Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Gegensatz zum Kollegen Meister bin ich schon ein wenig länger dabei. Kollege Meister, es ist schon eine komische Situation: Die Regierung beschließt in der letzten Wahlperiode, eine Kommission zu berufen, der Bundestag debattiert darüber und empfiehlt, diese einzusetzen - gegen die Stimmen der Opposition, weil wir sagen, wir sollten sofort handeln. Die Regierung hat ein dreiviertel Jahr Schwierigkeiten - eine Findungsphase -, die Expertenkommission zu berufen.
Und was ist hier heute am Rednerpult zu sehen? - Der Wohnungsbauminister stellt den Bericht, den die Bundesregierung zuerst beschlossen hat, dem Plenum noch nicht einmal vor. Er spricht nicht über die Stellungnahme. Er wagt es nicht, an das Pult zu gehen, erst einmal zu hören, was die Fraktionen zu dem sagen, was zumindest ein Gutachter in der vergangenen Woche „tote Leiche" genannt hat. Damit war der Bericht dieser Kommission gemeint. So sieht es aus in der Wohnungspolitik dieser Bundesregierung, die eine ganze Menge Fehlentscheidungen im letzten Jahrzehnt getroffen hat.
Otto Reschke
Mit Flickschusterei, wie sie in den letzten Jahren erfolgte, mit zahlreichen kurzfristigen Änderungen in den gesetzlichen Rahmenbedingungen, mit kurzfristiger Aufstockung, aber auch der Löschung von Programmen hat sie versucht, Wohnungspolitik zu machen. Dabei hat sie jedoch mehr Probleme produziert, als Lösungen geliefert.
Baurecht wurde deformiert, und der Kollege der CDU sagte gerade selber, es müsse wieder entrümpelt werden. Dabei ist dieses Baurecht noch nicht einmal zehn Jahre alt. Das Baubuch von Herrn Schneider haben wir hier im Bundestag diskutiert.
Der § 7b wurde zum § 10e deformiert. Die Eigentumsförderung wurde dadurch nicht gerechter und nicht wirkungsvoller, wie der Bundestag nach knapp sieben Jahren einstimmig festgestellt hat.
Der soziale Wohnungsbau wurde eingestellt, dann wieder anfinanziert, und 1995 wurden die Haushaltsmittel von 4 Milliarden DM wieder auf 2,9 Milliarden DM zurückgefahren. Die Gemeinnützigkeit wurde in Deutschland gestrichen, und dies wurde als Reform verkauft. Ich glaube, dies zeigt ganz deutlich, wie der Zickzackweg der Wohnungspolitik dieser Regierung gewesen ist.
In jeder Wahlperiode, meine sehr verehrten Damen und Herren, gab es einen neuen Minister, damit keinem die Altlasten der vergangenen Periode angelastet werden konnten: Oscar Schneider bis 1987, Gerda Hasselfeldt bis 1990, Irmgard Schwaetzer bis 1994. Klaus Töpfer steht nun bereits zum Abruf - bis zum Abruf des Kanzlers, oder der Kanzler beruft ihn selber in vielen Punkten ab.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Mieten steigen doppelt so schnell wie die Preise. Dies ist die Politik der Bundesregierung. Sie haben zwar die Minister ausgewechselt, aber die Politik von Pannen und Fehlern bringt in der Summe 2 Millionen fehlende Wohnungen in Deutschland mit sich. Dies müssen wir alle zur Kenntnis nehmen. Dies haben diese vier Minister, die Regierung und diese Koalition verursacht.
Ich wiederhole: Die Mieten steigen doppelt so schnell wie die Preise. Der Abbau von Mieterschutz macht sich bemerkbar. Bezahlbare Wohnungen mit Bindungen gibt es in Deutschland kaum noch. Wohnungsnot und Obdachlosigkeit nehmen in den Städten zu. Bauland treibt seine Blüten in der Spekulation, und die Eigentumsförderung - wie der Bundestag dies festgestellt hat - ist wenig effektiv und muß schnellstens abgelöst werden.
Insgesamt kann man sagen: Das Förderkonzept für den Wohnungsbau weist Fehlentwicklungen in bezug auf Wirksamkeit, Stetigkeit, Neubauförderung, Übersichtlichkeit, soziale Gerechtigkeit und ökologische Notwendigkeiten auf.
Treffender als das Zentralkomitee der deutschen Katholiken können wir die Wohnungspolitik nicht beschreiben. Die Katholiken sagen: Die Wohnungspolitik ist wenig familiengerecht; die Mieten explodieren; die Mietbelastungsquote ist an der Grenze angelangt, preiswerter, kindergerechter Wohnraum ist kaum mehr zu finden. Das ist keine sozialdemokratische Schrift, sondern das ist die Schrift des Zentralkomitees der Katholiken.
Alle Vorschläge der Sozialdemokraten zur Lösung der Probleme sind von der Mehrheit dieses Hauses abgelehnt worden. Mit dem Hinweis auf die Sinngutachter wurde jede Initiative abgelehnt bzw. in der vergangenen Periode sinnlos.
Wir haben nun auf der einen Seite falschen Reformeifer bei Schneider, Reparaturbetrieb bei Frau Hasselfeldt, Stillstand bei Frau Schwaetzer - ihr stand ja das Wasser zuletzt sowieso bis zum Hals - und auf der anderen Seite jetzt Ankündigungsinitiativen bei Herrn Töpfer zu verzeichnen. Dabei ist sich Herr Töpfer übrigens wie bisher seiner Linie in vielen Punkten treu geblieben.
Nach über zweieinhalb Jahren Beratungen der Expertenkommission können wir als Sozialdemokraten feststellen: Die Vorschläge der Kommission gehen in ihren Kernpunkten an den politischen Erfordernissen, die an die Wohnungspolitik heute und in der Zukunft gestellt werden, vorbei. Den sozialen Wohnungsbau im ersten und im zweiten Förderweg zu streichen, wie es die Kommission vorschlägt, halten wir wirklich für wenig sinnvoll. Gerade die Streichung des sozialen Wohnungsbaus in den 80er Jahren hat doch die heutige Wohnungsnot gebracht. Das müssen Millionen von Mietern teuer bezahlen.
Weiter schlägt die Kommission vor, die Kappungsgrenzen für Mieterhöhungen ganz zu streichen und das Mietrecht einzuschränken. Das Wohngeld würde quasi zur einzigen Fördermöglichkeit in der Wohnungspolitik. Das wäre die teuerste Möglichkeit, die es jemals bei uns gab. Ohne Kappungsgrenzen müssen alle Mietsteigerungen über Wohngeld aufgefangen werden. Dies wäre nichts anderes als staatlich sanktionierter Raubzug durch die öffentlichen Kassen.
Wir kennen ein ähnliches Gesetz von Schneider aus dem Jahre 1982 - es hieß „Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen" -, das nur Mieterhöhungen, Wohnungsnot und weniger Mieterschutz gebracht hat. Wir werden uns gegen ein solches Gesetz wenden.
Die Gemeinden haben in Zukunft Belegungsrechte und für kommunales Wohngeld zu sorgen, als ob sie nicht schon die Folgen der Arbeitslosigkeit fi-
Otto Reschke
nanzieren, die zunehmende Armut mit Sozialhilfe auffangen müssen und für die, Obdachlosigkeit in Form von Millionen D-Mark für Wohnkosten, die sie aufzubringen haben, in Anspruch genommen werden.
Außerdem werden in Zukunft die Städte und Gemeinden für die Baulandbereitstellung verantwortlich gemacht. Man muß den Gutachtern doch einmal empfehlen, in einen Rat einer Gemeinde hineinzugehen, damit sie wissen, wie Bau- und Bodenpolitik in Deutschland in vielen Punkten läuft.
In den Flächennutzungsplänen der Städte sind Baurechte für Millionen von Wohnungen ausgewiesen. Aber den Städten in Deutschland gehören nur 6 % des Bodens und damit die Verfügbarkeit und die Wertschöpfung.
Es war doch diese Regierung, die steuerliche Maßnahmen im vorigen Jahr abgeblockt hat und das gemeindliche preislimitierte Vorkaufsrecht im Baurecht gestrichen hat. Jetzt beschweren Sie sich doch nicht darüber, daß die Gemeinden nichts tun können!
Ebenso entschieden ist der Vorschlag der Expertenkommission abzulehnen, die steuerliche Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums auf einen Schuldzinsenabzug umzustellen. Es kann doch nicht Ziel staatlicher Wohnungsförderung sein, die Häuslebauer und Erwerber von Gebrauchtimmobilien sich bis über beide Ohren verschulden und ins finanzielle Abenteuer stürzen zu lassen, damit sie den steuerlichen Höchstbetrag ausschöpfen. Schuldzinsenabzug hemmt Einsatz von Eigenkapital, senkt das Interesse der Eigentümer an einer alsbaldigen Entschuldung und ist währungspolitisch bedenklich, weshalb er übrigens 1974 - lesen Sie es doch einmal nach! - abgeschafft worden ist.
Die SPD fordert weiterhin die Umstellung des § 10e EStG auf einen progressionsabhängigen Abzug von der Steuerschuld. Verläßliche Rahmenbedingungen für die Bewirtschaftung, die steuerlichen Rahmenbedingungen für den Neubau sollen nicht geändert werden, und Neubau und Modernisierungen sollen gleichbehandelt werden. Auch dies ist einer der wesentlichen Punkte, die die Kommission anspricht.
Ich weiß nicht, welche Analysen die Kommission bisher durchgeführt hat. Aber sie sollte sich einmal die Einkommensteuerstatistik vor die Brust nehmen. Da kann die Kommission feststellen, daß 90 % aller Verluste, die bei der Lohn- und Einkommensteuer in Deutschland geltend gemacht werden, aus der Vermietung und Verpachtung stammen. 1989 - das letzte durchgerechnete Jahr vor der Wiedervereinigung - waren das 40 Milliarden DM und damit rund 18 Milliarden DM Transfer über die Steuer. Diese Summe wird sich mittlerweile verdoppelt haben, eine Umverteilung ohnegleichen. Wir werden dies nicht weiter mitmachen.
Die Probleme am Wohnungsmarkt haben sich im letzten Jahr zwar nicht weiter verschärft, aber sie haben sich auch nicht entschärft. Das muß jeder wissen.
Die gesteigerte Wohnungsbautätigkeit ist erfreulich. Aber man muß sehen, die Bedarfslücke besteht. Die Neubauquote deckt gerade 1 % des Bedarfs. Wir haben eine Bevölkerungszunahme von 5 Millionen bis zum Jahr 2000 zu erwarten. Ein Defizit von 2 Millionen Wohnungen und 5 Millionen Bevölkerungszunahme heißt: Eine ganze Menge an Bautätigkeit muß entwickelt werden.
Wir Sozialdemokraten warnen davor, mit Leerstandsmeldungen und sinkenden Mieten die Offentlichkeit irrezuführen. Wohnen in Deutschland wird nicht preiswerter und nicht auswahlreicher, sondern wird weiter knapp, mit Mietsteigerungen, die doppelt so hoch sind wie die Steigerung der Lebenshaltungskosten - das muß jeder zur Kenntnis nehmen -, weil die Handlungsfähigkeit dieser Regierung, dieser Koalition nicht gegeben ist.
Wenn die Probleme nicht mit einem neuen Ansatz, Stichwort Drittes Wohnungsbaugesetz, gelöst werden, werden in der nahen Zukunft Neid und Mißgunst die Ballungsräume zu Pulverfässern machen, die sich leicht entzünden und schwere Konfliktsituationen hervorrufen werden. Wir müssen begreifen, daß Wohnungspolitik investive Sozialpolitik für die heutigen und künftigen Generationen ist und daß wir damit zumindest das Grundbedürfnis auf eine Wohnung in naher Zukunft für mehrere Generationen decken wollen und müssen.
Um Wohnungsnot nachhaltig zu bekämpfen, ist eine Zusammenarbeit einerseits von Bund, Ländern und Gemeinden und andererseits zwischen der Bauwirtschaft und den Mieterverbänden unerläßlich. Dies ist sträflich vernachlässigt worden. Mit der Berufung der Expertenkommission ist eine ganze Periode dieses Parlaments in der Wohnungspolitik zum Stillstand geraten. Wir müssen das Parlament und die gesellschaftlichen Gruppen beteiligen.
Wir Sozialdemokraten können uns nur dem Urteil der Arbeitsgemeinschaft der Bauminister anschließen, die das Gutachten wie folgt bewertet:
Das Gutachten ist in vielen Teilen zu theoretisch. Die Praktikabilität wird oft vernachlässigt. Die Vorstellungen der Gutachter sind teilweise wirklichkeitsfremd. Konzepte für die notwendigen Anpassungsprozesse und die damit verbundenen Lastenverteilungen fehlen.
Ich glaube, treffender kann es nicht gesagt werden.