Rede von
Margareta
Wolf-Mayer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zu der Vorstellung unseres Gesetzentwurfes zum Recht auf ein Girokonto komme, möchte ich die Gelegenheit nutzen und die Ergebnisse des Deutschen Sparkassentags, der in Hannover heute zu Ende gegangen ist, ausdrücklich begrüßen.
Immer mehr Menschen - es sind inzwischen zwischen 500 000 und 1 Million, so die Schätzung - wird durch Kreditinstitute die Eröffnung eines Girokontos verweigert oder ein bestehendes Girokonto gekündigt. Hiervon sind in erster Linie Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, zunehmend aber auch Menschen mit einem sogenannten nicht regelmäßigen Einkommen, z. B. Künstlerinnen und Künstler und Publizistinnen und Publizisten, betroffen.
Ich denke, daß wir uns in diesem Hohen Hause über folgende Punkte einig sein sollten und auch einig sind: Erstens. Das private Girokonto gehört in der Bundesrepublik Deutschland seit Anfang der 80er Jahre zu einer der elementaren Grundvoraussetzungen für die Teilnahme am öffentlichen Leben.
Zweitens. Ganz alltägliche notwendige monatliche Zahlungen - gemeint sind z. B. Mietkosten, Strom- und Wasserrechnungen, Telefonrechnungen, Versicherungsrechnungen; Sie kennen das alle - über Barzahlungen zu tätigen ist mit einer zusätzlichen monatlichen Belastung von ca. 50 DM verbunden, von dem zeitlichen Aufwand einmal ganz abgesehen.
Drittens. Es ist auch klar, denke ich, daß die Verweigerung eines solchen Kontos für die Betroffenen nicht nur erhebliche psychische Probleme zur Folge hat, sondern auch zu einer Stigmatisierung auf dem Wohnungsmarkt und dem Arbeitsmarkt mit all den bekannten Folgen führen kann. Lohn und Gehalt können heute fast ausschließlich nur noch bargeldlos ausgezahlt werden, so daß von der Caritas und den Schuldnerberatungen wie auch von den Gewerkschaften festgestellt wurde, daß ein Nichtvorhandensein eines Girokontos das Zurückkehren ins Erwerbsleben ganz erheblich erschwert. Wir halten das für unzumutbar.
Viertens. Die Barauszahlung von Sozialleistungen ist mit erheblichen Mehrbelastungen für die Sozialdezernate und Sozialämter und somit letztlich für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler verbunden.
In einer Stadt von der Größenordnung Kölns oder Frankfurts bedeutet die Praxis der Barauszahlung eine zusätzliche Haushaltsbelastung von ca. 1 Million DM pro Jahr, und das in Zeiten, in denen es erstens - wir haben es in der vorgehenden Debatte gehört - den kommunalen Haushalten sowieso immer schlechter geht und zweitens über die Einführung von Datenverarbeitungssystemen die technischen Möglichkeiten bestehen, auch über den bargeldlosen Zahlungsverkehr den öffentlichen Dienst erheblich zu verschlanken und zu effektivieren. Bei Nichtvorhandensein kann dieses System überhaupt nicht genutzt werden.
Auf dem heute zu Ende gehenden Sparkassentag haben die Sparkassen das Recht auf ein Girokonto für jedermann eingeräumt. In der letzten Woche hat auch der Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken die Zusage gegeben, Konten für sozial Schwache einzurichten.
- Sie können ja nachher dazu etwas sagen, Herr Weng.
Jetzt sperren sich dieser Selbstverpflichtung nur noch die privaten Banken. Ich habe mit den privaten Banken ein langes Gespräch geführt. Sie sagen, sie sähen die Aufgabe bei den öffentlichen Banken. Ich denke, wir können keine Banken erster und zweiter Klasse in diesem Land haben wollen.
Margareta Wolf
Freiwillige Vereinbarungen - damit wir uns nicht mißverstehen - sind für mich ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Wirtschaftsordnung. Der Gesetzgeber ist nicht allmächtig; er kann und er sollte nicht alles regeln. Um dem Recht auf ein Girokonto tatsächlich zur Durchsetzung zu verhelfen, braucht es daher ein ausgeprägtes Problembewußtsein seitens der Öffentlichkeit und die Bereitschaft der Banken, und zwar aller Kreditinstitute. Ich bin dennoch der Meinung - ich habe darüber in den letzten Wochen und Monaten sowohl mit den privaten als auch mit den öffentlichen Banken sowie mit Sozialdezernenten, Schuldnerberatungen und der Caritas gesprochen -, daß wir nach wie vor eine gesetzliche Regelung für alle Kreditinstitute brauchen, und zwar aus folgenden Gründen:
Die Diskussionen der letzten Wochen haben gezeigt, daß erst die Androhung einer gesetzlichen Regelung die Voraussetzung dafür zu schaffen scheint, daß sich über freiwillige Selbstverpflichtungen seitens der Banken überhaupt ernsthaft Gedanken gemacht werden. Sie alle wissen, daß die Verbraucherverbände, Schuldnerberatungsstellen und auch kirchlichen Verbände bereits seit Jahren darauf hinweisen. Die verschiedenen Initiativen, z. B. unser Gesetzentwurf, der SPD-Gesetzentwurf, die angekündigte Bundesratsinitiative des Landes Hessen und schließlich auch die gestrige Erklärung des niedersächsischen Ministerpräsidenten vor dem Sparkassentag, waren notwendig, um das gesamte Vorhaben weiter zu forcieren, damit die freiwilligen Absichtserklärungen von Banken überhaupt zustande kamen.
Meine Damen und Herren, für mich gibt es zwei sehr wichtige Gründe für eine gesetzliche Regelung. Der erste Grund dafür, einen Rechtsanspruch für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen, ist, daß wir einen Weg eröffnen müssen, damit sie sich mit juristischen Mitteln gegen die Verweigerung eines Kontos wehren können.
Der zweite Grund: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes greift das Sozialstaatsprinzip auch im Bereich des Privatrechtes, also auch im Bereich der Vertragsfreiheit, und berechtigt damit grundsätzlich zu Eingriffen, wenn eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils vorliegt und diese Unterlegenheit zu einer schwerwiegenden Belastung führt. Warum das so ist, habe ich dargelegt. Diese Argumentation - das teilen Juristen ebenso wie die Verbände - ist umstandslos auf den Zugang zum Girokonto zu übertragen. Ich verweise auf die Kfz-Versicherung; auch dieses privatvertragliche Verhältnis ist gesetzlich geregelt.
Das Sozialstaatsprinzip zu schützen - das richte ich an Sie, Herr Faltlhauser, und auch an die F.D.P., weil ich von ihr im Rahmen dieser Debatte überhaupt noch nichts gehört habe - -
- Sie sind jetzt noch dran, gut. Aber es haben sich einige zu diesem Thema geäußert, und von Ihnen habe ich noch nichts gehört. Ich freue mich schon darauf, von Ihnen gleich etwas dazu zu hören.
Das Sozialstaatsprinzip zu schützen ist Aufgabe der Politik in einer Sozialen Marktwirtschaft. Die Vertragsfreiheit über das Sozialstaatsprinzip zu stellen würde nichts anderes als die Abkehr von der Sozialen Marktwirtschaft bedeuten. Die Gefahren einer solchen Entwicklung hat Heiner Geißler in seinem Buch hinreichend und gut beschrieben; ich verweise deshalb ausdrücklich auf ihn und bitte Sie alle ganz eindringlich, fraktionsübergreifend mit dafür zu sorgen, daß die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben auch für sozial Schwache gewährleistet wird. Dazu gehört für meine Begriffe heutzutage das Recht auf ein Girokonto.
Wichtig ist uns, daß es eine einklagbare Grundlage für die betroffenen Menschen in diesem Land gibt, die ihnen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben auch tatsächlich ermöglicht.
Lassen Sie mich abschließen mit einem Zitat:
Der Mangel an inhaltlicher Klarheit produziert die Gefahr des Rückfalls in den Wirtschaftsliberalismus. Die heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse und die Interessen der Menschen verlangen eine Integration der Wirtschafts-, Finanz-, Umwelt- und Sozialpolitik.
Es könnte eine programmatische Aussage vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sein. Es wurde aber wiederum Heiner Geißler zitiert.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, unseren Antrag im Laufe des Verfahrens zu unterstützen. Meine Fraktion wird in den beteiligten Ausschüssen eine Anhörung zu diesem Thema beantragen. Wir haben das auch schon mit den Verbänden diskutiert. Alle haben ein Interesse daran. Im Sinne der Menschen sollten wir das machen.
Danke schön.