Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Anfang etwas zu meinem Kollegen Herrn Braun. Sie sagten, das Problem des bezahlbaren Wohnens in Deutschland sei in erster Linie ein Mengenproblem. Ich denke, das Problem des bezahlbaren Wohnens ist ein Problem der falschen Wohnungsbaupolitik in Deutschland.
Sie können in Deutschland Millionen von Wohnungen bauen; solange es sich für einen Investor, für einen Vermieter jedoch steuerlich lohnt, diese Wohnungen leerstehen zu lassen, werden Sie dieses Problem so nicht lösen können.
Nun zum Bericht der Expertenkommission. Anstatt überfällige Reformen in der Wohnungspolitik einzuleiten, retteten sich die Regierungsparteien 1992 mit der Bildung einer Kommission über die 12. Wahlperiode. Sämtliche wohnungspolitischen Anträge der Oppositionsparteien wurden mit der Begründung abgeschmettert, daß man das Ergebnis der Expertenkommission abwarten müsse. Unter diesem Vorwand wurde die Konzipierung der künftigen Mie-
Klaus-Jürgen Warnick
tenpolitik in Ostdeutschland ebenso verschleppt wie auch die Schaffung eines für die gesamte Bundesrepublik geltenden Wohngeldgesetzes sowie die dringende Reformierung des § 10e.
Bände sprach vor allem die von der Regierung vorgenommene Zusammensetzung der Kommission. Banker, Volkswirte und Hausbesitzer waren reichlich vertreten, aber keine einzige Frau, kein einziger Ostdeutscher, kein einziger Vertreter eines Mieterbundes, von Behindertenverbänden, von Gewerkschaften, von Seniorenverbänden oder anderen Betroffenen. Erst nachträglich wurde - wohl als Alibi - ein ostdeutscher Experte in die Kommission hineingenommen.
Ein Antrag der PDS-Bundestagsgruppe zur Erweiterung der Kommission wurde abgelehnt, angeblich weil die Bundesregierung trotz aller Bemühungen keine geeigneten Persönlichkeiten fand. Das ist meines Erachtens nicht nur eine falsche, sondern auch hanebüchene Behauptung.
Bedanken möchte ich mich deshalb bei der seit zwei Jahren auf Initiative der PDS-Bundestagsgruppe unter Vorsitz des Zivilrechtlers Prof. Joachim Göhring ehrenamtlich tätigen alternativen Expertenkommission „Wohnen ist Menschenrecht", welche mit dem von ihr im August 1994 vorgelegten Zwischenbericht ihre Sicht der Problematik darstellte. Verzicht auf Borniertheit und Einbeziehung von einigen dieser Sachverständigen hätten dem Gutachten sicher gutgetan.
Angesichts der wenigen mir zur Verfügung stehenden Minuten will ich mich auf sechs Stichpunkte zum vorliegenden Gutachten beschränken.
Erstens. Das Gutachten enthält viele kluge Analysen und vermittelt interessante Einblicke in die Zusammenhänge, kann sich aber in den Schlußfolgerungen vom Markt und vom Eigentumsfetischismus nicht lösen. Vor allem fehlt die Zielstellung, das Menschenrecht auf angemessene und bezahlbare Wohnungen für alle zu gewährleisten. Um so mehr ist von der Sicherung der Kapitalrendite und von Steuerersparnis die Rede.
Zweitens. Notwendig wäre es auch gewesen, Aussagen zum Umfang der Wohnungsnot und der Obdachlosigkeit in Deutschland zu treffen, Berechnungen zur erweiterten Reproduktion des Wohnungsbestandes an Hand der Bedarfsentwicklung anzustellen und Strategien zur Lösung der anstehenden Probleme zu entwickeln. Aber genau das fehlt.
Drittens. Das Gutachten wird geprägt von Eigentumsfetischismus contra Wohnen zur Miete. Der Erwerb von Eigentumswohnungen auch aus dem Bestand wird favorisiert, obwohl dieses Konstrukt nach unserer Meinung in jeder Hinsicht fragwürdig ist. Kategorische Ablehnung verdient die Position der Gutachter, jegliche Mietpreisbindung, auch bei öffentlich geförderten Wohnungen, abzuschaffen. Deswegen ist auch das Fehlen von Vorschlägen zur Förderung des genossenschaftlichen bzw. kommunalen Wohnungsbaus nicht verwunderlich.
Viertens. Zu unterstützen ist der Vorschlag, das Vergleichsmietenverfahren durch ein Mietspiegelgesetz verbindlicher auszugestalten.
Fünftens. Abzulehnen ist aber die weitere Verknüpfung von Wohnungsbauförderung und Eigentumspolitik, weil sie Wohnflächen und Bauland frißt und damit wohnungspolitisch und ökologisch kontraproduktiv wirkt und verteilungspolitisch Besserverdienende bevorteilt.
Sechstens. Die Kommission hat sich eingehend mit Problemen der Bau- und Bodenpolitik befaßt. Beklagt werden das Regelungsdickicht, der Mangel an Eingriffsmöglichkeiten der Kommunen bzw. kommunaler Verbände zur Mobilisierung von Baulandreserven, die Blockadehaltung von Umlandgemeinden gegenüber dem Baulandbedarf von Kernstädten, eine zu starre Gebietstypisierung, die eine gesunde Funktionsmischung behindert, und vieles mehr.
Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage, welche praktischen rechtlichen Schlußfolgerungen aus Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes - „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen" - zu ziehen sind. Das Gutachten liefert dafür durchaus interessante Denkansätze. Aber das Thema selbst ist so wichtig und so komplex, daß eine grundsätzliche Erörterung und eine politische Willensbildung, die von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und vom Leistungsprinzip ausgeht, dringend geboten erscheinen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Insgesamt hat die mit über 2 Millionen DM ausgestattete Expertenkommission „Wohnungspolitik" eine wichtige Arbeit geleistet. Die wichtigste Aufgabe aber bleiben eine Reform der Wohnungsbauförderung entsprechend dem tatsächlichen Bedarf und zielgerichtet für die, die diese Förderung unbedingt brauchen, sowie veränderte Miethöhe- und Wohngeldgesetze, die den Mietern Luft zum Atmen lassen und zugleich die normale Wirtschaftlichkeit von Wohnungsunternehmen sichern.
Ein entscheidender Punkt ist hierbei, parasitäre Elemente in der Wohnungsbaufinanzierung und in der Bodenpolitik entscheidend zurückzudrängen. Das vorliegende Gutachten, die zahlreichen Vorschläge und Ausarbeitungen von Mieterorganisationen, Verbänden der Wohnungswirtschaft, Gewerkschaften, Kirchen und wissenschaftlichen Einrichtungen wie auch der von der alternativen Expertenkommission vorgelegte Zwischenbericht „Wohnen ist Menschenrecht" sind eine gute Grundlage, damit die politisch Verantwortlichen unter Einbeziehung breitester gesellschaftlicher Kräfte zügig eine Neukonzipierung der Wohnungspolitik mit dem Ziel sicherer und bezahlbarerer Wohnungen für alle Menschen vornehmen und zum erfolgreichen Abschluß bringen können.
Ob Herr Töpfer und die Regierungsparteien dazu bereit und auch in der Lage sind, steht allerdings auf
Klaus-Jürgen Warnick
einem anderen Blatt. Aber man soll die Hoffnung ja nicht aufgeben.
Ich danke Ihnen.