Rede von
Dr.
Dagmar
Enkelmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Berliner Rundfunk am 11. Mai 1998: „Liebe Hörerinnen und Hörer! Die Ozonbelastung des heutigen Tages beträgt im Mittel 300 Mikrogramm je Kubikmeter. Wir empfehlen, Kinder in den kommenden Tagen in geschlossenen Räumen unterzubringen. Schulen und Kindergärten bleiben geschlossen.
Kinderfreie statt autofreie Tage? So schwarz sieht jedenfalls die Zukunft aus, wenn wir in der Verkehrspolitik weiter so fahrlässig und sorglos agieren wie bisher.
In Ballungsräumen ist es schon heute nahezu unverantwortlich, seine Kinder zum Spielen nach draußen zu schicken. Dort wird die Luft zum Atmen immer dünner.
Das hat im übrigen auch die Autoindustrie begriffen und setzt in ihrer Werbung genau darauf: das Auto als Rettungsanker in einer kaputten Umwelt. Ich denke, eine solche aggressive Werbekampagne, wie sie gegenwärtig von Honda läuft, sollte verboten werden.
Meine Damen und Herren, wir sprechen hier von Sommersmog. Das ist meines Erachtens nicht ganz zutreffend. Der Sommer begann in diesem Jahr bereits am 7. Mai. Schon am vergangenen Wochenende wurde von zahlreichen Meßstationen in Hessen und Niedersachsen die Grenze von 180 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft als übertroffen gemeldet. Dank gesetzlicher Landesregelungen traten Tempolimits in Kraft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß gar nicht, wie oft wir in der vergangenen Legislaturperiode über Tempolimits gesprochen haben: im Plenum, in den Ausschüssen, in der Enquetekommission.
Inzwischen haben sich - das ist eine Tatsache - über 65 % der Bevölkerung für eine Geschwindigkeitsbegrenzung ausgesprochen, also eine deutliche Mehrheit. Aber in diesem Hause rührt sich nichts. Zwar hat die Bundesregierung in der vergangenen Sitzung des Umweltausschusses verschämt angekündigt, in Kürze liege eine Verordnung vor, wozu das Bundes-Immissionsschutzgesetz verändert werden soll. Nur: Was heißt für Sie „in Kürze"? Soll wieder ein Sommer ohne bundeseinheitliche Regelung vergehen?
Wenn Kollege Lippold nach wie vor eine gründliche Beratung der Ursachen des Sommersmogs und der Möglichkeiten seiner Bekämpfung, weitere Studien, weitere Expertenanhörungen etc. pp. einfordert, dann muß ich ihn allerdings fragen, wo er die letzten vier Jahre verbracht hat. Ich habe ihn ab und zu in der Enquetekommission gesehen, aber da muß er geschlafen haben.
Beim Handeln in Sachen Sommersmog hat sich die Bundesregierung offensichtlich ein Tempolimit verordnet. Dabei sind die Auswirkungen des Ozons auf die menschliche Gesundheit inzwischen nicht mehr ernsthaft zu bestreiten - ich denke, auch Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, tun das nicht -: verminderte Lungenfunktion, Reizhusten, Augenreizungen, Kopfschmerzen schon ab Konzentrationen von 100 bis 160 Mikrogramm je Kubikmeter. Eine ganze Reihe von Studien zeigen, daß bereits bei je-
Dr. Dagmar Enkelmann
dem Fünften dieser Wert von toxischen Ozonkonzentrationen erreicht wird. Bei höheren Werten sind Chromosomenveränderungen und eine Schwächung des Immunsystems möglich. Jeder, der in Spitzenzeiten in Berlin ist, kann das nachvollziehen. Es ist nichts, was nur auf dem Papier steht.
Am schlimmsten trifft es wieder einmal die Kinder. Ihr Atemvolumen ist, bezogen auf ihr Körpergewicht, größer als bei Erwachsenen. Leider werden die Grenzwerte, die Sie als Grundlage nehmen, auf Erwachsene bezogen. Aber Kinder haben ja bekanntlich keine Lobby.
- Noch keine. Da müssen wir etwas tun.
Ich habe von der großen Akzeptanz der Bevölkerung hinsichtlich einer Geschwindigkeitsbeschränkung gesprochen. Aber was die Leute wirklich nicht kapieren, ist, weshalb sie ab einer bestimmten Landesgrenze, z. B. zwischen Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, wieder schneller fahren können, sozusagen als ob die Luftverschmutzung an der Grenze haltmacht. Sie spielen hier mit der Glaubwürdigkeit politischer Entscheidungen und damit auch politischer Entscheidungsträger.
Anfang 1995 ist die EU-Richtlinie über die Luftverschmutzung durch Ozon in Kraft getreten. Darin werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Bevölkerung bei Überschreitung der Ozonschwellenwerte von 180 Mikrogramm regelmäßig zu warnen. Entsprechend dieser Richtlinie hat nun der Bundesrat eine Initiative eingebracht, mit der die Bundesregierung aufgefordert wird, eine entsprechende Verordnungsermächtigung in das Bundes-Immissionsschutzgesetz aufzunehmen.
Der Entwurf sieht neben Geschwindigkeitsbegrenzungen bei erhöhter Ozonbelastung auch Fahrverbote für Fahrzeuge ohne geregelten Kat vor. Aber genau da, wo es konkret werden müßte, vor allen Dingen auch konsequent, kneift der Bundesrat wieder. So fehlen u. a. bei den jeweiligen Maßnahmen Grenzwerte. Sinn macht die Regelung unseres Erachtens auch nur dann, wenn sie restriktiv gehandhabt wird, d. h., auch schadstoffarme Fahrzeuge Berücksichtigung finden sowie Ausnahmen klar definiert werden.
Ähnlich wie in Hessen sollten in allen Bundesländern Bußgelder für Überschreitung von Ozon-Tempolimits verhängt werden. Ein frühzeitiges Eingreifen sollte zwingend geregelt werden. Der Wert von 120 Mikrogramm je Kubikmeter erscheint uns für die Auslösung einer Vorwarnstufe als angemessen. Bereits vor einer absehbaren Ozonwetterlage müssen Tempolimits als länderübergreifende Maßnahmen erlassen werden.
Unseres Erachtens ist es notwendig, die Entscheidungskompetenz für verkehrsbeschränkende Maßnahmen von den Verkehrs- auf die Umweltschutzbehörden zu verlagern. Das würde möglicherweise auch die Chance bieten, im Zusammenhang mit der Ozonbelastung nicht nur über Verkehrsbeschränkungen, sondern auch über diejenigen Berufsgruppen zu sprechen, die ihren Beruf im Freien ausüben, also Bauarbeiter, Landschaftsgärtner usw., die dringend eines verbesserten Schutzes bedürfen.
Die von der Bundesregierung nun angekündigte Sommersmogverordnung darf jedenfalls nicht zu einem Förderprogramm für schadstoffarme Autos werden, um zuallererst die Absatzschwierigkeiten der Autoindustrie zu beseitigen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.