Rede von
Franziska
Eichstädt-Bohlig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vorab sagen, daß in diesem Bericht der Expertenkommission eine Reihe von sehr guten und brauchbaren Analysen stehen. Ich möchte
Franziska Eichstädt-Bohlig
aber doch hier zunächst über die Grundhaltung dieses Berichtes reden, weil ich glaube, daß die hinter dem Bericht stehende Ideologie - ich sage dieses Wort bewußt - sehr kennzeichnend für das ist, was sich derzeit im gesellschaftlichen Umbruch bewegt. Es ist im Endeffekt das auch in anderen Politikfeldern zunehmende Bestreben, das Sozialstaatsprinzip zu demontieren.
Dies wird ganz bewußt und gezielt nicht nur in der Kurzfassung des Gutachtens, die wir im Herbst vorliegen hatten, sondern auch im ausführlichen Gutachten immer wieder zum Grundtenor aller Empfehlungen und interessanterweise auch der Analysen gemacht, die die Expertenkommission der Regierung und letztlich dem Bundestag gibt.
Zusammenfassend kann man eigentlich nur sagen: Das Wichtigste, was die Gutachter überhaupt nicht beachtet haben, ist Art. 14 des Grundgesetzes, in dem es heißt, daß das Eigentum dem Wohle der Allgemeinheit verpflichtet ist. Dies bedeutet, daß der Eigentümer nicht nur das Recht auf Verwertung seines Eigentums hat und daß es nicht angehen kann, daß die Verpflichtung, dem Wohle der Allgemeinheit zu dienen, letztlich den Kommunen aufgedrückt wird. Das halten wir für einen grundsätzlich falschen Politikansatz, gegen den wir uns mit allen Kräften immer wieder stellen werden, auch wenn uns das Gegenteil von der Koalitionsseite eingeredet werden soll.
Ein zweiter Punkt, der noch zu wenig beachtet worden ist, der sich aber durchgängig durch dieses Gutachten hindurch zieht: Die Probleme sollen letztlich einseitig gelöst werden: Während auf der einen Seite der Markt seine Gewinne machen soll, soll auf der anderen Seite der Staat die Probleme kompensieren. Die Gesellschaft dazwischen, die Menschen sind in diesem ganzen Gutachten nur so viel wert, wie sie Geld haben, um entweder Mieten zu zahlen oder Eigentum zu erwerben. Die Selbsthilfekräfte der Menschen, die Organisations- und Mitbestimmungspotentiale, all das wird in diesem Gutachten so gut wie überhaupt nicht erwähnt. Nur beim eigentumbildenen Menschen ist überhaupt Eigeninitiative gewünscht und möglich. Ansonsten ist der Mensch wirklich nur das Geld wert, das er hat.
Auch diese Grundideologie halten wir für falsch. Gerade heute ist es an der Zeit, daß wir nicht ständig den Pingpongball zwischen Staat und Markt hin und her werfen. Vielmehr ist es nötig, die Menschen selbst zu aktivieren und zur Verantwortung für die Lösung der Probleme mit zu mobilisieren.
Ich möchte das an einigen Beispielen jetzt deutlich machen; einiges hat Herr Reschke ja schon gesagt. Die wichtigsten Merkmale dieses Berichts zielen auf eine ziemlich knallharte Marktliberalisierung ab: Das Mietrecht soll von Kappungen und Begrenzungen befreit werden, der Kündigungsschutz soll weitestgehend gelockert werden, das Recht der Umwandlung von Wohnungen in Gewerberaum soll freigegeben werden, der soziale Wohnungsbau soll abgeschafft werden, der Osten soll nach der Fasson des Westens selig werden usw. Das Hauptproblem dabei - Herr Reschke hat es angesprochen - ist, daß die Folgen und Folgekosten einer solchen Politik einfach durch Wohngeld kompensiert werden sollen. Ich frage mich, wieviel Wohngeld wir haben müssen,
um hinter dieser Mietenfreigabe und hinter dieser Marktwirtschaft her zu subventionieren.
Insofern müssen wir uns ernsthaft klar machen, daß schon jetzt das Ringen um das Wohngeld zum zentralen Problem geworden ist. In diesem Jahr ist es gegenüber dem letzten Jahr um 800 Millionen DM gekürzt worden.
Wer glaubt denn da, daß es in den nächsten Jahren entscheidende Wohngeldsteigerungen geben wird?
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, den ich auch für grundsätzlich sehr interessant halte. Die Expertenkommission führt einen neuen Begriff ein. Sie unterscheidet nämlich zwischen Wohnungspolitik und Wohnungssozialpolitik. Die Wohnungspolitik hat dabei die Aufgabe, Investitionsanreize, Baulandvermehrung usw. zu schaffen. Die Wohnungssozialpolitik soll dann die Drecksarbeit machen. Sie soll die Probleme lösen, die z. B. durch Investitionsanreize entstehen.
Wir halten diese Politik der Separierung der Probleme für völlig falsch. Wir plädieren dezidiert für eine integrierte Wohnungspolitik, bei der der Ausgleich zwischen wirtschaftlichen Notwendigkeiten, wirtschaftlichen Zielen, die wir selbstverständlich auch mittragen - wir wollen keine Stoppolitik -, und sozialen Zielen gewährleistet sein muß. Denn dies sollen letztlich die Kommunen leisten, und sie sollen sehen, woher sie das Geld vom Bund erbetteln. - So kann es nicht sein!
Ich möchte einen nächsten Punkt ansprechen: die Ursachenforschung. Das Gutachten tut so, als sei der Wohnungsbestand von einem marktwirtschaftlichen Himmel gefallen. Tatsache ist aber - jedenfalls habe ich es so gelernt -, daß unendlich viele Steuergelder und viele öffentliche Subventionen in diesem Wohnungsbestand, so wie wir ihn jetzt haben, drinstekken.
Das Problem ist jedoch nicht unbedingt ein Zuviel an Subventionen, sondern daß den Eigentümern zu große Rechte zur Verwertung dieser öffentlichen Subventionen gegeben worden sind. Ich möchte es einmal deutlich sagen: Wenn immer so viel über die Fehlsubventionierung von Mietern gesprochen wird, dann muß endlich auch einmal über die Fehlsubven-
Franziska Eichstädt-Bohlig
tionierung von Eigentümern und über das Recht auf Spekulationen mit Sozialwohnungen geredet werden, denn das ist das zentrale Problem, das wir haben.
Ein nächster Punkt, den ich vorhin schon erwähnt habe: Ich habe nichts über Selbsthilfe und Eigenleistungen von Mietern gelesen, weder über die bisherigen, unendlich großen Eigenleistungen, die insbesondere auch im Osten erbracht worden sind, noch über die Möglichkeit, diese Potentiale der Menschen wirklich zu aktivieren. Statt dessen finde ich immer wieder die Hinweise: Die Mieter sollen doch mehr Mobilität zeigen. - Das heißt, Wohnen als Ware soll zum Prinzip werden. Das Recht auf Heimat, das Recht auf den Ort, wohin man gehört, soll dem Mieter genommen werden, weil er sich, wenn die Wohnung zu teuer wird, irgendwo eine billigere suchen soll - die er aber garantiert nicht findet.
Ich möchte auf einen weiteren, mir sehr wichtigen Punkt hinweisen. Hier bin ich existentiell erschrokken. In Ziffer 3201 wird das Problem der Wohnungslosigkeit in einer wirklich beschämenden Weise simplifiziert. Das Problem wird in keiner Weise als eine Frage von Kosten, von Miete und Einkommen dargestellt, sondern es wird ausschließlich als subjektives Problem der Menschen, die sich - man merke - „nicht in Hausgemeinschaften einfügen" können, die „abweichende Verhaltensweisen und Merkmale" haben und die als „Teilnehmer am Markt nicht akzeptiert" werden, dargestellt. Obdachlosigkeit wird hier praktisch zur Diskriminierung der Menschen benutzt, die davon betroffen sind.
Das ist für mich ein politischer Skandal. Ich bitte darum, daß sich die Regierung von diesem Punkt dezidiert distanziert. Ich halte es wirklich für unmöglich, einen Bericht zu akzeptieren, der mit solchen Positionen hausieren geht.
Als letztes zur Stellungnahme der Bundesregierung: Die ist natürlich, wie zu erwarten, pflaumenweich und überwiegend unverbindlich. In dem Punkt, der sich mit dem Mietrecht befaßt, wird zwar zur Vereinfachung des Mietrechts gesprochen, aber es wird in keiner Weise gesagt, ob das Mietrecht im Sinne der Experten weiter gelockert werden soll oder ob es vielleicht in unserem Sinne deutlicher zu einem Eindämmen der Mieteninflation genutzt werden soll. Hier hält sich die Regierung fein bedeckt und macht keine Aussagen. Immerhin ein Punkt, ein kleines Bonbon: Der bestehende Kündigungsschutz soll nach der Stellungnahme der Regierung nicht angetastet werden. Dafür sind wir schon sehr dankbar.
Der soziale Wohnungsbau soll auch nicht ganz gestrichen werden. Aber wenn wir uns den diesjährigen Haushalt ansehen, dann stellen wir fest, daß das Wort „sozial" im sozialen Wohnungsbau eigentlich kaum eine Rolle spielt, denn die einkommensorientierte Förderung ist letztlich eine Förderung im Mietenspektrum zwischen 12 und 18 DM. Das trifft einfach nicht die Gruppen, die es am nötigsten haben. Insofern wiederhole ich unsere Forderung, die wir schon öfter hier vorgetragen haben: Für uns hat die Behebung von Wohnungslosigkeit erste Priorität, ein sozialer Wohnungsbau, der den wirklich bedürftigen Schichten zugute kommt. Erst danach können wir über Eigentumsförderung und über Wohnungsbauförderung für mittlere und besserverdienende Schichten reden, aber nicht immer umgekehrt, wie es letztlich die Tendenz der Regierungsstellungnahme ist.
Über die Kostensenkungen kann ich eigentlich nur milde lächeln; denn die Forderungen nach Kostensenkungen stehen im Endeffekt schon seit Jahr und Tag im II. Wohnungsbaugesetz. Trotzdem ist es bisher noch nicht gelungen, diese Kostensenkungen durchzusetzen. Aber Sie können sicher sein, daß Sie, wenn es hier gute Vorschläge gibt - also mehr als nur Pilotprojekte, wie es in der Stellungnahme angekündigt wird -, unsere Unterstützung haben werden; denn wir wissen alle, daß das ein zentrales Problem ist.
Die Förderung des Wohnungseigentums wird insbesondere auch von der Regierung herausgestrichen. Wir sind nicht gegen die Eigentumsförderung; wir unterstützen da tendenziell die Position, die von Herrn Reschke eben vertreten wurde, insbesondere auch in bezug auf j 10e. Ich sage es aber noch einmal - ich kann es nicht genug betonen -: Zuerst kommt die Beseitigung der Wohnungslosigkeit, dann kommt die Eigentumsförderung - nicht umgekehrt, wie Sie es immer machen.
Zum Wohngeld kann ich eigentlich nur sagen: Ich habe von der Regierung als Reaktion auf diesen Bericht erwartet, daß sie die Experten oder ein anderes Gremium auffordert, auszurechnen und zu simulieren, was die marktwirtschaftliche Mietenfreigabe an Wohngeld wirklich kostet. Die Tatsache, daß darüber kein Wort verloren wird, sondern so getan wird, als sei das nur ein Problem der Änderung des Wohngeldrechts, halte ich politisch, auch haushaltspolitisch für nicht vertretetbar. Es muß einmal gerechnet werden: Was kostet das die öffentlichen Hände, und was müßte den Kommunen dann an Wohngeld gegeben werden, damit sie die Probleme überhaupt lösen können?
Im Regierungslager gibt es in wohnungspolitischer Hinsicht leider nicht viel Neues. Ich habe Sorge, daß letztlich indirekt noch mehr Positionen der Expertenkommission unterstützt werden, als momentan zugegeben wird. Wir werden dem aber nach Kräften entgegenwirken. Ich bin sicher, daß wir da auch die richtigen Argumente haben.