Rede von
Doris
Odendahl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Mit Verlaub, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition - viele sind es ja nicht -: Es gehört schon ein gehöriges Maß an Realitätsverlust dazu, den heute von Ihnen vorgelegten Entwurf der 17. BAföG-Novelle als bildungspolitische Wohltat an die Studierenden verkaufen zu wollen.
Es ist ärgerlich, daß wir uns hier im Abstand von nur wenigen Wochen erneut mit der ersten Lesung einer BAföG-Novelle befassen müssen, weil weder die Bundesregierung noch die Regierungskoalition rechtzeitig die Kurve gekriegt haben. Es ist noch viel ärgerlicher, daß in Ihrem Gesetzentwurf materiell nichts enthalten ist, was nicht schon im letzten Sommer als Koalitionslinie bekannt war. Tatsache ist, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung viel zu spät beschlossen wurde und jetzt nicht einmal - wie in Aussicht genommen - zum Herbst 1995 in Kraft treten könnte, wenn die Koalitionsfraktionen nicht eine Kopie mit verändertem Absender als Rettungsmaßnahme hier einbringen und uns damit eine erneute
Doris Odendahl
Debatte über längst bekannte Tatsachen bescheren würden.
Der Gesetzentwurf ist von seiten der Bundesregierung viel zu spät beschlossen worden. Das Fingerhakeln mit dem Finanzminister hat zu lange gedauert. Herr Laermann, Sie haben Erfahrungen in diesem Bereich.
Wenn ihr tatsächlich daran gelegen ist, daß die 17. BAföG-Novelle nun endlich zum Herbst 1995 mit einem Jahr Verzögerung - das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen - in Kraft tritt, müssen die parlamentarischen Beratungen im Bundesrat und im Bundestag Ende Juni abgeschlossen sein. Das ist nur noch unter großem Zeitdruck für die Plenar- und Ausschußberatungen möglich und dient nicht der seriösen parlamentarischen Beratung.
Die Bundesregierung hatte Zeit genug. Sie hätte ihre Vorstellungen bei ihrer Stellungnahme zum Bundesratsgesetzentwurf vom September 1994 bereits im Dezember 1994 konkretisieren können. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben es fertiggebracht, das Gesetzgebungsverfahren um ein volles Jahr zu verzögern. Sie haben damit die bedürftigen Studenten um die notwendigen Leistungsanpassungen für ein volles Jahr geprellt.
Schäbig, meine Damen und Herren, kann man da nur sagen.
Nun zum materiellen Teil. In der von der SPD- Fraktion beantragten und gestern durchgeführten Expertenanhörung zur 17. BAföG-Novelle waren alle befragten Sachverständigen einhellig der Meinung: Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen vorgesehenen Anhebungen der Freibeträge und der Bedarfssätze sind unzureichend und kommen zu spät. Sie tragen der Entwicklung der sozialen Lage der Studierenden weder in den alten noch in den neuen Bundesländern Rechnung.
Nach den Ergebnissen der mit den Mitteln des Bundesministers für Bildung und Forschung geförderten 14. Sozialerhebung wäre eine Anhebung der Bedarfssätze um 9,4 % und der Freibeträge um 9,8 % erforderlich. Der dramatische Rückgang der Gefördertenquote in den alten wie in den neuen Bundesländern wird sich auf Grund einer unzureichenden Anhebung der Bedarfssätze und der Freibeträge um je 4 % - nach dem Willen der Bundesregierung jetzt erst zum Herbst 1995 - fortsetzen.
Das steht in diametralem Gegensatz zum Ziel der Chancengleichheit. Es darf nicht dazu kommen, daß ein Studium in Deutschland zum Luxusgut wird. Aber offenbar hält die Regierungskoalition an der Politik der Abschreckung vom Studium fest. Immerhin sieht Ihre Bilanz so aus, daß in Ihrer Regierungszeit, also seit 1982, der Anteil von Studierenden aus einkommensschwächeren Familien von 23 % auf 15 % gesunken ist
und der Anteil der BAföG-Empfänger innerhalb von drei Jahren von 28 % auf 24 % zurückgegangen ist.
Das macht auch deutlich, daß insbesondere die Studierenden in der Vergangenheit mehr als andere Gruppen von Sozialleistungsempfängern zur Haushaltskonsolidierung beitragen mußten.
Auch die in dem Gesetzentwurf geforderte Anpassung von 4 %, die auf dem 1994 im Vermittlungsausschuß gefundenen Kompromiß beruht, ist nur dann tragbar, wenn die Erhöhung rückwirkend auch für 1994 gezahlt würde.
Wenn das haushaltstechnische Schwierigkeiten macht, gibt es sicher Mittel und Wege - darüber könnten wir uns verständigen -, die von Ihnen verursachte Verzögerung in Form einer Einmalzahlung auszugleichen. Man muß nur wollen, meine Damen und Herren.
Einhellig abgelehnt wurde in der Sachverständigenanhörung der von der Bundesregierung geforderte Studienstandsnachweis - mir kommen bei diesem Wort immer Wasserstandsmeldungen in den Sinn - bereits nach dem zweiten Fachsemester. Alle Studentenverbände - unter Einschluß der den Parteien der Koalitionsfraktionen nahestehenden RCDS und LHG - und die Vertreter der Hochschulrektorenkonferenz, des BAföG-Beirats und des Deutschen Studentenwerkes haben sich gegen diesen zusätzlichen Leistungsnachweis ausgesprochen. Wenn dieser zusätzliche Leistungsnachweis nicht aus der 17. Novelle gestrichen wird, stellt er einen ganz empfindlichen Störfaktor für die durch die Länder eingeleiteten Strukturreform an den Hochschulen dar.
Zu Recht wurden verfassungsrechtliche Bedenken dagegen erhoben, in einem Sozialleistungsgesetz innere Angelegenheiten der Hochschulen zu regeln, für die allein die Länder zuständig sind.
Die überlasteten Hochschulen werden gezwungen, mit einem völlig unsinnigen bürokratischen Aufwand den Studienbeginn, der vorrangig der Orientierung dient, zum bloßen Scheineklopfen zu verändern. Dies widerspricht im Kern auch der Forderung der Bundesregierung, der Länder und aller hoch-
Doris Odendahl
schulpolitisch Verantwortlichen, den Hochschulen mehr Autonomie und mehr eigene Verantwortung für die Organisation von Studium und Lehre zu geben.
Im übrigen scheint Ihnen gar nicht klar zu sein - auch wenn Sie gestern in der Anhörung waren -, welcher Flut von Prozessen Sie von denen entgegensehen, die nachweisen können, daß es gar nicht möglich war, das derzeit in den ersten zwei Semestern zu absolvieren. Ich meine, die hierfür vergeudete Zeit und das Geld wären sinnvoller angelegt, wenn der Aufwand für die Studienberatung erhöht und die Betreuung gerade in den Anfangssemestern intensiviert würde. Darauf müssen wir achten; das müssen wir tun.
Es bleibt festzuhalten - ich kann Ihnen das nicht ersparen; daraus spricht aber kein Mitleid; Sie haben es vielmehr gewußt -: Die gestrige Anhörung brachte eine schallende Ohrfeige für den Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Regierungskoalition.
Als ich von dem heute zur Diskussion stehenden Koalitionsentwurf hörte, hatte ich noch ein leises Gefühl von Hoffnung, daß Sie sich vielleicht doch noch nach einem Jahr des Hinhaltens und der Verzögerung im Interesse der Studierenden zu einer Schadensbegrenzung bereit finden könnten, wenn schon keine Wiedergutmachung aus Ihrer Sicht mehr möglich erscheint.
Sie haben durch den Abklatsch des Regierungsentwurfs Ihre Chance nicht wahrgenommen. Hören Sie doch endlich einmal mit dem unwürdigen Schauspiel der Feilscherei bei der Novellierung des BAföG auf, und kehren Sie zu dem ursprünglich gemeinsam gewollten Ziel der Chancengleichheit im Bildungsbereich zurück! Sie würden damit nicht nur den Studierenden, sondern auch der Politik und der Gesellschaft einen großen Dienst erweisen.