Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der bisherige Verlauf der Debatte hat schon gezeigt, daß wir kontrovers diskutieren und diskutieren müssen; denn wir vertreten unterschiedliche Konzepte und unterschiedliche Interessen. Ich will ganz deutlich sagen, auf welcher Seite die Sozialdemokraten in dieser Debatte stehen,
nämlich auf der Seite der Menschen, deren Wohnverhältnisse nicht oder nicht dauerhaft gesichert sind, die im Wettbewerb des Wohnungsmarktes aus den unterschiedlichsten Gründen schlechtere Chancen haben, deren Nachfragemöglichkeiten kein entsprechendes Angebot gegenübersteht, die mit überproportionalen Mietsteigerungen nicht mehr zurechtkommmen
oder die ihren großen Traum vom kleinen Eigentum nicht verwirklichen können.
Diese Menschen waren in der Kommission, die Frau Schwaetzer einberufen hat, nicht vertreten.
So ist es nicht verwunderlich, daß die Arbeit der Kommission eine starke Schlagseite zur neoklassizistischen Volkswirtschaftslehre hat. In der Deregulierung, also in der Befreiung von staatlichen Eingriffen, wird das Heil der Wohnungspolitik gesehen. Die bei den Experten erkennbare Marktgläubigkeit läßt freilich außer acht, daß auch in einer marktwirtschaftlich verfaßten Gesellschaftsordnung die Besonderheiten des Gutes Wohnung eine staatliche Regulierung erforderlich machen. Ich füge hinzu: Die Bundesrepublik Deutschland ist bis zum Ende der sozialliberalen Koalition sehr gut damit gefahren.
Die Wohnung ist der soziale Lebensmittelpunkt der Menschen; sie ist Grundlage für persönliche Entfaltung und für die Ausübung von Freiheits- und Bürgerrechten. Das Wohnen kann eben nicht durch andere Konsumformen, wie etwa Autofahren oder Fernsehen, ersetzt werden; es ist unverzichtbar. Die Wohnung ist zugleich Wirtschafts- und Sozialgut von ganz besonderer Art. Dieser Überlegung trägt der Bericht nicht annähernd ausreichend Rechnung.
Eine der Kernthesen des Gutachtens, soweit es sich auf den Mietwohnungsbau bezieht, lautet: Laßt uns den Mieterschutz herunterfahren und die Mieten steigen lassen; dann wird der Markt von ganz allein mehr Wohnungen produzieren. Meine Damen und Herren, die Kommission hätte es besser wissen können. Schon 1983 hat diese Regierungskoalition mit dem Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen einen Versuch in die gleiche Richtung getan, und von da an ging es dann rapide bergab. Niemals wurden weniger neue Mietwohnungen errichtet und an den Markt gebracht als in den Jahren nach 1983. Das Ergebnis war eine zehn Jahre andauernde Unterproduktion mit all ihren Folgen am Markt, Verdrängung etc., etc.
- Der Markt, Herr Kollege Braun, hat uns eben nicht den gewünschten Gefallen getan.
Nach den fatalen Erfahrungen, die wir da gemacht haben, kann ich der Kommission in ihrer ungebremsten Markteuphorie nicht folgen.
- Lassen Sie mich im Zusammenhang sprechen; ich habe nur ein paar Minuten. Haben Sie Verständnis, bitte.
Nun berufen Sie sich auf die Erfolge der letzten zwei Jahre. Da müßten Sie sich natürlich auch auf die Mißerfolge der ersten zehn Jahre Ihrer Koalition berufen
- das tun Sie natürlich wohlweislich nicht -, und Sie müßten darstellen, daß auch heute noch, bei der hohen Zahl von Wohnungen, die produziert werden, gerade die Länder ganz besondere Anstrengungen unternommen haben. Im öffentlich geförderten Bereich finanzieren die Länder über 80 % des Volumens.
Volkmar Schultz
Eine weitere Kernthese heißt, der soziale Wohnungsbau ist zu teuer geworden, und deshalb gehen wir jetzt von der Objektförderung in die Subjektförderung, also in das Wohngeld hinein. Das soll dann billiger werden. Ich frage, für wen billiger und für wen teurer. Nein, auch die Richtigkeit dieser These darf man getrost in Frage stellen.
Mit dem Wegfall der Objektförderung entfällt auch ein wesentlicher Investitionsanreiz für Investoren. Wohngeld ist eine wichtige Hilfe, schafft aber keinen zusätzlichen Wohnraum. Außerdem ist die Erfahrung, welche die Mieter bei dieser Bundesregierung mit dem Wohngeld machen, doch die, daß es ständig hinterherhinkt.
Dann kommt der geniale Gedankenblitz der Expertenkommission: Jetzt schaffen wir ein Zusatzwohngeld, zu dessen Zahlung die Gemeinden verpflichtet werden sollen. Ich frage Sie: In welcher Welt leben eigentlich unsere Experten?
Die Bundesregierung sagt, daß dieser Vorschlag kurzfristig nicht zu verwirklichen ist. Wir sagen der Bundesregierung: Er wird auch langfristig nicht zu verwirklichen sein, weil Sie keinen Vorschlag für einen entsprechenden Finanzausgleich finden werden und weil Sie keine Garantie dafür haben werden, daß aus höherem Wohngeld zusätzlicher Wohnungsbau resultiert.
Dasselbe gilt für den von der Bundesregierung mitgetragenen Gedanken des Erwerbs von Belegungsbindungen durch die Kommunen. Da hat die Regierungskoalition 1988 mit der Preisgabe der Wohnungsgemeinnützigkeit millionenfache Bindungen verschenkt,
und nun sollen die Kommunen die gleichen Bindungen teuer zurückkaufen.
Dann fördern wir bereits vorhandene Wohnungen ein zweites und ein drittes Mal, und das nennen wir dann Effizienz. Honni soit qui mal y pense, sagt der Engländer - ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Im übrigen legen wir energischen Protest gegen die Auffassung der Kommission ein, die Wohnungspolitik liege vorwiegend in der Verantwortung der Gemeinden. Dies widerspricht dem Sozialstaatsprinzip, das für den Gesamtstaat zu gelten hat.
Meine Damen und Herren, ich würde gerne noch auf das Instrument der einkommensabhängigen Förderung eingehen, aber die Zeit erlaubt das nicht. Jetzt nur soviel: Es wächst die Skepsis gegenüber diesem völlig unerprobten, im Würzburger Planspiel regelrecht abgestürzten Modell. In Gemeinden und bei Investoren herrscht große Zurückhaltung, weil man erkennt, daß die völlig unabsehbaren Risiken dieser Fördermethode den Gemeinden, den Mietern und auch den Investoren zugeschoben werden sollen.
Die baugewerblichen Verbände sprechen in einer jüngsten Veröffentlichung von einem drohenden Attentismus im Wohnungsneubau im Zusammenhang mit dieser Fördermethode, und das wäre ja nun wirklich das letzte, was wir brauchen können.
Das Gutachten läßt übrigens eine wirklich sachgerechte und sorgfältige Auseinandersetzung mit den bereits heute praktizierten Modellen der einkommensabhängigen Förderung - das sind die Fehlbelegungsabgabe und Zinserhöhungen auch für Eigentümer - vermissen.
Im größten Bundesland, in Nordrhein-Westfalen, wird dieses Systems quasi flächendeckend angewandt. Allein die Fehlbelegungs- oder, besser gesagt, die Fehlsubventionierungsabgabe hat bisher zum zusätzlichen Neubau von über 12 000 Wohnungen geführt. Für Polemik, wie sie hier zuweilen geäußert worden ist, gibt es überhaupt keinen Grund. Aber ich glaube, die sachliche Beschäftigung mit diesem Thema paßte nicht so sehr in den Auftrag von Frau Schwaetzer.
Die Arbeitsgemeinschaft der Bauminister kommt denn auch zu einer kritischen Bewertung der Kommissionsvorschläge. Dieser Kritik schließen wir uns an, aber das soll nicht bedeuten, daß wir nicht auch Reformbedarf sehen.
In der Tat, meine Damen und Herren, der Wohnungsbau in Deutschland, und zwar nicht nur der soziale Wohnungsbau, ist im internationalen Vergleich zu teuer. Die Konsequenz heißt aber nicht, daß wir ihn abschaffen, sondern die Konsequenz heißt, daß wir ihn kostengünstiger machen. Darin liegt die eigentliche Schlüsselfrage für die Zukunft des bezahlbaren Wohnens in unserem Land.
Diese Debatte ist nicht so sehr eine Standarddebatte. Sie kann in Teilbereichen auch eine Standarddebatte sein, sie ist aber im wesentlichen eine Innovationsdebatte. Das Bauwesen, das gesamte Planungswesen, die Baumethoden, die Bauverfahren müssen in der Tat innovativ neu gestaltet werden.
Hierzu liegen in allen Bundesländern praktikable Erkenntnisse vor, auch bei hierzulande geltendem Baurecht. Hierzu hat auch die Bundesregierung soeben einen guten, einen ausführlichen Bericht vorgelegt, den wir ebenso begrüßen wie die Stellungnahme der Kommission zu diesem Thema.
Meine Damen und Herren, der amerikanische Präsident hat für sein Land kürzlich die Devise ausgegeben, in zehn Jahren die Baukosten zu halbieren. Wenn wir uns ein ähnlich ehrgeiziges Ziel setzen, dann können wir auch in Zukunft mit bewährtem Instrumentarium, aber mit weniger Geld das soziale Wohnen in unserem Lande gewährleisten. An der Verwirklichung dieses Ziels arbeiten die Sozialdemokraten gerne mit.
Volkmar Schultz
Ich will das wiederholen, was der Kollege Reschke eben schon gesagt hat: Wir hätten uns gefreut, wenn der Herr Wohnungsbauminister am Anfang dieser Debatte in die Bütt gegangen wäre. Ich weiß, Sie werden noch kommen, nachdem Sie nun gehört haben, woher der Wind weht.
Wir hätten uns aber gefreut, wenn Sie die Führerschaft in dieser Diskussion übernommen hätten.
Herzlichen Dank.