Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In schöner Regelmäßigkeit findet die Debatte um die Anpassung der Bedarfssätze und der Freibeträge an die jeweilige wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland statt. Es ist schon angesprochen worden, und es ist richtig, daß dadurch, daß sich die Bundesregierung kurz vor der Bundestagswahl gegen eine angemessene Anhebung und dagegen gesperrt hat, mit dem Nullrundenspiel aufzuhören, viele Studenten in eine verhältnismäßig problematische Situation gebracht worden sind, weil sie zum
Teil entweder aus dem BAföG herausgefallen sind oder weil sie infolge der Freibetragsregelung zum großen Teil nur noch Kleckerbeträge bekommen. Ich war selber bis zum September noch Student und habe mit vielen Kommilitonen darüber geredet, welche Auswirkungen das auf ihre Bezüge hat. Ich kann Ihnen sagen: Es ist eine durchaus ernste Situation.
Gleichwohl denke ich, daß im Moment relativ gute Chancen bestehen, daß man sich hier einigen kann. Ich möchte die Koalitionsfraktionen bitten, den Fehler vom vergangenen September nicht zu wiederholen.
Der Entwurf des Bundesrates, der im Vermittlungsausschuß behandelt wird, hat eine wichtige Funktion. Ich glaube, daß dieser Entwurf einen Anfang bei dem Bemühen darstellt, die Schieflage, die es zur Zeit beim BAföG gibt, zurückzunehmen.
Das ist auch der Grund dafür, daß wir jetzt keinen eigenen Antrag vorgelegt haben. Wir wollen, daß jetzt erst einmal dieser Entwurf Gesetz wird. Ich richte insbesondere natürlich an den Forschungs- und Bildungsminister Rüttgers den Appell, sich noch stärker einzusetzen, als es der Kollege Laermann gemacht hat.
- Völlig richtig. Ich denke, Frau Yzer wird ihm mitteilen, daß er sich durchsetzen soll.
Er hat es dabei mit einem Finanzminister zu tun, der darin Erfahrung hat, wie es ist, wenn man in einer Anhörung der Expertenmeinung völlig unterliegt.
Alle Experten haben durch die Bank gesagt: Wenn Sie so weitermachen und Ihren Entwurf durchziehen, dann helfen Sie damit nicht nur den Studenten nicht, sondern Sie machen einen großen bildungspolitischen Fehler.
Mich ärgert es sehr, daß Expertenmeinungen in diesem Parlament offensichtlich keine Rolle spielen. Sind wir denn alle superschlau, oder wofür machen wir die Anhörung?
Ich denke, die Linie muß sein, die Expertenmeinungen hier sehr ernst zu nehmen, den Bundesratsentwurf durch die parlamentarischen Gremien zu bringen und die Fehler vom Herbst damit wiedergutzumachen, wobei ich auch glaube, daß es hier in erster Linie gar nicht um Finanzpolitik geht. Die BAföG-Debatte ist immer mehr als nur Finanzpolitik; sie ist auch mehr als die Erbsenzählerei, die wir hier zum Teil betreiben.
Matthias Berninger
Sie überfrachten die BAföG-Debatte bildungspolitisch, und das zeigt sich am Beispiel des Studienstandsnachweises nach zwei Semestern, denke ich. Mein Gott, wenn Sie schon den Fuß in die Hochschuldebatte nicht hineinbekommen, dann versuchen Sie es doch nicht immer über das Instrument des BAföG!
Es ist schon angesprochen worden: Sie können doch nicht ernsthaft für mehr Bürokratie sein, wenn Sie an anderer Stelle den schlanken Staat fordern.
Der eigentliche ,,Studienstandsnachweis" ist nichts anderes als schlangestehende Studenten vor überfüllten Hörsälen. Da haben, Sie ihren Studienstandsnachweis, wenn Sie sich das ansehen. Diese Studenten werden klagen. Sie werden sagen: Wir konnten in zwei Semestern keinen Erfolg erzielen, weil der Raum nicht da war.
Ich halte das auch deshalb für völlig falsch, weil Sie damit den Studenten mißtrauen. Man muß ihnen nicht bei dem mißtrauen, was sie an den Universitäten machen. Deswegen bitte ich Sie, dieses Ding wieder in Ihre Mottenkiste veralteter hochschulpolitischer Vorstellungen zu packen.
Wenn wir uns hier auf der Linie des Bundesrates einigen könnten, dann wäre das auch ein Zeichen von Pragmatismus und Handlungsfähigkeit. Wir wissen alle - das hat der Sozialstandsbericht gezeigt -, daß wir eigentlich die BAföG-Beträge noch viel mehr erhöhen müßten, um der Preissteigerung und den ganzen Problemen gerecht zu werden. Das bekommen wir jetzt nicht hin. Aber wenn wir uns auf der Bundesratslinie einigen, dann können wir anfangen, über die grundsätzlichen Probleme beim BAföG zu reden, statt Anpassungsdebatten alle zwei Jahre zu führen.
Es gibt natürlich genug grundsätzliche Probleme. Da ist erstens die Belastung von Familien mit mittleren Einkommen. Dadurch, daß die Freibeträge nicht angepaßt worden sind, fallen immer mehr Studenten aus der Förderung heraus. Das heißt, immer mehr Familien müssen für das Studium ihrer Kinder aufkommen.
Zweitens erhöhen sich natürlich die Preise für Mieten und für Bücher. Was ein Sachbuch kostet, wissen wir ja alle, weil wir selber welche lesen - mit dem Unterschied, daß wir relativ viel Geld haben und offensichtlich nicht mehr merken, wie sehr die Preise gestiegen sind.
Diese Dinge führen natürlich dazu, daß es Studenten materiell schlechter geht. Dabei dürfen wir einen Fehler nicht machen, glaube ich. Wir dürfen nicht die Gleichsetzung von Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen auf der einen Seite und Studierenden auf der anderen Seite vornehmen, die zum Teil auch in der Anhörung anklang. Ein Studium ist natürlich etwas mit Perspektive. Die Leute studieren auch gern; deswegen haben wir so viele Studierende. Es muß deswegen nicht zu einer Gleichsetzung kommen. Aber man sollte einmal vernünftig darüber diskutieren, wie wir beim BAföG Reformen durchsetzen können.
Herr Ruck, ich habe mich tierisch darüber geärgert: Sie können doch nicht ernsthaft sagen, daß wir die Chancengleichheit immer noch haben.
Alle Statistiken sprechen dagegen. Sie wird immer geringer.
Ein immer kleinerer Anteil der Studierenden stammt aus unteren Einkommensschichten; er geht zurück, und zwar ganz massiv. Wenn wir Chancengleichheit wollen - ich glaube, hier muß Einigkeit in diesem Parlament bestehen, daß wir Chancengleichheit wollen, denn das Köpfchen der Leute kann ja nicht vom Portemonnaie der Eltern abhängen; ich denke, das haben wir in den siebziger Jahren geklärt, zumindest solange ich lebe, galt das immer als Konsens -, müssen wir uns hier gemeinsam um das Problem der Chancengleichheit kümmern; die Zahlen sind da für meine Begriffe absolut eindeutig. Lassen Sie uns auch dieses Problem schnell lösen!
Ich glaube, eine grundsätzliche BAföG-Debatte muß sich auch mit der bürokratischen Mühle des BAföG-Amtes auseinandersetzen. Ich habe die Formblätter 1 a, 14 b und 13 c und was weiß ich jedenfalls noch gut im Kopf, die da auszufüllen waren. Ich glaube, daß das momentane BAföG-Verfahren nicht zukunftsgemäß ist. Wir müssen uns darüber unterhalten, ob es Alternativen gibt.
Viele Studenten gerade aus Familien mit mittlerem Einkommen fragen: Warum bekommen wir kein BAföG? Sie sagen: Ich gehe nicht zu meinen Eltern und verlange, daß sie mir letzten Endes das Studium bezahlen, denn ich sehe, wie wenig Geld sie selber haben. Das sehen ja die Studenten.
Sie werden doch als Familienpolitiker auch nicht verlangen, daß wir jetzt hier ständig Prozesse zwischen den Studierenden und den Eltern führen lassen.
Diese Fehlentwicklungen müssen für meine Begriffe dazu führen, daß wir eine elternunabhängige Förderung hinbekommen. Wir müssen nachdenken - das wird in den Unis auch gemacht - über Lösungen im Bereich von Volldarlehen, unabhängig von den Einkommen der Eltern.
Wir müssen darüber nachdenken, wie wir in diesem Jahrtausend - und ich denke, in dieser Legislaturperiode ist das zu schaffen - eine finanzpolitisch dauerhaft tragfähige neue Lösung finden. Dazu müssen Sie, liebe Kollegen von den Koalitionsfraktionen, aber bitte Ihre Blockadeposition ganz schnell aufgeben.