Rede von
Tilo
Braune
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegen der Koalition haben uns hier sehr schöne allgemeine hochschulpolitische Gedanken zu Gehör gebracht. Ich habe aber das Gefühl, daß sie ein wenig am heutigen Thema vorbeigingen und daß es kein Zufall ist, daß man sich allgemein über verschiedene Handlungsbedarfe im Hochschulbereich unterhält; denn das ist immerhin weniger konkret als die vorliegenden Gesetzestexte, die sich zumindest in den Gedanken, die Herr Laermann hier geäußert hat, nicht wiederfinden.
Warum das so ist, wird relativ schnell klar; denn BAföG könnte man auch „die unendliche Geschichte" oder „das ungeliebte Kind" der Bundesregierung, „das lästige Überbleibsel" der sozialliberalen Koalition nennen. Am BAföG zeigt sich plastisch, wer wie zur Bildung und damit letztendlich zur Zukunft unseres Landes steht.
Zukunftsminister Rüttgers zumindest scheint damit seine Probleme zu haben, war er es doch, der als Mitglied des Vermittlungsausschusses den Kompromiß 1994 maßgeblich mit aushandelte.
Dann aber nahm ihm seine eigene Fraktion, deren Parlamentarischer Geschäftsführer er immerhin war, diesen vernünftigen Kompromiß weg.
Die Hoffnungen der Studenten auf wenigstens einen kleinen Schritt in die richtige Richtung waren damit zerstört. Man ließ sie weiter im Regen stehen.
Wenn das die Durchsetzungsfähigkeit ist, mit der Herr Rüttgers die Zukunft unseres Landes gegen die reichlich vorhandenen Bildungs- und Forschungsignoranten in den eigenen Reihen gestalten will, dann sehe ich schwarz, und das im doppelten Sinne.
Daß dieses peinliche Prozedere darüber hinaus das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik weiter mindert und dadurch Politikverdrossenheit neuen Nährboden erhält, sei hier nur am Rande erwähnt.
Geld zumindest gab es nicht. Nun versucht die Bundesregierung, auf dem Rücken der sozial Schwachen für ein Jahr die Ausgaben zu sparen. Aber nicht nur um Finanzen geht es hier. Deutlich wird vielmehr eine Grundintention konservativer Bildungspolitik: Bildung vorzugsweise für Eliten, und seien es Geldeliten.
Tilo Braune
Kinder von Eltern mit niedrigerem Einkommen werden systematisch aus der Chance zur höheren Bildung herausgedrängt.
Die Ratlosigkeit der derzeitigen Koalition bei der Lösung der drängenden Probleme der deutschen Hochschulen wird hier meiner Meinung nach nur zu deutlich.
- Durchaus; aber wir reden hier im Bundestag. - Kein Konzept für deren Zukunft; eine angemessene finanzielle Ausstattung vor allem bei Forschung und Hochschulbau ist nicht in Sicht. Statt dessen setzt man die Daumenschrauben an, forciert eine soziale Selektion der Studierenden und will dann auch noch einen zweiten Leistungsnachweis nur für BAföG- Empfänger einführen. Herr Laermann, darum geht es in diesem Kontext. Die Botschaft der Bundesregierung: Kinder einkommensschwacher Familien, bleibt zu Hause, sucht euch einen nichtakademischen Beruf! Wir definieren selbst, wer nach Ansicht der CDU und der CSU das Recht auf Bildung hat.
Betrüblich ist hier die Haltung des kleinen Koalitionspartners, der sich offensichtlich von früheren liberalen Bildungsvisionen längst verabschiedet hat, auf eigenständiges Agieren trotz schöner Reden verzichtet und sich scheinbar nur noch als Mehrheitsbeschaffer versteht.
Die vorgestern vorgestellte Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes macht die Lage deutlich. Nehmen wir nur die Schlagzeilen der dpa-Meldung vom 9. Mai:
Immer weniger Studenten erhalten BAföG - Eltern müssen tiefer in die Tasche greifen - Studium vor allem bei Beamtenkindern populär.
Seit Machtübernahme der derzeitigen Koalition 1982 sank der Anteil der studierenden Arbeiterkinder von 23 % auf 15 %; von 100 Beamtenkindern jedoch studieren heute 65. Dieser Prozeß ist erklärbar, stiegen doch die durchschnittlichen monatlichen Ausgaben der Studenten in den alten Bundesländern in den letzten drei Jahren von 1 086 DM auf 1 231 DM, die der Studenten in den neuen Bundesländern von 581 DM auf 847 DM. Das heißt: Ohne Elternhilfe oder Jobben kann man in dieser Republik nicht studieren.
Mittlerweile arbeiten zwei Drittel aller Studenten nicht nur in den Ferien, sondern auch während des laufenden Semesters. Dies allerdings, wie Frau Yzer es vorgestern praktizierte, lediglich als der Verbesserung des Lebensstandards dienend zu interpretieren verharmlost fatal die Lage, geht am Thema sträflich vorbei.
Fakt ist doch vielmehr, daß gerade im Bereich der
Einkommensschwachen die kompensierende Unterstützung der Eltern nur begrenzt möglich ist, Hinzuverdienst hier also als essentielle Notwendigkeit der Lebensgrundsicherung und damit der Studierfähigkeit angesehen werden muß. Offensichtlich ist die Staatssekretärin während ihres noch gar nicht so lange zurückliegenden Studiums mit einer sozialen Filzbrille umhergelaufen.
Daß Jobben Zeit kostet, die beim Studieren fehlt, dürfte klar sein, auch, daß BAföG-Empfänger ihr Studienziel im Schnitt zwei Semester früher erreichen. Aussage des Generalsekretärs der Hochschulrektorenkonferenz, Dr. Lange, bei der gestrigen Anhörung im Ausschuß:
Die nicht angemessene Steigerung des BAföG muß als externe Studienzeitverlängerung angesehen werden.
Wie aber verträgt sich das mit der immer wieder beschworenen Absicht der Bundesregierung, die Studienzeiten zu verkürzen? Besonders deutlich zeigt sich die beklagenswerte Situation in den neuen Bundesländern. Zwar sind hier die elterlichen Einkommen in den vergangenen Jahren gestiegen, doch die Möglichkeit des Zuverdienstes besteht auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit kaum.
Im Lichte dieser Fakten verwundert die Bildungsbeteiligung am Hochschulstudium mit 21 % in den neuen Bundesländern gegenüber 32 % in den Altländern nicht. Dies macht nur zu deutlich, wie sich die soziale Lage unmittelbar auf die Chance zur Teilnahme an der höheren Bildung auswirkt.
Zusätzlich treibt die miserable Wohnungssituation die Miete für die Studenten in die Höhe. Wir haben hier eine gegenläufige Entwicklung von einerseits steigenden Kosten und andererseits mangelnden Möglichkeiten zum Zuverdienst. 34 % seiner Mittel muß der durchschnittliche deutsche Student heute für seine „Bude" ausgeben. Neben der Forderung nach einer deutlichen Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge um mehr als 4 % - und dies mit Beginn des Haushaltsjahres 1995 - zeigt sich hier zusätzlich der dringende Bedarf nach einer umgehenden Gleichstellung ost- und westdeutscher Studierender.
Der Betrag nach der Härteverordnung sollte auf mindestens 150 DM angehoben werden. Interessant erscheint der Vorschlag der GEW, nach Vorbild der Tarifpartner bei Nichteinigung über rückwirkende Anhebung von Leistungen durch eine Einmalzahlung zu einem Ausgleich von Kaufkraftverlust zu kommen. Auch die BAföG-Erhöhung an die Entwicklung der Renten zu koppeln hat durchaus einen gewissen Charme.
Die zu späte und zu gering ausfallende Anpassung des BAföG mit einem zweiten Studienstandsnachweis zu verknüpfen ist nach meiner Meinung nicht nur unzulässig, sondern auch völlig unsinnig. Bemerkenswerterweise war es gestern gerade der Vertreter des RCDS, der darauf hinwies, daß niemand wisse, was ein zweiter Studienstandsnachweis eigentlich bedeute, und daß bei einer derzeitigen Quote von Studienabbrechern nach dem dritten oder vierten Seme-
Tilo Braune
ster der ganze Aufwand für nur ca. 0,5 % bis maximal 1 % der Studierenden betrieben werde.
Und dafür kämen etwa 50 000 zusätzliche Prüfungen auf die Hochschulen zu. - Hier schießt doch jemand mit Kanonen auf Spatzen. Wir brauchen keinen sozialen Numerus clausus, vom Verschleudern akademischer Ressourcen und dem nicht hinnehmbaren Eingriff in die Selbstverwaltungsrechte der Hochschulen ganz zu schweigen. Überschrift: Aktionismus versus sinnvolle, notwendige und durchdachte Studienstrukturreform.
Was also ist zu tun? Wir brauchen eine zumindest auf Jahresbeginn bezogene über vierprozentige Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge, eine Erhöhung des Betrags nach der Härteverordnung auf wenigstens 150 DM, keine Verquickung der BAföG-Regelungen mit Eingriffen in landeshoheitliche Regelungskompetenzen. Allen erneuten Ambitionen der Bundesregierung zur Umstellung des BAföG auf Volldarlehen erteilen wir Sozialdemokraten eine klare Absage.
Ich fordere die Bundesregierung auf, die unwürdige BAföG-Feilscherei endlich zu beenden und umgehend einer an den Bedürfnissen der Empfänger orientierten fairen Lösung des Problems zuzustimmen. Soziale Leistungsgesetze dürfen nicht länger als Steinbruch orientierungsloser konservativer Finanzpolitik mißbraucht werden.
Vielen Dank.