Rede von
Hildebrecht
Braun
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Liebe Frau Eichstädt-Bohlig, es konnte mir deswegen nicht entgehen, weil es so nicht zutrifft. Es ist bundesweit flächendeckend - unabhängig von der Ausgangsbasis der Neuvermietungsmieten - ein drastischer Rückgang zu verzeichnen. Lassen Sie sich von der Stadt Augsburg erzählen, wo ich als Bundestagskandidat angetreten bin. Dort lag die Neuvermietungsmiete bis vor zwei Jahren bei 13 bis 14 DM; jetzt liegt sie bei 10 DM. Das wurde durch die Schaffung eines ausreichenden Angebots erreicht. Darum geht es eben: Wir wollen hier nicht ein Konzept der Mängelverwaltung vortragen, sondern uns bemühen, die Mängelsituation zu beseitigen.
Das ist der Unterschied zwischen der Politik der Regierungskoalition und der Politik der Opposition.
Herr Reschke, ich hatte wirklich den Eindruck, Sie sprechen von einem ganz anderen Land. Wir haben in den letzten Jahren eine solche Entspannung auf dem Wohnungsmarkt erlebt - und dies kommt nicht von ungefähr -,
daß sie Ihnen nicht entgangen sein kann.
Ich möchte meine kurze Redezeit im Moment aber nicht zur Auseinandersetzung mit der Opposition oder mit einzelnen Vorschlägen der Gutachter nutzen.
Vielmehr will ich mich dem Thema widmen: Wie geht dieser Bundestag mit den von ihm beauftragten Gutachtern um?
Wie mögen sich die Männer fühlen, die nach einem Auftrag des Bundestags von der Bundesregierung berufen wurden, eine umfassende gutachterliche Stellungnahme zur deutschen Wohnungspolitik abzugeben?
Die Herren wurden unter Hunderten von Wissenschaftlern, Wirtschaftlern auf Grund ihrer besonderen Kompetenz für diese außerordentlich schwierige Aufgabe ausgewählt. Sie haben in zwei Jahren eine riesige Arbeitsleistung erbracht, die sie mit Stolz der Bundesregierung und der Öffentlichkeit vorgelegt haben.
Hildebrecht Braun
Ihre Freude dürfte wohl einigermaßen getrübt worden sein, als sie die Reaktion der meisten Politiker, zumeist der deutschen Opposition, aber besonders auch der deutschen Presse wahrnehmen mußten. Da wurden sie als die miesesten Typen der Nation hingestellt, die der Mehrheit unseres Volkes ans Leder wollten und völlig aberwitzige, ja teuflische Vorschläge ausgeheckt hatten. Die Stimmung im Volk wurde aufgeheizt, so daß Mitglieder der Kommission Personenschutz anfordern mußten.
Es war geradezu eine Schande, wie Öffentlichkeit und Politiker mit den von der Regierung berufenen Experten umgingen.
Völlig übergangen wurde, daß die Experten nicht nur Wohnungsmarktpolitik fordern, sondern eben auch eine effiziente Wohnungssozialpolitik. Frau Eichstädt-Bohlig, Wohnungspolitik ist Teil der Sozialpolitik - völlig d'accord -, die Frage ist nur, wie dies umgesetzt wird. Die Experten sagen völlig zu Recht: Die bloße Tatsache, daß der Begriff „sozialer Wohnungsbau" auch das Etikett „sozial" enthält, sagt eben leider noch lange nichts darüber, ob dieses Konzept, speziell das des ersten Förderwegs, auch wirklich sozial ist. Die Experten haben darauf hingewiesen - das wissen doch mittlerweile alle -, daß die staatlichen Mittel im sozialen Wohnungsbau, besonders im ersten Förderweg, fehlgeleitet werden, daß sie nicht zielgenau eingesetzt werden,
daß in vielerlei Hinsicht die Falschen gefördert werden. Ich möchte das Thema aber nicht vertiefen; ich habe dazu hier schon mehrfach Stellung genommen.
Die Experten fordern einen effizienten Mitteleinsatz. Wer würde ihnen hier wohl widersprechen wollen? Sie sagen, sie wollen Subjektförderung, sie wollen eine Verbesserung des Wohngelds. - Das ist richtig, das wollen Sie doch auch.
Das ist die notwendige Korrektur der marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die wir alle haben wollen. Dann brauchen wir ein Wohngeld, das in der individuellen Lebenssituation des einzelnen ausreicht, das so gestaltet ist, daß jeder bei uns - wohlgemerkt: jeder - eine angemessene Wohnung haben kann.
Nun, nach sieben Monaten, haben sich die Wogen etwas geglättet. Einige Kritiker, die sich zunächst mit peinlichen Kommentaren vernehmen ließen, hatten zwischenzeitlich Gelegenheit, den einen oder anderen Teil des Gutachtens, zumindest der Kurzfassung, zu lesen. - Es ist ja bekannt: Lesen bildet. -
Es trat eine Versachlichung ein. Wir konnten im Bauausschuß und in Fachgesprächen immer wieder aus dem Gutachten zitieren, ohne negative Reaktion. Selbst Sie, Herr Reschke, haben im Ausschuß bereits zur Unterstützung eigener Thesen aus dem Gutachten zitiert.
Die Sachverständigen mögen sich von dem Schock ihres Lebens erholt haben. Und dennoch, ich fürchte, sie sind bereits in die nächste Depression verfallen. Denn was macht der Bundestag, was machen die Länderbauminister seit Vorlage des Gutachtens? Sie verhalten sich so, als gälten für sie die beiden obersten bayerischen Rechtssätze, nämlich „Wo karret ma denn da hi?" - auf hochdeutsch: Das wäre ja noch schöner! - und „Jetzt erst recht! "
Die Experten wissen, daß die Lösung der Wohnungsprobleme in der ausreichenden Zahl der zur Verfügung stehenden Wohnungen liegt. Das Wohnungsproblem ist ein Mengenproblem.
Die Experten wissen auch, daß nur ein Meiner Bruchteil der Wohnungen vom Staat gebaut wird und gebaut werden kann. Die große Mehrzahl der Wohnungen muß also von Privaten erstellt werden, die Wohnungen als Wirtschaftsgut bauen und bauen müssen und deswegen natürlich entsprechende Rahmenbedingungen brauchen, da andernfalls diese Investitionen nicht stattfinden können.
Zumindest langfristig müssen sich auch beim Bau von Wohnungen die Perspektiven einer ausreichenden Rendite ergeben, sonst kann Wohnungsbau nicht stattfinden.
Viele Politiker sehen das hier offensichtlich ganz anders. Sie halten es einfach für gottgegeben, daß Wohnungen vorhanden sind. Sie glauben quasi an das Manna, das vom Himmel fällt.
Die Gutachter sprechen sich nachhaltig gegen Kappungsgrenzen jedweder Art aus. Unsere glorreichen Bauminister erfinden statt dessen in einem Gesetz gleich zwei neue, nämlich im Mietenüberleitungsgesetz bei der Modernisierung und bei den Mieterhöhungsspielräumen im Bestand. Am liebsten würden sie auch noch bei der Neuvermietung eine gesetzliche Kappungsgrenze einführen, obwohl sie es wirklich besser wissen müßten. Ich habe es nachgewiesen, und jeder von Ihnen hätte es nachlesen
Hildebrecht Braun
können: Die Einführung von Kappungsgrenzen im Mietrecht führt tendenziell zu noch mehr steigenden Mieten. Von 1977 bis 1982 stiegen die Mieten weniger als der Lebenshaltungskostenindex.
Ab 1983, just als die Kappungsgrenze im westdeutschen Mietrecht eingeführt wurde, stiegen die Mieten um 1,7 % im Jahresdurchschnitt bis heute schneller als der Lebenshaltungskostenindex. Das ist die Folge der Kappungsgrenze, Frau Eichstädt-Bohlig. Prüfen Sie es nach!
Die Gutachter weisen darauf hin, daß sich viele Mieterschutzregelungen gerade gegen die zu Schützenden wenden. Dies hindert Politiker aber nicht daran, immer wieder neue Rechte zu erfinden, die scheinbar die Mieter schützen, sich in Wirklichkeit aber langfristig gegen sie wenden.
Die Gutachter schreiben nahezu auf jeder Seite dieser vielhundertseitigen Expertise, daß wir in der Wohnungspolitik mehr Markt brauchen und weniger Staat. Aber die glorreichen Sieben, nämlich die sechs östlichen Bauminister und der bayerische Ministerpräsident, verstehen die Aufforderung genau umgekehrt. Sie sorgen für mehr Staat und für weniger Markt.
Die Kommission weist darauf hin, daß ein Mietrecht, welches die Mieten künstlich niedrig hält, zu einer Verknappung von Wohnraum und damit zu seiner Verteuerung führen wird. Die glorreichen Sieben wissen es natürlich besser und überbieten sich in Forderungen, statt der Marktmiete generell für alle, ja sogar für die Großverdiener in Bilderbuch-Jugendstilwohnungen, eine staatliche Billigstmiete zu verordnen.
Die Kommission mahnt eine regionale Differenzierung der Miethöhe an, wie sie der Markt fordert. Der Bundestag schickt sich an, für menschenleere Gebiete in Ostpommern nahezu die gleiche Miete wie für Bestlagen in Dresden festzulegen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, wenn meine Redezeit nicht so eng bemessen wäre.
Ich würde mich nicht wundern, wenn unsere arg gebeutelten Experten zu folgendem Ergebnis kämen: Sie schreiben einfach ihr Gutachten um. Sie fordern exakt das Gegenteil dessen, was sie bisher in diesem Gutachten als Forderung erhoben haben. Nach ihren bisherigen Erfahrungen müßten sie nämlich dann davon ausgehen, daß die Politiker wieder das exakte Gegenteil tun, und dann würden sie das Richtige tun.
Ich will nicht leugnen, daß einige Vorschläge der Experten von uns Politikern nicht übernommen werden können, aber nicht etwa, weil sie falsch sind, sondern weil sie als Experten, als Wissenschaftler einen wichtigen Punkt nicht richtig gewichtet haben, nämlich daß wir für alle Maßnahmen um die Zustimmung der Bevölkerung werben müssen. Eine Reihe von Vorschlägen der Gutachter würde das Verständnis unserer Bürgerinnen und Bürger überfordern. Deshalb können diese Vorschläge auch nicht aktuelle Politik werden.
Die frühere Bauministerin Schwaetzer wies bei der Vorstellung des Gutachtens deshalb völlig zu Recht darauf hin: Die Experten haben ein Gutachten erstellt; Politik wird aber von uns, den Politikern, gemacht. Ich kann uns allen allerdings nur raten, möglichst viele von den Vorschlägen im Gutachten Wirklichkeit werden zu lassen. Das wäre der dauerhaften Versorgung der Bevölkerung mit Wohnungen, insbesondere auch mit preiswertem Wohnraum, nur dienlich.
Es würde aber von uns Politikern erfordern, daß wir genügend Rückgrat beweisen, momentanen Wünschen von vielen Unwissenden, leider auch von Verbänden, zu widerstehen und statt dessen an diejenigen zu denken, die in zwei, in vier und in sechs Jahren eine Wohnung suchen und dann eine bezahlbare Wohnung brauchen. Wenn wir verantwortungsvolle Wohnungspolitik machen wollen, dann wird uns dieses Gutachten in den nächsten Jahren ständig begleiten. Wenn wir allerdings mehr auf momentane Zustimmung setzen, dann können wir es getrost zur Seite legen.