Rede von
Peter
Dreßen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese dritte Änderung des Sozialgesetzbuches, bei der es in erster Linie um die Überprüfung der korrekten Zahlung von Sozialbeiträgen geht, die bisher in erster Linie durch die Krankenkassen geleistet worden ist, sieht vor, daß künftig die Träger der Rentenversicherung zuständig sein werden.
Dies ist notwendig, weil im Zuge der Gesundheitsreform ab 1996 - der Herr Staatssekretär hat es erwähnt - für alle Krankenversicherten, also auch für die Arbeiterinnen und Arbeiter, Wahlfreiheit zwischen den einzelnen Kassenarten bestehen wird.
Die Wahlfreiheit geht wesentlich auf die Initiative von uns Sozialdemokraten zurück. Im Rahmen der Debatten zur Gesundheitsreform haben wir maßgeblich darauf hingewirkt, daß künftig auch die Arbeiterinnen und Arbeiter ihre Krankenversicherung frei wählen können. Die überkommene Trennung zwischen Angestellten und Arbeitern macht für uns keinen Sinn mehr. Damit wird gleichzeitig - so hoffen wir - die berühmte „Rosinenpickerei" unter den Krankenkassen ein Ende finden.
Hier spielt auch eine Rolle, daß die Betriebsprüfungen durch die Ersatzkassen in der Vergangenheit zu wünschen übrigließen. Ich habe bewußt nur die Ersatzkassen genannt, weil wir den gesetzlichen Krankenkassen eigentlich einen Dank für das aussprechen müssen, was sie bisher geleistet haben.
Wir sind uns allerdings bewußt, daß die Ortskrankenkassen im Rahmen der Betriebsprüfungen in großem Umfang auch Betriebsberatung betrieben haben. Hier ist ein Vertrauensverhältnis entstanden, das im Zuge der Reform künftig verlorengehen wird. Die Lage der Ortskrankenkassen wird dadurch sicherlich nicht einfacher werden.
Trotzdem stimmen wir Sozialdemokraten diesem Gesetzentwurf zu, um Wettbewerbsverzerrungen in positiver wie negativer Hinsicht zwischen den Krankenkassen zu vermeiden. Allerdings sind aus unserer Sicht eine Reihe von Punkten verbesserungsbedürftig.
Als erstes ist die geplante Übergangsfrist zu nennen, die der Herr Staatssekretär angesprochen hat. Ein Zeitraum von fünf Jahren erscheint uns als schlichtweg zu lang. Aus unserer Sicht ist es sinnvoller, die Rentenversicherer früher in die Pflicht zu nehmen. Vorstellbar wäre ein Zeitraum von etwa zwei Jahren.
Soweit die jeweiligen Rentenversicherungsträger zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Übernahme der Prüfung in der Lage sind, sollte es möglich sein, mit den Krankenkassen Sonderabsprachen zu treffen, wonach die Prüfung entsprechend später auf die Rentenversicherung übergeht. Dies muß jedoch ausschließlich im jeweiligen regionalen Kontext und darf nicht etwa bundesweit erfolgen. Wir wollen also nach Art. 2 dieser Vorlage einen Umkehrschluß.
Zweitens wollen wir, daß die bisher in den Krankenversicherungen tätigen Betriebsprüfer die Möglichkeit erhalten, in die Rentenversicherungen überzuwechseln. Hier ergeben sich auf Grund der unterschiedlichen Dienstrechte Schwierigkeiten, da die Rentenversicherung z. B. kein Dienstordnungsverhältnis kennt, wie es in der AOK noch üblich ist.
Im Rahmen der Ausschußberatungen müssen wir daher eine entsprechende Regelung finden und gesetzlich festschreiben, um den Übergang zu ermöglichen. Ob das per Verordnung durch den Arbeitsminister oder per Gesetz erfolgt, ist für uns unwichtig. Wichtig ist, daß es möglich ist. Es muß allerdings für die betroffenen Mitarbeiter so geregelt werden, daß der Übergang auf freiwilliger Basis erfolgt.
Ein anderer Fallstrick liegt darin, daß infolge der vorrangigen Zuständigkeit der Krankenversicherung bislang bei Betriebsprüfungen abgestimmte Entscheidungen der Sozialversicherungsträger ergangen sind, so daß die jeweiligen Unternehmen einen hohen Grad an Rechtssicherheit genossen haben.
Dies muß auch künftig gewährleistet sein, wenn die Rentenversicherung die Betriebsprüfungen vorzunehmen hat. Auch das wird uns im Ausschuß noch beschäftigen müssen, zumal die Krankenkassen ein Interesse daran haben werden, gegebenenfalls Nachprüfungen gemäß § 98 Sozialgesetzbuch X vorzunehmen, um die korrekte Abwicklung von krankenversicherungsrelevanten Beiträgen überprüfen zu können.
Ich möchte noch auf ein Problem hinweisen. Wir Sozialdemokraten versprechen uns von der technischen Änderung auch eine bessere Überprüfung von illegaler Beschäftigung und eine Eindämmung der stark zunehmenden sogenannten Scheinselbständigkeit, zumal die Rentenversicherung ein höheres Interesse als die Krankenversicherung daran hat, daß entsprechende Mißstände abgestellt werden und die Beiträge korrekt abgeführt werden.
In der Vergangenheit hatten die Krankenkassen nicht immer die Möglichkeit, Scheinselbständigkeit zu überprüfen. Diese dritte Änderung des Sozialgesetzbuches, so wie sie uns heute vorliegt, verbessert diese Möglichkeit allerdings nicht. Es ist deshalb dringend geboten, daß wir uns in diesem Hohen Hause des Problems in naher Zukunft annehmen.
Was sich hier abspielt, ist für die Betroffenen sozialversicherungsrechtlich eine Katastrophe. Sie sind nach wie vor abhängig, was Arbeitszeit und faktisches Weisungsrecht angeht. Die Bezahlung jedoch ist so mies, daß entsprechende Sozialversicherungsbeiträge, die notwendig wären, eingespart werden.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer sparen auf den ersten Blick Gelder, für die der Staat hinterher aufkommen darf. Mit diesen Arbeitsverhältnissen produzieren wir die Armut von morgen und übermorgen. Ich sage das für den, der das immer noch nicht kapiert hat.
Peter Dreßen
Dasselbe gilt natürlich auch für die berühmten 580-Mark-Jobs. Hier hat sich in unserer Gesellschaft etwas durchgesetzt, was vom Gesetzgeber in dieser Form sicherlich nicht gewollt sein konnte. Ursprünglich für Studenten als Aushilfsjobs vorgesehen, werden sie heute dazu genutzt, um massenhaft ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse abzuschließen. Tausende von ordentlichen Arbeitsplätzen sind auf diese Weise verlorengegangen.
Dies, meine Damen und Herren, bedarf dringend einer gesetzlichen Regelung. Ich halte es für sehr bedauerlich, daß die Bundesregierung ihren Entwurf für die dritte Änderung des Sozialgesetzbuchs nicht dazu genutzt hat, um diese Mißstände ebenfalls zu beseitigen.
Aber statt den grassierenden Mißbrauch und die bestehenden Lücken im Sozialgesetzbuch zu schließen, verhandeln wir hier letztlich nur über eine technische Nachfolgeregelung zum Gesundheitsstrukturgesetz. Wir begrüßen zwar, daß der Wettbewerb unter den Kassen mit dieser technischen Änderung in der Zukunft gewährleistet wird. Aus meiner Sicht vergeben Sie jedoch, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, hiermit wieder eine Chance, dem fortschreitenden Sozialabbau entgegenzuwirken. Oder - lassen Sie mich diese rhetorische Frage zum Schluß stellen - sollte der von Ihnen immer wieder beschworene „Umbau des Sozialstaates" nichts anderes als Sozialabbau sein?