Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon paradox: Es waren die Banken, die mit kostenloser Kontoführung und massiver Werbung dafür gesorgt haben, daß fast jeder heute ein Girokonto hat und braucht. Wer größere Beträge bar bezahlt, wird inzwischen oft - und gar nicht immer zu Unrecht - schief angeguckt. Viele Transaktionen sind gar ausschließlich bargeldlos möglich. Das Volumen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs belief sich 1994 auf 42,7 Billionen DM, was nahezu einer Verdopplung in nur vier Jahren entspricht. Kaum eine Markteinführungsstrategie war je so erfolgreich wie die der Kreditinstitute beim Girokonto.
Trotz der zunehmenden Bedeutung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs wird heute einer wachsenden Zahl von Menschen in Deutschland die Eröffnung eines Girokontos verweigert oder ein bestehendes Konto gekündigt. Frau Wolf hat auf die Zahlen und ihre steigende Tendenz bereits hingewiesen.
Als Grund für Kündigungen oder Kontoverweigerungen verweisen die Kreditinstitute auf eine angeblich nicht vorhandene Bonität der betroffenen Personen. Hauptbetroffen sind daher, Herr Steiger, durchaus Menschen mit geringem Einkommen, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger oder diejenigen, über die die Schufa negative Merkmale gespeichert hat. Berichte von Betroffenen dokumentieren, daß in der Praxis bereits kurzfristige Kontoüberziehungen als Folge plötzlicher Liquiditätsprobleme oder die Tatsache, daß der Kontoinhaber Sozialhilfe bezieht, für eine Kontokündigung ausreichen. Die derzeitige Häufung solcher Fälle und Hinweise darauf, daß in deutschen Kreditinstituten das zynische Wort von der „Schalterhygiene" die Runde macht, sind schon alarmierend.
Kundengruppen, die nicht lukrativ sind oder nicht zum angestrebten Image des Instituts passen, werden von manchen Kreditinstituten systematisch ausgegrenzt.
Die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr ist heute, in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft, aber nicht nur selbstverständlich, sondern auch notwendig.
Der ungehinderte Zugang zu vielen Dienstleistungen - angefangen bei der Energieversorgung - sind ohne Konto nur mit erheblichem Aufwand und beträchtlichen Mehrkosten möglich. Die vielzitierte Lohntüte gibt es schon lange nicht mehr. Lohn- oder Gehaltszahlungen erfolgen längst nur noch bargeldlos.
So kommt zu Mehraufwand und Mehrkosten eine dritte, soziale Komponente hinzu. Wer heute nicht über ein Girokonto verfügt, ist gesellschaftlich stigmatisiert und gerät in einen regelrechten Teufelskreis. Denn die fehlende Bankverbindung erschwert
Hans Martin Bury
die Suche nach einem Arbeitsplatz ebenso wie die nach der neuen Wohnung und verhindert damit gerade die Lösung der Probleme, die oft zu Kontokündigung oder -verweigerung führen.
„Das Girokonto ist aus dem normalen Leben nicht mehr wegzudenken", so der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken, Wolfgang Grüger, am Montag in Hamburg. Da hat er recht. Doch die Erkenntnis bei ihm - und vorher bereits bei Sparkassenpräsident Köhler - kommt nicht von ungefähr und wird auch nicht zufällig in dieser Woche veröffentlicht. Erst der Druck des Gesetzgebers, Herr Steiger, mit den heute hier vorliegenden Gesetzentwürfen hat ein Umdenken auf breiter Front bewirkt.
Sparkassen- und Genossenschaftsverband wollen ihren Instituten jetzt empfehlen - die sind aber in ihren Entscheidungen jeweils frei -, jedem Kunden die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr durch die Führung eines Girokontos auf Guthabenbasis zu ermöglichen. Notwendige Voraussetzung für eine solche Selbstverpflichtung wäre jedoch, so heißt es bereits bei der Postbank, daß sich alle Bankengruppen an einer solchen Regelung beteiligten. Dies aber ist vorerst nicht zu erwarten, weil ausgerechnet die Banken, die in den letzten Monaten in großangelegten Werbekampagnen ständig von „Vertrauen" und „Kundennähe" geredet haben - die privaten Banken -, eine allgemeine Selbstverpflichtung der Kreditinstitute strikt ablehnen.
Verkehrte Welt: Da haben gerade private Bankhäuser, mitunter recht leichtfertig, Kredite in Millionenhöhe an windige Baulöwen oder Sportbodenhersteller vergeben, und da, wo es nun wirklich einmal um kleine Beträge, um ,,peanuts", geht, wird von einem zu hohen Risiko gesprochen und einem finanziell angeschlagenen Sozialhilfeempfänger bereits bei geringer Kontoüberziehung das Konto gekündigt.
Ich würde mich freuen, Herr Kollege, wenn wirksame Selbstverpflichtungen zustande kämen, die tatsächlich sicherstellen, daß alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrer sozialen oder ökonomischen Situation ein Girokonto auf Guthabenbasis erhielten.
Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wird sich zeigen, Herr Steiger, ob den Ankündigungen und Empfehlungen auch flächendeckend die Versorgung mit einem Mindestkonto folgt. Ich denke, daß den Sparkassen mit ihrem öffentlichen Auftrag in diesem Zusammenhang eine besondere Verantwortung zukommt.
Wenn die Sicherung der Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr aber anders nicht gewährleistet werden kann, ist der Gesetzgeber gefordert. Deshalb beraten wir hier über zwei Gesetzentwürfe und einen Antrag, die in dem Ansatz und der Zielsetzung übereinstimmen, die Teilnahme aller am bargeldlosen Zahlungsverkehr sicherzustellen.
Frau Wolf, ich möchte ein paar Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf der Grünen machen, der wohl zunächst ein Antrag werden sollte. Denn statt klarer gesetzlicher Regelungen ist darin nur recht vage davon die Rede, daß das „Kreditaufsichtsamt" - gemeint ist wohl das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen - damit beauftragt werden soll, dafür Sorge zu tragen, daß alle Kreditinstitute ein von der Kreditgewährung unabhängiges Girokonto anbieten. Die Ablehnung eines Kontoeröffnungsersuchens oder die Kündigung eines bestehenden Kontos sollen unzulässig sein, wenn diese Kündigung oder Ablehnung wegen des Geschlechts, des Familienstandes, der Rasse, Herkunft, Sprache, Abstammung oder Religion, fehlender Kreditwürdigkeit oder des Bezuges von Einkommen aus öffentlichen Mitteln erfolgt. Die Ablehnung oder Kündigung ist schriftlich zu begründen.
Soweit der Gesetzentwurf der Grünen, bei dem alle Fragen der praktischen Umsetzung leider offenbleiben.
Was macht denn das Bundesaufsichtsamt, das praktisch keine Verbraucherschutzbefugnisse hat und wahrnimmt, wenn die Begründung einer Kündigung oder Ablehnung unklar ist oder ganz fehlt? Leider haben Sie vergessen, das BAK für die neuen Aufgaben auch mit Ermächtigungen und angemessenen Sanktionsinstrumenten zu versehen.
Wie soll das BAK auf ungerechtfertigte Kontokündigungen reagieren? Am Ende der Begründung Ihres Entwurfs wird auf § 36 KWG verwiesen, der das BAK berechtigt, in ganz bestimmten gravierenden Fällen die Abberufung eines Geschäftsleiters zu verlangen oder dessen Tätigkeit zu untersagen. Bei aller Sympathie für das gemeinsame Anliegen, aber hier ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel wohl doch nicht mehr gewahrt.
Gegenüber dem vorliegenden Gesetzentwurf der Grünen, so fürchte ich, wäre leider sogar eine freiwillige Selbstverpflichtung der Kreditwirtschaft - bei allen Schwächen und Ausnahmeregelungen, die sie haben dürfte - tragfähiger.
Der Gesetzentwurf der SPD zur Sicherung der Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr legt durch eine Änderung des Kreditwesengesetzes fest, daß alle Kreditinstitute, die das Girogeschäft betreiben - Herr Steiger, wenn Sie es nicht gelesen haben, können Sie es jetzt hören; dann würden Sie nicht mehr so viel Falsches erzählen -,
Hans Martin Bury
auf Antrag jedes Kunden ein Girokonto für ihn einrichten müssen, um für ihn den bargeldlosen Zahlungsverkehr abzuwickeln. Spezialinstitute wie Hypothekenbanken oder Depotbanken, Herr Steiger, sind also ausdrücklich von diesem Kontrahierungszwang ausgenommen. Die Konten müssen lediglich auf Guthabenbasis geführt werden; für das Kreditinstitut besteht keine Verpflichtung zur Gewährung eines Überziehungsrahmens oder zur Vergabe eines Kredits.
Um diskriminierende Gebühren von vornherein auszuschließen, wird festgelegt, daß das Kreditinstitut für dieses Konto keine höheren als marktübliche Entgelte in Rechnung stellen darf.
§ 22 regelt die Fälle, in denen es einem Kreditinstitut trotz der generellen Verpflichtung des neuen § 21 KWG möglich sein soll, ein bestehendes Konto zu kündigen. Die Gründe hierfür dürfen nur in dem Verhalten des Kunden dem betreffenden Kreditinstitut gegenüber liegen, wodurch eine generelle Ausgrenzung bestimmter Kundengruppen ausgeschlossen wird. Das Kreditinstitut darf einen Kontoeröffnungsantrag nur dann ablehnen oder ein bestehendes Konto kündigen, wenn der betreffende Kunde dem Kreditinstitut gegenüber „bestehende Pflichten in gröblicher Weise schuldhaft verletzt hat" oder sich der Kunde weigert, dem Kreditinstitut die zur Dekkung von dessen Aufwendungen notwendigen Entgelte zu erstatten. Denn auch wenn der bargeldlose Zahlungsverkehr in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft zu den Grundvoraussetzungen einer Teilnahme am öffentlichen Leben zählt, darf nicht vergessen werden, daß Kreditinstitute Wirtschaftsunternehmen sind. Für vom Kunden in Anspruch genommene Leistungen dürfen die Banken von ihren Kunden angemessene Entgelte verlangen. Auch dies berücksichtigt unser Entwurf.
Einwänden von Ihnen, Herr Steiger, und dem Haus, von dem Sie kommen, und dessen Interessenvertretung in Bonn hinsichtlich der Behandlung von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen oder der Nichtverrechenbarkeit von Bankforderungen mit nichtpfändbaren Einkünften ist entgegenzuhalten, daß diese Fragen nicht ursächlich mit dem vorgeschlagenen Kontrahierungszwang zusammenhängen.
Die Gewährleistung der Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr ist im übrigen nur ein erster Schritt. Damit diese auch zu fairen Bedingungen ermöglicht wird, muß sie in eine umfassende verbraucherpolitische Initiative eingebettet werden,
die meine Kollegin Blunck anhand des SPD-Antrages gleich erläutern wird.
Vielen Dank.