Rede von
Dr.
Barbara
Höll
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Ohne Girokonto ist man nur ein halber Mensch" zitiert das „Handelsblatt" vom 15. Februar dieses Jahres den ehemaligen Sozialdezernenten von Frankfurt am Main.
Herr Steiger, ich bin schlicht erstaunt darüber, wie Sie abstrakt von Vertragsfreiheit reden und sich wahrscheinlich überhaupt nicht vorstellen können, was es für 500 000 Männer und Frauen in diesem reichen Deutschland bedeutet, wenn ihnen ein Girokonto verwehrt wird.
Aus diesem Grunde haben wir bereits im Dezember vergangenen Jahres einen Antrag an die Regierung eingereicht, aktiv zu werden. Wenn Sie hier laufend mit Selbstverpflichtung der Industrie in bezug auf Ausbildungsplätze und wiederum mit Selbstverpflichtung bezüglich eines Rechts auf ein Girokonto arbeiten, dann wäre es wünschenswert - es wäre genug Zeit gewesen -, daß Sie mit Ihren guten Verbindungen schon etwas bewirkt hätten und wir nicht nur über diese drei Vorschläge diskutieren würden.
Die gegenwärtige Lage ist fatal für die Menschen und für dieses Land, welches sich selbstbewußt zu einem der modernsten und reichsten auf dem Globus zählt. Sie ist einfach unwürdig. Es ist nur scheinbar eine nebensächliche Selbstverständlichkeit, ein Girokonto zu haben. Sie bekommen ein Girokonto, jede Karte, die Sie wollen, Sie können sich das wirklich überhaupt nicht vorstellen.
Wenn man die vielfältigen alltäglichen Zahlungsverpflichtungen, die man über ein eigenes Konto abwickeln muß, nicht mehr durchführen kann, wird man dadurch vom wirtschaftlichen und sozialen Leben ausgeschlossen. Die Angabe einer Kontonummer ist nun einmal Voraussetzung für vielfältige wichtige Dienstleistungen: Für den Abschluß eines Mietvertrages ist die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr Voraussetzung, aber auch, wenn man eine Arbeit aufnehmen will. Wenn Menschen in der Situation sind, beim Abschluß eines Arbeitsvertrages schnell die Kontonummer eintragen zu müs-
Dr. Barbara Höll
sen und diese dann nicht aus der Tasche ziehen können, so belastet das die Menschen psychisch, bedeutet das doch, sich bloßstellen lassen zu müssen und gedemütigt zu werden.
Außerdem bewirken Sie damit, daß sich die Lage für Menschen, die oftmals schon in einer schwierigen Situation sind, weiter verschlimmert, weil bestimmte Dinge wie die Suche nach einer neuen Arbeitsstelle überhaupt nicht mehr realisiert werden können. Es wird eine Stigmatisierung in Größenordnungen durchgeführt.
Herr Bury erwähnte schon den Begriff der „Schalterhygiene". So etwas sollte uns doch zu denken geben. Es wird ins Feld geführt - und das sind sehr überzogene Darstellungen von Kreditinstituten -, daß die Risiken zu groß wären und vielleicht zu hohe Kosten entstünden. Es gefällt einfach vielen Banken nicht, wenn ihre Kunden durch eine andere Kundschaft, die nicht ganz so gut gekleidet ist und nicht ganz so gut auftreten kann, verunsichert werden.
Immer stärker wird auch dadurch sichtbar, daß sich unter Ihrer konservativen Regierungsmehrheit eine Stimmung in dieser Gesellschaft verfestigt, wonach es heißt: Jeder ist sich selbst der Nächste. Die sozialstaatliche Verpflichtung des Grundgesetzes läuft somit Gefahr, über Bord geworfen zu werden.
Daher ist es wichtig, daß wir als oberste Gesetzgeber durch einen solchen Ansatz aktiv werden. Das ist eine Bundessache.
Auch die heutige Debatte hat die Erosion dieser sozialstaatlichen Verpflichtung in den Köpfen der Menschen gezeigt. Herr Steiger, leider Gottes waren Sie ein Beispiel dafür.
Es wird völlig verdrängt, daß vielfach die Kreditinstitute selbst die Verursacher von Überschuldungen sind und daß es dann dazu kommt, daß die Schufa negative Auskünfte über die Betroffenen gibt. Die Schuldnerberatungen und Betroffenenverbände - man sollte sich auch einmal bei denen informieren - können davon ein Lied singen.
Es gibt aber auch andere, vielfältige Gründe, die nicht vom einzelnen selbst verursacht wurden, warum Menschen in Liquiditätsschwierigkeiten kommen können. Das kann Arbeitslosigkeit, von der man unvermutet getroffen wird, sein, eine Krankheit oder vielleicht auch einmal ein sehr verzögerter Zahlungseingang.
Deshalb ist es wirklich nicht in Ordnung, wenn man hier so tut, als ob es nur an dem einzelnen läge. Ich finde, es ist zynisch, daß hier mit für Betroffene existenznotwendigen Dingen so umgegangen wird, daß Miete, Energie- und Telefonrechnungen auf diese Art und Weise nicht erledigt werden können. Es ist ganz wichtig, zu sehen, daß zusätzliche Belastungen - es sind wirklich zusätzliche Belastungen; es geht nicht um Bequemlichkeit von Kommunen und ihren Einrichtungen - für Kommunen entstehen. Diese zusätzlichen Belastungen trägt dann tatsächlich die Allgemeinheit. Es ist nicht so, wie Sie es dargestellt haben.
Wenn wir hier über Banken und Sparkassen, insbesondere über Banken, reden, sollte uns allen noch das Unwort des vergangenen Jahres im Ohr sein. Wer hat denn von „peanuts" gesprochen? Wenn man sieht, um welche Größenordnungen es sich bei der Kontoführung handelt, dann stellt man fest, daß das wirklich kleine Beträge sind. „Peanuts" hat wohl leider wieder eine andere Bedeutung erlangt.
Ich glaube, die Bundesregierung hat sich hier bisher nur durch Untätigkeit ausgezeichnet. Die Bundestagsgruppe der PDS setzt sich dafür ein, daß jedem Bürger und jeder Bürgerin uneingeschränkt das Recht zu gewähren ist, ein Girokonto zu eröffnen und zu führen. Unabhängig von ihrer Rechtsform müssen alle Banken und Sparkassen verpflichtet werden, die im Grundgesetz verankerte soziale Verpflichtung auf diesem Gebiet einzulösen.
Ich bitte Sie deshalb, unter dieser Voraussetzung in den Ausschußberatungen dem Antrag der PDS für ein gesetzlich gesichertes Recht zur Führung eines Girokontos für jeden Bürger und jede Bürgerin zuzustimmen. Wir haben mit zwei Gesetzentwürfen und einem Antrag hier schon eine sehr gute Vorlage. Wenn Sie wirklich gute Verbindungen haben, tun Sie ein übriges: Werden Sie selber endlich aktiv.
Ich danke Ihnen.