Rede von
Albert
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Himmel über Berlin ist Gegenstand unseres Antrags und Gegenstand der nächsten halben Stunde dieser Debatte.
- Leider, Herr Kollege Conradi, ist er nicht bevölkert von engelsgleichen Wesen wie in dem wunderbaren Film von Wim Wenders, sondern Verkehrsraum des Flugverkehrs mit allen seinen Folgen, mit den Schadstoffen, mit den Lärmbelastungen, mit den Klimaschäden und hier vor allem mit enormen Infrastrukturkosten.
Nach 1989 ist der Himmel über Berlin offenbar zum Spekulationsobjekt gigantomanischer Planer und miserabler Rechner geworden. Denn in hochfliegenden Träumen phantasierten die Herren von der Berlin-Brandenburg-Flughafen-Holding von jährlich mindestens 25 Millionen, vielleicht sogar bis zu 60 Millionen Fluggästen in Berlin zu Beginn des nächsten Jahrhunderts. Sie verlangten ein neues Drehkreuz ohnegleichen, eine Supernova am Firmament des europäischen Flughafenhimmels - Gesamtkosten: ca. 10 bis 15 Milliarden DM.
Doch auf diese hochfliegenden Träume folgte die Bauchlandung der finanzpolitischen Ernüchterung. Denn am 13. Februar dieses Jahres veröffentlichte „Der Spiegel" erstmals einen Teil eines Gutachtens des Bundesrechnungshofes, der dieses Projekt einmal ganz nüchtern durchgerechnet hat. Jeder zweite Satz dieses Prüfberichtes ist eine schallende Ohrfeige für die großkotzige Flughafenplanung des Bundes und der Länder Berlin und Brandenburg.
Die Quintessenz des Rechnungshofberichtes läßt sich in drei Aussagen zusammenfassen:
Erstens. Nur die Umwandlung von 111 Millionen DM an Gesellschafterdarlehen, davon 29 Millionen DM aus der Bundeskasse, in Eigenkapital - damit praktisch ein Geschenk - hat 1994 die Flughafenholding vor dem Konkurs gerettet. Für eine wirkliche Sanierung müssen bis Ende 1996 nochmals Mittel in der Größenordnung von 1,2 Milliarden DM aufgebracht werden.
Zweitens. Das bisherige Vorgehen der Holding bei den getätigten Grundstücksgeschäften, nämlich beim Ankauf der vorgeblichen Ausbauflächen Schönefeld-Ost, die, wie die Herren Planer erst hinterher bemerkten, für das Projekt gar nicht gebraucht werden, stellt eine besonders krasse Form des zumindest fahrlässigen Umgangs mit öffentlichen Mitteln dar, der im Ergebnis bereits zu einem Verlust von fast einer halben Milliarde DM zu Lasten der öffentlichen Hand führte.
Die BBF-Holding hat sich damit als vertrauenswürdige Planungsinstanz selber diskreditiert und demontiert. Der Aufsichtsrat - das müssen sich auch die Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat sagen lassen - hat ganz offensichtlich seine Aufsichtspflicht an dieser Stelle nicht ausreichend wahrgenommen. Auch hierzu noch einmal ein Zitat aus dem Bundesrechnungshofgutachten:
Der Bund sollte bei seinen Vertretern im Aufsichtsrat verstärkt auf die Einhaltung von Kontrollpflichten drängen und darauf achten, daß die BBF-Holding ordentlich wirtschaftet.
Deutlicher kann man es eigentlich nicht mehr sagen, ohne unhöflich zu werden.
Drittens. Schon die Ausgangsdaten der Großflughafenplanung sind in höchstem Maße angreifbar und unrealistisch. Denn während im letzten Jahr beispielsweise der Flughafen Frankfurt einen Zuwachs der Zahl der Passagiere um 8 % zu verzeichnen hatte, ist die Fluggästezahl auf den drei bisherigen Berliner Flughäfen trotz Hauptstadtbonus eher stagnierend. Von der erwarteten Verdreifachung der Fluggästezahl bis zum Jahre 2010 kann überhaupt keine Rede sein. Folgerichtig bestätigt der Bundesrechnungshof auch unsere bereits im Berliner Abgeordnetenhaus vorgetragene Kritik. Die tatsächliche Bedarfsentwicklung in Berlin rechtfertigt nämlich einen neuen Großflughafen auf der grünen Wiese bzw. im grünen Wald in gar keiner Weise.
- Berlin und Brandenburg; ich rede von zwei Standorten.
Demnächst wollen der Bundesverkehrsminister, der Regierende Bürgermeister von Berlin und der Ministerpräsident von Brandenburg nochmals zu einem Spitzengespräch zusammentreffen, um gemeinsam eine endgültige Standortentscheidung zu fällen. Ich möchte den geschätzten Herren für ihr Spitzengespräch folgende Überlegungen mit auf den Weg geben.
Wer heute noch, nach dem Vorliegen mehrerer einschlägiger Gutachten zur Frage der Wirtschaftlichkeit - nicht nur der Bundesrechnungshof hat hierzu geschrieben -, Sperenberg als Standort ernsthaft favorisiert, geht nicht nur ohne Not mit der Kettensäge
Albert Schmidt
auf 22 Millionen Bäume los, versiegelt nicht nur 400 Hektar Natur, sondern führt auch den Bund in ein Finanzabenteuer, das nur in einem Desaster enden kann.
Denn allein die Herstellung der Verkehrsanbindung in Sperenberg würde den Bund wenigstens 1,8 Milliarden DM kosten, während der bestehende Standort Schönefeld bereits einen S-Bahn- und einen Fernbahnanschluß hat und mit einer weiteren U- Bahn-Station angebunden werden könnte.
Es nützt übrigens in diesem Zusammenhang auch nichts, daß die Erschließungskosten für Sperenberg in jüngster Zeit von interessierten Kreisen um etwa 500 Millionen DM heruntergerechnet werden. Ich möchte eine Gegenrechnung aufmachen. Im Untersuchungsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses hat kürzlich ein Zeuge so nebenbei geoutet, daß 40 % der jetzt bestehenden Verkehrsfläche des Flughafens Schönefeld, so wie er existiert, bereits an Private verkauft sind, so daß diese Flächen - entgegen den bisherigen Planungen - bei einem späteren eventuellen Umzug nach Sperenberg nicht ein zweites Mal verkauft werden und mithin auch keinen Verkaufserlös mehr erbringen können.
Aber in Wahrheit geht es längst nicht mehr um die Standortfrage „Schönefeld oder Sperenberg/Brandenburg?". Es geht um die schlichte Einsicht, daß der Bund überhaupt die Finger von einem Großflughafenneubau lassen sollte. Nochmals mit den Worten des Rechnungshofes ausgedrückt:
Es ist nicht verantwortbar, auf dieser Grundlage einen Ausbau zu planen, der mit unkalkulierbaren finanziellen Risiken in Milliardenhöhe verbunden ist.
Herr Wissmann wird für ein an finanziellen Altlasten krankendes, offensichtlich überdimensioniertes und damit unwirtschaftliches Projekt auch keine privaten Investoren finden, die er sich so sehr wünscht; denn private Investoren wollen Rendite und nicht Bankrott.
Es geht des weiteren um eine Grundsatzentscheidung, um die sich diese Bundesregierung seit Jahren herumdrückt: Wieviel Flugverkehr wollen wir, in der Hauptstadt wie in der ganzen Republik, eigentlich mit dieser falschen Politik noch zulassen, wieviel Fluglärm und Klimaschädigung durch die fortgesetzte Mineralöl- und Mehrwertsteuerbefreiung auch noch staatlich subventionieren, weil diese Regierung den Mut nicht hat, das Problem des wachsenden Flugverkehrs an der Wurzel zu packen?
Die ökologisch längst überfällige und ökonomisch vernünftige Frage, der sich die Herren bei ihrem Spitzengespräch zuwenden sollten, lautet: Wann und wie stoppen wir endlich das ungebremste Anwachsen des klimaschädlichen Flugverkehrs, und wann und wie verlagern wir erhebliche Anteile auf die Schiene? Das Potential dafür ist da: Sechs von den zehn Millionen Berliner Fluggästen, die es dort derzeit gibt, also 60 %, sind im Inlandsluftverkehr unterwegs. Dieser Anteil kann und muß im wesentlichen auf die Schiene verlagert werden. Die restlichen vier Millionen Fernfluggäste lassen sich am bestehenden Standort Schönefeld bequem abfertigen. Da können Sie sogar kurzfristig Tempelhof und mittelfristig auch Tegel schließen und haben dann immer noch Reserven.
Einen wichtigen Beitrag zu dieser Verkehrsverlagerung wird sicher auch die verbesserte Schienenanbindung Berlins auf den Bahnstrecken Richtung Hannover, Hamburg und Nürnberg leisten, die wir als Ausbaumaßnahmen ausdrücklich befürworten. Aber auch hierbei sollte sich diese Regierung für ein landschaftsangepaßtes, umweltverträgliches, realisierbares und bezahlbares Ausbaukonzept entscheiden, anstatt, wie bei der ICE-Trasse über Erfurt, an einem Acht-Milliarden-Monstrum festzuhalten, das in den nächsten zehn Jahren ohnehin kein Mensch wird bezahlen können. Aber man will ja dort unbedingt mit dem Kopf durch die Wand, auch wenn nebenan eine Tür ist.
Einen noch größeren Umsteigeeffekt wird man erzielen können, wenn endlich die richtigen politischen Rahmenbedingungen für den Flugverkehr gesetzt sind: Verteuerung der Flugtickets durch Einführung der Kerosinsteuer und der Mehrwertsteuer und Abbau der direkten staatlichen Zuwendungen für den klimaschädlichen Flugverkehr, auch Abbau der direkten staatlichen Zuwendungen für den Bau neuer Flughäfen.
Ich fasse zusammen, mit einem Wort: Notlanden! Meine Herren Verkehrsminister und Ministerpräsidenten, notlanden, bevor weitere Milliarden sinnlos verschleudert werden! Lieber rechtzeitig mit dem Fallschirm abspringen, als bis zum bitteren Absturz sitzenbleiben!
Sie alle kennen den schlimmen Satz: Wer Straßen sät, wird Autoverkehr ernten. Man könnte hinzufügen: Wer Großflughäfen baut, muß sich nicht wundern, wenn er Flugverkehr erntet. Deshalb fordern wir in unserem Antrag die Bundesregierung, die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen und die Damen und Herren von SPD und PDS auf: Verabschieden wir uns gemeinsam vom illusionären Wachstumswahn in der Verkehrspolitik! Steigen Sie aus den überzogenen Planungen des Berlin-Brandenburger Flughafens aus, und stoppen Sie den Luftverkehrszuwachs in Deutschland, besonders aber am Himmel über Berlin!
Danke schön.