eingeleiteten Strukturreform an den Hochschulen dar.
Zu Recht wurden verfassungsrechtliche Bedenken dagegen erhoben, in einem Sozialleistungsgesetz innere Angelegenheiten der Hochschulen zu regeln, für die allein die Länder zuständig sind.
Die überlasteten Hochschulen werden gezwungen, mit einem völlig unsinnigen bürokratischen Aufwand den Studienbeginn, der vorrangig der Orientierung dient, zum bloßen Scheineklopfen zu verändern. Dies widerspricht im Kern auch der Forderung der Bundesregierung, der Länder und aller hoch-
Doris Odendahl
schulpolitisch Verantwortlichen, den Hochschulen mehr Autonomie und mehr eigene Verantwortung für die Organisation von Studium und Lehre zu geben.
Im übrigen scheint Ihnen gar nicht klar zu sein - auch wenn Sie gestern in der Anhörung waren -, welcher Flut von Prozessen Sie von denen entgegensehen, die nachweisen können, daß es gar nicht möglich war, das derzeit in den ersten zwei Semestern zu absolvieren. Ich meine, die hierfür vergeudete Zeit und das Geld wären sinnvoller angelegt, wenn der Aufwand für die Studienberatung erhöht und die Betreuung gerade in den Anfangssemestern intensiviert würde. Darauf müssen wir achten; das müssen wir tun.
Es bleibt festzuhalten - ich kann Ihnen das nicht ersparen; daraus spricht aber kein Mitleid; Sie haben es vielmehr gewußt -: Die gestrige Anhörung brachte eine schallende Ohrfeige für den Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Regierungskoalition.
Als ich von dem heute zur Diskussion stehenden Koalitionsentwurf hörte, hatte ich noch ein leises Gefühl von Hoffnung, daß Sie sich vielleicht doch noch nach einem Jahr des Hinhaltens und der Verzögerung im Interesse der Studierenden zu einer Schadensbegrenzung bereit finden könnten, wenn schon keine Wiedergutmachung aus Ihrer Sicht mehr möglich erscheint.
Sie haben durch den Abklatsch des Regierungsentwurfs Ihre Chance nicht wahrgenommen. Hören Sie doch endlich einmal mit dem unwürdigen Schauspiel der Feilscherei bei der Novellierung des BAföG auf, und kehren Sie zu dem ursprünglich gemeinsam gewollten Ziel der Chancengleichheit im Bildungsbereich zurück! Sie würden damit nicht nur den Studierenden, sondern auch der Politik und der Gesellschaft einen großen Dienst erweisen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias Berninger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In schöner Regelmäßigkeit findet die Debatte um die Anpassung der Bedarfssätze und der Freibeträge an die jeweilige wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland statt. Es ist schon angesprochen worden, und es ist richtig, daß dadurch, daß sich die Bundesregierung kurz vor der Bundestagswahl gegen eine angemessene Anhebung und dagegen gesperrt hat, mit dem Nullrundenspiel aufzuhören, viele Studenten in eine verhältnismäßig problematische Situation gebracht worden sind, weil sie zum
Teil entweder aus dem BAföG herausgefallen sind oder weil sie infolge der Freibetragsregelung zum großen Teil nur noch Kleckerbeträge bekommen. Ich war selber bis zum September noch Student und habe mit vielen Kommilitonen darüber geredet, welche Auswirkungen das auf ihre Bezüge hat. Ich kann Ihnen sagen: Es ist eine durchaus ernste Situation.
Gleichwohl denke ich, daß im Moment relativ gute Chancen bestehen, daß man sich hier einigen kann. Ich möchte die Koalitionsfraktionen bitten, den Fehler vom vergangenen September nicht zu wiederholen.
Der Entwurf des Bundesrates, der im Vermittlungsausschuß behandelt wird, hat eine wichtige Funktion. Ich glaube, daß dieser Entwurf einen Anfang bei dem Bemühen darstellt, die Schieflage, die es zur Zeit beim BAföG gibt, zurückzunehmen.
Das ist auch der Grund dafür, daß wir jetzt keinen eigenen Antrag vorgelegt haben. Wir wollen, daß jetzt erst einmal dieser Entwurf Gesetz wird. Ich richte insbesondere natürlich an den Forschungs- und Bildungsminister Rüttgers den Appell, sich noch stärker einzusetzen, als es der Kollege Laermann gemacht hat.
- Völlig richtig. Ich denke, Frau Yzer wird ihm mitteilen, daß er sich durchsetzen soll.
Er hat es dabei mit einem Finanzminister zu tun, der darin Erfahrung hat, wie es ist, wenn man in einer Anhörung der Expertenmeinung völlig unterliegt.
Alle Experten haben durch die Bank gesagt: Wenn Sie so weitermachen und Ihren Entwurf durchziehen, dann helfen Sie damit nicht nur den Studenten nicht, sondern Sie machen einen großen bildungspolitischen Fehler.
Mich ärgert es sehr, daß Expertenmeinungen in diesem Parlament offensichtlich keine Rolle spielen. Sind wir denn alle superschlau, oder wofür machen wir die Anhörung?
Ich denke, die Linie muß sein, die Expertenmeinungen hier sehr ernst zu nehmen, den Bundesratsentwurf durch die parlamentarischen Gremien zu bringen und die Fehler vom Herbst damit wiedergutzumachen, wobei ich auch glaube, daß es hier in erster Linie gar nicht um Finanzpolitik geht. Die BAföG-Debatte ist immer mehr als nur Finanzpolitik; sie ist auch mehr als die Erbsenzählerei, die wir hier zum Teil betreiben.
Matthias Berninger
Sie überfrachten die BAföG-Debatte bildungspolitisch, und das zeigt sich am Beispiel des Studienstandsnachweises nach zwei Semestern, denke ich. Mein Gott, wenn Sie schon den Fuß in die Hochschuldebatte nicht hineinbekommen, dann versuchen Sie es doch nicht immer über das Instrument des BAföG!
Es ist schon angesprochen worden: Sie können doch nicht ernsthaft für mehr Bürokratie sein, wenn Sie an anderer Stelle den schlanken Staat fordern.
Der eigentliche ,,Studienstandsnachweis" ist nichts anderes als schlangestehende Studenten vor überfüllten Hörsälen. Da haben, Sie ihren Studienstandsnachweis, wenn Sie sich das ansehen. Diese Studenten werden klagen. Sie werden sagen: Wir konnten in zwei Semestern keinen Erfolg erzielen, weil der Raum nicht da war.
Ich halte das auch deshalb für völlig falsch, weil Sie damit den Studenten mißtrauen. Man muß ihnen nicht bei dem mißtrauen, was sie an den Universitäten machen. Deswegen bitte ich Sie, dieses Ding wieder in Ihre Mottenkiste veralteter hochschulpolitischer Vorstellungen zu packen.
Wenn wir uns hier auf der Linie des Bundesrates einigen könnten, dann wäre das auch ein Zeichen von Pragmatismus und Handlungsfähigkeit. Wir wissen alle - das hat der Sozialstandsbericht gezeigt -, daß wir eigentlich die BAföG-Beträge noch viel mehr erhöhen müßten, um der Preissteigerung und den ganzen Problemen gerecht zu werden. Das bekommen wir jetzt nicht hin. Aber wenn wir uns auf der Bundesratslinie einigen, dann können wir anfangen, über die grundsätzlichen Probleme beim BAföG zu reden, statt Anpassungsdebatten alle zwei Jahre zu führen.
Es gibt natürlich genug grundsätzliche Probleme. Da ist erstens die Belastung von Familien mit mittleren Einkommen. Dadurch, daß die Freibeträge nicht angepaßt worden sind, fallen immer mehr Studenten aus der Förderung heraus. Das heißt, immer mehr Familien müssen für das Studium ihrer Kinder aufkommen.
Zweitens erhöhen sich natürlich die Preise für Mieten und für Bücher. Was ein Sachbuch kostet, wissen wir ja alle, weil wir selber welche lesen - mit dem Unterschied, daß wir relativ viel Geld haben und offensichtlich nicht mehr merken, wie sehr die Preise gestiegen sind.
Diese Dinge führen natürlich dazu, daß es Studenten materiell schlechter geht. Dabei dürfen wir einen Fehler nicht machen, glaube ich. Wir dürfen nicht die Gleichsetzung von Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen auf der einen Seite und Studierenden auf der anderen Seite vornehmen, die zum Teil auch in der Anhörung anklang. Ein Studium ist natürlich etwas mit Perspektive. Die Leute studieren auch gern; deswegen haben wir so viele Studierende. Es muß deswegen nicht zu einer Gleichsetzung kommen. Aber man sollte einmal vernünftig darüber diskutieren, wie wir beim BAföG Reformen durchsetzen können.
Herr Ruck, ich habe mich tierisch darüber geärgert: Sie können doch nicht ernsthaft sagen, daß wir die Chancengleichheit immer noch haben.
Alle Statistiken sprechen dagegen. Sie wird immer geringer.
Ein immer kleinerer Anteil der Studierenden stammt aus unteren Einkommensschichten; er geht zurück, und zwar ganz massiv. Wenn wir Chancengleichheit wollen - ich glaube, hier muß Einigkeit in diesem Parlament bestehen, daß wir Chancengleichheit wollen, denn das Köpfchen der Leute kann ja nicht vom Portemonnaie der Eltern abhängen; ich denke, das haben wir in den siebziger Jahren geklärt, zumindest solange ich lebe, galt das immer als Konsens -, müssen wir uns hier gemeinsam um das Problem der Chancengleichheit kümmern; die Zahlen sind da für meine Begriffe absolut eindeutig. Lassen Sie uns auch dieses Problem schnell lösen!
Ich glaube, eine grundsätzliche BAföG-Debatte muß sich auch mit der bürokratischen Mühle des BAföG-Amtes auseinandersetzen. Ich habe die Formblätter 1 a, 14 b und 13 c und was weiß ich jedenfalls noch gut im Kopf, die da auszufüllen waren. Ich glaube, daß das momentane BAföG-Verfahren nicht zukunftsgemäß ist. Wir müssen uns darüber unterhalten, ob es Alternativen gibt.
Viele Studenten gerade aus Familien mit mittlerem Einkommen fragen: Warum bekommen wir kein BAföG? Sie sagen: Ich gehe nicht zu meinen Eltern und verlange, daß sie mir letzten Endes das Studium bezahlen, denn ich sehe, wie wenig Geld sie selber haben. Das sehen ja die Studenten.
Sie werden doch als Familienpolitiker auch nicht verlangen, daß wir jetzt hier ständig Prozesse zwischen den Studierenden und den Eltern führen lassen.
Diese Fehlentwicklungen müssen für meine Begriffe dazu führen, daß wir eine elternunabhängige Förderung hinbekommen. Wir müssen nachdenken - das wird in den Unis auch gemacht - über Lösungen im Bereich von Volldarlehen, unabhängig von den Einkommen der Eltern.
Wir müssen darüber nachdenken, wie wir in diesem Jahrtausend - und ich denke, in dieser Legislaturperiode ist das zu schaffen - eine finanzpolitisch dauerhaft tragfähige neue Lösung finden. Dazu müssen Sie, liebe Kollegen von den Koalitionsfraktionen, aber bitte Ihre Blockadeposition ganz schnell aufgeben.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Professor Dr. Laermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich ja, daß mich einige der Kolleginnen und Kollegen vermißt haben, aber ich habe mich doch ab und zu für die Entwicklungen interessiert und möchte heute auch aus einem besonderen Grund zum BAföG sprechen, wie Sie sich sicherlich vorstellen können.
Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, BAföG ist nach meiner Auffassung weder als soziale Hängematte noch als Folterwerkzeug ansonsten untätiger Hochschulreformer geeignet.
Das möchte ich als Feststellung an den Anfang stellen. BAföG dient immer dem einen Zweck: jungen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, unabhängig vom Einkommen der Eltern gleiche Chancen in der Bildung und insbesondere im Bereich der Hochschulbildung zu gewähren.
- Die haben Sie bei mir abgelauscht!
- Das habe ich früher schon gesagt, Herr Glotz.
Gewiß orientiert sich im vorliegenden Entwurf die Anhebung der Freibeträge und Bedarfssätze weniger am Wünschenswerten als an den Möglichkeiten im Rahmen des Etats. Aber ich denke, aus gutem Grund seinerzeit als Bundesbildungsminister als erste Amtshandlung eine Anhebung der BAföG-Sätze gefordert und durchgesetzt zu haben. Ich bin, weil ich als aktiver Hochschullehrer um die Entwicklungen und die Probleme der Studierenden weiß, davon ausgegangen, daß immer mehr aus der Förderungsberechtigung herausgefallen sind, weil sich die Einkommensverhältnisse geändert haben. Insbesondere traf das und trifft das nach wie vor für die neuen Länder zu.
Damals wie heute, meine Damen und Herren, bin ich mir sehr wohl bewußt, daß die damals wie heute vorgesehenen Erhöhungen nicht in vollem Umfang den Notwendigkeiten entsprechen. Damals wie heute bin ich aber auch der Meinung, daß - um mit einem deutschen Philosophen zu sprechen - die Hälfte mehr ist als das Ganze. Schrauben wir die Forderungen nicht zu hoch, damit wir nicht riskieren, wieder nichts zu erhalten. Ich habe da meine Erfahrungen gemacht.
Wir brauchen Bewegung im System der Ausbildungsförderung in Richtung auf das Ziel, auch wenn wir das Ziel nicht in einem Schritt erreichen. Ich denke, auch mit der 17. Novelle ist natürlich die Diskussion um BAföG und um die weitere Entwicklung des BAföG nicht abgeschlossen. Ich stimme da auch der Auffassung zu, daß es nicht nur eine Frage des Geldes ist, sondern daß es hier auch um die immer weiter ausufernden bürokratischen Prozeduren geht.
Bis auf die Erhöhung der Bedarfssätze, über die entgegen der ursprünglichen Absicht, diese erst 1996 zu überprüfen, nach der revidierten Novelle vom vergangenen Jahr bereits im Frühjahr 1995, also jetzt, befunden werden sollte, hatte der Bundestag schon vor nahezu einem Jahr beschlossen, die Elternfreibeträge um zweimal 2 % zu erhöhen, die Sozialpauschalen inklusive Pflegeversicherung anzupassen sowie weitere Verbesserungen und Änderungen bei der Altersgrenze, Rückzahlungsmodalitäten, Ausgleich noch bestehender Ungleichheiten zwischen neuen und alten Ländern vorzunehmen. Das alles lag schon auf dem Tisch, und das alles hätte schon seit einem Dreivierteljahr auf dem Weg sein können, wenn nicht über Bundesrat und Vermittlungsausschuß die Novelle zum Nachteil aller Betroffenen gescheitert wäre.
Und, Frau Odendahl, es lag nun einmal nicht an der Bundesregierung!
Ich habe mich seinerzeit mit all meiner Kraft um die Zustimmung dafür bemüht, wenigstens das schon durchzusetzen. Das hat mich im Interesse der betroffenen jungen Menschen umgetrieben, das hat mir meinen Schlaf geraubt, und es bedrückt mich nach wie vor, daß nun immer noch nichts auf dem Wege ist. Daher mein Appell: Lassen Sie uns wenigstens das, worüber Einvernehmen besteht, abhaken, damit wenigstens das schon auf dem Weg ist, und dann können wir die weiteren Diskussionen führen!
Herr Kollege Professor Laermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Laermann, sind Sie bereit, hier zu wiederholen, daß das Ergebnis der Beratungen des Vermittlungsausschusses von der Regierungskoalition in diesem Plenum abgelehnt und niedergestimmt wurde? Ihre Bemühungen wollen wir nicht verkennen, aber hier wurden Sie niedergestimmt, und hier haben auch Abgeordnete, die im Vermittlungsausschuß dafür gestimmt hatten, dann das dort erzielte Ergebnis nicht mehr mitgetragen.
Als Antwort auf Ihre Frage, Frau Kollegin Odendahl: Angesichts der vor einem Jahr gegebenen Situation und Haushaltslage, auch unter Berücksichtigung des damals von der Opposition mitgetragenen Konsolidierungskonzepts, waren die Haushaltsmittel für das, was im letzten Jahr anstand und hier zur Diskussion steht, einfach nicht vorhanden.
Die Frage, die ich hier gestellt habe, ist aber doch: Warum haben Sie nicht dem zugestimmt, was schon auf dem Tisch lag?
Lassen Sie mich als Antwort auf Ihre Frage deutlich
sagen: Ich hatte und habe auch heute noch kein Verständnis für die Haltung einiger SPD-Länderminister.
Mir wurde gesagt: Herr Kollege, Ihr Bemühen ist anerkennenswert. Aber Ihr Pech ist: Wir haben Wahlkampf! - Was ist das für ein Politikverständnis: Wahlkampf auf Kosten unserer Jugend, unserer Zukunft!
Für die F.D.P. fordere ich die Opposition und die SPD-geführte Ländermehrheit im Interesse der Jugend auf: Stimmen Sie dieser jetzt vorgesehenen Anpassung zu, auch wenn nicht alle Vorstellungen erfüllt werden können! Das hätten wir dann schon mal in der Tasche. Lassen Sie uns danach die Diskussion weiterführen.
Wir werden ohnedies die Diskussionen über die Fortentwicklung der Bundesausbildungsförderung im Zusammenhang mit dem Konzept zur Förderung des beruflichen Aufstiegs und der Weiterbildung fortsetzen müssen. Wir können nicht zwei getrennte Systeme nebeneinander haben. Damit würden wir auch unserem Anspruch nicht gerecht. Die Forderung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung muß endlich umgesetzt werden. Dazu gehört auch ein integrales Ausbildungskonzept, ein Konzept für die Förderung in diesem Bereich.
Die F.D.P. fordert von der Bundesregierung die Fortsetzung der Studienabschlußförderung über das Jahr 1996 hinaus. Die Studienabschlußförderung ist eines der wenigen leistungsmotivierenden und leistungsbelohnenden Instrumente des BAföG. Sie sollte deshalb unbedingt erhalten bleiben.
Lassen Sie mich ein Wort zum Studienstandsnachweis sagen: Es geht hier nicht um ein Marterinstrument gegen BAföG-Bezieher.
Es ist das ureigenste Interesse aller BAföG-geförderten Studenten, daß BAföG nur denjenigen gezahlt wird, die ernsthaft die Absicht haben, einem Studium nachzugehen; das ist sicherlich unbestritten. Deshalb ist es im Rahmen der Mißbrauchsbekämpfung verständlich, daß die Bundesregierung nach Wegen sucht, wie man auch den geringen Prozentsatz der BAföG-Empfänger identifizieren kann, dem es am ernsthaften Studierwillen mangelt.
Im Rahmen der auf der Hochschulrektorenkonferenz angedachten Angleichung der Studien- und Prüfungsstrukturen aller Fachbereiche sollte es in absehbarer Zeit - ich betone ausdrücklich, daß kein Zeitpunkt festgeschrieben werden sollte - für jeden Studierenden kein Problem und keine zusätzliche Belastung sein, seine Studierwilligkeit zu belegen. Es geht hier um ein didaktisches Element, um ein Element der Studienreform für alle Studierenden - das betone ich ausdrücklich -, nicht nur für BAföG- Bezieher. Es geht darum, ihnen frühzeitig eine Meßlatte anzubieten, um sich selbst zu prüfen, ob sie auf dem richtigen Wege sind.
Herr Kollege Laermann, es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Bitte.
Herr Kollege, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß auch die gestrige Anhörung ergeben hat, daß BAföG-Studenten ihr Studium in der Regel schneller abschließen, und würden Sie mir bitte zustimmen, daß die von Ihnen beabsichtigte Einsetzung des BAföG als Disziplinierungsinstrument unter diesem Gesichtspunkt höchst ungeeignet ist und dies aus diesem Grund nicht wiederholt werden sollte?
Herr Kollege, ich stimme Ihnen zu. Ich sage noch einmal: Dies sollte kein Marterinstrument für BAföG-Bezieher und generell kein Instrument zur Disziplinierung von Studierenden sein.
Es sollte vielmehr ein didaktisches Element sein. Ich weiß nicht, was dagegenspricht.
Ich weiß, was in der gestrigen Anhörung vorgebracht worden ist. Im Grunde genommen geht es hier gar nicht um den BAföG-Bereich, sondern um die Studienreform. Eine Studienreform muß um- und durchgesetzt werden.
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
Ich komme aus der Praxis; lassen Sie mich deshalb sagen: In nahezu allen natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächern gibt es seit Jahrzehnten, seit Generationen das Vorexamen, das mit studienbegleitenden Prüfungen nach dem zweiten, dritten und vierten Semester abgeprüft wird. Es ist ein hervorragendes Instrument, eine Hilfe für die Studierenden, Herr Kollege. Das ist es, was wir den Studierenden als Meßlatte anbieten müssen.
Natürlich dies nicht allein. Vielmehr setzt das voraus, daß die Studienbedingungen in den Hochschulen verbessert werden. Das setzt vor allen Dingen eine Intensivierung der Studienberatung voraus. Im übrigen habe ich diese Position von der didaktischen Problematik her auch im Bundesrat im letzten Jahr vorgetragen.
Sind Sie bereit, eine zweite Zwischenfrage zuzulassen?
Ja, bitte.
Wie verträgt sich die Position, die Sie jetzt äußern, mit dem, was Sie soeben gesagt haben? Sie sagten: Laßt uns auf diese BAföG-Diskussion nicht ständig andere Dinge draufsatteln! Und jetzt versuchen Sie, die Hochschulreform wiederum mit BAföG zu verknüpfen. Auch daher kommen doch unsere Schwierigkeiten.
Es ist schade, daß wir hier so schmalbandig diskutieren müssen. Es ist das Problem unserer bildungspolitischen Diskussionen, daß wir uns irgendeinen Sektor herausgreifen und daran die Diskussion festmachen, statt den Blick auf die Gesamtzusammenhänge und die Interdependenzen im gesamten Bildungsbereich zu richten.
Ich sage Ihnen als Antwort auf Ihre Frage: Die F.D.P. ist ausdrücklich gegen eine Einführung von Zusatzprüfungen nach dem zweiten Semester, wenn sie nur dem Zweck dienen sollen, die geringe BAföG-Mißbrauchsquote zu bekämpfen.
BAföG, Studienreform, Studienbedingungen, Hochschulbauförderung sind eng miteinander verknüpft, und wir können sie nicht isoliert voneinander diskutieren. Es muß sichergestellt werden und bleiben, daß eine Studienreform ihre Motivation nicht aus der Mißbrauchsbekämpfung erhält, Herr Kollege. Das wäre unverantwortlich und für die Weiterentwicklung unseres Systems nicht erträglich.
Herr Kollege Laermann, es gibt einen weiteren Zwischenfragewunsch.
Ja, bitte.
Herr Kollege, von Praktiker zu Praktiker: Meinen Sie nicht auch, daß die Debatte um die Anpassung der Freibeträge und urn die Höhe der Zahlungen denkbar ungeeignet ist und daß insofern auch der Studienstandsnachweis bei dieser BAföG-Debatte das ungeeignetste Instrument ist?
Herr Kollege Berninger, ich bin gern bereit, über das Thema, das uns insgesamt interessiert - die Reform unseres Bildungssystems, die Probleme der Hochschulentwicklung -, hier einmal eine lange und wirklich ausführliche Debatte zu führen. Aber auf Grund von wenigen Minuten Redezeit kann ich hier nur den einen oder anderen Aspekt ansprechen.
Wir müssen uns in der Tat um die didaktischen Ansätze im Hochschulstudium mühen. Ich kann nach wie vor nicht verstehen, warum es in Disziplinen wie der Juristerei keine Vorexamen gibt. Es ist doch eine Hilfe für die Studierenden, wenn bestimmte Dinge, bestimmte Felder schon abgearbeitet oder abgehakt sind - wenn ich das einmal so salopp sagen darf - und der Kopf für das Hauptstudium frei wird, damit es zügig absolviert werden kann.
Die Voraussetzung dafür ist, daß die Bedingungen an den Hochschulen - dafür sind allerdings die Länder zuständig - so sind, daß man zügig studieren kann. Ich stimme mit dem, was Sie gesagt haben, in diesem Punkt völlig überein. Wenn keine Plätze für Laborpraktika da sind, wenn die Literatur fehlt, wenn die Hörsäle überfüllt sind und wenn Testatklausuren geschrieben werden müssen, damit man in ein Seminar überhaupt hineinkommt, dann kann ich die damit unweigerlich verbundene Studienzeitverlängerung nicht den Studierenden anlasten.
Wir müssen also über dieses Thema auch im Zusammenhang mit BAföG reden. Ich habe aber wohl meine Position zum Studienstandsnachweis sehr deutlich dargelegt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine letzte Anmerkung machen. Es ist natürlich noch Diskussionsbedarf vorhanden, wenn wir über die Ausbildungsförderung im größeren Zusammenhang, auch im Zusammenhang mit der beruflichen Aufstiegsfortbildung, reden wollen.
Es hat mich z. B. geärgert - deswegen sage ich es hier -, daß die Darlehensrückzahlungen nicht wieder in die Förderung zurückgeführt werden.
Darüber muß man doch reden können. Ich habe es getan und tue es hier noch einmal, weil ich das u. a. für einen didaktischen - verzeihen Sie mir das Wort -, für einen erzieherischen Ansatz halte, da die bereits Geförderten eine moralische Verpflichtung empfinden könnten, ihr Darlehen so rechtzeitig zurückzuzahlen, wie sie nur können, damit wieder die neu zu Fördernden unterstützt werden können.
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
Ich möchte, daß das zu einem Zyklus wird, weil das die Verantwortung der Geförderten und der Studierenden insgesamt durchaus stärken kann.
- Ich sage es ja. Meine Partei ist davon überzeugt.
Ich kann Ihnen auch sagen, daß Überlegungen zum Volldarlehen vorhanden sind. Ich sage jetzt völlig ungeschützt meine persönliche Meinung: Wenn wir über die zukünftige Ausbildungsförderung diskutieren, dann könnte ich mir vorstellen, daß es insgesamt ein Förderungssystem auf Darlehensbasis gibt, das im Grunde genommen allen offensteht, egal, welche Herkunft sie haben, egal, ob die Eltern bezahlen oder nicht. Diese Förderung richtet sich - das könnten wir gestalten- z. B. nach der Studienzeit bis zum Examen und nach dem Ergebnis des Abschlusses. Mit den sozialen Komponenten und den Rückzahlungsbedingungen könnten wir sicherlich ein ergänzendes Förderinstrumentarium entwickeln.
Ich stehe nicht an zu fragen: Wieso privatisieren wir das nicht? Viele Banken geben schon Darlehen. Hier könnte ich mir vorstellen, daß der Staat die Zinsbelastungen übernimmt und gewissermaßen den Bonus verteilt. Das wäre allerdings aus der Staatskasse zu bezahlen. Ich glaube aber, daß wir über solche unpopulären, vielleicht auch unkonventionellen Dinge nachdenken sollten. Das können wir aber an dieser Stelle nicht machen.
Sine tempore ist die Redezeit abgelaufen.
Herr Präsident, ich habe Verständnis dafür, daß ich mich an die Zeit zu halten habe. Aber das Thema ist nun einmal so angelegt, daß man dazu in Minutenbeiträgen eigentlich nicht viel sagen kann.
Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
Ich erteile der Kollegin Maritta Böttcher das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn noch einmal unsere Forderung nach einer sozialen Grundsicherung aller Studierenden unabhängig vom Einkommen der Eltern bekräftigen. In der gestrigen öffentlichen Anhörung des Ausschusses erhielten sämtliche Vorlagen von den geladenen Sachverständigen schlechte Noten, und zwar vor allem unter dem Gesichtspunkt, ob die vorgesehene Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge sowie die Veränderung der Härteverordnung den veränderten Lebenshaltungskosten der Betroffenen entspricht.
Ausschließlich im PDS-Antrag sind die vom Deutschen Studentenwerk für den Fall der Anpassung zum Herbst 1995 ermittelten Erhöhungsbeträge von 9,8 % bei den Bedarfssätzen und 9,4 % bei den Freibeträgen aufgenommen. Das ist die Minimalforderung, die angesichts des in den letzten Jahren zu verzeichnenden drastischen Rückgangs der Gefördertenquoten und der damit verbundenen Zementierung des sozialen Numerus clausus erhoben werden muß.
Die Ursachen und Konsequenzen dieses Rückgangs werden natürlich je nach Standort des Beobachters sehr verschieden interpretiert. So ist seitens der Bundesregierung zu vernehmen, daß der Rückgang der BAföG-Bezieherinnen und -Bezieher natürlich auf die grundlegend verbesserte Einkommenssituation der Eltern zurückzuführen sei und Chancengerechtigkeit gewahrt sei, da ja immerhin 16,8 % der Studienanfänger und -anfängerinnen aus Arbeiterfamilien kommen.
Daß von den Beamtenkindern dagegen 65 % studieren, erfährt man erst aus der Analyse des Deutschen Studentenwerks. Der Sozialerhebung des DSW ist es auch zu entnehmen, daß in den vergangenen Jahren der Anteil Studierender aus den oberen Einkommensgruppen von 18 % auf 27 % stieg und die Zahl derer aus den unteren Einkommensgruppen von 25 % auf 14 % sank.
Das alles wegen der hervorragenden Einkommenssituation und der „blühenden Landschaften" im Osten? Sind hier nicht noch andere Zusammenhänge zu beachten, wenn diese Entwicklung richtig interpretiert werden soll, beispielsweise der Zusammenhang von Einkommensentwicklung und Lebenshaltungskosten, Mietsteigerungen, Studienbedingungen usw.? Vieles wurde genannt.
Natürlich kann auch die steigende Erwerbstätigkeit Studierender als „Arbeit zur Erhöhung des Lebensstandards" oder schlicht als „andere Art der Lebensplanung " gedeutet werden. Bei einer solchen Herangehensweise könnte eigentlich ganz auf staatliche Unterstützung verzichtet werden. Wer es sich leisten kann, plant eben so, die anderen haben Pech gehabt.
So werden jahrelang bildungspolitische Defizite als Erfolg verkauft. Die Gutachten und Stellungnahmen Betroffener sprechen eine ganz andere Sprache. Erwerbstätigkeit neben dem Studium taucht zuerst und vor allem dort auf, wo Existenzsicherung anders nicht möglich ist, und führt u. a. zu verlängerten Studienzeiten. Aber auch für zu lange Studienzeiten hat die Bundesregierung ein Patentrezept: Kürzung der Förderungshöchstdauer der BAföG-Empfänger und der BAföG-Empfängerinnen und zusätzlicher Leistungsstandsnachweis. Dazu ist genügend gesagt worden. Das Muster ist bekannt.
Im Gegensatz dazu sehen die Sachverständigen der gestrigen Anhörung einen positiven Zusammenhang zwischen der grundsätzlich zu befürwortenden Studienstrukturreform und der Ausbildungsförde-
Maritta Böttcher
rung nur dann, wenn mit entsprechenden BAföG-Regelungen zur Absicherung der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Studierenden beigetragen wird. Alles andere ist über BAföG nicht zu regeln und würde sogar eine Kompetenzüberschreitung des Bundes gegenüber den Ländern bedeuten.
Studienstrukturreformen müssen von Inhalten ausgehen und in Verantwortung der Hochschulen geführt werden. BAföG bietet hierfür weder Signale noch Ansätze. Auch dieser Zusammenhang wird von der Bundesregierung permanent auf den Kopf gestellt. Deutlich tritt in allen diesen Diskussionen immer wieder das Prinzip „Spare bei den Bedürftigen" in den Vordergrund. Mißbrauchsdebatten führen - auch das ist nicht neu - zur Aushöhlung der Sozialgesetzgebung.
Diesmal sind die unterstützungsbedürftigen Studierenden an der Reihe. Aus deren Sicht ist es besonders schwierig - wie es in der ergänzenden Stellungnahme der studentischen Vertreter des DSW heißt -, die Ernsthaftigkeit zu verstehen, mit der Bildungsbürokratie und Bildungspolitik über vier- oder sechsprozentige Steigerungen von diesem oder jenem Bestandteil des BAföG streiten.
Wer abstrakte Prozentangaben einmal in Zahlen umrechnet, der weiß, daß das BAföG mittlerweile selbst bei der Handvoll, die es tatsächlich bekommen, auch nicht annähernd zum Lebensunterhalt reicht. Wenn man dann noch erfährt, daß es in der politischen Realität meist nicht auf die Notwendigkeiten des Alltags, sondern auf die Leistungsfähigkeit der Titelansätze im Haushalt ankommt, tritt die Verbitterung fast zwangsläufig ein; es wird doch allgemein eingestanden, daß die Ansätze weder 1993 noch 1994 ausgeschöpft wurden. Die finanzielle Deckung für eine sechsprozentige Erhöhung von Bedarfssätzen und Freibeträgen wäre mindestens gegeben. Gestritten wird dennoch mit großem Pathos. Doch worum eigentlich? Ziel aus studentischer Sicht ist es daher, eine grundsätzliche Reform der Ausbildungsförderung zu erreichen.
Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen - außer vielleicht der Frage: Wie lange steht diese Forderung schon auf der Tagesordnung? Seit Jahren gibt es Sachverständigengutachten, Analysen usw., die sogar teilweise im Auftrag der Bundesregierung erarbeitet werden, deren Ergebnisse aber ebenso regelmäßig bei anstehenden politischen Entscheidungen ignoriert werden. Dann zählt nur noch, was unverrückbar im Haushaltsplan steht.
Der einzige Punkt, an dem Abgeordnete tatsächlich etwas zu entscheiden hätten, wäre demzufolge die Haushaltsabstimmung. Alles andere ist parlamentarisches Theater, dessen Ergebnis von vornherein feststeht. Aus diesen parteipolitischen Ränkespielen - da möchte ich meinem Vorredner an dieser Stelle recht geben - und dem Hickhack zwischen Bund und Ländern muß die Ausbildungsförderung herausgelöst werden, wenn sie ihrem Ziel auch nur annähernd gerecht werden will.
Danke.
Das Wort hat der Kollege Roland Richwien.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verfolgt man die BAföG-Diskussion, so scheint ein genereller Kritikpunkt zu sein, daß die vorgeschlagenen Erhöhungen von Bedarfssätzen und von Freibeträgen zu gering sind.
Dazu möchte ich folgendes bemerken: Es ist sicher unbestritten, der finanzielle Handlungsspielraum ist zur Zeit in allen Bereichen ausgesprochen gering. Trotzdem ist es gelungen, die Mittel für Forschung und Entwicklung um 2,7 % zu erhöhen. Das heißt: Der Haushalt für Bildung und Forschung ist trotz Einsparungen in anderen Bereichen von einer Kürzung nicht betroffen.
Damit bekennt die Bundesregierung klar, daß sie in ihrer Zukunftspolitik auf Bildung und Forschung setzt.
Es wird von Kritikern immer wieder auf die wirtschaftliche Situation der Studierenden aufmerksam gemacht. Dieses Problem hat die Bundesregierung wohl erkannt. Der Bund reagierte mit einem Vorschlag, das BAföG um 4 % zu erhöhen. Sicher sind die finanziellen Probleme der Studentinnen und Studenten damit nicht sofort gelöst. Aber wer mit knappem Geld wirtschaften muß, der sollte sich um einen effektiven und effizienten Einsatz bemühen.
Es kann deshalb nicht genügen, die - darum geht es uns wohl allen - Verbesserung von Studienbedingungen auf das BAföG zu beschränken. Studienbedingungen implizieren sowohl das BAföG zur Sicherung von Chancengleichheit als auch die Rahmenbedingungen, die die Hochschulen und Universitäten zu Studienerleichterungen und Erleichterungen der Studienorganisation bieten können.
Zur Verbesserung solcher Rahmenbedingungen reicht es, wie im Positionspapier zur BAföG-Anhörung bemerkt wird, aber nicht aus, Fachbereiche zu einer sachgemäßen Entrümpelung von Studieninhalten anzureizen. Ich denke, daß die Hochschullehrer, die sich ihrer Lehrverantwortung bewußt sind und einen eigenen Anspruch auf zeitgemäße Inhalte haben, dies im Rahmen ihrer Lehrfreiheit selbst tun. Vielmehr müssen die Hochschulen und Universitäten Mittel erhalten, damit sie den Studierenden und Hochschullehrern z. B. moderne Kommunikations-
und Informationstechnik bereitstellen können. Wer sich die Ausstattung in den einzelnen Bereichen in Universitäten und Hochschulen einmal angesehen hat, wird mir beipflichten. Ich will nur ein Beispiel nennen: Gehen Sie in einzelne Bibliotheken, dann werden Sie sehen, wie es dort zugeht!
Dadurch kann der Studierende sehr effektiv zu notwendigem Wissen gelangen und sich in seinem Studium auf den Erwerb von Methodenkompetenzen
Roland Richwien
konzentrieren. So werden auch andere Studienformen, wie projektorientiertes Arbeiten, möglich. Das wiederum ermöglicht, auf den individuellen Studienfortschritt flexibel zu reagieren.
Das heißt, sowohl moderne Lern- und Forschungsinstrumente als auch daraus resultierende hochschuldidaktische Überlegungen eröffnen den Studierenden mehr Freiraum, die Länge ihres Studiums wirklich optimieren zu können.
Der Bund ist sich auch hier seiner Verantwortung bewußt. 1995 erfolgte eine Erhöhung der Mittel für den Hochschulbau um 120 Millionen DM. Es besteht sicher Konsens darüber, daß sich die Förderung nicht nur auf die Hochschulen konzentrieren kann. Für leistungsstarke Jugendliche müssen weiter attraktive Qualifikations- und Beschäftigungschancen eröffnet werden, um einerseits dem Bedarf an Nachwuchs an mittleren Führungskräften in den verschiedenen Bereichen Rechnung zu tragen und um andererseits für eine Entlastung der Hochschulen - um Massenuniversitäten zu verhindern, wie ich es in meiner ersten Rede schon angemerkt hatte - im Sinne einer Leistungssteigerung zu sorgen. In diesem Sinne wurde in der beruflichen Bildung eine Trendwende eingeleitet. Mit der neuen Lehrstelleninitiative, die auf mehr Durchlässigkeit und Qualität setzt, wird die berufliche Bildung gestärkt und ausgebaut.
Zusammenfassend ist zu sagen: Förderungen im Bereich Bildung und Forschung sind komplex zu sehen. Das Element BAföG ist ein wichtiger Baustein, um möglichst vielen die Chance auf eine akademische Ausbildung einzuräumen. Sie darf - da stimme ich mit Ihnen überein - nicht aus dem Blick geraten. Förderungen von Studierenden hängen aber auch mit institutionellen Rahmenbedingungen zusammen, die dringend einer Änderung bedürfen. In der augenblicklich gespannten Finanzsituation ist es jedoch notwendig, den Einsatz der Mittel zu optimieren. Das heißt, man kann nicht immer nur die ausgetretenen Pfade gehen, vielmehr ist man auf Mut zur Neuorientierung angewiesen.
Vielen Dank.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte folgenden Hinweis geben. Zu dieser Debatte liegen mir noch zwei Wortmeldungen mit insgesamt 18 Minuten Redezeit vor. Danach folgen die Beratungen ohne Aussprache. Die Fragestunde wird daher in etwas mehr als 20 Minuten beginnen.
Es liegen aber nur je zwei Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung und dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes vor. Es ist möglich, daß die Aussprache über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung erhöhter Ozonkonzentrationen und die Beratung der Anträge der Fraktionen der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der
PDS zum selben Thema relativ früh beginnt. Ich sage dies an die Adresse der Parlamentarischen Geschäftsführer, damit sich die Kollegen darauf einrichten können.
Ich erteile dem Kollegen Tilo Braune das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegen der Koalition haben uns hier sehr schöne allgemeine hochschulpolitische Gedanken zu Gehör gebracht. Ich habe aber das Gefühl, daß sie ein wenig am heutigen Thema vorbeigingen und daß es kein Zufall ist, daß man sich allgemein über verschiedene Handlungsbedarfe im Hochschulbereich unterhält; denn das ist immerhin weniger konkret als die vorliegenden Gesetzestexte, die sich zumindest in den Gedanken, die Herr Laermann hier geäußert hat, nicht wiederfinden.
Warum das so ist, wird relativ schnell klar; denn BAföG könnte man auch „die unendliche Geschichte" oder „das ungeliebte Kind" der Bundesregierung, „das lästige Überbleibsel" der sozialliberalen Koalition nennen. Am BAföG zeigt sich plastisch, wer wie zur Bildung und damit letztendlich zur Zukunft unseres Landes steht.
Zukunftsminister Rüttgers zumindest scheint damit seine Probleme zu haben, war er es doch, der als Mitglied des Vermittlungsausschusses den Kompromiß 1994 maßgeblich mit aushandelte.
Dann aber nahm ihm seine eigene Fraktion, deren Parlamentarischer Geschäftsführer er immerhin war, diesen vernünftigen Kompromiß weg.
Die Hoffnungen der Studenten auf wenigstens einen kleinen Schritt in die richtige Richtung waren damit zerstört. Man ließ sie weiter im Regen stehen.
Wenn das die Durchsetzungsfähigkeit ist, mit der Herr Rüttgers die Zukunft unseres Landes gegen die reichlich vorhandenen Bildungs- und Forschungsignoranten in den eigenen Reihen gestalten will, dann sehe ich schwarz, und das im doppelten Sinne.
Daß dieses peinliche Prozedere darüber hinaus das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik weiter mindert und dadurch Politikverdrossenheit neuen Nährboden erhält, sei hier nur am Rande erwähnt.
Geld zumindest gab es nicht. Nun versucht die Bundesregierung, auf dem Rücken der sozial Schwachen für ein Jahr die Ausgaben zu sparen. Aber nicht nur um Finanzen geht es hier. Deutlich wird vielmehr eine Grundintention konservativer Bildungspolitik: Bildung vorzugsweise für Eliten, und seien es Geldeliten.
Tilo Braune
Kinder von Eltern mit niedrigerem Einkommen werden systematisch aus der Chance zur höheren Bildung herausgedrängt.
Die Ratlosigkeit der derzeitigen Koalition bei der Lösung der drängenden Probleme der deutschen Hochschulen wird hier meiner Meinung nach nur zu deutlich.
- Durchaus; aber wir reden hier im Bundestag. - Kein Konzept für deren Zukunft; eine angemessene finanzielle Ausstattung vor allem bei Forschung und Hochschulbau ist nicht in Sicht. Statt dessen setzt man die Daumenschrauben an, forciert eine soziale Selektion der Studierenden und will dann auch noch einen zweiten Leistungsnachweis nur für BAföG- Empfänger einführen. Herr Laermann, darum geht es in diesem Kontext. Die Botschaft der Bundesregierung: Kinder einkommensschwacher Familien, bleibt zu Hause, sucht euch einen nichtakademischen Beruf! Wir definieren selbst, wer nach Ansicht der CDU und der CSU das Recht auf Bildung hat.
Betrüblich ist hier die Haltung des kleinen Koalitionspartners, der sich offensichtlich von früheren liberalen Bildungsvisionen längst verabschiedet hat, auf eigenständiges Agieren trotz schöner Reden verzichtet und sich scheinbar nur noch als Mehrheitsbeschaffer versteht.
Die vorgestern vorgestellte Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes macht die Lage deutlich. Nehmen wir nur die Schlagzeilen der dpa-Meldung vom 9. Mai:
Immer weniger Studenten erhalten BAföG - Eltern müssen tiefer in die Tasche greifen - Studium vor allem bei Beamtenkindern populär.
Seit Machtübernahme der derzeitigen Koalition 1982 sank der Anteil der studierenden Arbeiterkinder von 23 % auf 15 %; von 100 Beamtenkindern jedoch studieren heute 65. Dieser Prozeß ist erklärbar, stiegen doch die durchschnittlichen monatlichen Ausgaben der Studenten in den alten Bundesländern in den letzten drei Jahren von 1 086 DM auf 1 231 DM, die der Studenten in den neuen Bundesländern von 581 DM auf 847 DM. Das heißt: Ohne Elternhilfe oder Jobben kann man in dieser Republik nicht studieren.
Mittlerweile arbeiten zwei Drittel aller Studenten nicht nur in den Ferien, sondern auch während des laufenden Semesters. Dies allerdings, wie Frau Yzer es vorgestern praktizierte, lediglich als der Verbesserung des Lebensstandards dienend zu interpretieren verharmlost fatal die Lage, geht am Thema sträflich vorbei.
Fakt ist doch vielmehr, daß gerade im Bereich der
Einkommensschwachen die kompensierende Unterstützung der Eltern nur begrenzt möglich ist, Hinzuverdienst hier also als essentielle Notwendigkeit der Lebensgrundsicherung und damit der Studierfähigkeit angesehen werden muß. Offensichtlich ist die Staatssekretärin während ihres noch gar nicht so lange zurückliegenden Studiums mit einer sozialen Filzbrille umhergelaufen.
Daß Jobben Zeit kostet, die beim Studieren fehlt, dürfte klar sein, auch, daß BAföG-Empfänger ihr Studienziel im Schnitt zwei Semester früher erreichen. Aussage des Generalsekretärs der Hochschulrektorenkonferenz, Dr. Lange, bei der gestrigen Anhörung im Ausschuß:
Die nicht angemessene Steigerung des BAföG muß als externe Studienzeitverlängerung angesehen werden.
Wie aber verträgt sich das mit der immer wieder beschworenen Absicht der Bundesregierung, die Studienzeiten zu verkürzen? Besonders deutlich zeigt sich die beklagenswerte Situation in den neuen Bundesländern. Zwar sind hier die elterlichen Einkommen in den vergangenen Jahren gestiegen, doch die Möglichkeit des Zuverdienstes besteht auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit kaum.
Im Lichte dieser Fakten verwundert die Bildungsbeteiligung am Hochschulstudium mit 21 % in den neuen Bundesländern gegenüber 32 % in den Altländern nicht. Dies macht nur zu deutlich, wie sich die soziale Lage unmittelbar auf die Chance zur Teilnahme an der höheren Bildung auswirkt.
Zusätzlich treibt die miserable Wohnungssituation die Miete für die Studenten in die Höhe. Wir haben hier eine gegenläufige Entwicklung von einerseits steigenden Kosten und andererseits mangelnden Möglichkeiten zum Zuverdienst. 34 % seiner Mittel muß der durchschnittliche deutsche Student heute für seine „Bude" ausgeben. Neben der Forderung nach einer deutlichen Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge um mehr als 4 % - und dies mit Beginn des Haushaltsjahres 1995 - zeigt sich hier zusätzlich der dringende Bedarf nach einer umgehenden Gleichstellung ost- und westdeutscher Studierender.
Der Betrag nach der Härteverordnung sollte auf mindestens 150 DM angehoben werden. Interessant erscheint der Vorschlag der GEW, nach Vorbild der Tarifpartner bei Nichteinigung über rückwirkende Anhebung von Leistungen durch eine Einmalzahlung zu einem Ausgleich von Kaufkraftverlust zu kommen. Auch die BAföG-Erhöhung an die Entwicklung der Renten zu koppeln hat durchaus einen gewissen Charme.
Die zu späte und zu gering ausfallende Anpassung des BAföG mit einem zweiten Studienstandsnachweis zu verknüpfen ist nach meiner Meinung nicht nur unzulässig, sondern auch völlig unsinnig. Bemerkenswerterweise war es gestern gerade der Vertreter des RCDS, der darauf hinwies, daß niemand wisse, was ein zweiter Studienstandsnachweis eigentlich bedeute, und daß bei einer derzeitigen Quote von Studienabbrechern nach dem dritten oder vierten Seme-
Tilo Braune
ster der ganze Aufwand für nur ca. 0,5 % bis maximal 1 % der Studierenden betrieben werde.
Und dafür kämen etwa 50 000 zusätzliche Prüfungen auf die Hochschulen zu. - Hier schießt doch jemand mit Kanonen auf Spatzen. Wir brauchen keinen sozialen Numerus clausus, vom Verschleudern akademischer Ressourcen und dem nicht hinnehmbaren Eingriff in die Selbstverwaltungsrechte der Hochschulen ganz zu schweigen. Überschrift: Aktionismus versus sinnvolle, notwendige und durchdachte Studienstrukturreform.
Was also ist zu tun? Wir brauchen eine zumindest auf Jahresbeginn bezogene über vierprozentige Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge, eine Erhöhung des Betrags nach der Härteverordnung auf wenigstens 150 DM, keine Verquickung der BAföG-Regelungen mit Eingriffen in landeshoheitliche Regelungskompetenzen. Allen erneuten Ambitionen der Bundesregierung zur Umstellung des BAföG auf Volldarlehen erteilen wir Sozialdemokraten eine klare Absage.
Ich fordere die Bundesregierung auf, die unwürdige BAföG-Feilscherei endlich zu beenden und umgehend einer an den Bedürfnissen der Empfänger orientierten fairen Lösung des Problems zuzustimmen. Soziale Leistungsgesetze dürfen nicht länger als Steinbruch orientierungsloser konservativer Finanzpolitik mißbraucht werden.
Vielen Dank.
Ich erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, unserer Kollegin Cornelia Yzer, das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am Schluß einer Debatte, die nach bekanntem Ritual abgelaufen ist - die Koalition sichert Leistungsverbesserungen zu, die Opposition ruft: Zuwenig! -, möchte ich an Sie alle appellieren, nunmehr dafür Sorge zu tragen, daß der Gesetzentwurf der Koalition zügig durch die parlamentarischen Beratungen läuft, damit die Studenten endlich die Verbesserungen bekommen, die in dem Gesetzentwurf vorgesehen sind.
Ich sage „endlich", weil das Ganze schon in der letzten Legislaturperiode hätte umgesetzt werden sollen.
Welche Blockadehaltung streben Sie jetzt wieder an? Frau Odendahl - Sie haben es selbst schon angedeutet -, Sie wollen doch wiederum blockieren; denn einerseits sagen Sie, daß uns das alles inhaltlich schon aus der letzten Legislaturperiode bekannt ist, andererseits sagen Sie, die kurzfristige Einbringung werde dazu führen, daß man das Ganze im parlamentarischen Bereich nicht hinreichend diskutieren könne. Ich denke, Sie kennen schon alles; widersprechen Sie sich doch nicht selbst!
Die hier bereits mehrfach zitierte Erhebung zur sozialen Situation der Studierenden - deren Vorbericht ich vorgestern vorgestellt habe - belegt, daß die soziale Lage der Studierenden keineswegs rosig ist. Es wäre aber fahrlässig und ginge an der Realität vorbei, wenn die soziale Situation der Studierenden als dramatisch bezeichnet würde - so wie Sie es von seiten der Opposition seit einigen Tagen ständig versuchen.
Ich will die Situation nicht schönreden. Aber monatliche Einnahmen, deren Mittelwert in den alten Ländern bei 1 246 DM liegt, sind doch wohl akzeptabel.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?
Bitte.
Frau Staatssekretärin, sind Sie bereit, zu differenzieren, daß das Mittel des studentischen Einkommens von 1 200 DM, das Sie soeben angesprochen haben, zu einem großen Teil aus Werksarbeit erwirtschaftet wird und daß der Gefördertenbetrag für Studierende derzeit im Durchschnitt 574 DM beträgt?
Frau Kollegin Odendahl, hätten Sie eine Sekunde gewartet, wären wir schon an dem Punkt gewesen, weil ich jetzt darauf eingehen werde.
Ich konstatiere durchaus, daß die monatlichen Einnahmen zum Teil auf kontinuierliche Erwerbstätigkeit zurückzuführen sind. Das „Jobben" findet heute längst nicht mehr nur in vorlesungsfreien Zeiten statt, sondern ebensohäufig auch während des Semesters. Aber - nun komme ich zum Kollegen Braune, der das vorhin schon angemerkt hat - aus der Sozialerhebung geht durchaus hervor - das wissen Sie auch -, daß die Erwerbstätigkeit in erster Linie aufgenommen wird, um einen höheren Lebensstandard zu sichern, was ich für völlig legitim halte. Die Erwerbstätigkeit aus ökonomischer Notwendigkeit steht nach der Sozialerhebung nachrangig an zweiter Stelle.
Es ist hier nun wirklich nicht meine Aufgabe, mein Leben darzulegen, Herr Kollege Braune. Aber da es Sie so sehr zu interessieren scheint, möchte ich Ihnen sagen: Ich habe mit BAföG, mit einer Volldarlehensregelung studiert, zu einer Zeit, als Sie, die Opposition, auf die Barrikaden gingen und sagten „Das ist
Parl. Staatssekretärin Cornelia Yzer
alles nicht mehr erträglich", die Studenten zum Streik aufriefen, jedenfalls durch die Hochschulgruppen. Ich weiß also, was es heißt, auch Nebentätigkeiten nachzugehen. Ich weiß, was es heißt, die Studienzeit dennoch kurz zu halten. Weil ich es aus eigener Erfahrung weiß, meine ich, hier dezidiert sagen zu können, was anderen zumutbar ist.
Tatsache ist auch, daß die Gefördertenquote in der Tat gesunken ist, weil die Einkommen der Eltern gestiegen sind. Das gilt erfreulicherweise auch für die neuen Länder. Es verwundert mich schon, wenn angesichts dieser Fakten das Absinken der Gefördertenquote beklagt wird, statt positiv zu werten, daß Menschen auf eigene Leistungskraft bauen können, anstatt auf staatliche Transferleistungen angewiesen zu sein.
Was die Bildungsbeteiligung anbelangt, möchte ich darauf hinweisen: Es gibt eben keinen statistisch belegbaren Indikator dafür, daß die Entwicklung der Bildungsbeteiligung der verschiedenen Schichten mit Veränderungen des Ausbildungsförderungsrechts der letzten Jahre zusammenhängt. Denn die Bildungsbeteiligung der Kinder aus Arbeiterfamilien ist zur Zeit so hoch wie nie zuvor. Sie stieg im Zeitraum von 1985 bis 1993, dem Erhebungszeitraum der Vorstudie, von 6,9 auf 15,1 %. Ich kann an dieser Stelle nur versichern: Die Bundesregierung wird dafür einstehen, daß die Rahmenbedingungen für das Studium stimmen. Daß dies unter dem Strich so ist, hat gerade die Sozialerhebung belegt.
Immer wieder werden die studentischen Ausgaben mit der BAföG-Höchstförderung verglichen. Das zeigt allerdings nur die halbe Wahrheit; denn man darf weder das Kindergeld noch den Kindergeldzuschlag für Familien unterer Einkommensgruppen außer acht lassen. Dann wird nach den Verbesserungen, die das 17. BAföG-Änderungsgesetz bringt, eine Summe von 1 125 DM in den alten Ländern und 1 115 DM in den neuen Ländern erreicht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zum Studienstandsnachweis - er wurde auch heute immer wieder thematisiert - machen. Die Diskussion, wie sie von der Opposition geführt wurde, geht an der Realität vorbei. Sie sprechen von „Leistungsnachweis", obwohl Sie wissen, daß es keiner sein soll. Wir wollen einen Studienstandsnachweis installieren, den die Ausbildungsstätten nach eigenen Kriterien entwickeln müssen. Am Ende des zweiten Semesters sollen sie gemeinsam mit den Studenten nachsehen - ich sage hier bewußt nicht „nachprüfen" -, ob die in üblicher Form geforderte Befassung der Studierenden mit dem Studiengegenstand erfolgt ist.
Daß damit eine intensive Studienberatung durch die Hochschulen einhergehen muß, auch um Orientierungshilfe für die Studenten zu geben, ist eine Selbstverständlichkeit.
Deshalb wollen wir diesen ersten Ansatz, den wir entwickelt haben, nicht auf die BAföG-Bezieher verengen. Vielmehr wollen wir einen generellen Studienstandsnachweis nach dem zweiten Semester. Den Studienstandsnachweis für alle Studierenden fordern wir in Übereinstimmung mit der Hochschulrektorenkonferenz,
weil wir überzeugt sind, daß dies ein Ansatzpunkt ist, um bessere Orientierung zu geben.
Wenn Sie behaupten, nach zwei Semestern könne man nicht mehr als eine Immatrikulationsbescheinigung vorlegen, dann ist doch der Umkehrschluß, daß wir über die sachliche und personelle Ausstattung der Hochschulen reden müssen. Es hilft doch gar nichts, Studenten mit BAföG auszustatten, sie für zwei Semester „auf Tour" zu schicken, wenn sie, wie Sie unterstellen, überhaupt nichts lernen können. Wir müssen hier mit offenen Karten spielen. Es wird offenkundig sein, daß der Studienstandsnachweis dem einzelnen Studenten Hilfestellung geben wird. Deshalb ist unsere Zielrichtung, ihn für alle einzuführen.
Der Gesetzentwurf orientiert sich am Machbaren; das ist wahr. Mehr als eine vierprozentige Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge ist in der Tat derzeit finanzpolitisch nicht verantwortbar. Wenn man sich mit den finanziellen Rahmenbedingungen von Bund und Ländern befaßt, dann weiß man - das wollen Sie sicher nicht bestreiten, oder will die Opposition hier behaupten, die Länder hätten zuviel Geld? -, daß mehr nicht machbar ist. Die Wahrung der Haushaltsdisziplin gehört auch zur Zukunftssicherung für die junge Generation.
Ich bin nach wie vor der Meinung, daß sich die ins Auge gefaßten Verbesserungen in Zeiten knapper Kassen durchaus sehen lassen können. Es geht hier nicht nur um die Erhöhung von Bedarfssätzen und Freibeträgen, sondern auch um die Anpassung der Sozialpauschalen zur Abgeltung der Beiträge für die soziale Sicherung. Die Pflegeversicherung ist in Kraft getreten. Eltern bzw. Studierende zahlen nunmehr die Beiträge, weil wir die neue Regelung auf Grund Ihrer Verweigerungshaltung noch nicht haben schaffen können.
Deshalb zum Ende noch einmal: Geben Sie Ihre Verweigerungshaltung auf! Verlangen Sie keine Schnellschüsse! Wir brauchen eine umfassende Umstrukturierung, aber wir müssen den ersten Schritt tun, um Studenten besser abzusichern. Dann werden wir auch eine Strukturreform des BAföG vornehmen, die insbesondere dahin geht, neue Bedürfnisse bei Studierenden abzusichern, wie z. B. die Interna-
Parl. Staatssekretärin Cornelia Yzer
tionalisierung. Auch wollen wir eine bessere Absicherung derjenigen
- meine Redezeit ist um -, die ein Studieren parallel zur Erwerbsarbeit anstreben.
Die Redezeit war schon überschritten, Herr Kollege Tauss. Deshalb konnte ich gar nicht mehr unterbrechen, um eine Zwischenfrage zuzulassen.
Ich erteile Herrn Kollegen Tauss zu einer Kurzintervention das Wort.
Ich habe damit wenig Probleme, Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, ich wollte Sie daran erinnern, daß auf Grund der Verzögerungen, die durch das Verhalten der Bundesregierung und insbesondere durch das Verhalten der Regierungskoalition im letzten Jahr entstanden sind, der Staat in erheblichem Maße auf Kosten der Studierenden BAföG-Mittel eingespart hat. Aus diesem Grunde halte ich es nicht für redlich, hier so zu tun, als habe das mit Sparsamkeit zu tun. Es hängt ausschließlich damit zusammen, daß von Ihrer Seite verzögert wird und daß Sie die 700 Millionen DM, die letztlich den Studenten vorenthalten wurden, nach wie vor nicht in der gebührenden Form einstellen wollen. Das muß korrekterweise dazugesagt werden.
Danke schön.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, Sie können darauf antworten, wenn Sie wollen.
Wir wollen die Studenten nunmehr mit den Leistungen ausstatten, die wir im vergangenen Jahr schon vorgesehen hatten. Bei Ihrer Blockadehaltung
wußten Sie, daß Zeit verstreichen würde und eine Rückwirkung bei sozialen Leistungstatbeständen nicht üblich ist.
Ich schließe die Aussprache.
- Auch Zwischenrufe gehören zur Aussprache, aber die Aussprache ist geschlossen.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/1301
- Herr Kollege, ich möchte, daß die anderen hören, was mit dem Antrag geschehen soll - an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge?
Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Interfraktionell ist vereinbart, Zusatzpunkt 7 b, Beratung des Antrags der Gruppe der PDS zur Wiedereinführung einer Investitionszulage auf Drucksache 13/859, wieder von der Tagesordnung abzusetzen. Sind Sie damit einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist auch das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13a bis 13f sowie Zusatzpunkt 7 a auf:
13. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wehrpflichtrechtlicher, soldatenrechtlicher, beamtenrechtlicher
und anderer Vorschriften
- Drucksache 13/1209 —Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen
- Drucksache 13/1298 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Haushaltsausschuß
c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Abschiebestopp für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Rest-Jugoslawien
- Drucksache 13/830 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß Auswärtiger Ausschuß
Vizepräsident Hans Klein
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Sielaff, Heidemarie Wright, Anke Fuchs , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Legalisierung des Anbaus von rauschmittelarmem Hanf und Förderung von Hanf als nachwachsendem Rohstoff
- Drucksache 13/811-
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Gesundheit
e) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Wiesbaden, ehemaliges Camp Pieri
- Drucksache 13/1212 -Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß
f) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung des Flugplatzes Söllingen an die Grundstückserwerbsgesellschaft Rheinmünster und Hügelsheim - Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit dem Sitz in Rheinmünster
- Drucksache 13/1213 —Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
ZP7 weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Senkung der Mineralölsteuer für erdgasbetriebene Fahrzeuge
- Drucksache 13/1071 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Besteht damit Einverständnis des Hauses? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14a bis 14g sowie die Zusatzpunkte 8a und 8 b auf:
14. Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität
- Drucksachen 12/8537 Nr. 73, 13/725 Nr. 168, 13/1055 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Paziorek Dietmar Schütz
Dr. Rainer Ortleb
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung der Bundesregierung Mitteilung der Kommission an den Rat über die Verfütterung bestimmter tierischer Abfälle an Tiere, deren Fleisch nicht zum Verzehr bestimmt ist
Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über die veterinär- und tierseuchenrechtlichen Vorschriften für die Behandlung bestimmter tierischer Abfälle, die zur lokalen Vermarktung als Futtermittel für bestimmte Tierkategorien bestimmt sind
- Drucksachen 13/218 Nr. 57, 13/1148 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Marianne Klappert
c) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Antrag auf Genehmigung zur Fortsetzung eines Strafverfahrens
- Drucksache 13/1247 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dieter Wiefelspütz
d) Beartung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 27 zu Petitionen
- Drucksache 13/1220 -
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 28 zu Petitionen
- Drucksache 13/1221 -
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 29 zu Petitionen
- Drucksache 13/1222 -
g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 30 zu Petitionen
- Drucksache 13/1223 -
ZP8 weitere Abschließende Beratungen ohne Aussprache
Vizepräsident Hans Klein
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes
- Drucksache 13/115 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes
- Drucksachen 13/781, 13/1141 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/1315 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Altmaier Detlef Kleinert Ludwig Stiegler
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Manfred Such, Kerstin Müller , Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
- zu dem Antrag der Fraktion der SPD Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
- zu dem Antrag der Fraktion der CDU/ CSU und der F.D.P.
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
- Drucksachen 13/1176, 13/1196, 13/ 1202, 13/1323 -
Berichterstattung: Abgeordnete Jörg van Essen
Ronald Pofalla Simone Probst Erika Simm
Punkt 14 a: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu einem Richtlinienvorschlag der Europäischen Union zur Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität, Drucksache 13/1055. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Punkt 14b: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu einem Vorschlag der Europäischen Union zur Behandlung bestimmter tierischer Abfälle, Drucksache 13/1148. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Punkt 14 c: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung der Fortsetzung eines Strafverfahrens, Drucksache 13/1247. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Punkte 14 d bis g: Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 13/1220 bis 13/1223. Das sind die Sammelübersichten 27 bis 30. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlungen sind angenommen.
Zusatzpunkt 8a: Wir kommen zur Abstimmung über die von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes, Drucksachen 13/115, 13/781 und 13/1141. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/1315, die Gesetzentwürfe zusammenzuführen und in der Ausschußfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer lehnt den Gesetzentwurf ab? - Wer enthält sich seiner Stimme? - Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 8 b: Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu den Anträgen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Fraktion der SPD sowie der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, Drucksachen 13/1176, 13/1196, 13/1202 und 13/ 1323.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor. Der Kollege Manfred Müller hat eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung vorgelegt.*) Darüber informiere ich das Haus.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über die Nr. I des Änderungsantrages der PDS auf Drucksache 13/1324, Erhöhung der Mitgliederzahl auf 13 und volles Stimmrecht für die PDS. Wer stimmt für die Nr. I? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. I ist abgelehnt.
Wir stimmen über die Nr. II des Änderungsantrages der PDS ab, Erhöhung der Mitgliederzahl auf 17, volles Stimmrecht für die PDS. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Nr. II ist ebenfalls abgelehnt.
Damit ist der Änderungsantrag insgesamt abgelehnt.
*) Anlage 2
Vizepräsident Hans Klein
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Damit ist der Untersuchungsausschuß eingesetzt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 13/1265 -
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Michaela Geiger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 auf, die der Kollege Dr. Helmut Lippelt gestellt hat:
Wann und von wem sind die Übungen am 27. April 1995 auf dem Truppenübungsplatz Bergen angeordnet worden, die während der zentralen Gedenkfeier auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen anläßlich der Befreiung 1945 und in Anwesenheit von Überlebenden sowie Vertretern von Staaten und Kirchen aus aller Welt sowie des Bundeskanzlers stattgefunden und durch Panzerketten- und Schießlärm die Gedenkfeier empfindlich gestört haben?
Ich bitte um Beantwortung, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Herr Kollege, wenn Sie einverstanden sind, würde ich gern beide Fragen im Zusammenhang beantworten.
Ich rufe auch die Frage 7 des Abgeordneten Dr. Helmut Lippelt auf:
Welchen Zweck hatten die Übungen an diesem Tag, und wie beurteilt die Bundesregierung die Respektlosigkeit der Militärs bzw. der politisch Verantwortlichen angesichts dieses Ortes und dieses Anlasses des Gedenkens?
Für den 27. April 1995 war auf dem NATO-Truppenübungsplatz Bergen ursprünglich Ausbildung in normalem Umfang geplant. Die Ausbildungsthemen richteten sich wie üblich nach dem jeweiligen Ausbildungsstand der betreffenden Einheiten. Die Anordnung der einzelnen Ausbildungsvorhaben sowie deren Genehmigung erfolgten auf dem Dienstweg. Ein solches Genehmigungsverfahren dauert üblicherweise mehrere Monate.
Um die zentrale Gedenkfeier auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen nicht zu stören, hat der zuständige Kommandant des Truppenübungsplatzes jedoch mit dem Standortbefehl Nr. 2/95 vom 28. März 1995 erhebliche Einschränkungen des ursprünglich geplanten Übungs-konnte, daß in dieser Entfernung Kettengeräusche nicht mehr zu hören sind. Die Einhaltung des Fahrverbots im südlichen Platzteil wurde durch Feldjäger überwacht.
und Ausbildungsbetriebs für den 27. April 1995 befohlen. Durch diesen Standortbefehl wurde der Schießbetrieb an diesem Tag verboten. Ausbildung mit Rad- und Kettenfahrzeugen wurde nur auf dem nördlichen Platzteil in über 8 km Entfernung von der Gedenkstätte zugelassen, da man davon ausgehen
Auf dem Truppenübungsplatz Bergen fiel am 27. April 1995 kein Schuß. Darüber hinaus wurde auf Bitten der örtlichen Polizei der zivile Schwerlastverkehr weiträumig an der Gedenkstätte vorbei über die Panzerringstraße umgeleitet.
Die Bundeswehr in Bergen war also bemüht, jede Beeinträchtigung der zentralen Gedenkfeier zu vermeiden.
Bedauerlicherweise war aber während der Rede des Bundespräsidenten schwacher Schießlärm vom 22 km weit entfernten Truppenübungsplatz Munster zu hören. Der bei der Gedenkfeier anwesende Chef des Stabes WBK II/1. Panzerdivision hat noch während der Rede des Bundespräsidenten über Funk befohlen, das Schießen in Munster einzustellen, was sofort befolgt wurde.
Herr Kollege Dr. Lippelt, ich würde es persönlich sehr bedauern, wenn sich trotz der getroffenen umfangreichen und umsichtigen Maßnahmen der Bundeswehr Teilnehmer der Gedenkfeier beeinträchtigt gefühlt hätten.
Bitte sehr, Herr Kollege Dr. Lippelt, wenn Sie Zusatzfragen stellen wollen, die erste.
Frau Staatssekretärin, auch ich habe es zugegebenermaßen nur schwach gehört. Aber es war nicht das erste Mal bei solchen Gedenktagen. Da ich davon ausgehe, daß dem Ministerium und auch Ihnen der direkte Zusammenhang bewußt ist, nämlich daß dieses Konzentrationslager nicht neben einem Truppenübungsplatz entstanden, sondern historisch aus dem Truppenübungsplatz heraus erwachsen ist: Läge es nicht nahe, daß das Ministerium einmal darüber nachdenkt, daß grundsätzlich bei Gedenktagen solcher Art der Truppenübungsplatz geschlossen wird?
Herr Abgeordneter Dr. Lippelt, Sie haben ja gehört, daß die Bundeswehr durchaus reagiert hat, daß mit dem Standortbefehl Nr. 2/95 auf diese besondere Situation reagiert wurde. Dieser Standortbefehl liegt mir vor. In ihm wurde darauf hingewiesen, was auf der Gedenkstätte vorgeht. Von dem hinteren Teil des Geländes, auf dem geübt wurde, war wirklich nichts zu hören. Das, was zu hören war, muß wohl - wir sind der Sache nachgegangen - ein ziviler Schwertransport gewesen sein. Es scheint sich ein Tieflader in der Nähe bewegt zu haben.
Zweite Zusatzfrage.
Ich bitte trotzdem darum, diese Frage als eine politi-
Dr. Helmut Lippelt
sehe Frage im Ministerium weiter zu erwägen. Ich erbitte dazu Ihre Zustimmung.
Das können wir gerne machen, Herr Dr. Lippelt.
Sie haben noch zwei Fragen, wenn Sie wollen.
Ich glaube, eine reicht. - Frau Staatssekretärin, da wir jetzt über diesen Komplex sprechen: Ist Ihnen bekannt, daß am Abend des 8. Mai, eines Tages mit einem spezifischen Charakter, ein so starker Schießlärm herrschte, daß sich Anwohner selbst in den umliegenden Orten Winsen und Celle belästigt gefühlt haben und daß zumindest ein Mitglied des Rates der Stadt Celle dagegen protestiert hat?
Könnte man nicht über das Ministerium dafür sorgen, daß sich die Bundeswehr einmal den Kalender im Hinblick auf Tage mit einem solchen Charakter ansieht?
Dieser Vorgang ist mir nicht bekannt, Herr Dr. Lippelt, aber wir werden über die Sache nachdenken.
Danke sehr.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht. Dann bedanke ich mich, Frau Parlamentarische Staatssekretärin, für die Beantwortung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Die Fragen wird Staatsminister Bernd Schmidbauer beantworten.
Ich rufe die Frage 10, die der Kollege Norbert Gansel gestellt hat, auf:
Mit welchem Tagesdatum wurde der Bundeskanzler in seiner Ressortverantwortung für den Bundesnachrichtendienst, nachdem er am 19. Juli 1994 wegen des Tengener Zufallfundes von wenigen Gramm radioaktiven Materials einen persönlichen Brief an den russischen Präsidenten geschrieben hatte, davon informiert, daß in München mit Amtshilfe des BND von einem Scheinkäufer des bayerischen Landeskriminalamtes über den Ankauf von mehreren Kilo Plutonium verhandelt wurde, und ist die Antwort der Bundesregierung auf meine Anfrage Nr. 39, Drucksache 13/1162 so zu verstehen, daß daraufhin nichts veranlaßt worden ist?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Gansel, entgegen Ihrer Annahme liegt die Ressortverantwortung für den Bundesnachrichtendienst nach dem BND-Gesetz nicht beim Bundeskanzler, sondern beim Chef des Bundeskanzleramtes. Die Fach- und Dienstaufsicht über den Bundesnachrichtendienst erfolgt deshalb durch den Chef des Bundeskanzleramtes, der dabei durch den für die Koordinierung der Nachrichtendienste zuständigen Staatsminister beim Bundeskanzler unterstützt wird.
Wie ich bereits der Parlamentarischen Kontrollkommission und dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages mitgeteilt habe, bin ich am 25. Juli 1994 telefonisch durch den Leiter des Leitungsstabes des BND erstmals über den Vorgang informiert worden. Am 26. Juli 1994 wurde ich durch den Präsidenten des BND in Bonn mündlich und schriftlich darüber unterrichtet, daß das Bayerische Landeskriminalamt auf Grund eines Hinweises des BND Ermittlungen gegen eine internationale Tätergruppe führe und am 25. Juli 1994 eine Probe Nuklearmaterial übergeben worden sei.
Am 27. Juli 1994 wurden entsprechend dem in derartigen Fällen vorgesehenen Verfahren die fachlich zuständigen Bundes- und Landesbehörden durch eine sogenannte Nuklearsofortmeldung des Bundeskriminalamtes über die Sicherstellung der Probe unterrichtet. Dabei wurde u. a. darauf hingewiesen, daß das Bayerische Landeskriminalamt in der Angelegenheit ermittle. Empfänger dieser Nuklearsofortmeldung waren das Bundesministerium des Innern, das Bundesministerium der Finanzen, das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, das Auswärtige Amt, das Bayerische Innenministerium, das Landeskriminalamt Bayern, das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Zollkriminalamt, der Bundesnachrichtendienst und die Grenzschutzdirektion Koblenz.
Der Bundeskanzler ist mehrfach in allgemeiner Weise über die sich aus dem illegalen Nuklearhandel ergebenden Gefahren unterrichtet worden. Über die Vorgänge und näheren Umstände des Plutoniumschmuggels in München ist der Bundeskanzler erst am Wochenende des 12. auf den 13. August 1994 im Lichte der im Bundeskanzleramt vorhandenen Informationen informiert worden. Das Bundeskabinett habe ich am 17. August 1994 unterrichtet.
Die Bundesregierung hat bereits in der Vergangenheit wiederholt über ihre Maßnahmen, die vor und nach dem Münchener Plutoniumfall von ihr veranlaßt oder durchgeführt worden sind, die zuständigen parlamentarischen Gremien unterrichtet. In dem Münchener Plutoniumschmuggelfall wurde dem Bundeskanzleramt mündlich und schriftlich vom Bundesnachrichtendienst berichtet. Irgendein Anlaß für dienstaufsichtliche Maßnahmen hat sich daraus nicht ergeben.
Herr Kollege Gansel, wünschen Sie eine Zusatzfrage zu stellen? - Bitte.
Herr Staatsminister, mich interessiert der Umstand - und gegebenenfalls das Datum -, warum Sie den Bundeskanzler, der auf Grund eines Zufallsfundes von, ich glaube, 6 Gramm spaltbarem Material in einer Garage in Tengen am 19. Juli einen persönlichen Brief an den russischen Präsidenten Jelzin geschrieben hat mit der Beschwörung der Gefahr des illegalen Nuklearhandels und dem Aufruf zu gemeinsamer Arbeit, eine Woche später, nachdem Sie erfahren hatten, daß in München
Norbert Gansel
eine Probe, in ungefähr dem gleichen Umfang wie in Tengen aufgefunden, übergeben worden war und daß nun über mehrere Kilo Plutonium, Stoff für eine Bombe, aus der ehemaligen Sowjetunion verhandelt wurde, nicht unmittelbar informiert haben, so daß er seinen Brief an den russischen Präsidenten um die Bitte hätte ergänzen können, gemeinsam dafür zu sorgen, daß die vier Kilo Plutonium, die ursprünglich angedacht worden waren, von denen dann ein halbes Kilo gekommen ist, nicht nach Deutschland verbracht werden?
Herr Kollege, Sie haben aus der Antwort, die ich Ihnen gegeben habe, völlig falsche Schlüsse gezogen. Sie wissen sehr genau, daß es innerhalb der letzten Jahre eine bedrohliche Zunahme an Fällen dieser Art gegeben hat. Ich erinnere daran, daß es in den letzten beiden Jahren einen hundertprozentigen Anstieg gab, daß es dabei nicht nur um fiktive Mengenangaben in diesem einen Fall geht, sondern daß Angaben über solche Mengen auch schon in anderen Meldungen in Umlauf gesetzt worden sind und daß es neben Tengen und München in der Bundesrepublik Deutschland andere Fälle gegeben hat.
Deshalb habe ich Ihnen die Antwort gegeben, daß der Bundeskanzler mehrfach in allgemeiner Weise über die sich aus dem illegalen Nuklearhandel ergebenden Gefahren unterrichtet wurde. Es gab auch viele Hinweise, die sich hinterher als falsch herausgestellt haben. Es gab viele Hinweise, bei denen sich herausstellte, daß sich die Ereignisse nicht auf unserem Boden abgespielt haben.
Deshalb können die Schlüsse, die Sie in Ihrer Zusatzfrage gezogen haben, von mir nicht nachvollzogen werden. Ich sagte Ihnen das hier mehrfach. Im übrigen wurde dies auch der Parlamentarischen Kontrollkommission als Information gegeben, einschließlich der Briefe, die geschrieben wurden. Aus dem Briefwechsel und den sich sehr schnell aus den Gesprächen in Moskau ergebenden Konsequenzen müßte Ihnen klar sein, welche Folgerungen wir in kurzer Zeit aus diesen Gefahren gezogen haben.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel.
Da ich wie Sie an gesetzliche Geheimhaltungsvorschriften gebunden bin und hier nicht unter dem Schutz der Indemnität aus der PKK berichten will, ich aber sehr wohl Fragen stellen kann, die mir in der PKK nicht beantwortet worden sind, frage ich Sie noch einmal: Wann, an welchem Tag, mit welchem Datum, haben Sie den Bundeskanzler darüber informiert, daß ein Scheinaufkäufer des Bayerischen Landeskriminalamts unter Amtshilfe eines Dolmetschers und mit Beteiligung von V-Leuten des BND tätig wurde, und das eine Woche, nachdem wegen sechs Gramm Plutonium ein Brandbrief an den russischen Präsidenten geschrieben worden war? Oder ist der Bundeskanzler wirklich im ungewissen darüber gelassen worden, daß nunmehr Verhandlungen über vier Kilo Plutonium, Stoff für eine Atombombe, geführt wurden? Sie können uns doch nicht weismachen, daß Sie dem Bundeskanzler nicht die Chance gegeben haben, in Anbetracht dieser dramatischen Zuspitzung den russischen Präsidenten zu informieren und ihn um Mithilfe zu bitten.
Herr Kollege Gansel, ich darf Ihnen noch einmal sagen, daß Sie in dieser Frage etwas unterstellen, was so nicht abgelaufen ist.
Ich darf noch einmal wiederholen: Der Bundeskanzler ist mehrfach in allgemeiner Weise - wenn das gesagt wird, dann wird das wohl auch in der entsprechenden Lagebesprechung so gewesen sein - über die sich aus dem illegalen Nuklearhandel ergebenden Gefahren unterrichtet worden. Es handelt sich dabei um eine Menge an Informationen, die besprochen wurden. Sehr deutlich habe ich Ihnen das Datum genannt, daß nämlich über die näheren Umstände des Plutoniumschmuggels in München der Bundeskanzler am Wochenende des 12. und 13. August 1994 im Lichte der im Bundeskanzleramt vorhandenen Informationen unterrichtet wurde. Ich bin am 11. das erste Mal über die näheren Umstände dieses Verfahrens informiert worden, das Kabinett am 17. August. Ich darf daran erinnern, daß bereits am 22. August ein entsprechendes Memorandum in Moskau abgeschlossen wurde.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Schily.
Herr Staatsminister Schmidbauer, nach den bisherigen Informationen, die vorliegen, muß ein Verdacht, welchen Grades immer, entstanden sein, daß eine größere Menge Plutonium auf dem Flugwege nach Deutschland transportiert wird. Meine Frage lautet: Wann ist der Bundeskanzler von diesem Verdacht informiert worden?
Herr Kollege Schily, auch Sie haben in Ihrer Frage etwas unterstellt, was nicht Kenntnis derer war, die sich mit diesem Vorgang beschäftigt haben. Ich darf daran erinnern, daß sämtliche zuständigen Stellen - ich kann hier nur aus der Kenntnis dieser zuständigen Stellen zitieren - vorab nicht darüber informiert wurden, daß es zu einem Transport mit einer Lufthansa-Maschine am 10. August kommen würde.
- Es ist mir nicht bekannt, wann dieser Verdacht zum erstenmal den zuständigen Stellen bekannt wurde. Es gab mehrere Hinweise auf Fundorte in der Bundesrepublik Deutschland, und es gab in der Vergangenheit auch mehrere Angaben über KilogrammMengen, die sich dann als unrichtig herausgestellt haben. Dies hat man in den vergangenen Jahren häufig an Meldungen über Mengenangaben
Staatsminister Bernd Schmidbauer
sehen können, die sich erst hinterher als nicht realistisch erwiesen haben, übrigens auch im Münchener Fall nicht. Denn, Herr Kollege - das darf ich Ihnen sagen -, ist der Fall mit den Mengenangaben, die Sie erwähnen, in München ja ebenfalls nicht eingetreten. Trotzdem waren uns und auch den Mitgliedern der Parlamentarischen Kontrollkommission Fälle bekanntgeworden, bei denen es in der Tat um Verdachtsmomente ging, daß in der Bundesrepublik Deutschland Plutonium in Kilogramm-Menge vorhanden sein soll. Diesen Dingen wurde auch immer nachgegangen, und entsprechende Hinweise haben ja dann ergeben, daß dieser Tatbestand nicht eingetreten ist.
Aber hierüber - ich will es noch einmal sagen - ist in aller Ausführlichkeit in mehreren Sitzungen, in insgesamt vier Sitzungen und einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses, zusätzlich im Innenausschuß, in allen Details gesprochen und sind Antworten gegeben worden, teilweise auf 80 Fragen, die in diesem Komplex beantwortet wurden. Ich habe übrigens gerade in dieser Sitzung keine zusätzlichen Fragen bekommen.
Weitere Zusatzfragen? - Kollege Graf.
Herr Staatsminister, ganz konkret: Wann haben Sie persönlich von den Münchner Verhältnissen erfahren, und wann haben Sie persönlich den Herrn Bundeskanzler erstmalig informiert?
Herr Kollege, ich habe das in meiner Antwort auf die Frage von Herrn Kollegen Gansel gesagt. Im übrigen möchte ich bemerken, daß diese Antworten immer identisch waren, auch wenn die eine oder andere Presse meinte, da gäbe es Widersprüche.
Ich wiederhole es noch einmal und gerne: Ich bin am 25. Juli 1994 erstmals über diesen Vorgang informiert worden, am 26. Juli schriftlich durch den Präsidenten hier in Bonn. Am 27. Juli wurde allen zuständigen Ministerien des Bundes und der Länder durch eine entsprechende Sofortmeldung, die sogenannte Nuklearsofortmeldung, diese Information in dem Umfang, der zu diesem Zeitpunkt vorlag, gegeben.
Ich will darauf hinweisen, damit es auch klar wird, daß zu diesem Zeitpunkt bereits Plutonium in München vorhanden war, nicht transportiert werden mußte, sondern vorhanden war. Das war die Probe, die zur Nuklearsofortmeldung geführt hat. Über den Hintergrund der uns vorliegenden Informationen am 11. August ist der Bundeskanzler am Wochenende 12./13. August von mir in Kenntnis gesetzt worden.
Das war die Kette, und das sind Informationen, die ich Ihnen geben kann. Da wird auch nichts anderes ausgedrückt werden können, sondern es wird bei dem bleiben, was ich eben hier gesagt habe und was, wie ich noch einmal wiederhole, in mehreren Sitzungen und stundenlangen Diskussionen auch zur Zufriedenheit der Mitglieder in diesen Ausschüssen erläutert wurde.
Daran wird sich nichts ändern, kann sich auch nichts andern. Das sind die feststehenden Daten, die ich mehrfach zur Kenntnis gegeben habe, übrigens nicht nur ich. Auch die anderen Betroffenen, die Sie fragen, haben auch in entsprechender Weise geantwortet.
Nächste Zusatzfrage, Kollegin Rehbock-Zureich.
Hat der Bundeskanzler von Ihrer Seite wirklich keinerlei Informationen zwischen dem 19. Juli und dem 12. August erhalten?
Ich erspare es mir jetzt, eine Antwort zu geben. Das sind Unterstellungen, die Sie mit dieser Frage initiieren.
Ich sagte Ihnen mehrfach und bin bereit, es zu wiederholen - im übrigen haben wir einen Untersuchungsausschuß heute eingesetzt -, und ich darf es gern noch einmal zitieren:
Der Bundeskanzler ist mehrfach in allgemeiner Weise über die sich aus dem illegalen Nuklearhandel ergebenden Gefahren unterrichtet worden.
Im übrigen gab es auch Berichte der zuständigen Dienste, und es gab nicht nur München, sondern auch andere Vorkommnisse, die uns sehr irritiert und beunruhigt hatten, und ich kenne bisher wenige, die abstreiten wollen, daß es hier zu einer Gefährdung der Bürger in diesem Lande hätte kommen können. Das hat uns umgetrieben.
Über die Vorgänge und näheren Umstände des Plutoniumschmuggels in München ist der Bundeskanzler am Wochenende 12./13. August 1994 im Lichte der im Bundeskanzleramt vorhandenen Informationen in Kenntnis gesetzt worden. Im übrigen hat das dazu geführt - ich will es noch einmal wiederholen -, daß wenige Tage später, am 22. August, bereits die entsprechenden Vereinbarungen mit der Russischen Föderation abgeschlossen wurden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Beucher.
Herr Staatsminister, Sie haben an verschiedenen Stellen gesagt, daß die Behörden vorbereitet waren, daß da etwas kommt. Können Sie uns sagen, wann Sie den Verdacht hatten, daß da etwas kommt, weil das ja in einem unmittelbaren Sachzusammenhang zur Vorbereitung auf den Vorgang steht, und wann oder ob Sie diese Verdachtsmomente, falls Sie solche hatten, weitergegeben haben?
Herr Kollege, das sind Formulierungen, die von mir so nicht gefallen sind, sondern ich wiederhole noch einmal, damit einem das Wort nicht im Munde umgedreht wird: die Erstinformation von mir am 25./26., an beiden Tagen; die weitere schriftliche Information an das Bundeskanzleramt - ich erwähne das zusätzlich - am 3. August; am 11. August, einen Tag nach Landung der Lufthansa-Maschine in München, meine Information von den dafür zuständigen Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes. Weitere Spekulationen, wer sich zu welchem Zeitpunkt vorbereitet hat, kann ich nicht anstellen. Mir ist nur bekannt, was das Bayerische Landeskriminalamt und die zuständige Justiz zu diesem Vorgang geäußert haben; aber das ist das Wissen, das Sie auch haben und das nach den Stellungnahmen der bayerischen Behörden, die ich in keiner Weise kritisieren will, jederzeit nachgelesen werden kann.
Kollege Thönnes.
Herr Staatsminister, wann haben Sie davon erfahren, daß der Bundeskanzler am 19. Juli 1994 einen Brief an den russischen Präsidenten in der Angelegenheit des Plutoniumschmuggels geschrieben hat, und waren Sie möglicherweise bei der Abfassung beteiligt?
Herr Kollege, das ist eine Frage, die in die innere Willensbildung der Bundesregierung hineingeht. Ich will sie Ihnen trotzdem gern beantworten.
Ich war beteiligt an der Problematik, die in der Bundesrepublik Deutschland durch dieses vagabundierende radioaktive Material auf uns zuzukommen drohte, und ich hatte auch Kenntnis vom Brief des Herrn Bundeskanzlers an den Präsidenten der Russischen Föderation.
Weitere Zusatzfragen? - Bitte sehr.
Auf Grund Ihrer Ausführungen, die Sie gerade gemacht haben, frage ich Sie: Es stimmt also, daß wegen sechs Gramm unter Ihrer Beteiligung ein Brief an den russischen Präsidenten geschrieben worden ist, daß Sie es aber angesichts von drohenden Kilos nicht für nötig erachtet haben, den Bundeskanzler zu informieren und auch in Richtung Rußland tätig zu werden?
Ihre Schlüsse sind eine grandiose Unterstellung. Bitte machen Sie sich sachkundig, indem Sie den Nuklearschmuggelbericht 1994 lesen. Die entsprechenden Mengenangaben sind dort aufgeführt.
Sie ziehen aus meinen Antworten eine völlig falsche Schlußfolgerung.
Kollege Dr. Lippelt.
Herr Staatsminister, nachdem wir eben gehört haben, daß Sie an diesem Brief des Bundeskanzlers, in welcher Form auch immer, wissend oder beratend, mitgewirkt haben, mußte Ihnen doch die politische Relevanz, das Gewicht eines solchen Briefes für die Außenpolitik deutlich vor Augen stehen. Die Frage ist: Mußten Sie, wenn sich die Sache in dieser Weise weiterentwickelte, nicht überlegen, ob Sie dem Kanzler vielleicht raten sollten, einen Nachbrief zu dem damaligen Brief zu schreiben, um die außenpolitische Belastung des Verhältnisses zu relativieren?
Herr Lippelt, das Gegenteil ist eingetreten. In der Tat hat sich die Situation verschärft, hat sich die Situation in der Bundesrepublik Deutschland, wenn Sie so wollen, verändert, und es ist deshalb auch zu einem weiteren Brief und zu einem Brief des Präsidenten der Russischen Föderation gekommen, der die gleiche Auffassung wie der Herr Bundeskanzler hatte, sich nämlich auch dafür ausgesprochen hat, daß diese Problematik angegangen wird, gelöst wird, und der selbst von einer entsprechenden Bedrohung ausgegangen ist. Hier war volles Einvernehmen zwischen dem Präsidenten der Russischen Föderation und dem Bundeskanzler. Deshalb gab es auch sehr rasch einen Termin, und die entsprechenden Verhandlungen sind zu einem sehr guten Abschluß gekommen.
Weitere Zusatzfragen zu dieser Frage? - Nein.
Darm rufe ich Frage 11 auf, die ebenfalls der Kollege Norbert Gansel gestellt hat:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den im Spiegel Nr. 15/1995 auf Seite 45 beschriebenen „deutschen Dunkelmann", der Anfang Juni 1994 im Foyer des Madrider Novotels die Lieferung von Plutonium 239 nach München angeregt haben soll, und kann die Bundesregierung ausschließen, daß es sich dabei urn den ,,Roberto" handelt, der sowohl für den BND als auch für das BKA gearbeitet haben soll?
Herr Staatsminister, ich bitte um Beantwortung.
Herr Kollege Gansel, dem Bundesnachrichtendienst liegen bisher keine Erkenntnisse vor, die eine Identifizierung des im „Spiegel" beschriebenen sogenannten deutschen Dunkelmannes ermöglichen.
- Ich habe Verständnis dafür. Ich lese jetzt langsamer, Herr Kollege.
Staatsminister Bernd Schmidbauer
Im Hinblick auf mögliche Erkenntnisse des Bundeskriminalamtes hat mir das Bundesministerium des Innern folgendes mitgeteilt: Bei dem vom „Spiegel" in Nr. 15/1995 erwähnten Treffen, bei dem es sich offensichtlich um das Treffen am 9. Juni 1994 im Madrider Novotel handelt, war u. a. die V-Person des Bundeskriminalamtes ,,Roberto" anwesend.
- Ich kann Ihnen das mitteilen. Wenn Sie das interessant finden: Auch ich finde interessant, daß die V- Person des Bundeskriminalamtes ,,Roberto" anwesend war.
Die V-Person „Roberto" wurde vom Bundeskriminalamt mehrmalig ausdrücklich angewiesen, kein im Ausland befindliches radioaktives Material nach Deutschland zu holen oder holen zu lassen, und hat das nach ihrer Aussage bei diesem Treffen auch abgelehnt.
Daß es sich bei dem vom „Spiegel" beschriebenen „deutschen Dunkelmann" um ,,Roberto" handelt, ist eine Schlußfolgerung des „Spiegel".
Zusatzfrage.
Trifft es zu, daß von den Teilnehmern dieses Treffens, das am Anfang des Plutoniumschmuggels stand und von dem man den Verdacht haben kann, daß dadurch die ganze Affäre erst angekurbelt worden ist, bisher drei identifiziert waren und jetzt mit „Roberto" der vierte identifiziert ist und daß es sich damit nach den Gesetzen der Logik versteht, daß es sich bei dem „geheimnisvollen Deutschen" um „Roberto" handeln muß, und hat die Bundesregierung, um diesen schwerwiegenden Tatbestand entweder zu bestätigen oder zu widerlegen, ,,Roberto" in Anbetracht des Umstandes, daß die spanischen Behörden der Bundesregierung ausdrücklich ihre Mithilfe bei der Aufklärung des Sachverhalts angeboten haben, danach gefragt?
Ich gehe davon aus, daß Sie, Herr Kollege Gansel, Ihre Diskussion mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes in Erinnerung haben.
Ich gehe davon aus, daß Sie mit seinen Äußerungen hochzufrieden waren.
- Gut, ich streiche dies. Ich weiß nicht, ob das eine Ergänzung ist.
Vielmehr habe ich sehr vorsichtig erläutert:
Im Hinblick auf mögliche Erkenntnisse des Bundeskriminalamtes hat mir das Bundesministerium des Innern folgendes mitgeteilt:...
Dann habe ich zitiert. Das heißt: Ich habe über ein Schreiben des Bundesministeriums des Innern von seiten des Bundeskriminalamtes über diesen „Roberto" Kenntnis, der bei dem Treffen am 9. Juni 1994 anwesend war. Ich weiß nicht, ob das in der Vergangenheit irgend jemand bestritten hat; das ist mir im Augenblick nicht bekannt.
Ich habe wichtigerweise auf folgendes hingewiesen:
Die V-Person „Roberto" wurde vom Bundeskriminalamt mehrmalig ausdrücklich angewiesen, kein im Ausland befindliches radioaktives Material nach Deutschland zu holen oder holen zu lassen, und hat das nach ihrer Aussage bei diesem Treffen auch abgelehnt.
Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen. Sie wissen, daß das nicht in meine Zuständigkeit fällt. Ich beantworte die Fragen aber namens der Bundesregierung und gebe Ihnen deshalb diese Antwort wieder.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel.
Ich wußte gar nicht, daß ich noch eine zweite Zusatzfrage hatte; sonst hätte ich nicht die Zwischenrufe gemacht. Entschuldigung!
Herr Staatsminister, wäre es, da immer wieder nach der Identität der unbekannten weiteren Person des „geheimnisvollen deutschen Dunkelmannes", der das Geschäft angekurbelt haben soll, indem er nach Plutonium gefragt hat, geforscht wird, nicht richtig gewesen, die zuständigen Abgeordneten bzw. die Öffentlichkeit zu informieren, anstatt zu warten, daß es Ihnen in der Fragestunde aus der Nase gezogen wird?
Leisten Sie damit nicht dem Verdacht geradezu Vorschub, daß dieses Plutoniumgeschäft durch V- Leute erstens angekurbelt, zweitens weiterbetrieben, drittens an Dienste und an Polizeistellen herangetragen, viertens mit ihrer Hilfe aus Rußland nach Deutschland durchgeführt worden ist und jetzt zu einer Staatsaffäre gemacht werden muß, obwohl man es, wenn man rechtzeitig aufgeklärt und informiert hätte, auf einen V-Mann-Exzeß und auf unzureichende Kontrolle eines Nachrichtendienstes hätte reduzieren können?
Herr Kollege Gansel, Sie wissen, daß es eine ungeheure Unterstellung ist, was Sie in Ihre Frage hineinlegen.
- Herr Kollege Gansel, ich habe Sie angehört und darf Ihnen sagen, daß ich diese Unterstellung aufs schärfste zurückweise.
Staatsminister Bernd Schmidbauer
Ich will Ihnen auch sagen, daß mir nichts aus der Nase gezogen wurde, sondern daß die Identifizierung der Treffen, über die der „Spiegel" berichtet hat, zu der Antwort geführt hat, daß „Roberto" dabei war, daß damit aber keineswegs der Dunkelmann identifiziert ist.
Ich habe Ihnen dazu gesagt, daß es eine Schlußfolgerung des „Spiegel" sei, es handele sich bei einem deutschen Dunkelmann um ,,Roberto". Im übrigen, lesen Sie die Nr. 15 des „Spiegel", Seite 45 - wenn ich mich recht erinnere -; dort stehen die Zusammenhänge, und Sie werden zu anderen Ergebnissen kommen können.
Die deutschen Stellen, auch wenn sie nicht die zuständigen waren, tun alles - um auch das noch einmal zu sagen -, um alle möglichen Teilnehmer dieser Gesprächsrunden zu identifizieren.
Ich will Ihnen aber noch einmal sagen - das ist die Ungeheuerlichkeit dieser Unterstellung -, daß ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes nicht der Dunkelmann war. Der entscheidende Punkt war, daß man in der Offentlichkeit den Eindruck erwecken wollte, als seien Beamte des Bundesnachrichtendienstes bei diesen Gesprächen dabei und hätten dies initiiert. Ich höre aber keinen, der dies weiterhin behauptet.
Jetzt kommt die Antwort, daß „Roberto" dabei war, was meiner Ansicht nach richtig ist. Aber ich bin weder für „Roberto" zuständig, noch war ich selbst in Madrid dabei oder hätte etwas getan, um dies zu initiieren. Nehmen Sie es also so hin, wie die PKK informiert wurde. Auch der Untersuchungsausschuß wird von den zuständigen Stellen informiert werden müssen, wer alles als möglicher Dunkelmann in Frage kommt.
Aber eines ist inzwischen gesichert: daß es nicht der Bundesnachrichtendienst war. Das ist der entscheidende Unterschied zu dem, was Sie eben in Ihrer Frage insinuieren wollten.
Ich sage Ihnen noch einmal: Es ist schon eine arge Unterstellung zu sagen, der Koordinator hätte diesen Transport initiiert.
- Das haben Sie eben in Ihrer Frage getan. Sie können das im Protokoll nachlesen. Sie haben mich direkt angesprochen.
- Dann nehmen Sie es zurück und sagen Sie, Sie haben es nicht tun wollen. Aber im Protokoll steht es drin.
Herr Präsident, wir sollten das an Hand des Protokolls - möglichst sofort - klären. Was ich gesagt habe, ist kein persönlicher Vorwurf an Sie gewesen, geschweige denn die Unterstellung einer direkten Beteiligung. Was ich Ihnen vorwerfe, ist, daß Sie uns nicht von sich aus informiert haben, sondern daß Sie in einem entscheidenden Punkt, der - jetzt sage ich das einmal - in der PKK offengeblieben ist, hier etwas nachgereicht haben und dadurch einem Verdacht Vorschub leisten, so daß aus einem V-Mann-Exzeß in der Tat eine Geheimdienstaffäre wird. Dafür tragen Sie allerdings die politische Verantwortung.
Herr Kollege Gansel, Sie haben mich direkt angesprochen. Lesen Sie das Protokoll nach! Ich weise auch die Behauptung zurück, Sie seien über die Teilnehmer an diesen Runden vom zuständigen Präsidenten nicht informiert worden, in dessen Verantwortung letztendlich diese Treffs stattgefunden haben.
Sie können mich nicht in Zusammenhang mit irgendwelchen Treffs bringen, die irgendwo auf der Welt stattfinden und für die ich keine Verantwortung trage. Das können Sie auch nicht indirekt tun. Ich finde es unfair, welches Spiel Sie in den vergangenen Wochen mit solchen Unterstellungen betrieben haben. Das habe ich zurückgewiesen, sonst gar nichts.
Herr Schmidbauer. Sie wissen, daß ich - -
Bitte keinen weiteren Dialog.
Herr Staatsminister, Herr Kollege Gansel hat ausdrücklich erklärt, daß er Sie in dieser Weise nicht gemeint hat.
Die nächste Frage stellt der Kollege Schily.
Herr Staatsminister, Ihren jetzigen Äußerungen entnehme ich, daß es eine Anweisung gegeben haben soll, kein Nuklearmaterial in den Bereich der Bundesrepublik Deutschland zu verbringen. Ich gehe davon aus, daß es eine Veranlassung zu einer solchen Anweisung gegeben hat und schließe auch aus Ihren Äußerungen, daß Sie persönlich in Ihrer Amtsführung dafür Sorge tragen wollten, daß ein solcher Transport nicht stattfindet.
Deshalb noch einmal meine Frage: Sind Sie zu irgendeinem Zeitpunkt davon informiert worden, daß bei Strafverfolgungsbehörden oder Geheimdiensten ein Verdacht besteht, daß mit einem Flugzeug eine größere Menge Plutonium in die Bundesrepublik verbracht werden könnte - ich sage nur Verdacht, nicht die Gewißheit -, und haben Sie diese Information, wenn Sie sie bekommen haben, an den Bundeskanzler weitergegeben?
Herr Kollege Schily, es gab in den vergange-
Staatsminister Bernd Schmidbauer
nen Jahren mehrfach Verdachtsmomente, bei denen weder Dienste noch andere Behörden wußten, auf welchem Weg dieses Material transportiert werden könnte oder sollte. Lassen Sie mich das einleitend sagen; Sie fragen ja allgemein.
Nein. Ich frage bezogen auf den konkreten Transport, der später auch stattgefunden hat und von dem anzunehmen ist, daß ein Verdacht bestand, weil die bayerischen Behörden offenbar auf die Ankunft vorbereitet waren.
Bezogen auf den konkreten Fall, Herr Kollege Schily, sind mir sämtliche Namen der möglichen Fundorte von Plutonium genannt worden, sowohl innerhalb als auch außerhalb der deutschen Grenzen, die in der Spekulation waren.
Mir war bekannt - jetzt muß ich vorsichtig sein; denn der Kollege Gansel weiß, das ist PKK-Metier -, daß auch andere Transportmittel eingesetzt werden sollten. Das war für mich das letzte Verdachtsmoment, das möglich war, aber erst aus der Geschichte nach dem 10., Herr Kollege. Vor dem 10. hatte ich keine Kenntnisse darüber, daß in diesem Fall auf dem Luftwege nukleares Material transportiert werden sollte.
- Wie ich es gesagt habe, so ist es, Herr Kollege Schily.
Als nächstes hat der Kollege Schmidt das Wort.
Herr Staatsminister, ich habe eine schlichte Frage. Sie haben mehrfach betont, daß die Schlußfolgerung, besagter Dunkelmann sei mit „Roberto" identisch, eine Schlußfolgerung des „Spiegel" sei. Meine Frage lautet nun: Ist diese Schlußfolgerung des „Spiegel" nach ihrem Kenntnisstand zutreffend oder nicht?
Ich habe die Antwort des zuständigen Ministeriums erwähnt, das Antworten für das Bundeskriminalamt gegeben hat. Ich möchte keine Schlußfolgerung ziehen, ehe ich nicht genaue Kenntnisse über die Identifizierung der Gruppe, die sich in diesem besagten Hotel getroffen hat, habe.
Es kann sich dann herausstellen, daß es einen anderen bei diesen Gesprächen gegeben hat, den man auch als deutschen Dunkelmann hätte identifizieren können. Deshalb war mein erster Satz, daß dem Bundesnachrichtendienst bisher keine Erkenntnisse vorliegen, die eine Identifizierung des im „Spiegel" beschriebenen sogenannten deutschen Dunkelmannes ermöglichen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Sie haben im Zusammenhang mit dem letzten Fall mehrfach auf den dramatischen Anstieg des Plutoniumschmuggels hingewiesen. Können Sie mir einen Fall nennen, bei dem es in diesem Bereich Nachfrager in der Bundesrepublik gegeben hat, die nicht Sicherheitsdienste waren?
Es gibt - Sie können das im Nuklearschmuggelbericht lesen - potentielle Käufer, die mit Sicherheit nicht identifiziert werden konnten. Sonst hätte man den Vorgang abschließen können. Wir wissen nicht, ob es erfolgreiche Abschlüsse gegeben hat. Wir können uns auf Grund verschiedener Hinweise vorstellen, welches mögliche Käuferpotential existiert. Auch darüber ist in dem entsprechenden Bericht ausführlich berichtet worden.
Es gibt auch Vorgänge, bei denen möglicherweise Käufer im Spiel waren. Es hat keinen Fall gegeben, bei dem Mitarbeiter des Nachrichtendienstes diesen Käufermarkt initiiert haben.
Das war nicht meine Frage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das weiß ich. Sie wollten den schlüssigen Beweis haben, den wir aber nicht haben. Sie wollten wissen, welches die Käufer bei dem entsprechenden Nuklearmaterial gewesen sind.
Ich stelle Ihnen im übrigen gern den kompletten Bericht, der im Moment als „Vertraulich" eingestuft ist, zur Verfügung, wenn Sie dies wünschen. Aber da in anderen Ländern die entsprechenden Aufgriffe getätigt wurden, bevor es zu Kaufabschlüssen kam, kann auch dort nicht nachgewiesen werden, wer letztendlich diese Substanzen kaufen wollte.
Ich bin der Meinung, daß wir gut daran tun, vor dem Verkauf entsprechende Möglichkeiten zu suchen, um das vagabundierende Material sicherzustellen. Davon ist in der Bundesrepublik Deutschland mehrfach Gebrauch gemacht worden.
Kollege Beucher.
Herr Staatsminister, Sie haben jetzt bei mehreren Antworten zugegeben und bestätigt, daß die Behörden den Transport erwartet haben.
Herr Kollege, das stimmt nicht. Fragen Sie so bitte nicht weiter.
Vor allem, Herr Kollege Beucher, fragen Sie.
Das ist hier eine Fragestunde und kein Untersuchungsausschuß. Ich werde auch keine Zusatzfragen dieser Art - ich sage Ihnen das gleich im voraus -, mit denen solche Dinge insinuiert werden, beantworten. Dafür ist der kompetente Ausschuß des Parlaments heute eingesetzt worden.
Das Landeskriminalamt hat doch diesen Transport erwartet. Frage: Sind Sie darüber informiert worden, daß die einen Verdacht hatten, daß dort etwas kommt?
Herr Kollege, ich nannte Ihnen bereits zum wiederholten Male die Daten meiner Informationen. Das war von seiten des Bundesnachrichtendienstes in Ordnung, weil eine unmittelbare Information an mich stattgefunden hat. Ich sagte Ihnen, daß ich nach der Landung der Maschine in München wieder informiert wurde.
Was das Landeskriminalamt betrifft, so fragen Sie bitte das Landeskriminalamt,
oder lassen Sie Ihre Kollegen in München dies entsprechend fragen.
Also vorher nicht?
Das ist gar nicht mein Problem, Herr Kollege Schily, auch wenn das so schön wäre. Aber daß nicht sein kann, was nicht sein darf - ich sage Ihnen: Die letzte Information war der 3. August. Die hat mich übrigens nicht erreicht, weil ich in der Zeit überhaupt nicht in Bonn war.
- Die Frage der Zuständigkeit ist sehr wohl zu prüfen, wenn ich eine Antwort gebe. Sie können doch nicht jemanden fragen, der nicht zuständig ist. Wenn Sie das Landeskriminalamt fragen wollen, dann stellen Sie die Fragen bitte dem Landeskriminalamt, oder fragen Sie in dem entsprechenden Untersuchungsausschuß. Fragen Sie aber bitte nicht den Koordinator, der dafür nicht zuständig ist.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Herr Staatsminister, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
Damit sind wir auch am Ende der Fragestunde, da die Fragen 25 bis 30 aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Punkte 5 a und 5 b sowie die Zusatzpunkte 2 und 3 der Tagesordnung auf:
5. a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung erhöhter Ozonkonzentrationen
- Drucksache 13/808 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gila Altmann , Albert Schmidt (Hitzhofen), Rainder Steenblock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verschärfung der Maßnahmen gegen die fortbestehende Gefährung der menschlichen Gesundheit und der Umwelt durch bodennahes Ozon
- Drucksache 13/1203 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS
Maßnahmen zur Bekämpfung erhöhter Konzentrationen an bodennahem Ozon
- Drucksache 13/1295 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Verkehr
ZP3 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Eckpunkte zur Bekämpfung umwelt- und gesundheitsgefährdender bodennaher Ozonkonzentration
- Drucksache 13/1307 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Verkehr
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Dr. Norbert Rieder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die ersten warmen Tage dieses Jahres haben uns wieder, wie es ja zu erwarten war, erhöhte Ozonwerte gebracht. Gebracht haben sie uns auch wieder eine völlig emotionalisierte
Dr. Norbert Rieder
Diskussion über das, was unternommen werden kann oder unternommen werden muß.
Die ersten Geschwindigkeitsbeschränkungen in einzelnen Bundesländern wurden bereits erlassen. Der Bundesrat hat einen Gesetzesantrag der Länder Hessen und Nordrhein-Westfalen vorgelegt, der im wesentlichen den Tenor hat: Wir würden zwar gern etwas tun, aber eigentlich wissen wir nicht so genau was, und die Bundesregierung soll es richten. Deshalb ist es sicherlich richtig und wichtig, daß diese Thematik hier im Plenum debattiert wird, und zwar bevor weitere Maßnahmen ergriffen werden. Aber dazu müssen wir uns die vorhandenen Fakten einmal in aller Ruhe ansehen.
Erstens. Die hochsommerlichen bodennahen Ozonwerte sind in früheren Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen, bis sie in den letzten etwa zehn Jahren wieder leicht zu sinken begonnen haben.
Zweitens. Die Spitzenwerte treten bei längeren Schönwetterperioden unter dem Einfluß des Sonnenlichts in deutlicher Abhängigkeit von der Temperatur auf. Je höher die Temperatur, desto höher die Ozonspitzenwerte.
- Jetzt warten Sie halt einmal ab, was noch kommt! Für manche muß man Fakten wiederholen, die eigentlich allgemein bekannt sein sollten.
- Richtig, so ist es.
Drittens. Für die Ozonbildung ist außerdem die Konzentration der sogenannten Ozonvorläufersubstanzen wie Stickoxide und flüchtige organische Verbindungen entscheidend. Die Konzentration dieser Ozonvorläufersubstanzen und damit gekoppelt auch die Ozonspitzenwerte sind in früheren Jahrzehnten ebenfalls kontinuierlich gestiegen, in den letzten zehn Jahren langsam gesunken. Ein beachtlicher Teil der Ozonvorläufersubstanzen stammt aus dem Straßenverkehr.
So weit, so gut. Eigentlich hätte man davon ausgehen sollen, daß jeder hier im Raum zumindest diese Daten kennt.
Diese Daten sind allgemein bekannt. Die meisten hören an diesem Punkt auf zu denken und kommen von da an mit einfachen Vorschlägen zur Absenkung der Ozonspitzenwerte. Auch diese Vorschläge kennen wir alle, denn sie wurden und werden immer wieder mit viel Trara herausposaunt und leider Gottes auch immer wieder umgesetzt.
Diese Vorschläge beginnen immer wieder mit der Geschwindigkeitsbeschränkung in einzelnen Bundesländern und enden bei Fahrverboten, etwa in Ballungsräumen, also regional begrenzt. Leider haben die Meßergebnisse der letzten Jahre gezeigt, daß es so einfach nun wirklich nicht ist. Das haben die Auswertung des Großversuchs in Heilbronn, aber auch die Auswertungsergebnisse aus Hessen gezeigt. Dasselbe zeigen die Dauermeßergebnisse des Luftmeßnetzes in Baden-Württemberg, das seit etwa drei Jahren kontinuierlich die wesentlichen Parameter mißt.
Aus diesen und aus anderen Meßergebnissen geht eindeutig hervor, daß regionale Maßnahmen keinerlei signifikante Auswirkungen auf die Ozonspitzenwerte haben. Dabei ist es völlig egal, ob mit Geschwindigkeitsbegrenzungen oder mit Fahrverboten gearbeitet wird. Die Auswirkungen regionaler Maßnahmen sind zwar lokal bei den Vorläufersubstanzen meßbar, nicht aber bei den Ozonspitzenwerten. Denn es kommen - das ist das Entscheidende - zu den vorher genannten Fakten noch ein paar weitere Faktoren hinzu.
Erstens dauert es eine gewisse Zeit, bis die bodennah entstandenen Vorläufersubstanzen in die Luftzonen gelangen, in denen sie dann zu den Ozonspitzenwerten beitragen.
Zweitens sind die Transportvorgänge in etwa 500 m Höhe oder noch höher so schnell, daß selbst bei Windstille oder scheinbarer Windstille am Boden die Vorläufersubstanzen pro Tag über 500 km und mehr verfrachtet werden. Das heißt im Klartext, daß die Vorläufersubstanzen, die heute auf der Zugspitze erhöhte Ozonspitzenwerte ergeben, zwei Tage vorher in Hamburg, Warschau oder Paris oder auch eine Woche vorher in Moskau, London oder Madrid entstanden sind.
Gleichzeitig gibt es Durchmischungseffekte in der Atmosphäre, die dafür sorgen, daß die Konzentration der Vorläufersubstanzen sehr schnell ausgeglichen wird. Das - das ist ein Faktum, das Sie sich wirklich klarmachen müssen - zeigen zumindest die Meßdaten des baden-württembergischen Meßnetzes.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich würde diesen Punkt gerne erst beenden, denn dann wird sich die Frage, die die Kollegin stellen will, vielleicht von selbst erledigen.
Nach den baden-württembergischen Meßergebnissen sinken nämlich an den Wochenenden - das ist nicht verwunderlich - die Emissionen der Vorläufersubstanzen um etwa 40 %, und zwar jedes Wochenende immer schön um den gleichen Wert, da weniger gefahren wird, viele Betriebe nicht arbeiten usw.
Dr. Norbert Rieder
Die gemessenen Ozonspitzenwerte dagegen sind nur von Temperatur, Sonneneinstrahlung und monatlichem bzw. wöchentlichem Durchschnittswert der Konzentration der Vorläufersubstanzen abhängig.
Es ist also keinerlei Absenkung der Ozonspitzenwerte am Wochenende festzustellen, auch nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, mit einer gewissen Zeitverzögerung am Tag darauf oder einige Tage darauf. Das geben die Meßwerte bisher nicht her. Wir messen allerdings erst seit drei Jahren; vielleicht mag sich das noch ändern.
Ziehen wir also das Fazit: Keine kleinräumige Maßnahme, welcher Art auch immer, hat einen merklichen Effekt auf die Ozonspitzenbelastung. Kleinräumig in diesem Sinne sind auch einzelne Bundesländer. Sinnlos in diesem Zusammenhang sind auch großflächige Geschwindigkeitsbegrenzungen, da deren Effekt ebenfalls viel zu klein ist.
Das einzige, das Sinn haben könnte - ich sage ganz bewußt: haben könnte; denn dazu liegen noch keine Messungen vor -, wären großflächige Fahrbeschränkungen, die aber auch nur unter ganz bestimmten Randbedingungen: Erstens. Die Fläche dieser Fahrbeschränkungen muß etwa dem Durchmesser eines Hochdruckgebietes entsprechen, also etwa 1 000 km, also bundesweit.
Zweitens. Es muß sich um eine stabile und stationäre Hochdruckwetterlage handeln. Wenn das Hochdruckgebiet wandert - was in der Regel ja der Fall ist, etwa von der Biskaya über Südfrankreich nach Deutschland -, dann bringt es sein Ozon bzw. seine Vorläufersubstanzen quasi mit. Wir können dann durch keine kurzfristige Maßnahme Einfluß auf die Ozonspitzenwerte nehmen.
Drittens. Die Maßnahme muß rechtzeitig ergriffen werden, also dann, wenn die Wettervorhersage sagt, daß bei bereits hohen Ozonspitzenwerten die stabile Hochdruckwetterlage noch mindestens drei Tage anhalten wird.
Eine weitere Zwischenfrage wird von der Kollegin Hustedt gewünscht.
Ich möchte erst diesen Zusammenhang zum Ende bringen; denn das klärt nach meinen Erfahrungen manches. Abwarten, bis die Fakten beisammen sind, und erst dann vielleicht fragen.
Wichtig aber - das ist das Entscheidende - sind langfristige Maßnahmen zur Absenkung der Konzentration der Ozonvorläufersubstanzen.
Wir brauchen verbesserte Maßnahmen vor allem zur Absenkung der Stickoxide. Sicherlich muß der Bundesrat ganz kräftig darüber nachdenken, ob insoweit nicht die Überlegungen von Herrn Wissmann zu einer schadstoffbezogenen Kfz-Steuer ein wichtiger Schritt sein könnten.
Sicherlich müssen wir alle - wohlgemerkt: wir alle - uns zu weiteren Maßnahmen gegen unnötige Emissionen von flüchtigen organischen Verbindungen entschließen. Sicherlich müssen wir alle darauf dringen, daß unsere Partner in Europa und weltweit möglichst bald entsprechende Maßnahmen ergreifen. Und sicherlich sind wir als moderner Industriestaat in einer Bringschuld uns und den Mitmenschen auf der Welt gegenüber zur Entwicklung moderner und notwendiger Techniken und auch der entsprechenden gesetzlichen Regelungen.
Daran - das ist nun mein Appell an Sie alle - laßt uns in den nächsten Monaten mit all unserer Kraft arbeiten! Auch wenn ich genau weiß, daß dieser Appell, den ich bewußt in eine ganz bestimmte Richtung ausspreche, leider nicht fruchten wird, bitte ich Sie inständig: Bewahren Sie uns vor sinnlosem Aktionismus;
denn der wird uns die notwendige Zeit, die wir brauchen, um echte Maßnahmen zu ergreifen, nehmen. Wir werden uns dann mit Aktionismus beschäftigen müssen, statt echte Handlungen durchzuführen.
Vielen Dank.
Es besteht, Frau Kollegin Hustedt, kein geschäftsordnungsmäßiger Rechtsanspruch auf eine Zwischenfrage. Der Präsident muß den Redner unterbrechen und fragen, ob er bereit ist zu antworten. Wenn das nicht der Fall ist, - -
- Keine Diskussion!
Ich erteile dem nordrhein-westfälischen Minister für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft, Klaus Matthiesen, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil wir bis heute keine bundesgesetzliche Regelung haben, führten bei der Ozonbekämpfung im letzten Sommer unterschiedliche Landesregelungen zu einem verwirrenden Flickenteppich, der einen Autofahrer auf seinem Weg von Flensburg nach Sonthofen unterschiedlichen Regelungen unterwarf. Diese Regelungen waren kaum administrierbar; denn Bußgelder konnten wegen mangelnder Rechtsgrundlage nicht verhängt werden. Wir brauchen deshalb jetzt endlich
Minister Klaus Matthiesen
klare bundesgesetzliche Regelungen. Ich sage deutlich: Das Durcheinander unterschiedlicher Regelungen, das wir im vergangenen Jahr bei der Ozonbekämpfung erlebten und das sich in den ersten sonnigen Maitagen dieses Jahres schon wieder gezeigt hat, darf sich nicht wiederholen.
Was wir jetzt wirklich benötigen, sind eindeutige, verbindliche bundesgesetzliche Regelungen, die den erwünschten Effekt einer Ozonreduzierung auch wirklich erreichen, die klar, einfach, für den Bürger überschaubar, für die Behörden gut vollziehbar sind und die Verstöße auf klarer rechtlicher Grundlage ahnden können. Deshalb hat Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr zusammen mit anderen Bundesländern eine Gesetzesinitiative zur Ozonbekämpfung in den Bundesrat eingebracht, der der Bundesrat gefolgt ist.
Mit diesem Gesetz zur Bekämpfung erhöhter Ozonkonzentrationen sollen die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die vor allem durch den Straßenverkehr emittierten Ozonvorläufersubstanzen weiträumig und wirkungsvoll vermindert werden. Hierfür sieht der Gesetzentwurf des Bundesrates eine Ergänzung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vor. Das Ziel dieser Initiative ist, daß der Bund eine bundesweit geltende Ozonverordnung erläßt.
Diese Ozonverordnung des Bundes muß nach dem Vorschlag der Landesregierung Nordrhein-Westfalen folgendes beinhalten. Bei erhöhten Ozonkonzentrationen soll der Kfz-Verkehr eingeschränkt werden können. Davon sollten Kraftfahrzeuge mit geregeltem Dreiwegekatalysator und schadstoffarme Dieselfahrzeuge ausgenommen sein. Dies ist ein gewollter und sehr sinnvoller Benutzervorteil für Besitzer schadstoffarmer Pkw.
Auch für industrielle und gewerbliche Emittenten sollen Maßnahmen zur Verminderung der Ozonvorläuferstoffe eingefordert werden, z. B. Produktionsumstellungen, Verzicht auf bestimmte Einsatzstoffe, modifizierte Fahrweise von Anlagen, schließlich auch Produktionseinschränkungen.
Zur konkreten Durchführung muß es eine klare, einfache, für jedermann nachvollziehbare und administrierbare Regelung geben. Nicht ein verwirrendes Wechselspiel mit unterschiedlichen Einschränkungen, nicht ein Hin und Her von Warnung und Entwarnung, bis am Ende niemand mehr weiß, was zu tun und zu lassen ist, kann Sinn der Sache sein. Wichtig ist eine verbindliche Regelung, die an Klarheit nichts zu wünschen übrigläßt.
Nach Auffassung der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen könnte eine solche Regelung dahin gehend ausgestaltet werden, daß Verkehrsbeschränkungen ab einem noch festzulegenden Wert zwischen 180 und 200 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft, gemessen über einen bestimmten Zeitraum und an einer bestimmten Zahl von Meßstellen, erlassen werden. Das hieße, daß dann in ebenfalls noch festzulegenden großräumigen Gebieten bei Überschreiten solcher Ozonwerte nur noch Fahrzeuge mit geregeltem Dreiwegekat und schadstoffarme Dieselfahrzeuge fahren dürften. Diese Fahrzeuge könnten leicht durch Plaketten an der Windschutzscheibe, analog zur Regelung beim Wintersmog, kenntlich gemacht werden.
An dieser Stelle zwei aktuelle Bemerkungen, weil sich die Umweltministerkonferenz heute und morgen mit der Frau Bundesministerin deshalb zusammensetzt, um möglicherweise eine Regelung zwischen Bund und Ländern zu vereinbaren. Das, was uns aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung bekanntgeworden ist, bedarf einer deutlichen Antwort. Eine Regelung ab 240 Mikrogramm wäre eine reine Alibiveranstaltung und hätte keinerlei vorsorgenden Charakter.
Und ich füge gleich hinzu: Eine Regelung ab 300 Mikrogramm wäre in der Tat eine reine Farce,
denn allein in Nordrhein-Westfalen hätte es - nach Durchsicht der vorliegenden Meßergebnisse der letzten fünf Jahre - bei Anlegung dieses Maßstabs nicht eine einzige zu ergreifende Maßnahme gegeben.
Meine Damen und Herren, ein zusätzliches zeitliches und regional eng begrenztes Tempolimit ist, wie wir aus den Testversuchen wissen, deshalb kritisch zu betrachten, weil es in der Sache soviel nicht bringt. Wenn wir aber über ein Tempolimit als zusätzliche Maßnahme der Ozonbekämpfung reden - was durchaus in der Sache Sinn macht -, dann muß es sich um drastische, großflächige und dauerhafte, also mindestens über mehrere Wochen oder Monate hinweg geltende Tempolimits handeln; sonst sind Tempolimits zur Ozonbekämpfung wirkungslos. Ich sage noch einmal: als zusätzliche Maßnahme sinnvoll und notwendig - dann aber bitte drastisch, großflächig und dauerhaft.
Mit dem Gesetzentwurf zur Ozonbekämpfung schaffen wir die notwendige Rechtsgrundlage. Eine bundesrechtliche Regelung ist die Voraussetzung für eine erforderliche großflächige und damit effektive Ozonreduzierung. Eine vernünftige Bundesregelung ist dabei besser als sehr unterschiedliche Landesregelungen.
Eine Bundesozonverordnung, die wirklich greift, ist nicht nur die effektivste aller denkbaren Lösungen, sondern sie löst auch bei der Bevölkerung einen wichtigen Impuls zum Kauf von Fahrzeugen mit modernster Kfz-Abgastechnik aus. Damit kommen wir
Minister Klaus Matthiesen
auch zu einer wirklich nachhaltigen und dauerhaften Reduzierung nicht nur von Ozon, sondern aller Kfz- bedingten Schadstoffe. Ich denke, dies muß unser gemeinsames umweltpolitisches Ziel sein.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gila Altmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie der Kollege Rieder schon sagte: die ersten Sonnenstrahlen - der erste Ozonalarm. Ich sage: Das überflüssige Gerangel um die Ozongrenzwerte und das Tempolimit geht wieder los - wie eh und je. Herr Rieder hat ein gutes Beispiel dafür gegeben, wie man eine solche Diskussion verkopfen, wegreden, vernebeln kann.
Zu Ihren Studien kann ich nur sagen: Ich biete dazu eine Studie von Greenpeace und ein paar konkrete Meßergebnisse an. Sie waren auf der Zugspitze. In Los Angeles waren es 400 Mikrogramm - trotz Katalysatorautos.
Zum Lachen ist dieses gesamte Herumgeeiere wahrlich nicht. Die Auswirkungen bereits mittlerer Ozonkonzentrationen sind längst bekannt und nachgewiesen: Kopfschmerzen, Kreislaufstörungen und sogar Krebserkrankungen.
Davon sind die Kinder wieder einmal am stärksten betroffen - nicht nur, weil sie in einer niedrigeren Atemhöhe als Erwachsene leben müssen, sondern auch weil ihnen mit der Einschränkung ihrer Beweglichkeit im Freien bei dem schönen, sonnigen Wetter schnell die Freude am Spiel vergeht.
Leider ist Frau Merkel nicht anwesend. Ich möchte sie gern einmal fragen, wie sie den Kids begreiflich machen will, daß diese bei dem schönen Wetter in den leeren Garagen spielen sollen, während die Väter in ihren Ozonschleudern auf der Straße herumkurven dürfen.
Genau umgekehrt muß es sein. Bei schönem Wetter muß es heißen: Raus mit den Kindern an die frische Luft, rein mit den Autos in die Garagen!
Der Vorstoß einiger Bundesländer, der eben auch von Herrn Matthiesen angesprochen worden ist, ist angesichts der Untätigkeit der Bundesregierung praktisch als ein Akt der Notwehr zu werten.
Und was kündigt Frau Ministerin Merkel der besorgten Öffentlichkeit an? Einen Gesetzentwurf, der frühestens zum Jahre 1996 greifen könnte. Sieht man sich diesen Referentenentwurf ein bißchen genauer an, könnte einem der Atem auch ohne Ozonalarm stocken: Mit einem Grenzwert von sage und schreibe 300 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft macht sich Frau Merkel einfach lächerlich.
Mit diesem Grenzwert und mit diesen Ausnahmebestimmungen will sie das Ozonproblem praktisch per Gesetz abschaffen. Das gäbe es dann nicht mehr.
Dieser Gesetzentwurf ist eine Anleitung zum Nichtstun, eine Aufforderung zum Weiterrasen. Herr Rieder, Sie haben das in Ihrer Rede wunderbar dokumentiert. Dieser Gesetzentwurf eignet sich eher als Büttenrede für die nächste Karnevalssitzung des ADAC denn als wirksames Umweltinstrument.
Seit heute springt Herr Rexrodt Frau Merkel hilfreich in die Seite - wir haben seine Pressemitteilung -; bleifüßig springt er ihr in die Seite: Der Verkehr muß rollen, koste es, was es wolle.
Dann sind da natürlich noch Ihre Parteifreunde, die Kollegen Lippold und Rieder, die mit dem gebetsmühlenartigen Gerede von mittel- und langfristigen Lösungen den formvollendeten Bückling vor der Bleifußlobby üben.
Sagen Sie, Herr Lippold, wozu haben Sie eigentlich in den letzten vier Jahren in der Klima-Enquetekommission gesessen? Sie wollen nicht handeln; Sie spielen auf Zeit. Es ist aber die Zukunft unserer Kinder, für die Sie hier im Parlament freiwillig die Verantwortung übernommen haben und die Sie hier verspielen.
Meine Damen und Herren, der heute dem Bundestag vom Bundesrat vorgelegte Entwurf ist gut gemeint, geht aber nicht weit genug. Das Festlegen neuer Grenzwerte alleine löst das Ozonproblem nicht. Hauptziel muß die Vermeidung und Verlagerung von Verkehren auf öffentliche Verkehrsträger sein. Vorbeugen heißt das Schlüsselwort. Das beste Ozon ist das, das gar nicht erst entsteht. Darauf zielt unser Antrag.
Es gilt, Maßnahmen zur generellen Reduzierung der für die Entstehung des Ozons verantwortlichen Vorläufersubstanzen zu ergreifen. Darin kann ich Herrn Matthiesen nur unterstützen. Nur, wir wollen es noch etwas konsequenter, wir meinen: jetzt, ganzjährig und bundesweit. Auch Herr Rieder hat ein Plädoyer dafür gehalten - zugegebenermaßen, ohne es zu wollen.
Gila Altmann
Wir fordern deshalb: sofort ein generelles Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen, 80 km/h auf Bundes- und Landesstraßen sowie von 30 km/h innerorts.
- Das bringt wohl etwas. Klauen Sie mir nicht die Redezeit. Stellen Sie eine Zwischenfrage, dann antworte ich etwas länger.
Wir wollen ferner einen autofreien Sonntag pro Monat von Mai bis Oktober. Dies senkt nicht nur die Umweltbelastungen, sondern auch die Aufwendungen im Gesundheitshaushalt. Es kostet nichts und bringt viel. Dazu gehören auch Fahrverbote bei gesundheitsbedrohlichen Situationen.
Wenn wir bereits bei 90 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft eine Vorwarnstufe für besondere Risikogruppen einfordern, dann genau deshalb, weil wir noch an das Mitdenken und das Verantwortungsbewußtsein der Autofahrer und Autofahrerinnen glauben. Mit Grenzwerten von 120 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft als Auslöser der ersten und 180 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft der zweiten Alarmstufe, ab der aller motorisierter Verkehr - abgesehen von ÖPNV, Polizei und Rettungsdienst - stehen soll, sehen wir uns bundesweit übrigens in guter Gesellschaft, sei es in den Erklärungen des Bayerischen Jugendrings - ja, es gibt auch in Bayern fortschrittliche Kräfte -
oder des VCD. Die Vernunft ist nicht aufzuhalten.
Mit der sofort beginnenden schrittweisen Erhöhung der Mineralölsteuer zugunsten des ÖPNV und einer eindeutigen Favorisierung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs zu Lasten des Straßenbaus sind wir auf dem richtigen Weg und wissen uns damit in guter Gesellschaft mit dem Umweltbundesamt.
Wer also das Ozonproblem weiter verniedlicht, weiter die Umweltzerstörung durch den Verkehr ignoriert und sich um die Gesundheit der Bevölkerung einen feuchten Kehricht schert, der wird hoffentlich schon am nächsten Sonntag mit dem Verlust von vielen Wählerstimmen bestraft.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Sommer des letzten Jahres wurden ja häufig erhöhte Ozonkonzentrationen gemessen. Und auch in diesem Jahr, so haben wir ja schon gehört, gibt es bereits wieder erhöhte
Werte. Deshalb gibt es gute Gründe, Maßnahmen zu ergreifen, um hohe Ozonkonzentrationen zu vermeiden.
Denn insbesondere gefährdete Personengruppen wie - wir haben ja auch das schon gehört - Kinder, Asthmatiker, Personen, die von Allergien betroffen sind, leiden unter hohen Ozonkonzentrationen.
Wir müssen deshalb die Spitzenkonzentration von Ozon verringern. Mit Blick auf den Antrag der GRÜNEN muß man aber schon sagen, daß es niemandem nutzt, wenn man nur populistische Maßnahmen fordert. Sie fordern z. B. einen autofreien Sonntag pro Monat von Mai bis Oktober. Reine Symbolik! Eine solche Maßnahme wird die Ozonkonzentration überhaupt nicht senken.
Wenn Sie sachlich darüber diskutieren wollen, dann müssen Sie sich schon einmal die Mühe machen, die komplizierte Materie der Ozonentstehung und des Ozonabbaus auch wissenschaftlich zu betrachten. Ozon bildet sich ja unter starker, anhaltender Sonneneinstrahlung auch ohne Stickoxide und flüchtige organische Verbindungen. Diese sogenannten Vorläufersubstanzen wirken bei intensiver Sonneneinstrahlung vor allem beschleunigend auf die Ozonbildung. Der Anstieg der Ozonkonzentration erfolgt bei entsprechender Wetterlage mit einer Zeitverzögerung von drei bis vier Tagen zur Emission der Vorläufersubstanzen. Das beweist, daß kurzfristige Maßnahmen bei akut hohen Konzentrationen überhaupt nichts nützen.
Wir müssen also langfristige Maßnahmen ergreifen, mit denen wir die Zeitspanne verlängern, in der sich Ozon bildet. Wir müssen Spitzenkonzentrationen kappen.
Diese Maßnahmen müssen ergriffen werden.
Es sind im übrigen schon eine ganze Reihe von langfristigen Maßnahmen durch die Bundesregierung ergriffen worden. Ich könnte sie Ihnen aufzählen, wenn ich mehr Zeit hätte.
- Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen, habe ich die Zeit dazu. Ansonsten können Sie es auch nachlesen.
Das Umweltbundesamt, das Sie immer so gerne zitieren, geht davon aus, daß mit Hilfe der bereits ergriffenen Maßnahmen zur Reduzierung der Ozonvorläufersubstanzen bis zum Jahr 2005 die Stickstoffoxidemissionen um 50 % und die der flüchtigen organischen Verbindungen um 55 % gesenkt werden können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Gila Altmann?
Selbstverständlich.
Ich würde Ihnen gerne Gelegenheit geben, konkrete Beispiele zu nennen. Deshalb frage ich danach. Ich bin gespannt.
Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Kollegin.
Zu den konkreten langfristigen Maßnahmen, die von der Bundesregierung ergriffen wurden, gehört z. B. der Dreistufenplan in der EG zur Verringerung der Emissionsgrenzwerte bei Pkw, Lkw und Motorrädern. Dazu gehört z. B. auch die Abgassonderuntersuchung.
- Herr Kollege, Sie sind der Richtige für einen Zwischenruf an dieser Stelle.
Wir haben also die Abgassonderuntersuchung auch bei Kat-Fahrzeugen, Gaspendelung an Tankstellen zur Verminderung der Emission flüchtiger organischer Verbindungen oder auch die Rauchgasentstickung bei Kraftwerken. Das sind alles Maßnahmen, die schon getroffen wurden und dazu beitragen,
langfristig die Vorläufersubstanzen zu reduzieren und die Ozonkonzentration entsprechend zu verringern.
Vor kurzem - das betrifft jetzt den Antrag der SPD - hat sich die Automobilindustrie verpflichtet, bis zum Jahr 2005 den durchschnittlichen Kraftstoffverbrauch der Neufahrzeuge um 25 % zu senken.
Das ist eine weitere Maßnahme in diese Richtung.
Sie sagen gleich wieder, man sollte ordnungspolitische Maßnahmen ergreifen, wir als Gesetzgeber sollten wieder tätig werden. Dazu kann ich nur sagen: Politik muß auch verläßlich sein.
Nachdem wir gerade erst die Selbstverpflichtung akzeptiert haben, sollten wir der Automobilindustrie auch die Möglichkeit geben, das umzusetzen.
Der Entwurf des Bundesrates eines Gesetzes zur Bekämpfung der erhöhten Ozonkonzentrationen, über den wir heute eigentlich diskutieren, bleibt im übrigen bei der Konkretisierung der Maßnahmen im Nebel stecken. Es wird alles offengelassen. So geht das nicht.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Gila Altmann?
Ja.
Sie haben gerade von der Selbstverpflichtung der Automobilindustrie gesprochen, die von einer Verbrauchsminderung von 25 % spricht, nicht von einer Schadstoffminderung. Wie erklären Sie sich, daß z. B. in Los Angeles trotz der Ausstattung der Fahrzeuge mit Katalysatoren 400 Mikrogramm im Mittel gemessen werden?
Frau Kollegin, ich habe in der Tat von einer Verbrauchsminderung gesprochen und nicht von der Schadstoffminderung. Das war auch nicht die einzige Maßnahme, die ich genannt habe, sondern ich habe es als eine Maßnahme genannt, die dazu beitragen kann, daß Schadstoffe, die als Vorläufersubstanzen auf die Ozonkonzentration wirken, vermindert werden können und daß damit langfristig erhöhte Konzentrationen vermindert werden können.
Sie werden aber nie ausschließen können, daß sich Ozon bildet. Ozon bildet sich nämlich auch ohne Vorläufersubstanzen. Dabei kommt es auch auf die Wetterlage an.
Durch die hohen Emissionen von Kohlenwasserstoffen durch Pflanzen, z. B. in erhöhten Lagen im Schwarzwald, und die starke Sonneneinstrahlung hat man dort besonders hohe Ozonkonzentrationen. Durch die Verminderung der Vorläufersubstanzen können Sie lediglich erreichen, daß es länger dauert und daß die Spitzenkonzentrationen zurückgehen, aber Sie können die Ozonbildung nie gänzlich ausschließen. Das ist schlichtweg ein Mechanismus in der Natur.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten CaspersMerk?
Ja.
Frau Kollegin, Sie haben uns eben wortreich erklärt, warum nur langfristige Maßnahmen etwas bringen. Wie erklären Sie
Marion Caspers-Merk
sich denn, daß die Bundesumweltministerin eine bundesweite, wenn auch wirkungslose Regelung vorbereitet? Ist das bloßer Aktionismus?
Liebe Frau Kollegin, Sie haben mich noch nicht zu den kurzfristigen Maßnahmen in vollem Umfang kommen lassen. Es gibt nämlich ein paar Ausnahmefälle, in denen das etwas bringen kann. Dazu komme ich im Verlauf meiner weiteren Ausführungen noch zu sprechen. Wenn Sie mich hätten ausreden lassen, hätten Sie das gemerkt. Ich kann es allerdings auch vorwegnehmen. Das ist kein Problem.
Wir müssen uns schon genau überlegen, welche Maßnahmen tatsächlich sinnvoll sind, um die Ozonkonzentration zu senken. Paradoxerweise - ich habe das gerade zu erklären versucht - wird nicht nur die Ozonbildung durch Stickoxide und flüchtige organische Verbindungen beschleunigt, sondern auch der Abbau. In Berlin z. B. wird die niedrigste Ozonkonzentration im Laufe eines Tages am Autobahnring gemessen. Das hängt genau damit zusammen.
Die SPD und die GRÜNEN haben darüber hinaus wieder den Ladenhüter Tempolimit ausgepackt und wollen uns damit weismachen, dieses würde die Ozonkonzentration mindern. Dabei gibt es keinen kausalen Zusammenhang zwischen Fahrverboten, Tempolimit und der Ozonkonzentration.
In akuten Situationen kann man damit keine Reduzierung der Ozonkonzentration erreichen.
- Ja, ich habe die Heilbronner Ergebnisse gelesen.
Man kann deswegen keine Reduzierung erreichen, weil die Vorläufersubstanzen drei bis vier Tage, bevor die hohen Ozonkonzentrationen gemessen werden, emittiert werden. Das heißt, wenn Sie Maßnahmen ergreifen, sind die hohen Konzentrationen schon da. Man muß sich wirklich die Zusammenhänge angucken. Ich weiß, das ist schwer zu verstehen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage: der Abgeordneten Michaele Hustedt?
Ja.
Wenn ich Ihren Ausführungen richtig gefolgt bin, müßten Sie wie die GRÜNEN und meistens auch die SPD absolut dafür sein, ein flächendeckendes Tempolimit über das ganze Jahr einzuführen. Denn dann hätten wir die Vorsorge.
Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
Denn das Tempolimit - das ist eindeutig nachgewiesen - bringt keine entsprechenden Ergebnisse bei der Reduzierung der Vorläufersubstanzen.
Es gibt noch ein paar Probleme, die auch angesprochen und geklärt werden müssen, eine Reihe von rechtlichen und politischen Fragen, die damit zusammenhängen. Was passiert eigentlich - das hätte ich gern von Ihnen gewußt - nun beispielsweise an dem Tag, an dem eine vierköpfige Familie, die sich kein neues Auto leisten kann und deswegen mit einem nicht schadstoffarmen Auto in Urlaub fahren will, ein Fahrverbot erlassen wird?
- Sie sagen, die sollen mit dem Zug fahren. Ganz abgesehen davon, daß sie sich das vielleicht nicht leisten können, reicht womöglich auch die Kapazität nicht aus. Eventuell kann man den Ort, den sie ansteuern, nicht mit dem Zug erreichen.
Kurz und gut, liebe Frau Kollegin: Wir haben hier auch soziale Probleme. Die sollte man ebenfalls ansprechen. Wenn Sie das alles als großartige Maßnahmen verkaufen, dann sollten Sie den Menschen auch klar und deutlich sagen, daß Ihre Maßnahmen bedeuten könnten, daß viele Leute unter Umständen nicht in Urlaub fahren oder nicht zurückkehren können. Erklären Sie mir bitte schön auch, wie und auf welchem Wege diese Leute dafür entschädigt werden sollen, da sie die Kosten haben, z. B. für ein gemietetes Ferienhäuschen.
Man muß sich also wirklich einmal fragen, ob bestimmte Maßnahmen so durchgeführt werden können. Es muß beantwortet werden, wie die Probleme, die dann entstehen, gelöst werden sollen.
Es gibt noch eine Bitte der Abgeordneten Gila Altmann um eine Zwischenfrage.
Ja, bitte.
Ich finde es sehr lobenswert, daß Sie sich über die sozialen Probleme Gedanken machen. Können Sie vielleicht auch eine Aussage zu den Leuten machen, die von der Situation, die Sie beschrieben haben, schon jetzt betroffen sind, d. h. den Leuten, die sich jetzt kein Auto leisten können: Wie, bitte schön, sollen die mobil sein?
Liebe Frau Kollegin, es ist wohl überhaupt keine Art und Weise, mit denjenigen zu argumentieren, die sich keinen Urlaub leisten können, wenn es um andere geht, die sich einen Urlaub leisten können, die vielleicht das ganze Jahr darauf sparen und ihn dringend brauchen. Denen kann man nicht sagen: Ihr dürft nicht in Urlaub fahren, weil es andere sowieso nicht können. Ich möchte gern sehen, wie Sie diese Argumentation den Leuten verdeutlichen wollen.
Abgesehen davon bleibt auch die Frage: Wie ist es mit dem Verkehr, der durch Deutschland hindurchfährt, also mit denen, die aus dem Ausland nach Deutschland fahren bzw. im Grenzverkehr oder im Transitverkehr auf Deutschlands Straßen rollen? Es muß schlichtweg geklärt werden, ob man ein Fahrverbot z. B. für nicht-schadstoffarme ausländische Autos verhängen kann oder nicht.
Zu dem Tempolimit, das am letzten Wochenende in Niedersachsen verhängt worden ist und das freiwillig eingehalten werden sollte, kann man nur sagen: Erstens haben es die meisten Leute nicht gewußt, weil man es offensichtlich gar nicht richtig überbringen wollte.
Zweitens war die Akzeptanz auch ansonsten sehr gering. Frau Griefahn hat mit dieser Maßnahme, die auch nichts gebracht hätte, wenn man sich an die Beschränkungen gehalten hätte, dem Umweltschutz einen Bärendienst erwiesen. Wenn man ganz genau weiß, daß diese Maßnahmen nichts bringen, führt dies dazu, daß, wenn solche Maßnahmen berechtigterweise ergriffen werden, nämlich bei langfristigen Hochdruckwetterlagen, in solchen Ausnahmesituationen, bei denen es etwas bringen kann, die Akzeptanz nicht mehr vorhanden ist.
Deswegen möchte ich Ihnen auf das, was Sie vorhin gefragt haben, Frau Kollegin Caspers-Merk, nur antworten: Die F.D.P. ist bereit, Maßnahmen gegen erhöhte Ozonkonzentrationen zu ergreifen, auch kurzfristige. Allerdings müssen die noch offenen Fragen beantwortet werden.
- Nicht erst im Jahr 2005, sondern jetzt, sofort. Die Fragen müssen aber beantwortet werden. Sie können hier nicht großartig Dinge verkünden, ohne dafür irgendeine Grundlage zu haben oder ohne den Leuten zu erklären, welche Einschränkungen das für sie bedeutet. Andernfalls ist das, was Sie machen, schlichtweg Populismus.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Enkelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Berliner Rundfunk am 11. Mai 1998: „Liebe Hörerinnen und Hörer! Die Ozonbelastung des heutigen Tages beträgt im Mittel 300 Mikrogramm je Kubikmeter. Wir empfehlen, Kinder in den kommenden Tagen in geschlossenen Räumen unterzubringen. Schulen und Kindergärten bleiben geschlossen.
Kinderfreie statt autofreie Tage? So schwarz sieht jedenfalls die Zukunft aus, wenn wir in der Verkehrspolitik weiter so fahrlässig und sorglos agieren wie bisher.
In Ballungsräumen ist es schon heute nahezu unverantwortlich, seine Kinder zum Spielen nach draußen zu schicken. Dort wird die Luft zum Atmen immer dünner.
Das hat im übrigen auch die Autoindustrie begriffen und setzt in ihrer Werbung genau darauf: das Auto als Rettungsanker in einer kaputten Umwelt. Ich denke, eine solche aggressive Werbekampagne, wie sie gegenwärtig von Honda läuft, sollte verboten werden.
Meine Damen und Herren, wir sprechen hier von Sommersmog. Das ist meines Erachtens nicht ganz zutreffend. Der Sommer begann in diesem Jahr bereits am 7. Mai. Schon am vergangenen Wochenende wurde von zahlreichen Meßstationen in Hessen und Niedersachsen die Grenze von 180 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft als übertroffen gemeldet. Dank gesetzlicher Landesregelungen traten Tempolimits in Kraft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß gar nicht, wie oft wir in der vergangenen Legislaturperiode über Tempolimits gesprochen haben: im Plenum, in den Ausschüssen, in der Enquetekommission.
Inzwischen haben sich - das ist eine Tatsache - über 65 % der Bevölkerung für eine Geschwindigkeitsbegrenzung ausgesprochen, also eine deutliche Mehrheit. Aber in diesem Hause rührt sich nichts. Zwar hat die Bundesregierung in der vergangenen Sitzung des Umweltausschusses verschämt angekündigt, in Kürze liege eine Verordnung vor, wozu das Bundes-Immissionsschutzgesetz verändert werden soll. Nur: Was heißt für Sie „in Kürze"? Soll wieder ein Sommer ohne bundeseinheitliche Regelung vergehen?
Wenn Kollege Lippold nach wie vor eine gründliche Beratung der Ursachen des Sommersmogs und der Möglichkeiten seiner Bekämpfung, weitere Studien, weitere Expertenanhörungen etc. pp. einfordert, dann muß ich ihn allerdings fragen, wo er die letzten vier Jahre verbracht hat. Ich habe ihn ab und zu in der Enquetekommission gesehen, aber da muß er geschlafen haben.
Beim Handeln in Sachen Sommersmog hat sich die Bundesregierung offensichtlich ein Tempolimit verordnet. Dabei sind die Auswirkungen des Ozons auf die menschliche Gesundheit inzwischen nicht mehr ernsthaft zu bestreiten - ich denke, auch Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, tun das nicht -: verminderte Lungenfunktion, Reizhusten, Augenreizungen, Kopfschmerzen schon ab Konzentrationen von 100 bis 160 Mikrogramm je Kubikmeter. Eine ganze Reihe von Studien zeigen, daß bereits bei je-
Dr. Dagmar Enkelmann
dem Fünften dieser Wert von toxischen Ozonkonzentrationen erreicht wird. Bei höheren Werten sind Chromosomenveränderungen und eine Schwächung des Immunsystems möglich. Jeder, der in Spitzenzeiten in Berlin ist, kann das nachvollziehen. Es ist nichts, was nur auf dem Papier steht.
Am schlimmsten trifft es wieder einmal die Kinder. Ihr Atemvolumen ist, bezogen auf ihr Körpergewicht, größer als bei Erwachsenen. Leider werden die Grenzwerte, die Sie als Grundlage nehmen, auf Erwachsene bezogen. Aber Kinder haben ja bekanntlich keine Lobby.
- Noch keine. Da müssen wir etwas tun.
Ich habe von der großen Akzeptanz der Bevölkerung hinsichtlich einer Geschwindigkeitsbeschränkung gesprochen. Aber was die Leute wirklich nicht kapieren, ist, weshalb sie ab einer bestimmten Landesgrenze, z. B. zwischen Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, wieder schneller fahren können, sozusagen als ob die Luftverschmutzung an der Grenze haltmacht. Sie spielen hier mit der Glaubwürdigkeit politischer Entscheidungen und damit auch politischer Entscheidungsträger.
Anfang 1995 ist die EU-Richtlinie über die Luftverschmutzung durch Ozon in Kraft getreten. Darin werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Bevölkerung bei Überschreitung der Ozonschwellenwerte von 180 Mikrogramm regelmäßig zu warnen. Entsprechend dieser Richtlinie hat nun der Bundesrat eine Initiative eingebracht, mit der die Bundesregierung aufgefordert wird, eine entsprechende Verordnungsermächtigung in das Bundes-Immissionsschutzgesetz aufzunehmen.
Der Entwurf sieht neben Geschwindigkeitsbegrenzungen bei erhöhter Ozonbelastung auch Fahrverbote für Fahrzeuge ohne geregelten Kat vor. Aber genau da, wo es konkret werden müßte, vor allen Dingen auch konsequent, kneift der Bundesrat wieder. So fehlen u. a. bei den jeweiligen Maßnahmen Grenzwerte. Sinn macht die Regelung unseres Erachtens auch nur dann, wenn sie restriktiv gehandhabt wird, d. h., auch schadstoffarme Fahrzeuge Berücksichtigung finden sowie Ausnahmen klar definiert werden.
Ähnlich wie in Hessen sollten in allen Bundesländern Bußgelder für Überschreitung von Ozon-Tempolimits verhängt werden. Ein frühzeitiges Eingreifen sollte zwingend geregelt werden. Der Wert von 120 Mikrogramm je Kubikmeter erscheint uns für die Auslösung einer Vorwarnstufe als angemessen. Bereits vor einer absehbaren Ozonwetterlage müssen Tempolimits als länderübergreifende Maßnahmen erlassen werden.
Unseres Erachtens ist es notwendig, die Entscheidungskompetenz für verkehrsbeschränkende Maßnahmen von den Verkehrs- auf die Umweltschutzbehörden zu verlagern. Das würde möglicherweise auch die Chance bieten, im Zusammenhang mit der Ozonbelastung nicht nur über Verkehrsbeschränkungen, sondern auch über diejenigen Berufsgruppen zu sprechen, die ihren Beruf im Freien ausüben, also Bauarbeiter, Landschaftsgärtner usw., die dringend eines verbesserten Schutzes bedürfen.
Die von der Bundesregierung nun angekündigte Sommersmogverordnung darf jedenfalls nicht zu einem Förderprogramm für schadstoffarme Autos werden, um zuallererst die Absatzschwierigkeiten der Autoindustrie zu beseitigen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold.
- Ich bin gehalten, Regierungsfraktionen und Opposition abwechselnd reden zu lassen.
Frau Präsidentin, wir respektieren selbstverständlich Ihre Entscheidung, auch wenn es andersherum mehr Spaß gemacht hätte.
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich fand ausgesprochen interessant, in welcher Form Herr Matthiesen das Ganze hier kommentiert hat. Ich erspare mir den Hinweis auf den kommenden Sonntag; denn das wäre zu einfach. Lassen wir das einmal weg.
Herr Matthiesen, die erste Kritik, die Sie an die eigenen Reihen gerichtet haben, war die Frage der Vielfalt der Regelungen. Es hätte den Bundesländern überhaupt nicht weh getan, wenn sie sich abgesprochen hätten, statt völlig unkoordiniert vorzugehen.
Aber die Profilsuche war es doch, nicht die Lösung der Sachfragen, die die einzelnen dazu gebracht hat, hier so und dort anders vorstellig zu werden, und die deutlich gemacht hat, daß letztendlich sie für diese Vielfalt verwirrender Vorstellungen die Verantwortung tragen. Wir müssen das einmal richtig herausarbeiten. Der Vorwurf geht nicht an dieses Haus, sondern an die, die diese vielfältigen Regelungen gemacht haben, ohne sie sinnvoll zu begründen.
Daß wir jetzt durch Sie im Nachgang eine Bestätigung dafür erfahren, daß wir die Politik auf Katalysatorautos hin ausgerichtet haben, finde ich gut. Sie können das ruhig einmal lobend erwähnen. Die Bundesrepublik ist in der EU das Land, das mehr Katalysatorfahrzeuge hat als alle anderen zusammengenommen.
Dr. Klaus W. Lippold
Ich gehe auf einen weiteren Punkt ein, Herr Matthiesen, den Sie angesprochen haben. Sie haben gesagt, Sie brauchten eine Bundesregelung, damit Verstöße auf klarer rechtlicher Grundlage geahndet werden könnten. Ich habe dies sehr wohl vernommen, Herr Matthiesen. Bei diesem Punkt hätten Sie eigentlich zu Herrn Eichel hinüberschauen sollen. In Hessen werden Bußgeldbescheide ohne die von Ihnen geforderte klare rechtliche Grundlage herausgegeben. Dort wird ohne rechtliche Grundlage zugegriffen.
Ich sage das in meiner Art: Das ist Beutelschneiderei. Das ist Wegelagerei. Das kann man so nicht akzeptieren.
Warten Sie doch die von Ihrem Kollegen Matthiesen geforderte klare rechtliche Grundlage ab.
Herr Matthiesen, ich danke Ihnen für dieses klare Wort. Daß ich es in meiner Art etwas deutlicher übersetzt habe, müssen Sie gestatten. Man geht unter Kollegen der gleichen Couleur etwas vornehm miteinander um, deshalb muß man Kritik, die vornehm geäußert wird, einmal sehr deutlich machen. Dafür, Herr Matthiesen, einen sehr herzlichen Dank. Das haben Sie gerade hervorragend gemacht. Ich kann nur unterstreichen, was Sie in diesem Punkt gesagt haben.
Deshalb wäre es sinnvoll, wenn Sie hinzugefügt hätten, daß das Land Hessen jetzt die Bürger nicht mehr behelligen, sondern diese Dinge für erledigt erklären sollte, weil es keine klare rechtliche Grundlage gibt.
Jetzt könnte man natürlich sagen, Herr Eichel: Es gibt unterschiedliche Rechtsauffassungen. Auf hoher See und vor einem deutschen Gericht sind wir alle in Gottes Hand. - Aber ich meine, wenn es diese klare, von Herrn Matthiesen geforderte Grundlage nicht gibt, dann sollten wir darauf verzichten, uns auf diese Art und Weise in Unsicherheiten zum Nachteil der Bürger hineinzubegeben. Das wäre vermeidbar, und das wäre eine klare Aussage, die wir gemeinschaftlich tragen können.
Der Kollege Rieder hat deutlich gemacht - ich sage das noch einmal mit Blick auf die GRÜNEN -, daß wir in dieser Beziehung die wissenschaftlichen Grundlagen erläutern müssen. Sie haben gesagt, Sie wollten sie dargelegt haben. Ich gebe zu, Kollege Rieder hatte nicht genug Zeit, Ihre Defizite aufzuarbeiten.
Das ist ein Punkt, auf den wir auch noch zu sprechen kommen können.
Sie, Frau Altmann, haben die Enquete-Kommission angesprochen, der ich vorgesessen habe. Das war ein sehr guter Hinweis. Mir wäre es ansonsten entgangen, Ihnen noch einmal deutlich zu machen, daß in dieser Enquete-Kommission hervorragend qualifizierte Professoren saßen, die gesagt haben, daß all das in der Form, wie Sie es sich denken, blanker Unsinn ist, weil es die Ursachen der Probleme nicht beseitigt und weil es gleichzeitig nicht dazu beiträgt, bei existierenden Ozonkonzentrationen Abhilfe zu schaffen. Das ist der Punkt. Sie hätten in dieser Enquete-Kommission lernen können. Wir haben heute bedauerlicherweise viel zuwenig Zeit, all die Defizite aufzuarbeiten, die es gibt.
Ich will noch einmal das Folgende deutlich machen: Sowohl der baden-württembergische Versuch hat gezeigt, daß dies nichts bringt, als auch - ich will das einmal so deutlich sagen - der hessische Versuch. In bezug auf den baden-württembergischen Versuch werden Sie mir natürlich eine Anmerkung nachsehen, die ganz deutlich gemacht werden muß. Wenn bei einer Tempobeschränkung der dortige Umweltminister 180 km/h fährt und nachweislich nicht mit einem Bußgeld belegt wird, während der hessische Ministerpräsident einfache Bürger mit Bußgeldern verfolgt, dann ist das ein Widerspruch, den wir in diesem Parlament ansprechen müssen.
Das geht so nicht. Die Großen läßt man laufen, und die kleinen hessischen Bürger werden gehängt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten CaspersMerk?
Herr Eichel, wir können uns gern darüber unterhalten. Die Liste der Kollegen, auch aus Ihrem früheren Kabinett, die jetzt in der Bundestagsfraktion sitzen und die abgelichtet wurden, ließe sich erheblich verlängern.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich will aber ganz deutlich sagen: Das geht nicht. Die Minister läßt man laufen; die kleinen hessischen Bürger werden gehängt.
Das kann nicht unsere Politik sein. Dagegen werden wir Stellung nehmen.
Herr Abgeordneter, ich frage Sie jetzt noch einmal, ob Sie eine Zwischenfrage gestatten?
Nein.
Keine.
Im übrigen, Frau Altmann, ist es natürlich interessant, daß Sie auf den Zusammenhang zwischen Tempolimit und Ozonwerten verweisen, im gleichen Zusammenhang die Situation in Los Angeles mit den Spitzenwerten in der Konzentration ansprechen und daß Sie vergessen, hinzuzufügen, daß es in den USA ein Tempolimit bei 90 km/h gibt. Dabei handelt es sich um ein langjähriges, flächendeckendes Tempolimit, Verehrteste, bei dem Sie natürlich diese Zusammenhänge dann nicht herstellen. Ich frage mich: Wie selektiv argumentieren Sie eigentlich? Es kommt Ihnen immer einmal wieder etwas in den Sinn. Achten Sie doch einmal auf die Konsistenz Ihrer Argumentation; dann kämen wir ein Stück weiter.
- Achten Sie auf die Konsistenz Ihrer Argumentation.
- Verehrteste, ich habe Zeit an andere abgegeben; deswegen bin ich heute etwas beschränkt
in der Möglichkeit, hier etwas zu sagen.
Ich weiß, es tut Ihnen gelegentlich weh, wenn ich Ihnen die Wahrheit sage.
Lassen Sie mich mit einem Punkt schließen, den ich für unabweisbar notwendig halte.
Was in der Vergangenheit etwas gebracht hat, war die konzentrierte Arbeit dieser Bundesregierung, die Emissionen nicht nur des Kraftfahrzeuges zu senken, sondern auch die der Industrieanlagen und in einer Fülle anderer Bereiche. Ohne diese Politik gäbe es heute ganz andere Ozonkonzentrationen. Ich kann die Bundesregierung nur auffordern, diesen Weg konsequent und schlüssig weiter zu gehen. Dann werden wir die Konzentrationen weiter absenken. Das ist der einzige Weg, der hilft, nicht aber Ihre Position, die nicht haltbar ist, was Sie übrigens selbst wissen, aber Sie brauchen es, um Ihre Position, die Sie draußen an anderen Punkten nicht verdeutlichen können, mal wieder hochzuziehen. Das ist der Punkt.
Das Wort hat der Abgeordnete Schütz.
Herr Lippold, Sie waren nicht nur beschränkt in Ihrer Zeit, sondern Sie waren auch dreist mit dem, was Sie hier gesagt haben.
Ich halte es wirklich für dreist, den Ländern vorzuwerfen, sie machten vielfache Vorschläge. Wir diskutieren heute einen Vorschlag der SPD, einen Vorschlag der PDS und einen Vorschlag der GRÜNEN, und wir diskutieren keinen Vorschlag von Ihnen. Was Sie hier gesagt haben, war nichts. Sie haben keinen einzigen Vorschlag gemacht.
Ich will Ihnen auch ganz ehrlich sagen, was ich gerne getan hätte. Ich hätte heute gerne über einen detaillierten Gesetzentwurf der Bundesregierung gesprochen und dazu Stellung genommen, aber auch so etwas liegt mir nicht vor. Es liegen seit fünf Jahren Ankündigungen vor, aber ein Vorschlag der Bundesregierung liegt nicht vor.
Was uns vorliegt, ist eine Bundesratsinitiative für eine Ermächtigungsgrundlage im Bundes-Immissionsschutzgesetz, mit der die Länder die Initiative übernommen haben, weil sich eben die Bundesregierung seit Jahren verweigert hat. Ich begrüße diese Initiative.
Ich will dabei den Streit nicht vertiefen, ob wir eine Ermächtigungsgrundlage im Bundes-Immissionsschutzgesetz benötigen, um darauf eine Sommersmogverordnung zu stützen, wie das bei vielen Gesetzen geschieht, oder ob wir eine vollständige Gesetzesnovelle brauchen, wie es die Bundesregierung sagt.
Nach meinen Informationen hatte Frau Merkel selber Anfang vorigen Jahres die Vorlage einer Sommersmogverordnung versprochen, und wenn ich den Berichterstattern Glauben schenken soll, hat sie mit dem Blick auf die heute beginnende Umweltministerkonferenz einen Gesetzentwurf vorgelegt. Wir Abgeordneten in diesem Deutschen Bundestag kennen das überhaupt noch nicht, wohl aber wissen Presseorgane darüber Bescheid.
Wie geht man mit uns um? - Das ist bereits das zweite Mal. Voriges Mal habe ich es zum Öko-Audit bemängelt, und ich will das wieder bemängeln. So können wir in diesem Hause nicht diskutieren.
Meine Kolleginnnen und Kollegen, meine Skepsis wächst auch, wenn just an diesem Wochenende, an dem wir den Smogalarm schon in den beiden Großbundesländern Niedersachsen und Hessen und auch in Hamburg und Bremen hatten, von den Kollegen Rieder und Lippold gesagt wird, wir bräuchten die Instrumente wie Tempolimit oder auch partielle Fahrverbote gar nicht; das sei sinnloser Aktionismus, sagen Sie, Herr Rieder, und das sagen Sie schon seit fünf Jahren.
Dietmar Schütz
Die falsche Parole „Freie Fahrt für freie Bürger" wird von vielen munter weiter verbreitet. Nach den mir jetzt bekanntgewordenen Ozonschwellenwerten für die Alarmauslösung der Bundesregierung von 240 oder sogar 300 Mikrogramm ist man versucht, zynisch zu sagen: Kinder und alte Menschen sollen bei hohen Ozonwerten in den Wohnungen bleiben, damit Autos ungehindert weiter fahren können. Das kann doch nicht der Weg sein; das dürfen wir nicht zulassen.
In den letzten Jahren haben einzelne SPD-geführte Bundesländer mit eigenen sogenannten Vorläuferverordnungen Initiativen zur Bekämpfung des Sommersmogs ergriffen - Vorläuferverordnungen deshalb, weil sie auf die Erledigung der Hausarbeiten durch die Bundesregierung vertrauten. Im Ergebnis haben sie dabei das Handlungsdefizit der Bundesregierung offengelegt und Wege gewiesen, wie wir bei den Ozonreduzierungen vorgehen können. Diese Aktionen haben aber auch gleichzeitig gezeigt, daß die Länder alleine nicht in der Lage sind, wirksam zu reagieren, weil wir großflächig und mit dem Bund abgestimmt vorgehen müssen. An dieser Stelle besteht ja Gott sei Dank Einigkeit in diesem Hause.
Wir haben als Bundestagsfraktion unsere Positionen und Forderungen in einem Antrag „Eckpunkte zur Bekämpfung umwelt- und gesundheitsgefährdender bodennaher Ozonkonzentration" formuliert, die wir auf die Diskussionsergebnisse der Länder und die wissenschaftliche Begleitung vor allem durch die Prognos-AG und auch das ifen gestützt haben.
Worum geht es im einzelnen? Die Ozonkonzentration ist insgesamt zu hoch; das wissen wir. Die mittlere Konzentration ist heute fünfmal höher als vor 100 Jahren. Spitzenwerte von über 300 Mikrogramm, wie wir sie im letzten Jahr im Sommer hatten, galten noch vor 20 Jahren als Horrorszenario.
Es gibt keinen Streit mehr darüber, daß hohe Ozonkonzentrationen die Gesundheit der Menschen und die Umwelt schädigen. Ozon ist ein Reizgas und ein Lungengift, das auch in niedriger Konzentration besonders Kinder, Allergiker und ältere Menschen belastet. Ozon schadet neben den Menschen übrigens auch den Pflanzen und trägt zur genetischen Krise in den Wäldern und bei den Pflanzen bei.
Es ist unstrittig, daß die Emissionen aus dem Autoverkehr die Hauptverursacher für den Sommersmog sind. Darüber streiten wir hier nicht. Die Vorläufersubstanzen des Ozons stammen zum großen Teil aus dem Pkw- und Lkw-Verkehr. Über 40 % der flüchtigen organischen Verbindungen und 57 % der Stickoxide kommen aus den Auspuffrohren. Im Verkehrssektor muß deshalb primär angesetzt werden, wenn wir über die Maßnahmen zur Bekämpfung des Sommersmogs sprechen.
Eines will ich aber klar sagen: Wir wissen, daß eine Sommersmogverordnung nur eine „Krücke" darstellt. Sie ist gewissermaßen nur ein „end of pipe treatment". Entscheidend ist, daß wir unsere gesamte Verkehrspolitik neu - d. h. menschen- und umweltverträglicher - organisieren müssen. Wir brauchen eine neue Verkehrspolitik.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Homburger?
Ja, sie wurde ja vorhin auch traktiert. Da will ich sie nicht völlig zurückweisen.
Herr Kollege Schütz, Sie haben gerade gesagt, wir müßten hauptsächlich im Verkehrssektor ansetzen, weil er zu 70 % zu den NOx-Emissionen beiträgt. Das bestreite ich auch nicht, da sind wir in Übereinstimmung, das ist ja auch wissenschaftlich erwiesen. Was sagen Sie dann allerdings dazu, daß der Wissenschaftliche Beirat zu den Ergebnissen des Ozonversuchs Neckarsulm/ Heilbronn in seinem Votum sagt, daß die wesentlichen Erkenntnisse in der Feststellung liegen - ich zitiere -, „daß begleitend zu Verkehrsminderungsmaßnahmen auch solche bei VOC- oder NOx-emittierenden Anlagen der Industrie und des Gewerbes in der gleichen Größenordnung notwendig sind"?
Frau Kollegin, ich wäre gleich noch dazu gekommen, daß wir natürlich nicht nur im Verkehr - und das hat Herr Matthiesen auch schon dargelegt -, sondern auch im industriellen Bereich reagieren müssen, daß wir andere Substanzen einsetzen müssen, daß wir auch Beschränkungen aussprechen müssen. Darüber gibt es gar keinen Streit. Aber jetzt streiten wir hauptsächlich über die Maßnahmen zum Verkehr, und lassen Sie mich dazu jetzt auch in meinem Text weitergehen.
Wir brauchen - und das haben Sie schon gesagt - einen Umbau im Verkehr, wir brauchen eine Schadstoffreduzierung durch das Fünf-Liter-Auto, durch das 3,5-Liter-Auto, das wir fordern, und wir brauchen natürlich massive Verkehrsvermeidungsstrategien, um den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen.
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das ich jedesmal zitiere und das ich Ihnen auch heute nicht vorenthalten will. Mein Kollege Bredehorn kennt das sehr gut.
In der Krummhörn werden die Krabbenpuler zu hoch bezahlt. Deswegen werden Kühltransporter eingesetzt, die jeden Tag von der Krummhörn, also von Ostfriesland, nach Stettin fahren. Dort werden die Krabben gepult, als gepulte Krabben wieder zurücktransportiert und dann verpackt und umverteilt. Das ist doch ein Widersinn in unserer Transportpolitik. Nur weil die Preise die ökologische und ökonomische Wahrheit nicht wiedergeben, machen wir einen solchen Schwachsinn. Wenn wir damit nicht aufhö-
Dietmar Schütz
ren und nicht den Ausstoß dieser Schadstoffe verhindern, dann können wir jahrelang über Sommersmog reden, weil wir keine vernünftige Verkehrspolitik machen.
Also, wir müssen mit den Transportkosten anders umgehen, wir müssen sie anrechnen.
Aber ich komme zur Sommersmogverordnung zurück. Ich will nur noch sagen, daß wir großflächige Lösungen brauchen. Deswegen müssen die Länder zusammenarbeiten, aber auch der Bund muß mit den Ländern zusammenarbeiten. Ich weiß nicht, ob wir diese Cluster brauchen, die die LAI vorgeschlagen hat. Wir werden darüber diskutieren, wie wir die Großflächigkeit organisieren, aber wir brauchen sie.
Ich will noch etwas über die Grenzwerte sagen. Bei der Ermittlung der Grenzwerte, Herr Rieder, müssen wir auch darüber reden, daß wir diese Grenzwertdiskussion an einem bestimmten Menschentyp, nämlich 70 kg schwer, 2 m über dem Boden, geführt haben. Darauf ist das alles abgestellt, nicht auf das 1 m große, 25 oder 30 kg schwere fünfjährige Kind. Dieses Kind leidet viel eher darunter. Deswegen ist also die Diskussion über einen sehr hohen Schwellenwert gerade für Kinder am schädlichsten.
Lassen Sie mich etwas zu den Schwellenwerten sagen. Die Weltgesundheitsorganisation hat - das wissen wir auch, und darüber gibt es unter uns auch keinen Streit - einen Schwellenwert von 120 Mikrogramm Ozon je Kubikmeter Atemluft als erste Gesundheitsgefährdung angesehen. Deswegen wollen wir bei Erreichung dieses Wertes wenigstens als Informationsübermittlung sagen, daß sich eine Ozonsituation aufbaut. Ich glaube, darüber brauchen wir auch nicht zu streiten.
Der Streit geht darum, wo wir mit einer Alarmierung ansetzen. Wir sehen, meine Kolleginnen und Kollegen bei den Grünen, Ihre Alarmierung, die schon bei 120 einsetzt, als wesentlich zu früh an. Wenn Sie das so machen und dann schon Alarm auslösen wollen, dann haben Sie in den Sommermonaten eine permanente Alarmsituation. Das können wir nicht akzeptieren.
Ich finde, wir sollten bei dem Wert in Höhe von 180 bleiben. Er ist hoch genug, um nicht jedesmal einen Alarm auszulösen, aber gering genug, um noch Maßnahmen wirksam durchsetzen zu können. Die Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, ob dies nun abgestuft oder gleichzeitig geschieht, sind Tempolimit, Fahrverbote für Fahrzeuge ohne Katalysator und Maßnahmen im Industriebereich, Frau Homburger.
In unserem Antrag haben wir geschrieben, daß wir für Pkws auf Autobahnen ein Tempolimit von 80 km/h wollen; die Länder diskutieren ein Tempolimit von 90 km/h. Wir haben die LAI-Zahlen genannt, weil wir meinen, daß wir zunächst mit den von der Wissenschaft vorgeschlagenen Grundlagen in die Diskussionen gehen sollten. Wir werden das in den Ausschüssen weiterdiskutieren und mit den Ländern abzustimmen haben. Ich will das, was die Positionen anbetrifft, hier so offen sagen.
Wir sollten sehr früh über Fahrverbote für umweltschädigende Fahrzeuge diskutieren. Herr Lippold, wenn frühzeitig Katalysatoren eingebaut worden wären, wenn wir damals das Tempo dafür erhöht hätten, hätten wir die Diskussion gar nicht in diesem Umfang führen müssen;
denn dann gäbe es faktisch weniger Autos, die keine Katalysatoren haben. Jetzt gibt es auf der Straße noch 40 % solcher Fahrzeuge.
Meine Damen und Herren, ich muß zum Schluß kommen: Wir müssen gemeinsam, in Abstimmung mit den Ländern handeln. Wir sollten nicht jedesmal zurückschrecken. Dieser Sommer muß der letzte sein, in dem wir kein Instrument haben. Wir sollten nach diesem Sommer nur mit einer SommersmogVerordnung oder einem entsprechenden Gesetz aus diesem Bundestag herausgehen. Dazu sind wir aufgefordert.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Ministerpräsident des Landes Hessen, Hans Eichel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will nichts von dem wiederholen, was hier meiner Meinung nach von vielen Seiten richtigerweise gesagt worden ist.
Ich will gleich zu Anfang zu Ihnen, Herr Lippold, sagen: Die Tatsache, daß wir vielfältige Regelungen haben, begreife ich in diesem Falle, solange es nicht ein Bundesgesetz, das wir wollen, gibt, nicht als einen Nachteil, sondern als einen Vorteil.
Diese Debatte fände gar nicht statt, wenn sowohl der Bund als auch die Länder nicht gehandelt hätten. Das ist der Vorzug des Föderalismus.
Ich sage ausdrücklich: Die Debatte würden wir nicht führen, wären nicht zwei Dinge passiert: Hessen hat im vorigen Sommer gehandelt
Ministerpräsident Hans Eichel
- oh ja -, und die Bürgerinnen und Bürger haben gezeigt, wie vernünftig sie selbst darüber denken - auch die Autofahrer.
Das heißt: Wir haben die Akzeptanz der Menschen im Lande.
Übrigens: Harald B. Schäfer wäre bei uns natürlich unter die Bußgeldregelung gefallen, Herr Dr. Lippold, mit großem Vergnügen. Herrn Clemens Reif, den umweltpolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, hätten wir mit Tempo 180 km/h während der Sommersmogzeit im vergangenen Jahr gerne drangekriegt - damit wir uns da richtig verstehen.
- Das bedaure ich. Die hessische Zuständigkeit aber reicht nur bis an die Landesgrenzen. Kommen Sie zu uns, dann bekommen Sie ein Bußgeld, wenn Sie darauf Wert legen.
Meine Damen und Herren, andere Länder sind diesem Beispiel gefolgt: Schleswig-Holstein, Bremen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. In den nächsten Tagen werden weitere Bundesländer folgen.
Ich sage Ihnen: Eines verstehe ich an dieser Debatte nicht. Es hilft uns doch nicht, jetzt über langfristige Maßnahmen zu reden. Die Diskussion um die schadstoffabhängige Kraftfahrzeugsteuer kennen Sie so lange wie ich. Nur, geschehen ist nichts. Deswegen werden wir nicht auf Herrn Wissmann mit der schadstoffabhängigen Kraftfahrzeugsteuer und ihre spätere Wirkung warten. Das alles können Sie machen. Sie werden in uns große Verbündete finden, wenn Sie endlich zu einer vernünftigen Verkehrspolitik kommen; die Stichworte sind gefallen.
Zur Verkehrsvermeidung habe ich vor Jahren einen wunderbaren Vortrag von Herrn Töpfer in der Paulskirche gehört. Das alles konnte ich unterschreiben. Ich sehe nur keine praktische Politik. Wenn wirklich eine Bahn-Vorrang-Politik betrieben werden soll, können wir darüber reden. Dazu wären wir sofort bereit. Nur, das hilft uns heute nichts.
Eines verstehe ich nicht, meine Damen und Herren. Man muß doch gar nicht polemisieren, es kann doch keinen Streit darüber geben, daß neben der Notwendigkeit, an die Grundstrukturen heranzugehen, auch die Notwendigkeit zu kurzfristig wirkenden Maßnahmen besteht, um die Spitzen wegzunehmen.
- Selbstverständlich geht es. Sie selbst haben es alle hier bewiesen.
Dann müssen wir eben z. B. mit großräumigen Tempolimits und mit Fahrverboten für Autos ohne geregelten Kat schon frühzeitig, im Frühsommer, anfangen. Das wird sich nicht vermeiden lassen, wenn man diese Wirkung will.
- Ja, es hilft doch nichts, wenn Sie nach dem Motto diskutieren: Es ist ein Riesenproblem, gegenwärtig können wir gar nichts machen; in Zukunft tun wir vielleicht etwas.
Es gibt eine ungeheuer einfache Antwort, nämlich alles das zu tun, was wir jetzt tun können und was - da stimme ich zu - auch noch sozialverträglich ist. Aber Sozialverträglichkeit betrifft ja nicht nur die Frage, ob alle zur Arbeit oder aus dem Urlaub nach Hause kommen. Auch die Frage, wie wir mit der Gesundheit von Kindern und von alten Leuten umgehen, ist eben eine Frage der Sozialverträglichkeit.
Deswegen kann es doch gar nicht strittig sein, daß wir das, was wir heute tun können, auch tun müssen, wenn es sicherlich auch nicht den großen Durchbruch bringt, wenn wir auch fundamentalere Maßnahmen brauchen.
Hessen hat nie behauptet, daß es seine Probleme allein lösen kann. Aber wir waren es leid, immer auf einen Bundesgesetzgeber zu warten, der uns nur auf die Zukunft vertröstet und in der Gegenwart nichts tut.
Und deswegen sind wir heute einen ganzen Schritt weiter.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lassen Sie uns jetzt an die Themen herangehen! Es gibt ja übrigens auch seit der Umweltministerkonferenz im November vergangenen Jahres - mit Zustimmung von Frau Merkel - weitgehende Vorstellungen darüber, wie das ginge.
Ihr Problem ist doch ein anderes. Frau Merkel ist von der Umweltministerkonferenz zurückgekommen, und Herr Rexrodt und Herr Wissmann haben gesagt: Das darfst du aber nicht tun! - Das ist doch Ihr Problem, und dieses Problem räumen Sie, bitte, unter sich aus!
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie keine Zwischenfrage oder doch eine?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, ich möchte das jetzt zu Ende bringen.
Ministerpräsident Hans Eichel
Es gibt eine ganz ungeheuer einfache Antwort.
Entweder machen wir jetzt ein Bundesgesetz, wofür der Bundesrat in Verfolg eines einstimmigen Beschlusses der Umweltminister des Bundes und der Länder ist, oder der Bundesgesetzgeber ist dazu nicht in der Lage, und dann sage ich Ihnen: Den Vorwurf vorsätzlicher Körperverletzung oder mindestens unterlassener Hilfeleistung werden sich eine Reihe Landesregierungen nicht machen lassen.
Wenn der Bundesgesetzgeber nicht in der Lage ist zu handeln, bin ich jetzt nicht mehr für die föderale Vielfalt. Wir sind auf der Länderseite einen Schritt weiter. Ich plädiere dafür, daß dann die Länder handeln, und zwar so viele wie möglich; wenn es geht, alle. Und ich sage Ihnen: Wir werden dazu auch in der Lage sein.
Meine herzliche Bitte ist: Lassen Sie uns gemeinsam handeln. Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, kündige ich Ihnen an, daß es eine große Zahl von Ländern gemeinsam tun wird.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Walter Hirche.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Eichel, wir sind natürlich daran interessiert, gemeinsam das zu tun, was wir tun können; aber es muß auch vernünftig sein.
Die beste Antwort auf die Rede, die Sie hier gehalten haben, war die des Kollegen Matthiesen zu Beginn dieser Diskussion. Er hat aufgezählt, was man machen kann, was vernünftig ist, und er hat gesagt, daß man koordiniert vorgehen sollte.
Ich habe im übrigen noch nie einen Ministerpräsidenten gehört, der dieses Tohuwabohu, das sich zwischen den Ländern entwickelt hat, auch noch als Musterbeispiel für den Föderalismus dargestellt hätte.
Ich hätte mir gewünscht, wenn die Länder schon meinen handeln zu müssen - darüber kann man politisch unterschiedlicher Auffassung sein -, daß dies miteinander abgestimmt worden wäre. Das ist auch ein Punkt, der die Bundesregierung dazu bringt, z. B. heute abend in den Gesprächen, die sich bei der Umweltministerkonferenz ergeben, einen gemeinsamen Weg zu suchen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß die Bürger nicht von unterschiedlichen Regelungen verwirrt werden, bei denen sich jeder auf absolute wissenschaftliche Werte beruft.
Die Länderarbeitsgemeinschaft Immissionsschutz ist kein Gremium von Wissenschaftlern, Herr Schütz, sondern es sind die Beamten aus den Bundesländern, die sich zusammenfinden, um eine Regelung vorzubereiten - verdienstvollerweise, will ich dazu sagen.
Wir sollten daraus die Erkenntnis ziehen, daß nicht alles so genau im wissenschaftlichen Bereich festgelegt ist; denn wenn alles so klar wäre, hätte es nicht zu unterschiedlichen Regelungen zwischen den Bundesländern kommen dürfen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten CaspersMerk?
Gern.
Herr Kollege, wenn Sie bemüht sind, heute bei der Umweltministerkonferenz in Dessau etwas vorzulegen, können Sie dem Parlament und nicht nur der Presse die Eckpunkte dieses Programms vorlegen? Uns interessiert natürlich auch, welche Position die Bundesregierung einnimmt; denn wir diskutieren im Moment ohne eine Grundlage aus Ihrem Haus.
Frau Kollegin, der Sinn dieser Debatte ist eigentlich, daß ein Redner bestimmte Vorstellungen äußern kann und daß er nicht am Beginn der Rede gefragt wird, was er am Ende vielleicht sagen kann. Deswegen möchte ich keine weiteren Zwischenfragen zulassen, sondern zunächst fortfahren.
Die Politik der Bundesregierung zur Reduzierung der Ozonbelastung ist im Sinne des Vorsorgeprinzips - darin sind wir uns wohl einig - primär auf eine nachhaltige Verminderung der Vorläufersubstanzen - Stickstoffoxyde und die sogenannten flüchtigen organischen Verbindungen - insbesondere im Verkehrsbereich ausgerichtet. Ich denke, die Bundesregierung hat durch die Maßnahmen der letzten Jahre eine Menge erreicht, z. B. daß in der Bundesrepublik Deutschland heute je etwa 500 000 t Stickstoffoxyde und flüchtige organische Verbindungen pro Jahr weniger emittiert werden als ohne diese Luftreinhaltemaßnahmen und daß bereits im Juli 1991 rund 97 % der neuzugelassenen Pkw mit Ottomotor mit einem geregelten Drei-Wege-Katalysator ausgerüstet waren.
Seit dem 1. Januar 1993 ist der geregelte Katalysator EG-weit obligatorisch geworden, so daß inzwischen mehr als die Hälfte des betreffenden Pkw-Bestands mit dieser Technik ausgestattet ist. Schließlich geht auch die Nachrüstung bei den Kraftwerken zur Verminderung der Stickstoffoxyde weiter. Die Mehrzahl ist bereits heute umgerüstet.
Parl. Staatssekretär Walter Hirche
Wie bekannt, traten im Sommer 1994 in Deutschland Ozonkonzentrationen an einzelnen Tagen und für einige Stunden von mehr als 300 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft als Stundenmittelwert auf, die Maximalwerte lagen bei über 340 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft.
Meine Damen und Herren, wegen des hohen Anteils der Emissionen - ich erspare mir hier weitere Hinweise - aus dem Straßenverkehr an den ozonbildenden Stoffen liegt es nahe, zunächst im Verkehrsbereich den Schwerpunkt zu setzen und bei Vorliegen eng umschriebener Voraussetzungen, den Verkehr zu beschränken oder zu verbieten.
Jüngste Erkenntnisse belegen, daß es zur Senkung der Spitzenkonzentrationen - auch hier stelle ich Übereinstimmung fest - nicht ausreicht, derartige Beschränkungen bzw. Verbote in vereinzelten, lokal eng begrenzten Gebieten vorzusehen. Ich will dazu ausdrücklich sagen: Regelungen im Verkehrsbereich sind vordringlich, das schließt eine Diskussion über Maßnahmen in anderen Bereichen keineswegs aus.
Die Bundesregierung und der Bundesrat sind sich in der Zielsetzung einig. Eine Fortentwicklung des Bundesimmissionschutzrechts zur Bekämpfung erhöhter Ozonkonzentration ist unerläßlich. Wegen des hohen Anteils der Emissionen aus dem Straßenverkehr an den ozonbildenden Stoffen ist es erforderlich, daß bei besonders hohen Ozonkonzentrationen vor allem der Straßenverkehr beschränkt wird.
Nur hat es sich der Bundesrat etwas zu einfach gemacht. Statt Farbe zu bekennen, welche Maßnahmen erforderlich sind und bei welchen Schwellenwerten diese Maßnahmen ergriffen werden müssen, enthält der Gesetzentwurf des Bundesrates lediglich die Ermächtigung für die Bundesregierung, diese Entscheidung per Rechtsverordnung zu treffen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Lassen Sie mich den Gedanken zu Ende führen.
Das Grundvertrauen des Bundesrates in die Bundesregierung, daß sie das alles richten wird, freut uns natürlich. Trotzdem, meine ich, muß die Entscheidung, was bei erhöhten Ozonkonzentrationen zu geschehen hat, in das Gesetz selbst hineingeschrieben werden. Das habe ich auch im Bundesrat gesagt.
Die Bundesregierung wird bis Ende Mai einen Gesetzentwurf vorlegen. Sie wird alle Möglichkeiten ausschöpfen, um das Gesetzgebungsverfahren zu beschleunigen. Vorgesehen werden sollen großräumige Fahrbeschränkungen für hochemittierende Fahrzeuge. Ausnahmeregelungen wird es insbesondere für schadstoffarme Fahrzeuge geben. Daraus ergeben sich Benutzervorteile für solche Fahrzeugbesitzer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wir kennen ja die Verfahrenssituation und auch die Frage, ob es einer Verordnungsermächtigung bedarf. Das haben wir alles schon diskutiert.
Ich möchte konkret von Ihnen in der heutigen Debatte wissen: Gibt es für Sie eine Vorstellung, bei welchen Schwellenwerten wir Alarm auslösen, und welche Instrumente würde die Bundesregierung in der Verkehrsbeschränkung vorschlagen? Ich möchte konkrete Vorschläge heute in der Bundestagsdebatte und nicht bei den Umweltministern haben.
Herr Kollege Schütz, ich habe gesagt, daß die Bundesregierung noch im Monat Mai einen solchen Entwurf vorlegen wird, aber über die Schwellenwerte ist noch nicht die endgültige Abstimmung erfolgt.
Es wird darüber in der Bundesregierung noch verhandelt.
Es wird der heutige Kaminabend bei der Umweltministerkonferenz genutzt werden, um die Thematik mit den Umweltministern der Länder zu erörtern, damit wir - wie hier die Kollegen Matthiesen und Eichel angemahnt haben - zu einer möglichst gemeinsamen Regelung kommen. Die Länderumweltminister sind selbstverständlich auch aufgerufen, Herr Kollege Matthiesen, unter Abstimmung mit den Länderwirtschafts- und verkehrsministern Vorschläge für einheitliche Schwellenwerte zu machen.
Kern unserer geplanten bundeseinheitlichen gesetzlichen Regelung sind, wie ich gesagt habe, großräumige Fahrverbote bei besonders hohen Ozonkonzentrationen. Großräumig, Herr Kollege Schütz, kann heißen: auf dem Gebiet eines Flächenlandes oder auf dem Gebiet mehrerer Bundesländer. Dabei sollen die nicht schadstoffarmen Kraftfahrzeuge - das haben auch Sie angeregt - ausgenommen werden, ebenso natürlich der öffentliche Personennahverkehr, Krankentransporte und andere unabweisbar erforderliche Transportmaßnahmen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Gila Altmann?
Bitte.
Herr Hirche, den GRÜNEN liegt der Referentenentwurf seit einigen Tagen vor, und zwar ist das einmal der Gesetzentwurf, das Bundes-Immissionsschutzgesetz zu ändern, und gleichzeitig die Verordnung mit den entsprechenden Maßnahmen. Warum referieren Sie nicht darüber? Warum wird so ein Werk als Geheimsache behandelt?
Frau Kollegin, da wird kein Werk als Geheimsache behandelt. Es gibt nur mehrere Stufen der Erarbeitung innerhalb einer Regierung. Da kann nicht ein Entwurf, der zwischen den Spitzen nicht abgestimmt ist, in die Öffentlichkeit gebracht werden.
Das ist eine Methode, um dann die Debatte zu verunsichern, nicht aber, um sie zu beschleunigen. Wir möchten, daß diese Beschleunigung eintritt, damit möglichst vor der Sommerpause Regelungen beschlossen werden können. Das ist hier das Entscheidende. Wir wollen in diesem Zusammenhang auch - Frau Homburger und andere sind darauf in der Debatte eingegangen - eine sozial verträgliche Ausgestaltung im Auge behalten.
Wir müssen alle Maßnahmen zugleich EU-verträglich ausgestalten. Wir glauben, daß der Stufe, bei der ein Fahrverbot ausgesprochen wird, die Warnstufe auf Basis der entsprechenden Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft vorgeschaltet bleibt, bei der die Bevölkerung über die erhöhten Ozonbelastungen unterrichtet wird.
Dieser Schwellenwert innerhalb der EU liegt derzeit bei 180 Mikrogramm und nicht bei 120 Mikrogramm. Mit dem Schwellenwert für die Fahrverbote wollen wir deutlich unter den EG-Alarmwert von 360 Mikrogramm gehen, um das Erreichen dieser Grenzmarke zu verhindern. Ich habe im Bundesrat darauf hingewiesen, daß er zwischen 200 und 300 Mikrogramm liegen wird.
Die Festlegung des Schwellenwerts - darüber ist in dieser Debatte überhaupt noch nicht gesprochen worden - wird abhängig sein von den Meßbedingungen, für die auch bei den Ländern noch keine einheitliche Linie gefunden worden ist. Insgesamt halte ich den Vorstoß, an der am stärksten wirksamen Stelle einzusetzen, nämlich ab einem bestimmten Schwellenwert mit einem Fahrverbot, für das effizienteste Vorgehen.
Wie Sie wissen, bewirken temporäre Geschwindigkeitsbeschränkungen nur eine geringe Verminderung der Ozonvorläufersubstanzen und besitzen damit nur ein geringes Ozonminderungspotential. Prognos hat in einer Auswertung des dreimaligen hessischen Ozonalarms 1994 festgestellt, daß die damaligen landesweiten Geschwindigkeitsbegrenzungen nur marginale Effekte hatten.
Die Bundesregierung zielt nicht auf solche aktionistischen Effekte, sondern auf eine durchgreifende Minderung von Ozonkonzentrationen. Deshalb steht das Thema Fahrverbot bei uns im Kern der Diskussion.
Was von den Tempobegrenzungen zu halten ist, können Sie heute in einem hochinteressanten Kommentar in der „Stuttgarter Zeitung" im einzelnen nachlesen.
Wir werden die Vorschläge, die die beteiligten Kreise bei der vorgesehenen Anhörung zum Gesetzentwurf vortragen, genau registrieren und im Kabinettsbeschluß gegebenenfalls berücksichtigen. Wir werden zügig entscheiden. Ich hoffe, daß in guter Kooperation mit den Ländern eine schnelle Regelung erreichbar ist. Art und Umfang der Eingriffe müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Bei Überschreitung des Schwellenwerts aber muß durchgreifend gehandelt werden.
Ich appelliere an Sie alle, diesen Weg im Sinne des Umweltschutzes gemeinsam zù beschreiten. Insofern greife ich, Herr Ministerpräsident Eichel, auch Ihren Appell zum Schluß auf. Die Bundesregierung ist zu dieser Kooperation bereit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe jetzt die seltene Gelegenheit in diesem Haus, einem Parlamentarischen Staatssekretär zu einer Jungfernrede zu gratulieren.
Das Wort hat noch einmal Herr Minister Klaus Matthiesen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will nur noch wenige Bemerkungen machen. Eines müssen wir aus der Sicht der Bundesländer und des Bundesrates richtigstellen. Es konnte und sollte auch nicht Aufgabe des Bundesrates sein, konkrete Auslösewerte festzulegen. Es galt, die zwischen Bund und Ländern im Beisein der Bundesumweltministerin getroffene Vereinbarung einzuhalten, daß sich parallel zum Gesetzgebungsverfahren im Bundesrat eine Arbeitsgruppe des Bundes und der Lander um die wissenschaftlichen Grundlagen vernünftiger Auslösewerte zu kümmern hatte. Wir wollten durch die Parallelität dieses Beratungsverfahrens dafür sorgen, daß das Gesetzgebungsverfahren insgesamt zeitlich so abgeschlossen werden konnte, daß wir eine durchgreifende Regelung für den Sommer des Jahres 1995 bekommen würden. Dies zur Richtigstellung des Sachverhalts.
Ich denke, daß die Bundesregierung klargemacht hat, daß sie wirksame Maßnahmen will. Da sie Fahrverbote für den entscheidenden strategischen Ansatzpunkt hält, gibt es ein hohes Maß an Übereinstimmung mit den Bundesländern. Der Streit - er zeichnet sich ab - wird bei der Festlegung der Auslösekriterien beginnen. Ich sage für Nordrhein-Westfalen, aber, denke ich, auch für viele andere Bundesländer ganz deutlich: Über 300 Mikrogramm pro Kubikmeter ist mit uns nicht zu reden, weil das weiße Salbe und eine reine Alibiveranstaltung wäre.
Minister Klaus Matthiesen
Wer es mit der Ozonreduzierung ernst meint, muß vorsorglich breitflächig ansetzen. Der strategische Punkt sind Fahrverbote für Autos ohne geregelten Dreiwegekatalysator und für entsprechende Dieselfahrzeuge. Aus Sicht der Bundesländer versprechen wir uns von einer solchen Verordnung, die dann Zähne hat und sie auch zeigt, daß es beim Altwagenbestand einen großen Umrüstungsschub mit einer unglaublichen Beschleunigung geben wird, weil durch eine Umrüstung für jedermann einsichtig Benutzervorteile verbunden sind. Damit dienen wir mittel- und langfristig der Umwelt und übrigens auch der Entwicklung umweltfreundlicher Automobiltechnologie.
Ich will in diesem Zusammenhang eine zweite Bemerkung machen. Tempolimits, zeitlich begrenzte Fahrverbote - acht Stunden Fuß vom Gas und nach der Entwarnung sogenannte freie Fahrt - bringen - das zeigen alle Ergebnisse - in der Sache nicht viel. Es wird viel von einem Tempolimit gesprochen. Man kann das, auch im Zusammenhang mit Ozon, einführen, ganz abgesehen davon, daß es aus ökologischen Gründen vernünftige Gründe nur für ein 365-TageTempolimit gibt.
Wer seine ökologische Pflicht und Schuldigkeit tun will, der muß bitte ein Tempolimit für 365 Tage im Jahr fordern. Im Zusammenhang mit Ozon muß es, wenn es Ozon wirklich reduzieren soll, um ein breitflächiges, großräumiges und sich über längere Zeiträume erstreckendes Tempolimit gehen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Altmann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte sehr.
Herr Matthiesen, ich habe eine Frage zu den Fahrverboten. Für Autos mit geregeltem Katalysator sollen nach Ihrer Meinung die Fahrverbote nicht gelten. Sie wollen damit initiieren, daß die Autos ohne Kat aus dem Verkehr gezogen werden.
Die erste Frage ist: Wie wollen Sie das Problem lösen, daß die geregelten Katalysatoren bei Strecken unter 5 km noch nicht arbeiten? Das betrifft mehr als die Hälfte aller Verkehre. Das zweite ist das Problem, daß natürlich die Autos ohne Katalysator, die dann hier abgestoßen werden, z. B. in die Schwellenländer verkauft werden, was bedeutet, daß wir nur eine Verlagerung des Problems hätten. Könnten Sie vielleicht auch dazu etwas sagen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Zusammenhänge sind natürlich jedermann deutlich, insbesondere auch mir. Heute reden wir hier im Deutschen Bundestag über die nationalen Maßnahmen, die bei uns zur Ozonbekämpfung in diesem Sommer möglich sind. Daß damit längerfristige internationale, europäische und sonstige Zusammenhänge verbunden sind, dazu bedarf es hier keiner Belehrung.
Ich möchte nur noch ein Wort hinzufügen: Ich lege Wert darauf, und alle Bundesländer legen Wert darauf, daß das, was wir hier beschließen, administrierbar ist und bleibt. Jede Regelung - ob sie nun von Beamten oder anderen ausgeguckt worden ist, ob sie sich die Bundesregierung zu eigen macht oder nicht -, die mit mehrstufigen Verfahren arbeitet - es gibt auch solche Vorschläge aus dem parlamentarischen Raum -, bitte ich ernsthaft daraufhin zu überprüfen, ob bei dem schnellen Auf- und Abbau von Ozon auch durch veränderte Wetterlagen eine Öffentlichkeit überhaupt in der Lage ist, die Schnelligkeit der unterschiedlichen Warnungen und Entwarnungen mit den entsprechenden Ahndungen oder Nichtahndungen überhaupt zu begreifen und mitzubekommen. Ich bitte also herzlich, die Aufnahmefähigkeit unserer Menschen und die Administrierbarkeit auch durch eine kontrollierende Polizei immer im Auge zu behalten.
Worthülsen haben wir nun genug gemacht. Die Menschen erwarten jetzt durchgreifende Maßnahmen, die sie verstehen, die sie akzeptieren und die zu einer wirklichen Ozonreduzierung führen. Sonst betreiben wir Effekthascherei, ohne wirkliche Effekte zu erzielen.
Vielen Dank.
Ich erteile jetzt dem Abgeordneten Lippold das Wort zu einer Kurzintervention.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte hier noch drei kurze Anmerkungen machen. Den letzten Satz, daß wir effiziente Maßnahmen brauchen, können wir unterstreichen, Herr Matthiesen. Nur haben Sie auch eine Fülle von Dingen vorgetragen, die in der Form nicht effizient sind. Ich zitiere aus der Prognos-Studie Hessen, in der schlicht und ergreifend gesagt wird, daß letztendlich positive Wirkungen nicht nachgewiesen werden konnten. Ich sage es deutlich: Das macht diesen Punkt unglaubwürdig. Deswegen sollten wir uns über die richtigen Ansätze unterhalten.
Wir müssen uns natürlich - Herr Matthiesen, Sie haben die europäische Ebene angesprochen - auch darüber im klaren sein, daß wir nicht einfach Fahrverbote für Ausländer aussprechen können. Denken wir doch bitte einmal gemeinsam darüber nach, ob unsere deutschen Bürger von der Autobahnbrücke aus zuschauen sollen, wie die Holländer und die Polen fahren, während unsere Bürger zu Hause bleiben müssen.
Dr. Klaus W. Lippold
Ich sage Ihnen: Da kommen Probleme auf uns zu. Was ist an den Wochenenden, in denen Ihre Leute aus dem Ruhrgebiet in Urlaub gehen wollen? Wollen Sie dann sagen: Verschiebt euren Urlaub? Wir werden all diese Punkte im Detail - Sie haben die soziale Seite angesprochen - durchdeklinieren, damit wir wirklich verträgliche Lösungen für diese Menschen finden.
Lassen Sie mich ein Drittes sagen: Wenn die Fahrverbote in Hessen schon nicht effizient waren - Sie haben an der Stelle gerade genickt, was ich wohlwollend vermerkt habe -, dann sollten wir auch die Bußgeldbescheide kassieren. Mit diesem Appell will ich schließen: Die Bußgeldbescheide in Hessen gehören weg!
Ebenfalls zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Homburger das Wort.
Herr Matthiesen, ich möchte noch einmal darauf eingehen, daß Sie gesagt haben, Sie hätten von seiten des Bundesrates keine konkreten Maßnahmen und Regelungen vorschlagen können, weil es nicht Ihre Aufgabe gewesen sei. Ich finde das ziemlich interessant und auch überraschend, weil das auf mich den Eindruck macht, daß man es da, wo die Sache schwierig wird und wo man sich konkret anschauen muß, welche Möglichkeiten es für effiziente und vernünftige Maßnahmen gibt, die den Menschen auch einsichtig gemacht werden können, auf die Bundesregierung abschiebt, obwohl ansonsten die Länder immer sagen, sie wollten die Dinge selber regeln.
Sie hatten hier gesagt, daß Sie von einer solchen Regelung z. B. einen Umrüstungsschub bei Altautos erwarten würden oder könnten. Das ist genau der Punkt. Ich habe am Schluß meiner Rede deutlich zu machen versucht, warum man auch über kurzfristige Maßnahmen durchaus reden sollte. Aber man muß dabei immer wissen oder zur Kenntnis nehmen, daß die Vorläufersubstanzen, die zu einem bestimmten Ozonwert führen, schon drei bis vier Tage vorher entstehen. Wenn man Fahrverbote oder womöglich auch Verkehrsbeschränkungen bzw. Tempolimits ausspricht, muß eine mehrtägige Hochdrucklage gegeben sein, damit die Maßnahmen überhaupt einen akuten Effekt haben können. In der aktuellen Situation können Sie überhaupt keine Reduzierung von Ozonkonzentrationen erreichen, da die Maßnahmen nicht direkt an dem Tag wirken, an dem Sie sie ergreifen. Das muß man einfach zur Kenntnis nehmen. Das sind Zusammenhänge, die es einfach gibt. Es gibt bei uns nur ganz selten eine Wetterlage, wo es notwendig wäre, solche kurzfristigen Maßnahmen zu ergreifen,
die dann auch zu entsprechenden Ozonreduzierungen führen.
Jetzt ist Ihre Redezeit vorbei. Zwei Minuten dauert die Kurzintervention.
Sofort!
Nein, sie ist auch nicht zu verlängern.
Sinnvoll sind solche Maßnahmen nur, wenn die Wetterlage langfristig eine Hochdrucklage ist. Das muß man zur Kenntnis nehmen.
Zu einer Kurzintervention erhält die Abgeordnete Altmann das Wort.
Herr Lippold, Sie haben zum wiederholten Male die Prognos-Studie angesprochen und argumentiert: Es bringt alles nichts. Uns glauben Sie aber auch nicht. Insofern möchte ich Sie fragen, ob Sie eventuell die Greenpeace-Studie kennen und sie vielleicht ernst nehmen. Diese besagt nämlich: Führt man das Heilbronner Modell in einer Großstadt wie München oder Berlin durch, dann ergeben sich auch die gewünschten Ozonminderungen. Ich würde Sie bitten, mit uns in einen Wettbewerb der Studien zu treten.
Danke.
Ich bitte den Geschäftsführer der SPD zu mir und die Kollegen um etwas Geduld. - Wir haben das geklärt.
Ich schließe jetzt die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/808, 13/1203, 13/1295 und 13/1307 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf des Bundesrates und der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sollen zusätzlich dem Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 und den Zusatzpunkt 4 auf:
6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Albert Schmidt , Gila Altmann (Aurich), Rainder Steenblock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kein Großflughafen-Berlin-Brandenburg-International
- Drucksache 13/616 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS
Verzicht auf den geplanten Bau eines Großflughafens Berlin-Brandenburg-International
- Drucksache 13/1296 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zehn Minuten erhalten soll. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Ali Schmidt.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Himmel über Berlin ist Gegenstand unseres Antrags und Gegenstand der nächsten halben Stunde dieser Debatte.
- Leider, Herr Kollege Conradi, ist er nicht bevölkert von engelsgleichen Wesen wie in dem wunderbaren Film von Wim Wenders, sondern Verkehrsraum des Flugverkehrs mit allen seinen Folgen, mit den Schadstoffen, mit den Lärmbelastungen, mit den Klimaschäden und hier vor allem mit enormen Infrastrukturkosten.
Nach 1989 ist der Himmel über Berlin offenbar zum Spekulationsobjekt gigantomanischer Planer und miserabler Rechner geworden. Denn in hochfliegenden Träumen phantasierten die Herren von der Berlin-Brandenburg-Flughafen-Holding von jährlich mindestens 25 Millionen, vielleicht sogar bis zu 60 Millionen Fluggästen in Berlin zu Beginn des nächsten Jahrhunderts. Sie verlangten ein neues Drehkreuz ohnegleichen, eine Supernova am Firmament des europäischen Flughafenhimmels - Gesamtkosten: ca. 10 bis 15 Milliarden DM.
Doch auf diese hochfliegenden Träume folgte die Bauchlandung der finanzpolitischen Ernüchterung. Denn am 13. Februar dieses Jahres veröffentlichte „Der Spiegel" erstmals einen Teil eines Gutachtens des Bundesrechnungshofes, der dieses Projekt einmal ganz nüchtern durchgerechnet hat. Jeder zweite Satz dieses Prüfberichtes ist eine schallende Ohrfeige für die großkotzige Flughafenplanung des Bundes und der Länder Berlin und Brandenburg.
Die Quintessenz des Rechnungshofberichtes läßt sich in drei Aussagen zusammenfassen:
Erstens. Nur die Umwandlung von 111 Millionen DM an Gesellschafterdarlehen, davon 29 Millionen DM aus der Bundeskasse, in Eigenkapital - damit praktisch ein Geschenk - hat 1994 die Flughafenholding vor dem Konkurs gerettet. Für eine wirkliche Sanierung müssen bis Ende 1996 nochmals Mittel in der Größenordnung von 1,2 Milliarden DM aufgebracht werden.
Zweitens. Das bisherige Vorgehen der Holding bei den getätigten Grundstücksgeschäften, nämlich beim Ankauf der vorgeblichen Ausbauflächen Schönefeld-Ost, die, wie die Herren Planer erst hinterher bemerkten, für das Projekt gar nicht gebraucht werden, stellt eine besonders krasse Form des zumindest fahrlässigen Umgangs mit öffentlichen Mitteln dar, der im Ergebnis bereits zu einem Verlust von fast einer halben Milliarde DM zu Lasten der öffentlichen Hand führte.
Die BBF-Holding hat sich damit als vertrauenswürdige Planungsinstanz selber diskreditiert und demontiert. Der Aufsichtsrat - das müssen sich auch die Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat sagen lassen - hat ganz offensichtlich seine Aufsichtspflicht an dieser Stelle nicht ausreichend wahrgenommen. Auch hierzu noch einmal ein Zitat aus dem Bundesrechnungshofgutachten:
Der Bund sollte bei seinen Vertretern im Aufsichtsrat verstärkt auf die Einhaltung von Kontrollpflichten drängen und darauf achten, daß die BBF-Holding ordentlich wirtschaftet.
Deutlicher kann man es eigentlich nicht mehr sagen, ohne unhöflich zu werden.
Drittens. Schon die Ausgangsdaten der Großflughafenplanung sind in höchstem Maße angreifbar und unrealistisch. Denn während im letzten Jahr beispielsweise der Flughafen Frankfurt einen Zuwachs der Zahl der Passagiere um 8 % zu verzeichnen hatte, ist die Fluggästezahl auf den drei bisherigen Berliner Flughäfen trotz Hauptstadtbonus eher stagnierend. Von der erwarteten Verdreifachung der Fluggästezahl bis zum Jahre 2010 kann überhaupt keine Rede sein. Folgerichtig bestätigt der Bundesrechnungshof auch unsere bereits im Berliner Abgeordnetenhaus vorgetragene Kritik. Die tatsächliche Bedarfsentwicklung in Berlin rechtfertigt nämlich einen neuen Großflughafen auf der grünen Wiese bzw. im grünen Wald in gar keiner Weise.
- Berlin und Brandenburg; ich rede von zwei Standorten.
Demnächst wollen der Bundesverkehrsminister, der Regierende Bürgermeister von Berlin und der Ministerpräsident von Brandenburg nochmals zu einem Spitzengespräch zusammentreffen, um gemeinsam eine endgültige Standortentscheidung zu fällen. Ich möchte den geschätzten Herren für ihr Spitzengespräch folgende Überlegungen mit auf den Weg geben.
Wer heute noch, nach dem Vorliegen mehrerer einschlägiger Gutachten zur Frage der Wirtschaftlichkeit - nicht nur der Bundesrechnungshof hat hierzu geschrieben -, Sperenberg als Standort ernsthaft favorisiert, geht nicht nur ohne Not mit der Kettensäge
Albert Schmidt
auf 22 Millionen Bäume los, versiegelt nicht nur 400 Hektar Natur, sondern führt auch den Bund in ein Finanzabenteuer, das nur in einem Desaster enden kann.
Denn allein die Herstellung der Verkehrsanbindung in Sperenberg würde den Bund wenigstens 1,8 Milliarden DM kosten, während der bestehende Standort Schönefeld bereits einen S-Bahn- und einen Fernbahnanschluß hat und mit einer weiteren U- Bahn-Station angebunden werden könnte.
Es nützt übrigens in diesem Zusammenhang auch nichts, daß die Erschließungskosten für Sperenberg in jüngster Zeit von interessierten Kreisen um etwa 500 Millionen DM heruntergerechnet werden. Ich möchte eine Gegenrechnung aufmachen. Im Untersuchungsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses hat kürzlich ein Zeuge so nebenbei geoutet, daß 40 % der jetzt bestehenden Verkehrsfläche des Flughafens Schönefeld, so wie er existiert, bereits an Private verkauft sind, so daß diese Flächen - entgegen den bisherigen Planungen - bei einem späteren eventuellen Umzug nach Sperenberg nicht ein zweites Mal verkauft werden und mithin auch keinen Verkaufserlös mehr erbringen können.
Aber in Wahrheit geht es längst nicht mehr um die Standortfrage „Schönefeld oder Sperenberg/Brandenburg?". Es geht um die schlichte Einsicht, daß der Bund überhaupt die Finger von einem Großflughafenneubau lassen sollte. Nochmals mit den Worten des Rechnungshofes ausgedrückt:
Es ist nicht verantwortbar, auf dieser Grundlage einen Ausbau zu planen, der mit unkalkulierbaren finanziellen Risiken in Milliardenhöhe verbunden ist.
Herr Wissmann wird für ein an finanziellen Altlasten krankendes, offensichtlich überdimensioniertes und damit unwirtschaftliches Projekt auch keine privaten Investoren finden, die er sich so sehr wünscht; denn private Investoren wollen Rendite und nicht Bankrott.
Es geht des weiteren um eine Grundsatzentscheidung, um die sich diese Bundesregierung seit Jahren herumdrückt: Wieviel Flugverkehr wollen wir, in der Hauptstadt wie in der ganzen Republik, eigentlich mit dieser falschen Politik noch zulassen, wieviel Fluglärm und Klimaschädigung durch die fortgesetzte Mineralöl- und Mehrwertsteuerbefreiung auch noch staatlich subventionieren, weil diese Regierung den Mut nicht hat, das Problem des wachsenden Flugverkehrs an der Wurzel zu packen?
Die ökologisch längst überfällige und ökonomisch vernünftige Frage, der sich die Herren bei ihrem Spitzengespräch zuwenden sollten, lautet: Wann und wie stoppen wir endlich das ungebremste Anwachsen des klimaschädlichen Flugverkehrs, und wann und wie verlagern wir erhebliche Anteile auf die Schiene? Das Potential dafür ist da: Sechs von den zehn Millionen Berliner Fluggästen, die es dort derzeit gibt, also 60 %, sind im Inlandsluftverkehr unterwegs. Dieser Anteil kann und muß im wesentlichen auf die Schiene verlagert werden. Die restlichen vier Millionen Fernfluggäste lassen sich am bestehenden Standort Schönefeld bequem abfertigen. Da können Sie sogar kurzfristig Tempelhof und mittelfristig auch Tegel schließen und haben dann immer noch Reserven.
Einen wichtigen Beitrag zu dieser Verkehrsverlagerung wird sicher auch die verbesserte Schienenanbindung Berlins auf den Bahnstrecken Richtung Hannover, Hamburg und Nürnberg leisten, die wir als Ausbaumaßnahmen ausdrücklich befürworten. Aber auch hierbei sollte sich diese Regierung für ein landschaftsangepaßtes, umweltverträgliches, realisierbares und bezahlbares Ausbaukonzept entscheiden, anstatt, wie bei der ICE-Trasse über Erfurt, an einem Acht-Milliarden-Monstrum festzuhalten, das in den nächsten zehn Jahren ohnehin kein Mensch wird bezahlen können. Aber man will ja dort unbedingt mit dem Kopf durch die Wand, auch wenn nebenan eine Tür ist.
Einen noch größeren Umsteigeeffekt wird man erzielen können, wenn endlich die richtigen politischen Rahmenbedingungen für den Flugverkehr gesetzt sind: Verteuerung der Flugtickets durch Einführung der Kerosinsteuer und der Mehrwertsteuer und Abbau der direkten staatlichen Zuwendungen für den klimaschädlichen Flugverkehr, auch Abbau der direkten staatlichen Zuwendungen für den Bau neuer Flughäfen.
Ich fasse zusammen, mit einem Wort: Notlanden! Meine Herren Verkehrsminister und Ministerpräsidenten, notlanden, bevor weitere Milliarden sinnlos verschleudert werden! Lieber rechtzeitig mit dem Fallschirm abspringen, als bis zum bitteren Absturz sitzenbleiben!
Sie alle kennen den schlimmen Satz: Wer Straßen sät, wird Autoverkehr ernten. Man könnte hinzufügen: Wer Großflughäfen baut, muß sich nicht wundern, wenn er Flugverkehr erntet. Deshalb fordern wir in unserem Antrag die Bundesregierung, die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen und die Damen und Herren von SPD und PDS auf: Verabschieden wir uns gemeinsam vom illusionären Wachstumswahn in der Verkehrspolitik! Steigen Sie aus den überzogenen Planungen des Berlin-Brandenburger Flughafens aus, und stoppen Sie den Luftverkehrszuwachs in Deutschland, besonders aber am Himmel über Berlin!
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rudolf Meinl.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Wochenbericht 10/95 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung heißt es zur Länderfusion von Berlin und Brandenburg:
Rudolf Meinl
Die weitere Integration und die Vergrößerung der Europäischen Union, die Öffnung Mittel- und Osteuropas und nicht zuletzt die Vereinigung Deutschlands haben regional sehr unterschiedliche wirtschaftliche Auswirkungen.
Nimmt man diese Wirkungen des einheitlichen europäischen Binnenmarkts für sich, so sind wohl weder Brandenburg noch Berlin zu den Gewinnern in der Konkurrenz der europäischen Regionen zu rechnen. Beide Länder liegen abseits von den wirtschaftsstarken Zentralregionen und haben es in dem härter werdenden Wettbewerb mit den wesentlich kostengünstigeren Regionen in Südeuropa, obwohl sie Vorteile in der infrastrukturellen Ausstattung haben, sehr schwer.
Gravierende Nachteile Berlins in der Konkurrenz mit anderen europäischen Ballungsräumen sind die periphere Lage, die ungünstige Struktur der Produktion, der relativ niedrige Anteil hochwertiger Arbeitsplätze, die deutliche Schwäche auf dem Gebiet der industriellen Forschung und Entwicklung, der Mangel an überregional ausgerichteten produktionsorientierten Dienstleistungen und das fast vollständige Fehlen größerer Unternehmenszentralen.
Jeder, der sich um die Anwerbung und Ansiedlung von Investoren bemüht, weiß, daß die erste Frage der ansiedlungswilligen Unternehmer der vorhandenen oder zumindest der geplanten Verkehrsinfrastruktur gilt, egal, ob in den jungen oder den alten Bundesländern. Dabei gewinnt der Luftverkehrsanschluß neben Straße und Bahn immer größere Bedeutung. Ein versagter Ausbau dieses Zweiges würde die vorstehend benannten wirtschaftlichen Nachteile für Berlin und Umgebung weiter bestehen lassen und sogar noch verstärken.
Meine Damen und Herren, nicht nur die anzusiedelnden Unternehmen, sondern auch der Luftverkehr selbst sind ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor und ein bedeutender Arbeitgeber.
Auf eine Million Passagiere im Jahr kommen rund 1 000 Flughafenbeschäftigte. Als internationales Luftkreuz könnte der neue Flughafen mehreren zehntausend Menschen Arbeit geben. Hinzu kommen indirekte Arbeitsplätze durch kommerzielle und wirtschaftliche Aktivitäten, die sich aus der Nutzung der Lufttransportleistungen ergeben, bzw. Zulieferer von Waren und Dienstleistungen im direkten Bereich der gewerblichen Luftfahrt, des Flughafens und der dort tätigen Behörden.
Der Luftverkehr ist ein Motor für die ganze Wirtschaft - vom Konzern bis zum kleinen Handwerksbetrieb. Ein neuer Flughafen wird wie kein anderes Verkehrsobjekt in der Region gleichermaßen positive Auswirkungen auf Firmenansiedlungen und die Schaffung von Arbeitsplätzen haben.
So lautet ein Kommentar des Leiters der Abteilung Verkehr der Industrie- und Handelskammer zu Berlin.
Mit einem Potential von 5 bis 6 Millionen Einwohnern im unmittelbaren Einzugsbereich hätte ein neuer Flughafen für Berlin und Brandenburg eine solide Basis, um sich zu Beginn des nächsten Jahrhunderts zu einem Luftkreuz zu entwickeln. Hierzu werden außerdem die Funktion als Regierungsflughafen sowie der erhöhte Fluggastzugang zur Hauptstadt und zum Regierungssitz beitragen.
Angesichts der Prognosen, die eine Verdoppelung des Passagieraufkommens in Deutschland bis zum Jahr 2010 vorhersagen, erscheint mir dies keine Utopie, zumal die Kapazität wichtiger Flughäfen in Deutschland nicht mehr beliebig erweiterbar ist.
Ein attraktiver Flughafen Berlin/Brandenburg International könnte Verkehre aufnehmen, die sonst zum Nachteil Deutschlands als Exportnation ins Ausland abwandern würden.
Das Integrationsmodell Schönefeld sieht einen stufenweisen Ausbau entsprechend den notwendigen Kapazitäten bei sofortiger Nutzung und bereits vorhandener Anbindung des Flughafens durch Straße und Schiene vor. Es bietet somit die größte Gewähr für die Entwicklung des Flughafensystems zu einem Drehkreuz und ermöglicht durch einen großen Eigenfinanzierungsanteil eine Reduzierung von öffentlichen Zuschüssen.
Die Nutzerfreundlichkeit für Berlin ist mit 80 % Originäraufkommen aus Berlin insgesamt gegeben. Weiterhin wäre ein Provisorium mit dem Zwischenausbau von Schönefeld nicht notwendig. Es entstehen keine Nachnutzungsprobleme für dann wieder leergezogene Flächen oder Gebäude, keine Sonderabschreibungen für Investitionsruinen. Mit keiner Fluglinie können Sie einen doppelten Umzug sicherstellen: nach der Schließung von Tegel oder Tempelhof nach Schönefeld und dann beispielsweise nach Sperenberg.
Mit dem Integrationsmodell ist auch eine frühzeitige Schließung der innerstädtischen Flughäfen möglich. Eine größere Entfernung zum Stadtzentrum würde mit Sicherheit zu einer Forderung nach Beibehaltung eines innerstädtischen Flughafens führen und dann zusätzliche Schwierigkeiten bei der Verkehrsverteilung und ähnlichem bringen.
Abschließend möchte ich sagen, daß die zur Zeit laufenden ergänzenden Untersuchungen kurz vor dem Abschluß stehen und durch diesen Antrag gestoppt werden sollen. Damit wäre ein entsprechender Betrag umsonst aufgewendet worden, ohne daß man überhaupt ein Schlußergebnis hat. Damit würde der jetzige unerträgliche Zustand für Berlin insgesamt verlängert.
Rudolf Meinl
Neben der Verwaltung eines erhöhten Finanzbedarfs z. B. für den Verkehrsanschluß Bahn/Straße für Sperenberg muß u. a. eine weitgehende Privatfinanzierung bei dem ausstehenden Spitzengespräch berücksichtigt werden. Ich denke, daß danach eine für die Region vertretbare Lösung gefunden wird, mit dem Ergebnis, daß wir mit stufenweisem Ausbau ein Flughafenkreuz mit vielen Nonstopverbindungen in alle Welt erhalten.
Somit lehnt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Anträge der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Gruppe der PDS ab.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Siegfried Scheffler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Schmidt, auch mir macht der Himmel über Berlin Sorge, noch dazu als jemandem, der seinen Wahlkreis in Köpenick-Treptow hat und der das wöchentlich an sich erleben kann. Insofern stimme ich Ihnen in diesem Punkt ausdrücklich zu.
Zu den vorliegenden Anträgen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS möchte ich im Detail folgendes anmerken und begründen, warum meine Fraktion diesen Anträgen nicht zustimmen wird.
Die Anträge werden hauptsächlich und sehr einseitig damit begründet, daß die Bedarfsprognosen als „völlig überzogen und unrealistisch" bezeichnet werden. Dies trifft nicht zu.
Die Anträge gehen mit keinem Wort auf die seit Jahren unerträgliche Lärm- und Schadstoffbelastung der Berliner und der Brandenburger Bevölkerung ein, die in der Zukunft trotz verbesserten Fluggeräts weiter zunehmen wird. Auch das Gefahrenpotential, welches durch Starts und durch Landeanflüge über dem Stadtgebiet gegeben ist, bleibt unerwähnt. Ist die Katastrophe von Amsterdam schon vergessen?
Weiterhin geben Sie als Begründung an, daß der bestehende und bald als innerstädtisch zu bezeichnende Flughafen Schönefeld an das ICE-Netz hervorragend angeschlossen sei.
Dies trifft ebenfalls nicht zu. Auf Grund der aktuellen Umleitungen im Zusammenhang der Schienenwegeerneuerung in Berlin hält befristet ein ICE in Schönefeld. Ein permanenter Haltepunkt in Schönefeld ist nicht geplant. Er wäre überdies nur mit großen finanziellen Belastungen - Sie haben die Kosten angesprochen - zu realisieren.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, man fällt keine Standortentscheidung danach, wo befristet Schienenverkehr eventuell umgeleitet wird. Vielmehr wird man umgekehrt dort, wo ein sinnvoller Standort für einen neuen internationalen Airport Berlin/Brandenburg gefunden wurde, Haltepunkte für den öffentlichen Personenverkehr einrichten, bei planerischer Berücksichtigung der Entwicklung z. B. in Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Auch bleiben bei Ihrem halbherzigen Antrag weitere wichtige Argumente völlig unberücksichtigt. Ich möchte einige an dieser Stelle nennen: die Notwendigkeit einer angemessenen Einbindung der Regionen Berlin/Brandenburg und Halle/Leipzig mit der Bundeshauptstadt Berlin in das internationale Luftverkehrsnetz; die erheblichen arbeitsmarktpolitischen Vorteile eines neuen Flughafens für die gesamte Region Berlin/Brandenburg - ich erinnere an die notwendige Anbindung beispielsweise des Güterverkehrszentrums Großbeeren sowie die verbesserte verkehrliche Anbindung der ehemaligen Garnison in Wünsdorf -; die Errechnung einer ökologischen Gesamtbilanz - das ist sehr wichtig, und das interessiert Sie sicher am meisten -, die, aber auch darauf gehen Sie nicht ein, zugunsten von Sperenberg ausfällt, auch wenn dies - das gebe ich zu - eine Bewertungsfrage, also eine Güterabwägung darstellt, wenn man also die Lärm- und Schadstoffbelastung sowie die Gefährdung der Berliner Stadtbevölkerung sowie der im Umland von Berlin lebenden Menschen auf der einen Seite mit dem nicht unerheblichen Eingriff in die Brandenburger Natur auf der anderen Seite vergleicht.
Sie sprechen die internationalen Fluggastprognosezahlen an. Sie vergessen: Diese gehen von einer dynamischen Steigerung des Fluggastaufkommens weltweit und insbesondere in Europa in den nächsten zwei Jahrzehnten aus. Hierauf haben sich europäische Flughäfen wie beispielsweise Paris, London und Amsterdam bereits eingestellt. Der Standort Deutschland wird im nächsten Jahrhundert im internationalen Luftverkehr in Europa nur dann konkurrenzfähig bleiben, wenn in Deutschland neben den beiden großen Flughäfen Frankfurt und München ein dritter internationaler Flughafen für den nördlichen und den östlichen Teil unseres Landes geschaffen wird, der auf Dauer den interkontinentalen Anforderungen gerecht wird.
Allein die Region Berlin/Brandenburg verfügt über ein Passagierpotential von 5 bis 6 Millionen Einwohnern, und sie bietet mit ihrer zentralen Lage für die neuen Bundesländer, verbunden mit den Wirtschaftszentren in Sachsen und Sachsen-Anhalt, mit ihrer Nähe zu den osteuropäischen Ländern und ihrer strategisch günstigen Lage zu den wirtschaftlich aufstrebenden ostasiatischen Ländern sowie mit der Funktion Berlins als Hauptstadt und in Kürze auch als Parlaments- und Regierungssitz ideale Voraussetzungen für einen internationalen Flughafen mit Drehkreuzfunktion, also für internationale Direktflüge ohne Umweg über Frankfurt am Main.
Ich stimme Ihnen zu: Reisen mit einer Entfernung von weniger als 500 km wollen wir vom Flugzeug auf die Schiene verlagern.
Siegfried Scheffler
Es stimmt einfach nicht, daß das Passagieraufkommen der Berliner Flughäfen im Zeitraum 1993 bis 1994 stagnierte. Vielmehr ist 1994 mit über 10 Millionen Fluggästen ein Zuwachs von 4,4 % gegenüber 1993 zu verzeichnen, der in gleicher Größenordnung auch in den bisher statistisch belegbaren Monaten des laufenden Jahres anhält. Die aktuellen Prognosedaten gehen für das Jahr 2010 - standortabhängig - von einem Passagieraufkommen zwischen 20,3 und 28 Millionen aus, nicht von 60 Millionen. Darin stimme ich Ihnen zu.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ali Schmidt?
Ja, bitte.
Lieber Herr Kollege Scheffler, Sie haben gerade gesagt, auch Sie seien für die Verlagerung des regionalen Verkehrs bei einer Entfernung bis zu 500 km auf die Schiene. Ein Teil dessen wird im Moment realisiert. Wenn Sie sich die Daten für die Berliner Flughäfen anschauen - Sie haben sie sicher in Händen - und feststellen, daß Sie damit 6 Millionen von den im Moment vorhandenen 10 Millionen Fluggästen auf die Schiene verlagert hätten, wie können Sie dann noch einen neuen Großflughafen begründen, der dann im Moment nur noch 4 Millionen Fernfluggäste abzufertigen hätte? Dann stimmt ja der Bedarf überhaupt nicht mehr.
Kollege Schmidt, Sie verwenden Gutachten, die die Entwicklungslinien der nationalen und der internationalen Fluglinien in einen Topf werfen. Mir liegen Unterlagen vor, die natürlich von Prognosezahlen für den internationalen Flugverkehr ausgehen, nicht von den 6 Millionen Fluggästen, die wir im nationalen Rahmen zukünftig erwarten. Ich berufe mich auf die Prognosezahlen für den internationalen Flugverkehr.
Dabei stellt der untere angenommene Wert, der nahezu eine Verdoppelung des heutigen Aufkommens innerhalb von 16 Jahren bedeutet, eine durchaus realistische Größe dar.
Im übrigen ist nicht plausibel, warum Kapazitätserweiterungsmaßnahmen, die von anderen deutschen Verkehrsflughäfen bereits realisiert wurden bzw. sich im Planungsstadium befinden und von Ihnen für Schönefeld in Kauf genommen werden, legal sind, für einen notwendigen neuen Standort aber ein solches Erfordernis bestritten wird.
Sie wissen auch, daß die deutlich verbesserte Schienenanbindung Berlins in der Bedarfsprognose natürlich Berücksichtigung gefunden hat.
Die in den Anträgen unterstellte Veränderung der steuer- und verkehrspolitischen Rahmenbedingungen für den Luftverkehr bis zum Jahr 2000 muß in der in den Anträgen dargestellten Form als illusorisch gelten. Hierzu bedarf es der Veränderung einer weltweit üblichen und teilweise durch entsprechende internationale Vereinbarungen gestützten Praxis. Ein nationaler Alleingang der derzeitigen Bundesregierung, die natürlich als wichtigste Aufgabe die längerfristige Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland ansieht, erscheint in dieser Frage als sehr unwahrscheinlich, da ansonsten nur der Luftverkehr in Deutschland sowie die deutschen Flughäfen von entsprechenden Mehrbelastungen betroffen würden.
Flughäfen mit Drehkreuzfunktion sind mehr als nur internationale Verkehrsknotenpunkte. Über die grundlegende Funktion hinaus, die notwendige Infrastruktur und Dienstleistungen für die Luftverkehrs- und Reiseverkehrswirtschaft bereitzustellen, tragen Flughäfen ganz entscheidend dazu bei, eine Wirtschaftsregion zu beleben und zu entwickeln, wie es hier schon dargestellt wurde. Für die Unternehmen in Berlin und Brandenburg wird der neue Flughafen deshalb von größter strategischer Bedeutung sein, um die internationalen Marktchancen in Osteuropa und in Asien optimal zu nutzen. Er wird eine zentrale Rolle im Wirtschaftsleben der Region Berlin/ Brandenburg einnehmen.
Weiterhin sind sie Ausgangspunkt für Warenverteilung und deren Austausch auf den Weltmärkten, von denen die heimische Wirtschaft profitiert. Der Zugang zu den Märkten in den Ländern Osteuropas und Asiens setzt aber voraus, daß diese Wirtschaftsregionen ein hohes Maß an Endbestimmungsorten mit ausreichenden Frequenzen aufweisen. Das bietet die angesprochene Region.
Zu beachten ist auch, daß ein 24-Stunden-Dienst an den derzeitigen Standorten in Berlin nicht durchsetzbar ist. Ein solcher Dienst ist aber für das reibungslose Funktionieren des Luftfrachtgeschäftes Voraussetzung, da es ansonsten zu Verdrängungseffekten kommt. Auf Grund der Nachtflugeinschränkung am Flughafen München ist z. B. eine verstärkte Verlagerung von Luftfrachtaktivitäten hin zum Flughafen Nürnberg zu beobachten. Die Belastungen dort werden unerträglich.
Eine Konzentration des Flugverkehrs in und direkt um Berlin wird diesen Problemen schon aus ökologischen Gründen nicht gerecht. Ich möchte daher auf einen möglichen Standort eingehen: Nach Abschluß des Raumordnungsverfahrens bietet der Standort Sperenberg laut Gutachten gute Voraussetzungen für einen Flughafen Berlin/Brandenburg International, der langfristig den Standort der Region technologisch, wirtschaftlich, aber auch ökologisch sichern und mittelfristig einen wesentlichen Impuls für die wirtschaftliche und beschäftigungspolitische Entwicklung der Region darstellen würde.
Folgende Faktoren kommen hinzu: Verknüpfung des neuen Flughafens mit dem transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsnetz der Eisenbahn, ParisHalle/Leipzig-Berlin-Warschau-Moskau, Kompatibilität mit dem Eisenbahnkonzept für den zentralen Bereich Berlins, der Bau eines europäischen Logistikzentrums bzw. eines Transglobalfrachtsystems, bessere Entwicklungsmöglichkeiten entsprechend raumordnerischen Vorstellungen Berlin/Brandenburgs so-
Siegfried Scheffler
wie natürlich geringste Planungs- und Genehmigungsrisiken und - das ist Voraussetzung; das wollen wir alle und streben wir an - betriebswirtschaftlich günstige Voraussetzungen für eine weitgehende privatwirtschaftliche Finanzierung des Flughafens.
Kurz: Die Summe von Standortfaktoren ist ausschlaggebend dafür, daß der neue internationale Verkehrsflughafen zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor in der strukturschwachen und von hoher Arbeitslosigkeit geprägten Region wird - ich nenne nur die Entwicklungszentren Zossen, Luckenwalde und Jüterbog.
Auch müssen die geringeren Kosten für Umsiedlung, z. B. 330 Millionen DM in Schönefeld, Lärmschutz, 60 bis 80 Millionen DM, und Flächenerwerb, 809 Millionen DM in Schönefeld, bei selbstverständlicher Gegenüberstellung der Kosten für Verkehrsinfrastruktur Beachtung finden, ohne daß wir heute schon sagen können, was vom Bund, von den Ländern oder privat finanziert wird.
Nicht unerheblich ist natürlich, daß der Flughafen zu einem idealen Verbindungselement zwischen Berlin und Brandenburg wird. Das muß ich als Berliner ausdrücklich sagen.
Unabhängig vom Standort wird es möglich sein, die notwendigen Flughafenkapazitäten zu schaffen, die im nächsten Jahrhundert gebraucht werden, damit Deutschland auch in Zukunft als Standort im internationalen Luftverkehr wettbewerbsfähig bleibt und gleichzeitig ein von Fluglärm unbeschadetes Wohnen und Leben in und um Berlin gesichert ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Gila Altmann?
Ja; bitte.
Herr Kollege, ich habe nun eine ganze Zeit gelauscht und frage mich immer mehr: Wie paßt das, was Sie erzählen, mit Ihren sonstigen Forderungen nach Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung zusammen,
wenn Sie hier dem Wachstum in jedwedem Bereich, also Personenverkehr und Güterverkehr, das Wort reden? Könnten Sie mir das bitte erklären?
Ich habe ja schon dem Kollegen Schmidt geantwortet, daß der Bau eines neuen Flughafens Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen hat und nicht auf den nationalen Verkehr, sei es nun der Luftverkehr, der Schienenverkehr oder die Verlagerung von Verkehr auf die Wasserstraßen. Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie die dafür sprechenden Argumente mitbekommen.
Der wieder diskutierte und favorisierte schrittweise Ausbau vom heutigen Schönefeld-Nord nach Schönefeld-Süd stellt eine letztlich nur halbherzige Lösung dar, die ökologisch nicht zu vertreten ist und von der weder ausreichende Impulse für den Luftverkehr noch klare Signale für eine wirtschaftliche Belebung im Osten Deutschlands ausgehen. Dieses Konzept birgt vielmehr die Gefahr, daß das ökologisch unzureichende und unwirtschaftliche System mit zwei parallel betriebenen Flughäfen langfristig festgeschrieben wird. Wieder würde darüber hinaus eine Chance vertan, im Osten Deutschlands einen Standort zu schaffen, der weltweit konkurrenzfähig wäre.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Klaus Röhl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich mit meinen eigentlichen Ausführungen beginne, möchte ich sagen: Ich bin ebenfalls Köpenicker, wie der Kollege Scheffler, wohne aber in Friedrichshagen und damit noch etliche Kilometer näher an den Streitobjekten als der Kollege Scheffler.
Kommen wir zum eigentlichen Thema.
Zur Debatte und zur Entscheidung steht heute ein Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema „Kein Großflughafen Berlin/Brandenburg International" vom Februar 1995. Auf den inhaltlichen Zug und die Zielrichtung dieses Antrags ist die Gruppe PDS mit einem Antrag vom 9. Mai 1995 als Trittbrettfahrer und nassauernder blinder Passagier aufgesprungen.
Im Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erkenne ich noch eine eigene unverfälschte Interessenvertretung. Der Antrag der PDS ist jedoch nichts anderes als ein Emotionen ausnutzendes, auf Stimmung gehendes populistisches Plagiat.
Deshalb werde ich mich nur mit dem Thema des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN befassen; der Antrag der PDS erledigt sich damit von selbst.
Meine Damen und Herren, der von der BerlinBrandenburg-Flughafen-Holding GmbH, deren Träger die Länder Berlin und Brandenburg sowie der
Dr. Klaus Röhl
Bund sind, geplante Flughafen Berlin/Brandenburg International findet unsere volle Unterstützung.
Der Flugverkehr von und nach Berlin und über Deutschland, insbesondere in Richtung Ost und Fernost, wird in den Jahren bis 2030 ständig zunehmen.
Die Schätzungen liegen zwischen 20 Millionen und 45 Millionen Passagieren in den Jahren zwischen 2004 und 2030. Solche Zahlen fallen unterschiedlich hoch aus, je nachdem, wer bei wem ein Gutachten bestellt. Das kennen wir ja.
Allein in Berlin jedoch hat sich die Passagierzahl zwischen 1992 und 1994 um 1,21 Millionen erhöht; das ist eine Zunahme von 13,4 % - das würde ich doch an Ihrer Stelle hier einmal zur Kenntnis nehmen und mit richtigen Zahlen operieren -, und das ungeachtet der bekannten Berliner Abfertigungsschwierigkeiten. Der gesamte Zuwachs an Passagier- und Frachtaufkommen wird so und so abgewickelt werden, wenn nicht bei uns, dann in Schiphol, Kopenhagen oder in Warschau.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt?
Ja, bitte sehr, wenn Sie die Zeit jetzt stoppen.
Ich bin etwas amüsiert und muß mich erst sammeln, weil Sie gleich drei Jahre zusammennehmen müssen, um überhaupt einen Zuwachs von 13 Komma Dingsbums Prozent im Fluggästeaufkommen zu konstruieren.
Der ist da; das sind Tatsachen.
Ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, daß der Flughafen Frankfurt einen solchen Zuwachs, für den Sie in bezug auf Berlin drei oder vier Jahre zusammennehmen müssen, in ein oder zwei Jahren in den letzten Jahren zustande gebracht hat? - Das ist die Stagnation.
Das ist doch kein Wunder; es ist doch der viel größere Flugplatz. Wissen Sie, das ist doch die Arithmetik des Adam Riese.
Daran sollten Sie sich einmal schulen. Sie sind doch Lehrer.
Jetzt würde ich gern fortfahren.
Wenn wir also keinen Flughafen bauen werden, werden wir nicht nur den Verlust von 60 000 bis 70 000 Arbeitsplätzen zu verantworten haben, sondern auch den Verlust der wirtschaftlichen Wertschöpfung mit allen ihren Folgen sowohl für die Region Berlin/Brandenburg als auch für Deutschland insgesamt.
Der internationale Flugverkehr wird sich trotzdem wegen der fünf Freiheiten der Luft über unserem Land abwickeln; er wird nämlich trotzdem unser Land queren. Den Nutzen werden aber die anderen haben.
Die Auswirkungen auf die Gesamtentwicklung des Standortes Deutschland brauche ich nicht explizit zu erwähnen. Das Thema des Anschlusses der Hauptstadt Berlin lasse ich ebenfalls ausgeklammert.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Friedrich?
Hier läuft ununterbrochen die Uhr weiter, auch wenn Fragen gestellt werden.
Nein; das ist nicht wahr.
Herr Kollege Röhl, Sie haben gerade festgestellt, daß sich der Luftverkehr über Deutschland - ob mit oder ohne Großflughafen - bewegt. Erklären Sie als Berliner hier doch einmal dem staunenden Publikum, wo nun eigentlich die Anflugschneise von Schönefeld sich jetzt befindet und wo sie sich beim Bau des geplanten Flughafens befinden würde! Ist das nun stadtnah oder stadtfern, oder wo bewegt es sich überhaupt?
Die Anflugschneisen der jetzigen Start- und Landebahn befinden sich außerhalb der Stadtgrenzen von Berlin, und wenn man nach Schönefeld-Süd geht, wandern sie noch weiter nach außerhalb der Stadt. In An- und Abflugrichtung befinden sich keine größeren Siedlungen. Es befindet sich nur der Ort Rotberg dort, und dieser Ort wird in der Hauptsache von Personal des Flughafens Schönefeld bewohnt.
Dr. Klaus Röhl
Jetzt würde ich gern meine Ausführungen fortführen.
Es ist noch ein Wunsch nach einer Zwischenfrage vom Abgeordneten Scheffler signalisiert worden.
Ich würde aber gerne etwas zusammenhängend ausführen.
Ich möchte daran erinnern: Sollte es nicht gelingen, das Projekt Flughafen Berlin/Brandenburg International zu realisieren, werden die innerstädtischen Flughafen Berlins weiter in Betrieb bleiben.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die in Ihrem Antrag positiv herausgestellten Entwicklungen der inländischen Schienenverkehrsverbindungen, die von uns ja aktiv fordert werden, sind sehr zu loben und korrekt. Aber nun erklären Sie mir doch einmal, wie Sie sich eine zeitlich sinnvolle Schienenanbindung nach Mittel- und Fernost oder sogar nach Übersee vorstellen!
Warum wehren Sie und Ihre spezielle Klientel sich so energisch gegen den Ausbau und die Ertüchtigung innerdeutscher Bahnstrecken, z. B. Berlin - Nürnberg - München?
- Das ist doch so.
Ihre Realitätsferne bezüglich der Besteuerung des Flugbenzins, die ja alle anderen Flugverkehr betreibenden Länder keinesfalls einführen, Ihre Realitätsferne hinsichtlich der Einführung der Mehrwertsteuer für Flugtickets, die es ja innerdeutsch bereits gibt - da sollten Sie sich einmal informieren, weil es Ihren Kollegen wohl entgangen ist -,
und Ihren angeführten Abbau sogenannter direkter staatlicher Zuwendungen für den Luftverkehr möchte ich hier nicht näher diskutieren; wir haben das schon etliche Male gemacht.
In fünf Minuten Redezeit ist es unmöglich, alle weiteren positiven Fakten für den Flughafenbau aufzuzählen. Ich will hier nur noch einige für uns besonders wichtige Kriterien für einen Flughafen Berlin/ Brandenburg nennen.
Jetzt ist Ihre Redezeit aber vorbei.
Ich wäre dankbar, wenn Sie mir noch eine Minute gewährten.
Der Flughafen muß in einer für die Nutzer zeitlich und kostenmäßig erträglichen Entfernung zum Stadtzentrum liegen. Entfernungsexoten wie München mit 35 Kilometern, Gatwick mit 45 Kilometern, Montreal mit 53 Kilometern und Narita mit 70 Kilometern kommen für uns nicht in Frage.
Der Anschluß mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln, U-, S-, Regional- und Fernbahnen muß ein Optimum aus allen diesen Verkehrsträgern sein. Das ist ja doch auch Ihr Wunsch.
Herr Kollege --
Bezüglich des Auslastungsgrades des Flughafens durch die Nutzer sollte der Standort mit dem besten Wert gewählt werden.
Die Belästigung und Gefährdung von Anwohnern besonders in An- und Abflugrichtung müssen möglichst gering sein.
Herr Kollege, jetzt bitte ich Sie doch, zum Schluß zu kommen.
Auch der Flächenverbrauch und der Naturverbrauch sollten gering sein.
Sie können daraus sehen, welchen Flughafen wir präferieren. Wir sprechen uns für einen internationalen Flughafen aus.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Enkelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Wort an Sie, Herr Kollege Röhl: Einer muß ja immer der erste sein, einmal sind es die GRÜNEN, einmal ist es die PDS; aber im Abgeordnetenhaus und im Landtag Brandenburg hat die PDS entsprechende gleichlautende Anträge eingebracht. Das können Sie von Brandenburg natürlich nicht wissen, da Sie da nicht mehr vertreten sind, und ich schätze, daß Sie ab nächste Woche auch nicht mehr in Nordrhein-Westfalen und in Bremen vertreten sein werden.
Also, meine Damen und Herren, Frau Präsidentin, „das Flugwesen entwickelt sich, Genossen Bauern" - so jedenfalls versuchte Manfred Krug alias Grigori Kossonossow in der Geschichte „Kuh im Propeller" die Bauern eines sibirischen Dorfes vom Sinn des Fliegens zu überzeugen. Je länger er sprach, um so skeptischer wurden die Bauern.
Dr. Dagmar Enkelmann
Ähnlich ergeht es heute wohl der Landesregierung Brandenburg. Sie redet und redet auf die Bürgerinnen und Bürger von Sperenberg und Umgebung ein, um ihnen das „einmalige Angebot Großflughafen" einschließlich 22 Millionen gefällter Bäume, vernichteter Ortschaften, Fluglärm, abgesenkten Grundwasserspiegels usw. schmackhaft zu machen, und je länger sie redet, um so größer wird der Zweifel bei den Betroffenen. Denn die meisten haben inzwischen längst begriffen, daß das Projekt keine Lösung für die Probleme ist, die heute akut anstehen, also Massenarbeitslosigkeit, Dauerarbeitslosigkeit, ja daß sogar das Hickhack um den Flughafen im Grunde genommen regionale Wirtschaftsentwicklung in dieser Region verhindert.
Dennoch muß der Großflughafen immer wieder als rettender Strohhalm herhalten. Mehr hat man offenkundig den Bewohnerinnen und Bewohnern von Sperenberg, Luckenwalde, Zossen usw. nicht zu bieten.
Um es auf den Punkt zu bringen: Das Projekt Brandenburg/Berlin International ist ein verkehrspolitischer, ökonomischer und ökologischer Schuß in den Ofen.
Die von der Flughafen-Holding prognostizierten 20 bis 25 Millionen Flugpassagiere für Berlin werden von den meisten Expertinnen und Experten inzwischen als unseriös eingestuft. Angesichts des von uns allen gewünschten Ausbaus des schienengebundenen Verkehrs sowie interessanter Entwicklungen im Bereich der Telekommunikation bzw. Telematik wird sich für die Zukunft ein deutliches Potential an verkehrsvermeidenden Maßnahmen sowie für Verkehrsverlagerung ergeben.
Genau das verstehe ich nicht: Sie haben sich hier ganz massiv eingesetzt für Hochgeschwindigkeitstechnik, für den Ausbau des IC- bzw. ICE-Systems, Sie haben hier ganz massiv den Transrapid gefordert; auf der anderen Seite wollen Sie jetzt den Großflughafen.
Begründet haben auch Sie, Herr Röhl, das damals u. a. damit, daß Sie den Kurzstreckenflugverkehr einstellen wollten.
- Ich komme gleich darauf. - Trotzdem plädieren Sie hier massiv für diesen Großflughafen.
Die Frage für mich ist jetzt: Wo sollen denn all die Reisenden herkommen, die sowohl mit dem Transrapid und mit dem ICE als auch mit dem Flugzeug reisen? Das ist mir echt schleierhaft, zumal 60 % des gesamten Flugverkehrs in Berlin Kurzstreckenflugverkehr ist.
Eine entsprechende Bahnentwicklung vorausgesetzt, ist dieser Kurzstreckenverkehr völlig zu ersetzen.
Ein großer Teil des internationalen Flugverkehrs über Berlin ist reiner Umsteigeverkehr. Da sage ich, den Leuten ist es völlig Wurst, ob sie in Berlin oder auf den Flughäfen Düsseldorf, Hamburg oder Nürnberg umsteigen, sie wollen in eine andere Richtung. Und genau diese Flughäfen sind z. B. nicht einmal zu 50 % ausgelastet.
Ich denke, hier sollte man die gesamten Prognosen bereinigen. Ich orientiere hier einmal auf die Studie von Ungefug, die zu dem Schluß kommt, daß es im Jahre 2010 auf deutschen Flughäfen mehr freie Kapazitäten gibt als 1990. Das heißt, jeder weitere Ausbau der Flughäfen über die heutige Kapazität hinaus ist schlichtweg überflüssig.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/616 und 13/1296 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuchs -3. SGBÄndG
- Drucksache 13/1205 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Innenausschuß
Ausschuß für Gesundheit
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Günther.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ihnen liegt heute der Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuchs vor. Er befaßt sich zwar nicht mit den Ansprüchen von Versicherten, hat aber dennoch wesentliche Bedeutung für alle Beitragszahler, Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Bisher wurde die Überprüfung der Arbeitgeber auf das ordnungsgemäße Abführen der Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeits-
Parl. Staatssekretär Horst Günther
losenversicherung von den Krankenkassen durchgeführt. Ziel der geplanten neuen Regelung ist es, diese Prüfung der Arbeitgeber künftig den Trägern der Rentenversicherung zu übertragen.
Für diese Regelung gibt es mehrere Gründe. Der wichtigste ist, daß ab 1996 in der gesetzlichen Krankenversicherung eine umfassende Kassenwahlfreiheit gilt. Die Krankenkassen werden dann untereinander in einem verschärften Wettbewerb um die Mitglieder stehen. Die Betriebe, in denen die ordnungsgemäße Abführung der Beiträge vor Ort geprüft wird, sind ein wichtiges Feld für die Mitgliederwerbung. Nach allen Erfahrungen der Vergangenheit ist zu erwarten, daß hierdurch die Prüfaktivitäten eher gebremst als beflügelt werden. Das kann nicht im Interesse der Gesamtheit der Beitragszahler liegen.
Ein weiteres: Gegenstand der Arbeitgeberprüfung ist das Verwaltungshandeln der Krankenkassen. Es ist ein bewährtes Prinzip in allen Rechtsbereichen, daß sich der Handelnde nicht selbst überprüft, sondern daß die Prüfung durch einen Dritten erfolgt. Im Interesse einer größtmöglichen Objektivität wollen wir dieses Prinzip beim Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags übernehmen. Übrigens sind auch die Arbeitgeber mit diesem Vorhaben einverstanden.
Schließlich hat der Bundesrechnungshof das heutige Prüfverfahren wegen der Beitragsausfälle, die der Sozialversicherung durch die aufgezeigten Schwachstellen entstehen, wiederholt kritisiert.
Der Gesetzentwurf zieht hieraus die notwendigen Konsequenzen: Die Prüfung der Arbeitgeber wird einer neutralen Instanz übertragen, die weder mit anderen Trägern im Wettbewerb steht noch beim Beitragseinzug selbst unmittelbar tätig wird. Diese Voraussetzungen erfüllen die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Darüber hinaus haben sie bereits Prüferfahrungen, weil sie schon heute an der Arbeitgeberprüfung mitwirken.
Die Rentenversicherungsträger werden sich unter Einsatz moderner Kommunikationstechniken und unter Nutzung der in ihrem Bereich bereits vorhandenen Daten und Datennetzverbindungen eine sogenannte Arbeitgeberdatei aufbauen. Diese Datei ist der Dreh- und Angelpunkt der angestrebten effizienten verwaltungsökonomischen Prüfung.
Die Neuregelungen sollen gleichzeitig mit der flächendeckenden Kassenwahlfreiheit Anfang 1996 in Kraft treten. Trotz der bereits laufenden Vorarbeiten brauchen die Träger eine Vorlaufzeit von etwa sechs Monaten. Deshalb bitte ich um eine zügige parlamentarische Beratung.
Ich möchte noch auf Befürchtungen eingehen, hier werde ein erster Schritt unternommen, den Krankenkassen den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags zu entziehen. Das Gegenteil ist richtig: Der Gesetzentwurf zielt gerade darauf ab, die Schwächen des heutigen Prüfverfahrens zu beheben. Die Aufgabe des Beitragseinzugs bleibt dagegen nach wie vor in der Hand der Krankenkassen.
Außerdem geht der Gesetzentwurf davon aus, daß die Sozialversicherungsträger auch künftig beim Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags vertrauensvoll zusammenarbeiten und einvernehmliche Entscheidungen in den Grundsatzfragen des Beitragsrechts anstreben.
Die Rechtssicherheit gebietet aber, daß die Träger in ihrem jeweiligen Kompetenzbereich letztverantwortlich entscheiden. Deshalb soll die Arbeitgeberprüfung ohne Wenn und Aber auf die Rentenversicherung übergehen.
Allein die Rentenversicherung wird künftig die Verantwortung für die Durchführung dieser Prüfung tragen. Sie muß hier deshalb in Zukunft alleine entscheidungsbefugt sein.
Schon aus personellen Gründen kann die Rentenversicherung die Arbeitgeberprüfung nicht mit einem Schlag zum 1. Januar 1996 übernehmen. Wir brauchen deshalb einen fließenden Übergang. Dazu gehören - leider - Übergangsregelungen, die aus der Natur der Sache heraus nicht unkompliziert sein können. In diesem Punkte bitte ich für die anstehende Gesetzesberatung insbesondere beim federführenden Ausschuß um Ihr Verständnis.
Die Bundesregierung steht dem Vorschlag des Bundesrates, den Übergangszeitraum zu verkürzen, durchaus aufgeschlossen gegenüber. Bei einer Verkürzung des Übergangszeitraums müssen die Modalitäten allerdings in jedem Fall auf die vorhandenen Prüfkapazitäten der beteiligten Träger abgestimmt sein.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Büttner?
Er hat es gerade noch vor meinem letzten Satz geschafft. Bitte, Herr Kollege Büttner.
Ich habe eine kleine Frage: Können Sie uns, bevor wir in die Ausschußberatungen einsteigen, mitteilen, welche zusätzlichen Verwaltungskosten durch diese Umstellung des Prüfverfahrens auf die Bundesversicherungsanstalt zukommen?
Kollege Büttner, diese Zahl habe ich nicht im Kopf. Sie werden sie aber in der ersten Ausschußberatung von mir genannt bekommen.
Im übrigen denke ich, daß für alle Beteiligten eine einvernehmliche Lösung gefunden wird.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Peter Dreßen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese dritte Änderung des Sozialgesetzbuches, bei der es in erster Linie um die Überprüfung der korrekten Zahlung von Sozialbeiträgen geht, die bisher in erster Linie durch die Krankenkassen geleistet worden ist, sieht vor, daß künftig die Träger der Rentenversicherung zuständig sein werden.
Dies ist notwendig, weil im Zuge der Gesundheitsreform ab 1996 - der Herr Staatssekretär hat es erwähnt - für alle Krankenversicherten, also auch für die Arbeiterinnen und Arbeiter, Wahlfreiheit zwischen den einzelnen Kassenarten bestehen wird.
Die Wahlfreiheit geht wesentlich auf die Initiative von uns Sozialdemokraten zurück. Im Rahmen der Debatten zur Gesundheitsreform haben wir maßgeblich darauf hingewirkt, daß künftig auch die Arbeiterinnen und Arbeiter ihre Krankenversicherung frei wählen können. Die überkommene Trennung zwischen Angestellten und Arbeitern macht für uns keinen Sinn mehr. Damit wird gleichzeitig - so hoffen wir - die berühmte „Rosinenpickerei" unter den Krankenkassen ein Ende finden.
Hier spielt auch eine Rolle, daß die Betriebsprüfungen durch die Ersatzkassen in der Vergangenheit zu wünschen übrigließen. Ich habe bewußt nur die Ersatzkassen genannt, weil wir den gesetzlichen Krankenkassen eigentlich einen Dank für das aussprechen müssen, was sie bisher geleistet haben.
Wir sind uns allerdings bewußt, daß die Ortskrankenkassen im Rahmen der Betriebsprüfungen in großem Umfang auch Betriebsberatung betrieben haben. Hier ist ein Vertrauensverhältnis entstanden, das im Zuge der Reform künftig verlorengehen wird. Die Lage der Ortskrankenkassen wird dadurch sicherlich nicht einfacher werden.
Trotzdem stimmen wir Sozialdemokraten diesem Gesetzentwurf zu, um Wettbewerbsverzerrungen in positiver wie negativer Hinsicht zwischen den Krankenkassen zu vermeiden. Allerdings sind aus unserer Sicht eine Reihe von Punkten verbesserungsbedürftig.
Als erstes ist die geplante Übergangsfrist zu nennen, die der Herr Staatssekretär angesprochen hat. Ein Zeitraum von fünf Jahren erscheint uns als schlichtweg zu lang. Aus unserer Sicht ist es sinnvoller, die Rentenversicherer früher in die Pflicht zu nehmen. Vorstellbar wäre ein Zeitraum von etwa zwei Jahren.
Soweit die jeweiligen Rentenversicherungsträger zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Übernahme der Prüfung in der Lage sind, sollte es möglich sein, mit den Krankenkassen Sonderabsprachen zu treffen, wonach die Prüfung entsprechend später auf die Rentenversicherung übergeht. Dies muß jedoch ausschließlich im jeweiligen regionalen Kontext und darf nicht etwa bundesweit erfolgen. Wir wollen also nach Art. 2 dieser Vorlage einen Umkehrschluß.
Zweitens wollen wir, daß die bisher in den Krankenversicherungen tätigen Betriebsprüfer die Möglichkeit erhalten, in die Rentenversicherungen überzuwechseln. Hier ergeben sich auf Grund der unterschiedlichen Dienstrechte Schwierigkeiten, da die Rentenversicherung z. B. kein Dienstordnungsverhältnis kennt, wie es in der AOK noch üblich ist.
Im Rahmen der Ausschußberatungen müssen wir daher eine entsprechende Regelung finden und gesetzlich festschreiben, um den Übergang zu ermöglichen. Ob das per Verordnung durch den Arbeitsminister oder per Gesetz erfolgt, ist für uns unwichtig. Wichtig ist, daß es möglich ist. Es muß allerdings für die betroffenen Mitarbeiter so geregelt werden, daß der Übergang auf freiwilliger Basis erfolgt.
Ein anderer Fallstrick liegt darin, daß infolge der vorrangigen Zuständigkeit der Krankenversicherung bislang bei Betriebsprüfungen abgestimmte Entscheidungen der Sozialversicherungsträger ergangen sind, so daß die jeweiligen Unternehmen einen hohen Grad an Rechtssicherheit genossen haben.
Dies muß auch künftig gewährleistet sein, wenn die Rentenversicherung die Betriebsprüfungen vorzunehmen hat. Auch das wird uns im Ausschuß noch beschäftigen müssen, zumal die Krankenkassen ein Interesse daran haben werden, gegebenenfalls Nachprüfungen gemäß § 98 Sozialgesetzbuch X vorzunehmen, um die korrekte Abwicklung von krankenversicherungsrelevanten Beiträgen überprüfen zu können.
Ich möchte noch auf ein Problem hinweisen. Wir Sozialdemokraten versprechen uns von der technischen Änderung auch eine bessere Überprüfung von illegaler Beschäftigung und eine Eindämmung der stark zunehmenden sogenannten Scheinselbständigkeit, zumal die Rentenversicherung ein höheres Interesse als die Krankenversicherung daran hat, daß entsprechende Mißstände abgestellt werden und die Beiträge korrekt abgeführt werden.
In der Vergangenheit hatten die Krankenkassen nicht immer die Möglichkeit, Scheinselbständigkeit zu überprüfen. Diese dritte Änderung des Sozialgesetzbuches, so wie sie uns heute vorliegt, verbessert diese Möglichkeit allerdings nicht. Es ist deshalb dringend geboten, daß wir uns in diesem Hohen Hause des Problems in naher Zukunft annehmen.
Was sich hier abspielt, ist für die Betroffenen sozialversicherungsrechtlich eine Katastrophe. Sie sind nach wie vor abhängig, was Arbeitszeit und faktisches Weisungsrecht angeht. Die Bezahlung jedoch ist so mies, daß entsprechende Sozialversicherungsbeiträge, die notwendig wären, eingespart werden.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer sparen auf den ersten Blick Gelder, für die der Staat hinterher aufkommen darf. Mit diesen Arbeitsverhältnissen produzieren wir die Armut von morgen und übermorgen. Ich sage das für den, der das immer noch nicht kapiert hat.
Peter Dreßen
Dasselbe gilt natürlich auch für die berühmten 580-Mark-Jobs. Hier hat sich in unserer Gesellschaft etwas durchgesetzt, was vom Gesetzgeber in dieser Form sicherlich nicht gewollt sein konnte. Ursprünglich für Studenten als Aushilfsjobs vorgesehen, werden sie heute dazu genutzt, um massenhaft ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse abzuschließen. Tausende von ordentlichen Arbeitsplätzen sind auf diese Weise verlorengegangen.
Dies, meine Damen und Herren, bedarf dringend einer gesetzlichen Regelung. Ich halte es für sehr bedauerlich, daß die Bundesregierung ihren Entwurf für die dritte Änderung des Sozialgesetzbuchs nicht dazu genutzt hat, um diese Mißstände ebenfalls zu beseitigen.
Aber statt den grassierenden Mißbrauch und die bestehenden Lücken im Sozialgesetzbuch zu schließen, verhandeln wir hier letztlich nur über eine technische Nachfolgeregelung zum Gesundheitsstrukturgesetz. Wir begrüßen zwar, daß der Wettbewerb unter den Kassen mit dieser technischen Änderung in der Zukunft gewährleistet wird. Aus meiner Sicht vergeben Sie jedoch, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, hiermit wieder eine Chance, dem fortschreitenden Sozialabbau entgegenzuwirken. Oder - lassen Sie mich diese rhetorische Frage zum Schluß stellen - sollte der von Ihnen immer wieder beschworene „Umbau des Sozialstaates" nichts anderes als Sozialabbau sein?
Das Wort hat der Abgeordnete Manfred Grund.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der uns hier vorliegende Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuchs der Bundesregierung soll zu einer Neuordnung der Kompetenzen zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Abführung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge durch die Arbeitgeber führen.
Diese Umstrukturierung ist zum einen durch Mißstände in der Überprüfungspraxis erforderlich geworden, zum anderen auch durch eine Veränderung der Strukturen des Gesundheitswesens durch das Gesundheitsstrukturgesetz. Bisher oblag den Krankenkassen als Einzugsstellen für die Beiträge zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung die Überwachung der ordnungsgemäßen Abgabe der Meldungen, der Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages und der Einreichung des Beitragsnachweises durch die Arbeitgeber.
Die Einzugsstellen, hier die Krankenkassen, wären verpflichtet gewesen, die Überprüfung aller Arbeitgeber mindestens einmal alle vier Jahre durchzuführen. Diese gesetzliche Vorgabe wird jedoch in der Praxis durch die Einzugsstellen nicht eingehalten.
Die im Verband der Angestelltenkrankenkassen und im Arbeiterersatzkassenverband zusammengeschlossenen Ersatzkassen legen in ihren Richtlinien für die Durchführung von Betriebsprüfungen unter Mißachtung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen fest, daß in der vierjährigen Prüfungsfrist nur 60 % bis 70 % der Arbeitgeber zu prüfen sind.
Wie der Bundesrechnungshof im Rahmen einer Prüfung von Haushalts und Wirtschaftsführung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in den Jahren 1992 und 1993 festgestellt hat, führte diese unzureichende Überprüfung der Arbeitgeber zu erheblichen Beitragsausfällen, da Ersatzansprüche für nicht gezahlte Beiträge schon nach vier Jahren verjähren. Nach Berechnungen der AOK liegt der Beitragsausfall durch nicht abgeführte Beiträge bei einem Prozent. Das sind für alle Sozialversicherungsträger zusammen 10 Milliarden DM jährlich.
Des weiteren prüfen die Ersatzkassen und zum Teil auch die Pflichtkrankenkassen nur die Unterlagen ihrer Mitglieder. Beschäftigte, die keine Gesamtsozialversicherungsbeiträge zahlen, werden also nicht einbezogen. Werden der Bundesanstalt für Arbeit und anderen Sozialversicherungsträgern Beiträge dadurch vorenthalten, daß Arbeitgeber Lohnkarten manipulieren und Mißbrauch mit geringfügiger Beschäftigung betreiben oder ähnliches tun, läßt sich dies durch eine Prüfung nur der eigenen Mitglieder und nicht jedes einzelnen Arbeitnehmers nicht feststellen. Dies, Herr Kollege Dreßen, soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf entscheidend verbessert werden.
Auch kommt es bei der bisherigen Praxis zu Mehrfachprüfungen einzelner Betriebe, da Vereinbarungen über Vertretungsprüfungen aus Wettbewerbsgründen zwischen den Krankenkassen nicht zustande gekommen sind. Sind die Mitarbeiter eines Betriebes bei verschiedenen Krankenkassen versichert, muß jede betroffene Kasse in diesem Betrieb ihrer Prüfungspflicht nachkommen.
Die mit der Betriebsprüfung beauftragten Bediensteten der Einzugsstellen, also der Krankenkassen, sind zudem vorrangig als Berater und Akquisiteure im Außendienst eingesetzt und erst nachrangig als Betriebsprüfer. Nach einer Empfehlung des AOK- Bundesverbands erfolgt der Einsatz der Bediensteten zu 80 % als Akquisiteure und Berater und nur zu 20 % als Betriebsprüfer. Mit dieser Organisation des Betriebsprüfungsdienstes bei Ortskrankenkassen und Ersatzkassen muß es zu Interessenkollisionen und kann es zu sachfremden Entscheidungen kommen.
Diese Situation wird sich noch verschärfen, wenn die Krankenkassen wegen der vom 1. Januar 1996 an geltenden generellen Krankenkassenwahlfreiheit in
Manfred Grund
einen noch stärkeren Wettbewerb um Mitglieder eintreten werden;
denn neue Mitglieder werden oft über die Personalbüros der Betriebe angeworben. Die Werbung neuer Mitglieder beim Arbeitgeber und seine neutrale Überprüfung lassen sich kaum vereinfachen.
Allen Beteiligten muß deshalb an einer wirksamen und unabhängigen Betriebsprüfung gelegen sein. Dem wird der vorliegende Entwurf der Bundesregierung gerecht. Die Lösung liegt in der schrittweisen Übertragung der Konzentration der Prüfungskompetenzen von den Einzugsstellen auf die Träger der Rentenversicherung und damit auf eine neutrale Stelle innerhalb der Sozialversicherungen.
Die Übertragung der Prüfungskompetenzen von den Krankenkassen auf die Träger der Rentenversicherungen ist nur schrittweise möglich. Dem trägt der Entwurf der Bundesregierung Rechnung, und zwar mit der Einführung des § 15c, der eine gestaffelte Prüfquote zwischen 1996 und dem Jahr 2000 beinhaltet.
Die den Rentenversicherungsträgern durch die Prüfungspflicht entstehenden Kosten, Herr Kollege Büttner, werden gegenüber den Krankenkassen durch eine fortlaufende Minderung der Vergütung für die Beitragseinziehung durch die Krankenkassen ausgeglichen. Die Verlagerung der alleinigen Betriebsprüfungskompetenz von den Krankenkassen auf die Träger der Rentenversicherung führt auch nicht dazu - wie behauptet wurde -, daß in besonderen Situationen - wie dem drohenden Konkurs eines Arbeitgebers - Ad-hoc-Prüfungen ausgeschlossen sind. Die Einzugsstelle hat die Möglichkeit, zu veranlassen, daß ein Arbeitgeber bei besonderen Situationen alsbald durch die Rentenversicherungsträger überprüft wird.
Den Einzugsstellen verbleibt zudem grundsätzlich die Möglichkeit, an allen Prüfungen teilzunehmen. Dazu sind ihnen durch die Rentenversicherungsträger die Prüftermine mitzuteilen. Sichergestellt wird ebenso, daß die Betriebsprüfungen alle vier Jahre und allumfassend durchgeführt werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung wird der Zielsetzung gerecht, die Arbeitgeberüberprüfung bei einer neutralen, mit der zu überprüfenden Angelegenheit noch nicht befaßten Stelle zu konzentrieren. Durch die Übertragung des Prüfungsrechts auf die Rentenversicherungsträger werden Ungleichbehandlungen der Arbeitgeber vermieden, sind Mehrfachprüfungen der Betriebe durch verschiedene Krankenkassen bezüglich nur der bei ihnen Versicherten ausgeschlossen und wird der Koordinierungsaufwand minimiert.
Herr Kollege, Sie müssen zum Abschluß kommen.
Letzter Satz, Herr Präsident. - Nicht zuletzt bleibt der notwendige Kontakt zwischen selbstverwalteter Sozialversicherung und Arbeitgebern und Arbeitnehmern erhalten. Insbesondere dies ist zu begrüßen.
Danke schön.
Das Wort hat die Abgeordnete Andrea Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist offenkundig notwendig und sinnvoll. Deswegen werden wir Bündnisgrünen ihm zustimmen.
Ich frage mich allerdings, ob wir Parlamentarier und Parlamentarierinnen gut beraten sind, diese Art von verwaltungstechnischem Verfahren hier im Plenum und nicht im Ausschuß zu beraten.
Ich empfehle uns daher, möglichst bald in die Debatte über die Parlamentsreform einzusteigen und diese und andere Fragen dabei zu klären.
Ich danke Ihnen.
Nun spricht die Abgeordnete Dr. Gisela Babel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Fischer, ich stimme Ihnen im Grundsatz zu. Ich hätte noch eine andere piksige Frage: Warum hat man das damals, als man die Wettbewerbsfähigkeit der Kassen einvernehmlich eingeführt hat, nicht gleich mit geregelt? Denn dieser Sachverhalt gehört natürlich mit in das Strukturgesetz hinein.
Meine Damen und Herren, hinter dem Titel eines „Dritten Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuchs" verbirgt sich die Übertragung von Zuständigkeiten von einem Sozialversicherungsträger auf einen anderen. Statt der Krankenkassen werden künftig die Rentenversicherungsträger die Arbeitgeber darauf überprüfen, ob sie Beiträge zur gesetzlichen Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung korrekt abführen.
Dieser Übergang des Prüfungsauftrags ist richtig und notwendig. Die Prüfung der Arbeitgeber kann nur durch eine Instanz vorgenommen werden, die neutral ist und daher möglichst objektiv und ohne Berücksichtigung eigener Interessen vorgeht. Das ist eben die Rentenversicherung. Sie ist nicht am Einzug der Sozialversicherungsbeiträge beteiligt. Hierfür bleiben die Krankenkassen zuständig. Soweit ich gehört habe, hat das in dieser Weise bislang auch sehr gut geklappt.
Dr. Gisela Babel
Die Rentenversicherung steht in keiner Konkurrenz zu irgendeinem anderen Sozialversicherungsträger, während wir bei den Krankenkassen eine neue Ara haben, indem sie untereinander in Wettbewerb treten. Ab 1996 wird wegen der Kassenwahlfreiheit Konkurrenz an der Tagesordnung sein. Ich begrüße diese Konkurrenz.
Angesichts dieses Wettbewerbsdrucks scheint es mir aber nicht richtig zu sein, daß die Krankenkassen, die die Beiträge einziehen, gleichzeitig auch die Korrektheit dieses Vorgangs überwachen. Auch den Kassen wäre nicht damit gedient, ihnen diesen Prüfauftrag zu belassen. Sie stünden im Grunde unter Rechtfertigungsdruck hinsichtlich ihrer Objektivität.
Auch glaube ich, daß die Rentenversicherungsträger für ihre neue Verantwortung gut gerüstet sind. Sie werden eine Arbeitgeberdatei aufbauen, um möglichst effizient arbeiten zu können. Die Prüfung der Arbeitgeber ist für sie nicht neu; sie waren daran schon bislang beteiligt.
Für den Gang des Gesetzgebungsverfahrens bin ich zuversichtlich, da die beteiligten Gruppen den Gesetzentwurf weitgehend unterstützen. Die Rentenversicherung ist, wie gesagt, bereit, die neue Aufgabe unter Berücksichtigung einer Übergangsfrist zu übernehmen. Die Arbeitgeber haben dem Gesetzentwurf zugestimmt. Auch der Bundesrechnungshof, der das bisherige Prüfungsverfahren mehrfach kritisiert hat, dürfte zufrieden sein. Ich weiß, daß es bei den Krankenkassen noch einige Bedenken gibt. Ein altbewährter Rechtsgrundsatz im Abendland aber ist: Der Handelnde sollte sich nicht selbst überprüfen.
Der Entwurf der Bundesregierung ist ein Beweis auch dafür, wie verrechtlicht und kompliziert unser heutiges Sozialwesen ist. Für die schlichte Übertragung einer Prüfungskompetenz von einem auf einen anderen Versicherungsträger benötigen wir heute schon ein mehrseitiges Gesetz mit umfangreichen Übergangsvorschriften bis in das Jahr 2000 hinein.
Vielleicht sind das die unvermeidlichen Folgen unserer modernen Massenverwaltung. Aber dadurch wird auch deutlich, wie schwerfällig der Tanker Sozialversicherung ist. Selbst kleine, weitgehend unumstrittene Korrekturen, die, wie gesagt, auch in anderen Verfahren laufen könnten, erfordern einen beträchtlichen Aufwand.
Ich bedanke mich.
Herr Kollege Grund, ich habe übersehen, daß es die erste Rede war, die Sie in diesem Hause gehalten haben. Darum möchte ich Ihnen zwar verspätet, aber nicht weniger herzlich im Namen des Hauses gratulieren.
Das Wort hat nun die Abgeordnete Petra Bläss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst die Position von Frau Fischer unterstützen. Gestatten Sie mir aber trotzdem einige wenige Anmerkungen zum vorliegenden Gesetzentwurf.
Mit ihm soll die Prüfpflicht für die Sozialversicherungsbeiträge den Rentenversicherungsträgern übertragen werden: eine logische Folge des freien Kassenwahlrechts bei der Krankenversicherung. Wir haben schon bei der Verabschiedung des Gesundheitsstrukturgesetzes 1993 kritisch vermerkt, daß von dem Kassenwahlrecht kein hinreichender Impuls für die Angleichung der Beitragssätze als einem längst überfälligen verteilungspolitischen Ziel der Solidargemeinschaft ausgehen wird. Aber es ist beschlossen, und so scheinen Sie mit dem vorgelegten Gesetzentwurf nur einen verwaltungstechnischen, formalrechtlichen Akt zu vollziehen. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich real um eine weitere Zentralisierung von Sozialdaten handelt.
Mit der Einfügung des Abs. 8 in § 28p des SGB IV installieren Sie bei der vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger verwalteten Datenstelle eine neue Datei, die zu der Vielzahl der dort bereits erfaßten Daten der Versicherten hinzukommt. Diese Ansammlung von Daten durch eine Stelle ergibt natürlich die Möglichkeit der Abgleichung und Vernetzung, so daß ohne weiteres ein „elektronisches Arbeitsbuch" für alle rentenversicherungspflichtigen Beschäftigten entstehen kann. Diese Befürchtungen werden noch durch die Euphorie über weltweite Datenbahnen verstärkt. Eine wirksame Datenkontrolle ist daher unbedingt notwendig. Doch die wird leider durch Konzentration und Zentralisierung erschwert.
Ich halte es generell für problematisch, mit Datenabgleich sozialpolitische Ziele erreichen zu wollen. Schauen Sie sich doch die Prüfung der Lohnunterlagen über geringfügig Beschäftige an! Sie wird bei den Arbeitgebern deshalb durchgeführt, um einem sogenannten Leistungsmißbrauch seitens der Beschäftigten vorzubeugen. Warum bekämpft die Bundesregierung den angeblichen Leistungsmißbrauch ausschließlich durch den Auf- und Ausbau der Daten- und Personenkontrollen? Kann man für die Anmeldung geringfügiger Beschäftigungen nicht besser positive Anreize schaffen, etwa durch die Möglichkeit, einen beitragsfreien, pauschalierten Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen zu erwerben?
Meine Damen und Herren, auf eines sollten wir im Rahmen der vorgesehenen Neuregelung besonders achten: daß die neue Datenkonzentration nicht mißbraucht wird.
Ich danke.
Ich schließe damit die Aussprache.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/1205 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck , Winfried Nachtwei, Dr. Antje Vollmer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Errichtung einer Bundesstiftung „Entschädigung für NS-Unrecht"
- Drucksache 13/1193 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fünf Minuten erhalten soll. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Volker Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 8. Mai 1995 ist vorbei, der Alltag hat uns wieder. Jetzt müssen dem feierlichen Gedenken politische Konsequenzen folgen. Gerade der Umgang mit den überlebenden Opfern des NS-Terrors ist ein Prüfstein für die politische Kultur in unserem Land. Das wird im Ausland zu Recht sehr genau beobachtet.
Es darf nicht länger „vergessene" und ausgegrenzte NS-Opfer geben! 50 Jahre nach Ende der NS-Herrschaft haben viele Opfer des Nationalsozialismus keine Entschädigung erhalten, die diesen Namen verdient. Es soll keineswegs in Abrede gestellt werden, daß der Bund und auch die Länder in den vergangenen Jahren sehr viel für die Entschädigung geleistet haben. Das nützt aber denjenigen nichts, die aus den Regelungen herausfielen.
Wir haben die Gruppen in unserem Antrag aufgeführt: Zwangssterilisierte, Euthanasiegeschädigte, Schwule, sogenannte Asoziale, Zwangsarbeiter, Kommunisten und Opfer der Militärjustiz. Sie alle wurden nicht als Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes anerkannt; ebenso viele Sinti und Roma. Durch enge Fristsetzungen wurden auch viele jüdische Verfolgte faktisch ausgeschlossen. Gesundheitliche Spätschäden der Verfolgung zeigen sich häufig erst im hohen Lebensalter, ohne daß die Entschädigungsregelungen diesem Umstand ausreichend Beachtung schenken.
Es ist einfach empörend, zu sehen, wie Menschen mit schweren Verfolgungsschicksalen heute auf Sozialhilfe angewiesen sind, in bitterer Armut und nicht selten in gesellschaftlicher Isolation leben. Das dürfen wir nicht hinnehmen!
Meine Fraktion hatte im März die Verfolgtenverbände zu einer Anhörung über die Bilanz der Härteregelungen des Bundes eingeladen. Das Ergebnis war niederschmetternd. Unbürokratische und schnelle Hilfe hatte die Bundesregierung bei Einführung des Härtefonds zum AKG versprochen. Nichts davon ist eingetreten. Statt dessen gibt es lange Bearbeitungszeiten und hohe Ablehnungsquoten. Laufende Beihilfen werden nur in besonderen Ausnahmefällen" bewilligt. Die Hürden sind so hoch, daß sie nur von wenigen überwunden werden können.
Viele Verfolgte werden abgelehnt, weil sie keine Notlage vorweisen können. Wohlgemerkt: Die Notlagengrenze für Einmalzahlungen bis zu 5 000 DM ist schon überschritten, wenn das Gesamteinkommen eines Ehepaares 1 924 DM beträgt. Meine Damen und Herren, diese Notlagengrenze ist für mich eine nicht hinnehmbare Pfennigfuchserei.
Besonders bedrückend ist die Situation nach dem letzten Bericht des Bundesfinanzministeriums bei den ergänzenden Regelungen zum Entschädigungsrentengesetz in den neuen Ländern. Zwei Jahre nach Einführung dieses Gesetzes waren von 1 143 Anträgen gerade einmal 37 positiv beschieden. Das darf doch nicht wahr sein! Wie lange wollen Sie die alten Menschen noch warten lassen?
Meine Damen und Herren, seit vielen Jahren wiederholt sich in jeder Wahlperiode das gleiche Ritual. Minimale Zugeständnisse an die Verfolgten werden von der Bundesregierung mit großer Geste als „endgültige Abschlußregelung" tituliert. Aber, meine Damen und Herren, es darf bei der Entschädigung keinen Schlußstrich geben, solange nicht jeder richtig entschädigt worden ist.
Gestern hat der Innenausschuß über die Fragen der NS-Entschädigung beraten. Einziges Argument des Kollegen Marschewski, der hier durch Abwesenheit glänzt, war: Wer soll das bezahlen? Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, hat solchen Argumenten auf der Anhörung unserer Fraktion sehr treffend entgegnet:
Aber keiner spricht davon, daß ... - wir -
... auch die Renten für Waffen-SS-Angehörige und freiwillige KZ-Bewacher zahlen.
So ist es.
Knapp 100 Milliarden DM hat die Bundesrepublik seit Kriegsende für die „Wiedergutmachung" aufgebracht. Das ist sehr viel Geld. Aber ich zitiere nochmals Ignatz Bubis:
Das ist weniger als ein Jahr deutsche Einheit, die in fünf Jahren 650 Milliarden Mark brauchte.
Volker Beck
Meine Damen und Herren, mit dem Vorschlag einer Bundesstiftung wollen wir erreichen, daß alle Verfolgten gesellschaftliche Anerkennung erfahren. Einen besonderen Appell möchte ich an Sie von der SPD richten. Ihre Fraktion hat sich in der 11. Wahlperiode gemeinsam mit uns für eine Bundesstiftung stark engagiert. Lassen Sie uns diese Zusammenarbeit wieder aufgreifen!
Wir verlangen in unserem Antrag nichts Utopisches. Wir fordern, daß der Bund eine Regelung übernimmt, die im Land Berlin seit vielen Jahren erfolgreich praktiziert wird. Berlin ist daran nicht pleite gegangen, es hat sich vielmehr die Hochachtung der Verfolgten verdient.
Wir wollen sicherstellen, daß die überlebenden Verfolgten des NS-Regimes ihren Lebensabend in Würde und ohne materielle Not verbringen können. Das ist das mindeste, was Deutschland den Betroffenen schuldig ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Heinz-Jürgen Kronberg.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Vorhaben zur Einrichtung einer Bundesstiftung zur Entschädigung des NS-Unrechts ist meiner Meinung nach von einem guten Geist unterlegt. Das Ziel ist die Entschädigung aller Opfer von NS-Unrecht und - bei nicht unerheblicher Mitbetroffenheit - auch deren Ehegatten, langjährigen Lebenspartnern, Kindern oder sogar Eltern. Von Ihnen ist eine Entschädigung in einer Höhe zwischen 500 und 1 100 DM entsprechend dem Berliner Vorbild vorgesehen. So weit, so gut.
Was ich vermisse, sind Umfang und Differenzierung von Personengruppen - gerade in bezug auf ihre Entschädigungen - und die Frage der regionalen Eingrenzung bzw. die Frage, welcher Personenkreis gemeint ist. Vor allen Dingen vermisse ich die Frage des Finanzierungsumfangs und der Finanzierungsmöglichkeiten angesichts der Tatsache, daß Sie, Herr Beck, sagen: Wir sprechen hier nicht von Pfennigfuchserei.
Im letzten Satz des vorletzten Absatzes Ihres Antrages wird es, ohne daß ich es ins Lächerliche ziehen möchte - die Sache ist ernst genug -, lustig. Ich zitiere:
Die Bundesländer würden in diesem Kontext - gemeint ist die Einrichtung der Bundesstiftung -
ihre jeweiligen Landeshärtefonds und Landesstiftungen auflösen können.
Ich glaube, es wäre besser gewesen, Sie hätten Ihren eigenen Fraktionsvorsitzenden gefragt, der ein bißchen Landeskabinettserfahrung hat, was da an Geldern zusammenkäme: Da kommt nicht viel, wenn die Länder ihre Fonds und ihre Stiftungen auflösen und sie in eine Bundesstiftung einbringen sollen.
Herr Kollege Kronberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Gerne.
Ich spreche zwei Punkte an. Zunächst einmal: Unsere Entschädigungsregelung orientiert sich an dem Berliner „Gesetz über die Anerkennung und Versorgung der politisch, rassisch und religiös Verfolgten des Nationalsozialismus". Würden Sie mir darin zustimmen, daß die Wohnsitzvoraussetzungen für das Bundesgebiet analog diesem Gesetz geregelt werden? Insofern geht nämlich Ihr erster Einwurf ins Leere.
Zum zweiten möchte ich Sie fragen, ob Sie auch mir etwas Landeserfahrung zubilligen würden, angesichts der Tatsache, daß ich in Hessen, wo unser von Ihnen angesprochener Fraktionsvorsitzender lange Jahre als Minister gedient hat, Sprecher des dortigen Beirats des Härtefonds der hessischen Landesregierung für die Entschädigung für NS-Verfolgte bin und deshalb ein bißchen beurteilen kann, daß es sich in manchen Ländern in der Tat um Millionenbeträge handelt, welche jährlich ausgezahlt werden. Wir rechnen mit allenfalls 200 bis 300 Millionen DM für diese Bundesstiftung. Insofern sind die Kompensationen in den Ländern - zumindest in Berlin und Hessen - von beachtlicher Höhe. Somit ist das, was wir im Antrag geschrieben haben, nicht lächerlich.
Herr Kollege, wenn ich gewußt hätte, daß Sie eine regelrechte Intervention machen wollen, hätte ich Ihnen das Wort nicht während der Rede gegeben. Ich bitte, sich bei solchen Zwischenfragen etwas kürzer zu fassen.
Bitte, Herr Kollege Kronberg.
Herr Beck, gerade weil es um Millionenbeträge geht, habe ich meine argen Zweifel, ob die Länder diese Millionen aus ihren Fonds in den Bundesfonds herausgeben. Das ist meine ganz persönliche Meinung.
Ich habe den Eindruck, Sie zünden eine Fackel in einer vermeintlichen Nacht an und warten jetzt darauf, daß 82 Nationen - so viele sind wirklich vom NS- Unrecht betroffen - in Jubel ausbrechen. Ich glaube nicht daran.
Auch wenn Sie sagen, Sie fordern nichts Utopisches, ist gerade die Frage des Umfanges - jetzt komme ich auf Ihre erste Frage zurück; es liegt nämlich noch kein Gesetz vor, sondern nur ein Antrag - noch nicht abgrenzbar. Von daher kann gar nicht gesagt werden, ob das utopisch ist oder nicht. Wenn auf
Heinz-Jürgen Kronberg
den wirklichen Umfang abgestellt wird, dann ist es eine Frage von Utopie oder Nicht-Utopie. Die Opfer von NS-Unrecht gibt es in Wladiwostock, in Spanien, im Maghreb bis hin nach Ozeanien - fast überall. Somit ist ein Abgrenzungsbedarf dringend gegeben. Die Menschen wollen keine Luftschlösser, sondern konkrete Vorschläge, denn nur mit konkreten Vorschlägen und Projekten können und wollen sie wirklich umgehen.
Zudem ist Ihre Idee nicht mangels guten Willens, sondern vor allen Dingen mangels Substanz, wie ich eben ausgeführt habe, und reeller Umsetzungsmöglichkeiten eine auf Sand gebaute.
Platon, den ich hier einmal zitieren darf, schrieb in seinem Buch „Der Staat": „Politik ist die Kunst des Kompromisses und wird durch das Machbare begrenzt." Geht man danach, ist Ihr Papier leider kein politisches Papier.
Nach meiner Meinung haben wir im Plenum eine Menge wichtiger Probleme zu bereden und zu lösen, bei denen genug Substanz gegeben ist. Im Gegensatz dazu ist dieses Papier noch nicht substanzhaltig: Da fehlt ja nicht nur das Fleisch am Skelett, sondern da fehlt auch das Skelett selbst. Für die Zukunft möchte ich anregen, daß wir dies in der Runde der Berichterstatter oder auch im Ausschuß bereden, so daß etwas Vernünftiges entsteht.
- Unsere Vorschläge sind in den letzten Legislaturperioden - das müßten Sie wissen, wenn Sie sich damit beschäftigt haben - schon öfters hier beraten worden. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß das vom NS-Regime angerichtete Unrecht in der Form und in dem Umfang, wie Sie das vorgeschlagen haben, nicht wirklich entschädigt werden kann. -
Ich rege für die Zukunft nochmals an, daß wir diese Sache erst einmal im Kreise der Berichterstatter oder im Ausschuß bereden, um hier ein vernünftiges Papier zustande zu bringen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Stefan Heym.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, daß das, was ich heute zu sagen habe, nicht schon vor dem 8. Mai hier in diesem Bundestag gesagt werden konnte. In der letzten Sitzungswoche wurde der Tagesordnungspunkt, der heute zur Debatte steht, immer weiter nach hinten verschoben. Ich habe mich gefühlt wie in einem Supermarkt in der Schlange vor der Kasse. Man wartet und wartet, und wenn man endlich an der Kasse ist, steht die Kassiererin auf und geht Kaffee trinken.
Dabei war ich tatsächlich einer von den Befreiern. Am 8. Mai vor 50 Jahren befand ich mich als amerikanischer Soldat in Bad Nauheim und half, die ersten deutschen Zeitungen zu redigieren, welche die US- Armee in ihrem Besatzungsgebiet für die deutsche Bevölkerung herausgab - die ersten Zeitungen in deutscher Sprache, die nach 13 Jahren wieder objektiv berichteten und eine demokratische Gesinnung vermittelten. In dieser meiner Funktion erfuhr ich natürlich, wer sich in jenen Tagen befreit fühlte und wer nicht und wie viele Menschen in Deutschland das Ende dieses Krieges eher als Katastrophe empfanden und Furcht hatten vor den Folgen ihrer Haltung und ihrer Taten in der Nazi-Zeit, auch für sich selber.
Diese geistige und moralische Spaltung - hie Befreiung, hie Niederlage - geht noch heute durch die Bevölkerung, und ich glaube, daß selbst in diesem Bundestag Menschen sitzen, die bei den Feiern des 8. Mai die größten inneren Vorbehalte hatten. Dennoch meine ich, es ist eine Wandlung in den Köpfen vieler Bürger und Bürgerinnen dieses Landes eingetreten.
Die Vertreter der PDS im Bundestag wollten Ihnen schon in der letzten Sitzungswoche vorschlagen, den 8. Mai zu einem dauernden Gedenktag zu erklären, und ebenso den 27. Januar, den Tag der Befreiung des Lagers Auschwitz, um da der Millionen durch Deutsche getöteter und vergaster Juden zu gedenken - eine Unrechtstat, einzigartig in der Geschichte. Ich höre, daß die anderen Fraktionen dieses Hauses sich diesem Gedanken gleichfalls eröffnen werden und daß darüber Gespräche stattfinden sollen. Ich finde das mehr als begrüßenswert und beglückwünsche den Bundestag dazu. Es ist ja auch Zeit, nach einem halben Jahrhundert, sich zu seiner Vergangenheit zu bekennen und daraus Lehren zu ziehen. Eine Minute Schweigen alljährlich an jedem dieser beiden Tage - was wäre das für ein Zeichen für Deutschland und für die Welt!
Und ebenso ist es Zeit, daß nach 50 Jahren die Opfer des Nazi-Unrechts, die bisher noch keine Entschädigung erhielten, für ihr Leid mehr als ein paar Töne amtlichen Bedauerns bekämen. Meine Freunde in der PDS und ich billigen und unterstützen aus vollem Herzen den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN/ BÜNDNIS 90, solchen Menschen - seien sie Sinti und Roma, seien sie Soldaten, die der Wehrmacht den Rücken kehrten, oder andere - aus einer einzurichtenden Stiftung der Bundesregierung eine Unterstützung zu gewähren. Oder wollen wir etwa warten, bis der Tod durch seinen großen Schlußstrich unsere Ungerechtigkeit und Hartherzigkeit für alle Ewigkeit im Buch der Geschichte festhält?
Lassen Sie uns endlich Klarheit schaffen in diesem Lande über die deutsche Vergangenheit - und die nötigen Konsequenzen daraus ziehen!
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Schmidt-Jortzig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Angemessenheit, Vollständigkeit und Höhe der Entschädigung von NS- Unrechtsopfern nachzudenken ist unbestreitbar eine Dauerpflicht für den Deutschen Bundestag.
Die Bundesrepublik Deutschland steht in der Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches, und zwar auch des nationalsozialistischen zwischen 1933 und 1945. Sie hat sich im Gegensatz zur DDR - auch das muß gesagt werden - als Staat immer auch der moralischen Verantwortung dafür gestellt, und sie hat ihre freiheitliche Verfassung 1949 bewußt als Gegenentwurf, als Antwort auf die furchtbaren Verwerfungen eines deutschen Gemeinwesens in den zwölf verhängnisvollen Jahren bis Kriegsende verstanden.
Also: An dem Anstoß dieses Antrags der Bündnisgrünen ist aus meiner Sicht überhaupt nichts auszusetzen, im Gegenteil. Aber die Aufzäumung, das Regelungsziel und die Konsequenzen sind doch noch reichlich undeutlich. Ich will das ein wenig deutlich machen: Der Antrag zielt auf die Errichtung einer Stiftung ab, will also ein bestimmtes Finanzierungsinstrument schaffen. Aber zuerst müßte doch überhaupt einmal klar sein, wofür genau, für welche Tatbestände, in welcher Höhe oder Quote usw. jeweils die bereitgestellten Mittel aufgewendet werden sollen. Den Finanzfonds zu schaffen, bevor man genau weiß, wofür, heißt das Pferd vom Schwanze her aufzäumen.
Sodann: Wenn man das bisherige System der NS- Unrechtsentschädigung nach dem Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung für ergänzungs- und korrekturbedürftig hält - wofür durchaus einiges sprechen kann, namentlich auch nach dem Hinzutreten der früheren DDR -, müßte man schon genau belegen, wo und weshalb die vorhandenen Regelungen unzureichend sind.
Nach Jahrzehnten konsensueller Praktizierung - das Gesetz stammt immerhin von 1953 und wurde seitdem nicht weniger als 17mal novelliert - das gesamte System plötzlich mit leichter Hand in Frage zu stellen, ja zu konterkarieren, indem man pauschal für alle nicht erfaßten Bedarfe gleichwohl Systementschädigung bereitstellen will, ist jedenfalls so nicht akzeptabel.
Im übrigen scheint - ich sage es ausdrücklich vorsichtig - der Eindruck, den die Bündnisgrünen unter Nr. 1 ihres Antrages erwecken wollen, nämlich daß die dort aufgeführten Personengruppen bisher keine Entschädigung erhalten oder erhalten haben, nicht richtig zu sein. Nach Auskunft der Ministerien jedenfalls sind bis auf die Zwangsarbeiter alle anderen Gruppen in der unterschiedlichsten Weise nach dem BEG, nach dem Entschädigungsrentengesetz, nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz, nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Härterichtlinien von 1980 einbezogen. Auch da müßten wir wesentlich genauer nachfragen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Bitte sehr.
Würden Sie mir zustimmen, daß eine Entschädigung, die gerade die Gruppen bekommen haben, die wir in unserem Antrag namentlich aufführen, in der Höhe von einmalig maximal 5 000 DM, wobei ein KZ-Monat mit 150 DM veranschlagt wird, zumindest keine angemessene Entschädigung für das erduldete Leid ist?
Würden Sie mir auch darin zustimmen, daß es eine unangemessene Ungerechtigkeit ist, wenn diese Leute heute Rentenreduktionen haben, weil sie in dieser Zeit keine Rentenbeiträge gezahlt haben, und daß für diesen Personenkreis daher dringend eine Regelung erforderlich ist?
Ich würde gerne, Herr Kollege Beck, auch diese Behauptungen nachprüfen lassen. Nach dem, was ich zu Ihren Anspruchsvoraussetzungen gelesen habe, bin ich etwas skeptisch, ob das alles so stimmt, insbesondere nachdem wir aus den Ministerien gehört haben, es sei nicht so. Deswegen glaube ich, daß wir darüber wirklich etwas ernsthafter im Ausschuß beraten sollten. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Wenn sich dabei herausstellt, daß es echte Gerechtigkeitslücken gibt, wird die F.D.P. sich dafür einsetzen, daß diese geschlossen werden.
Lassen Sie mich aber noch auf weitere Unklarheiten hinweisen, die aufgeklärt werden müssen. Worin sollen denn etwa die noch besonders entschädigungsbedürftigen Sonderfälle liegen, wenn doch ein erheblicher Teil der Geschädigten, die die Wohnsitz- und Stichtagsvoraussetzungen nicht erfüllen oder die Antragsfristen schuldlos versäumt haben, Härteausgleich nach den zum BEG ergangenen Härteregelungen erhält? Und wo schon in der Begründung auf die „Hochbetagtheit der Betroffenen" und auf das Erfordernis einer „angemessenen Altersversorgung" für sie hingewiesen wird: Sollen die Entschädigungsleistungen höchstpersönlich bleiben, also auch unvererbbar? Wie vereinbart sich damit, daß auch Kinder und langjährige Lebenspartner antragsberechtigt sein sollen?
Ich denke, da muß noch wesentlich mehr Arbeit geleistet werden, bevor man eine Finanzmasse stiftungsmäßig organisiert. Der Antrag muß deshalb wirklich dringend in die Fachausschüsse überwiesen werden.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Fritz Rudolf Körper.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit ihrer Gründung ist die Bundesrepublik Deutschland bestrebt, den Opfern des nationalsozialistischen Regimes Entschädigung für das ihnen zugefügte Leid und Unrecht zukommen zu lassen - wohlwissend, daß damit Geschehenes nicht ungeschehen gemacht werden kann. Aber es ist wichtig, durch finanzielle und ideelle Wiedergutmachung Not zu lindern und auf diese Weise auch der Trauer und dem Abscheu vor den Unrechtstaten Ausdruck zu verleihen. Niemand kann die begangene Unmenschlichkeit durch Gesetzgebung in vollem Umfange wiedergutmachen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat in den vergangenen fast 50 Jahren für die Opfer des NS-Regimes, aber auch für die durch den Krieg und seine Folgen Geschädigten erhebliche Leistungen erbracht. Es gab dazu viele parlamentarische Initiativen. Dennoch stellt sich ein großes Unbehagen ein, weil wir es bis zum heutigen Tag nicht geschafft haben, eine für alle Betroffenen zufriedenstellende Regelung zu finden - und das nach 50 Jahren. Es wäre wahrlich genug Zeit gewesen.
Es beeindruckt schon sehr, wenn selbst zuständige Beamte aus dem Bundesfinanzministerium von einer relativen Unüberschaubarkeit der derzeitigen Entschädigungsleistungen reden. Ich füge hinzu - wie ich glaube, auch im Sinne meines Kollegen Vergin -: Wenn dies schon von den Experten so beurteilt wird, wie müssen es erst die Opfer, die Betroffenen empfinden?
Ich möchte aber auch an Beispiele der letzten Zeit erinnern, z. B. daran, daß für die NS-Opfer in Polen von der Bundesrepublik Deutschland und der polnischen Republik eine Stiftung „Deutsch-Polnische Aussöhnung" errichtet wurde. Ich erinnere an die Stiftungsregelung für NS-Opfer in Teilen der ehemaligen UdSSR und an die Regelung zugunsten von NS-Opfern in der ehemaligen DDR. Wir unterstützen von seiten der SPD-Bundestagsfraktion auch die Forderungen nach einer Entschädigung für tschechische NS-Opfer in den aktuellen Tagen.
Es kann nicht bestritten werden, daß 50 Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft angesichts komplizierter und mangelhafter Entschädigungsregelungen noch immer einzelne NS-Opfer benachteiligt oder sogar ausgeschlossen werden. Die Vielzahl der geschaffenen Härtefonds macht es den Betroffenen vielfach unmöglich, sich im Dschungel der Entschädigungsvereinbarungen zurechtzufinden.
Ich füge hinzu: Den NS-Geschädigten geht es um materielle Entschädigung, aber nicht nur darum. Sie erwarten zu Recht Rehabilitierung und gesellschaftliche Anerkennung ihrer Leidenszeit.
Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, daß diese Themen einen hohen Stellenwert auch angesichts der historischen Daten in diesen Tagen behalten.
Wir wissen, daß es nach wie vor eine Anzahl Betroffener gibt, die noch keine oder noch keine ausreichende Entschädigung für das erlittene Unrecht erhalten haben, daß es hier gewisse Lücken gibt. Das hat bereits eine Sachverständigenanhörung vor dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages im Jahre 1987 gezeigt. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte deshalb in der 11. Wahlperiode einen Antrag zur Errichtung einer Stiftung „Entschädigung für NS-Unrecht" im Bundestag eingebracht. Die Bundesregierung hat damals gegen eine Stiftungslösung erhebliche verfassungsrechtliche, entschädigungsrechtliche, organisatorisch-personelle und finanzielle Bedenken vorgebracht, die einer solchen Regelung im Wege stehen. Ich füge hinzu: Seit 1987 haben wir auch eine Ausweitung der Härtefondsleistungen und Leistungen in diesem Bereich erreicht. Wenn ich es richtig sehe, hält die Bundesregierung, was die Beurteilung einer Stiftungsregelung anbelangt, an ihrem Standpunkt fest. Das müssen wir uns in den Ausschußberatungen noch einmal ansehen.
Uns ist sehr daran gelegen, bei den noch offenen Fragen einen Konsens zwischen den Fraktionen zu erreichen. Ich halte dieses Thema für eine parteipolitische Auseinandersetzung für nicht geeignet.
Deshalb möchte ich ausdrücklich den im Innenausschuß des Deutschen Bundestages gestern vereinbarten Weg unterstützen. Das Thema kann nicht aufgeschoben werden, kann nicht auf die lange Bank geschoben werden.
Ich sage Ihnen zu, daß wir alles daransetzen werden, daß wir hier noch vor der Sommerpause zu Entscheidungen im Sinne der Betroffenen kommen werden. Damit würde nach meinem Dafürhalten der Bedeutung des Themas angemessen Rechnung getragen werden, wenn wir diesen Weg einschlagen.
Ich sage auch zu, daß wir uns in den Ausschußberatungen offen über Einzelheiten unterhalten, beispielsweise, lieber Kollege Beck, wie es mit der Frage der Beweislastumkehr gemeint ist, oder ob andere Wege gesucht werden müssen. Jedenfalls wird im Mittelpunkt der Beratungen die Frage stehen, ob den NS-Verfolgten und -Geschädigten durch eine Stiftung oder beispielsweise durch bestehende Härteregelungen wirksamer geholfen werden kann, oder ob die Härteregelungen ergänzt und entstandene Ungerechtigkeiten beseitigt werden sollten.
Fritz Rudolf Körper
Bei diesen Beratungen müssen wir uns vor allem unserer politischen und moralischen Verpflichtung bewußt sein.
Staatliche Wiedergutmachung hat ihre Grenzen. Ich will aber die Hoffnung nicht aufgeben, daß in dieser Sache doch noch gemeinsam etwas gelingt.
- Diesen Schuh ziehe ich mir nicht an. Wenn ich Sie vom Alter her mit mir vergleiche, dann finde ich, Sie haben mehr Verantwortung als beispielsweise ich. Ich halte diese Art der Auseinandersetzung bei diesem Thema für nicht angemessen.
Dabei - es ist mir ganz wichtig, das zu betonen - können und sollen wir von einem Grundkonsens der Demokraten dieses Landes in der Beurteilung und Verurteilung des NS-Regimes und der Gewaltherrschaft ausgehen, der sich in fünf Jahrzehnten deutscher Nachkriegsgeschichte entwickelt hat. Diesen Grundkonsens sollten wir nicht leichtfertig in Gefahr bringen.
Schönen Dank.
Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/1193 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel. Dr. Barbara Höll, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Reform der Kommunalfinanzierung"
- Drucksache 13/984 -Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß Innenausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist auch für diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Uwe-Jens Rössel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Finanzlage der Kommunen in der Bundesrepublik ist - wenn auch örtlich und regional differenziert - insgesamt besorgniserregend. In westdeutschen Großstädten sind in den kommunalen Verwaltungshaushalten Defizite in dreistelliger Millionenhöhe, so Essen mit 478 Millionen DM, keine Seltenheit. Die Pro-KopfVerschuldung der ostdeutschen Städte, Gemeinden und Landkreise liegt mit ca. 1 000 DM je Einwohnerin und Einwohner nach knapp fünf Jahren staatlicher Einheit schon bei nahezu 50 % der Pro-KopfVerschuldung der westdeutschen Kommunen nach fast 46 Jahren Alt-BRD. Nicht einbezogen sind die heftig umstrittenen sogenannten kommunalen Altschulden in der DDR.
Diese Finanznot der Kommunen, die immer eine Not von Menschen ist, hat gravierende negative soziale und kulturelle Auswirkungen. Die kommunalen Investitionen wiederum sanken in Westdeutschland von 44,7 Milliarden DM 1993 auf voraussichtlich 38 Milliarden DM in diesem Jahr. In Ostdeutschland stagnieren sie seit zwei Jahren. Die Kommunen können damit ihrer Verantwortung als bedeutendster öffentlicher Auftraggeber kaum noch gerecht werden.
Für die zunehmende Verschuldung von Kommunen tragen neben hausgemachten Ursachen, die es natürlich gibt, ganz offensichtlich auch Bund und Länder die Verantwortung. Durch Steuerrechtsänderungen im Zeitraum von 1991 bis 1995 hat der Bund 183 Milliarden DM zusätzlich eingenommen. Allein durch diese Steuerrechtsänderungen gingen den Kommunen im gleichen Zeitraum 4,4 Milliarden DM verloren.
Mit der im Entwurf des Jahressteuergesetzes 1996 vorgesehenen Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und der weiteren Absenkung der Gewerbeertragsteuer will die Bundesregierung diese Tendenz ganz offensichtlich noch verstärken und damit zugleich die Unternehmen weitgehend aus ihrer Mitverantwortung für die von ihnen genutzte Infrastruktur entlassen.
Wir fordern aus diesen und weiteren Gründen daher die Abkopplung der Gewerbesteuerreform aus dem Jahressteuergesetz und lehnen auch die Grundgesetzänderung, Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer, ab. Die PDS-Bundestagsgruppe verlangt an Stelle dieser Schnellschüsse eine Reform der Kommunalfinanzierung, die in der Tat ihren Namen verdient.
Da die Bundesregierung aber offensichtlich unwillig ist, sich dieser Aufgabe zu stellen, sollte der Deutsche Bundestag selbst die Initiative ergreifen und eine Enquete-Kommission „Reform der Kommunalfinanzierung" einsetzen. Das ist auch Anliegen des vorliegenden Antrages meiner Gruppe.
Die Enquete-Kommission „Reform der Kommunalfinanzierung" sollte kurz gesagt folgende Aufgaben erhalten:
Erstens. Das gesamte derzeitige System der Finanzierung der Haushalte der Städte, Gemeinden und Landkreise in der Bundesrepublik ist umfassend auf den Prüfstand zu stellen. Vor allem seine grundlegenden strukturellen Schwächen und Mängel sollten
Dr. Uwe-Jens Rössel
untersucht werden. Denn die Einnahmen fließen äußerst unstetig und sind immens von der Konjunktur sowie vom politischen Willen und von politischen Entscheidungen des Bundes und der Länder abhängig. Die Alimentierung der Kommunen ist außerordentlich fortgeschritten.
Zweitens sollten im Ergebnis dieser Untersuchungen wissenschaftlich fundierte Vorschläge für eine Reform der Kommunalfinanzierung in der Bundesrepublik vorgelegt werden, durch die tatsächlich kommunale Selbstverwaltung und die Finanzautonomie der Kommunen gewährleistet werden können.
In diesem Zusammenhang müßte auch das gesamte System der Steuereinnahmen gründlich überprüft werden, ebenso das System der Finanzzuweisungen und Zuschüsse an die Kommunen sowie der außerordentlich kritische Komplex kommunaler Gebühren und Beiträge. Auch das gesamte Ausgabenspektrum gehört auf den Prüfstand, bis hin zum Problemkreis der Einführung neuer Steuerungsmodelle wie Budgetierung und ähnliche.
Die einzusetzende Kommission sollte sich aus Abgeordneten der im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen und Gruppen, aus Sachverständigen sowie Vertreterinnen und Vertretern des Bundesrates zusammensetzen und nach Möglichkeit bereits im Herbst 1996 einen ersten Zwischenbericht vorlegen. Da viele Vorarbeiten auf diesem Gebiet vorhanden sind und offensichtlich auch viele Kräfte das Anliegen unterstützen, scheint dieser Termin realistisch zu sein.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Gert Willner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der PDS hört sich zunächst interessant an. Deshalb muß die Frage beantwortet werden: Ist eine solche Kommission notwendig?
Die Antwort lautet eindeutig: Nein. Allein aus den letzten fünf Jahren gibt es nicht nur zehn, zwanzig oder dreißig, sondern mehr als fünfzig Gutachten und Veröffentlichungen, die sich mit dem kommunalen Finanzsystem und den Vorschlägen zur Änderung des gemeindlichen Steuersystems befassen. Nein, neue Modelle, Vorschläge und eine Kommission brauchen wir zu diesen Themen nicht.
Die Regale stehen voll mit Aufsätzen und Gutachten. Wir brauchen kein neues Papier; wir brauchen Entscheidungen und das konkrete Aufgreifen von Problemen. Auch das Thema „schlanker Staat" ist durch Initiative der CDU/CSU aufgegriffen worden. Wir
brauchen keine Ratschläge und keine Nachhilfe der PDS. Offenbar braucht die PDS Nachhilfe; sie sollten Sie sich nicht durch den Deutschen Bundestag finanzieren lassen.
Sie können nämlich bereits in der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der PDS von 1993 nachlesen:
Nach der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland obliegt es den Ländern, eine ausreichende Finanzausstattung der Kommunen sicherzustellen.
Ich sage es deutlich: Die Länder haben bei den Verhandlungen über das Föderale Konsolidierungsprogramm 90 % der Finanzierungslasten dem Bund zugewiesen. Im Klartext - ich denke, so kann man es sagen -: Die Länder haben den Bund über den Tisch gezogen und das Geld nicht an die Kommunen weitergegeben,
sondern überwiegend zur Konsolidierung eigener Finanzen benutzt. Das war gegen die kommunalen Interessen.
Zur politischen Auseinandersetzung mit der PDS und diesem Antrag gehört auch die Feststellung: Die Wähler erwarten Problemlösungen; die PDS kann keine mehrheitsfähigen Lösungen anbieten, und eine Kommission ist keine Lösung.
Erinnern wir uns: In der DDR galt auch für die Finanzen das Prinzip des sogenannten demokratischen Zentralismus. Das heißt, alle Volksvertretungen verfügten über einen Haushalt, der auf der Grundlage staatlicher Festlegungen abzurechnen war. Die PDS als die SED-Nachfolgepartei
muß offenbar daran erinnert werden, daß in der ehemaligen DDR „kommunale Selbstverwaltung" ein Fremdwort war.
Wenn man die Begründung Ihres Antrages liest, dann hat man in Teilen den Eindruck, daß Sie auch heute noch nicht begriffen haben, daß die Kommunen keine staatliche Ebene sind, sondern daß die kommunale Selbstverwaltung ein wesentlicher Bestandteil der verfassungsrechtlich-politischen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ist, mit Eigenständigkeit in der Gesamtverantwortung für alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft.
: So
ist das!)
Gert Willner
Es muß auf die Probleme durch den Zusammenbruch der DDR hingewiesen werden. Nach der Wende war und ist der Aufbau der Städte und Gemeinden in den neuen Ländern vorrangiges Ziel von CDU/CSU und F.D.P. Im Rahmen des Fonds Deutsche Einheit sind für die Gemeinden, Städte und Kreise in den neuen Ländern mehr als 30 Milliarden DM aufgebracht worden. Lassen Sie mich dies sagen: Es muß unser Ziel sein, zwei Fragen zu beantworten. Die eine ist: Ist es im Interesse der Städte und Gemeinden, einen verfassungsrechtlich abgesicherten und unmittelbaren Anteil an der wachsenden Bundessteuer zu haben? Die Antwort kann nur lauten: Ja. Die zweite Frage lautet: Ist es richtig, diesen Anteil gemeindebezogen aufzuteilen, mit einem Schlüssel, der wirtschaftsbezogen ist? Auch hier kann die Antwort nur heißen: Ja.
Wenn das so ist, dann ist eine grundgesetzliche Verankerung mit einem unmittelbaren Rechtsanspruch der Kommunen an den Bund, wie es die Grundgesetzänderung vorsieht, eine Chance, die gemeindlichen Finanzen auf eine neue, erweiterte Basis zu stellen. Es ist die Chance, die Struktur der Gemeindefinanzen nachhaltig zu verbessern. Ich kann im kommunalen Interesse nur hoffen, daß der Antrag der Koalitionsfraktionen morgen eine Mehrheit findet.
Wenn das morgen nämlich eine Mehrheit findet, dann sind viele, viele Probleme, die hier aufgezeigt wurden, gelöst, weil das in der Tat nicht nur eine nachhaltige Verbesserung ist.
Letztlich machen die Kommunen, wenn morgen so beschlossen wird, einen Schnitt. Im Ergebnis rechnet es sich für die Kommunen positiv.
Ich denke, zu dem Antrag der PDS kann abschließend festgestellt werden: Der Antrag der PDS produziert Papier, schafft keine Lösungen, erweckt Hoffnungen, die nicht erfüllt werden können. Deswegen sagt unsere Fraktion nein zu dem Antrag der PDS, aber ja zu einer Grundgesetzänderung für bessere Kommunalfinanzen.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Bernd Scheelen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der 7. Sitzung des Finanzausschusses am 15. März dieses Jahres hat der Bundesfinanzminister darauf hingewiesen, daß er in zwei Büchern eine besonders starke Stellung hat, und zwar im Grundgesetz - da beschäftigt sich ja das gesamte Kapitel X mit dem Finanzwesen - und in der Bibel. Dort, sagt er, seien seine Vorgänger sozusagen die Oberzöllner gewesen. Was Herr Waigel dabei verschwiegen hat, er aber als guter Christsozialer eigentlich wissen muß, ist, daß schon in der Bibel die Zöllner als die Sünder schlechthin galten.
- Sie kennen das Verhältnis von Pharisäern und Zöllnern aus der Bibel; dann brauche ich Ihnen dazu nichts zu sagen. Sie wissen auch, wem in dieser Kombination die Sympathie Jesus' gegolten hat.
Sie kennen die Geschichte, denke ich, mit dem Zachäus, als Jesus nach Jericho ging, die Menschen an den Straßenrändern standen und der reiche Oberzöllner Zachäus nichts sehen konnte, weil er so kleinwüchsig war. Deswegen ist er auf einen Baum gestiegen - ich nehme einmal an, bei ihm als Vorfahren von Herrn Waigel kann das nur eine Palme gewesen
sein -,
um besser sehen zu können. Jesus hat das mitbekommen und hat sich für den Abend bei ihm eingeladen. Da haben die Leute gesagt: Jesus geht zu einem Sünder. - Das nur noch einmal als Beleg, daß das so ist.
Das, was die Bundesregierung hier mit dem Jahressteuergesetz 1996 vorlegt, befindet sich in dieser Tradition; denn das ist sozusagen der Sündenfall schlechthin.
Diejenigen, die sich in der Bibel auskennen, auch im Alten Testament, wissen, daß beim Sündenfall der Apfel eine ganz besondere Rolle gespielt hat.
Ich muß sagen, es ist ein ziemlich saurer Apfel, in den die Gemeinden bei dem, was Sie vorgelegt haben, beißen sollen.
Denn die Gemeinden sollen einem Verteilungsschlüssel zustimmen, von dem heute überhaupt noch nicht feststeht, wie er endgültig im Jahre 2000 aussehen soll.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, verlangen von den Städten und Gemeinden, die Katze im Sack zu kaufen. Daß die Kommunen gerade das nicht wollen, haben sie, denke ich, auf mannigfaltige Weise dokumentiert, zuletzt bei der Anhörung zum Jahressteuergesetz.
Ich darf ein paar Zitate der kommunalen Spitzenverbände hier kurz zu Gehör bringen:
Bernd Scheelen
Die kommunalen Spitzenverbände ... sehen jedoch für kurzfristige Entlastungen bei der Gewerbesteuer keinen so dringenden Handlungsbedarf, bereits zum 1. Januar 1996 Rechtsänderungen vorzunehmen.
Sie fahren fort:
Es ist politisch nicht vermittelbar, daß die Städte und Gemeinden auf einen großen Teil ihrer Gewerbesteuereinnahmen verzichten und über die endgültige Gestaltung des Ausgleichsmodells der Umsatzsteuerbeteiligung erst im Jahr 2000 Kenntnis erhalten sollen.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sagt das noch ein bißchen drastischer. Er redet nämlich Tacheles. Er lehnt die vorgesehene Grundgesetzänderung ab und sagt:
Über eine Umsatzsteuerbeteiligung kann man erst dann reden, wenn gemeindescharfe Modellrechnungen vorliegen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Willner?
Herr Kollege Willner, bitte.
Herr Kollege, waren Sie bei der Anhörung dabei, und ist Ihnen, wenn Sie dabei waren, aufgefallen, daß die Meinung der kommunalen Spitzenverbände nicht einheitlich war? Ist Ihnen bekannt, daß auf meine Frage an den Deutschen Städtetag, ob es im Interesse der Kommunen liege, einen grundgesetzlich abgesicherten Anspruch zu haben, der Deutsche Städtetag mit Ja geantwortet hat? Ist Ihnen ferner bekannt, daß die Frage, ob die kommunalen Spitzenverbände Chancen für eine Revitalisierung der Gewerbesteuer sähen, ebenfalls nicht sehr positiv beantwortet wurde?
Herr Kollege Willner, ich war - das werden Sie wissen - bei der Anhörung dabei. Mir ist sehr gut in Erinnerung, daß die Frage, die Sie jetzt für sich beanspruchen, von Ihrem Kollegen Hauser gestellt worden ist.
- Moment, lassen Sie mich das noch fortführen. Ich wäre ohnehin darauf gekommen, kann das aber gern vorziehen. Ich habe Ihnen, weil ich diese Zwischenfrage von Ihnen schon vorausgeahnt habe, einmal etwas mitgebracht. Sie sehen das Papier hier. Da steht: „Keine Experimente mit der Gewerbesteuer! " Sie sehen auch den Verfasser: Sigmund Wimmer.
Das ist die Einleitung zum Jahresfinanzbericht, Ausgabe März 1995. Also, das, was Herr Wimmer im Doppelpaßspiel mit Herrn Hauser gemacht hat, war geschickt eingefädelt. Es war direkt zu Beginn der Anhörung. Herr Hauser hat ja nur die Frage gestellt, wie denn der Städte- und Gemeindebund in Gestalt von Herrn Wimmer die Grundgesetzänderung beurteilt. Damit ist nicht widerlegt - das hat Herr Wimmer hinterher bestätigt -, daß völlig klar ist, daß zum 1. Januar 1996 eine Änderung überhaupt nicht in Kraft treten kann, weil die Zahlen nicht vorliegen. Das ist auch die Meinung des Städtetages. Ich komme gleich noch darauf zurück. Der Städtetag hat nach den Ausführungen von Herrn Wimmer Ihnen und uns allen noch eine Stellungnahme zukommen lassen. Ich werde gleich noch darauf zurückkommen.
Diese Haltung, daß erst Modellrechnungen vorliegen müssen und dann entschieden werden kann, teilen auch andere Experten, die sagen, eine solche Festlegung von Verteilungsschlüsseln müsse sinnvollerweise am Anfang eines Prozesses stehen und nicht am Ende.
Wie gesagt, wenn Sie glauben, sich auf den Städtetag berufen zu können, dann ist, glaube ich, nach der Erklärung des Städtetages vom Dienstag - diese Presseerklärung müßten eigentlich auch Sie haben; das ist ja eine Reaktion auf das, was Herr Wimmer unabgestimmt in der Anhörung von sich gegeben hat - doch nun völlig klar, was der Städtetag will. Er sagt erstens, daß eine Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer zum 1. Januar 1996 und eine Absenkung der Gewerbekapitalsteuer in Verbindung mit einer Übergangsregelung, die den endgültigen Ausgleich nicht festlege, überhaupt nicht verhandelbar sei.
Er appelliert eindringlich an alle Verantwortlichen - jetzt zitiere ich noch einmal aus dieser Pressemitteilung -, daß „auf jeden Fall vorherige gemeindescharfe Modellrechnungen und Ausgleichsregelungen unverzichtbar" seien. Ich glaube, damit ist die Meinung des Städtetages nun eindeutig festgeklopft.
Daß diese Ansicht von den Städten und Gemeinden selbst geteilt wird, müßten Sie, Herr Kollege Wimmer, doch auch wissen. Uns ist doch eine Vielzahl von Resolutionen deutscher Städte und Gemeinden zugegangen. Städte wie Essen, Wuppertal, Flensburg und eine Reihe anderer sowie Kreise wie Helmstedt und der Märkische Kreis wenden sich doch vehement gegen Ihre Pläne.
Ich darf vielleicht aus der Resolution einer Großstadt zitieren. Da wird gesagt:
Es wird davor gewarnt, die Gewerbesteuer vorab ohne ein schlüssiges Gesamtkonzept weiter zu demontieren. Deshalb wird die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer strikt abgelehnt.
Es handelt sich hier um die Stadt Krefeld, die im Deutschen Bundestag vertreten zu dürfen ich die Ehre habe. Es wird Sie besonders interessieren, daß die Stadt Krefeld mit einer absoluten CDU-Mehrheit regiert wird und daß es sich um eine einstimmig an-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 35, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1995 2797
Bernd Scheelen
genommene Resolution vom Dezember letzten Jahres handelt. Der Oberbürgermeister unserer Stadt ist Mitglied Ihrer Fraktion. Es ist der Kollege Pützhofen. Ich bin sehr gespannt, wie er morgen abstimmen wird.
Auch die Kämmerer aus den großen Städten können sich Ihrer Vorstellung überhaupt nicht anschließen. Wir haben parallel zu der Anhörung, die der Bundestag durchgeführt hat, eine Anhörung von Kämmerern durchgeführt. Sie haben ganz deutlich gesagt, daß sie überhaupt keine Lust haben, an einem Roulettespiel teilzunehmen, bei dem zwar der Einsatz bekannt ist, aber die Verlust- und die Gewinnchancen völlig im dunkeln liegen.
Auch die Kämmerer fürchten den Einstieg in den Ausstieg aus der Gewerbesteuer. Diese Furcht ist mehr als berechtigt. Dazu genügt ein Blick in Ihre Koalitionsvereinbarung. Da haben Sie ja die Abschaffung der Gewerbesteuer in Gänze festgeschrieben. Ich sage Ihnen: Diese Pläne sind gemeindefeindlich, und wir Sozialdemokraten werden sie nicht mitmachen.
Es kann allerdings sein, daß die Bundesregierung das alles gar nicht so ganz ernst meint. Dafür gibt es zwei Indizien. Das erste Indiz dafür ist das Datum der Koalitionsvereinbarung. Der 11. November, das wissen wir, ist im rheinischen Karneval ein wichtiger Tag.
- Herr Faltlhauser, haben Sie denn in Bayern keinen Karneval?
Dann ziehen Sie doch hierher und erleben es mit. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Eine Sekunde.
Herr Faltlhauser, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Zurufe von der Regierungsbank nicht gestattet sind.
Herr Faltlhauser vertraut darauf, daß die Parlamentsstenographen dies berücksichtigen und den Zuruf nicht in das Protokoll aufnehmen.
Das zweite Indiz dafür ist: Die Regierung hat gestern im Ausschuß erklärt - Sie, Herr Kollege Faltlhauser, haben die Regierung vertreten -, daß dies kein Zwischenschritt sei - insofern befinden Sie sich im Widerspruch zu Ihrer eigenen Koalitionsvereinbarung -, sondern die endgültige Lösung.
Wenn das so ist, dann kommen wir der Sache schon ein bißchen näher. Sie wissen, daß die SPD seit langem die Notwendigkeit einer Gemeindefinanzreform sieht. Auch über die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und eine Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer lassen wir mit uns reden. Das ist keine Frage.
Eine Gemeindefinanzreform kann man aber nicht, wie Sie das wollen, im Hauruck-Verfahren erzwingen. Im Gegenteil: Hierfür sind sorgfältige Vorarbeiten nötig. Es muß der Verteilungsschlüssel definiert werden; da helfen die wolkigen Formulierungen aus dem Jahressteuergesetz überhaupt nicht. Die Verteilungsmodelle müssen gemeindescharf durchgerechnet werden, und dann müssen eine Diskussion und eine Abstimmung mit allen Beteiligten stattfinden.
Diese Diskussion braucht eine Plattform, auf der intensiv und zügig - das betone ich ausdrücklich - gearbeitet werden kann. Ob da eine Enquete-Kommission das richtige Instrument ist, ist zumindest zweifelhaft; denn alle Erfahrungen zeigen, daß Enquete-Kommissionen drei bis fünf Jahre brauchen, um zu Ergebnissen zu kommen. Hier muß also ein anderes Instrument her. Wir könnten uns ein Expertengremium vorstellen, das mit zeitlichen Vorgaben und auf Grundlage eines breiten Konsenses die Reform der Gemeindefinanzen vorbereitet.
Auf keinen Fall können wir uns, so meine ich, eine fünfjährige Übergangsregelung, wie Sie sie vorhaben, erlauben. Das können sich weder die Gemeinden noch die Wirtschaft, noch der Staat leisten. Mit einer fünfjährigen Suche nach einem orts- und wirtschaftsbezogenen Schlüssel verpassen Sie dem Interesse der Kommunen an der Ansiedelung von Betrieben einen deutlichen Dämpfer, weil die Gemeinden in dieser Zeit einen wesentlichen Bestandteil ihrer Gewerbesteuereinnahmen dann nicht mehr durch eigenes Hebesatzrecht dynamisch beeinflussen können. Statt dessen werden sie mit einer statischen Größe aus der Umsatzsteuer bedient. Ich glaube, daß das wahrlich kein Anreiz für die Ansiedlung von Betrieben ist.
Deshalb appelliere ich zum Schluß an Sie: Kehren Sie auf den Pfad der politischen Vernunft zurück! Beenden Sie das Wahlkampftheater um die Grundgesetzänderung! Warum das morgen sein muß, wissen wir alle.
Das ist der Versuch, die F.D.P. in Nordrhein-Westfalen über die Fünfprozenthürde zu heben. Das aber wird nicht funktionieren.
Sorgen Sie mit uns dafür, daß eine Gemeindefinanzreform, die ihren Namen verdient und auf einem
Bernd Scheelen
breiten gesellschaftlichen Konsens basiert, zustande kommt!
Vielen Dank.
Herr Kollege Scheelen, das war Ihre erste Rede in diesem Hause. Ich möchte Ihnen dazu im Namen des Hauses gratulieren,
wobei ich die Bemerkung nicht unterdrücken kann, daß die Neigung der nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten, sich auf die Bibel zu beziehen, in den letzten 15 Jahren deutlich zugenommen hat.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat nun der Abgeordnete Willner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erstens lege ich Wert auf die Feststellung, daß der Kollege Scheelen eben fälschlicherweise behauptet hat, daß meine Frage von dem Kollegen Hauser ausgegangen sei. Ich pflege regelmäßig zu wissen, was ich frage. Die Frage habe ich an jenem Morgen gegen 9.45 Uhr gestellt.
Zweitens lege ich Wert auf die Feststellung, daß sich der Kollege Pützhofen inzwischen für eine Änderung des Grundgesetzes ausgesprochen hat.
Drittens lege ich Wert auf die Feststellung, daß Sie meine Frage nach den Chancen einer Revitalisierung der Gewerbesteuer nicht beantwortet haben.
Danke schön.
Sie haben die Möglichkeit, die Kurzintervention zu erwidern. - Bitte schön.
Herr Kollege Willner, ich gebe zu, daß es gegen 9.45 Uhr gewesen sein kann, als Sie diese Frage gestellt haben. Fest steht aber, daß der Kollege Hauser diese Frage schon um 9.00 Uhr gestellt hat. Wenn Sie die Frage doppelt gestellt haben, will ich Ihnen das gern zugestehen. Was der tiefere politische Hintersinn ist, weiß ich nicht.
Was den Kollegen Pützhofen angeht, so finde ich hochinteressant, was ich von Ihnen erfahren habe. Ich nehme es auch gerne in den Rat der Stadt Krefeld mit. Wir werden es dort diskutieren. In der vorigen Woche hatten wir eine Ratssitzung, und Kollege Pützhofen hat von seiner Meinungsänderung nichts mitgeteilt. Ich werde ihn gerne daran erinnern.
Über Revitalisierung der Gemeindefinanzen kann auch das Expertengremium, das wir vorgeschlagen haben, diskutieren. Die Ergebnisse sind, so meine ich, offen.
Vielen Dank.
Ich erteile nun der Abgeordneten Antje Hermenau das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht macht es sich die Bundesregierung zu einfach, wenn sie glaubt, das Problem der kommunalen Finanzen im Schnellverfahren lösen zu können. Wir werden ja sehen, wie die morgige Abstimmung ausgeht. Offensichtlich ist das Desaster mit dem Jahressteuergesetz nicht zuletzt auch eine Folge der undurchdachten Pläne zur Reform der Kommunalfinanzen.
Wir finden, daß das Thema schon im Ansatz verfehlt wurde. Die Bundesregierung hat vor, die Steuerbelastung der Unternehmen zu verringern und will deshalb - wie dies auch in den neuen Ländern bereits der Fall ist - die Gewerbekapitalsteuer streichen und zusätzlich die Belastung mit der Gewerbeertragsteuer verringern.
Im Gegenzug sollen die Unternehmen aber bei den Abschreibungen stärker belastet werden. Das trifft doch vor allem die Unternehmen, die investieren. Es gilt auch und gerade für die Unternehmen in Ostdeutschland, die nach diesen Vorstellungen ausschließlich belastet werden würden. Wer also im Osten investiert und innovativ sein will, müßte sich mit neuen Bürden bei der Abschreibung herumschlagen. Meine Damen und Herren, das kann doch nicht das Ergebnis der Beratungen im Bundestag sein!
So weit ist der Osten doch noch gar nicht. Allein schon deswegen können wir der Gesetzesvorlage der Koalition morgen nicht zustimmen.
Der geplante Eingriff in die Gewerbesteuer ist auch im Hinblick auf die Folgen für die Gemeinden nicht zu verantworten. Es ist doch wahr, daß die Gemeinden heute große Schwierigkeiten haben, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Aber sie haben diese Schwierigkeiten nicht zuletzt deshalb, weil der Bund den Kommunen seit Jahr und Tag Lasten auferlegt, die von ihm selbst zu tragen wären.
Jüngstes Beispiel sind die steigenden Sozialhilfelasten, die den Kommunen durch die Einschränkung der Arbeitslosenhilfe auferlegt werden. Damit werden viele Menschen in die Sozialhilfe getrieben. Dies belastet dann vor allem die kommunalen Haushalte - in Ostkommunen bis zu 50 %. Das soll man sich einmal vorstellen! Es entspricht nicht unserer Vorstel-
Antje Hermenau
lung von einer gerechten föderalen Lastenteilung, wenn der Bund kostenwirksame Regelungen festlegt, die dann von den Kommunen ausgebadet werden müssen.
Ich kann natürlich verstehen, daß der vorliegende Gesetzentwurf der Koalition durchaus so interessant ist, daß die Gruppe der PDS eine Enquete-Kommission verlangt. Der Gedanke ist uns nicht unvertraut. Wir haben selbst erwogen, ob man eine EnqueteKommission einsetzen soll.
Wir haben dieses Gedankenspiel eine Weile betrieben und festgestellt, daß der Zeitfaktor ein stichhaltiges Argument ist. Aus diesem Grunde sind wir von diesem Gedanken wieder abgegangen. Ich bin aber gerne bereit, unsere Kollegen von der PDS unser Gedankenspiel noch einmal nachvollziehen zu lassen, damit auch sie zu dieser Erkenntnis kommen können. Ich meine, eine Expertenkommission ist durchaus sinnvoll. Zeitrahmen und Fundiertheit der Arbeit in diesem Gremium wären dem Problem angemessen.
Wenn Sie morgen in diesem Hause eine Grundgesetzänderung beschließen wollen, kommt das eigentlich gar nicht in Frage, weil noch gar nicht klar ist, inwieweit Verfassungsänderungsbedarf besteht. Man kann doch nicht einfach ins Blaue hinein eine Änderung anstreben.
- Wissen Sie, wir geben unsere Fehler zu, meine Damen und Herren von der Koalition.
Das, was Sie hier vorgelegt haben, ist indirekt genau dasselbe. Sie haben Ihren Fehler zugegeben, und Sie haben es öffentlich gemacht; jeder kann nachlesen, was Sie falsch gemacht haben.
Danke schön.
Ich erteile nun dem Abgeordneten Professor Dr. Schmidt-Jortzig das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der PDS stellt ein Schulbeispiel dafür dar, wie man trotz schönster Absichten und offenbar anerkennenswertem Eifer das Thema der Klassenarbeit völlig verfehlen kann.
Gewiß befindet sich derzeit die Stabilität der kommunalen Finanzen in höchst unbefriedigendem Zustand. Einerseits ist die Balance zwischen Aufgabenstand und zugehörenden Finanzmitteln in Unordnung geraten. Die Überladung der Gemeinden, Städte und Kreise mit Leistungs- und Ausführungspflichten durch den Staat ist immer unzureichender mit einer Verschaffung auch der entsprechenden Betriebsmittel flankiert worden.
- Wir sind bei dem Thema, ob es richtig ist, dafür eine Enquete-Kommission einzurichten. Im Gegensatz zu manchen Vorrednern habe ich vor, mich mit diesem Punkt zu beschäftigen und nicht mit dem, was möglicherweise morgen auf der Tagesordnung steht.
Das verfassungsmäßige Konnexitätsprinzip zwischen Staat und Kommunen liegt nachhaltig im argen. Längst zahlt hier nicht mehr der, der die Musik bestellt hat, auch die Kosten der Veranstaltung, jedenfalls tut er es nicht mehr vollständig, und dies, obwohl er andererseits auch noch genau bestimmt, welche Lieder gespielt werden sollen, in welcher Besetzung und mit welchem Tempo, Rhythmus und Swing. Es bleibt ein Verstoß gegen das Konnexitätsprinzip festzuhalten.
Für eigene Gestaltungsabsichten und Vorhaben bleibt den Kommunen jedenfalls immer weniger finanzieller Atem, obwohl die Verfassung ihnen ausdrücklich das Selbstverwaltungsrecht garantiert.
Andererseits wird nun auch noch gänzlich unsicher, wie sich die verfassungsrechtlich festgelegte gemeindliche Haupteinnahmequelle weiterentwikkeln soll; denn daß die Gewerbesteuer realiter - aus wirtschaftspolitischen wie europäischen Gründen - ihrem Ende entgegengeht, weiß man seit Jahren.
Wenn Sie das von einem Kommunalrechtler hören wollen: seit ziemlich genau 27 Jahren. Dazu gibt es im Jahre 1995 vernünftigerweise viel weniger Alternativen als früher.
Aber was an ihre Stelle treten soll, ist nach wie vor unklar. Modelle gibt es zur Genüge, sie sind seit zwei Jahrzehnten in der Diskussion, aber umgesetzt worden ist bisher noch keines.
Nun soll am morgigen Tag eine erste Lösungsinitiative in Gang kommen.
- Warten Sie ab. Ich kann Ihre Ungeduld ja verstehen, schließlich habe ich Ihnen gesagt, es sei ein Schulbeispiel für die Verfehlung des Themas Lernen. Aber das Schicksal dieser Initiative ist ja auf Grund gewisser Verweigerungshaltungen leider noch nicht gesichert.
Um das abzuschließen: Mit großem Ernst und Nachdruck über eine kommunale Finanzreform nachzudenken ist wirklich geboten, und zwar in die-
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
sen Tagen beginnend, meine Damen und Herren von der SPD, und nicht erst in den nächsten Wochen oder, wie man hört, in zwei Jahren. Mit dem heutigen Einsatz einer Enquete-Kommission wäre dafür aber gar nichts gewonnen.
Immer muß das Schicksal des konkret auf dem Wege befindlichen Lösungsvorhabens abgewartet werden. Wenn morgen die Koalitionsintiative zur Ergänzung des Grundgesetzes um den Art. 106 Abs. 5a Erfolg hat, wird auch die entsprechende normative Ausfüllung, wie sie im Jahressteuergesetz 1996 vorgesehen ist, auf den Weg kommen. Dann hätte sich eine Enquete-Kommission zu diesem Thema ohnehin erübrigt.
Ich kann Sie an diesem Punkt nur heftig ermuntern: Machen Sie morgen mit, dann haben wir das Thema vom Tisch, und die Gemeinden sind zufrieden.
- Ja, Sie lassen sich bei diesen Fragen ja immer zu gerne instrumentalisieren. Deswegen lassen Sie mich auch noch, weil ich davon ausgehe, daß es bei Ihnen so ist, die Alternative kurz beleuchten.
Wenn hingegen, was ich bisher immer noch nicht glauben mag, die Initiative zur Ermöglichung einer spezifischen Umsatzsteuerbeteiligung der Gemeinden morgen scheitern sollte, dann sind vor allem neue Gesprächs- und Verständigungswege unter den zerstrittenen Beteiligten gefragt. Wenn insoweit alle anderen Konsentierungswege versagen, könnte vielleicht eine Enquete-Kommission wieder sinnvoll werden.
Aber das ist nun wirklich Cura posterior, meine lieben Kollegen.
Also: Ablehnung der heute noch ganz unsinnigen Enquete-Kommission - ich jedenfalls habe auf der Tagesordnung gesehen, daß wir heute darüber entscheiden sollen; deswegen ist sie unsinnig - und lieber voller Einsatz für die morgige Bemühung einer Lösung des Problems in der Sache.
Danke sehr.
Ich erteile dem Abgeordneten Johannes Selle das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der PDS auf Einsetzung einer Enquete-Kommission „Reform der Kommunalfinanzierung" fällt zeitlich zusammen mit den intensiven Diskussionen, die im Moment um das Jahressteuergesetz 1996 geführt werden. Heftig wird dabei auch über den Teil der Gemeindefinanzreform gestritten. In Kenntnis der ganzen terminlichen und finanziellen Problematik sollte man die Lösung jedoch nicht durch Einsetzung einer Kommission auf die lange Bank schieben, sondern den vorliegenden Entwurf der Regierungskoalition unterstützen und damit den Kommunen schnell und wirkungsvoll helfen.
Mit dem Jahressteuergesetz 1996 versuchen die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P., einen ersten wichtigen, praktikablen und finanziell gesicherten Schritt in Richtung stabil wachsender Kommunalfinanzen zu tun. Diesem Bemühen urn ein modernes, in das internationale Wirtschaftsgeflecht passendes Kommunalfinanzierungssystem liegt nicht zuletzt das Datum 31. Dezember 1995 zugrunde. Mit Ablauf des Jahres 1995 müßte nämlich auf Grund geltenden EG-Rechts in den neuen Bundesländern die Gewerbekapitalsteuer eingeführt werden. Das darf auf keinen Fall passieren.
Die Gewerbekapitalsteuer bestraft Investitionen und entschärft die Förderungsinstrumente, mit denen gerade eigenkapitalschwachen Betrieben geholfen werden soll. Kein Mensch wird es verstehen, wenn Fördergelder erst gewährt und dann zum Teil wieder weggesteuert würden.
Hier ist eine klare und schnelle Entscheidung des Parlaments gefordert.
In den Anhörungen zum Jahressteuergesetz wurden die dazu gemachten Vorschläge der Regierungskoalition mit überwältigender Mehrheit unterstützt.
Dem setzt nun die PDS mit ihrem Antrag ein thematisch künstlich ausgeweitetes und terminlich unbestimmtes Verfahren entgegen.
Dieses falsche Signal zu diesem Zeitpunkt kann von der CDU/CSU-Fraktion nicht unterstützt werden.
Wenn die PDS in ihrer Antragsbegründung kritisiert, daß in Westdeutschland kommunale Investitionen rückläufig seien und deshalb die kommunale Finanzierung neu zu ordnen sei, dann will ich dieser neuen dialektischen Verdrehung folgendes entgegenhalten: Eine Gemeindefinanzreform ist nötig, aber rückläufige Investitionen im Westen hängen wesentlich auch damit zusammen, daß das Geld im Osten gebraucht wird, um dort den dramatischen Verfall aufzuhalten und Anschluß zu gewinnen. Das will ich hier einmal dankbar anerkennen.
Johannes Selle
Wer hat denn 40 Jahre jede kommunale Eigenständigkeit unterbunden? Wer hat denn 40 Jahre von der Substanz gelebt und alles verkommen lassen? Wer hat denn in dieser Zeit alle elementaren wirtschaftlichen Zusammenhänge ignoriert und kommunale Plan- und Mißwirtschaft zu verantworten?
Sie, meine Damen und Herren von der PDS, sehen sich doch selber als die Rechtsnachfolger der dafür verantwortlichen SED-Machthaber in der damaligen DDR an,
in deren Fußstapfen Sie heute auch noch freiwillig treten.
Hier und heute gelten aber auch für die Kommunalpolitik andere Regeln. Ausgaben bzw. Kosten müssen den Einnahmen gegenübergestellt und mit ihnen weitgehend in Deckung gebracht werden. Lösungsmodelle müssen auf Grund des unvermeidbaren Kostendrucks gefunden werden. Kommunale Initiativen dürfen nicht unterdrückt, sondern müssen gefördert und gefordert werden. Deshalb müssen die Städte und Gemeinden durch Bund und Länder möglichst schnell und besser als bisher in die Lage versetzt werden, wirtschaftlich zu denken und zu handeln.
Wie ich aus dem Finanzausschuß berichten kann, ist dabei der Opposition immer noch nicht klar, daß jeder einzelnen Kommune voller Ausgleich für den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer garantiert wird. Dies soll dadurch geschehen, daß den Gemeinden das geschätzte Gewerbesteueraufkommen der Jahre 1996 bis 1999 in vollem Umfang aus der Umsatzsteuer entsprechend den Proportionen der Jahre 1991 und 1992 zufließt.
Eine solche Regelung bewirkt eine wesentliche Besserstellung der Kommunen; denn während die Einnahmen aus der Gewerbesteuer von 1986 bis 1993 nur um ein Drittel gestiegen sind, hat sich das Umsatzsteueraufkommen unter Einbeziehung der Erhöhung der Mehrwertsteuer im gleichen Zeitraum etwa verdoppelt. Die Beteiligung an der Umsatzsteuer wird darüber hinaus den Einfluß der Konjunktur auf Gemeindeeinnahmen paralysieren und durch einen wirtschafts- und ortsbezogenen Schlüssel auch das Interesse der Gemeinden an Industrieansiedlungen fördern.
Wer sich ehrlich bemüht, den Entwurf des Jahressteuergesetzes 1996 zu verstehen, wird sich der Einsicht nicht verschließen können, daß es keinen wirklichen Grund für die Einsetzung einer Enquete-Kommission gibt.
Es bedarf allerdings einer Grundgesetzänderung, um den Kommunen das Recht auf Umsatzsteuer zu geben und Bund und Länder in die Pflicht zu nehmen, diese Steuer zu teilen. Wenn Sie die in Ihrem Antrag enthaltenen Ziele erreichen wollen, dann unterstützen Sie diese Grundgesetzänderung.
Nach § 56 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung sollen einer Enquete-Kommission nicht mehr als neun externe Mitglieder angehören. Unter II des Antrags der PDS werden jedoch 24 Mitglieder definitiv und eine weitere unbestimmte Zahl von Mitgliedern gefordert. Auch aus diesem formalen Grund kann der Antrag unsere Unterstützung nicht bekommen; denn wenn jeder über alles spricht, führt das erst einmal lange zu nichts.
Unterstützen Sie morgen die Regierungskoalition bei den ersten Schritten der Gemeindefinanzreform ganz konkret bei der Grundgesetzänderung zur Umsatzsteuerbeteiligung der Gemeinden! Dann beweisen Sie, wie ernsthaft Sie eine schnelle Besserstellung der Kommunen wollen.
Herr Kollege Selle, auch Ihnen wollen wir zu Ihrer ersten Rede in diesem Hause gratulieren.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/984 zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12a bis c und Zusatzpunkt 6 auf:
12. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Margareta Wolf-Mayer, Andrea Fischer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung eines Rechtes auf ein Girokonto
- Drucksache 13/351 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans Martin Bury, Joachim Poß, Anke Fuchs , weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr
- Drucksache 13/856 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll und der weiteren Abgeordneten der PDS
Recht auf ein Girokonto - Drucksache 13/137 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Post und Telekommunikation
ZP6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Lilo Blunck, Hans Martin Bury, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Privatgirokonto
- Drucksache 13/1306 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Alle Vorlagen behandeln den Rechtsanspruch auf Einrichtung von Girokonten.
- Davon steht in den Anträgen nichts, Herr Kollege. Für das Geld muß der Bürger noch immer selber sorgen, was immer wir beschließen.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Abgeordneten Margareta Wolf das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zu der Vorstellung unseres Gesetzentwurfes zum Recht auf ein Girokonto komme, möchte ich die Gelegenheit nutzen und die Ergebnisse des Deutschen Sparkassentags, der in Hannover heute zu Ende gegangen ist, ausdrücklich begrüßen.
Immer mehr Menschen - es sind inzwischen zwischen 500 000 und 1 Million, so die Schätzung - wird durch Kreditinstitute die Eröffnung eines Girokontos verweigert oder ein bestehendes Girokonto gekündigt. Hiervon sind in erster Linie Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, zunehmend aber auch Menschen mit einem sogenannten nicht regelmäßigen Einkommen, z. B. Künstlerinnen und Künstler und Publizistinnen und Publizisten, betroffen.
Ich denke, daß wir uns in diesem Hohen Hause über folgende Punkte einig sein sollten und auch einig sind: Erstens. Das private Girokonto gehört in der Bundesrepublik Deutschland seit Anfang der 80er Jahre zu einer der elementaren Grundvoraussetzungen für die Teilnahme am öffentlichen Leben.
Zweitens. Ganz alltägliche notwendige monatliche Zahlungen - gemeint sind z. B. Mietkosten, Strom- und Wasserrechnungen, Telefonrechnungen, Versicherungsrechnungen; Sie kennen das alle - über Barzahlungen zu tätigen ist mit einer zusätzlichen monatlichen Belastung von ca. 50 DM verbunden, von dem zeitlichen Aufwand einmal ganz abgesehen.
Drittens. Es ist auch klar, denke ich, daß die Verweigerung eines solchen Kontos für die Betroffenen nicht nur erhebliche psychische Probleme zur Folge hat, sondern auch zu einer Stigmatisierung auf dem Wohnungsmarkt und dem Arbeitsmarkt mit all den bekannten Folgen führen kann. Lohn und Gehalt können heute fast ausschließlich nur noch bargeldlos ausgezahlt werden, so daß von der Caritas und den Schuldnerberatungen wie auch von den Gewerkschaften festgestellt wurde, daß ein Nichtvorhandensein eines Girokontos das Zurückkehren ins Erwerbsleben ganz erheblich erschwert. Wir halten das für unzumutbar.
Viertens. Die Barauszahlung von Sozialleistungen ist mit erheblichen Mehrbelastungen für die Sozialdezernate und Sozialämter und somit letztlich für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler verbunden.
In einer Stadt von der Größenordnung Kölns oder Frankfurts bedeutet die Praxis der Barauszahlung eine zusätzliche Haushaltsbelastung von ca. 1 Million DM pro Jahr, und das in Zeiten, in denen es erstens - wir haben es in der vorgehenden Debatte gehört - den kommunalen Haushalten sowieso immer schlechter geht und zweitens über die Einführung von Datenverarbeitungssystemen die technischen Möglichkeiten bestehen, auch über den bargeldlosen Zahlungsverkehr den öffentlichen Dienst erheblich zu verschlanken und zu effektivieren. Bei Nichtvorhandensein kann dieses System überhaupt nicht genutzt werden.
Auf dem heute zu Ende gehenden Sparkassentag haben die Sparkassen das Recht auf ein Girokonto für jedermann eingeräumt. In der letzten Woche hat auch der Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken die Zusage gegeben, Konten für sozial Schwache einzurichten.
- Sie können ja nachher dazu etwas sagen, Herr Weng.
Jetzt sperren sich dieser Selbstverpflichtung nur noch die privaten Banken. Ich habe mit den privaten Banken ein langes Gespräch geführt. Sie sagen, sie sähen die Aufgabe bei den öffentlichen Banken. Ich denke, wir können keine Banken erster und zweiter Klasse in diesem Land haben wollen.
Margareta Wolf
Freiwillige Vereinbarungen - damit wir uns nicht mißverstehen - sind für mich ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Wirtschaftsordnung. Der Gesetzgeber ist nicht allmächtig; er kann und er sollte nicht alles regeln. Um dem Recht auf ein Girokonto tatsächlich zur Durchsetzung zu verhelfen, braucht es daher ein ausgeprägtes Problembewußtsein seitens der Öffentlichkeit und die Bereitschaft der Banken, und zwar aller Kreditinstitute. Ich bin dennoch der Meinung - ich habe darüber in den letzten Wochen und Monaten sowohl mit den privaten als auch mit den öffentlichen Banken sowie mit Sozialdezernenten, Schuldnerberatungen und der Caritas gesprochen -, daß wir nach wie vor eine gesetzliche Regelung für alle Kreditinstitute brauchen, und zwar aus folgenden Gründen:
Die Diskussionen der letzten Wochen haben gezeigt, daß erst die Androhung einer gesetzlichen Regelung die Voraussetzung dafür zu schaffen scheint, daß sich über freiwillige Selbstverpflichtungen seitens der Banken überhaupt ernsthaft Gedanken gemacht werden. Sie alle wissen, daß die Verbraucherverbände, Schuldnerberatungsstellen und auch kirchlichen Verbände bereits seit Jahren darauf hinweisen. Die verschiedenen Initiativen, z. B. unser Gesetzentwurf, der SPD-Gesetzentwurf, die angekündigte Bundesratsinitiative des Landes Hessen und schließlich auch die gestrige Erklärung des niedersächsischen Ministerpräsidenten vor dem Sparkassentag, waren notwendig, um das gesamte Vorhaben weiter zu forcieren, damit die freiwilligen Absichtserklärungen von Banken überhaupt zustande kamen.
Meine Damen und Herren, für mich gibt es zwei sehr wichtige Gründe für eine gesetzliche Regelung. Der erste Grund dafür, einen Rechtsanspruch für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen, ist, daß wir einen Weg eröffnen müssen, damit sie sich mit juristischen Mitteln gegen die Verweigerung eines Kontos wehren können.
Der zweite Grund: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes greift das Sozialstaatsprinzip auch im Bereich des Privatrechtes, also auch im Bereich der Vertragsfreiheit, und berechtigt damit grundsätzlich zu Eingriffen, wenn eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils vorliegt und diese Unterlegenheit zu einer schwerwiegenden Belastung führt. Warum das so ist, habe ich dargelegt. Diese Argumentation - das teilen Juristen ebenso wie die Verbände - ist umstandslos auf den Zugang zum Girokonto zu übertragen. Ich verweise auf die Kfz-Versicherung; auch dieses privatvertragliche Verhältnis ist gesetzlich geregelt.
Das Sozialstaatsprinzip zu schützen - das richte ich an Sie, Herr Faltlhauser, und auch an die F.D.P., weil ich von ihr im Rahmen dieser Debatte überhaupt noch nichts gehört habe - -
- Sie sind jetzt noch dran, gut. Aber es haben sich einige zu diesem Thema geäußert, und von Ihnen habe ich noch nichts gehört. Ich freue mich schon darauf, von Ihnen gleich etwas dazu zu hören.
Das Sozialstaatsprinzip zu schützen ist Aufgabe der Politik in einer Sozialen Marktwirtschaft. Die Vertragsfreiheit über das Sozialstaatsprinzip zu stellen würde nichts anderes als die Abkehr von der Sozialen Marktwirtschaft bedeuten. Die Gefahren einer solchen Entwicklung hat Heiner Geißler in seinem Buch hinreichend und gut beschrieben; ich verweise deshalb ausdrücklich auf ihn und bitte Sie alle ganz eindringlich, fraktionsübergreifend mit dafür zu sorgen, daß die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben auch für sozial Schwache gewährleistet wird. Dazu gehört für meine Begriffe heutzutage das Recht auf ein Girokonto.
Wichtig ist uns, daß es eine einklagbare Grundlage für die betroffenen Menschen in diesem Land gibt, die ihnen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben auch tatsächlich ermöglicht.
Lassen Sie mich abschließen mit einem Zitat:
Der Mangel an inhaltlicher Klarheit produziert die Gefahr des Rückfalls in den Wirtschaftsliberalismus. Die heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse und die Interessen der Menschen verlangen eine Integration der Wirtschafts-, Finanz-, Umwelt- und Sozialpolitik.
Es könnte eine programmatische Aussage vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sein. Es wurde aber wiederum Heiner Geißler zitiert.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, unseren Antrag im Laufe des Verfahrens zu unterstützen. Meine Fraktion wird in den beteiligten Ausschüssen eine Anhörung zu diesem Thema beantragen. Wir haben das auch schon mit den Verbänden diskutiert. Alle haben ein Interesse daran. Im Sinne der Menschen sollten wir das machen.
Danke schön.
Ich erteile nun dem Abgeordneten Wolfgang Steiger das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vorliegenden Anträge von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sind wieder einmal typische Belege für Ihr Mißtrauen gegenüber der in Deutschland insgesamt und vorbildlich funktionierenden Kreditwirtschaft und für Ihre übertriebene Neigung zu reglementieren, obwohl das Bundesfinanzministerium zusammen mit dem Zentralen Kreditausschuß längst gehandelt hat und alle Beteiligten schon auf dem besten Lösungsweg bis hin zu einer Selbstverpflichtung vorangeschritten sind.
In diesem Zusammenhang will ich die grundsätzliche Bereitschaft der Kreditwirtschaft begrüßen, jedem Bürger in ihrem jeweiligen Geschäftsbereich ein Girokonto bereitzuhalten. Deshalb geben wir der Kreditwirtschaft in der Tat die Gelegenheit, den Ankündigungen nun auch Taten folgen zu lassen.
Wolfgang Steiger
Die Initiativen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS sind zum jetzigen Zeitpunkt überflüssig. Sie stützen sich im wesentlichen auf Spekulationen, die mit der Wirklichkeit nur wenig gemeinsam haben.
Da werden z. B. durch nichts und von niemandem belegte Zahlen von 500 000 Personen - gerade waren es fast 1 Million - genannt, die angeblich kein Recht auf ein Girokonto hätten. Da wird ohne genaue Prüfung die so wichtige Vertragsfreiheit in unserem Land beträchtlich und erheblich in Frage gestellt, ja sogar konterkariert.
Wer die Diskussion in der Kreditwirtschaft verfolgt hat, weiß, daß Banken und Sparkassen schon intensiv dabei sind, sich selbst zu verpflichten, ein Konto für jedermann auf Guthabenbasis einzuführen.
Wir sollten in diesem Zusammenhang auch einmal die Frage stellen, welche Personen es sind, die kein Girokonto bekommen und warum. Wie kommen Sie eigentlich darauf, daß gerade Sozialhilfeempfängern oder Arbeitslosengeldbeziehern die Kontoeröffnung verweigert wird? Bei Banken steht immer - das habe ich so gelernt, und das hat sich auch nicht geändert - die Einzelfallprüfung im Mittelpunkt, und nur bei grobem Fehlverhalten wird eine Kontoverbindung aufgelöst bzw. erst gar nicht eingegangen. Daraus leiten Sie die doch beträchtliche Forderung nach einem Kontrahierungszwang für alle Kreditinstitute ab
- nein, Herr Präsident, ich möchte im Zusammenhang reden -, anstatt der angekündigten Selbstverpflichtung den Vorzug zu geben.
Würden wir Ihren Anträgen folgen, müßten künftig alle Banken mit allen Kunden Kontoverbindungen eingehen, obwohl gerade das Geschäft mit Geld besonderes Vertrauen erfordert und rechtfertigt
und dies die Basis einer dauerhaften und erfolgreichen Kundenverbindung darstellt.
Dies würde weiterhin bedeuten, daß wir die in Deutschland garantierte Vertragsfreiheit unterlaufen. Es würde bedeuten, daß sie über einen Kontrahierungszwang verfügen, dem Kreditinstitute auf Grund ihrer innerbetrieblichen Strukturen und unternehmerischen Zielsetzungen überhaupt nicht Folge leisten können.
Ich nenne Ihnen als Beispiel Hypothekenbanken oder reine Wertpapierbanken.
Es ist in der Tat so, wie Sie es gesagt haben: Wer auf Grund der flächenmäßigen Verbreitung, des großen Marktanteils im sogenannten Massengeschäft und der gemeinnützigen Satzung am ehesten dazu in der Lage ist, ein Girokonto für jedermann umzusetzen, sind in der Tat die öffentlich-rechtlichen Sparkassen und die Volks- und Raiffeisenbanken.
Beide Verbände - auch das haben Sie erwähnt - haben in bezug auf eine freiwillige Selbstverpflichtung zur Kontoeröffnung befriedigende Erklärungen abgegeben, ohne daß sie sich einem Kontrahierungszwang durch den Gesetzgeber unterwerfen müssen.
Auch die Stellungnahmen der privaten Banken gehen in diese Richtung. Der zur Zeit in Hannover stattfindende Sparkassentag hat positive Fortschritte erzielt und der Öffentlichkeit präsentiert. Die Kreditinstitute sind derzeit gemeinsam mit der Diskussion technischer Probleme beschäftigt.
Also: Ja zur freiwilligen Selbstverpflichtung. Auch und gerade weil die Banken die Zunahme des bargeldlosen Zahlungsverkehrs in der Vergangenheit wesentlich fordert haben, teile ich die Auffassung, daß sie ihrer moralischen Pflicht nachkommen sollten, ein Girokonto auf Guthabenbasis für jedermann anzubieten.
Aber: kein Zwang! Er ist gegen das Prinzip der Vertragsfreiheit und wird in der Praxis keinen Bestand haben. Oder wollen Sie Kreditinstitute zwingen, mit Wohnsitzlosen Kontoverbindungen einzugehen, obwohl überhaupt keine Adresse angegeben werden kann? Wollen Sie Kontoverbindungen mit fortgesetzt vertragsuntreuen Personen erzwingen?
- Wenn Sie Beifall klatschen wollen, schlagen Sie einfach die Hände aneinander. - Oder wie wollen Sie Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse behandeln, die im Regelfall - neben einem erheblichen Arbeitsaufwand - zur Sperrung eines Kontokorrentkontos führen? Sollen solche Konten etwa von der Pfändung freigestellt werden? Dadurch würden wir Mißbrauch und Betrug Tür und Tor öffnen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im übrigen sind Sie mit keinem Wort auf den erheblichen Arbeitsaufwand bei Konten auf reiner Guthabenbasis eingegangen. Hier sind weit über das übliche Maß hinaus organisatorische Sicherheitsvorkehrungen notwendig, um jedwede Überziehung zu vermeiden bzw. bestimmte Zahlungsformen - ich nenne als Beispiel die Lastschriften - auszuschließen. Würden wir Ihrem Antrag folgen, müßten die daraus resultierenden Kosten auf die Allgemeinheit umgelegt werden. Was glauben Sie eigentlich, was der breite Kundenstamm der Banken und Sparkassen zu solchen Umlageverfahren sagen würde?
Wenn ich mir jetzt noch eine Studie der von Ihnen zitierten Schuldnerberatung vor Augen führe, wird ersichtlich, daß von 53 zitierten Kontokündigungen allein 29 aus dem Sparkassensektor resultieren und davon 27 aus jenen Bundesländern - die haben Sie
Wolfgang Steiger
angeführt -, in denen bereits gesetzliche Verpflichtungen bestehen. Da gibt es offensichtlich eine bemerkenswerte Differenz zwischen Theorie und Praxis.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es handelte sich nicht hauptsächlich um Sozialhilfeempfänger oder Bezieher von Arbeitslosenhilfe oder -geld, wie es in allen Anträgen der Oppositionsparteien unterstellt wird. Aus den Rückantworten auf den Rundbrief der Schuldnerberatung geht deutlich hervor, daß ihre willkürliche Verknüpfung überhaupt nicht zutrifft. Es waren z. B. Ehepaare - Doppelverdiener - mit 4 800 DM Nettoeinkommen enthalten; da wurde ein Überziehungskredit vollkommen ausgeschöpft; diverse Kleinkredite konnten nicht zurückgezahlt werden. Das sind offensichtlich keine Personen, die zu den sozial Schwächeren in unserer Gesellschaft zählen.
Wir sollten in der Tat aufpassen, daß wir mit der Diskussion „Macht der Banken" nicht ständig die Wettbewerbsbedingungen verschlechtern und den Finanzplatz Deutschland in seinem bislang sehr guten Ansehen nachhaltig und langfristig beschädigen.
Vergleichen wir unsere Diskussion mit der in den europäischen Nachbarländern, stellen wir fest, daß dort im großen und ganzen Fehlanzeige herrscht.
Wir sollten die sehr geschätzte Vertragsfreiheit wahrlich nicht aufs Spiel setzen. Wir würden per gesetzlicher Regelung jedweden zwingen, mit jedem Geschäfte zu machen - ohne Ansehen der Person, ohne Rücksichtnahme auf schlechte Bonitätsauskünfte.
Das Bundesfinanzministerium vertritt hierbei nach meiner Auffassung die richtige Position, das von uns allen gewollte Ziel auch ohne gesetzlichen Zwang erreichen zu können.
Lassen wir die Kreditwirtschaft auf dem richtigen Weg der freiwilligen Selbstverpflichtung weitergehen! Ich wiederhole mich gerne: Geben wir ihr Gelegenheit, den Ankündigungen konkrete Taten folgen zu lassen. Rein spekulative Zahlen sind wahrlich nicht dazu geeignet, für einen klaren, realistischen, praxisorientierten Blick in der politischen Betrachtungsweise zu sorgen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die in Deutschland geltende Vertragsfreiheit ist zu wichtig, als daß wir sie unterlaufen dürften. Die Anträge von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS sind auf Grund der geschilderten Aktivitäten, die, wie jedermann sieht, im Gange sind, deshalb überflüssig. Wir lehnen sie ab.
Herr Kollege Steiger, traditionsgemäß gratulieren wir auch Ihnen zu Ihrer ersten Rede in diesem Haus.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Hans Martin Bury.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon paradox: Es waren die Banken, die mit kostenloser Kontoführung und massiver Werbung dafür gesorgt haben, daß fast jeder heute ein Girokonto hat und braucht. Wer größere Beträge bar bezahlt, wird inzwischen oft - und gar nicht immer zu Unrecht - schief angeguckt. Viele Transaktionen sind gar ausschließlich bargeldlos möglich. Das Volumen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs belief sich 1994 auf 42,7 Billionen DM, was nahezu einer Verdopplung in nur vier Jahren entspricht. Kaum eine Markteinführungsstrategie war je so erfolgreich wie die der Kreditinstitute beim Girokonto.
Trotz der zunehmenden Bedeutung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs wird heute einer wachsenden Zahl von Menschen in Deutschland die Eröffnung eines Girokontos verweigert oder ein bestehendes Konto gekündigt. Frau Wolf hat auf die Zahlen und ihre steigende Tendenz bereits hingewiesen.
Als Grund für Kündigungen oder Kontoverweigerungen verweisen die Kreditinstitute auf eine angeblich nicht vorhandene Bonität der betroffenen Personen. Hauptbetroffen sind daher, Herr Steiger, durchaus Menschen mit geringem Einkommen, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger oder diejenigen, über die die Schufa negative Merkmale gespeichert hat. Berichte von Betroffenen dokumentieren, daß in der Praxis bereits kurzfristige Kontoüberziehungen als Folge plötzlicher Liquiditätsprobleme oder die Tatsache, daß der Kontoinhaber Sozialhilfe bezieht, für eine Kontokündigung ausreichen. Die derzeitige Häufung solcher Fälle und Hinweise darauf, daß in deutschen Kreditinstituten das zynische Wort von der „Schalterhygiene" die Runde macht, sind schon alarmierend.
Kundengruppen, die nicht lukrativ sind oder nicht zum angestrebten Image des Instituts passen, werden von manchen Kreditinstituten systematisch ausgegrenzt.
Die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr ist heute, in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft, aber nicht nur selbstverständlich, sondern auch notwendig.
Der ungehinderte Zugang zu vielen Dienstleistungen - angefangen bei der Energieversorgung - sind ohne Konto nur mit erheblichem Aufwand und beträchtlichen Mehrkosten möglich. Die vielzitierte Lohntüte gibt es schon lange nicht mehr. Lohn- oder Gehaltszahlungen erfolgen längst nur noch bargeldlos.
So kommt zu Mehraufwand und Mehrkosten eine dritte, soziale Komponente hinzu. Wer heute nicht über ein Girokonto verfügt, ist gesellschaftlich stigmatisiert und gerät in einen regelrechten Teufelskreis. Denn die fehlende Bankverbindung erschwert
Hans Martin Bury
die Suche nach einem Arbeitsplatz ebenso wie die nach der neuen Wohnung und verhindert damit gerade die Lösung der Probleme, die oft zu Kontokündigung oder -verweigerung führen.
„Das Girokonto ist aus dem normalen Leben nicht mehr wegzudenken", so der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken, Wolfgang Grüger, am Montag in Hamburg. Da hat er recht. Doch die Erkenntnis bei ihm - und vorher bereits bei Sparkassenpräsident Köhler - kommt nicht von ungefähr und wird auch nicht zufällig in dieser Woche veröffentlicht. Erst der Druck des Gesetzgebers, Herr Steiger, mit den heute hier vorliegenden Gesetzentwürfen hat ein Umdenken auf breiter Front bewirkt.
Sparkassen- und Genossenschaftsverband wollen ihren Instituten jetzt empfehlen - die sind aber in ihren Entscheidungen jeweils frei -, jedem Kunden die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr durch die Führung eines Girokontos auf Guthabenbasis zu ermöglichen. Notwendige Voraussetzung für eine solche Selbstverpflichtung wäre jedoch, so heißt es bereits bei der Postbank, daß sich alle Bankengruppen an einer solchen Regelung beteiligten. Dies aber ist vorerst nicht zu erwarten, weil ausgerechnet die Banken, die in den letzten Monaten in großangelegten Werbekampagnen ständig von „Vertrauen" und „Kundennähe" geredet haben - die privaten Banken -, eine allgemeine Selbstverpflichtung der Kreditinstitute strikt ablehnen.
Verkehrte Welt: Da haben gerade private Bankhäuser, mitunter recht leichtfertig, Kredite in Millionenhöhe an windige Baulöwen oder Sportbodenhersteller vergeben, und da, wo es nun wirklich einmal um kleine Beträge, um ,,peanuts", geht, wird von einem zu hohen Risiko gesprochen und einem finanziell angeschlagenen Sozialhilfeempfänger bereits bei geringer Kontoüberziehung das Konto gekündigt.
Ich würde mich freuen, Herr Kollege, wenn wirksame Selbstverpflichtungen zustande kämen, die tatsächlich sicherstellen, daß alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrer sozialen oder ökonomischen Situation ein Girokonto auf Guthabenbasis erhielten.
Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wird sich zeigen, Herr Steiger, ob den Ankündigungen und Empfehlungen auch flächendeckend die Versorgung mit einem Mindestkonto folgt. Ich denke, daß den Sparkassen mit ihrem öffentlichen Auftrag in diesem Zusammenhang eine besondere Verantwortung zukommt.
Wenn die Sicherung der Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr aber anders nicht gewährleistet werden kann, ist der Gesetzgeber gefordert. Deshalb beraten wir hier über zwei Gesetzentwürfe und einen Antrag, die in dem Ansatz und der Zielsetzung übereinstimmen, die Teilnahme aller am bargeldlosen Zahlungsverkehr sicherzustellen.
Frau Wolf, ich möchte ein paar Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf der Grünen machen, der wohl zunächst ein Antrag werden sollte. Denn statt klarer gesetzlicher Regelungen ist darin nur recht vage davon die Rede, daß das „Kreditaufsichtsamt" - gemeint ist wohl das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen - damit beauftragt werden soll, dafür Sorge zu tragen, daß alle Kreditinstitute ein von der Kreditgewährung unabhängiges Girokonto anbieten. Die Ablehnung eines Kontoeröffnungsersuchens oder die Kündigung eines bestehenden Kontos sollen unzulässig sein, wenn diese Kündigung oder Ablehnung wegen des Geschlechts, des Familienstandes, der Rasse, Herkunft, Sprache, Abstammung oder Religion, fehlender Kreditwürdigkeit oder des Bezuges von Einkommen aus öffentlichen Mitteln erfolgt. Die Ablehnung oder Kündigung ist schriftlich zu begründen.
Soweit der Gesetzentwurf der Grünen, bei dem alle Fragen der praktischen Umsetzung leider offenbleiben.
Was macht denn das Bundesaufsichtsamt, das praktisch keine Verbraucherschutzbefugnisse hat und wahrnimmt, wenn die Begründung einer Kündigung oder Ablehnung unklar ist oder ganz fehlt? Leider haben Sie vergessen, das BAK für die neuen Aufgaben auch mit Ermächtigungen und angemessenen Sanktionsinstrumenten zu versehen.
Wie soll das BAK auf ungerechtfertigte Kontokündigungen reagieren? Am Ende der Begründung Ihres Entwurfs wird auf § 36 KWG verwiesen, der das BAK berechtigt, in ganz bestimmten gravierenden Fällen die Abberufung eines Geschäftsleiters zu verlangen oder dessen Tätigkeit zu untersagen. Bei aller Sympathie für das gemeinsame Anliegen, aber hier ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel wohl doch nicht mehr gewahrt.
Gegenüber dem vorliegenden Gesetzentwurf der Grünen, so fürchte ich, wäre leider sogar eine freiwillige Selbstverpflichtung der Kreditwirtschaft - bei allen Schwächen und Ausnahmeregelungen, die sie haben dürfte - tragfähiger.
Der Gesetzentwurf der SPD zur Sicherung der Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr legt durch eine Änderung des Kreditwesengesetzes fest, daß alle Kreditinstitute, die das Girogeschäft betreiben - Herr Steiger, wenn Sie es nicht gelesen haben, können Sie es jetzt hören; dann würden Sie nicht mehr so viel Falsches erzählen -,
Hans Martin Bury
auf Antrag jedes Kunden ein Girokonto für ihn einrichten müssen, um für ihn den bargeldlosen Zahlungsverkehr abzuwickeln. Spezialinstitute wie Hypothekenbanken oder Depotbanken, Herr Steiger, sind also ausdrücklich von diesem Kontrahierungszwang ausgenommen. Die Konten müssen lediglich auf Guthabenbasis geführt werden; für das Kreditinstitut besteht keine Verpflichtung zur Gewährung eines Überziehungsrahmens oder zur Vergabe eines Kredits.
Um diskriminierende Gebühren von vornherein auszuschließen, wird festgelegt, daß das Kreditinstitut für dieses Konto keine höheren als marktübliche Entgelte in Rechnung stellen darf.
§ 22 regelt die Fälle, in denen es einem Kreditinstitut trotz der generellen Verpflichtung des neuen § 21 KWG möglich sein soll, ein bestehendes Konto zu kündigen. Die Gründe hierfür dürfen nur in dem Verhalten des Kunden dem betreffenden Kreditinstitut gegenüber liegen, wodurch eine generelle Ausgrenzung bestimmter Kundengruppen ausgeschlossen wird. Das Kreditinstitut darf einen Kontoeröffnungsantrag nur dann ablehnen oder ein bestehendes Konto kündigen, wenn der betreffende Kunde dem Kreditinstitut gegenüber „bestehende Pflichten in gröblicher Weise schuldhaft verletzt hat" oder sich der Kunde weigert, dem Kreditinstitut die zur Dekkung von dessen Aufwendungen notwendigen Entgelte zu erstatten. Denn auch wenn der bargeldlose Zahlungsverkehr in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft zu den Grundvoraussetzungen einer Teilnahme am öffentlichen Leben zählt, darf nicht vergessen werden, daß Kreditinstitute Wirtschaftsunternehmen sind. Für vom Kunden in Anspruch genommene Leistungen dürfen die Banken von ihren Kunden angemessene Entgelte verlangen. Auch dies berücksichtigt unser Entwurf.
Einwänden von Ihnen, Herr Steiger, und dem Haus, von dem Sie kommen, und dessen Interessenvertretung in Bonn hinsichtlich der Behandlung von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen oder der Nichtverrechenbarkeit von Bankforderungen mit nichtpfändbaren Einkünften ist entgegenzuhalten, daß diese Fragen nicht ursächlich mit dem vorgeschlagenen Kontrahierungszwang zusammenhängen.
Die Gewährleistung der Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr ist im übrigen nur ein erster Schritt. Damit diese auch zu fairen Bedingungen ermöglicht wird, muß sie in eine umfassende verbraucherpolitische Initiative eingebettet werden,
die meine Kollegin Blunck anhand des SPD-Antrages gleich erläutern wird.
Vielen Dank.
Aber ehe sie das tun kann, hat der Abgeordnete Dr. Paul Friedhoff das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In edler Gemeinsamkeit fordern heute SPD, PDS und GRÜNE das Recht auf ein Girokonto. Sie fordern, es durch Bundesgesetz zu verankern. Das wirft einige Fragen auf: Wo liegt der eigentliche Kern des Problems? Wer hat es zu lösen, und ist ein Bundesgesetz zur Lösung geeignet? Das alles werden wir im weiteren Gesetzgebungsverfahren in den Ausschüssen prüfen.
Interessant ist jedenfalls, daß hier etwas aus einer Kiste geholt wird, was schon in der letzten Legislaturperiode von diesem Hohen Hause erörtert und abgelehnt wurde.
Aber ich will Ihnen nicht das Recht bestreiten, uns die gleichen alten Kamellen in jeder Legislaturperiode aufs neue als frische Sahnebonbons zu präsentieren.
- Vielleicht hören Sie einmal zu, Frau Blunck.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland eine besonders dichte Versorgung mit Bankstellen. Private Banken, Genossenschaftsbanken, Raiffeisenbanken sowie öffentliche und private Sparkassen stehen in einem intensiven Wettbewerb um jeden einzelnen Kunden.
Die Institute wollen gern für jedermann Girokonten führen, wie jeder Bäcker auch seine Brötchen an jedermann verkaufen möchte.
Wie kann es also in dieser Situation überhaupt zu einem Problem kommen? Ein Problem ist es sicher, wenn jemand in unserer bargeldlos gewordenen Gesellschaft kein Girokonto hat.
In solchen Fällen allerdings von einer gewissen Eigenverantwortung zu reden muß hier erlaubt sein.
Soweit ich das bisher erkenne - aber das werden wir ja im Gesetzgebungsverfahren alles noch ganz genau sehen -, handelt es sich hauptsächlich um ein Problem, welches sich fast ausschließlich in unseren Großstädten abspielt. Diese haben gelegentlich Schwierigkeiten mit der bargeldlosen Auszahlung von Sozialhilfe.
Nun muß man einfach darauf verweisen, daß in unserem Land die Deutsche Mark das gesetzliche Zahlungsmittel ist, nicht der Scheck und auch nicht die Überweisung. Jeder hat also ein Recht auf Auszahlung in D-Mark, sozusagen bar auf die Hand. Das ist den Sozialämtern und damit auch den Kommunen lästig. Deshalb sind die Sozialämter dieser Großstädte
Paul K. Friedhoff
findig genug, zusammen mit der örtlichen Kreditwirtschaft praktische Lösungen zu finden. Das scheint mir die richtige Stelle für die hier geforderte Problemlösung zu sein.
Rufen nicht häufig die Gemeinden immer wieder völlig zu Recht, daß ihre Kompetenz und ihre Autonomie zur Lösung lokaler Probleme übergangen werden? Hier haben wir ein solches Problem. Ich denke, die Kommunen können es lösen, und sie lösen es, damit sie nicht den höheren Verwaltungsaufwand der Auszahlung des Bargeldes durchführen müssen.
SPD, PDS und GRÜNE in ihrer trauten Gemeinsamkeit mit dem Ruf nach dem alles regelnden Staat wollen aber ein Bundesgesetz.
Will man die Sache durch Bundesgesetz regeln, dann muß da natürlich alles ganz genau geregelt werden. Ich denke einmal, Herr Bury, mit zwei oder drei Paragraphen, wie es die SPD in ihrem Gesetzentwurf vorschlägt, kommen wir bei weitem nicht aus.
Sicher wären Sie doch bereit, überführte Bankräuber vom Recht auf ein Girokonto auszunehmen, jedenfalls bei der überfallenen Bank. Das muß man dann alles regeln und kontrollieren. Wenn schon, denn schon.
- Tun Sie das bitte nicht. Das ist gefährlich. Wenn Sie sich halbtot lachen, könnte ich das nicht verantworten.
Sicher würde es Ihnen doch genügen, daß man ein Recht auf ein und nur auf ein Konto hat. Das haben Sie in Ihrem Gesetzentwurf nicht geregelt. Es müßte geprüft werden, ob jemand schon ein Konto hat. Ein Kontenzentralregister müßte her, um dem Mißbrauch vorzubeugen; denn es soll ja nicht so sein, daß jemand, weil er viel Zeit hat, in seiner Stadt von einem Kreditinstitut zum nächsten geht, um Konten zu sammeln.
Damit aber mit dem Kontenzentralregister kein Mißbrauch betrieben wird - der Datenschutz liegt uns ja allen am Herzen -, müssen wir dagegen entsprechende Vorkehrungen treffen. Es muß gegen unwillige Institute einen Rechtsschutz geben, mit dem man die Kontoeröffnung erzwingen kann.
Ich wollte hier nur einmal ein paar Beispiele anführen. Sie treiben den Staat mit solchen Vorschlägen - ich glaube, es gibt wichtigere Probleme zu lösen - in eine Regierungshypertrophie,
und den Betroffenen helfen Sie nicht.
Ihr Vorschlag ist nicht tätige Hilfe, er ist nur das Vorspiegeln tätiger Hilfe, er ist nur schöner Schein. Konkrete Hilfe kommt aus der Kreditwirtschaft selbst: Die Sparkassen haben erklärt, daß sie bereitstehen; die Genossenschaftsbanken ziehen mit. Ich denke, auch die privaten Banken werden dabei sein. Damit wird das Problem einer Lösung ohne den Staat zugeführt werden.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Barbara Höll.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Ohne Girokonto ist man nur ein halber Mensch" zitiert das „Handelsblatt" vom 15. Februar dieses Jahres den ehemaligen Sozialdezernenten von Frankfurt am Main.
Herr Steiger, ich bin schlicht erstaunt darüber, wie Sie abstrakt von Vertragsfreiheit reden und sich wahrscheinlich überhaupt nicht vorstellen können, was es für 500 000 Männer und Frauen in diesem reichen Deutschland bedeutet, wenn ihnen ein Girokonto verwehrt wird.
Aus diesem Grunde haben wir bereits im Dezember vergangenen Jahres einen Antrag an die Regierung eingereicht, aktiv zu werden. Wenn Sie hier laufend mit Selbstverpflichtung der Industrie in bezug auf Ausbildungsplätze und wiederum mit Selbstverpflichtung bezüglich eines Rechts auf ein Girokonto arbeiten, dann wäre es wünschenswert - es wäre genug Zeit gewesen -, daß Sie mit Ihren guten Verbindungen schon etwas bewirkt hätten und wir nicht nur über diese drei Vorschläge diskutieren würden.
Die gegenwärtige Lage ist fatal für die Menschen und für dieses Land, welches sich selbstbewußt zu einem der modernsten und reichsten auf dem Globus zählt. Sie ist einfach unwürdig. Es ist nur scheinbar eine nebensächliche Selbstverständlichkeit, ein Girokonto zu haben. Sie bekommen ein Girokonto, jede Karte, die Sie wollen, Sie können sich das wirklich überhaupt nicht vorstellen.
Wenn man die vielfältigen alltäglichen Zahlungsverpflichtungen, die man über ein eigenes Konto abwickeln muß, nicht mehr durchführen kann, wird man dadurch vom wirtschaftlichen und sozialen Leben ausgeschlossen. Die Angabe einer Kontonummer ist nun einmal Voraussetzung für vielfältige wichtige Dienstleistungen: Für den Abschluß eines Mietvertrages ist die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr Voraussetzung, aber auch, wenn man eine Arbeit aufnehmen will. Wenn Menschen in der Situation sind, beim Abschluß eines Arbeitsvertrages schnell die Kontonummer eintragen zu müs-
Dr. Barbara Höll
sen und diese dann nicht aus der Tasche ziehen können, so belastet das die Menschen psychisch, bedeutet das doch, sich bloßstellen lassen zu müssen und gedemütigt zu werden.
Außerdem bewirken Sie damit, daß sich die Lage für Menschen, die oftmals schon in einer schwierigen Situation sind, weiter verschlimmert, weil bestimmte Dinge wie die Suche nach einer neuen Arbeitsstelle überhaupt nicht mehr realisiert werden können. Es wird eine Stigmatisierung in Größenordnungen durchgeführt.
Herr Bury erwähnte schon den Begriff der „Schalterhygiene". So etwas sollte uns doch zu denken geben. Es wird ins Feld geführt - und das sind sehr überzogene Darstellungen von Kreditinstituten -, daß die Risiken zu groß wären und vielleicht zu hohe Kosten entstünden. Es gefällt einfach vielen Banken nicht, wenn ihre Kunden durch eine andere Kundschaft, die nicht ganz so gut gekleidet ist und nicht ganz so gut auftreten kann, verunsichert werden.
Immer stärker wird auch dadurch sichtbar, daß sich unter Ihrer konservativen Regierungsmehrheit eine Stimmung in dieser Gesellschaft verfestigt, wonach es heißt: Jeder ist sich selbst der Nächste. Die sozialstaatliche Verpflichtung des Grundgesetzes läuft somit Gefahr, über Bord geworfen zu werden.
Daher ist es wichtig, daß wir als oberste Gesetzgeber durch einen solchen Ansatz aktiv werden. Das ist eine Bundessache.
Auch die heutige Debatte hat die Erosion dieser sozialstaatlichen Verpflichtung in den Köpfen der Menschen gezeigt. Herr Steiger, leider Gottes waren Sie ein Beispiel dafür.
Es wird völlig verdrängt, daß vielfach die Kreditinstitute selbst die Verursacher von Überschuldungen sind und daß es dann dazu kommt, daß die Schufa negative Auskünfte über die Betroffenen gibt. Die Schuldnerberatungen und Betroffenenverbände - man sollte sich auch einmal bei denen informieren - können davon ein Lied singen.
Es gibt aber auch andere, vielfältige Gründe, die nicht vom einzelnen selbst verursacht wurden, warum Menschen in Liquiditätsschwierigkeiten kommen können. Das kann Arbeitslosigkeit, von der man unvermutet getroffen wird, sein, eine Krankheit oder vielleicht auch einmal ein sehr verzögerter Zahlungseingang.
Deshalb ist es wirklich nicht in Ordnung, wenn man hier so tut, als ob es nur an dem einzelnen läge. Ich finde, es ist zynisch, daß hier mit für Betroffene existenznotwendigen Dingen so umgegangen wird, daß Miete, Energie- und Telefonrechnungen auf diese Art und Weise nicht erledigt werden können. Es ist ganz wichtig, zu sehen, daß zusätzliche Belastungen - es sind wirklich zusätzliche Belastungen; es geht nicht um Bequemlichkeit von Kommunen und ihren Einrichtungen - für Kommunen entstehen. Diese zusätzlichen Belastungen trägt dann tatsächlich die Allgemeinheit. Es ist nicht so, wie Sie es dargestellt haben.
Wenn wir hier über Banken und Sparkassen, insbesondere über Banken, reden, sollte uns allen noch das Unwort des vergangenen Jahres im Ohr sein. Wer hat denn von „peanuts" gesprochen? Wenn man sieht, um welche Größenordnungen es sich bei der Kontoführung handelt, dann stellt man fest, daß das wirklich kleine Beträge sind. „Peanuts" hat wohl leider wieder eine andere Bedeutung erlangt.
Ich glaube, die Bundesregierung hat sich hier bisher nur durch Untätigkeit ausgezeichnet. Die Bundestagsgruppe der PDS setzt sich dafür ein, daß jedem Bürger und jeder Bürgerin uneingeschränkt das Recht zu gewähren ist, ein Girokonto zu eröffnen und zu führen. Unabhängig von ihrer Rechtsform müssen alle Banken und Sparkassen verpflichtet werden, die im Grundgesetz verankerte soziale Verpflichtung auf diesem Gebiet einzulösen.
Ich bitte Sie deshalb, unter dieser Voraussetzung in den Ausschußberatungen dem Antrag der PDS für ein gesetzlich gesichertes Recht zur Führung eines Girokontos für jeden Bürger und jede Bürgerin zuzustimmen. Wir haben mit zwei Gesetzentwürfen und einem Antrag hier schon eine sehr gute Vorlage. Wenn Sie wirklich gute Verbindungen haben, tun Sie ein übriges: Werden Sie selber endlich aktiv.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile nun dem Abgeordneten Diethard Schütze das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bisherige Debatte zeigt sehr deutlich, daß wir heute über überflüssige und rechtspolitisch außerordentlich fragwürdige Gesetzesanträge beraten. Es ist doch völlig unstreitig - insofern verstehe ich gar nicht, was hier für ein Popanz aufgebaut wird -, daß heute der bargeldlose Zahlungsverkehr die gängige Form ist, um Miete, Strom, Versicherungen usw. zu bezahlen und natürlich auch Einnahmen zu verbuchen. Auch ist unbestreitbar, daß derjenige, der nicht über ein Girokonto verfügt, dadurch zum Teil erhebliche Probleme bekommen kann.
Insofern kann es hier gar nicht in Frage stehen, daß jedem, der sich nicht eines Mißbrauchs der Dienstleistungen von Kreditinstituten schuldig gemacht hat, zumindest ein Girokonto auf Guthabenbasis zustehen sollte. Davon brauchen Sie uns nicht zu überzeugen, dafür brauchen wir aber auch nicht solche Gesetzesanträge.
Diethard Schütze
Wie Sie alle wissen, meine Damen und Herren - es steht, glaube ich, auch in der Gesetzesbegründung der SPD -, bestehen bereits in sechs Bundesländern gesetzliche Verpflichtungen, die jedem unabhängig von seiner Kreditwürdigkeit die Einrichtung eines Girokontos bei den öffentlichen Sparkassen ermöglicht.
Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken hat erst vor wenigen Tagen eine Empfehlung an seine Mitgliedsinstitute gegeben, auf Wunsch für jeden Bürger in ihren Geschäftsgebieten ein Girokonto auf Guthabenbasis zu eröffnen. Der Deutsche Sparkassentag in Hannover - es ist bereits darüber geredet worden - berät derzeit über die bundesweite Einführung eines Guthabenkontos für jedermann. Auch die Genossenschaftsbanken planen Schritte in die genannte Richtung. Gerade diese Institute, die Sparkassen, die Volksbanken und die Genossenschaftsbanken, sind es doch, an die sich Ihr Anliegen, das Sie mit den Gesetzesanträgen verfolgen, richtet. Denn der Großteil des privaten Zahlungsverkehrs, der sogenannte Massenverkehr, wird gerade über diese Institute abgewikkelt.
Deshalb sollte an dieser Stelle entgegen dem Szenario, das Sie in Ihren Anträgen zu suggerieren versuchen, einmal positiv festgestellt werden, daß die Banken damit die Verantwortung für eine Entwicklung anerkennen und dieser folgen, zu der sie selbst in entscheidendem Maße beigetragen haben. Lohntüte und Mietenbuch sind nahezu verschwunden, ein Konto ist der Dreh- und Angelpunkt aller privaten Geschäfte geworden. Schon heute kann der sozial Schwache - das ist der Punkt, und das sollten Sie bitte einmal zur Kenntnis nehmen - in ganz Deutschland ein Girokonto einrichten.
Es steht zu vermuten, daß sich in absehbarer Zeit zumindest die öffentlich-rechtlichen Banken in allen Bundesländern dieser Selbstverpflichtung unterziehen. Dies wird ohne Frage einen gewissen Druck auf die anderen Banken ausüben, die bei der Verbesserung ihres Images sicherlich nicht hinter den öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten zurückstehen wollen.
Angesichts dieser Tatsachen ist die Notwendigkeit einer Änderung des Kreditwesengesetzes so, wie von Ihnen beantragt, äußerst fragwürdig. Wir können uns doch nicht einerseits über die ständig zunehmende Bürokratisierung beklagen, Deregulierung verlangen sowie den schlanken Staat fordern und andererseits Gesetze einbringen, die schlichtweg überflüssig sind, weil sich auf freiwilliger Basis bereits eine Lösung des Problems gefunden hat.
Das sage im übrigen nicht nur ich; das sagt auch der Chef der Staatskanzlei des Landes NordrheinWestfalen, Herr Clement. Es dürfte vor allem die Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei interessieren, daß Herr Clement darauf hinweist, daß die in Nordrhein-Westfalen seit 1988 bestehende grundsätzliche Verpflichtung der Sparkassen, für jedermann ein Privatgirokonto zu führen, sich nach seinen eigenen Worten in der Praxis bewährt hat und fortgeführt werden soll.
Diese Fakten lassen sich nun wirklich nicht mit den teilweise völlig falschen Behauptungen in der Begründung der Gesetzesanträge in Einklang bringen.
Herr Kollege Schütze, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bury?
Ich bitte um Verständnis dafür, auch angesichts der knappen Redezeit, daß ich hier im Zusammenhang weiter vortragen möchte.
Es entspricht doch einfach nicht den Tatsachen, daß Banken und Sparkassen, wie im Antrag der GRÜNEN behauptet, in zunehmendem Maße Kontoinhabern rigoros das Girokonto kündigen. Genau das Gegenteil ist doch der Fall. Dazu will ich Ihnen als Beispiel etwas zum allgemeinen Geschäftsgebaren der Berliner Sparkasse berichten. Diese richtet grundsätzlich für jeden Privatkunden ein Girokonto ein, unabhängig von seiner sozialen Situation. Auch negative Meldungen von der Schufa bei der Kontoeröffnung - das ist hier angesprochen worden - bedeuten keineswegs die zwangsläufige Schließung des Kontos. Stellt sich bei einem Gespräch mit dem Kunden heraus, daß er unverschuldet in eine wirtschaftliche Notlage geraten ist und sich um die Regulierung der Verbindlichkeiten bemüht, kann das Konto auf Guthabenbasis laufen. Guthabenkonten haben zwar gegenüber dem Standardangebot eingeschränkte Nutzungsmöglichkeiten. Das heißt, es wird kein Überziehungskredit gewährt, und es werden auch keine EC- und Kreditkarten ausgegeben. Doch sind sogar bei dieser Praxis Einzugsermächtigungen und Daueraufträge zugelassen. Ein Kunde, der eine Betreuung durch die „Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung Berlin" nachweisen kann, kann ohne weitere Prüfung des Sachverhalts ein Guthabenkonto zu den oben genannten Bedingungen führen.
Das sind die Fakten aus der täglichen Praxis. Die von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, angeführten Gründe wie etwa plötzliche Arbeitslosigkeit oder Krankheit - im übrigen weiß es die Bank im Zweifel gar nicht -, die angeblich von vornherein eine Kontoeröffnung unmöglich machen sollen oder zu einer entsprechenden Kündigung führen, weil der Kunde nicht mehr lukrativ für die Bank sei - so formulieren Sie es nahezu wörtlich -, haben doch mit der Realität nun wirklich nichts zu tun. Solche Anlässe reichen für eine Aufkündigung oder die Verweigerung eines Kontos nun wahrhaftig nicht aus. Lediglich dann, wenn es zu Mißbrauchstatbeständen kommt, muß der Betreffende mit einer Kündigung des Kontos rechnen. Dann sage ich: Das ist auch richtig so.
Nun prangern ja gerade die Kollegen von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die „bösen Banken" an und sonnen sich im Lichte der vermeintlichen Verbraucherfreundlichkeit. Was an der Umle-
Diethard Schütze
gung der zusätzlichen Kosten für Girokonten auf Guthabenbasis auf sämtliche Privatkunden, so wie im Antrag der GRÜNEN gefordert, verbraucherfreundlich sein soll, müssen Sie mir erst einmal erklären. Wenn umgekehrt Sanktionen bei eventuellen Verstößen der Banken gegen das geplante Gesetz bis hin zur Abberufung des Geschäftsführers gehen sollen, kann ich das nur als völlig unverhältnismäßig bezeichnen. Mit uns ist das jedenfalls nicht zu machen.
Meine Damen und Herren, das Vorgehen der Opposition macht doch nur eines deutlich: Diese Anträge sind Teil einer Strategie, die Banken an die Kette zu legen, sie in ihrer vermeintlichen Macht zu beschneiden und sie in ihrem Handlungsspielraum zu beschränken.
Der von Ihnen vorgesehene Kontrahierungszwang ist wieder ein Meines Stück Beschneidung der Privatautonomie - Kollege Steiger hat schon darauf hingewiesen -, und das ist genau das Gegenteil von dem, was man in einer freiheitlichen Gesellschaft anstreben sollte.
Die Sozialdemokraten lassen ja nun auch folgerichtig die Katze aus dem Sack, indem sie gestern einen neuen Antrag vorgelegt haben, der weit über das hinausgeht, was ursprünglich Gegenstand dieser Debatte sein sollte. Die Bundesregierung wird in dem Antrag aufgefordert, einen Gesetzentwurf zum Schutz des Girokontos vorzulegen. Der gesamte Bereich des Girokontos soll durch den Gesetzgeber reglementiert werden, um die Handlungsfreiheit der Banken weiter einzuschränken. Da sind solch unvertretbare Forderungen zu lesen wie ein Verbot des einseitigen Zugriffs der Banken auf das Girokonto, insbesondere bei Forderungen gegen ihre Kreditkunden. Nicht genug damit: Es werden zusätzlich Dinge verlangt, die in der Praxis bereits gang und gäbe sind und nicht durch den Gesetzgeber reglementiert werden müssen.
Kurzum, ich kann nur noch einmal mit allem Nachdruck wiederholen: Die Neigung der Opposition, alle Belange der Bürger in Gesetzesform zu zwingen, schafft zwangsläufig eine Kettenreaktion von neuen Folgegesetzgebungen. Wenn ich mir die vorliegenden Anträge ansehe, dann komme ich zu dem Schluß, daß wir uns über etwas Gedanken machen müssen, worüber Sie kein Wort verlieren.
Bankkonten können jederzeit bei Vorliegen entsprechender Urteile - das dürfte häufig zumindest bei dem Personenkreis der Fall sein, der eine negative Schufa-Auskunft aufweist - im Wege der Forderungspfändung bis auf den Pfändungsfreibetrag gepfändet werden. Und dann stehen die Leute da, denen Sie einen gesetzlichen Anspruch auf ein Girokonto bescheren wollen, und verstehen die Welt nicht mehr, weil sie wieder nichts mit ihrem schönen neuen Girokonto anfangen können, weil es nämlich gepfändet worden ist.
Also müßten Sie doch, wenn Sie folgerichtig denken, wenigstens in der Zivilprozeßordnung Regelungen darüber treffen, daß derartige Konten nicht mehr gepfändet werden dürfen. Aber auch das dürfte ein sehr fragwürdiger Schritt sein, wenn ich mir einmal die Gläubiger anschaue, die Forderungsausfällen in Millionenhöhe hinterherlaufen und dafür sicher wenig Verständnis aufbringen würden.
Wer setzt sich eigentlich für die Rechte dieser Gläubiger ein, damit sie z. B. schneller zu einer vollstreckbaren Urkunde kommen und nicht monatelang oder gar jahrelang auf ihr Geld warten müssen, wenn sie es denn überhaupt bekommen? Darüber sollten wir vielleicht hier an dieser Stelle auch einmal diskutieren.
Sie sehen also, Ihre Gesetzesanträge sind nicht nur überflüssig; sie sind auch unausgegoren.
Anstatt Ihre Energie auf derartig zweifelhafte Gesetzesanträge zu verschwenden, sollten Sie diese Energie lieber dafür einsetzen, Vorschläge zu entwickeln, wie die Schuldnerberatungen zu verbessern sind und wie unverschuldet in wirtschaftliche Not geratenen Personen besser geholfen werden kann. Ich bin sicher, daß würde uns alle wesentlich weiterbringen als diese Gesetzesanträge.
Auch das war eine Erstrede, zwar nicht überhaupt, aber in diesem Hause. Wir gratulieren Ihnen.
Und nun erteile ich der Kollegin Lieselott Blunck das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Herr Schütze, es ist schon abenteuerlich, was Sie hier für einen Redebeitrag geliefert haben. Ich denke, diese Anhörung ist dringend notwendig. Es gilt wirklich, für viele Dinge Nachhilfe zu geben, aber in einem Punkt gebe ich Ihnen ja recht. Ich finde es prima, daß Sie angeführt haben, Herr Clement aus Nordrhein-Westfalen habe noch einmal bestätigt, daß sich diese gesetzlichen Regelungen bei den Sparkassen bewährt haben. Ich finde es allerdings irgendwie merkwürdig, daß Sie dann zu dem Schluß kommen, daß die Sparkassen in dieser schlechten Wettbewerbssituation belassen werden sollen. Das ist doch wirklich geradezu eine Vorlage, dieses gesetzliche Vorhaben für die Sparkassen auf alle Kreditinstitute auszuweiten,
damit die Sparkassen gleiche Wettbewerbsbedingungen haben. Ich denke, das ist im Sinne jedes Kommunalpolitikers und vor allen Dingen im Sinne jedes Bürgers und jeder Bürgerin.
Lilo Blunck
Aller guten Dinge sind drei, meine sehr verehrten Damen und Herren. Dieses geflügelte Wort paßt zu der unendlichen Geschichte des Antrages „Privatgirokonto", denn wir verhandeln diesen Antrag wirklich das dritte Mal, jetzt allerdings in einer erneuerten und aktualisierten Form.
Schon in der 11. und 12. Legislaturperiode fand sich bei Ihnen von der Regierungskoalition leider keine Mehrheit, die sich für mehr Rechte und den Schutz privater Bankkunden einsetzte. Aber dieses Mal habe ich große Hoffnung, denn diese Wahlperiode trägt ja die Glückszahl 13, dieses Mal werden wir mit unserer Forderung nach gesetzgeberischem Handeln sicher erfolgreich sein.
Auch die Regierungsparteien haben doch wohl seit unserer letzten Debatte zum Privatgirokonto im Jahr 1992 dazugelernt. Die Fraktionen bestehen ja nicht nur aus Neulingen. Ich habe da doch noch eine Hoffnung.
Es kann nämlich nicht angehen, daß nur wir als Oppositionsparteien die Schreiben mit den Hilferufen von Bankgeschädigten bekommen. Läßt es uns nicht alle aufhorchen, wenn die privaten Banken gerade in den letzten Tagen „freiwillig" zusätzlich zu Herrn Dr. Parsch mit Herrn Bundschuh einen zweiten Ombudsmann benennen? - Das läßt doch nur den Schluß zu, es gibt eine ganze Menge von Konflikten zwischen den Banken und ihren Kunden.
Aber werden jetzt die Kontoinhaber von ihren Banken erstens darauf hingewiesen, daß es die Möglichkeit gibt, diesen Ombudsmann anzurufen, und werden sie zweitens darauf hingewiesen, daß diese Schlichtungssprüche bis zu einer Höhe von 10 000 DM für die Banken auch wirklich bindend sind? - Nein, denn es fehlt wirklich jeder dringend notwendige gesetzliche Druck.
Nicht nur daraus folgern wir: Es bedarf einer umfangreichen Gesetzgebung zum Schutze des Privatgirokontos, und das heute mehr denn je.
Auch im Verhältnis zwischen Kunde und Bank werden die Auswirkungen der Zweiklassengesellschaft immer deutlicher und immer gravierender. Das ist etwas, was diese Bundesregierung - das sage ich hier als sehr bittere Bemerkung - nicht nur billigend in Kauf nimmt; sie fördert es eher.
Machen Sie sich nichts vor: Die Leute, die in die Verschuldungsproblematik hineinrutschen, sind Leute, die auf Grund von Arbeitslosigkeit, auf Grund von Krankheit oder auf Grund von Trennung in den Schuldturm geraten. Insofern ist das keine Diskussion über die Verschuldung einzelner Individualisten.
Da gibt es jetzt Menschen mit Kredit, im wahrsten Wortsinne, nämlich diejenigen, die ein Girokonto haben, aber leider immer mehr Leute, denen ein Konto verwehrt oder denen es gar gekündigt wird - mit den wirklich sattsam bekannten Folgen für den einzelnen, aber auch mit den sattsam bekannten Folgen für die Kommunen, die nämlich Millionenbeträge allein für die Postbaranweisungen für Sozialhilfeleistungen aufbringen müssen.
Wir merken es alltäglich selbst: Bedingung für die reibungslose Teilhabe am ganz alltäglichen Leben ist das Konto. Ganz deutlich wird das beim Lohn- und Gehaltskonto; denn wenn das Einstellungsgespräch mit dem Arbeitsuchenden aufdeckt, daß für den zukünftigen Lohn keine Bankverbindung angegeben werden kann, ziehen potentielle Arbeitgeber oft ihr Arbeitsangebot zurück. So wird auf diese Weise das polizeiliche Führungszeugnis sicherlich bald überflüssig sein. Als Ersatz gilt dann das fehlende Gehaltskonto.
Kreditinstitute haben die Macht. Marktwirtschaft findet nicht statt. Es geht dem Kreditinstitut nicht darum, das Beste für den Konsumenten zu sein, sondern allenfalls der erste und einzige Anbieter eines bestimmten Produkts. Im übrigen hat das bei einer Bank-und-Macht-Anhörung ein Banker - wenn ich mich nicht ganz irre, war er von der Commerzbank - selber gesagt: Es geht genau darum, der erste Anbieter zu sein.
Das Massengeschäft halten die Banken im Augenblick für Peanuts, aber sie werden sich noch sehr wundem.
Bankenzusammenbrüche wie unlängst der der Londoner Barings Bank als Folge fehlgeschlagener Derivatgeschäfte füllen Schlagzeilen. Aber zusammengebrochene Banken werden irgendwie wieder aufgefangen. Wer interessiert sich für die „zusammengebrochenen" privaten Bankkunden? Wer fängt die „zusammengebrochenen" privaten Bankkunden auf? Es ist doch wohl unsere Pflicht, uns dieser ganz individuellen Ohnmacht von Kunden gegenüber Banken anzunehmen, denn diesen Menschen haben wir alle hier im Hause unser Mandat zu verdanken.
Gegenüber Kreditinstituten gibt es eine Ohnmacht, und diese Ohnmacht betrifft nicht nur Menschen ohne Konto. Es geht leider viel weiter; denn für Kontoinhaber gilt die sogenannte Wohlverhaltenspflicht. Das Kreditinstitut hat nach wie vor das Recht, ohne jede Angabe von Gründen das Konto zu kündigen mit zum Teil wirklich dramatischen Folgen für den Kunden.
Wir fordern den rechtlichen und faktischen Kündigungsschutz für das Bankkonto. Keine Geschäfte mit meinen Daten als Bankkunde! Auch für Banken muß selbstverständlich der Pfändungsschutz von Arbeits- und Sozialeinkommen gelten, und zwar in der Praxis, nicht nur in der Theorie. Der Selbstbedienungsmentalität der Institute muß ein Riegel vorgeschoben werden. Auch Banken sollten sich nicht zu schade sein, einen Pfändungsbeschluß zu erwirken.
Marktwirtschaft funktioniert nur mit einem informierten Kunden. Warum fürchten die Banken eigentlich die Transparenz, die Kostenvergleichbarkeit, klare und eindeutige Begriffe? Man sollte doch meinen, sie hätten nichts zu verbergen.
Lilo Blunck
Meine Damen und Herren, die Allmacht von Banken zeigt sich in immer raffinierteren Schlupflöchern. Laut einem Urteil des Bundesgerichtshofes dürfen keine Gebühren für bare Ein- und Auszahlungen auf privaten Girokonten erhoben werden. Was machen die Kreditinstitute? Sie berechnen einfach Buchungspostengebühren. Erneut muß ein Gericht entscheiden. Laut Amtsgericht Krefeld dürfen auch diese in Buchungsposten versteckten Gebühren für Bareinzahlungen und Barabhebungen auf Lohn- und Gehaltskonten nicht erhoben werden.
Erlauben Sie mir nun wirklich zwei ganz klitzekleine Fragen am Rande. Wo war denn hier das vielgepriesene Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen? Werden die Banken ihre Kunden über diese Rechtsprechung informieren und gar die zuviel berechneten Buchungspostengebühren erstatten? Ich wette, daß das nicht passieren wird.
Um der Marktwirtschaft willen: Bankenübermacht muß gestoppt werden - dabei liegt die Betonung auf „Bankenübermacht". Das heißt: Verbrauchermacht muß gestärkt werden.
In diesem Sinne wünsche ich eine gute Beratung der Gesetzentwürfe und des Antrags, hoffentlich mit einem positiven Ergebnis.
Nun spricht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Faltlhauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Zustandsbeschreibung und der Analyse sind wir uns einig: In der täglichen Praxis wird ein Girokonto benötigt. Der bargeldlose Zahlungsverkehr gehört zum täglichen Brot aller. Es ist gewissermaßen ein Stück Existenzminimum, ein Girokonto zu haben.
Richtig ist - das betone ich -, daß das Nichtvorhandensein eines Girokontos ein Stück Stigmatisierung ausmacht, eine etwaige Außenseiterrolle verstärkt. Die Zahl der „Problemfälle" ist nicht groß: Von etwa 70 Millionen Privatkonten gibt es, wie Sie analysiert haben - wir stehen dieser Zahl nicht fern -, etwa 500. Es ist auch nicht zu billigen, daß in manchen Fällen unter Hinweis auf negative Schufa-Auskünfte usw. ein Girokonto abgelehnt wird.
Wenn wir uns also in dieser Analyse einig sind, dann eignet sich dieses Thema eigentlich nicht zu solch dramatischen Ausdrücken wie „Bankenmacht" auf der einen Seite und „Verbrauchermacht" auf der anderen Seite. Wir müssen vielmehr den vernünftigen und richtigen Weg finden, wie wir diesen Zustand verbessern können.
Wir haben in bezug auf unsere Analysen den Beistand von großen mächtigen Verbänden. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband und die Volks- und Raiffeisenbanken haben öffentlich ganz deutlich erklärt: Wir räumen das Recht auf ein Girokonto ausdrücklich ein. Natürlich stehen z. B. für die Sparkassen die entsprechenden Ländergesetze im Hintergrund; das ist richtig. Hier werden wir fortfahren.
Meine Damen und Herren, das Finanzministerium steht im Gespräch mit den entsprechenden Verbänden und Banken. Wir werden am 22. Mai unser Gespräch mit dem Zentralen Kreditausschuß fortsetzen. Ich erhoffe mir bei der Realisierung unserer Ziele einen wesentlichen Schritt nach vorn. Ich glaube, daß es im Interesse der Kreditwirtschaft sein müßte, bei einem Defizit Abhilfe zu schaffen.
Das Girokonto war etwas - da hat Herr Bury durchaus recht -, was in der Vergangenheit von den Banken sehr stark forciert wurde; ich erinnere mich gut daran. Daraus ergibt sich eine gewisse Verpflichtung.
Wir wollen in diesem Gespräch mit der gesamten Kreditwirtschaft eine freiwillige Lösung vorantreiben. Wir geben einer solchen Lösung eindeutig den Vorzug, da wir glauben, daß es vor dem Hintergrund der Normenvielfalt nicht notwendig ist, ein Gesetz zu verabschieden,
zumal die gesetzlichen Vorstellungen, die Sie, Herr Kollege, formuliert haben, bei genauerem Hinsehen natürlich nicht ausreichen. Sie können eine Frage nach der anderen nicht beantworten. So kommen Sie schrittweise zu weiteren Perfektionierungen.
Wir brauchen keine solche Normenflut. Wir geben nach dem Subsidiaritätsprinzip der freiwilligen Lösung den Vorzug.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bury?
Aber selbstverständlich.
Herr Faltlhauser, verstehe ich Sie recht, daß die Bundesregierung, wenn sie mit dem Zentralen Kreditausschuß verhandelt, das Ziel verfolgt, daß sich nicht nur einzelne Institutsgruppen, sondern die Kreditwirtschaft insgesamt einer Selbstverpflichtung zum Angebot eines Girokontos für jeden Kunden und jede Kundin unterzieht?
Zum zweiten. Sind wir uns denn, nachdem Sie gesagt haben, das Girokonto sei für Sie ein Stück Existenzminimum, bei dem bisher gemeinsamen Sozialstaatsverständnis dieses Hauses darin einig, daß dann der Staat gefordert ist, dieses Existenzminimum zu gewährleisten, falls es zu dieser freiwilligen Selbstverpflichtung der gesamten Kreditwirtschaft nicht kommen sollte?
Sie sind mir mit Ihrer Frage etwas vorweggeeilt. Ich wäre darauf noch eingegangen.
Natürlich meinen wir die gesamte Kreditwirtschaft, wenn wir über dieses Thema Gespräche führen. Die Erklärungen des Sparkassen- und Giroverbandes sowie der Volks- und Raiffeisenbanken liegen uns bereits vor. Unsere Bestrebungen sind darauf gerichtet, auch die privaten Banken in eine entsprechende vernünftige Vereinbarung mit einzubinden. Natürlich besteht eine besondere Verpflichtung von Sparkassen; die öffentliche Hand ist beteiligt.
Damit komme ich wieder zurück zu meinen Ausführungen, Herr Kollege. Natürlich ist es so, daß wir - wie von den Kollegen schon dargelegt wurde - sehr zurückhaltend damit sind, ohne Not gesetzlich in private Vertragsverhältnisse einzugreifen und sie vorherzubestimmen. Die Formulierung „ohne Not" ist sicherlich angemessen, weil signalisiert worden ist, daß wir zu einem Ergebnis kommen können.
Wir meinen - damit beantworte ich auch den zweiten Teil Ihrer Frage -, daß die Debatte in diesem Haus der Freiwilligkeit förderlich sein kann. Es wäre überzogen, würden Sie jetzt interpretieren, daß es sich um eine versteckte Drohung handelt. Das ist mit Sicherheit nicht der Fall.
Aber es ist sicherlich nicht falsch, daß wir über dieses Problem sprechen.
Wir, meine Damen und Herren, wollen ein Girokonto zwar für jedermann, aber wir wollen kein Girokonto durch Gesetz. Die Kreditwirtschaft ist aufgerufen, eine vernünftige und an die Realitäten dieser Welt angepaßte Regelung selbst zu finden, und zwar in einem Gespräch mit uns und auch in einem Gespräch innerhalb der verschiedenen Gruppierungen der Kreditwirtschaft.
Ich bin zuversichtlich, daß wir in den nächsten Wochen und Monaten wesentliche Schritte vorankommen werden.
Ich bedanke mich.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/351, 13/856, 13/137 und 13/ 1306 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgeschlagen. Die Federführung soll jeweils beim Finanzausschuß liegen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 12. Mai 1995, 9.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.