Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 241. Sitzung des Deutschen Bundestages. Der Herr Schriftführer wird zwei Urlaubsgesuche und drei Entschuldigungen bekanntgeben.
Entschuldigt sind die Abgeordneten Goetzendorff, Ritzel und Lausen.
Der Präsident hat Urlaub erteilt dem Abgeordneten Henßler für eine Woche wegen Krankheit,.
Es sucht für längere Zeit um Urlaub nach Abgeordneter Wartner für drei Wochen ab 3. Dezember 1952 wegen Krankheit.
Ich unterstelle, meine Damen und Herren, daß dieser Urlaub genehmigt wird. — Das ist der Fall.
Ich habe darauf hinzuweisen, daß der Haushaltsausschuß sich am 27. November 1952 mit dem Umdruck Nr. 118, der Entschließung der Fraktion der SPD zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen, befaßt und beschlossen hat, diesen Umdruck durch die Beschlußfassung zu dem Gesetz in der 132. Sitzung des Deutschen Bundestages für erledigt zu erklären. Der Haushaltsausschuß hält dafür die Vorlage eines Mündlichen Berichtes nicht für erforderlich. Es ist damals übersehen worden, diesen Umdruck formell zu erledigen. Ich darf annehmen, das Haus ist damit einverstanden, daß mit dieser Mitteilung der Umdruck erledigt ist. — Das Haus ist damit einverstanden.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Beratung der gestern aufgerufenen Tagesordnung fort:
1. Fortsetzung der zweiten und dritte Beratung der Entwürfe
eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom
26. Mai 1952 über die Beziehungen zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten mit Zusatzverträgen,
eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom 26. Mai 1952 über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder
,
eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom
26. Juli 1952 über die Erstreckung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts auf Streitigkeiten aus dem am 26. Mai 1952 in Bonn unterzeichneten Abkommen über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder
,
eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom
27. Mai 1952 über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und betreffend den Vertrag vom 27. Mai 1952 zwischen dem Vereinigten Königreich und den Mitgliedstaaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft,
eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom 27. Mai 1952 über die Rechtsstellung der Europäischen Verteidigungsstreitkräfte und über das Zoll- und Steuerwesen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft
;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten
;
2. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend
Generalvertrag und Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ;
3. Fortsetzung der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend
Generalvertrag und Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft .
Wir hatten vorgesehen, daß heute morgen zunächst in der Berichterstattung fortgefahren wird, wobei ich die Herren Abgeordneten, die Berichterstatter sind, freundlichst bitte, zu berücksichtigen, daß die schriftliche Berichterstattung*) vorliegt und unterstellt werden darf, daß die Herren Abgeordneten die schriftliche Berichterstattung zur Kenntnis genommen haben.
Ich bitte zunächst zu Punkt II Ziffer 3 der Gliederung des Berichtes des Auswärtigen Ausschusses:
Die verfassungsrechtliche, rechtspolitische
und rechtliche Bedeutung der Vertragswerke,
den ersten Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Dr. Wahl, das Wort zu nehmen.
s) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11161
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Rechtsausschuß hat sich in zahlreichen Sitzungen mit dem Problem der Verfassungsmäßigkeit des Vertragswerks befaßt und hat beschlossen, ein Mehrheits-
und Minderheitsgutachten abzugeben, weil gerade diese Rechtsfragen am besten im Zusammenhang dargestellt werden und weil die Mehrheit und die Minderheit Gelegenheit haben sollten, ihren Rechtsstandpunkt zusammenhängend darzustellen. Am Schluß meines Berichtes werde ich noch auf die letzte Sitzung eingehen müssen, die der Rechtsausschuß abgehalten hat. Zunächst möchte ich aber das vortragen, was im wesentlichen in meinem Schriftlichen Bericht*) niedergelegt ist.
Wer das Grundgesetz unbefangen liest, kann nicht zu dem Ergebnis kommen, daß es einen deutschen Wehrbeitrag von der Art des im Vertragswerk vorgesehenen ausgeschlossen hat. Zwar ist nirgends die Wehrpflicht. direkt ausgeschlossen oder das traditionelle Rechtsgut einer Wehrverfassung ausdrücklich aufgenommen; aber die Erschwerungen, die für jede Art von militärischer Vorbereitung und Betätigung im Grundgesetz enthalten sind, zeigen, daß der Parlamentarische Rat als Grundgesetzgeber die Möglichkeit einer deutschen Wehrbetätigung ins Auge gefaßt hat,
und zwingen im Zusammenhang mit dem Inhalt der Beratungen zu der Annahme, daß, wenn diese grundgesetzlichen Schranken beachtet werden, mindestens in einem internationalen Rahmen eine deutsche Wehrbetätigung zugelassen worden ist. Es ist nach den im Ausschuß abgegebenen Erklärungen des Vorsitzenden des Zuständigkeitsausschusses im Parlamentarischen Rat, des Abgeordneten Justizrat Wagner, sicherlich richtig, wenn man annimmt, daß eine Reihe von Mitgliedern des Parlamentarischen Rats den Antrag Strauß, in Art. 73 die Bundeszuständigkeit nicht nur für die auswärtigen Angelegenheiten, sondern auch für den Schutz des Bundes nach außen zu normieren, deshalb abgelehnt haben, weil sie den neuen Staat nicht mit dem Vorwurf belasten wollten, daß der deutsche Militarismus wiederaufleben sollte; aber die Begründungen, die damals angeführt wurden, zeigen, daß die Besorgnisse die Wiedererstehung einer deutschen Reichswehr betrafen. Die im Parlamentarischen Rat gefallene Äußerung: „Die Zeit der Nationalarmeen ist vorbei" beweist dies genügend, zumal der Parlamentarische Rat den Antrag des Kommunisten Renner gegen dessen Stimme abgelehnt hat, im Art. 24 Abs. 2 klarzustellen, daß das kollektive Sicherheitssystem, dem die Bundesrepublik durch einfaches Gesetz beitreten kann, keine militärischen Hilfeleistungen von der Bundesrepublik oder ihren Angehörigen fordern könne.
Die Bedenken gegen einen deutschen Beitrag zu einer internationalen Verteidigungsanstrengung waren offenbar geringer. Es kommt im modernen Rechtsleben häufig vor, daß im nationalen Bereich Beschränkungen bestehen, die im internationalen Bereich entfallen. Das internationale Element verändert einen rechtlichen Tatbestand häufig so, daß seine Beurteilung nicht einfach nach den normalen Maßstäben für einen rein nationalen Sachverhalt vorgenommen werden kann. Das ist auch im vorliegenden Falle so. Wenn jetzt die Minderheit des Rechtsausschusses geltend macht, der Antrag Ren-
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11196
ner sei deswegen der Ablehnung verfallen, weil es sich um einen kommunistischen Antrag handelte, so ist dieses Argument nicht stichhaltig. Zwar ging dem Antrag Renner eine sachliche Debatte nicht voraus, aber, wie zahlreiche Präzedenzfälle beweisen, hätte die sozialdemokratische Fraktion nach Ablehnung des Antrags Renner einen Antrag gleichen oder ähnlichen Inhalts stellen können. Dies ist nicht geschehen.
Wenn man die Formulierungen des Grundgesetzes im einzelnen ansieht, so ist nirgends das Verteidigungsrecht expressis verbis in Anspruch genommen, weil man eine den Wehrwillen direkt ausdrückende Formulierung für inopportun hielt. Aber wenn es in Art. 26 heißt: Die Vorbereitung eines Angriffskrieges ist verfassungswidrig, so ist damit die Vorbereitung eines Verteidigungskrieges verfassungsmäßig. Die ursprünglich in den Entwürfen vorgesehene Bestimmung, daß die Vorbereitung jedes Krieges verfassungswidrig sei, ist bewußt eingeschränkt worden.
Genau so liegt es bei Art. 4 Abs. 3, nach dem niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden kann, wobei die Einzelheiten der Regelung einem einfachen Bundesgesetz überlassen bleiben. Auch hier ist in der Formulierung, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, allein das Negative ausgesprochen, nämlich, wer keinen Dienst mit der Waffe zu leisten braucht. Aber der Satz besagt, daß jeder auch gegen seinen Willen zum Dienst ohne Waffe, z. B. zum Sanitätsdienst gezwungen werden kann, und daß derjenige, der sich aus dem Dienst mit der Waffe kein Gewissen macht, zum Dienst mit der Waffe gezwungen werden kann. Der grundrechtliche Schutz des einzelnen gegen die Heranziehung zum Waffen dienst ist also auf die Fälle der Gewissensnot eingeschränkt.
Die Minderheit steht auf dem Standpunkt, daß diese Vorschrift im Zusammenhang mit dem Schutz der Religion und der Weltanschauungen lediglich ein zusätzliches Militärdienstverweigerungsrecht schaffe, ohne die Frage, ob überhaupt eine Wehrpflicht bestehe, zu präjudizieren. Da deren Einführung ihrerseits nach Auffassung der Minderheit einer Zweidrittelmehrheit bedarf, ist also dieses Grundrecht gegenstandslos, wenn die qualifizierte Mehrheit, die die Wehrpflicht wieder einführt, die Waffendienstverweigerung aus Gewissensgründen für unangemessen hält. Es läge also hier ein Grundrecht vor, dem die typische Funktion, den Gesetzgeber zu binden, überhaupt abginge, und ich glaube nicht, daß man dem Parlamentarischen Rat die Absicht einer reinen Deklamation unterstellen darf. Ganz anders, wenn durch Art. 4 Abs. 3 die Zulassung der allgemeinen Wehrpflicht impliziert ist. Dann handelt es sich um ein echtes Grundrecht, das das Ermessen des Gesetzgebers einschränkt, und schon deshalb erscheinen die von der Mehrheit aus Art. 4 per argumentum e contrario gezogenen Schlußfolgerungen unausweichlich.
Auch für die Herstellung Und den Vertrieb von Waffen ist im Grundgesetz nur das erschwerende Erfordernis der besonderen Genehmigung der Bundesregierung herausgestellt. Aber damit ist zugleich unzweifelhaft die Verfassungsnorm anerkannt, daß trotz des damals geltenden alliierten Verbots der Waffenherstellung nach deutschem Recht, wenn auch mit Erschwerungen, die Kriegswaffenherstellung zulässig ist.
Dr. Wahl)
Von der Gegenseite ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß das im Völkerrecht viel berufene Recht des Staates zur Selbstverteidigung es nicht ausschließt, daß ein Staat durch sein Grundgesetz sich zum absoluten Pazifismus bekennt. Aber wenn dies nicht der Fall ist — und die herangezogenen Bestimmungen des Grundgesetzes lassen eine andere Auslegung nicht zu —, dann kann sich nur noch die Frage erheben, ob die Durchführung der militärischen Organisation durch gewöhnliches Bundesgesetz daran scheitert, daß gewisse militärische Angelegenheiten nicht durch einfaches Gesetz, sondern nur durch verfassungsänderndes Gesetz geregelt werden können. Es fragt sich also, ob die Durchführung des vorliegenden Vertragswerks die Regelung von Fragen erfordert, die nach allgemeiner oder jedenfalls nach kontinentaler Rechtstradition Verfassungsrang haben. Das wäre eher der Fall, wenn der Oberbefehl bei den Deutschen stünde; denn die Weimarer Verfassung hat den Oberbefehl ausdrücklich geregelt und ihn dem Reichspräsidenten übertragen.
Durch den EVG-Vertrag liegt aber der Oberbefehl überhaupt nicht bei einem Verfassungsorgan der deutschen Bundesrepublik, sondern bei internationalen Organen, deren Betrauung nicht Aufgabe des Grundgesetzes sein konnte und kann. Die den deutschen Verteidigungsbehörden übertragenen Befugnisse sind nicht von der Art, daß sie nur im Grundgesetz normiert werden könnten. Das gilt sowohl für das Ernennungsrecht der Offiziere bis zum Obersten als auch für die Rekrutierungsbefugnisse, die den deutschen Instanzen zustehen. Der Rechtsausschuß steht nicht auf dem Standpunkt, daß diese deutschen Befugnisse lediglich auf einer Rückdelegation seitens der Hohen Behörde beruhen — das ist höchstens im technischen Sinne der Fall —, sondern daß es sich hier der Substanz nach um Ausflüsse der deutschen Wehrhoheit handelt, die durch einfaches Bundesgesetz in Anspruch genommen werden können.
Herr Abgeordneter, darf ich einen Augenblick unterbrechen.
Ich fühle mich verpflichtet, die Geschäftsordnung zu wahren. Nach der Geschäftsordnung erfolgt die Berichterstattung in der Regel schriftlich und nur im übrigen mündlich. Ich wäre dankbar, wenn Sie freundlichst Ihre Berichterstattung darauf einrichten würden, daß nur, soweit die Berichterstattung nicht schriftlich erfolgt ist, eine Erläuterung oder Ergänzung gegeben wird.
Meine Damen und Herren! So kommt es, daß Art. 24 in den Mittelpunkt der Erörterungen rückte. Art. 24 ermöglicht es bekanntlich der Bundesrepublik, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Organe zu übertragen und sich einem kollektiven Sicherheitssystem im Wege des einfachen Bundesgesetzes einzuordnen. Wir haben uns im Rechtsausschuß mit der Frage befaßt, ob dieser Art. 24 Abs. 1 hier überhaupt Anwendung finden könne. Es war hier der Begriff der Übertragung der Hoheitsbefugnisse zweifelhaft. Die Mehrheit hat darauf hingewiesen, daß nach der allgemeinen Rechtslehre der abgeleitete Rechtserwerb, der sogenannte derivative Rechtserwerb nicht nur dann vorliegt, wenn derjenige, der ein Recht hat, gerade dieses Recht überträgt, sondern auch, wenn er zugunsten eines anderen Abspaltungen von seiner umfassenden Rechtsposition vornimmt, die nachher als Belastungen dieser l Rechtsposition erscheinen.
Der wichtigste Punkt ist natürlich der Abs. 2, das kollektive Sicherheitssystem. Zunächst: was ist der Begriff der kollektiven Sicherheit? — Wir von der Mehrheit haben den Standpunkt vertreten, daß mit Rücksicht auf die internationale Entwicklung des Kriegsverhütungsrechtes vor allem in der Organisation der Vereinten Nationen auch Verträge von der vorliegenden Art als kollektive Sicherheitsverträge angesehen werden können, zumal sich diese Verträge bewußt dem Gesamtsystem der UNO einordnen.
Der Begriff der zwischenstaatlichen Einrichtung war ebenfalls Gegenstand langer Erörterungen. Es ist natürlich außerordentlich schwer, von diesen rechtlichen Erwägungen hier wirklich einen Begriff zu vermitteln. Ich nehme an, daß Sie diesen Punkt in idem Bericht auf Seite 34 nachgelesen haben. Ehe ich nun zu den Einzelfragen komme, möchte ich noch auf die Ergebnisse unserer letzten Sitzung im Rechtsausschuß eingehen, über die in dem Schriftlichen Bericht noch nicht berichtet werden konnte.
Es handelt sich darum, daß die Vertreter der Minderheit unseren Versuch, die Motive des Parlamentarischen Rates auszuschöpfen, kritisierten. In der Tat war diese Ausschöpfung der Motive des Parlamentarischen Rates von Anfang an ein schwieriges Unterfangen. Zunächst verwahrten sich die sozialdemokratischen Abgeordneten gegen die Unterstellung, die Wehrfrage sei aus Rücksicht auf die Besatzungsmächte nicht expressis verbis in den Zuständigkeitskatalog der Bundesgesetzgebung aufgenommen worden, und hoben hervor, daß es ihre Absicht gewesen sei, das junge Staatswesen nicht von vornherein dem Vorwurf auszusetzen, es solle der deutsche Militarismus wieder zum Leben erweckt werden. Als ich dann im Mehrheitsgutachten daraus die Folgerung zog, daß bei einer deutschen Teilnahme an internationalen Verteidigungsanstrengungen und bei der Teilnahme an einer internationalen Armee dieser Einwand ja entfallen müsse, wurde auch gegen diese Version protestiert und die gesamtdeutsche Situation als ihr Hauptmotiv gegen die deutsche Wiederbewaffnung bezeichnet.
— Das bezieht sich jetzt auf Kollegen Wagner.
Es ist ja beschlossen worden, daß der Ausschußbericht — ich meine das stenographische Protokoll der letzten Sitzung des Ausschusses — verteilt werden soll; das ist mittlerweile geschehen.
Die Frage, die ich an Herrn Justizrat Wagner stellte, ob dieses gesamtdeutsche Motiv von ihm damals als Vorsitzender des Zuständigkeitsausschusses ausdrücklich erklärt worden sei, verneinte Herr Justizrat Wagner, so daß nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen diese unausgesprochenen Motive meines Erachtens außer Betracht bleiben müssen und meine Ausführungen im Mehrheitsbericht des Rechtsausschusses ihre volle Geltung behalten.
Es ergab sich noch etwas: Nachdem die sozialdemokratischen Fraktionsmitglieder erklärt hatten, daß sie im Parlamentarischen Rat die ganze Verfassung hätten scheitern lassen, wenn die Wehrgewalt mit in das Gesetz hätte aufgenommen wer-
den sollen, erklärte Herr Geheimrat L a f o r et, die Wehrfrage sei im Parlamentarischen Rat nicht auf die Spitze getrieben worden, und Herr Justizrat Wagner schloß sich dem an. Das heißt, man wußte, daß hier ein gewisser Richtungsgegensatz bestand, und jede Partei fand sich mit dem ab, was in dem Grundgesetz an positiven Texten stand, in der Meinung, damit für die weitere Entwicklung die nötigen Ansatzpunkte zu besitzen.
Wenn man in diesem Sinne annimmt, daß der Parlamentarische Rat im Grundgesetz das Problemder Wehrfrage nicht auf die Spitze getrieben hat, so taucht das schon oft erörterte Problem der Auslegung von Kompromißgesetzen auf. Wenn sich die politischen Parteien nämlich zu einem Kompromiß die Hand reichten, ohne sich über das Grundprinzip, das zwischen ihnen streitig war, geeinigt zu haben, dann muß, meine Damen und Herren, der Richter, wenn er dieses Gesetz auslegt, nach Rechtsprinzipien suchen, die vor diesem Gesetz bestanden. Und dieses Prinzip kann nur das Prinzip sein, daß jeder Staat sich selbst verteidigen kann. Das Prinzip ist also die Bejahung der Wehrgewalt.
Man kann weiter fragen, ob der Inhalt des Grundgesetzes mehr für oder mehr gegen die Wehrgewalt spricht, was also das Übergewicht hat, und da meine ich nach dem, was ich zu Beginn vorgetragen habe, daß die die Wehrgewalt implizierenden Texte das Übergewicht haben, und zwar aus dem Grund, den ich vorhin schon kurz erwähnte: Bei internationalen Organisationen stellt sich im modernen Kriegsverhütungsrecht die Frage nicht mehr im alten Sinne, welche Kompetenzen bei den nationalen Organen liegen. Das gilt für die Organisation der UNO; das gilt erst recht für die sogenannten supranationalen Einrichtungen, die wir heute haben. Daraus ergibt sich, daß die früheren Hauptstücke der sogenannten Wehrverfassung heute eine viel geringere Bedeutung haben als früher. Ich habe das in meiner Erwiderung auf den Bericht des Herrn Kollegen Arndt dargelegt und darf auf diesen Passus besonders hinweisen.
Ich darf Sie bitten, nun vielleicht die Seite 50 des vor Ihnen liegenden Berichts aufzuschlagen. Da habe ich gesagt — und ich bitte den Herrn Präsidenten um die Erlaubnis, diesen einen Teil ausnahmsweise wörtlich bringen zu dürfen —:
Denn in den kollektiven Sicherheitssystemen,
an denen sich die Bundesrepublik beteiligen
darf, ergeben sich für beide Fragen
— also Oberbefehl und Kriegserklärung — Gestaltungen, die mit dem traditionellen Rechtsgut der europäischen Verfassungen nichts mehr zu tun haben. Dieses war für Nationalstaaten und Kriege alten Stils zwischen solchen Nationalstaaten bestimmt, paßt aber überhaupt nicht für die modernen internationalen Gestaltungen.
Bis zu einem gewissen Grade ist das einer der Hauptgedanken auch des Gutachtens von Professor Löwenstein.
Für den Oberbefehl habe ich im ersten Teil des Mehrheitsgutachtens bereits das Nötige gesagt. Für die Kriegserklärung möchte ich zur Verdeutlichung noch auf folgendes hinweisen: Das Grundgesetz und das Vertragswerk haben nur einen Verteidigungskrieg für möglich erklärt. Bei einem Verteidigungskrieg gegenüber einem Angriff entfällt aber, wie schon die jüngste Geschichte eines verwilderten internationalen Lebens zeigt, die Kriegserklärung überhaupt oder wird bei praktisch schon begonnenen Kriegshandlungen zu einem reinen 1 Formalakt, dem sich mit Rücksicht auf die entstandene Lage kein Staatsorgan entziehen kann. Es bleibt höchstens — je nach der Sachlage — die Ermessensentscheidung zu treffen, ob Angriffshandlungen auf die durch den Vertrag geschützten Gebiete von der Art sind, daß sie einen allgemeinen Krieg auslösen oder nicht. Man kann annehmen, daß das Einstimmigkeitserfordernis in den vorgesehenen Beschlußgremien für diese Entscheidung nur retardierend wirken kann, weil auch die vom unmittelbaren Kriegsgeschehen nicht betroffenen, geographisch entfernt liegenden Staaten zustimmen müssen. Vor allem aber hat die moderne Verfassungsentwicklung im Zusammenhang mit der Weltfriedensorganisation der UN die Bedeutung des alten Verfassungsrechts stark abgeschwächt.
Der Sicherheitsrat entscheidet nach der Satzung über die Reaktion auf einen Angriff auch mit Wirkung für solche Länder, die dem Sicherheitsrat nicht angehören, und kann Kriegsanstrengungen von allen Mitgliedern der UN verlangen. Die Entscheidung des Sicherheitsrats setzt keine parlamentarische Zustimmung für die an der Entscheidung mitwirkenden Regierungen voraus, der sich die Mitgliedstaaten unterworfen haben, und für den Beitritt zur UN ist trotz dieser schwerwiegenden Folgen und einschneidenden Auswirkungen auf die nationalen Verfassungssysteme nirgends verfassungsändernde Mehrheit verlangt worden.
Das Minderheitsgutachten tut immer so, als ob wir noch um das Jahr 1900 lebten und die beiden Weltkriege mit ihrem Auftrieb für das internationale Kriegsverhütungsrecht nicht stattgefunden hätten.
Natürlich kann man fragen, ob das Grundgesetz nicht zu weit gegangen ist, als es im Art. 24 dieser Entwicklung das Tor öffnete. Ich glaube aber, daß die Entscheidung des Parlamentarischen Rats richtig war, durch einfache Gesetzgebung solche Verträge zu ermöglichen. Jedenfalls kann angesichts dieser gesamten Entwicklung nun nicht die Ansicht der Mehrheit, die aus dem Art. 24 die Konsequenzen zieht, als ein Verfassungsbruch hingestellt werden.
Eine andere Frage ist es, ob das Grundgesetz mit seiner schrankenlosen Zulassung der Beteiligung an internationalen Organisationen gleichviel welcher Art hier tatsächlich nicht doch über das Ziel hinausgeschossen ist. Das ist jedenfalls auch der Sinn der von dem Professor Dr. Löwenstein berichteten Anpassungsversuche in den Staaten, die eine ältere Verfassung haben und die sich nun fragen, ob eine Zweidrittelmehrheit vielleicht gefordert werden müsse. Bisher ist das nicht der Fall.
Ich komme deshalb zu dem Ergebnis, daß das Zustimmungsgesetz nicht der Zweidrittelmehrheit bedarf.
Die Einzelfragen, die wir im Rechtsausschuß behandelt haben, werden vielleicht am besten jeweils bei den Erörterungen der einzelnen Vertragsteile behandelt. Denn es ist natürlich sehr schwer, in einem solchen zusammenfassenden Bericht alle die verschiedenen Einzelbestimmungen, die dort auf ihre Verfassungsmäßigkeit untersucht worden sind, hier in ihren Beziehungen zum Grundgesetz darzulegen.
Deutscher Bundestag — 241, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Dezember 1952 11307
Ich danke dem Herrn Berichterstatter, insbesondere auch für das verständnisvolle Eingehen auf meine Bitte.
Als nächster Berichterstatter Herr Abgeordneter Dr. Arndt!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Präsident hat bereits darauf hingewiesen, daß nach der Geschäftsordnung die Berichte schriftlich zu erstatten sind und es sich hier im Plenum nur um mündliche Ergänzungen des Schriftlichen Berichts handeln kann. Auch ich als Mitberichterstatter muß daher grundsätzlich auf den im großen Bericht abgedruckten Doppelbericht*), den ich erstattet habe, Bezug nehmen. Ich habe nicht die Absicht und auch nicht die Befugnis, diesen Bericht hier ganz oder teilweise zu verlesen. Es kann auch nicht meine Aufgabe in diesem Mitbericht sein, die Grundfragen oder gar die Einzelfragen ausführlich zu erörtern; denn dazu würden mehrere Stunden erforderlich sein. Ich muß mich beschränken auf gewisse mündliche Ergänzungen und namentlich Ergänzungen zu dem, was Herr Kollege Wahl hier soeben vorgetragen hat, wobei ich es allerdings für notwendig halte, als Berichterstatter zu berichten, was im Ausschuß vorgekommen ist. Herr Kollege Wahl, wir haben im Ausschuß über das Gutachten von Herrn Professor Dr. Karl Löwenstein meines Wissens überhaupt nicht gesprochen. Es war gar nicht Gegenstand unserer Beratungen, so daß ich es nicht für ganz statthaft halte, auf dieses Gutachten hier einzugehen.
Ich müßte es sonst auch meinerseits in extenso vortragen.
Ich muß mich daher auf einige Hauptpunkte beschränken, in Ergänzung dessen, was soeben der Herr Hauptberichterstatter gesagt hat. Wir haben im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht ja nicht formell abgestimmt. Das entspricht nicht dem Stil unserer Beratungen, weil wir uns immerhin bemühen, gegenseitig Rechtsüberzeugungen zu äußern und zu begründen, und über Rechtsüberzeugungen läßt sich im allgemeinen kaum durch Abstimmung entscheiden. Daher sind wir stillschweigend nach dem Verlauf der Diskussion davon ausgegangen, daß sich für gewisse Auffassungen eine Mehrheit und eine Minderheit gebildet hat.
Nun als erster Punkt ergänzend zur Frage: Hat die Bundesrepublik Deutschland in ihrem westlichen Teil hier, den wir im Rechtsausschuß und in der Gesetzessprache als den Geltungsbereich des Grundgesetzes zu bezeichnen pflegen, eine Wehrgewalt, oder hat sie diese Wehrgewalt nicht? Wir waren im Rechtsausschuß einhellig darüber einig, daß nach Wegfall des Besatzungsstatuts eine äußere Wehrhoheit besteht, das heißt, daß das deutsche Volk selbstverständlich so wie jedes andere Volk der Welt nach Wegfall des Besatzungsstatuts die völkerrechtliche Befugnis oder Freiheit hat, zu bestimmen, ob und wie es sich verteidigen will; eine Frage, die völlig unabhängig ist von der verfassungsrechtlichen Frage, welche Voraussetzungen dann nach der eigenen nationalen Verfassung zu erfüllen sind, um zu einer Konstituierung und Ausübung der Wehrgewalt zu kommen. Darüber waren wir dann allerdings uneinig, und da hat sich die Minderheit von vornherein auf den Standpunkt
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seiten 11201 D, 11211 C
gestellt, daß nach den Verhandlungen im Parlamentarischen Rat und nach dem Ausdruck, den diese Verhandlungen als Niederschlag im Grundgesetz gefunden haben, eine Wehrgewalt hier im Geltungsbereich des Grundgesetzes noch nicht konstituiert werden sollte. Als Motiv — als eines der Motive, aber als ein Hauptmotiv — ist seitens der Minderheit nicht erst in der letzten Sitzung, Herr Wahl, sondern doch von vornherein, von der ersten Stunde an — und ich selbst bin es doch gewesen, der es zunächst vorgetragen hat — gesagt worden: Das erklärt sich daraus, daß diese Verfassung ja leider Gottes nicht für ganz Deutschland gegeben werden konnte, sondern bewußtermaßen nur für ein Teilgebiet, und man im Parlamentarischen Rat die erklärte Sorge hatte, bedenkliche Rückwirkungen auf die deutsche Einheit in Freiheit heraufzubeschwören, wenn man hier im Westgebiet dazu käme, eine Wehrgewalt zu errichten und militärische Maßnahmen irgendwelcher Art zu treffen.
Das ist auch im Parlamentarischen Rat zum Ausdruck gekommen, worauf auch im Ausschuß hingewiesen worden ist. Ich trage jetzt ja immer nur vor, worüber wir im Ausschuß gesprochen haben. Denn im. Ausschuß ist sehr eindringlich darauf verwiesen worden, daß Herr Schönfelder als Mitglied des Parlamentarischen Rates und als Mitglied des zuständigen Ausschusses gesagt hat: Wir wollen hier nichts sehen, was - und jetzt zitiere ich wörtlich — „mit ,militärischen Angelegenheiten' zu tun hat; denn was wir machen, soll doch ein ,Provisorium' sein."
„Provisorium" war ja eines der Hauptworte, die man als Vokabeln gebrauchte, um den Gedanken der Unantastbarkeit der deutschen Einheit auszudrücken, einen Gedanken, der sich wie ein roter Faden durch die gesamten Verhandlungen des Parlamentarischen Rates zog; und hat schon von Anfang an dann in unserer Ausschußberatung Herr Kollege Greve auch als ehemaliges Mitglied des Parlamentarischen Rates darauf hingewiesen, daß eben das gesamtdeutsche Motiv einer der entscheidenden Beweggründe war, um von einer selbständigen Wehrgewalt hier im Westen Abstand zu nehmen. Das ist ja in den Stenogrammen ausführlich niedergelegt. Herr Kollege Wagner hat dann später gesagt, nach diesen ausführlichen Darlegungen habe er es nicht für richtig gehalten, seinerseits auch diesen Gesichtspunkt nochmals zu betonen, sondern er habe nur ergänzende Ausführungen gemacht. Erst als in Ihrem Bericht Herr Wagner gewissermaßen als ein Kronzeuge dafür erschien, daß es andere Gesichtspunkte mehr gewesen seien — eine Sorge vor einem Militarismus oder ähnliches —, da hat er gefordert, daß Ihr Bericht zur Diskussion gestellt werde, und hat mit aller Eindeutigkeit auch seinerseits noch einmal diese Angelegenheit klargestellt.
Aber ich glaube, daß Sie — leider muß ich das sagen, Herr Wahl — auch jetzt diese abschließende Verhandlung hier doch nicht ganz zutreffend wiedergegeben haben, insbesondere hinsichtlich der Bemerkung des Herrn Vorsitzenden, daß die Sache nicht auf die Spitze getrieben worden sei. Sie haben daraus schließen wollen, man wußte, daß Richtungsgegensätze beständen, und habe sich damit abgefunden, und deshalb müßten die Auslegungsgrundsätze für Kompromißgesetze Anwendung finden. Nein, das ist nicht der Fall, und Herr Wagner, Herr Greve und Herr Fritz Maier haben das doch
schließlich mit aller Eindeutigkeit in unseren Ausschußverhandlungen bekundet.
Die Frage der Wehrgewalt ist im Parlamentarischen Rat zweimal besonders eindeutig und eindringlich behandelt worden, einmal bei Art. 4 und zum andern bei Art. 73 Ziffer 1 des Grundgesetzes. Als aus Motiven, auf die wir jetzt hier nicht besonders einzugehen brauchen — das wird wohl nachher noch Gegenstand unserer polemischen Diskussion sein —, die sozialdemokratische Fraktion im Parlamentarischen Rat unter den Grundrechten eine Ergänzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit dahin forderte, daß die Gewissen auch nicht für einen Kriegsdienst gefordert werden dürften, hat sich damals der Abgeordnete des Parlamentarischen Rates, Herr Professor Heuss, gegen diese Vorschrift mit der Begründung gewandt, sie würde einer allgemeinen Wehrpflicht entgegenstehen, und hat beantragt, diese Bestimmung aus dem Grundgesetz wieder zu streichen. Der Antrag Heuss ist nach einer eingehenden Diskussion abgelehnt worden, weil die Mehrheit damit klar zum Ausdruck bringen wollte, daß sie nicht zu dem Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht stehe und daß sie es in Kauf nehme, durch Art. 4 Abs. 3 unter Umständen sogar die Möglichkeit einer allgemeinen Wehrpflicht auszuschließen. Da ist also die Sache zur Entscheidung gekommen. Sie ist auch bei Art. 73 Ziffer 1 des Grundgesetzes entschieden worden, als der Abgeordnete Dr. Walter Strauß den Antrag einbrachte, zu sagen, der Bund sei nicht nur für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig, sondern darüber hinaus auch für den Schutz des Bundes nach außen oder für die Sicherheit des Bundes. Herr Strauß hat diesem Antrag erst eine etwas harmlose Begründung zu geben versucht, wie wir ja in unseren Ausschußberatungen klargestellt haben; dann aber wurde der Pferdefuß sehr deutlich sichtbar, daß es sich hierbei um einen Anknüpfungspunkt für das handeln sollte, was die Bundesregierung jetzt nach der amerikanischen Theorie der implied powers für sich in Anspruch zu nehmen wünscht. Und gerade Herr Kollege Wagner war es, der uns das im Ausschuß zweimal ganz ausführlich und eindringlich geschildert hat. Als das sichtbar wurde, da habe ich eine Nacht nicht schlafen können
und habe am nächsten Morgen gesagt: Meine Damen und Herren, die Sache ist ernst, sie muß auf die Fraktionsebene gebracht werden, denn hier kommt ein Punkt, bei dem wir uns unter Umständen sonst nicht mehr imstande sehen werden, sei es, die gemeinsame Arbeit fortzusetzen, sei es — sinngemäß — dem Grundsatz zuzustimmen Darum ist diese Frage, ob eine solche Schutz- oder Sicherungsgewalt des Bundes begründet werden sollte, ungewöhnlich ausführlich erörtert, ungewöhnlich häufig abgestimmt und dann aus den Gründen, die uns Herr Kollege Wagner, aber auch Herr Greve und Herr Fritz Maier als Teilnehmer an diesen Beratungen geschildert haben, mit Mehrheit verneint worden. Wenn dann in unseren Beratungen das Wort fiel, es sei nicht zur Ablehnung des Grundgesetzes durch die Sozialdemokratie gekommen und man habe die Sache nicht auf die Spitze getrieben, so hatte das doch nicht etwa den Sinn, daß die beiden Gruppen nun sagten: Wir wollen das machen, was man in der Weimarer Verfassung gemacht hat, unter einem Kompromiß verbergen, daß man sich uneins war, oder sozusagen nur zu wollen, nicht zu wollen. Sondern die Äußerung, die zunächst seitens des Herrn Vorsitzenden fiel und dann von Herrn Kollegen Wagner aufgenommen wurde, besagte doch nur, daß die andere Seite es nicht auf die Spitze getrieben, d. h. davon Abstand genommen habe, weiter diese Ziele zu verfolgen, und dadurch sahen sich allerdings die sozialdemokratischen Mitglieder des Ausschusses nicht vor die Entscheidung gestellt, im Falle eines Überstimmtwerdens in diesem Punkt die Konsequenzen zu ziehen.
So allein waren unsere Ausschußberatungen zu verstehen. Von einem Kompromiß kann also keine Rede sein, und Herr Kollege Greve hat im Ausschuß, ich glaube, nicht einmal, sondern mindestens dreimal unter genauen Zahlenangaben ausgeführt, daß, wenn die andere Seite, d. h. Ihre Seite, es auf die Spitze getrieben hätte, er und seine politischen Freunde das Grundgesetz nicht angenommen hätten. Das Grundgesetz hätte dann auch keine Aussicht auf Annahme gehabt, weil ja die Mehrheitsverhältnisse im Parlamentarischen Rat so gelagert waren, daß eine Annahme des Grundgesetzes ohne Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion nicht in Betracht gekommen wäre. Ich glaube, dieses als Mitberichterstatter aus unseren Ausschußverhandlungen klarzustellen, war ein gewisses Erfordernis.
Dann komme ich zu einem zweiten Punkt, den Sie, Herr Kollege Wahl, hier berührt haben: Art. 24 und das System der kollektiven Sicherheit. Ich will mich nicht auf die Frage einlassen, ob die Minderheit Auffassungen aus dem Jahre 1900 vertreten habe. Es ist nicht die Aufgabe eines Berichterstatters, solche Polemik zu machen, so daß ich mich deshalb auch nicht im Bericht dazu äußern kann, ob wir im Rechtsausschuß die „nihilistische Theorie des Mittelalters" nach Herrn von Merkatz entdeckt haben. Sie haben zu Art. 24, den ich nicht im einzelnen behandeln kann und soll, da das in dem gedruckten schriftlichen Bericht geschehen ist, insbesondere auf das System der kollektiven Sicherheit hingewiesen und geltend gemacht, die Satzung der Vereinten Nationen gehe so weit, daß sie dem Sicherheitsrat die Entscheidung über Krieg und Frieden anvertraue, infolgedessen die Verträge sich bewußt dem Gesamtsystem der Vereinten Nationen einordneten.
Nun, auch da sehe ich die Notwendigkeit, als Mitberichterstatter ergänzend gewisse Auffassungen der Minderheit vorzutragen. Es entspricht nicht der Satzung der Vereinten Nationen, was Sie aus ihr herauslesen. Der Sicherheitsrat ist nicht befugt, auch nur eines seiner Mitglieder für in einen Krieg eingetreten zu erklären, geschweige denn, wie Sie im Ausschuß behauptet haben, einem Nichtmitglied die Pflicht aufzuerlegen, im Kriege zu sein.
Aber vor allen Dingen ist es doch erforderlich, zur Frage der kollektiven Sicherheit die Dinge hier etwas deutlicher herauszustellen. Der Art. 24 des Grundgesetzes besagt doch nicht — was man jetzt geradezu unter Umkehrung seines Sinnes in ihn hineindeuten will —, daß der Bund befugt sei, verfassunggebende Gewalt auf europäischer Ebene auszuüben, oder daß der Bund befugt sein, Macht, Wehrgewalt auf supranationaler Ebene neu zu begründen und zu entfalten, also sich durch einfaches Gesetz auszudehnen und auszuweiten, sondern der Art. 24 sagt insoweit in seinem zweiten Absatz genau das Gegenteil. Er sagt, der Bund kann seine Hoheitsrechte beschränken, wenn es nötig ist, um
sich einem System der kollektiven Sicherheit einzuordnen.
— Einzuordnen! Jawohl, das sagt der Art. 24, und zwar genau entsprechend seinen Vorbildern in der französischen und in der italienischen Verfassung. Was man sich darunter vorgestellt hat, das hat uns als noch leibhaft lebender Zeuge der Herr Professor Carlo Schmid im Ausschuß eindeutig dargestellt. Er hat nämlich ausgeführt, daß man unter einem kollektiven Sicherheitssystem nicht das verstand, was Sie jetzt daraus machen wollen, nämlich eine Gruppe der Selbstverteidigung, eine kollektive Selbstverteidigung, eine Gruppe, die sich gegen die von einem Dritten drohende Gefahr zusammenschließt, sondern Herr Professor Carlo Schmid hat im Anschluß an das, was im Völkerrecht entwickelt war und was er den klassischen Begriff genannt hat, und die Genfer Trilogie, insbesondere im Anschluß an die Arbeiten von Maurice Bourquin und die Verhandlungen des Instituts für internationale Angelegenheiten in London dargelegt, daß ein System der kollektiven Sicherheit nur ein System ist, welches alle an einer Gefahr beteiligten Staaten, d. h. nicht notwendig mondial, nicht notwendig alle in der Welt, aber alle an einer gewissen Gefahr beteiligten Staaten, gerade einschließlich eines möglichen Angreifers, umschließt, daß diese Vereinigung also keine Entscheidung gegen einen Dritten ist, sondern ein Zusammenschluß aller in Betracht Kommenden untereinander, damit auch von vornherein nur auf diese Weise festgestellt werden kann, wer denn unter Umständen der Angreifer sei.
Sie haben dann im Ausschuß und auch hier vorgetragen, daß sich aber in der Welt der Begriff der kollektiven Sicherheit gewandelt habe und heute anders aufgefaßt werde. Der Regierungsvertreter Herr Professor Greve hat dabei namentlich auf den jetzt in Amerika lebenden Staats- und Völkerrechtler Hans Kelsen hingewiesen. Nun, wir siiid Ihren Ausführungen bereits im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht entgegengetreten und haben Ihre Auffassungen nicht akzeptiert. Wir sind auch nicht bei dem Jahre 1900 stehengeblieben, sondern sind jedenfalls bis 1951 vorgeschritten. Und, sehen Sie, 1951 hat gerade Hans Kelsen das umfangreiche und international anerkannte Werk über das System der Vereinten Nationen, das atlantische Verteidigungssystem und das System der kollektiven Sicherheit geschrieben. Das Werk heißt: ,,Recent Trends in the Law of the United Nations" und ist in London im Jahre 1951 erschienen. Gerade in diesem Werk sagt Hans Kelsen, daß das atlantische Verteidigungssystem kein System der kollektiven Sicherheit sei, sondern es sei ein nach der Satzung der Vereinten Nationen erlaubtes System der Selbstverteidigung; aber das sei gerade der Gegensatz an Sich zum System der kollektiven Sicherheit. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einen Satz aus diesem Buch zitieren. Auf Seite 922 — Sie sehen bereits aus der Seitenzahl, daß es sich um ein ungeheuer umfangreiches wissenschaftliches Werk handelt — führt Herr Kelsen gerade hinsichtlich dieses Begriffspaares kollektive Sicherheit und kollektive Selbstverteidigung aus — ich zitiere es deutsch —:
Die Gestalter der UNO-Satzung . . . beabsichtigten sicherlich nicht kollektive Selbstverteidigung als einen Ersatz für kollektive Sicherheit.
Sie sehen, wie er das als zwei voneinander ganz verschiedene Begriffe gegenüberstellt und sogar sagt, eigentlich hätten die Verfasser der UNSatzung das überhaupt nicht zulassen wollen, aber gewisse veränderte Weltzustände müßten die UNSatzung so auslegen lassen, daß kollektive Selbstverteidigung zulässig wäre; aber ein System der kollektiven Sicherheit wird sie dadurch nie. Sie behaupten ja selbst nicht, daß das, was hier an Vertragswerken geschaffen ist, in dem klassischen Sinn, wie ihn das Grundgesetz vorausgesetzt hat, ein System der kollektiven Sicherheit sei. Sie wollen ja nur geltend machen, die Auffassungen hätten sich gewandelt. Nun, bei einem der maßgebendsten Staats- und Völkerrechtler hatten sie sich jedenfalls im Jahre 1951 noch nicht gewandelt, und nach Auffassung der Minderheit besteht deshalb keinerlei Möglichkeit, die vorliegenden Vertragswerke mit dem Art. 24 des Grundgesetzes in Einklang zu bringen. Nach unserer Auffassung ist es in allen Fragen — und es gibt ja zahlreiche Fragen, wo diese Vertragswerke unserer Meinung nach mit dem Grundgesetz in Widerspruch geraten — nicht möglich, sie mit dem Grundgesetz
zu vereinbaren. Aber des habe ich in meinem Schriftlichen Bericht dargestellt, und es wird sich hier noch Gelegenheit finden, es polemisch untereinander zu erörtern, so daß ich mehr Zeit für den mündlichen Ergänzungsbericht nicht in Anspruch zu nehmen brauche.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir gehen über zur Berichterstattung zu Punkt II Ziffer 4:
Die wirtschaftliche, finanz- und steuertechnische Bedeutung der Vertragswerke.
Erster Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Freiherr von Rechenberg, den ich zu meinem Bedauern nicht sehe. Ich darf deshalb — in der Unterstellung, daß Herr Abgeordneter Dr. Freiherr von Rechenberg auf seinen Schriftlichen Bericht*) verweist — zunächst den Bericht des Herrn Abgeordneten Dr. Fricke aufrufen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Wirtschaftspolitik hatte sich mit denjenigen Bestimmungen des Vertragswerkes zu befassen, die einen direkten oderindirekten Einfluß auf die wirtschaftliche Situation der Bundesrepublik nach Inkrafttreten der Vertragswerke haben könnten. Unter diesem Gesichtspunkt wurden die folgenden Bestimmungen der Verträge behandelt: einmal aus dem Truppenvertrag die Versorgung der Stationierungstruppen, aus ,dem EVG-Vertrag die Aufstellung und Durchführung der Rüstungsprogramme im allgemeinen, das Beschaffungswesen und die Beschaffungsorganisation, das Verbot der Erzeugung, der Ein- und Ausfuhr und der Forschung auf dem Gebiet des Rüstungsmaterials, und schließlich das Transferproblem und der Devisenausgleich, die Devisenbilanz gemäß Art. 6 des Finanzprotokolls, weiter aus dem Überleitungsvertrag die Bestimmungen über Wettbewerbsbeschränkungen, Ufa/ Ufi-Komplex, Großbanken, Entflechtung Kohle, Eisen und Stahl, I.G. Farben und gemischter Ausschuß für die Entschädigung der Großaktionäre der I.G. Farben und schließlich Gewerbefreiheit. Die Beratungen wurden nach neun Sitzungen des Aus-
*) Siehe Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11215 A
schusses abgeschlossen. Von einer besonderen Beratung über eine nach den Verträgen mögliche Inanspruchnahme auf dem Gebiet der Verkehrs-, Post- und Fernmeldeleistungen wurde abgesehen, da hierzu eine ausführliche Stellungnahme der Ausschüsse für Verkehrswesen und Post- und Fernmeldewesen erarbeitet wurde. Die Berichterstattung ging arbeitsteilig vor sich, und zwar dergestalt, daß Herr Kollege Stegner und ich den Ihnen eben aufgeführten Komplex jeder für sich behangelte und daß Herr Kollege Dr. Kreyssig die Berichterstattung über die Stellungnahme der Minderheit übernahm. Die Berichte liegen Ihnen vor.
Zu meinem Bericht ergänze ich noch kurz: Im einzelnen mußte sich der Ausschuß eingehend mit den möglichen Auswirkungen der Inanspruchnahme von Sach- und Werkleistungen auf die wirtschaftliche Entwicklung, das Sozialprodukt, das Preisniveau und die Währung beschäftigen; denn der Bedarf der Streitkräfte ist vorrangig sicherzustellen. In starkem Maße kamen hierbei aber auch die Probleme zur Sprache, die sich an die vertraglich festgelegte Sorgepflicht der Bundesregierung für die Bereitstellung der von den Streitkräften benötigten Menschen knüpfen. Die Probleme des Arbeitsrechts und der Sozialpolitik wuchsen uns gewissermaßen unter den Händen.
Im Rahmen der praktischen Durchführung der Sach- und Werkleistungen trat das Problem der Zweigleisigkeit der Auftragsvergebung — einmal durch deutsche Stellen, dann durch die Streitkräfte selbst — in den Vordergrund. Diese Zweigleisigkeit mußte ja bekanntlich in Kauf genommen werden. Ich darf hierzu im einzelnen auf die vorliegenden Berichte verweisen.
Dasselbe möchte ich ferner bei dem bedeutungsvollen Komplex von Art. 1 bis 6 und Art. 10 des Zweiten Teils des Überleitungsvertrages tun, der bekanntlich die Sonderbefugnisse der Besatzungsbehörden ablöst. Die schwierigen Modalitäten erforderten umfängliche Berichte. Vor allen Dingen die Frage: Wirkliche Ablösung der Vorbehalte der Besatzung oder Versteinerung der Prizipien hat uns, dem Ausschuß, manchen Stein in den Weg geworfen.
Folgende Sonderprobleme mußten in einer neunten Sitzung am 13. November 1952 gesondert behandelt werden und konnten — ein ähnlicher Vorgang, wie er vorhin vom Rechtsausschuß geschildert wurde — im Schriftlichen Bericht nur noch andeutungsweise berücksichtigt werden. Ich trage sie deshalb hier noch kurz in den Überschriften vor, weil ich der Auffassung bin, daß die hier gegebene Stellungnahme für die künftige Behandlung der Verträge im Ausschuß dokumentarischen Wert besitzt. Es ist einmal die Stellungnahme des Bundeswirtschaftsministeriums zu der Frage der Beteiligung der Notstandsgebiete bei Aufträgen aus der EVG behandelt worden; zum zweiten das Schreiben des Präsidenten des Zentralbankrates vom 4. November 1952 zur Frage der Währungsstabilität; ferner die Stellungnahme des Bundesfinanzminsteriums zur Frage der unentgeltlichen Inanspruchnahme des ehemaligen Reichsvermögens, soweit es sich um Beteiligungen des Bundes an gewerblichen Unternehmungen handelt; weiter das Protokoll des Ausschusses für Verkehrswesen am 29. Oktober 1952 mit der Stellungnahme des Verkehrsausschusses zu den Verkehrsbestimmungen im Truppenvertrag und EVG-Vertrag sowie ein Schreiben des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen vom 27. Oktober 1952 zu den Bestimmungen über das Post- und Fernmeldewesen in Deutschland und schließlich die Stellungnahme des Bundeswirtschaftsministeriums zur Frage des Handels mit den Ostblockstaaten. Des dokumentarischen Wertes dieser Schreiben wegen werden sie hier zitiert.
Im übrigen darf auf den Schriftlichen Bericht*) verwiesen werden.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Der Herr Abgeordnete Stegner wünscht offenbar ebenfalls nicht, ergänzend das Wort zu nehmen.**)
Herr Abgeordneter Dr. Kreyssig!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ich nicht die Hoffnung haben kann, daß Sie alle Zeit gefunden haben, die Berichte zu lesen
und sich dieser Mühe zu unterziehen, glaube ich, daß es vor allem notwendig ist, zunächst einmal darauf zu verweisen, daß bei den Bestimmungen, die sich mit der Wirtschaft und den wirtschaftlichen Folgen befassen, eine Reihe sehr schwerwiegender auseinanderlaufender Übersetzungen vorliegt. Sie finden in dem Bericht des Herrn Kollegen Fricke mehrere Stellen, in denen das mit Nachdruck dargelegt worden ist. Ich habe in dem Bericht für die Minderheit ebenfalls nicht daran vorbeigehen können, daß wir gegenüber dem englischen und dem französischen Text im Deutschen Formulierungen festgestellt haben, die an einigen sehr maßgeblichen Punkten den Eindruck erwecken, als ob die Verpflichtungen, die die Bundesregierung übernommen hat, geringer seien. Der Herr Berichterstatter Dr. Fricke hat mehrmals vermerkt, daß der Ausschuß für Wirtschaftspolitik den Wunsch geäußert hat, diese auseinanderlaufenden Übersetzungen in Übereinstimmung zu bringen. Das wird, glaube ich, technisch nicht möglich sein, weil die Verträge ja in allen drei Sprachen gültig sind. Wenn es sich also um die Feststellung handelt, ob eine Verpflichtung der Bundesregierung nach dem deutschen Text erfüllt, nach dem englischen und französischen Text jedoch nicht erfüllt ist, hat im Ernstfalle, wie uns gesagt worden ist, das Schiedsgericht zu entscheiden. Ich möchte doch das Hohe Haus und nicht zuletzt natürlich auch die Regierung, die diese Verträge unterschrieben hat, darauf aufmerksam machen, daß, wenn in zwei Texten, nämlich im englischen und französischen Text, Formulierungen enthalten sind, die eine schärfere Verpflichtung oder Bindung der Bundesrepublik aussprechen, das Schiedsgericht in diesem Fall, wo zwei Texte gegen einen deutschen stehen, wahrscheinlich zu Lasten und zuungunsten der Bundesrepublik entscheiden wird.
Ich habe mich in meinem Bericht, der Ihnen vorliegt und den Sie in der Drucksache Nr. 3900 von Seite 60 an lesen können,***) darauf konzentriert, nur die wichtigsten Punkte, die der Minderheit bei den langen Verhandlungen aufgefallen sind, zur Darstellung zu bringen. Ich habe bewußt darauf ver-
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11216 A **) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11218 C ***) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11224 D
zichtet, alle Dinge zu erwähnen. Wir haben im Ausschuß für Wirtschaftspolitik — das ist etwas, was meines Erachtens das Haus wissen sollte —, je mehr wir uns mit der einen oder anderen Frage befaßt haben, festgestellt, daß die Formulierungen in den Verträgen weit größere Gefahren oder auch Unzulänglichkeiten oder Ungenauigkeiten enthalten, als es zunächst den Anschein hatte. Die Minderheit, d. h. wir Sozialdemokraten haben dabei besonders auf das Gebiet Wert gelegt, bei dem es sich um die Menschen handelt, die von diesen Verträgen betroffen werden. Vom Berichterstatter Dr. Fricke ist schon kurz darauf hingewiesen worden, daß wir bei der Frage der Verpflichtung, die die Bundesregierung hinsichtlich der Beschaffung der Arbeitskräfte hat, auf eine ganze Fülle sehr schwerwiegender ungeklärter und unbefriedigend gelöster Probleme gestoßen sind. In Art. 37 des Truppenvertrags ist festgelegt, daß die Bundesrepublik verpflichtet ist, sicherzustellen, „daß der sich im Bundesgebiet ergebende Bedarf der Streitkräfte . insoweit befriedigt wird, als dies für die Erfüllung ihrer Verteidigungsaufgabe erforderlich ist". In Abs. 2 haben wir die Formulierung, daß die Bundesrepublik dafür Sorge trägt, daß den Streitkräften die benötigten und geeigneten zivilen Arbeitskräfte durch die zuständigen deutschen Stellen vermittelt werden. In einer langen Diskussion ist nicht einwandfrei geklärt worden — und es hat auch gar nicht einwandfrei geklärt werden können —, inwieweit diese Formulierungen des Vertrags der Bundesrepublik zwingende Verpflichtungenauferlegen. Es bestand eben gerade an dieser Stelle die Schwierigkeit, daß sowohl der französische als auch der englische Text Formulierungen enthalten, die die Sozialdemokraten zu der Auffassung gebracht haben, es könnten Dienstverpflichtungen
möglich werden, es bestehe also die Gefahr, daß wir ein Dienstverpflichtungsgesetz bekommen. Ich möchte durchaus keinen Zweifel darüber lassen, daß die Regierungsvertreter zwar erklärt haben, die Bundesregierung habe eine solche Absicht nicht. Es dreht sich aber bei der Auslegung und bei dem Ergebnis, das die Verträge haben, keineswegs darum, ob die Bundesregierung eine gute oder schlechte Absicht hat, sondern es dreht sich darum, festzustellen, ob aus dem Text der Verträge und aus den Formulierungen, die darin gefunden worden sind, die Bundesregierung — unter Berücksichtigung der sprachlichen Abweichungen — verpflichtet werden kann, solche Dienstverpflichtungen aus der Automatik der Verträge heraus eventuell in einem Gesetz festzulegen. Was das für jeden einzelnen Menschen bedeutet, brauche ich, glaube ich, nicht lange auszuführen. Die deutschen Arbeiter und Angestellten haben aus dem letzten Krieg noch genügend bittere und trübe Erfahrungen.
Wir haben die Tatsache zu verzeichnen, daß die Regierungsvertreter bei den Verhandlungen im Ausschuß für Wirtschaftspolitik zugegeben haben, daß das Vorhandensein von Gesetzen über eine Dienstpflicht in den alliierten Ländern dazu führen könne, daß die Partner des Generalvertrags von Deutschland eine ensprechende Gesetzgebung verlangen könnten. Das ist festgestellt worden, und es scheint mir doch außerordentlich wichtig, darauf hier nachdrücklich hinzuweisen.
Bezüglich der gemischten Kommission haben wir vor allem festgestellt, daß die Einsetzung dieser gemischten Kommission und die Befugnisse, die man ihr gegeben hat, bedenkliche und gefährliche Nachteile für die deutschen Arbeitnehmer in den Dienstgruppen und in den Gruppen der Arbeitskräfte bei den Truppen haben. Es ist eine außerordentlich weittragende Folge der. Vertragsbestimmungen — wenn wir bedenken, welche Rolle und welches Gewicht die deutschen Arbeitsgesetze haben —, daß durch die Entscheidungen der gemischten Kommission die Tatsache eintreten kann, daß den deutschen Arbeitsgerichten zugemutet wird, gegebenenfalls Urteile verkünden zu müssen, die zum mindesten zum Teil auf reinen Verwaltungsentscheidungen beruhen, und daß diese Verwaltungsentscheidungen als fest gegebene und nicht nachprüfbare Tatsachen vorhanden sind.
Ich kann mich darauf beschränken, mit wenigen Worten darauf hinzuweisen, daß es auch im Hinblick auf die Situation der deutschen Gewerkschaften und auf die Gesetze, die wir zur Frage der Betriebsvertretung haben, außerordentlich bedenklich ist, daß durch den Generalvertrag bzw. durch den Truppenvertrag die Rechte der deutschen Beschäftigten bei den Truppen stark eingeschränkt sind. Es wird lediglich konzediert, daß sich Betriebsräte bei diesen Formationen bilden können. Wenn sie sich bilden, dann haben sie nur das sehr bescheidene Recht, in Zweifelsfällen und in Klagefällen „gehört" zu werden. Die Rechte sind also wesentlich geringer und gegenüber dem deutschen Recht sogar sehr stark eingeschränkt.
Als nächstes ergab sich, wiederum aus der Behandlung dieser Fragen, eine Tatsache, die uns besonders bedenklich zu sein scheint, weil sie für das ganze deutsche Arbeitsrecht sehr nachhaltige Auswirkungen haben könnte. Das ist die Tatsache, daß die Tarifverträge — man nehme sich einmal den Art. 44 Abs. 5 a des Truppenvertrags vor — lediglich zweitrangige oder nachrangige Bedeutung haben. Es erscheint mir notwendig, als Ergänzung zu den Berichten über die Arbeiten des Ausschusses für Wirtschaftspolitik hier festzustellen, daß die Regierungsvertreter zugegeben haben, daß es nicht gelungen sei, die Anwendbarkeit des deutschen Arbeitsrechts uneingeschränkt durchzusetzen. Ich lasse dahingestellt, wieweit sie sich Mühe gegeben haben, dieses Ergebnis besser zu gestalten. Es bleibt hier lediglich für den Berichterstatter festzustellen, daß das deutsche Arbeitsrecht in beträchtlichen Teilen durch diese Verträge demoliert wird.
Ich habe durchaus die Absicht, den vorhergehenden Berichterstatter als Vorbild zu nehmen, der nur sehr kurz zu einigen Fragen gesprochen hat. Ehe ich auf einen zweiten Komplex komme, der uns lange und intensiv beschäftigt hat, muß ich zunächst darauf hinweisen, daß es leider nicht möglich gewesen ist, den Herrn Bundeswirtschaftsminister im Ausschuß für Wirtschaftspolitik einmal persönlich zu haben, um ihn selber fragen zu können.
Er hatte uns einmal zugesagt zu erscheinen, aber an diesem Tage ist dann sein Kommen durch wichtige andere Besprechungen nicht möglich gewesen. Das hätte nach Auffassung der Minderheit dadurch wiedergutgemacht werden können, daß der Ausschuß für Wirtschaftspolitik die Sitzung, die er diesem Zweck zu widmen gedachte, vertagt hätte; aber die Mehrheit im Ausschuß war nicht geneigt, die-
sem Wunsche der Minderheit zu entsprechen. Es bleibt also ein Faktum, daß bei den sehr weittragenden und sehr schwerwiegenden wirtschaftspolitischen Fragen, die der Ausschuß diskutiert hat, die Stimme des Bundeswirtschaftsministers niemals zu hören gewesen ist.
— Das ist sehr wichtig, da haben Sie völlig recht, Herr Kollege; denn es sollte doch eine gute demokratische Regel sein, daß sich die verantwortlichen Ressortminister bei solchen Verträgen, die soviel Verantwortung aufbürden, den Ausschüssen zu Frage und Antwort stellen.
Nachdem wir in den vielerlei Verträgen und an sehr unterschiedlichen Stellen erst einmal zusammengeholt hatten, was alles aus diesen Verträgen für die Wirtschaft in ihrem Zusammenhang mit der Finanzpolitik erwächst, kam das zweite große Problem, mit dem sich der Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu befassen hatte. Deshalb habe ich auch erwähnt, daß wir es bedauert haben, den Herrn Bundeswirtschaftsminister niemals zur Behandlung dieser Fragen im Ausschuß gesehen zu haben. Wir haben natürlich vor allem die Aufgabe gehabt, festzustellen, welche wirklichen wirtschaftlichen Lasten aus diesen Verträgen entstehen. Wir hatten die Frage zu prüfen und nach Möglichkeit zu beantworten, welche Belastungen — auch auf Grund der Dienstleistungen, die in den Verträgen festgelegt sind — an die Wirtschaft herankommen. Ich bedaure, feststellen zu müssen, daß eine Beantwortung dieser Fragen, die es uns ermöglicht hätte oder ermöglichen könnte, ein wirkliches Bild der Belastungen zu gewinnen, nicht gegeben worden ist und nicht erzielbar war.
Ich glaube, es ist meine Pflicht als Berichterstatter, darauf hinzuweisen oder klarzustellen, warum das nicht möglich war. Es scheint der Bundesregierung in der Tat entweder nicht möglich zu sein, Angaben zu machen, oder es scheinen Hemmungen vorzuliegen, Angaben zu machen, die ein klares Bild ergeben. Wir haben im Ausschuß für Wirtschaftspolitik eine außerordentlich überraschende Feststellung machen müssen; die Kollegen, die dabei waren, werden sich dessen genau entsinnen. Es drehte sich um die Frage, welche Vorstellungen die Bundesregierung — und in diesem Falle wäre eben der Bundeswirtschaftsminster erwünscht gewesen — im Hinblick auf die konjunkturelle Weiterentwicklung hat, wenn diese Verträge ratifiziert und in Kraft gesetzt werden sollten. Es hat sich dabei herausgestellt, daß bei Teilen der Wirtschaft, vor allem auch in den Kreisen der Banken — das ist im Ausschuß nicht direkt gesagt worden —, sehr große Erwartungen auf Rüstungsaufträge oder Dollaraufträge bestehen. Der Vertreter der Dienststelle Blank oder der Kollege Blank persönlich hat uns im Ausschuß gesagt, daß er sehr vorsichtiger Auffassung sei, ja, daß seiner Meinung nach weder eine starke konjunkturelle Entwicklung zu erwarten sei, noch irgendwie Hoffnungen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung gehegt werden könnten, der etwa neue Investitionen mit sich bringen könnte. Wir haben auf der anderen Seite in dem offiziellen Dokument — und diese Fragen sind alle im Ausschuß für Wirtschaftspolitik wenigstens in der Diskussion angeschnitten worden —, die Tatsache zu verzeichnen, daß die Bundesregierung bei ihrer Vorstellung, die wirtschaftlichen und auch die finanziellen Lasten dieser Verträge könnten auf Grund der Zuwachsrate zum Sozialprodukt ohne Schwierigkeiten geleistet werden, erklärt, sie habe die konjunkturelle Befruchtung der Wirtschaft nach dem Inkrafttreten des EVG-Vertrages bei ihrer Rechnung, daß im nächsten Jahr das Sozialprodukt um 4 % wachsen würde, bereits berücksichtigt. Es bleibt die bedauerliche Tatsache bestehen, daß wir keine einheitliche Auffassung der Regierung bekommen haben. Offensichtlich scheinen die einzelnen Ministerien oder die einzelnen Ressorts die Frage, welcher wirtschaftliche Auftrieb oder welche wirtschaftliche Schädigung oder welche wirtschaftliche Belastung aus den Verträgen entsteht, nicht einheitlich zu beurteilen.
Ich habe in meinem Bericht darauf hingewiesen, daß eine sehr beachtliche Frage aus den Bauleistungen und den Verpflichtungen zu Bauleistungen im EVG-Vertrag und im Generalvertrag entsteht. Es scheint mir eine überaus bezeichnende Tatsache zu sein, daß der Vertreter einer Regierungsstelle uns gesagt hat, das Bauprogramm im ersten Jahr, in dem der EVG-Vertrag in Kraft treten würde, werde einen Umfang von etwa 2,5 Milliarden DM haben, während kurz darauf in derselben Sitzung der Vertreter eines anderen Minsteriums, nämlich des Finanzministeriums, erklärt hat, dieser Betrag sei zu niedrig, man müsse 3,3 Milliarden DM einsetzen. Das war eine Differenz von 800 Millionen DM in dem kurzen Zeitmoment von 10 Minuten Diskussion im Ausschuß für Wirtschaftspolitik. Und wenn bei so entscheidenden Fragen die Auffassungen verschiedener Ministerien oder Stellen der Bundesregierung so weit auseinanderlaufen,
dann bleibt verständlich, warum die Minderheit gegenüber den echten Wirkungen wirtschaftlicher Natur, die aus diesen Verträgen entstehen, ein außerordentlich unbehagliches und ungemütliches Gefühl hat.
Wir haben uns schließlich — das hat der Herr Berichterstatter mit der Erinnerung an die Schreiben, die wir bekommen haben, erwähnt — im Ausschuß für Wirtschaftspolitik einem letzten großen Problem zugewandt, nämlich der Frage der strukturellen Arbeitslosigkeit und ihrer Behebung. Das ist die Frage, wie sich durch die Verträge und durch die wirtschaftliche Entwicklung, die sich aus diesen Verträgen quasi zwangsläufig ergibt, die Stellung der an sich schon notleidenden Gebiete entlang dem Eisernen Vorhang gestalten wird. Wir hätten auch dazu den Herrn Bundeswirtschaftsminster gern persönlich gehört. Wir hatten ihn gebeten, zu kommen.
— Schön, Herr Naegel! Unser Vorsitzender im Ausschuß sagt, der Herr Staatssekretär Westrick war da. Das weiß ich auch. Aber zu diesen Dingen hätten wir eben gern den Bundeswirtschaftsminister als den verantwortlichen Mann gehört, womit ich nichts über die Tüchtigkeit seines Staatssekretärs ausgesagt haben möchte.
Das ist eine Frage der parlamentarischen Usance, des parlamentarischen Benehmens untereinander, und ich glaube, es sollte — ernsthaft gesprochen —doch in diesem Hause niemanden geben, der irgendeinem Ausschuß oder der sozialdemokrati-
schen Minderheit das Anliegen verwehren könnte, den Minister zu hören.
— Wenn Ihnen diese Bemerkung nicht paßt und
Sie glauben, sie gehöre nicht in den Ausschußbericht, den ich hier zu geben habe, dann möchte ich
Ihnen empfehlen, mich nicht mit dummen
Zwischenrufen zu solchen Äußerungen zu nötigen.
Wir haben uns also — um zur Sache zurückzukommen — mit den Fragen befaßt und haben versucht, festzustellen, ob sich die Regierung bzw. der Bundeswirtschaftsminister der Tatsache bewußt ist, daß aus diesen Verträgen eine starke Benachteiligung der Grenzgebiete entstehen kann. Wir haben eine schriftliche Antwort bekommen, die auch nach der Diskussion, die wir auf Grund der schriftlichen Antwort dann im Ausschuß gehabt haben überaus unbefriedigend geblieben ist. Die sozialdemokratische Minderheit hat daher das Gefühl oder ist, möchte ich beinahe schon sagen, überzeugt, daß die Inkraftsetzung dieser Verträge zu einer weiteren wirtschaftlichen Notlage unter Verschärfung der Situation führen wird, die bereits jetzt in den Grenz- und Notstandsgebieten besteht.
Als vorletztes bleibt mir dann noch eine Frage, auf die ich auch in meinem Schriftlichen Bericht hingewiesen habe, die Frage nämlich der Sicherung der Währung. Sie werden, meine Damen und Herren, falls Sie Zeit gefunden haben, die Berichte nachzulesen, festgestellt haben, daß das, was wir im Ausschuß für Wirtschaftspolitik behandelt und zu klären versucht haben, sich sehr weitgehend mit Fragen berührt, die auch im Finanzausschuß und im Haushaltsausschuß zur Diskussion gestanden haben. Es bestand im Ausschuß das völlig normale Verlangen, irgendwie zu klären, welche Belastung auf uns zukommt. Im Zusammenhang mit dieser Belastung und mit den Verpflichtungen der Bundesregierung war es natürlich dringlich, sich der Frage zuzuwenden, ob diese Verträge und die Folgen, die sich aus ihnen ergeben, die Sicherheit und 'die Festigkeit unserer Währung gefährden könnten. Es war für uns immerhin etwas überraschend, daß wir auf die Frage, 'welcher Ausschuß und wann man sich denn mit der Bank deutscher Länder einmal darüber unterhalten habe, feststellen mußten, daß erst durch das Anliegen der sozialdemokratischen Minderheit im Ausschuß für Wirtschaftspolitik schließlich die Bank deutscher Länder zu einer Äußerung aufgefordert wurde.
Wir haben die Antwort des Herrn Präsidenten Bernard schriftlich bekommen, und er hat uns einen guten Fachmann zur Diskussion seiner Stellungnahme in den Ausschuß geschickt. Es ist nach Auffassung der sozialdemokratischen Minderheit überaus beachtlich, daß man in dem Brief, den Herr Dr. Fricke vorhin mit erwähnt hat, folgendes liest:
Bei einer Stellungnahme
— das sind die Worte des Herrn Präsidenten Bernard, des Präsidenten des Zentralbankrats der Bank deutscher Länder —
zu dem finanziellen Teil des EVG-Vertrages
kann die Notenbank im Hinblick auf zahlreiche
unbekannte Größenordnungen und im Hinblick auf die ungewissen, weitgehend von der Weltkonjunktur abhängigen Entwicklungstendenzen der Zukunft nicht mit voller Sicherheit erklären, ob die dem EVG-Vertrag entspringenden Verpflichtungen in federkonkreten Situation immer und unter allen Umständen mit dem Erfordernis der inneren finanziellen Stabilität und mit der Aufrechterhaltung des Zahlungsbilanzgleichgewichts vereinbar sein werden.
Das ist sogar noch sehr vorsichtig-diplomatisch gesagt. Das Hohe Haus sollte sich jedenfalls, wenn es sich entschließen will, diese Verträge zu ratifizieren, darüber im klaren sein, daß ganz offensichtlich auch nach Meinung unserer obersten Instanz für die Währungspolitik hier Risiken eingegangen werden, die nicht leicht zu nehmen sein werden.
Nun, wir haben, wie ich schon sagte, keine Vorstellung bekommen können, und die Bundesregierung hat uns diese Angaben entweder nicht machen können oder nicht machen wollen, welche Belastungen nun tatsächlich entstehen. Wenn Sie die Berichte vergleichen, werden Sie feststellen, daß auch der Haushaltsausschuß und der Finanzausschuß sich bemüht haben, darüber Klarheit zu bekommen. Ich will gern konzedieren, daß Formulierungen -einzelner Bestimmungen, die mit der Wirtschaftspolitik zusammenhängen, sehr dehnbaren Charakter haben. Wir haben u. a. die eine Bestimmung, die da lautet, daß nur „schwere Wirtschaftsstörungen" vermieden werden sollen, was ja wohl ohne weiteres die Schlußfolgerung zuläßt, daß man mit einer Fülle oder jedenfalls mit einer Reihe von kleineren Wirtschaftsstörungen ohne weiteres rechnet, ohne daß aus dem Vertrag auch nur andeutungsweise festgestellt werden konnte, wann eine schwere Erschütterung oder eine schwere Belastung der Wirtschaft entsteht, die vielleicht dann das Kommissariat dazu veranlassen könnte, seine Politik zu ändern.
Aber das allein sind natürlich nach Auffassung der Minderheit nicht ausreichende Gründe dafür, daß die Bundesregierung sich überhaupt weigert oder geweigert hat, bestimmte Angaben zu machen, nämlich einmal die Vorstellung zu entwickeln, was nun eigentlich in der Bundesrepublik an neuen wirtschaftlichen Tatbeständen geschaffen wird und in welche wirtschaftliche Position die Bundesrepublik gekommen ist, wenn dieser Vertrag abgewickelt ist. Sie ratifizieren ja diese Verträge, weil Sie offensichtlich davon überzeugt sind, daß dieses Programm notwendig ist und auch durchgeführt wird. In dem Dokument, das die Bundesrepublik an die OEEC nach Paris geschickt hat, ist das klar angedeutet.
Es gibt natürlich bestimmte Merkmale und bestimmte Größenordnungen, die meines Erachtens die Bundesregierung auch kennt, aber an deren Deutung oder Auswertung sie nur mit großem Unbehagen oder überhaupt nicht herangehen möchte. Wir haben auf Grund der Abkommen, die in Lissabon getroffen worden sind, den Tatbestand, daß für die EVG-Gemeinschaft in den nächsten fünf Jahren ein Gesamtbetrag von etwa 200 Milliarden DM zur Verfügung gestellt oder investiert werden soll. Wir wissen andererseits — das geht auch aus den Berichten hervor, die seitens des EVG-Ausschusses und anderer Ausschüsse gegeben
worden sind —, daß die Bundesrepublik in diesem EVG-Gefüge, das da aufgebaut werden soll, ein Schwergewicht von etwa 34 bis 35 % hat. Es ist uns außerdem bekannt — das sind die Überlegungen, die uns nach der wirtschaftlichen Belastung hin die Argumente geben —, daß ungefähr 45 % dessen, was man ausgeben muß, um die EVG auf die Beine zu stellen, auf die Bewaffnung und das schwere Gerät entfallen. Ich will jetzt, wenn wir uns überlegen oder die Frage zu klären versuchen, was auf uns, die deutsche Wirtschaft, zukommt, ganz dahingestellt sein lassen, wieweit es zutreffend ist oder nicht, daß die Amerikaner bereit sind, nun das Material zu liefern und gewissermaßen permanent das in den Topf hineinzugießen, was aus der eigenen Wirtschaftskraft vielleicht in diesem EVG-Topf nicht vorhanden sein wird. Ich halte es jedoch für völlig utopisch, etwa unterstellen zu wollen, daß die Amerikaner in diesen vier bis fünf Jahren die 45 %, die die Bewaffnung ausmacht, liefern; denn das würden in fünf Jahren 90 Milliarden DM oder 21 Milliarden Dollar sein. Ich glaube, man sollte mit solchen Hoffnungen oder Größenordnungen gar nicht erst zu rechnen beginnen.
Solche Rechnungen führen also nicht weiter. Aber eine andere Rechnung bringt uns eine Größenordnung, und zwar die Größenordnung für die wirkliche Belastung der Wirtschaft. Wenn der Plan durchgeführt ist, dann ergibt sich nämlich, daß wir 450 000 bis 500 000 Mann in dieser Armee haben. Wir wissen — das ist unbestritten von allen Fachleuten gesagt worden —, daß heute die Unterhaltung eines Mannes etwa 8000 DM im Jahr kostet. Es ist ein einfaches Rechenexempel, daß dann die Unterhaltung dieser Armee von etwa 500 000 Mann — wobei sie nicht alle mit Tanks fahren oder schießen sollen, sondern auch andere Dinge zu tun haben — allein eine feste Kostengröße von 4 Milliarden DM im Jahr für die Bundesrepublik bringt.
Wenn aber die Armee schlagfähig sein soll, muß selbstverständlich die moderne Bewaffnung modern erhalten bleiben. Die Fachleute haben uns im Ausschuß für Wirtschaftspolitik, als wir nach diesen Dingen gefragt haben, gesagt, man müsse damit rechnen, daß die moderne Bewaffnung jedes dritte Jahr praktisch Schrottwert besitze. Das heißt, man muß die Bewaffnung und Ausrüstung der Truppe zu einem Drittel ungefähr jedes Jahr erneuern. Wenn Sie das in die Größenordnungen einbauen — und ich frage mich eben, ob die Regierungsvertreter und auch die Herren im Bundesfinanzministerium nicht irgendwann einmal solche Rechnung auch aufgemacht haben —, wenn Sie diese Größenordnung kennen, dann kommen Sie nämlich zu der Feststellung, daß Sie, wenn diese Armee steht und sie als echte Hypothek auf der Wirtschaft und auf den Finanzen der Bundesrepublik lastet, im Jahr etwa mit 14 bis 141/2 Milliarden DM rechnen müssen.
Gerade wenn wir von der wirtschaftlichen Seite die Dinge ansehen: jedem von uns ist bekannt, daß es einen Begriff gibt, den man „fixe Kosten" nennt, und daß die fixen Kosten in Unternehmen, vor allem auch in großen Unternehmen, eine beachtliche Rolle spielen, weil sie nämlich auch dann bleiben, wenn die Produktion sinkt und die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Konjunkturlage sich verschlechtern. Diese Belastung von etwa 141/2 Milliarden DM — ganz offengelassen die Frage, wer erst einmal die Waffen für die Truppen geliefert hat und wer das bezahlen muß; das sind
70 Milliarden DM —, diese Hypothek der fixen Kosten in der Größenordnung von 14 1/2 Milliarden DM wird auf der Wirtschaft und auf den Finanzen der Bundesrepublik fest liegenbleiben. Ich bitte Sie — und auch die Vertreter der Regierung —, sich einmal zu überlegen, was das bedeutet, wenn die Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft — —
— Ich bin mit wenigen Sätzen zu Ende.
Meine Damen und Herren, ich bitte, mir die Bemerkungen zur Berichterstattung nachher zu gestatten.
Ich habe gesagt, daß das die Berechnungen und Überlegungen sind, die wir anstellen mußten und die im Ausschuß für Wirtschaftspolitik deshalb zu keiner Klärung gekommen sind, weil die Bundesregierung sich geweigert hat, Zahlen vorzulegen. Man soll sich überlegen, wohin diese große Hypothek,
diese große Summe der fixen Kosten führt, wenn die Berechnung über den Zuwachs des Sozialprodukts, die die Bundesregierung uns vorgelegt hat, sich nicht realisieren sollte. Sie haben, falls Sie es nicht wissen und wenn Sie glauben, ich spräche hier zu Dingen, die im Ausschuß für Wirtschaftspolitik nicht zur Diskussion gestanden hätten, die Möglichkeit, den Bericht der Bundesrepublik an die OEEC, nämlich den Vierten Bericht über den deutschen Beitrag, nachzulesen. Dort finden Sie auf Seite 16 die Zahlenangaben über die Erwartungen, die die Bundesregierung hinsichtlich des Sozialprodukts hat.
Das waren die Fragen, die ich hier ergänzend vorzutragen hatte. Ich glaube, gerade durch Ihre Reaktion scheint klargeworden zu sein, daß es dringend notwendig war, den Bericht nach dieser Richtung hin zu ergänzen.
Meine Damen und Herren! Wir üben hier zum erstenmal das Verfahren, daß Mehrheits- und Minderheitsberichte erstattet werden. Ich möchte aber an alle Herren Berichterstatter appellieren, sich dessen bewußt zu sein, daß, auch wenn Mehrheits- und Minderheitsberichte erstattet werden, ein Unterschied zwischen der Aussprache und der Berichterstattung ist.
Wir kommen zu Punkt 4 b:
Berichte des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen.
Ich darf darüber hinaus noch einmal an Sie appellieren, die mündliche Berichterstattung so sehr einzuschränken, wie es sachlich möglich ist.
Zunächst Herr Abgeordneter Erler als Berichterstatter des federführenden Ausschusses.
Meine Damen und Herren, ich möchte klarstellen, daß der Ausschuß mit diesem meinem Bericht Ihnen nicht einen Mehrheits- oder einen Minderheitsbericht, sondern einen gemeinsamen Bericht des Ausschusses vorlegt.
Das ist eine Vorbemerkung.
Der Auswärtige Ausschuß hat sich nicht nur mit der Materie, sondern auch mit den Berichten der Fachausschüsse zu diesem Thema nur insoweit zu befassen gehabt, als bestimmte außenpolitische Probleme auch bei diesem Kapitel, das jetzt zu untersuchen sein wird, angesprochen werden. Sie werden an der Stelle des Berichts, den ich Ihnen vorzutragen die Ehre habe, auf Seite 63 der Drucksache Nr. 3900*) vor allem eine außenpolitische Wertung des Truppenvertrags finden. Damit Sie sich selbst ein Bild machen können, welche Konsequenzen diesem Truppenvertrag innewohnen, sei zuhi Vergleich auf das Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikpakts über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom 19. Juni 1951 hingewiesen. Ich darf Sie bitten, sich die Drucksache zu Drucksache Nr. 3900 vorzunehmen, in der die Bestimmungen dieses Abkommens in englischer Sprache mit einer nichtamtlichen deutschen Übersetzung verzeichnet sind. Es handelt sich beim Truppenvertrag, dessen einzelne Bestimmungen auch nach der Meinung des Auswärtigen Ausschusses nicht in allen Punkten den Grundsätzen echter Partnerschaft entsprechen, aus den Gründen, die im Bericht dargelegt sind, um ein Überbleibsel der Besatzungsgewalt, das seine rechtliche Grundlage in dem Vorbehaltsrecht der Stationierung von Besatzungstruppen im Bonner Vertragswerk findet. Dieses Vorbehaltsrecht mußte aus Gründen, die der Bericht enthält, hingenommen werden. Es wäre naheliegend gewesen, den Stationierungskräften der Drei Mächte in der Bundesrepublik keine andere Rechtsstellung einzuräumen, als sie die NATO-Staaten oder die Mitgliedstaaten der EVG einander gegenseitig gewähren. Warum es nicht gelungen ist, diesen Wunsch zu erfüllen, wird im Bericht im einzelnen dargelegt.
Auch auf dem hier jetzt besonders interessierenden wirtschaftlichen Gebiet gibt es einige sachliche Unterschiede in den Abmachungen des Truppenvertrags gegenüber den Abmachungen, die die Nordatlantikstaaten in ihrem Abkommen untereinander getroffen haben. Ich bitte Sie, hier besonders die Artikel 4 bis 14 zu vergleichen, die von der Versorgung der Truppen, den Steuern und Zöllen sowie den Devisenkontrolibestimmungen handeln.
Im einzelnen werden nachher die Fachausschüsse durch drei Berichterstatter zu Worte kommen. In meinem Bericht wird darauf hingewiesen, welche Probleme jeder Berichterstatter zu behandeln hat. Ich habe hier im Auftrage des Auswärtigen Ausschusses aber noch auf einige Besonderheiten, die in den Berichten nicht voll zur Geltung kommen, hinzuweisen, die gerade auch zur Kompetenz des Auswärtigen Ausschusses gehören.
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11227 B
Der Auswärtige Ausschuß nimmt zu der Frage, die in einem Bericht aufgeworfen wird, ob der Bund die Kompetenz habe, Abkommen zu schließen, welche sich auf Gemeindesteuern beziehen, keine Stellung.
Wichtig ist noch eine Ergänzung des Berichts des Kollegen Dr. Kneipp in bezug auf die Zollabfertigung. An den für die Streitkräfte wesentlichen Grenzübergangspunkten wird die Abfertigung durch Bedienstete der Streitkräfte, allerdings in. Zusammenarbeit mit den deutschen Zollbehörden, durchgeführt, an den übrigen Grenzübergangsstellen dagegen normal durch deutsche Beamte.
Der Bericht des Abgeordneten Dr. Gülich wird der umfangreichste Bericht sein, der auf den ganzen Komplex der Höhe des finanziellen Verteidigungsbeitrags, die Anrechnung von Aufwendungen und alles, was damit im Zusammenhang steht, eingeht. Hier legt der Auswärtige Ausschuß aber Wert auf eine bestimmte Feststellung. Im Anhang A zum Finanzvertrag findet sich eine Regelung mit Großbritannien, wonach deutsche Behörden und Gerichte in Entschädigungsfragen allein zuständig sind und ihre Entscheidungen auch die Behörden der britischen, belgischen, dänischen und norwegischen Streitkräfte binden. Der Auswärtige Ausschuß hält es für erwünscht, daß diese bessere Regelung, als sie sonst der Vertrag enthält, auch mit den anderen Stationierungsmächten zustande kommt.
Der Bericht des Kollegen Gülich behandelt dann auch die Revisionsklauseln. Hierzu ist vom Standpunkt des Auswärtigen Ausschusses zu bemerken, daß sie vor allem einen Einlassungszwang auf Verhandlungen — mehr nicht — zur Änderung oder Aufhebung von Artikeln des Finanzvertrags dann vorsehen, wenn ein Abkommen zwischen der EVG und der Nordatlantikpakt-Organisation solche Änderungen erforderlich macht.
Die Ausnahmen von der Schiedsgerichtsbarkeit — das ist ia auch ein außenpolitisches Problem — sind im einzelnen in dem Bericht des Finanzausschusses zutreffend dargelegt.
Wir können die Berichte, die Ihnen nachher vorgetragen werden, nicht aus dem Zusammenhang der ganzen Vertragswerke herausreißen. Es wird unbedingt erforderlich sein, die Berichte des Haushaltsausschusses und des EVG-Ausschusses zum Vergleich und zur Erläuterung der verschiedenen Probleme heranzuziehen.
Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen wird sich mit dem Problem der Reparationen und des deutschen Auslandsvermögens befassen. Hierzu darf ich, weil sich das aus den anderen Drucksachen nicht ergibt, noch einmal auf die Aufzählung der Länder verweisen, für die das Kontrollratsgesetz Nr. 5 über die Beschlagnahme der deutschen Auslandsvermögen seine Wirksamkeit im Bundesgebiet nicht verliert. Es ist nicht uninteressant, daß sich unter diesen Ländern unter anderem Finnland, Österreich und die Schweiz befinden.
Sie werden etwas vermissen; Sie werden vermissen, daß Ihnen der Auswärtige Ausschuß keine Darlegung zu den Fragen vorlegt, die durch den Sechsten Teil des Überleitungsvertrags vom Standpunkt des Völkerrechts und der Politik aus entstehen. An die Stelle des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ist der in den Entschließungen am Ende der Drucksache niedergelegte Entschließungsantrag getreten. Der Auswärtige Ausschuß legt keinen besonderen Bericht zu diesen beiden Themen, Reparationen und Ansprüche gegen Deutsch-
land, vor. Das Haus hat ein Anrecht darauf, zu wissen, wie es zu dieser bedauerlichen Lücke gekommen ist, im Hinblick auf die Größenordnung der Summen, die dabei, ich will nicht sagen, auf dem Spiele stehen, aber doch berührt werden. Es hat einen Unterausschuß des Auswärtigen Ausschusses gegeben, der sich in sehr zähen und langwierigen Beratungen bemüht hat, ein zusammenfassendes Bild dieses ganzen umfangreichen Fragenkomplexes zu gewinnen. Der Unterausschuß hat seine Arbeiten nicht so rechtzeitig abschließen können, daß er dem Auswärtigen Ausschuß darüber berichten konnte, so daß sich der Auswärtige Ausschuß außerstande gesehen hat, dem Hause zu dieser Beratung den Bericht vorzulegen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und darf die Hoffnung aussprechen, daß die angekündigten drei Redner dieses Ausschusses, die dazu berichten werden, ihren Bericht in gleicher Kürze erstatten werden.
Herr Abgeordneter Dr. Kneipp!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde der Aufforderung des Herrn Präsidenten folgen und mich außerordentlich kurz fassen. Sie haben ja die Möglichkeit, soweit dies noch nicht geschehen sein sollte, auf den Seiten 64 ff. der Drucksache Nr. 3900*) nachzulesen, was über die devisenrechtliche, zollrechtliche und steuerrechtliche Behandlung in der Arbeit des Finanz- und Steuerausschusses herausgekommen ist. Ich möchte aber als erster der drei Berichterstatter aus dem Finanz- und Steuerausschuß darauf hinweisen, daß sowohl der Finanzminister als auch seine Mitarbeiter in außerordentlich umfassender Art und Weise versucht haben, uns in die schwierigen Probleme hineinzubringen. Nur durch diese außerordentlich emsige Arbeit der Herren des Finanzministeriums war es uns möglich, in verhältnismäßig kurzer Zeit das schwierige Amt der Bearbeitung überhaupt zu Ende zu führen.
Eines muß ich hier einschalten, das ist die Frage der Behandlung der Organisationen, die im Bereich und im Dienst der Streitkräfte eingespannt sind und die die zollrechtlichen, steuerrechtlichen und devisenrechtlichen Vorteile des Truppenvertrags usw. genießen oder bisher beansprucht haben und auch in Zukunft beanspruchen. Ich folge einem Wunsche des gesamten Ausschusses für Finanz- und Steuerwesen, wenn ich bitte, diese Liste der Organisationen, wie sie zur Zeit besteht, noch in die Berichterstattung mitaufzunehmen. Ich hatte sie meinem Bericht angefügt; sie ist aber durch ein Versehen nicht in den Gesamtbericht mitaufgenommen worden. Die Anzahl dieser Organisationen ist noch außerordentlich groß, und es war der Wunsch aller Mitglieder des Finanz- und Steuerausschusses, daß es den Verhandlungen der Bundesregierung gelingen möge, soweit wie möglich den Umfang dieser zugelassenen Organisationen einzuschränken. Ich will Ihnen die Liste nicht vorlesen; Sie können sie ja später im Bericht noch selber zur Kenntnis nehmen. Ich darf nur darauf hinweisen, daß allein sechs Versicherungsgesellschaften im Dienste der amerikanischen Truppen stehen, und zwar Automobilversicherungsgesellschaften, und alle diese Versicherungsgesellschaften einschließlich ihrer Bediensteten natürlich die zollrechtlichen,
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11228 D
steuerrechtlichen und devisenrechtlichen Vergünstigungen der Verträge beanspruchen.
Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, daß auch der Finanz- und Steuerausschuß das Abkommen der Nordatlantikpakt-Streitkräfte vom Jahre 1951 in den Kreis seiner Erörterungen gezogen hat. Es wurde aber von Regierungsseite darauf hingewiesen, daß dieses Abkommen noch nicht überall praktikabel sei, daß also noch ältere Bestimmungen aus dem Jahre 1946 zum Teil, besonders bei Frankreich, dieses Abkommen noch nicht hätten zur Wirksamkeit kommen lassen, so daß ein hundertprozentiger Vergleich mit diesem Abkommen der Nordatlantikpakt-Streitkräfte noch gar nicht möglich sei.
Auch auf die Gemeindesteuern, wie sie Herr Kollege Erler eben angesprochen hat, muß ich noch einmal zurückkommen. Es ist natürlich mit Recht gefragt worden: Kann der Bund, der ja auf dem Gebiete der Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis gar nicht die Gesetzgebungskompetenz hat, durch internationale Verträge in die Steuergesetzgebung eingreifen? Es ist auch gefragt worden, ob die Länder als solche sich nicht zur Wehr setzen könnten, wenn auf dem Wege internationaler Verträge, für die allein der Bund zuständig sei, in ihre Gesetzgebungskompetenz eingegriffen werde. Es ist aber dann darauf hingewiesen worden, daß die anderen Vertragsparteien sich auf diesen Unterschied zwischen Länder- und Bundesgesetzgebungskompetenz absolut nicht eingelassen hätten, sondern daß sie erklärt hätten, sie müßten natürlich alle diese Fragen durch den Bund regeln. Von seiten des Bundesfinanzministeriums wurde erklärt, daß, wenn dadurch berechtigte finanzielle Interessen der Länder oder Gemeinden angesprochen würden, aus Einzelplan XXVII des Bundeshaushalts entsprechend den finanziellen Möglichkeiten ein Ausgleich stattfinden könne. Daß die Gemeindesteuern, die reinen Gemeindesteuern, für die nur die Länder und die Gemeinden in Frage kommen, leider nicht die wünschenswerte klare Herausstellung gefunden haben, ist außerordentlich bedauerlich. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang auf die Hundesteuer, die Vergnügungssteuer usw. nicht eingehen. Ich bitte Sie, mit diesen ergänzenden Darlegungen zufrieden zu sein. Ich behalte mir natürlich vor — einem Berichterstatter steht das jederzeit zu —, noch dann einzugreifen, wenn im Rahmen der Debatte gewisse Unklarheiten dringend einer Aufklärung durch den zuständigen Berichterstatter bedürfen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich darf mir gestatten, Ihnen die von dem Herrn Berichterstatter überreichte Liste der Organisationen, die den Streitkräften dienen, einschließlich der Coca-Cola-Export-Corporation, im Wege des Umdrucks bekanntzumachen.*)
Herr Abgeordneter Professor Dr. Gülich als nächster Berichterstatter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der Kompliziertheit des Stoffes konnte sich der Finanzausschuß nicht darauf beschränken, lediglich das Für und Wider zu erörtern. Das Vertragswerk ist so verzahnt und verwickelt, daß man bei jedem
*) Siehe Umdruck Nr. 721, Anlage zur 240. Sitzung Seite 11298
Artikel und Paragraphen die Bestimmungen eines anderen Vertragsteiles oder Zusatzvertrages oder Briefwechsels oder Protokolls studieren und vergleichen muß, um überhaupt Klarheit über den Inhalt zu bekommen. Erst danach konnten wir zu den einzelnen Vertragspositionen Stellung nehmen.
Ich habe deshalb in meinem Schriftlichen Bericht, der Ihnen auf Seiten 67 bis 82 der Drucksache Nr. 3900*) vorliegt und der 15 verschiedene Dokumente betrifft, im ersten Teil den Inhalt der einzelnen Positionen angegeben und dabei die in Frage kommenden Artikel und Ziffern aller die Position betreffenden Vertragsteile und Gesetze einbezogen und im zweiten Teil, der relativ kurz ist, eine Analyse der Problematik des Finanzvertrages und der finanziellen Bestimmungen des EVG-Vertrages vorgenommen, soweit sie im Ausschuß behandelt worden sind.
Obgleich der Ausschuß sieben, darunter mehrere ganztägige Sitzungen für die Beratung verwendet hat, war er nicht in der Lage, die Einzelbestimmungen der Vertragsteile so eingehend durchzuarbeiten, wie es gerade die finanziellen Bestimmungen des Vertragswerks erfordert hätten. Deshalb mußte er sich im wesentlichen auf die Beratung der besonders wichtigen Probleme beschränken.
Nicht alle Einzelheiten des ersten Teiles meines Schriftlichen Berichts sind also im Ausschuß erörtert worden; aber sie sind im Ausschuß von mir vorgetragen worden. Es kann natürlich nicht meine Aufgabe sein, den Schriftlichen Bericht hier zu wiederholen, sondern auch ich will mich der Mahnung des Präsidenten befleißigen, mich so kurz wie möglich zu fassen. Es ist aber unumgänglich, wenn überhaupt über den Finanzvertrag etwas gesagt ,) werden soll, die wesentlichsten Bestimmungen aufzuführen und Sie mit dem Inhalt bekanntzumachen, darzulegen, was geklärt und was noch ungeklärt ist und was noch in weiteren Verhandlungen vereinbart werden muß, soweit diese Dinge im Ausschuß diskutiert worden sind.
Die Höhe des deutschen Verteidigungsbeitrags für die Zeit vom Inkrafttreten der Verträge bis zum 30. Juni 1953 ist auf den festen Betrag von 850 Millionen DM monatlich festgesetzt worden. Dieser Betrag umfaßt erstens den Beitrag zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und zweitens den Anteil der Bundesrepublik an den Kosten für den Unterhalt der Streitkräfte, an den sogenannten Stationierungskosten. Während für die Zeit vor dem 30. Juni 1953 feste Summen vereinbart worden sind, bedarf die Höhe der finanziellen Leistungen nach dem 30. Juni 1953 späterer Vereinbarung.
Der Finanzvertrag regelt grundsätzlich die Beziehungen der Bundesrepublik zu den Drei Mächten — also zu den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich —, Art. 3 des Finanzvertrags jedoch lediglich die finanziellen Bestimmungen im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten und Großbritannien. Die Regelung der finanziellen Verhältnisse der Bundesrepublik zu der Französischen Republik als einem der EVG-Mitglieder erfolgt durch den EVG-Vertrag. Der Beitrag, ist im Finanzvertrag gesagt, muß die „deutsche Wirtschaftskraft" im gleichen Verhältnis beanspruchen, in dem die anderen großen westlichen Staaten ihre Wirtschaftskraft für Verteidigungszwecke in Anspruch nehmen. Allerdings haben diese Staaten Anspruch darauf, daß ihre Ausgaben für außereuropäische
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11231 C
Verteidigungsmaßnahmen angerechnet werden. Die 1 Bundesrepublik bringt also ihre gesamten finanziellen Leistungen für europäische Verteidigungszwecke in den EVG-Haushalt ein, während die anderen westlichen Staaten einen erheblichen Teil ihrer finanziellen Leistungen für außereuropäische Zwecke verwenden dürfen.
Der an die Europäische Verteidigungsgemeinschaft abzuführende Beitrag der Bundesrepublik setzt sich zusammen aus dem Beitrag zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und aus dem Anteil der Bundesrepublik an den Kosten für den Unterhalt der ausländischen Streitkräfte — das sind zur Zeit amerikanische, belgische, britische, dänische, französische, luxemburgische und norwegische Streitkräfte im Bundesgebiet —, soweit diese nicht der EVG angehören. Die Mitgliedstaaten der EVG also — die Kontingente der Belgier, Franzosen und Luxemburger — werden an den Stationierungskosten nur bis zum 30. Juni 1953 beteiligt Die Höhe des nach dem 30. Juni 1953 zu zahlenden Beitrags zu den Stationierungskosten solcher Streitkräfte, die von den nicht der EVG angehörenden Mächten in das Bundesgebiet entsandt werden, ist im Vertrag nicht geregelt. Dieser Beitrag muß in späteren Verhandlungen zwischen der EVG, der Bundesrepublik und den nicht der EVG angehörenden Staaten vereinbart werden.
In der wohl wichtigsten Frage des Finanzvertrags, der Beitragsermittlung, ging die Debatte des Ausschusses von Art. 94 des EVG-Vertrags aus, nach dem die Beiträge der Mitgliedstaaten der EVG durch den Rat nach NATO-Grundsätzen auf Grund einstimmigen Beschlusses festgesetzt werden. Nach Art. 94 Abs. 2 wird der Rat für die Zukunft „eine Methode entwickeln, die unter Berücksichtigung der finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Belange der Mitgliedstaaten eine gerechte Verteilung der Lasten gewährleistet". Der Regierungsvertreter stellte hierzu fest, daß die Aufstellung eines solchen Leistungsschlüssels noch nicht gelungen sei, daß aber die Einstimmigkeit der Haushaltsaufstellung auf jeden Fall eine Schlechterstellung der Bundesrepublik in der Beitragsbemessung nach NATO-Grundsätzen verhindere. Die Frage nach der Art der NATO-Grundsätze und -Verfahren der Beitragsermittlung beantwortete der Regierungsvertreter mit der Erklärung, daß zwischen den Atlantikpaktstaaten ,,eine Reihe von Übungen über die Festsetzung des Beitrages" besteht, die durch Verhandlungen auf Grund der Gutachten der „Drei Weisen" durchgeführt wird. Diese Erklärung wird durch den Hinweis auf Art. 3 Abs. 1 des Finanzvertrages ergänzt, wonach der Beitrag der Bundesrepublik „dem Ausmaß entspricht, in dem die anderen großen Staaten ihre eigene Wirtschaftskraft für Verteidigungszwecke — unter Mitberücksichtigung der Ausgaben für außereuropäische Verteidigungsmaßnahmen — in Anspruch nehmen".
Auf den Fehler in der Übersetzung des französischen Textes, der „y compris les dépenses" und des englischen Textes, der „including expenditures" lautet, also „unter Einbeziehung der Ausgaben", habe ich im Schriftlichen Bericht hingewiesen.
Der Ausschuß befaßte sich darauf eingehend mit dem Problem des Vergleichsmaßstabs für die Bemessung des Beitrages der Bundesrepublik und führte in diesem Zusammenhang die Erklärung
des Herrn Bundesfinanzministers am 11. Juli 1952 vor dem Plenum des Bundestages an, daß noch keine Einigung erzielt worden sei „über das, was als Verteidigungslast der Bundesrepublik anzuerkennen ist". Bisher sei auch nicht zu sehen gewesen, „was jedes der anderen Länder wirklich leistet". Auch der Finanzdelegierte der Bundesregierung auf der Pariser Konferenz, Ministerialrat Dr. Vialon, hat im Bulletin der Bundesregierung vom 29. August 1952 festgestellt, daß die bisherige Beitragsbemessung für die Bundesrepublik unbefriedigend sei. Er schreibt wörtlich:
Es fehlt die Gewißheit, daß für die Höhe des Beitrags die auf den Kopf des Einwohners bezogene Leistungsfähigkeit an Hand des verfügbaren Einkommens berechnet wird . . .
Diese Leistungsklausel wurde — wie er wörtlich schreibt — verhindert.
Auch der Text des Gutachtens der „Drei Weisen" vom 16. Februar 1952 sucht den maximalen Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik allein im Rahmen der „volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit". Mit dieser Frage mußte sich der Ausschuß naturgemäß eingehend befassen, weil es j a die Kernfrage der Bemessung des Verteidigungsbeitrags überhaupt ist. Obgleich nun das Gutachten der „Drei Weisen" die besonderen deutschen Schwierigkeiten durch die Arbeitslosigkeit und das Flüchtlingsproblem anerkennt, wertet es das „Vorhandensein erheblicher ungenutzter wirtschaftlicher Möglichkeiten in Deutschland als potentielles Aktivum" unzulässig hoch, zumal es davon die Steigerung der deutschen Ausfuhr und als deren Folge eine höhere deutsche Gesamtzahlungsbilanz
und eine — wie es wörtlich heißt — „relativ hohe Steigerungsrate bei der Gesamtproduktion" erwartet und daraus positiv eine günstige finanzielle Lage der Bundesrepublik feststellt. Der „DreiWeisen-Bericht" räumt zwar ein, daß man auch wichtige menschliche und soziale -Werte neben streng wirtschaftlichen und finanziellen berücksichtigen müsse, benutzt aber doch als einzigen Maßstab der Beitragsermittlung für die Bundesrepublik ein ausschließlich wirtschaftliches Kriterium, nämlich die Statistik der deutschen Gesamtproduktion. Der Regierungsvertreter suchte dieses Problem des Vergleichsmaßstabes durch den Hinweis zu klären, daß zwar das Brutto-Sozialprodukt nach bestimmten gesamtwirtschaftlichen Kriterien berechnet wird, daß aber gewisse Sonderbelastungen berücksichtigt würden und daraus ein Nettoverteidigungsbeitrag an die EVG errechnet werde.
Der Ausschuß warf dann die Frage auf, ob bei der Beitragsermittlung beispielsweise für Frankreich das Wirtschaftsvolumen berücksichtigt werde, das Frankreich aus Indochina zufließe, da die République Française und nicht die Union Française Partner des EVG-Vertrages sei. Die Wichtigkeit dieser Frage wurde durch die Forderung unterstrichen, daß alle Ausgaben und Einnahmen bei der Beitragsermittlung zu berücksichtigen seien. Die Opposition im Ausschuß erblickte in der Tatsache, daß europäische Staaten von ihrem nationalen Beitrag an die EVG ihre überseeischen Verpflichtungen abziehen können, eine Schwächung des EVGGedankens. Auch in der Tatsache, daß über die Verwendung europäischer Verteidigungsmittel etwa in Indochina nicht von der EVG selber entschieden werde, sah die Opposition ein Problem. Die Vertreter der Koalitionsparteien und die Regierungsvertreter erblickten in der Bestimmung, daß die Höhe des Verteidigungsbeitrags wegen des Prinzips der Einstimmigkeit nicht gegen die Stimme der Bundesrepublik festgesetzt werden könne, ein Faktum, das der Bundesrepublik bei Verhandlungen geradezu eine Schlüsselposition verleihe.
Im Zusammenhang mit dem Problem der Anrechnungsfähigkeit der Kosten für Berlin auf den Verteidigungsbeitrag wurde an die Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers vom 9. Juli 1952 vor dem Plenum des Bundestags erinnert, daß bisher keine Einigung darüber erzielt wurde, ob die Ausgaben für Polizei, Grenzschutz, Wehrmachtpensionen und Hilfe für Berlin als Verteidigungslast der Bundesrepublik anzuerkennen seien. Der Bundesfinanzminister sagte damals — und es ist wichtig, das hier zu wiederholen —:
Deshalb haben wir den Standpunkt vertreten, daß jede D-Mark, die wir an Berlin-Hilfe ausgeben - ob sie für polizeiliche Zwecke oder für soziale Zwecke oder sogar für kulturelle und rein wirtschaftliche Zwecke gilt —, genau so hoch einzuschätzen ist wie jede D-Mark, die für unmittelbar militärische Zwecke der Verteidigung anderswo ausgegeben wird.
Da wir diesen Standpunkt nicht aufgeben, ihn aber auf der anderen Seite auch nicht sofort zum vollen Erfolg führen konnten, schloß man einen Kompromiß, in dem man die Lösung dieser Frage einer allgemeinen Revision des deutschen Verteidigungsbeitrages überließ, die vor dem 30. Juni 1953 stattfinden muß.
Wir votieren also ein halbes Jahr vor dem Ablauf des Revisionstermins eine der wesentlichsten Bestimmungen des Vertrags. Das Gutachten der „Drei Weisen" erklärt: Ein Teil der Ausgaben für Berlin fällt praktisch unter die allgemein angewandte Begriffsbestimmung für Verteidigungsausgaben. Die meisten fallen jedoch nicht darunter. Nur weil sie weitgehend, wie der Bericht wörtlich sagt, das Maß normaler Notstandsgebietsaufwendungen übersteige, sei diese Belastung bei der Bemessung des deutschen Beitrags als besonderer Faktor berücksichtigt worden. Es wird also nach Ansicht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ein weiteres Bemühen der Bundesregierung sein müssen, diese Kosten, die für Berlin aufgewendet werden, auf den gesamten Verteidigungsbeitrag angerechnet zu bekommen.
Meine Damen und Herren, das, was ich soeben ihnen kurz vorzutragen mich bemüht habe, ist der Kernpunkt der Festsetzung der Höhe des Verteidigungsbeitrages. Ich komme nun zu den anderen Problemen und versuche, sie in aller Kürze darzustellen, mich also auf das Wesentliche zu be- schränken.
Ich komme zu dem Problem der unentgeltlichen Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen und Dienststellen durch die Streitkräfte. Hier handelt es sich um Leistungen der Bundesrepublik über ihren ja in Geld zu leistenden Beitrag zu den Stationierungskosten hinaus. Die Bundesrepublik stellt den Streitkräften für eigene Zwecke und für Zwecke ihrer Mitglieder gewisse Leistungen unentgeltlich zur Verfügung: Verwaltungsleistungen und Verwaltungshilfe deutscher öffentlicher Dienststellen, also Polizei, Gesundheitsdienst, Feuerschutz, Wetterdienst, Vermessungsdienst und so fort, ferner Wege, Straßen, Brücken, weiter schiffbare Gewässer — allerdings nur dann, wen sie normal be-
ansprucht werden, worüber aber noch eine besondere Vereinbarung zu erzielen ist —, ferner Vermögenswerte der Bundesrepublik, mit Ausnahme der Bundesbahn und der Bundespost, und des früheren Deutschen Reiches, und zwar auch solche, die aus Besatzungskosten oder Auftragsausgaben oder aus dem Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik erbaut oder beschafft worden sind. Der Finanzvertrag sieht gewisse Ausnahmen vor, über die besondere Vereinbarungen zu treffen sind.
Die Streitkräfte können Vermögenswerte der Länder für eigene Zwecke in Anspruch nehmen. Die Bundesrepublik verpflichtet sich, die Streitkräfte von der Haftung für alle den Ländern zustehenden Ansprüche zu befreien und ihrerseits den Ländern die Nutzungsvergütung zu bezahlen. Dasselbe gilt für Vermögenswerte der Gemeinden. Die Bundesrepublik übernimmt es, für die von den Streitkräften in Anspruch genommenen Grundstücke die Grundsteuer zu entrichten. Auch die Mitglieder der Streitkräfte, also das Gefolge, dürfen kraft eigenen Rechts Einrichtungen und Leistungen unentgeltlich beanspruchen, wenn dies „normalerweise" auch von anderen Personen geschieht.
Die Kosten des Baues, der Instandsetzung und Instandhaltung von für zivile und militärische Zwecke genutzten Verkehrsmitteln, -anlagen und
-einrichtungen, Meldeanlagen, -einrichtungen und
-ausrüstungen, öffentlichen Versorgungseinrichtungen belasten im allgemeinen nicht den Haushalt der Mächte, sondern den Haushalt der Bundesrepublik.
Militärische Sonderausgaben werden auf Grund vorheriger Abmachung nur dann ganz oder teilweise auf den Stationierungskostenhaushalt verrechnet, wenn die betreffende Einrichtung keinen Ertrag abwirft und nur in geringem Umfange für zivile Zwecke genutzt wird, es sei denn, daß Son-
derumstände die Übernahme der Kosten begründen. Die „Sonderumstände" sind nicht näher definiert. Einige Fälle, die nur im militärischen Interesse liegen, sind in Art. 13 Abs. 2 aufgeführt. Die Darstellung all dieser Einzelheiten würde natürlich zu weit führen.
In bezug auf die deutschen Leistungen, die der Finanzvertrag festlegt, entwickelte der Regierungsvertreter die deutsche Tendenz, bei den Verhandlungen nur solche öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen den Schutzmächten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, die auch den Deutschen unentgeltlich zur Verfügung ständen, also etwa die normale Straßenbenutzung und der normale Polizeischutz, jedoch nicht ein besonderer Polizeischutz, der vielmehr von den Mächten nunmehr bezahlt werden müsse. Die Auffassung der Bundesregierung, nach der die unentgeltliche Benutzung z. B. öffentlicher Gebäude durch die Besatzungsmächte nach Aufhebung des Besatzungsstatuts im Rahmen der neuen Verträge zumindest für das Eigentum der deutschen Länder nicht gelte, habe sich jedoch nicht durchgesetzt. Er leitete dies aus dem Tatbestand ab, daß die bundesstaatliche Konstruktion mit den getrennten Haushalten von Bund und Ländern den Mächten fremd sei. Auch hätten andere große westeuropäische Staaten, in deren Bereich fremde Truppen stationiert seien, sich in unentgeltlichen Leistungen an diese Truppen geradezu überboten. Die weitgehenden Vergünstigungen, die England und Frankreich nicht nur auf steuerlichem Gebiet, sondern hinsichtlich der Zurverfügungstellung öffentlichen Eigentums, öffentlicher Sach- und Werkleistungen und öffentlicher Dienste den amerikanischen Truppen eingeräumt hätten, habe es der Bundesrepublik erschwert, wesentlich ungünstigere Bedingungen gegenüber den stationierten Truppen durchzusetzen.
Die Schadensersatzpflicht für künftige Schäden erstreckt sich auf Verluste oder Schäden durch die Streitkräfte selbst, durch Mitglieder oder Bedienstete bei der Erfüllung dienstlicher Pflichten und auf Verluste oder Schäden durch Manöver sowie bei der Benutzung von Liegenschaften oder beweglichen Gegenständen, soweit die Schäden „normale Abnutzung" überschreiten.
Bei der.. Prüfung von Schadensersatzansprüchen müssen die Dienststellen 'der Streitkräfte die deutschen Rechtsvorschriften berücksichtigen; sie entscheiden jedoch allein, ob und in welchem Umfang Entschädigung gezahlt werden soll. Nicht berücksichtigt werden Ansprüche aus Beschädigungen öffentlicher Wege, Straßen, Brücken, schiffbarer Wasserstraßen und anderer Verkehrsanlagen infolge ihrer Benutzung durch die Streitkräfte, deren Mitglieder oder Bedienstete für normale Verkehrszwecke, Ansprüche aus Verlusten oder Beschädigungen an Vermögenswerten, die aus Besatzungskosten oder Auftragsausgaben oder aus dem Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik erbaut oder beschafft worden sind, aus Verlusten oder Schäden aus Verträgen oder vertragsähnlichen Rechtsverhältnissen.
Das für die Geltendmachung von Ansprüchen anzuwendende Verfahren, das, lin der Natur der Sache liegend, recht kompliziert ist, will ich natürlich hier nicht erläutern. Entscheidungen in solchen Verfahren liegen in der Hand der Streitkräfte. Nur wenn eine Streitkraft selbst dem Prozeß beitritt und die Entscheidung eines deutschen Gerichtes zu ihren Ungunsten anerkennt, erfolgt die Entschädigungszahlung zu Lasten der Stationierungskosten der Streitkräfte. Auch die Entscheidung der Frage, ob Schäden im Rahmen dienstlicher Tätigkeit entstanden sind — grundsätzlich werden nur solche vergütet —, liegt in der Hand der Streitkräfte.
Für Schäden an Vermögenswerten im Eigentum der Bundesrepublik - ausgenommen Bundesbahn und Bundespost — wird kein Ersatz geleistet, ebenso nicht für Belegungsschäden an Bundes- und früherem Reichseigentum. Die Bundesrepublik verpflichtet sich im Vertrag ausdrücklich, aus derartigen, nach dem Inkrafttreten der Verträge entstehenden Schäden keine Ansprüche zu stellen, die beteiligten Mächte also von der Haftung zu befreien. Die beteiligten Mächte ihrerseits verzichten auf Ansprüche aus Werterhöhungen an Vermögenswerten, die aus Mitteln des Besatzungskostenhaushalts oder der Stationierungskosten vorgenommen worden sind. Eine entsprechende Regelung in bezug auf Ländereigentum wird in Art. 9 getroffen. Um jedoch nicht die Länderhaushalte aus der Erfüllung von Schadensersatzansprüchen zu belasten, übernimmt die Bundesrepublik auch hier an Stelle der Länder die Haftung.
Die beteiligten Mächte verpflichten sich, auch aus Werterhöhungen an Vermögensgegenständen der Länder keine Ansprüche geltend zu machen. Die beteiligten Mächte verpflichten sich, solche Ansprüche an die Bundesrepublik abzutreten, da la die Bundesrepublik auch die Belastungen aus der Haftung an Stelle der Länder übernehmen muß.
Bei den Schadensersatzansprüchen — Art. 10 — aus der Besatzungszeit erkennt die Bundesrepublik an, daß keine Ansprüche gegen die Drei Mächte auf Grund von Handlungen oder Unterlassungen der Drei Mächte oder ihrer Mitglieder zwischen dem 5. Juni 1945 und dem Inkrafttreten des Vertrages geltend gemacht werden können. Grundsätzlich belasten solche Schäden als Verteidigungsfolgekosten die Bundesrepublik auf Grund eines noch zu erlassenden deutschen Gesetzes, nämlich eines Bundesleistungsgesetzes.
Im Zusammenhang mit dem Problem der Haftung wurden im Finanzausschuß Art. 7 und Art. 9 erörtert, nach denen sich die Bundesregierung einseitig verpflichtet, die Mächte von aller Haftung für Ansprüche der deutschen Länder auf Nutzungsvergütung zu befreien. Der Ausschuß diskutierte auch das Problem der Nutzungsvergütung für Gemeinden. Es wurden Fälle genannt, in denen Gemeinden für Requisitionen durch die Besatzungsmächte keine Vergütung erhalten haben. Der Regierungsvertreter erklärte dazu, daß sich die Besatzungsmächte unter der Herrschaft des Besatzungsstatuts geweigert hätten, Nutzungsvergütungen an Bund oder Länder zu zahlen, daß aber für Gemeindeeigentum grundsätzlich eine Vergütung gezahlt worden sei. Der Generalvertrag stelle in aller Form das Prinzip der Entschädigungspflicht für alles in Anspruch genommene Eigentum — mit Ausnahme des Bundes- und Ländereigentums — fest, besonders für das benutzte Gemeindeeigentum. Für solches zahle der Bund auch rückwirkend eine Entschädigung.
Das Problem der Behandlung von requiriertem Ländereigentum sei besonders schwierig zu behandeln gewesen. Auch hier hätten die Länder, obwohl sie nach alliiertem Recht keine Vergütung bekommen, über den Einzelplan XXVII Vergütung vom Bund erhalten. Durch ihre subsidiäre Haftung wolle die 'Bundesregierung der deutschen 'Seite den Rechtsschutz sichern.
In der Frage der Abwicklung der noch nicht geregelten Besatzungsschäden habe die Bundesregierung ihren Standpunkt, daß dieser Betrag, den man auf 300 Millionen 'DM schätzt, auf den Verteidigungsbeitrag anzurechnen sei, nicht durchgesetzt. Sie habe dies hingenommen, um eine Limitierung der Besatzungskosten zu erreichen und um die Abwicklung nach deutschen Rechtsgrundsätzen vollziehen zu können.
Hier darf ich die Damen und Herren darauf aufmerksam machen, daß auf Seite 81 des Schriftlichen Berichts ein grober Druckfehler steht, indem statt 300 Millionen 6 300 Millionen, also eine astronomische Zahl, angegeben ist. Diese 6 300 Millionen sind also in 300 Millionen zu ändern.
Die Stationierungskosten müssen ausschließlich für den Unterhalt der Streitkräfte verwendet werden, sich in dem mit der militärischen Leistungsfähigkeit der Streitkräfte zu vereinbarenden Mindestrahmen halten und wirtschaftlich und sparsam verwendet werden. Über den Begriff „Mindestrahmen" im Einklang mit der militärischen Leistungsfähigkeit können die Auffassungen natürlich stark abweichen. Konkrete Vereinbarungen darüber sind also noch zu treffen.
Nun würden die Haushaltsprobleme folgen. Jede Macht hat ja einen Haushaltsplan aufzustellen. Die Darstellung der Haushaltsprobleme im ganzen und im einzelnen nimmt, obgleich ich sie im Schriftlichen Bericht im Telegrammstil abgefaßt habe, einen großen Teil 'des Berichts ein. Ich verweise auf diesen Bericht und ebenfalls auf den Bericht des Haushaltsausschusses. Ich möchte also über diesen ausführlichen Teil des Berichts, obgleich er von großer und einschneidender Wichtigkeit ist, nichts sagen. Nur ein paar Einzelbestimmungen dürfen nicht übergangen werden, die vom Standpunkt des Finanzausschusses aus erwähnt werden müssen.
Die Bundesrepublik wird verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Mittel für alle Zahlungen bei Bedarf zur Verfügung stehen. Im Briefwechsel — Nr. 6 - werden Einzelheiten über die Abwicklung der Zahlungen geklärt, die ich nicht aufführen will. Die Zahlungsermächtigungen, also die technische Abwicklung von Auszahlungen auf Grund von Zahlungsermächtigungen der Streitkräfte, erfolgen durch deutsche Zahlstellen. Die Bundesrepublik muß den Zahlungsermächtigungen der Streitkräfte den Vorrang einräumen; sie muß unter Umständen mit stoßweise anfallenden größeren Zahlungsermächtigungen rechnen, die ihre Kassenlage beeinträchtigen können.
Es ist dabei ausdrücklich festgelegt, daß eine Zahlungsermächtigung mit Rechnungsbelegen in allen Fällen vorzulegen ist, damit auch der Bundesrepublik die Möglichkeit einer ordnungsmäßigen Buchführung gegeben wird. Während die deutschen Dienststellen bisher auf die Buchführung der Alliierten angewiesen waren, wird jetzt die deutsche Buchführung als gleichberechtigt neben der der beteiligten Mächte anerkannt.
Durch Prüfungen soll die Übereinstimmung der Ausgabebücher der beteiligten Mächte mit denen der Bundesrepublik gewährleistet werden. Differenzen werden gegebenenfalls in dem noch zu bildenden Koordinierungsausschuß bereinigt, der das entsprechende Verfahren festlegt.
Die bevollmächtigten Vertreter der beteiligten Mächte können die deutschen Unterlagen über von deutschen Zahlstellen geleistete Zahlungen prüfen; umgekehrt besagt der Vertragstext nichts über eine entsprechende Prüfungsberechtigung deutscher Bevollmächtigter gegenüber den beteiligten Mächten.
Der Koordinierungsausschuß, der nach Art. 14 des Finanzvertrages zu bilden ist, wird aus Vertretern der Bundesrepublik und der Drei Mächte gebildet. Der Finanzvertrag 'weist ihm Aufgaben zur Erleichterung der Durchführung des Vertrages zu und 'überträgt ihm die Beseitigung von Schwierigkeiten, die sich im Benehmen zwischen den Behörden und Dienststellen nicht unmittelbar beheben lassen.
Die Bildung dieses Koordinierungsausschusses sollte vordringlich erfolgen, damit er mit dem Inkrafttreten des Vertrages seine Tätigkeit aufnehmen kann.
Die Art. 16 und 17 enthalten Revisionsklauseln, die die Möglichkeit bieten, politische und wirtschaftliche Veränderungen zu berücksichtigen, insbesondere dann, wenn Vereinbarungen zwischen der NATO und der EVG dies notwendig oder wünschenswert erscheinen lassen. Zu diesem Zwecke sind also ergänzende Abkommen erforderlich.
Der Art. 19 sagt über die Ausnahmen von der Schiedsgerichtsbarkeit aus. Die in Art. 9 des Generalvertrags vorgesehene Schiedsgerichtsbarkeit ist danach nicht zuständig für Streitigkeiten, die die
Festsetzung des Verteidigungsbeitrags, die Verteilung der Stationierungskosten unter die einzelnen Mächte, den Bauetat, die Bestimmungen über die Zuständigkeiten in Entschädigungs- und Vergütungsfragen und die Zuständigkeit des Koordinierungsausschusses betreffen. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist ferner nicht zuständig zur Überprüfung der Entscheidungen der in diesem Artikel erwähnten Organe. Art. 19 entzieht dadurch die wesentlichsten noch zu vereinbarenden Punkte und die in der Natur der Sache liegenden Differenzpunkte der Zuständigkeit des Schiedsgerichts und somit einer höheren Instanz.
Ich komme zum Schluß meines Berichts. Es sind eine Reihe von Fragen auf finanziellem Gebiet noch offengeblieben, und zwar sehr einschneidende Fragen wie die Festsetzung des deutschen Verteidigungsbeitrages nach dem 30. Juni 1953. Die Anrechnungsfähigkeit der Kosten für Berlin, der Ausgaben für Polizei, Grenzschutz und Wehrmachtpensionen auf den Verteidigungsbeitrag ist noch nicht anerkannt und muß noch ausgehandelt werden, ebenso im EVG-Vertrag die Sicherheitsgarantie für die gleichmäßige Berücksichtigung und die gerechte Aufbringung der finanziellen Lasten; die Leistungsformel der Beitragsbemessung muß also noch gefunden werden. Die Finanzierung von Verteidigungsanlagen muß bis zum 30. Juni 1953 zwischen der Bundesrepublik, der EVG und den Mächten noch geregelt werden. Grundsätze und Richtlinien für die Festsetzung von Preisen und Vergütungen sind noch nicht vereinbart. Die Vergütungen für die Bereitstellung von Liegenschaften, Gütern und Materialien oder sonstigen Leistungen für die Mächte müssen noch durch ein Bundesleistungsgesetz geregelt werden. Tarife für die künftigen Vergütungen von Verkehrs-, Post- und Fernmeldeleistungen müssen noch durch ein Abkommen festgesetzt werden. Die Besoldungssätze für deutsche EVG-Truppen, die der Rat einstimmig beschließen muß, sind noch nicht festgelegt. Auch über das Versorgungswesen der EVG sind Regelungen noch nicht getroffen; ein deutsches Versorgungsgesetz gibt es nicht. — Über den Koordinierungsausschuß und die Revisionsmöglichkeiten habe ich schon gesprochen.
Ich muß nun zum Schluß noch ein paar Worte sagen über einen breiten Teil der Arbeit des Ausschusses, soweit sie die Belastung der öffentlichen Finanzen betrifft. Der Haushaltsausschuß wird in seinem Bericht ja zu der direkten Belastung des Haushalts Stellung nehmen. Der Finanzausschuß hat sich bemüht, sich darüber hinaus ein Bild von den weiteren Belastungen zu verschaffen, die notwendigerweise auf die Bundesrepublik zukommen werden. Das sind Tilgung und Verzinsung der deutschen Auslandsschulden, Abkommen über die Schuldenregelung mit der Schweiz, Wiedergutmachungsvertrag mit Israel, Wiedergutmachungsabkommen mit den jüdischen Weltorganisationen, die noch nicht abgewickelten Individualrestitutionen, die Belastung der Bundesfinanzen durch das Lastenausgleichsgesetz, der Ausbau des Bundesgrenzschutzes, idie Ausweitung der Versorgungslasten und dergleichen mehr. Der Ausschuß hat Wert darauf gelegt, von der Regierung Schätzungen über Einnahmeausfälle infolge von Steuer- und Zollvergünstigungen für die Streitkräfte und über den Umfang der Sach- und Werkleistungen zu bekommen. Antworten auf diese Fragen konnten jedoch noch nicht erteilt werden, weil darüber Berechnungen und Schätzungen noch nicht vorlagen.
Schätzungen der Entwicklung des deutschen Sozialprodukts, aus dessen Höhe die Leistungsfähigkeit des deutschen Volkes für den Verteidigungsbeitrag berechnet werden kann, sind noch zu unsicher, als daß sie vom Ausschuß hätten eingesetzt werden können.
Meine Damen und Herren! Ich habe mich bemüht, aus einem außerordentlich umfangreichen Bericht wirklich nur die allerwesentlichsten Gesichtspunkte vorzutragen. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich es nicht noch kürzer habe tun können.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Wellhausen zur Berichterstattung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe einen Schriftlichen Bericht*) erstattet und' ich möchte hoffen, daß Sie daraus ein wenig den Eindruck bekommen haben, den ich an den Anfang meiner kurzen zusammenfassenden Darstellung stellen möchte: daß nämlich dieses sehr schwierige und, ich glaube, ich muß sagen, neuralgische Kapitel der Reparationen ein Musterbeispiel dafür ist, wie man doch durch ernstes und logisches Eingehen auf den Gang der Verhandlungen alle möglichen Gesichtspunkte herausholen kann, die zur Aufklärung dessen dienen können, was in diesem manchmal seltsamen Juristendeutsch gemeint ist. Denn die Begründung, die uns die Regierung zugeliefert hat, ist natürlich einseitig und kann nur geringen Anspruch auf eine Bedeutung für die Auslegung der Verträge erheben. Es ist durch den Bericht, zu dem ich spreche, immerhin in verschiedener Hinsicht aus der Vorgeschichte etwas aktenkundig gemacht nach dem berühmten Satz „Quod non est in actis, non est in mundo", das hoffentlich in der Weiterverfolgung der Verträge, sofern sie ratifiziert werden, der Regierung für ihre Verhandlungen, sei es mit den Vertragspartnern, sei es auch mit den neutralen Staaten, von Wert sein könnte.
Es wird Sie nicht überraschen, ,daß der Ausschuß sich zunächst die Frage vorgelegt hat: War es denn überhaupt notwendig, diese Dinge vertraglich zu regeln? Wir waren natürlich geneigt, wie manche von Ihnen sicherlich auch bei anderen Teilen des ganzen Vertragswerkes geneigt sind, diese Frage zu verneinen. Es hat sich aber herausgestellt, daß die Alliierten die Absicht hatten, einen allgemein gehaltenen Vorbehalt hinsichtlich der Reparationen in diesem Vertrage zu machen, wenn es nicht möglich war, zu einer vertraglichen Regelung zu kommen. Nach dem Prinzip von dem geringeren Übel — ein Prinzip, das ja gestern und heute hier schon öfter angetönt worden ist — hat es die Regierung — nach der Ansicht der Mehrheit des Ausschusses mit Recht — vorgezogen, eine vertragliche Regelung, sagen wir einmal, zu versuchen.
Ich will Sie nicht damit langweilen, Ihnen auseinanderzusetzen, wie uns die Vertreter der Regierung über die Dauer der Verhandlungen, über den unerhört, sagen wir, tiefen Ausgangspunkt mancher Einzelberatung unterrichtet haben, und darauf dann aufzubauen, was von diesem Tiefpunkt her letzten Endes nach Ansicht der Regierung erreicht worden ist. Das steht in einigen Beispielen in meinem Schriftlichen Bericht.
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11246D
Ich will drei oder vier Einzelpunkte, die mir als die wichtigsten erscheinen, aus dem Schriftlichen Bericht hervorheben.
Zunächst ist es nötig, darüber zu sprechen, ob die Artikel 2 bis 5 des 6. Teils — Reparationen — sich nur auf das Bundesgebiet und andererseits auf die Gebiete der drei Alliierten erstrecken oder ob sie in ihrer Wirkung darüber hinausgehen. Hier darf man den allgemeinen gesamtdeutschen Vorbehalt nicht vergessen. Der Ausschuß hat sich in seiner Mehrheit zu der Ansicht durchgerungen - ich glaube, dieser Ausdruck ist nicht ganz falsch —, daß gesamtdeutsche Fragen von der Regelung dieses 6. Teils ausgenommen sind, daß vielmehr der eine wie der andere Vertragspartner nur innerhalb seiner Legitimationen Vereinbarungen treffen konnte und getroffen hat. Daraus ergibt sich, daß eine Einwirkung auf die Sowjetzone, auf die Gebiete jenseits von Oder und Neiße nicht in Frage kommt.
Eine andere, vielleicht schwerer zu beantwortende Frage war es, wieweit die Bestimmungen des 6. Teils sich auch auf das Saargebiet auswirken können, da ja die Französische Republik Vertragspartner des Abkommens ist. Aber auch hier hat uns — ich zitiere wörtlich — die Erklärung des Regierungsvertreters eingeleuchtet, durch den Friedensvertragsvorbehalt sei deutlich gemacht worden, daß keine Absicht bestand, eine gesamtdeutsche Frage zu regeln.
Ich komme dann zu Art. 3. In der Presse und in vielen Veröffentlichungen sehr beachtlicher Interessenverbände hat eine große Rolle der Ausdruck gespielt: „Die Bundesrepublik wird in Zukunft keine Einwendungen erheben . . .". Es ist uns dargelegt worden, daß die Verhandlungen mit den Alliierten damit begonnen haben, daß man von uns verlangt hat, bedingungslos alles das anzuerkennen, was hinsichtlich des Auslandsvermögens und sonstigen Vermögens — wozu z. B. die Demontagen gehören — bisher von den Alliierten und vorher auch von den vier Mächten uns gegenüber verfügt worden ist. Sie können aus meinem Bericht sehen, in wie zäher Verhandlung es dann letzten Endes gelungen ist, dies Anerkenntnis zu vermeiden. Nur weil diese Entstehungsgeschichte den Verträgen zugrunde liegt, wird sich die Möglichkeit ergeben, die Auslegung der Worte „keine Einwendungen erheben" als ein Anerkenntnis nicht nur zu bestreiten, sondern meines Erachtens schlüssig zu widerlegen. „Meines Erachtens" ist nicht richtig, denn ich spreche für die Mehrheit des Ausschusses.
Weiter hat es den Ausschuß beeindruckt und demgemäß länger beschäftigt, daß in demselben Art. 3 Abs. 1 zweimal das Futurum gebraucht worden ist, d. h. daß nicht nur von Beschlagnahmen, die durchgeführt sind, geredet worden ist, sondern auch von solchen, die durchgeführt werden sollen. Von der Regierungsseite ist uns ausführlich dar-. gelegt worden, daß bei dem ersten Futurum in diesem Art. 3 Abs. 1 die Liquidation gemeint ist, die ja leider die Folge einer Beschlagnahme zu sein pflegt. Es ist uns weiter dargelegt worden, daß bezüglich des zweiten Passus, der das Futurum gebraucht, sich aus den Verhandlungen ganz deutlich ergibt — ich spreche von den drei letzten Worten des Art. 3 Abs. 1 —, auf welche Verträge sich dieses Futurum bezieht, nämlich auf Verträge für Portugal und für die Türkei. Aus Gründen, die nicht aufzuklären waren, die aber auch nicht aufgeklärt zu
werden brauchen, wenn die Verhandlung so war, wie geschildert, ist in dem Vertrag nicht ausdrücklich von diesen Ländern Portugal und Türkei gesprochen worden.
Ich komme zu Art. 4 Abs. 4. Hier ist der Versuch des Ausschusses, die Dinge aus dem Hergang der Verhandlungen aufzuklären, gescheitert. Es hat sich kein plausibler und uns einleuchtender Grund dafür ergeben, warum die Drei Mächte berechtigt sein sollen, etwaigen Abmachungen mit dritten Staaten ausdrücklich zu widersprechen. Wir sind zu der Ansicht gekommen, daß sie der Verhandlung nicht widersprechen können; denn es ist festgelegt, daß ihnen der Verhandlungsbeginn mitgeteilt werden muß. Aber das ist ja uninteressant, wenn man verhandelt und schließlich die Alliierten dem Abschluß widersprechen können. , Es können sich natürlich für die Alliierten im Einzelfall Gründe ergeben, die mit dem Gegenstand selbst zusammenhängen und die diesen Widerspruch rechtfertigen könnten. Aber diese Gründe sind in den Vertrag nicht aufgenommen. Es ist daher leider festzustellen, daß jeder Grund die Alliierten ermächtigen könnte zu widersprechen. .Es liegt nahe, nach Beispielen zu suchen. Auch wenn ich als Berichterstatter mich nicht allzu deutlich ausdrücken kann, so möchte ich doch sagen, daß man sich schon Fälle vorstellen kann, in denen dieser oder jener der Alliierten einen mit der Sache gar nicht zusammenhängenden, vielleicht auf dem Handelsvertragsgebiet liegenden Grund nehmen könnte, ohne ihn auszusprechen, um dem Abschluß des Vertrages mit anderen Staaten zu widersprechen. Es bleibt hier nur die Hoffnung, daß die Alliierten dieses ihnen ganz allgemein eingeräumte Widerspruchsrecht nicht mißbrauchen werden.
Ich komme schließlich zu Art. 5, der — das sage ich nur zum besseren Verständnis — in dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 713 Ziff. 3, betreffend Art. II b, Buchstabe c, eine Rolle spielt. Die Entschädigung der deutschen Eigentümer hat ja an sich in diesem Vertrag nichts zu tun, und es ist vielleicht nicht falsch, wenn man den Alliierten unterstellt - so steht es auch in meinem Bericht —, daß sie auf diesen Art. 5 nicht nur wegen ihrer vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den neutralen Staaten Wert gelegt haben, sondern auch, um ihr Gewissen zu beruhigen. Kein völlig einleuchtender Grund für die Aufnahme in einen Vertrag! Die Regierungsvertreter haben dargelegt, daß es durchaus dem deutschen Gesetzgeber überlassen bleiben müsse, die Art und den Umfang der Entschädigung in Übereinstimmung mit seinem Verfassungsrecht festzusetzen. Verschiedene Gesichtspunkte sind hierbei darüber hinaus zu beachten. Einmal nämlich steht ja der Umfang des entstandenen Schadens noch nicht fest. Denn die Bundesrepublik hat die feste Hoffnung, den Umfang dieser Schäden durch Verträge mit verschiedenen Staaten noch ganz erheblich einzuschränken. Das ist ja der Sinn der in Art. 4 eingeräumten Möglichkeit zu Verhandlungen. Andererseits, so meint die Regierung, müsse neben der Leistungsfähigkeit der 'Bundesrepublik auch berücksichtigt werden, welche Entschädigungen auf Grund des Lastenausgleichsgesetzes gezahlt würden; das Hervorheben dieses Momentes sei schon auf Grund des Art. 3 des Grundgesetzes geboten. Der Ausschuß hat diesen Gesichtspunkt als im Augenblick nicht entscheidend für die Frage der Annahme oder Ablehnung der Verträge nicht weiter vertieft.
Damit bin ich am Schluß. Denn, nachdem dem Hohen Hause eine Entschließung des Auswärtigen Ausschusses zum Sechsten Teil des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen vorliegt, brauche ich meinen Schriftlichen Bericht hier nicht in extenso mündlich vorzutragen, was ja auch nicht der Sinn der Institution eines Schriftlichen Berichts wäre.
Ich habe aber auch den Auftrag, im Namen des Auswärtigen Ausschusses einen Entschließungsantrag zu begründen. Ich bitte daher um Nachsicht, wenn ich nun doch einige Ausführungen auch sachlicher Natur machen muß. Ich bitte auch um Nachsicht, wenn ich dabei einige Dinge sage, die vielleicht von den Herren Bausch und Schoettle wiederholt werden, und wenn ich etwas wiederhole, was von Herrn Kollegen Gülich schon gesagt ist. Das liegt ja in der Natur der Sache. Es haben sich sowohl der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen wie auch der Haushaltsausschuß mit einigen finanziellen Problemen der Vertragswerke beschäftigen müssen.
1 Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11249 B
Die von der deutschen Bundesrepublik zu tragenden Ausgaben für die Verteidigung werden im Haushalt der Bundesrepublik bekanntlich nur in Form eines globalen Beitrags erscheinen. Es gibt also keine Einzelpositionen für Ausrüstung, Aufstellung usw. der deutschen Kontingente. Bezüglich der finanziellen Verpflichtungen der Bundesrepublik ist folgendes zu sagen. Unterstellt man, daß die Vertragswerke etwa bis zum 1. April ratifiziert sein sollten, so würde die Bundesrepublik gemäß dem Finanzvertrag für die Übergangszeit bis zum 30. Juni 1953, also für drei Monate, einen Betrag von je 850 Millionen DM zu zahlen haben. Nach diesem Zeitpunkt, also ab 1. Juli, würde der neue Beitrag nach dem sogenannten NATO-Verfahren festgesetzt. Das NATO-Verfahren sieht bekanntlich vor, daß das Exekutivkomitee der NATO nach vorgenommenen Untersuchungen und auf Grund von Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten der EVG gutachtliche Äußerungen über die festzusetzende Höhe der Beiträge abgibt. Die festzusetzende Höhe ist abhängig von der Leistungsfähigkeit nach volkswirtschaftlichen Prinzipien und von der Abzugsfähigkeit gewisser Ausgaben, die im Interesse der Sicherheit geleistet sind.
Es ist dabei der einmütige Wunsch des Haushaltsausschusses, daß die Bundesregierung stärkstens bemüht bleibt, zu erreichen, daß sowohl bei der Festsetzung der Bruttobeiträge wie auch bei der Anerkennung der Abzugsfähigkeit die besonderen Belastungen Berücksichtigung finden, die die Bundesrepublik als unmittelbare oder mittelbare Kriegsfolgelasten stärker zu tragen hat als andere Länder. Ich nenne in diesem Zusammenhang z. B. nur das Flüchtlingsproblem, die Kriegsopferversorgung, die Ausgaben für Berlin usw.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß der deutsche Verteidigungsbeitrag auch nach dem 1. Juli keinesfalls mehr als 850 Millionen DM pro Monat betragen wird, daß vielmehr erwartet werden kann, daß der Betrag unter dieser Summe bleiben wird. Der Bundesfinanzminister hat dabei seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß diese Beträge ohne Erhebung neuer Steuern aufgebracht werden können.
Eine Minderheit des Ausschusses hat die Erklärung der Regierung nicht für ausreichend begründet angesehen. Es wird befürchtet, daß es zunächst und zumindest bei der Belastung von 850 Millionen DM pro Monat, also 10,2 Milliarden DM pro Jahr bleiben wird. Ich nehme an, daß Herr Kollege Schoettle diese Argumente noch etwas näher ausführen wird, so daß ich mich hier sehr kurz fassen kann.
Die Mehrheit des Ausschusses hat sich der Auffassung der Bundesregierung angeschlossen, sowohl hinsichtlich der Höhe der zu leistenden Beiträge wie auch hinsichtlich der sogenannten Außenhilfe, deretwegen von seiten der Opposition besondere Bedenken vorgebracht wurden. Die Mehrheit hat zum Ausdruck gebracht, daß eine Erhöhung der Leistungen der Bundesrepublik nur mit deren Zustimmung erfolgen kann, da die Einstimmigkeit der entsprechenden Beschlüsse vorgesehen ist. Hinsichtlich der Hilfe der Vereinigten Staaten folgte die Mehrheit den Argumenten der Regierung, daß es sich um eine bindende Zusage der Vereinigten Staaten handle. Wenn auch keine schriftlichen Abmachungen vorlagen, so sei die Zusage jedoch von verantwortlicher Stelle, nämlich vom Hohen Kommissar McCloy persönlich und auch gegenüber dem Herrn Bundeskanzler persönlich gemacht worden.
Zu dem festgesetzten Verteidigungsbeitrag in Höhe von 10,2 Milliarden DM pro Jahr tritt noch der Aufwand für sogenannte nicht-anerkannte Verteidigungskosten in Höhe von etwa 930 Millionen DM. ein Betrag, der sich im wesentlichen zusammensetzt aus Kosten für Räumung von Kasernen und Wiederansiedlung von verdrängten Personen, für Abgeltung von Besatzungsschäden und Belegungsschäden, für den Aufwand der Behörden der Verteidigungslastenverwaltung usw. Es wird von den Verhandlungen über die Festsetzung des deutschen Verteidigungsbeitrags ab 1. Juli 1953 abhängen, ob der Exekutivausschuß der NATO diese Kosten auf den Verteidigungsbeitrag anrechnen wird. Die Regierung hat den Haushaltsausschuß davon unterrichtet, daß sie sich in dieser Richtung bemüht und hofft, daß diese Bemühungen Erfolg haben.
Die Minderheit hat gewisse Bedenken gegen diese Aufrechnungen und Aufstellungen der Regierung. Man fürchtet, daß die eingesetzten Beträge zu niedrig sind und daß die effektiv aufzubringenden Beträge höher sein werden.
Zu den materiellen Auswirkungen der Verträge gehören auch noch die voraussichtlichen finanziellen Belastungen der Bundesrepublik aus dem Überleitungsvertrag. Dieser Betrag wird auf etwa 20,5 Milliarden DM geschätzt. Ich nenne in diesem Zusammenhang 15 Milliarden DM deutsche Auslandsschulden, 4 Milliarden DM Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, 1,5 Milliarden DM innere Rückerstattung. Inwieweit und in welchem Zeitraum Zahlungen für diese Zwecke zu leisten sind, hängt von den noch zu erlassenden Gesetzen ab. Der Ausschuß war dabei aber der einmütigen Auffassung, daß es sich bei dem weitaus größten Teil dieser Lasten um solche handelt, die sich aus der Liquidation des Krieges ergeben und somit nicht als unmittelbare Folge der vorliegenden Vertragswerke angesehen werden können.
Die Minderheit des Ausschusses weist noch auf eine weitere mögliche Belastung des Bundeshaushalts hin, nämlich die, die durch Entschädigungsforderungen entstehen könnte, die sich aus dem in Teil 6 Art. 3 des Überleitungsvertrags ausgesprochenen Verzicht auf das deutsche Auslandsvermögen ergeben könne. Die Schätzungen schwanken sehr in Grenzen zwischen 15 und 20 Milliarden DM. Das Ausmaß einer später möglichen Belastung durch eine eventuelle Entschädigung ist vorläufig nicht zu schätzen.
Nun etwas, was in unmittelbarem Zusammenhang mit dem von mir zu begründenden Entschließungsantrag steht. Neben den materiellen Auswirkungen hat der Haushaltsausschuß auch die haushaltsrechtlichen Fragen geprüft. Die Minderheit des Ausschusses hat dabei die Besorgnis, daß nach Abschluß der Verträge Lasten entstehen, die in ihrem Umfang vom Bundestag nicht mehr beeinflußt werden können und eine fortlaufende Verpflichtung der Bundesrepublik darstellen. Besonders bemängelt wurde auch das Fehlen einer echten parlamentarischen Kontrolle im Rahmen der EVG.
Die Mehrheit des Ausschusses vertritt demgegenüber den Standpunkt, daß die Verfügungsgewalt auf deutscher Seite genau so groß oder genau so gering ist wie auf der anderen Seite, sowohl im Ministerrat wie im Kommissariat wie auch in der Versammlung. Es wurde geltend gemacht, daß entscheidende Beschlüsse nur einstimmig, also mit Zustimmung der deutschen Vertreter gefaßt werden können. Zudem weist die Mehrheit darauf hin, daß es sich nur um eine Übergangslösung handelt. Das auch von der Minderheit monierte Fehlen einer echten parlamentarischen Kontrolle könnte bald überwunden werden, wenn die in Art. 38 des EVGVertrages vorgesehene europäische politische Gemeinschaft bald begründet und wirksam würde. Einmütig war der Haushaltsausschuß aber der Auffassung, daß die parlamentarischen Rechte im Hinblick auf die Festsetzung und die Anerkennung des Verteidigungsbeitrags der Bundesrepublik auf alle Fälle, und zwar zu einem frühzeitigen Termin, gewahrt werden sollen. Ein diesbezüglicher einstimmiger Beschluß wurde vom Haushaltsausschuß gefaßt, den sich der Auswärtige Ausschuß zu eigen gemacht hat und Ihnen in Form eines Entschließungsantrags vorlegt, den Sie unter der Ziffer 5 im Anhang der Drucksache Nr. 3900 finden. Er lautet:
Die Bundesregierung möge zu den Vertragswerken folgende verbindliche Erklärung abgeben:
Der deutsche Vertreter im Ministerrat wird vor der endgültigen Beschlußfassung über das Haushaltsvolumen der EVG und die Aufteilung der Beiträge auf die Mitgliedstaaten das zugrunde liegende Zahlenmaterial mit dem zuständigen Ausschuß des Deutschen Bundestages erörtern.
Ich habe den Auftrag, Sie im Namen des Auswärtigen Ausschusses zu bitten, diesem Entschließungsantrag Ihre Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und erteile das Wort dem Abgeordneten Bausch.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushaltsausschuß hat die ihm zur Mitberatung zugewiesenen Gesetzentwürfe und die Verträge, soweit sich ihr Inhalt auf finanzielle Probleme und Fragen des Haushalts des Bundes bezieht, in einer Reihe von Sitzungen sehr sorgfältig geprüft und hat sich bei dieser Prüfung vor allem die Aufgabe gestellt, festzustellen, welches die Auswirkungen der Verträge auf den Haushalt des Bundes sind und wie sich der Haushalt des Bundes in bezug auf Verteidigungskosten, Besatzungslasten und ähnliche Kosten nach Unterzeichnung der Verträge voraussichtlich gestalten wird. Über diese Fragen ergab sich im Haushaltsausschuß keine einheitliche Auffassung. Der Ausschuß hat sich deshalb darüber geeinigt, zwei Berichterstatter zu bestellen, die die Auffassung der Mehrheit des Ausschusses und die Auffassung der Minderheit des Ausschusses niederzulegen haben. Ich bin zum Berichterstatter der Mehrheit des Ausschusses bestellt worden. Mein Bericht ist auf den Seiten 86 bis 91 der Drucksache Nr. 3900 abgedruckt*). Ich darf auf diesen Bericht verweisen.
Ich habe in diesem Bericht von einer Darstellung des materiellen Inhalts der Verträge im einzelnen abgesehen und mich darauf beschränkt, die wichtigsten finanzpolitischen Probleme darzustellen, die durch die Verträge aufgeworfen werden, und das Ergebnis der im Ausschuß geführten Verhandlungen über die finanziellen und haushaltsrechtlichen
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung Seite 11250C
Konsequenzen der Verträge, wie sie der Mehrheit des Ausschusses entsprechen, wiederzugeben. Ich glaube aber, daß es nicht dem Sinn dieses Hohen Hauses entspräche, wenn ich das zahlenmäßige Ergebnis der Untersuchungen hier im einzelnen vortrüge. Ich hoffe in Ihrem Sinne zu handeln, wenn ich mit jetzt darauf beschränke, einige der wichtigsten von der Mehrheit des Ausschusses getroffenen Feststellungen wiederzugeben, die für die Gestaltung der finanzpolitischen Situation der Zukunft von besonderer Bedeutung sind. Ich darf folgendes feststellen:
Erstens: Es besteht guter Grund zu der Annahme, daß Besatzungs- oder Stationierungskosten, die bisher den Haushalt der Bundesrepublik mit ca. 40 % des Gesamtvolumens belastet haben, vom 1: Juli 1953 an nicht mehr erwachsen werden. Falls sie wider Erwarten doch erwachsen sollten, was nicht ohne unsere Zustimmung geschehen könnte, so werden sie auf den Globalbeitrag Deutschlands zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft voll angerechnet werden, so daß der Haushalt der Bundesrepublik in Zukunft durch solche Kosten keinesfalls mehr belastet sein wird.
Zum zweiten: Die Hauptbelastung Deutschlands wird nach dem Wegfall der Besatzungskosten durch den Globalbeitrag Deutschlands zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft entstehen, der zunächst auf 850 Millionen DM monatlich bemessen, jedoch ab 1. Juli 1953 im Einvernehmen mit Deutschland neu festzusetzen ist. Die Bundesrepublik wird nach dem Inkrafttreten der Verträge einen verbrieften Rechtsanspruch darauf besitzen, daß sie bei der Festsetzung des Globalbeitrags für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft den anderen Partnern der Gemeinschaft völlig gleichberechtigt gegenübersteht. In Art. 3 Abs. 3 des Finanzvertrages ist ausdrücklich bestimmt, daß das Beitragsfestsetzungsverfahren zu keiner irgendwie gearteten Schlechterstellung der Bundesrepublik gegenüber den anderen großen westlichen Staaten fuhren darf. Eine Diskriminierung Deutschlands in irgendeiner Hinsicht ist damit für die Zukunft völlig ausgeschlossen.
Drittens: Die Beschlüsse über die Festsetzung des deutschen Globalbeitrags zur EVG müssen einstimmig gefaßt werden. Eine Beschlußfassung über die Höhe dieses Globalbeitrages ohne die deutsche Stimme ist unmöglich.
Viertens: Die Bundesrepublik besitzt nach Auffassung der Mehrheit des Haushaltsausschusses eine echte Chance, in den Verhandlungen über die Neufestsetzung des deutschen Globalbeitrags für die Zeit nach dem 1. Juli 1953 eine Herabsetzung des zunächst auf 850 Millionen DM monatlich festgesetzten Globalbeitrags erreichen zu können. Für den Fall, daß die Bemühungen um die Herabsetzung des Globalbeitrags von Erfolg begleitet sind, wird insoweit eine Belastung des Haushalts der Bundesrepublik mit den sogenannten Besatzungsfolgekosten, also den Kosten zur Abgeltung von nichtanerkannten Besatzungsschäden, die sich für das Jahr 1953/54 schätzungsweise auf etwa 840 Millionen DM jährlich belaufen, nicht entstehen.
Fünftens: Was die finanzielle Auswirkung des Vertrags zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen anlangt, so war der Haushaltsausschuß der einmütigen Auffassung, daß es sich bei dem weitaus größten Teil dieser Lasten um solche handelt, die aus der Liquidation des Krieges und aus den der Bundesrepublik auferlegten moralischen Verpflichtungen gegenüber den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des Krieges entstanden sind und insoweit nicht als Folgen der von der Bundesregierung abgeschlossenen Verträge angesehen werden können.
Sechstens: Der Einfluß des Parlaments auf die Entscheidung der Organe der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft über die Festsetzung des deutschen Globalbeitrags ist zunächst dadurch gewährleistet, daß eine Entscheidung nicht ohne Zustimmung des deutschen Vertreters im Ministerrat erfolgen kann, der bei seiner Entscheidung von der Mehrheit des Parlaments, also von der Mehrheit des Deutschen Bundestags getragen ist. Um den Einfluß des Parlaments oder eines seiner Organe auf die Entscheidungen der Regierung hinsichtlich der Höhe des Verteidigungsbeitrags, den die deutsche Regierung für möglich hält, zu sichern und dem Parlament Gelegenheit zu geben, möglichst frühzeitig auf die Entschließungen der Bundesregierung über die Höhe des deutschen Verteidigungsbeitrags Einfluß zu nehmen, hat die Minderheit des Ausschusses gefordert, daß die Regierung die Erklärung abgebe, schon vor der endgültigen Stellungnahme der Regierung zu dieser Frage das Parlament oder eines seiner Organe zu unterrichten.
Die Mehrheit des Haushaltsauschusses hat dieser Auffassung zugestimmt. Der Haushaltsausschuß hat deshalb einstimmig folgende Entschließung gefaßt:
Der Haushaltsausschuß wünscht, daß die Bundesregierung zu den Verträgen die folgende
verbindliche Erklärung abgibt:
Der deutsche Vertreter im Ministerrat wird vor der endgültigen Beschlußfassung über das Haushaltsvolumen der EVG und die Aufteilung der Beiträge auf die Mitgliedstaaten das zugrunde liegende Zahlenmaterial mit dem zuständigen Ausschuß des Bundestags erörtern.
Die Bundesregierung hat daraufhin die Erklärung
abgegeben, daß sie ihrerseits bereit sei, diesem
Wunsch des Haushaltsausschusses voll zu entsprechen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Schoettle ebenfalls zur Berichterstattung zu diesem Punkt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Auftrag, die Auffassung der Minderheit im Haushaltsausschuß hier insoweit zu erörtern, als sie sich nicht in vollem Umfang aus dem von mir verfaßten Teil des Berichts*) ergibt.
Zunächst die Umschreibung der Aufgabe, die dem Ausschuß gestellt war und aus der sich dann auch die Feststellungen ergaben, die die Minderheit glaubte treffen zu müssen. Die Aufgabe des Haushaltsausschusses beschränkte sich auf die Feststellung der unmittelbaren Belastung des Bundeshaushalts, die sich aus den Vertragstexten ergibt; weiterhin auf die Feststellung der mittelbaren materiellen Auswirkungen der Verträge und der Zusatzverträge im Sinne von weiteren Ausgaben des Bundes und Einnahmeminderungen und letztlich auf die haushaltsrechtlichen Konsequenzen der Verträge. Der Unterschied zwischen der Auffassung der Mehrheit und der der Minderheit lag weniger in der Beurteilung der unmittelbaren Be-
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11256C
lastung, soweit sie sich aus den Vertragstexten klar ergibt — und Sie werden auch finden, daß die Ziffern, die in dem Bericht der Mehrheit und dem der Minderheit in diesem Punkte genannt worden sind, im wesentlichen übereinstimmen als vielmehr in der politischen Beurteilung der Möglichkeiten für künftige Haushaltsjahre, der Chancen für die Herabsetzung der deutschen Belastung. Kurzum, darin liegt der fundamentale Unterschied der Auffassungen, der die Mehrheit von der Minderheit trennt.
In den Beratungen des Ausschusses ist immer wieder zutage getreten — ich möchte das als Vertreter der Minderheit sagen —, daß auf der einen Seite ein, wenn ich diesen Begriff verwenden darf, hohes Maß von Glauben an die Chancen, an den Geist der Verträge und an den Geist der Vertragspartner bestand, auf der andern Seite ein, wie ich glaube, auf die Realitäten gestützter Skeptizismus gegenüber den Möglichkeiten, die sich für die Bundesrepublik im Zusammenhang mit der Durchführung dieser Verträge ergeben. Wie gesagt, über die aktuellen Zahlen, soweit sie in den Verträgen oder in Abmachungen anderer Art festgelegt sind, bestand keine Meinungsverschiedenheit. Eine Meinungsverschiedenheit bestand aber hinsichtlich der Beurteilung der Tragbarkeit der Belastungen für die Bundesrepublik. Ich will sie kurz nennen: für den Bundeshaushalt 1952/53 rechnet jeder, auch der Herr Bundesfinanzminister, mit den 8,8 Milliarden DM, die sich bereits im Haushalt niedergeschlagen haben und über die bestimmte Vereinbarungen vorliegen. Für das Haushaltsjahr 1953/54 sind Abmachungen und vertragliche Festlegungen nur bis zum 30. Juni 1953 vorhanden. Im ersten Vierteljahr ergeben sie sich von selber aus den Verpflichtungen, die die Bundesrepublik eingegangen ist. Man muß damit rechnen, daß im Haushaltsjahr 1953/54 die 10,2 Milliarden DM reiner Verteidigungsbeitrag in vollem Umfang auf die Bundesrepublik entfallen. Die Chancen, daß nach dem 30. Juni 1953 die monatliche Verpflichtung von 850 Millionen DM herabgesetzt wird, werden von der Minderheit völlig anders beurteilt als von der Mehrheit. Der Herr Bundesfinanzminister selber hat ja gerade in diesen Tagen erklärt, diese 850 Millionen DM seien nach dem 30. Juni 1953 nicht tragbar. Die politischen Voraussetzungen für eine echte Herabsetzung dieses Betrags sind aber nach der Auffassung der Minderheit des Ausschusses außerordentlich skeptisch zu beurteilen.
Eine andere Frage war, welche Belastungen sich zusätzlich ergeben. In diesem Punkte mußten wir uns auf die Mitteilungen des Bundesfinanzministeriums stützen. Soweit die nackten Ziffern vorliegen, die teils auf Schätzungen, teils auf Erfahrungen beruhen, hat man sich darauf geeinigt, daß zu den 10,2 Milliarden DM noch weitere 840 Millionen DM treten würden, deren Natur und Ausgangspunkt in dem Bericht im einzelnen dargestellt worden ist.
Bezüglich der politischen Beurteilung der Chancen ist im Ausschuß von der Minderheit darauf hingewiesen worden, eine entscheidende Schwäche der Position der Bundesregierung sei vor allem die, daß die Spekulation auf die sogenannte Außenhilfe im wesentlichen eine Spekulation auf eine sehr unsichere politische Konstellation sei, die sich offenkundig schon in dem Augenblick geändert habe, als die amerikanischen Präsidentschaftswahlen das bekannte Ergebnis gehabt hätten.
Im Ausschuß ist sehr eingehend darüber gesprochen worden, inwieweit die Belastungen der Bundesrepublik sich auf die Höhe begrenzen ließen, die nach den Vertragstexten nunmehr zu übersehen sei, inwieweit insbesondere der zunächst ausgehandelte deutsche Verteidigungsbeitrag entweder so bleiben oder sich gar ermäßigen werde.
Demgegenüber haben wir von der Minderheit gesagt, daß entscheidend für die Bemessung des künftigen deutschen Beitrags an die Europäische Verteidigungsgemeinschaft nicht sein werde, welche Richtlinien etwa von NATO oder von der EVG ermittelt worden seien, sondern daß entscheidend dafür die tatsächliche Wirksamkeit der nach dem EVG-Vertrag aufzustellenden militärischen Verbände sein werde. Wenn man diese Verbände wirksam machen wolle, werde man vermutlich sehr bald gezwungen werden, unter dem Druck der veränderten amerikanischen Situation, unter dem Druck der Situation, die sich aus der Aufstellung dieser Verbände ergebe, aufs neue die Gesamtbelastung und den Gesamtbedarf der EVG zu errechnen. Dabei ist nach Meinung der Minderheit des Ausschusses damit zu rechnen, daß der deutsche Verteidigungsbeitrag wie der Verteidigungsbeitrag der übrigen EVG-Partner wahrscheinlich nicht auf der bisherigen Höhe gehalten werden könne, sondern daß er über dieses Maß hinauswachsen werde. Selbstverständlich waren Schätzungen in einigermaßen zutreffendem Umfange auf diesem Gebiete nicht möglich. Ich will aber doch hier die Auffassung der Minderheit aus ihrer politischen Beurteilung der Situation her begründen. Was die Schlußfolgerungen angeht, die die Minderheit bezüglich der ersten Aufgabe des Ausschusses, nämlich bezüglich der unmittelbaren materiellen Wirkungen der Verträge, gezogen hat, so habe ich in meinem Bericht dargestellt, daß sich nach Meinung der Minderheit für die Zeit bis zum 30. Juni 1953 zwar das errechnete Quantum der Haushaltsbelastung wahrscheinlich bestätigen werde, daß aber darüber hinaus erst das Ergebnis von Verhandlungen abzuwarten sei. Dieses Ergebnis beurteilen wir außerordentlich skeptisch.
Nun kommen zu den übersehbaren materiellen Auswirkungen der Verträge auch die voraussichtlichen finanziellen Belastungen der Bundesrepublik aus dem Überleitungsvertrag. Hier haben wir eine Aufrechnung der Herren des Bundesfinanzministeriums erhalten, deren Endergebnis die Summe von 20 549 Millionen oder 20 1/2 Milliarden DM ergibt, von der wir wissen, daß sie nicht in einem Haushaltsjahr verkraftet werden muß, selbstverständlich nicht. Sie wird sich auf viele Haushaltsjahre verteilen; immerhin aber sind diese Belastungen da, man muß sie ins Auge fassen. Wenn es sich darum handelt, die Tragbarkeit der aus dem EVG-Vertrage sich ergebenden Belastungen zu beurteilen, kann man nicht so tun, als ob das eine Sache für sich wäre; dann muß man die gesamten auf den Bundeshaushalt zukommenden Belastungen in künftigen Haushaltsjahren mit in Rechnung stellen. Das war der Ausgangspunkt des Urteils der Minderheit im Ausschuß. Sie sagte: Die gesamte Belastung für die deutschen Steuerzahler, für die öffentlichen Haushalte muß mit herangezogen werden, wenn man ein richtiges Urteil über die Belastung erhalten will, die sich aus den Verträgen ergibt. Es ist ganz klar, und das legte die Minderheit ihrer eigenen Auffassung zugrunde: Wie immer man die heute im einzelnen noch gar nicht feststellbaren weiteren Belastungen
aus irgendwelchen moralischen und sachlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik beurteilt, diese Gesamtbelastungen werden doch so hoch sein — insbesondere wegen des Zwanges politischer, menschlicher und moralischer Natur, sie nicht in irgendeiner nicht übersehbaren Zeit zu realisieren, sondern in einem Zeitraum, den wir übersehen können —, daß sich aus diesen Gesamtbelastungen der Zwang ergeben wird, bestimmte Aufgaben und Ausgaben zu beschränken, wenn man die uns aus den Verträgen erwachsenden Ausgaben tatsächlich leisten und aufbringen will.
Wir von der Minderheit kamen zu der Schlußfolgerung, daß sich angesichts der gesamten Verpflichtungen des Bundeshaushalts aus den Verträgen zwangsläufig in der Haushalts- und Finanzgesetzgebung des Bundes die Notwendigkeit ergeben wird, zugunsten der Verteidigungslasten, deren Festsetzung nicht allein von den politischen Entscheidungen in der Bundesrepublik, sondern auch von anderen Einflüssen abhängt, auf anderen Sektoren unserer öffentlichen Haushaltsgebarung, unserer Finanzwirtschaft Einschränkungen zu machen. Die Minderheit erblickte in dieser Feststellung einen entscheidenden Widerspruch zu der Behauptung der Regierung, die Erfüllung der Verpflichtungen aus den Verträgen sei ohne Beschränkung der sozialen Leistungen und ohne neue Steuern möglich. Über dieses Thema werden wir in absehbarer Zeit noch viel zu reden haben.
Wir hatten ferner die haushaltsrechtlichen Konsequenzen der Verträge zu untersuchen. Nicht umsonst hat der Haushaltsausschuß — und der Auswärtige Ausschuß hat sich diesem Begehren angeschlossen — an die Bundesregierung den Wunsch gerichtet, sie möge rechtzeitig vor der endgültigen Verabschiedung dieser Verträge im Plenum des Bundestages erklären, daß sie bereit sei, vor der Festlegung deutscher Verpflichtungen in den Organen der EVG mit dem zuständigen Ausschuß des Bundestages das Zahlenmaterial zu erörtern,
das ihren eigenen Absichten zugrunde liege. Der Herr Bundesfinanzminister hat im Haushaltsausschuß mündlich mitteilen lassen, die Bundesregierung werde sich selbstverständlich einem solchen Wunsche nicht verschließen. Ich darf hier nur als Berichterstatter der Minderheit sagen, daß uns diese mündliche Erklärung durch einen Herrn des Bundesfinanzministeriums nicht genügt. Hier ist eine so fundamentale Forderung des Parlaments an die Bundesregierung aufgestellt, daß die Erklärung in einer ganz anderen und bindenderen Form auch dem Parlament gegenüber gegeben werden muß.
Zu den haushaltsrechtlichen Konsequenzen der Verträge darf ich vom Standpunkt der Minderheit noch folgendes anfügen: Wir waren der Meinung, daß — wie immer man die haushaltsrechtlichen Vorschriften im EVG-Vertrag beurteilen mag, und sie werden verschieden beurteilt — die entscheidende Schwäche die sei, daß die Konstitution der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und insbesondere die Zuständigkeiten der Versammlung, also des quasi Parlaments, der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft derart seien, daß wir darin keine effektive Kontrolle des Haushalts der EVG erblicken können; dieser nicht vorhandenen Kontrolle stehe auf der anderen Seite eine Einschränkung des Budgetrechts der nationalen Parlamente gegenüber, die außerordentliche Bedenken auslösen müsse.
Die Minderheit konnte sich nicht damit begnügen, daß ihr von der Regierungsseite und von der
Mehrheit gesagt worden ist, eine künftige, aus allgemeinen europäischen Wahlen hervorgehende echte parlamentarische Körperschaft werde größere Befugnisse haben. Wir waren der Meinung, daß das ein Wechsel auf eine sehr ungewisse Zukunft sei. Heute könne noch niemand sagen, ob die ohne gesetzliche Grundlage tagende ad-hoc-Versammlung mit ihrer Arbeit, auch wenn sie selber zu einem Abschluß komme, insofern erfolgreich sein werde, daß sich die an der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft beteiligten Regierungen auf einen so weitgehenden Verzicht auf nationale Souveränitätsrechte einigen könnten, daß daraus eine echte, eine effektive Haushaltskontrolle werde, — die ja nicht nur eine rein technische Angelegenheit ist, sondern im eminentesten Sinne des Wortes eine politische Angelegenheit, nämlich eine Lebensfrage der europäischen Demokratie ist.
Wir waren also der Meinung, daß es außerordentlich fragwürdig sei, ob aus den jetzt eingeleiteten Verhandlungen, Besprechungen und — nach unserer Auffassung — privaten Unterhaltungen ein Ergebnis hervorgehen werde, das in absehbarer Zeit an die Stelle der ungenügenden und unseres Erachtens politisch gefährlichen Lösungen eine echte europäische politische Lösung setzen werde. Solange aber dies nicht der Fall ist, ist nach Meinung der Minderheit der unbefriedigende Zustand, wie ihn die finanziellen Bestimmungen des EVGVertrages vorsehen, entscheidend. Daraus ergeben sich nach unserer Auffassung außerordentliche Gefahren, die wir von der Minderheit in den Schluß zusammengefaßt haben, daß das Haushaltsrecht des Bundestages durch die Verträge in erheblichem Umfang beschränkt wird und daß dieser Beschränkung kein gleichwertiger Ersatz auf der übernationalen Ebene gegenübersteht.
Wir haben weiter festgestellt, daß die der Bundesrepublik zugemutete Verteidigungslast unabhängig von ihrer politischen Bedeutung, die vom Ausschuß nicht zu untersuchen war, vom Bundeshaushalt nur getragen werden kann, wenn andere wichtige Aufgaben vernachlässigt werden, und daß sich daraus der Zwang ergibt, entweder andere Leistungen des Bundeshaushalts zu drosseln oder eine Erhöhung der Einnahmen zu erreichen.
Ich darf abschließend sagen, daß die Minderheit der Auffassung war, daß die in den Verträgen vorgesehenen Regelungen, soweit sie das Haushaltsrecht betreffen, auf einen Abbau, der parlamentarischen Kontrolle auf weiten Gebieten des öffentlichen Haushalts hinauslaufen und damit auf eine echte Gefährdung der Demokratie, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in den Partnerstaaten. Wir können uns nicht auf den Standpunkt stellen, daß uns die Entwicklung bei den Partnern gleichgültig sein könne, wenn nur bei uns die Dinge in Ordnung seien. Nach Meinung der Minderheit müssen Sie aus den Verpflichtungen, die die Bundesregierung in den Verträgen eingegangen ist, tatsächlich die Schlußfolgerung ziehen, daß das nationale Parlament .bei der Ausübung seiner haushaltsrechtlichen Befugnisse so beschränkt ist, daß es in Zukunft zu einem mindestens 40 % des gesamten Haushaltsvolumens umfassenden Betrag nur noch ja oder nein sagen kann.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Damit ist Ziffer 4 erledigt.
Zu Ziffer 5 a:
Die Vertragswerke im Hinblick auf TruppenStationierung und Verteidigung Deutschlands
a) Bericht über die politischen und militärischen Bestimmungen des EVG-Vertrages
und ihre Auswirkungen,
erteile ich das Wort dem Abgeordneten Strauß als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Brandt hat Ihnen gestern als dritter Generalberichterstatter die politische Wertung des Vertrags über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vorgetragen. Der Bundestag hat im Juli einen besonderen Ausschuß zur Mitberatung des EVG-Vertrags und der damit zusammenhängenden Abmachungen eingesetzt. Die Aufgabe dieses besonderen Ausschusses bestand darin, vor allen Dingen die militärpolitische und die militärtechnische Seite des EVG-Vertrags zu untersuchen und die Ergebnisse in einem Bericht vorzulegen, in den sich als Berichterstatter die Kollegen Erler und Jaeger mit mir teilen. Der erste Teil dieses Berichts des EVG-Ausschusses umfaßt eine Darstellung der politischen und militärischen Bestimmungen des EVG-Vertrages und deren Auswirkungen.
Der Ausschuß zur Mitberatung des EVG-Vertrages, der diesen Vertrag in insgesamt 18 Sitzungen untersucht hat, ist in technischen und militärischen Fragen weitgehend zu gemeinsamen Feststellungen gekommen. Bei der politischen Wertung einzelner wesentlicher Bestimmungen ist er naturgemäß zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt, ohne daß ein eigener Mehrheits- und ein eigener Minderheitsbericht vorgelegt zu werden brauchen.
Die bei der politischen Wertung sich ergebenden unterschiedlichen Auffassungen in einzelnen Punkten sind jeweils innerhalb des gemeinsamen Berichts als Mehrheitsauffassung bzw. als Minderheitsauffassung besonders hervorgehoben worden. Der Ausschuß kann wohl übereinstimmend feststellen, daß ohne Rücksicht auf die politische Grundeinstellung zu diesem Vertrag und auf die abschließende Entscheidung der einzelnen Fraktionen in gemeinsamem Verantwortungsbewußtsein und in gemeinsamer Überzeugung von der Tragweite dieses Vertrags eine sachliche, objektive Prüfung vorgenommen wurde und zu wertvollen Ergebnissen führte. Insbesondere sind wertvolle Anhaltspunkte und Handhaben für die. Anwendung dieses Vertrages gewonnen worden, Anhaltspunkte und Handhaben, die, wenn der Vertrag angenommen werden sollte, der Regierung und ihrer Delegation für die weitere Behandlung dieser Materie Richtlinien und wertvolle Hinweise geben werden. Insbesondere ist es dem Ausschuß wohl ohne Zweifel gelungen, eine Klärung und Interpretation derjenigen Textstellen herbeizuführen, die in ihrer ursprünglichen Fassung zu Zweifeln Anlaß gegeben haben.
Es ist nicht meine Absicht, den umfangreichen Bericht, der mir zugefallen ist, so, wie er im gedruckten Wortlaut*) vor Ihnen liegt, nun im einzelnen zu verlesen. Ich beschränke mich darauf, die wesentlichen Beratungsgegenstände des Ausschusses in Stichworten vor Ihnen darzulegen.
Der Ausschuß konnte nicht darauf verzichten, trotz der Generalberichterstattung eine allgemeine
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11262A
politische Einführung in die Vorgeschichte des Vertrags und in die Hintergründe und Zusammenhänge, warum es zu diesem Vertrag überhaupt gekommen ist, zu geben. Der Ausschuß hat sich sehr eingehend mit den Organen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft befaßt und dabei insbesondere die gleiche oder analoge Struktur und Aufgabe dieser Organe im Vergleich mit den Organen der Montan-Union herausgearbeitet. Der Ausschuß hat es sich sehr angelegen sein lassen, ein klares Bild über die Stellung der Versammlung innerhalb der Organe der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu gewinnen. Der Ausschuß hat insgesamt das nach seiner Ansicht zu geringe Maß der Aufgaben und Rechte dieser Versammlung bedauert und hat seiner Erwartung Ausdruck verliehen, daß durch die Schaffung einer späteren politischen Autorität so, wie die Regierung es angekündigt hat, die Versammlung im Sinne echter parlamentarischer Befugnisse ausgestattet wird, die sie nach dem Vertragstext nicht hat. Der Ausschuß hat sich mit der Stellung des Ministerrats, mit dem Aufgabenbereich des Kommissariats und mit den Zuständigkeiten des Gerichtshofs eingehend befaßt.
An wesentlichen politischen Bestimmungen hat der Ausschuß die Frage der Vertragsdauer und der Auswirkungen dieser Vertragsdauer auf die besonderen Probleme der deutschen Situation beraten, hat allerdings die Wertung dieser Frage dann naturgemäß dem Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen überlassen.
Ein ernstes Anliegen war dem Ausschuß die Prüfung der Frage, wieweit die Bundesrepublik von sich behaupten darf, an diesem Vertrage gleichberechtigt beteiligt zu sein. Im Rahmen dieser Frage hat sich zwangsläufig eine ausführliche Aussprache und eine eingehende Beratung über die Zusammenhänge zwischen EVG und AtlantikpaktOrganisation ergeben, bei der eine Mehrheits- und eine Minderheitsauffassung mit verschiedenen Resultaten zutage trat.
Eine wesentliche Rolle zur Klärung der internationalen Stellung und Bedeutung dieses Vertragswerks hat auch die Frage der gegenseitigen Beistandsverpflichtung, der engeren Beistandsverpflichtung zwischen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und dem Vereinigten Königreich,' also Großbritannien, gespielt. Besonders wurde ferner die Frage behandelt, inwieweit ein Zusammenhang bestehen könnte zwischen der Notstandsklausel des Deutschland-Vertrags und der Notstandsklausel, wie sie im EVG-Vertrag vorgesehen ist.
An militärischen Bestimmungen im engeren Sinne hat der Ausschuß eingehender behandelt einmal die sowohl militärisch wie politisch außerordentlich interessante und weitreichende Frage der Integration der militärischen Verbände, der politischen und militärischen Zweckmäßigkeit der einzelnen möglichen Integrationsstufen und vor allen Dingen die Richtigkeit und Zweckmäßigkeit der hier getroffenen Lösung.
Der Ausschuß hat sich dann auch sehr eingehend mit der Unterscheidung zwischen den EVG-Streitkräften und den national reservierten Streitkräften befaßt, die einzelne Staaten für besondere Aufgaben unterhalten können. Der Ausschuß ist weiterhin — wenn auch natürlich nur im Rahmen der durch diesen Vertrag gezogenen Grenzen — auf die Frage der Wehrpflicht, auf die Frage der Rekrutierung und der Zuständigkeit zur Rekrutierung und auf die Frage der Dienstzeit eingegangen.
Eingehend ist das Problem der Stationierung und des Einsatzes der Streitkräfte untersucht worden, im Bewußtsein der Tatsache, daß diese Frage in der deutschen Öffentlichkeit ein besonders großes Augenmerk findet. Es wurde genau geprüft, nach welchen Zuständigkeiten deutsche Truppen im Friedensfall und in welchen Gebieten sie stationiert werden dürfen und wer für die Verteilung der Truppen innerhalb des Vertragsgebiets zuständig ist. Es wurde festgestellt, daß eine einstimmige Zustimmung des Ministerrats, in diesem Falle also auch die Zustimmung Deutschlands, notwendig wäre, um deutsche Kontingente außerhalb des EVG-Gebiets zu verlegen. Es wurde eingehend geprüft, ob nach dem geltenden deutschen Verfassungsrecht — wobei naturgemäß Mehrheitsauffassung und Minderheitsauffassung einander schroff gegenüberstanden — Truppen auch außerhalb des im Atlantikpakt bezeichneten Gebiets ohne parlamentarische Zustimmung stationiert werden dürfen. Hierfür ist nach dem Vertrag die Zustimmung der nationalen Parlamente vorgesehen, wo die Verfassungen der einzelnen Staaten es vorschreiben.
Es wurde auch die Abgrenzung der Zuständigkeiten für die Mobilmachungsmaßnahmen, ihre Auslösung und ihre Durchführung besprochen.
Weiter wurden in diesem Zusammenhang die Aufgaben und Befugnisse, die Stellung und die Natur der militärischen Zentralorgane erörtert, die durch das Kommissariat einzurichten sind. Besonders geprüft wurde hierbei die Frage der militärischen Territorialorganisation, wie sie in jedem Lande errichtet wird, und die Stellung des Bevollmächtigten in dieser Territorialorganisation. Diese Frage ist für uns in Deutschland deshalb von besonders großer Bedeutung, weil bei uns erst ein Apparat geschaffen werden muß, während die übrigen Vertragsstaaten bereits über einen solchen Apparat verfügen. Es ist naturgemäß notwendig, daß diese Territorialorganisation und der Bevollmächtigte in Deutschland für eine bestimmte Zeit eine gewisse Handlungsfreiheit haben, in der sie sowohl dem Kommissariat wie dem nationalen Verteidigungsministerium unterstehen, um der Parität zwischen dem Stand der Entwicklung in den übrigen Vertragsstaaten und dem angestrebten Stand der Entwicklung in Deutschland zu entsprechen.
Es wurden im einzelnen noch solche Fragen besprochen wie die Soldatenkategorien, die zwei Möglichkeiten bei der Verleihung der Dienstgrade, die vorgesehenen Regelungen über die Ergänzung des Offizierskorps und auch der Aufbau und die Gestaltung der Lehrpläne der Schulen.
Eine wesentliche Rolle hat bei den Beratungen die Ergänzung gewisser militärischer Rahmenbestimmungen gespielt. Darunter fiel insbesondere die Frage einer gemeinsamen europäischen Disziplinarordnung und eines gemeinsamen europäischen Militärstrafgesetzbuchs. Wie sich aus dem Vertragstext und aus den Beratungen ergibt, wird eine europäische Lösung angestrebt, wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten aber wahrscheinlich eine nationale Übergangslösung nicht zu vermeiden sein. In jedem Falle bedürfen aber diese Lösungen der Ratifizierung durch das nationale Parlament. Auch die Fragen der Besoldung und Versorgung haben in unseren Beratungen eine Rolle gespielt.
Der Ausschuß hat sich eingehend auch der arbeitsrechtlichen Verhältnisse der Wehrpflichtigen angenommen, um hier von vornherein bestimmte, im Interesse der Wehrpflichtigen notwendige
Wünsche für eine zukünftige gesetzliche Regelung gegenüber der Regierung zu äußern.
Der Ausschuß hat davon Kenntnis genommen, daß nicht mehr an einen Soldateneid in der früheren Form gedacht wird, sondern nur mehr an eine feierliche Verpflichtung.
Eingehend diskutiert wurde vom Ausschuß das Problem des militärischen Gehorsams, die Problematik dieser ganzen Frage, die Grenzen des militärischen Gehorsams auf der einen Seite und die Notwendigkeiten der militärischen Disziplin, der militärischen Unterordnung auf der anderen Seite. Es liegt auf der Hand, daß hierbei naturgemäß die in Deutschland gemachten Erfahrungen eine besondere Rolle gespielt haben, die zu großer Vorsicht Anlaß geben. Sehr interessiert hat sich der Ausschuß für die Frage der Beschränkung der militärischen Formen auf das dienstlich notwendige Maß. Er hat sich in diesem Zusammenhang auch bereits anläßlich des Vertrags mit der Frage des sogenannten inneren Gefüges befaßt. Der Ausschuß hat auch einstimmig seinen Wunsch ausgesprochen, daß den zukünftigen EVG-Soldaten eine Teilnahme am politischen Leben in einer großzügigeren und besseren Form, als es früher üblich war, ermöglicht werden sollte, wenn hier auch naturgemäß durch die Art des militärischen Dienstes bestimmte Grenzen entstehen. Der Ausschuß hat dann auch solche Spezialfragen wie das Koalitionsrecht der Berufssoldaten und die Stellung der zukünftigen Verwaltungsbeamten sowie der zukünftigen Ärzte innerhalb der Truppe oder der Ärzte, die zur Behandlung der Truppe verwendet werden, geprüft.
Der Ausschuß hat somit, ohne in eine eingehende politische Wertung des Vertragswerkes, die naturgemäß bei wesentlichen Bestimmungen nicht zu umgehen war, einzutreten, sich insbesondere bemüht, den Vertragstext so klar zu durchleuchten, daß er in Zukunft in der Anwendung keine besonderen Schwierigkeiten mehr bieten soll. Er hat sich auch bemüht, in einer sehr objektiven, gemeinsam und verantwortungsbewußt geleisteten Arbeit sachliche Unklarheiten zu klären. Der Ausschuß glaubt, damit für die Interpretation des Vertragswerkes und für seine parlamentarische Behandlung einen Beitrag geleistet zu haben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Erler zur Berichterstattung über Punkt 5 b:
Bericht über die wirtschaftlichen, finanziellen und haushaltsmäßigen Bestimmungen
des EVG-Vertrages und ihre Auswirkungen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der zweite Abschnitt des Berichts des EVG-Ausschusses*) behandelt die wirtschaftlichen, finanziellen und haushaltsmäßigen Bestimmungen des Vertrages und ihre Auswirkungen. In der Einleitung wird wieder darauf hingewiesen, daß eine Reihe von anderen Ausschüssen Probleme dieser Art gleichfalls erörtert haben, und die Abgrenzung der Arbeitsbereiche erörtert. Es handelt sich um Beträge von einer erheblichen Größenordnung, auf die im Bericht an anderer Stelle noch eingegangen wird. Das Entscheidende für das Funktionieren
*) Vgl, Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11270B
der EVG wird sein, in welchem Umfang außer den Beiträgen der Mitgliedstaaten die EVG auch auf Außenhilfe rechnen kann. Bei der Darlegung des Aufbaues des Haushaltsplans müssen wir berücksichtigen, daß es sich um einen echten Gemeinschaftshaushalt handelt und nicht etwa nur um Beiträge zu einem Fonds, der von nationalen Staaten gespeist wird. Das ist bewußt so gestaltet worden, um darin den supranationalen, den übernationalen Charakter der Einrichtung sichtbar werden zu lassen.
Für die Verteilung der Beiträge wird zunächst der Schlüssel angewandt, der auch in der Nordatlantikpakt-Organisation gilt. Obwohl der Vertrag eine andere Möglichkeit offenläßt, muß für eine Reihe von Jahren damit gerechnet werden, daß es bei diesem Schlüssel bleibt. Es ist also wichtig, daß man sich damit befaßt, wie die Beiträge auf die einzelnen Mitgliedstaaten verteilt werden. Die Beiträge sollen nach ihrer Leistungsfähigkeit bemessen werden. Dabei wird vom Sozialprodukt ausgegangen, das verschiedenen Sonderbelastungen unterliegt. Der auch von der Bundesregierung aufgestellte Grundsatz, daß die progressiv steigende Leistungsfähigkeit je nach dem durchschnittlichen Einzeleinkommen des Bürgers der einzelnen Staaten dabei berücksichtigt werden muß, hat sich noch nicht durchgesetzt. Das wird ein Gegenstand der Verhandlungen sein, die ja jetzt schon geführt werden müssen, weil der Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik für die Zeit nach dem 30. Juni 1953 noch nicht festgesetzt ist.
Der Bericht behandelt dann weiter die Absetzungen, die von dem errechneten globalen Verteidigungsbeitrag gemacht werden können für bestimmte Ausgaben, die sich zwar in den nationalen Haushalten finden, aber doch als direkte oder indirekte Verteidigungsausgaben angesprochen werden können. Ich darf hier nur etwa an die Polizei erinnern. In begrenztem Umfang ist das bisher auch schon für gewisse Aufwendungen in Berlin anerkannt, leider nicht für 'den gesamten Aufwand für Berlin.
Wichtig ist, wie als Beitrag an die EVG die Stationierungskosten der Bundesrepublik behandelt werden. Für das erste Jahr spielt das keine Rolle; für das erste Jahr ist ein bestimmter fester Schlüssel für das Stimmgewicht der einzelnen Vertreter der Staaten in den Organen der EVG festgesetzt. Aber später richtet sich das Stimmgewicht nach den militärischen und finanziellen Leistungen der Mitgliedstaaten. Die Bundesregierung steht im Gegensatz etwa zu jüngeren Auslassungen des französischen Generals Béthouard auf dem Standpunkt, daß der Aufwand der Bundesrepublik an Stationierungskosten auch beim Stimmgewicht in den Organen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft mit berücksichtigt wird. Ich sagte schon, Herr Béthouard ist anderer Meinung; aber die Bundesregierung weist darauf hin, daß das gerade der Sinn des Durchlaufens der Stationierungskosten durch den Haushalt der EVG sei. Wir zahlen die Kosten dort hinein, die EVG leitet sie unverändert und ohne Einfluß auf sie zu nehmen, weiter.
Der Ausschuß hat sich eingehend mit dem, Haushaltsrecht der nationalen Parlamente befaßt, das ja auch in den Berichten des Haushaltsausschusses angesprochen worden ist. Die Höhe jedes einzelnen Beitrags wird vom 'Ministerrat einstimmig festgesetzt, also nicht ohne die deutsche Stimme. Aber diese so zustande gekommene Summe muß in den
nationalen Haushalt eingestellt werden, und sofern dieser Beitrag zur Erreichung der Ziele der Verteidigungsgemeinschaft verwendet wird — wovon man ja wohl mindestens für die ersten Jahre ausgehen kann —, wäre gegen einen abweichenden Beschluß des Bundestages Klage beim Gerichtshof der Gemeinschaft möglich. Kein Staat kann durch Verweigerung oder Beschränkung des einmal beschlossenen finanziellen 'Beitrags durch das nationale Parlament die Verteidigungsgemeinschaft aushöhlen. „Insofern", so sagt die Regierungsbegründung wörtlich, „ist das Recht der nationalen Parlamente auf freie Bestimmung der Beiträge beschränkt." In diesem Zusammenhang ist es zwar zutreffend, aber 'natürlich für die Frage selbst nicht entscheidend, daß nicht das Schiedsgericht des Generalvertrags, wohl aber der Gerichtshof der EVG eine solche Streitfrage zu entscheiden hätte.
Die Bestimmungen über die Aufstellung des Haushaltsplanes brauche ich hier nicht eingehend darzulegen. Der Haushaltsplan wird vom Kommissariat nach Abstimmung mit den Mitgliedstaaten aufgestellt und dann im Gesamtumfang vom Ministerrat einstimmig beschlossen, während für die einzelnen Ansätze jeweils eine Zweidrittelmehrheit genügt. Ein einzelner Ansatz kann also auch gegen die Stimme irgendeines Landes 'beschlossen werden, weil es mitunter notwendig sein kann, doch über nationale Sonderwünsche hinwegzugehen. Die Versammlung hat, das ist im Bericht des Haushaltsausschusses zum Ausdruck gekommen, nur bescheidene Befugnisse bei der Mitwirkung am Zustandekommen des Haushaltsplans. Sie kann Änderungen, selbst die Ablehnung nur mit einer Zweidrittelmehrheit vorschlagen, und dieser Vorschlag muß dann noch mit Zweidrittelmehrheit vom Ministerrat oder auch durch Stillschweigen des Ministerrats gebilligt werden. Sonst entscheidet der Ministerrat und nicht die Versammlung.
Über die Gliederung des Plans will ich mich hier nicht äußern. Aber wichtig ist, auch in politischer Sicht, der Übergangshaushalt. In dieser Übergangsperiode gehen die nationalen Haushalte in den Gesamthaushaltsplan ein, soweit sie Wehrausgaben betreffen. Die Bundesrepublik hat aber noch keinen Verteidigungshaushalt. Sie stellt ein Programm für die Verwendung ihres Finanzbeitrags an die EVG auf, und die EVG ist an dieses Programm genau so weitgehend gebunden wie an die Verwendungsprogramme, die auch die anderen Länder für diese Übergangsperiode vorlegen. Das hat zur Konsequenz, daß man nicht zu befürchten braucht, daß etwa in dieser Übergangsperiode deutsche Finanzbeiträge verwendet werden zur Aufstellung und Ausrüstung von französischen oder italienischen Divisionen. Aber umgekehrt ist es natürlich genau so: durch die Bindung an die Programme der einzelnen Staaten ist auch in dieser Übergangsperiode nicht damit zu rechnen, daß etwa französische Steuermittel zur Bezahlung deutscher Kontingente verwendet werden. Die Gesamtkosten, die den einzelnen Mitgliedstaaten zur Deckung finanziell verbleiben, hängen sehr stark, ich möchte sagen, im wesentlichen, davon ab, was an Außenhilfe aufgebracht wird. Denn die Beiträge der Mitgliedstaaten werden den Aufbau der gesamten EVG und vor allem auch den Aufbau der deutschen Kontingente allein aus eigenen Mitteln nicht bestreiten können. Die Zahlen sind Ihnen bekannt: die 850 Millionen DM monatlich, auf die zunächst der deutsche Finanzbeitrag festgelegt worden ist, und die Aufteilung auf Stationierungskosten und auf die Beträge, die der EVG teils für den Aufbau des zen-
tralen Apparats, teils für den Aufbau der deutschen Kontingente verbleiben werden.
Die Höhe der späteren Stationierungskosten kann nicht ohne Mitwirkung der Bundesrepublik beschlossen werden. Der Vertrag sieht Verhandlungen über dieses Thema, also über die Kosten, die nach dem 30. Juni 1953 eventuell zu entrichten wären, ausdrücklich vor.
Der Bundesfinanzminster hat seine feste Überzeugung ausgesprochen, den finanziellen Verteidigungsbeitrag ohne neue Steuern und ohne defizitäre Haushaltspolitik aufbringen zu können, wenn die Berlinhilfe voll angerechnet wird. Das ist natürlich nur möglich, wenn der deutsche Beitrag zur EVG sich in der bisher bekannten Größenordnung hält, wenn also die EVG die für den Ausbau ihrer Verbände notwendige Außenhilfe in dem gehofften Ausmaß erhält. Treten diese Voraussetzungen nicht ein, dann müßten entweder die Beiträge der Mitgliedstaaten entsprechend, also in dem Maße, in dem die Außenhilfe hinter den Erwartungen zurückbleibt, erhöht werden, oder die Schlagkraft der Verbände der EVG würde infolge unzureichender Ausrüstung leiden müssen. Das Gesamthaushaltsvolumen der EVG — das macht diese Konstruktion mit der Außenhilfe deutlich — wird von den Einnahmen und nicht vom Bedarf bestimmt.
Nun müssen wir untersuchen, mit welcher Außenhilfe zu rechnen ist. Es liegen Zusagen für die Lieferung von schwerem und leichtem Gerät vor, die dem Ausschuß ziffernmäßig nicht genannt werden konnten. Wir haben im Ausschuß noch einmal die Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers in der Plenarsitzung des Bundestages vom 9. Juli 1952 untersucht, in der es hieß, daß die Vereinigten Staaten die Verpflichtung übernommen haben, das gesamte schwere Material für die Ausrüstung der deutschen Kontingente in derselben Art usw. zu liefern, wie sie es nach den NATOVerträgen für irgendein anderes Kontingent liefern, und zwar unentgeltlich. Außerdem hätten sie sich verpflichtet, auch leichtes Material in einem bestimmten Wert und zahlenmäßig genannten Umfange zu liefern. Aus dieser Erklärung ergibt sich, daß die Bundesrepublik bei den Lieferungen durch die Vereinigten Staaten auf keinen Fall schlechter als die anderen Partner der NATO behandelt wird. Es steht aber nicht drin, wie sie behandelt wird und wie die anderen Partner der NATO behandelt werden. Welchen Wert und zahlenmäßigen Umfang das zu liefernde leichte und schwere Material hat, konnte nicht festgestellt werden.
Wichtig ist noch die Form der amerikanischen Verpflichtung. Sie hat nach den Erhebungen des EVG-Ausschusses, für den ich zu berichten habe — der Haushaltsausschuß kam hier zu einem anderen Ergebnis; die Vertreter der Regierung konnten das im EVG-Ausschuß nicht eindeutig aufklären —, nicht die Form eines im Besitz der Bundesrepublik befindlichen unterzeichneten Dokuments, sondern stützt sich auf protokollarisch festgehaltene mündliche Erklärungen 'der amerikanischen Beobachter bei den Pariser Verhandlungen.
Die Bundesrepublik wird rund ein Drittel des gesamten Haushaltsvolumens der EVG zu bestreiten haben. Natürlich sind auch diese Zahlen veränderlich je nach der Entwicklung der Lage, des Bedarfs und der Wirtschaftskraft der einzelnen Länder. Als Anhalt für den Finanzbedarf müssen wir uns einige Zahlen vor Augen halten. Für die Aufstellung eines Kontingents von 12 Divisionen
einschließlich aller dazugehörigen Verbände muß man mit einem Gesamtaufwand von rund 36 Milliarden DM rechnen. Dazu treten die Unterbringungskosten. Für einen Mann bedeutet das in der modernen Heeresorganisation durchschnittlich 7000 DM, so daß rund 3 Milliarden DM hinzutreten. Dieser Aufwand von zusammen rund 39 Milliarden DM muß in der Aufbauzeit aufgebracht werden; das sind praktisch die zwei Jahre, in denen der Vertrag die Aufstellung dieser Verbände vorsieht. Allerdings fällt diese Belastung nur insoweit der EVG zur Last, als sie eben keine Außenhilfe von den Vereinigten Staaten von Amerika bekommt. Das ist oben schon dargelegt.
Zum Vollzug des Haushalts kann ich mich wesentlich kürzer fassen, da es sich hier um die Fragen der Organisation handelt, denen wir wohl keine allzu große politische Bedeutung beizumessen haben. Bemerkenswert ist der verhältnismäßig große Spielraum, den Kommissariat und Ministerrat bei der Deckungsfähigkeit, bei dem Verwenden von Mitteln aus einem Ansatz für einen anderen Ansatz, haben. Der Nothaushalt ist zunächst etwas dem deutschen Prinzip angenähert. Für die ersten drei Monate kann in einem neuen Rechnungsjahr weitergewirtschaftet werden mit je einem Zwölftel der alten Jahresansätze. Aber dann kommt eine wichtige Bestimmung: wenn die Versammlung nicht in den ersten drei Monaten des Haushaltsjahres den Plan beschlossen hat, dann tritt einfach der vom Ministerrat beschlossene Haushaltsplan auch ohne Entscheidung der Versammlung in Kraft.
Die Rolle des Finanzkontrolleurs will ich Ihnen nicht im einzelnen darlegen; das hat auch Kollege Gülich schon getan. Ich verweise hierzu auf Seite 109 des Berichts Drucksache Nr. 3900.1
Auch zur Nachkontrolle und Entlastung kann ich mich kurz fassen. Eine Rechnungsprüfungsbehörde etwa nach dem Modell des Rechnungshofs soll schnell — innerhalb von sechs Monaten — ihren Bericht vorlegen. Wichtig ist aber, daß die Entlastung durch die Versammlung nur mit einer Zweidrittelmehrheit verweigert werden kann.
Zu den Finanzfragen hat der Ausschuß zunächst die Auswirkungen auf die deutsche Devisensituation überprüft, die auch Gegenstand der Beratungen im Finanz- und Wirtschaftsausschuß dieses Hauses waren. Hier bitte ich vor allen Dingen die sogenannte 85 %-Klausel einer Würdigung zu unterziehen, die darauf hinzielt, daß, um eine gewisses Gleichgewicht in der Devisensituation der einzelnen Länder zu wahren, in jedem Lande mindestens 85 % seines Finanzbeitrags selbst von der EVG in seiner eigenen Währung in seinem Hoheitsgebiet ausgegeben werden müssen. Darüber hinaus kann von der EVG noch mehr ausgegeben werden, 100, auch 115 N. Wenn es aber dann mehr wird, ist das nur zulässig mit Zustimmung des betreffenden Staates selbst, um etwa in Zeiten bestimmter Mangelsituationen einen Ausverkauf eines solchen Landes durch die EVG zu verhindern, indem die Spitzen der verschiedenen 15 %-Beiträge aller Länder konzentriert zum Ausverkauf auf ein Land angesetzt würden. Das ist der Sinn dieser Klausel. Für die ersten Jahre wird damit zu rechnen sein, daß in der Bundesrepublik sicher mehr als 85 % ihres Beitrags ausgegeben werden, schon wegen der zu erwartenden Bauten.
Zur Finanzordnung brauche ich hier nur auf den Bericht zu verweisen.
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11273
Mit der Außenhilfe habe ich mich bereits befaßt. Sie wird ausgehandelt vorn Kommissariat, nicht vom Ministerrat. Das Kommissariat kann mit Zweidrittelmehrheit Richtlinien geben; aber entscheidend ist, daß das Kommissariat die als Material — also nicht in bar — geleistete Außenhilfe allein verwaltet und verteilt. Da kann ihm kein anderes Organ der Gemeinschaft hineinreden. Natürlich kann auch noch Wirtschaftshilfe und — etwa für Kolonialkriege — Materialhilfe von dem Geber, der daran nicht gehindert ist, an die Einzelmitglieder der EVG geleistet werden. Die EVG kann auch Außenhilfe geben; ob und wann das praktisch wird, brauchen wir jetzt nicht zu untersuchen.
Bei den Wirtschaftsfragen haben wir uns zunächst mit dem Rüstungsprogramm befaßt. Es wird vom Kommissariat im Benehmen mit den Mitgliedstaaten aufgestellt und soll ähnlich wie der Finanzbeitrag die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten aufs beste nutzbar machen und schwere Störungen in der Wirtschaft vermeiden. Bei Streitigkeiten entscheidet zunächst das Kommissariat, eventuell auch der Gerichtshof. Es wird einen beratenden Ausschuß geben, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber paritätisch vertreten sind, der beratend an der Erarbeitung dieses Programms beteiligt wird. Das Programm wird vom Ministerrat mit einer Zweidrittelmehrheit genehmigt und vom Kommissariat ausgeführt. Wichtig ist, daß es schon eine gebietsmäßige Verteilung der einzelnen Aufträge auf die einzelnen Länder unter Berücksichtigung der dargelegten 85 %-Klausel enthalten muß.
Zum Beschaffungswesen darf ich auf die Ausführungen auf Seite 110/111 des Berichts *) und vor allem auch auf die Darlegungen des Kollegen Stegner verweisen. Wichtig ist, daß bei einer Mangellage das Kommissariat Empfehlungen geben kann. Diese Empfehlungen sind in Wirklichkeit Auflagen. Sie gehen aber nicht an den Einzelbetrieb, sondern nur an die Regierungen. Die Regierungen müssen dem Ziel nachkommen, sind aber in der Wahl der Mittel frei. Daß die EVG durch den großen Block ihrer Aufträge, den großen Block der Finanzmasse ein Stück Wirtschaftspolitik mit zu lenken imstande ist, ist klar, auch wenn ihr keine nationalen wirtschaftlichen Hoheitsrechte übertragen sind. Daß eine einheitliche Ausrüstung der Streitkräfte der EVG ihre Zeit braucht, wenn man berücksichtigt, daß ja jetzt vorhandene Armeen eingebaut werden, versteht sich am Rande.
Besonderes Interesse gefunden hat die Kontrolle der Rüstungsproduktion. Ihnen ist bekannt, daß die gesamte Rüstungsproduktion nur mit ausdrücklicher Genehmigung durch das Kommissariat in den einzelnen Ländern gestattet ist, und zwar ohne Unterschied ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich zunächst die Herstellung von Rüstungsmaterial verboten, soweit nicht das Kommissariat das gestattet. Das ist der allgemein geltende Grundsatz. Es muß eine Genehmigung des Kommissariats eingeholt werden, die gleichmäßig an die Staaten erteilt werden soll.
Aber es gibt für eine Anzahl von Waffen andere Gesichtspunkte, nämlich strategische. In strategisch gefährdeten Gebieten sind die in Anlage 2 des Vertrages genannten Waffen nicht herzustellen. Das Kommissariat könnte Genehmigungen nur mit einstimmiger Zustimmung des Rates erteilen. Da-
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seiten 11274/75
bei handelt es sich um Atomwaffen, chemische Waffen, gelenkte Geschosse, Influenzminen, allerdings auch um größere Kriegsschiffe und um .Militärflugzeuge. All das darf in strategisch gefährdeten Gebieten nicht hergestellt werden.
Die Bundesregierung hat nun in einem Brief an die Außenminister erklärt, daß die Bundesrepublik sich in einer strategisch exponierten Lage befinde und es infolgedessen nicht als Diskriminierung betrachte, wenn ihr das Kommissariat keine Erlaubnis zur Herstellung derartiger Waffen im Gebiet der Bundesrepublik erteile,
während diese Erlaubnis durchaus an andere Länder erteilt werden kann. Die rechtliche Bedeutung dieses Briefes ist, daß etwa Holland, das sich in einer ähnlichen strategischen Position wie die Bundesrepublik befindet, für den Fall der Verweigerung einer solchen Erlaubnis den Gerichtshof anrufen könnte, während sich die Bundesrepublik dieses Weges begeben hat.
Die Bundesrepublik hat sich verpflichtet, im Wege der Gesetzgebung eine Reihe von Verboten auszusprechen, die sich vor allem auf die Atomwaffen beziehen. Weiter hat sie sich auch zur Einführung einer Reihe von Kontrollen, etwa auf dem Gebiet der Ein- und Ausfuhr der interessierenden Materialien, verpflichtet.
In diesen Zusammenhang gehört die Frage der Pulverlinie. Die Anlage von neuen Pulverfabriken für militärische Zwecke ist nur in einem bestimmten Gebiet westlich einer festgelegten Linie gestattet. Diese Linie läuft durch die Bundesrepublik. Östlich dieser Linie darf es also keine neuen Pulverfabriken geben.
Der Bundeskanzler hat außerdem einen Brief an die Außenminister der Besatzungsmächte gerichtet, in dem es heißt daß zur Zeit in der Bundesrepublik Zivilluftfahrzeuge weder hergestellt würden noch Möglichkeiten für eine derartige Produktion bestünden und die Bundesrepublik Flugzeuge käuflich erwerben wolle; würden sich diese Verhältnisse ändern, dann würde sich die Bundesrepublik um ein Einvernehmen mit den Regierungen der Drei Mächte bemühen.
Im Ausschuß ist nun die Befürchtung erörtert worden, die auch in einem anderen Bericht vorhin angeklungen ist, daß strategisch gefährdete Gebiete durch die besondere Erwähnung dieser Gefährdung im Vertrag wirtschaftliche Nachteile erlitten, daß sie eventuell auch von der Konsumgüterindustrie gemieden würden. Dem ist im Ausschuß entgegengehalten worden, daß die strategisch gefährdete Lage der Bundesrepublik sich ja nicht aus dem Vertragstext, sondern aus den Tatsachen ergebe und der gesamten Wirtschaft auch ohne Erwähnung im Vertrag bekannt sei; man müßte dann für einen Ausgleich der eventuell zu erwartenden Nachteile für diese Gebiete durch sinnvolle Lenkung von Aufträgen gerade dorthin sorgen. Die Minderheit ist bei ihrem Einwand geblieben, daß die abschreckende Wirkung, vor allem gegenüber Neuinvestitionen, mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die strategisch gefährdete Lage im Vertragstext verstärkt worden sei und man damit etwa den französischen Tendenzen zur Verlagerung der Rüstungsproduktion in das lothringische Industriebecken und nach Afrika entgegenkomme.
Ich darf noch erwähnen, daß andere Rüstungs-
und Forschungsbeschränkungen und -kontrollen
außer denen, die ich Ihnen vorgetragen habe, mit dem Inkrafttreten der Verträge fortfallen. Die Praxis der künftigen Kontrolle hängt natürlich sehr von der Gestaltung des Kommissariats ab, der infolgedessen die besondere Aufmerksamkeit der Bundesregierung und des Deutschen Bundestags zugewendet werden müßte.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, es erhebt sich die Frage, wie wir weiter verfahren. Es ist noch eine Reihe von Berichten fällig; aber ich glaube, daß sie auf rund eine halbe Stunde konzentriert werden könnten. Ich schlage Ihnen vor, daß wir durchtagen, bis wir damit fertig sind, wobei ich annehme, daß das nicht nach halb zwei Uhr sein wird, und daß dann eine Pause von zwei Stunden eingelegt wird. Ist das Haus einverstanden?
— Dann erteile ich das Wort Herrn Abgeordneten Dr. Jaeger zu dem
Bericht über die rechtsprechende Gewalt im Rahmen des EVG-Vertrages.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Teil des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, über den ich zu berichten habe, umfaßt die sogenannte dritte Gewalt, also die Justiz, mit ihrer Zuständigkeit und ihrer Organisation. Es ist sicherlich nicht der Teil des Vertragswerks, der für die politische Entscheidung dieses Hohen Hauses, für das Ja oder Nein, das der einzelne Abgeordnete am Ende der Debatte zu sprechen hat, von entscheidender Bedeutung ist, wenn auch die praktische Auswirkung im Leben des einzelnen nicht zu gering eingeschätzt werden sollte. Schon aus diesem Grunde empfiehlt es sich nicht, die Berichterstattung hierzu allzu ausführlich zu gestalten, zumal sie auf den Seiten 112 ff. des Gesamtberichts *) bereits ausführlich vorgenommen ist, und verwickelte juristische Probleme entweder gründlich oder gar nicht dargestellt werden können.
Hier geht es darum, daß als Gerichtshof derselbe bestimmt ist, der für den Schumanplan eingesetzt worden ist. Man hat sich darum bemüht, die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und die Montan-Union nicht beziehungslos nebeneinanderstehen zu lassen, sondern in enge Verbindung zu bringen, um damit auf dem Gebiet dieser zwei Gemeinschaften schon eine Integration Europas auf den verschiedensten Gebieten vorzubereiten. So entspricht dem Ministerrat der Montan-Union der der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, und so entsprechen die Hohe Behörde und das Kommissariat einander, zwar nicht personell, aber im Aufbau. Die Parlamente der beiden Gemeinschaften sind nahezu gleich, indem zum Parlament des Schumanplans bei der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft noch neun Abgeordnete hinzutreten. Der Gerichtshof beider Gemeinschaften ist völlig identisch. Diese Identität ist also nicht ein Zeichen der Vorläufigkeit, sondern ist gedacht als ein Moment der Einheit und der Stabilität.
Zu dem Gerichtshof treten eine Reihe weiterer Gerichte, insonderheit Landessenate des Gerichtshofs und nachgeordnete Gerichte in Strafsachen so-
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11276 ff.
wie örtliche Schadenskammern zur Behandlung der Schadensfälle.
In sachlicher Hinsicht sind es zwei große Probleme, die hier geregelt werden. Das erste davon betrifft die Amtshaftung. Die Amtshaftung ist wenigstens in den Grundsätzen geregelt und soll, da ein einheitliches Recht vorerst noch nicht vorliegt, durch den Richterspruch der Schadenskammern und der Landessenate, in besonderen Fällen auch des Gerichtshofs selber weiterentwickelt werden. Es ist nicht das erste Mal, daß ein gemeinsames Recht auf diese Weise wesentlich durch einen Gerichtshof geschaffen wird. Die Grundsätze, die hierfür im Justizprotokoll entwickelt sind, entsprechen jenen rechtsstaatlichen Grundsätzen, um die sich vor allem in Deutschland in den letzten hundert Jahren Rechtswissenschaft und Praxis bemüht haben.
Das zweite Gebiet ist das des Militärstrafrechts. Auf diesem Gebiet ist eine gemeinsame Gesetzgebung an sich viel notwendiger und dringlicher als bei der Amtshaftung; denn während im zivilen Bereich der Richter Recht setzen und Recht schaffen kann, ist dies auf dem Gebiet des Strafrechts nicht möglich, weil ja in alien der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft angeschlossenen Staaten der Grundsatz gilt, daß keine Strafe ohne gesetzliche Grundlage ausgesprochen werden kann, ein Grundsatz, der bei uns zu einem Verfassungsgrundsatz erhoben worden ist. Die Einführung eines gemeinsamen Militärstrafgesetzbuchs ist also vordringlich. Bis dahin gilt für die Soldaten der verschiedenen Nationalitäten ihr nationales Militärstrafgesetzbuch, was für uns Deutsche bedeutet, daß wir uns alsbald daran machen müssen, ein eigenes Militärstrafgesetzbuch zu schaffen. Dies bringt den Vorteil mit sich, daß wir bei der Vereinheitlichung des europäischen Militärstrafrechts selber von der Grundlage eines modernen, von diesem Hause beschlossenen Militärstrafgesetzbuchs ausgehen können.
Aus der Fülle der einzelnen Probleme, die hier angeschnitten sind und die wieder durchaus den rechtsstaatlichen Überlieferungen Deutschlands und der übrigen europäischen Länder entsprechen, will ich nur noch ein einziges herausgreifen, weil es in der öffentlichen Diskussion der letzten Wochen und in Zuschriften auch an dieses Hohe Haus eine besondere Bedeutung gefunden hat: das Problem der Todesstrafe. Das Strafrechtsprotokoll sieht zwar neben Freiheits- und Geldstrafen auch die Todesstrafe vor, stellt aber in Ziffer 8 ausdrücklich fest, daß in denjenigen Ländern, in denen die Todesstrafe verfassungsmäßig abgeschafft ist, eine solche gegen Soldaten dieser Nationalität nicht ausgesprochen werden kann. Dies hat mit der persönlichen Haltung des einzelnen Abgeordneten zum Problem der Todesstrafe nichts zu tun. Solange unsere Verfassung die Todesstrafe verbietet — und dieses Hohe Haus hat ja abändernde Anträge dreimal mit großer Mehrheit verworfen —, solange kann auch nicht gegen einen europäischen Soldaten deutscher Nationalität die Todesstrafe ausgesprochen werden. Daraus folgt einmal, daß eine Propaganda, die uns der Ostwind ins Haus geweht hat und die das Gegenteil behauptet, nur von einer Seite stammen kann, die sich mit den Verträgen eingehend überhaupt nicht befaßt hat. Es folgt zweitens, daß auch hier ein Widerspruch zwischen dem Vertragswerk und dem Grundgesetz nicht vorhanden ist.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Damit ist Abteilung II des Berichts erledigt.
Zu Abteilung III:
Zusätzliche Berichte des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zu bestimmten Teilen der Vertragswerke,
erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten
Dr. Wahl als Berichterstatter zu Ziffer 1: Zusätzlicher Bericht über die mit der Stationierung fremder Truppen zusammenhängenden Rechtsfragen *).
— Ist Professor Wahl nicht anwesend?
— Das Haus verzichtet auf die Entgegennahme des Berichts. Dann erteile ich das Wort Herrn Abgeordneten von Merkatz zu Ziffer 2:
Zusätzlicher Bericht zu Teil I des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen **).
— Das Haus nimmt diesen Verzicht entgegen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Reismann zu Ziffer 3:
Zusätzlicher Bericht zu Teil VII des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen.
— Er verzichtet nicht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß auch ich meinen Bericht recht kurz halten kann***). Der hohe Stand unserer Gesetzgebung auf dem Gebiet Verschleppte Personen und Flüchtlinge, Siebenter Teil des Überleitungsvertrags, macht uns die Annahme dieser Bestimmungen des Vertrages leicht. Es kommt noch hinzu, daß es der hohe Stand der Gesetzgebung auf diesem Gebiet ermöglicht hat, bei den Vertragsverhandlungen den Art. 3 einzufügen, wonach die Bundesrepublik das bisherige Gesetz Nr. 23 der Alliierten Hohen Kommission in Zukunft durch eigene Rechtsvorschriften zu ergänzen befugt wird.
Der Art. 1 befaßt sich mit der Rechtsstellung der heimatlosen Ausländer. Das deutsche Gesetz darüber entspricht allen Erwartungen, die man überhaupt nur haben kann, und deswegen hat man auch davon abgesehen, die ursprüngliche Forderung durchzudrücken, daß dieses Gesetz nicht wieder aufgehoben werden dürfe. Die Alliierten haben davon abgesehen, ein ausdrückliches Versprechen dieser Art aufzunehmen, dessen Annahme uns natürlich Schwierigkeiten bereitet hätte, weil wir damit zukünftige Regierungen festlegen sollten.
Bezüglich der weiteren Vorschrift des Art. 1, durch geeignete Rechtsvorschriften demnächst dafür Sorge zu tragen, daß die Zulassung und Verteilung von politischen Flüchtlingen, die um Asyl nachsuchen, geregelt werde, ist eine Verordnung
*) Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11285A, 11286C
**) Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11288D
***) Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11289C
in der Vorbereitung, die kurz vor dem Abschluß steht und in Kürze ergehen wird.
Dann haben wir uns hiernach zu verpflichten, daß wir der Genfer Konvention beitreten. Der Ausschuß hat dabei eigentlich nur etwas Anstoß daran genommen, daß diese Verpflichtung eine einseitige Verpflichtung ist. Warum sich nicht auch die übrigen Teilnehmer an diesen Verträgen verpflichten sollen, ist nicht recht einzusehen. Wir sind übrigens ohnehin willens, der Genfer Konvention beizutreten. Der Bundestag hat sich mit der Frage bereits befaßt, und so bereitet uns auch dieser Punkt keine Schwierigkeiten.
Bleibt der Suchdienst, der sich mit der personenstandsmäßigen Dokumentation bezüglich der in KZs gewesenen Deutschen und Ausländer, im übrigen aber auch der in Deutschland gewesenen Ausländer, befaßt. Auch das ist schon einer Regelung von deutscher Seite aus zugeführt worden. Man beabsichtigt, aus der dort jetzt schon bestehenden Behörde, einem Amt mit einem Sonderstab, eine Anstalt öffentlichen Rechts zu machen.
Das Gesetz vom 27. Mai 1952 über die Kriegsgräber regelt auch schon die nächste Frage dieses Abschnittes, nämlich die Betreuung der Gräber von alliierten zivilen Verstorbenen und von Soldaten aus diesem Kriege. Es bleibt also herzlich wenig Neues dabei für uns noch zu tun.
Ein besonderes Anliegen sind dabei allerdings die Fragen der internationalen Rechtsstellung der Flüchtlinge und der heimatlosen Ausländer — ich sprach eben schon davon, daß ihre Angelegenheiten durch das Ausländergesetz vom 25. April 1951 geregelt sind —, die sozusagen als Bodensatz bei uns bleiben werden, die also nicht außerhalb Deutschlands als Emigranten wieder eine neue Existenz begründen können. Das bedeutet sowohl finanziell als auch stimmungsmäßig für das deutsche Volk zum großen Teil eine schwere Belastung. Es ist aber vor allen Dingen dabei zu berücksichtigen, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens und im Sinne der Genfer Konvention, der wir beizutreten versprechen sollen, nicht die deutschen Flüchtlinge gelten; denn nach der dort herrschenden Definition gilt nicht als Flüchtling, wer im Zufluchtslande das Recht der Staatsangehörigen hat. Da indessen diese Auslegung und Definition, die sich zunächst hauptsächlich gegen Deutsche richtete, auch sehr viele Angehörige anderer Staaten trifft — ich erinnere z. B. an die türkischen Flüchtlinge aus Bulgarien; auf dem Balkan kommen solche Dinge überhaupt häufiger vor, auch in Indien —, steht auf die Dauer doch zu erwarten, daß sich eine günstigere Auslegung im Interesse der deutschen Flüchtlinge durchsetzt, die zwar nicht für diesen Vertrag eine Rolle spielen würde, die aber in der internationalen Diskussion der Flüchtlingsfrage von Bedeutung wäre.
Der Ausschuß hatte keine Bedenken, diesen Siebenten Teil des Überleitungsvertrags zur Annahme zu empfehlen, wenngleich die Einseitigkeit der Verpflichtung eine Diskussion auslöste. Es war nicht einzusehen, weswegen nur wir und nicht auch die anderen eine Verpflichtung übernehmen sollten, und zwar vor allem auch deshalb, weil es eine — zwar nur in der Theorie, aber immerhin hinsichtlich des, sagen wir, Ehrenstandpunktes — etwas ungewöhnliche Zumutung war, daß wir uns jetzt schon verpflichten sollen, ein Abkommen zu ratifizieren, das noch nicht ratifizierungsreif ist. Es wird zwar eingereicht werden, liegt aber dem Bundestag noch nicht vor. Da aber der Bundestag ohnehin schon
bekundet hat, daß dieses Abkommen ratifiziert werden soll, bleibt es ohne praktische Bedeutung. Ich habe deswegen im Auftrage des Ausschusses die Annahme dieser Teile vorzuschlagen, soweit nicht grundsätzliche Einwendungen erhoben werden, die sich aus der Einstellung einiger Parteien gegen die Verträge überhaupt ergeben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Zu Abteilung III Ziffer 4:
Zusätzlicher Bericht zu Teil XI des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen,
ist Herr Abgeordneter Dr. Vogel als Berichterstatter vorgesehen.
— Er verzichtet, wie mir gesagt worden ist, und verweist auf den Schriftlichen Bericht*). Das Haus ist damit einverstanden. Damit ist Abteilung III erledigt.
Ich rufe Abteilung IV auf:
Zusätzliche Berichte anderer Ausschüsse zu bestimmten Teilen der Vertragswerke.
Das Wort zu Ziffer 1:
Zusätzlicher Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen zu den Verkehrsbestimmungen der Vertragswerke
hat Herr Abgeordneter Rademacher als Berichterstatter.
.
— Ist das Haus damit einverstanden, sich mit der Entgegennahme des Schriftlichen Berichts **) zu begnügen?
Kein Widerspruch.
Ich rufe auf Ziffer 2:
Zusätzlicher Bericht des Ausschusses für Post- und Fernmeldewesen zu den das Post- und Fernmeldewesen betreffenden Bestimmungen des EVG-Vertrages.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Cramer als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann leider nicht ganz auf die Berichterstattung***) verzichten; aber ich will es kurz machen. Der Ausschuß hat sich insbesondere mit den Bestimmungen beschäftigt, die das Post- und Fernmeldewesen betreffen. Es ist selbstverständlich, daß die Anwesenheit von fremden Truppen — seien es die jetzigen Besatzungstruppen oder die künftigen EVG-Truppen — eine erhöhte Inanspruchnahme des Post- und Fernmeldewesens bedeuten. Es war die Aufgabe des Ausschusses, zu prüfen, ob das Post- und Fernmeldewesen in seinem jetzigen Umfang diesen erhöhten Einforderungen gerecht werden kann. Ich muß leider sagen, daß wir mit einem Mangel nicht fertig geworden sind, mit dem ja auch andere Ausschüsse zu kämpfen hatten: Es konnten uns keine zahlenmäßigen und wertmäßigen Angaben darüber ge-
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11290C
**) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11292A
***) Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung,
Seite 11293D
macht werden, wie der zukünftige militärische Bedarf sein wird.
Im Grundsatz ist in den Verträgen festgelegt, daß alle erforderlichen Neubauten und Anlagen durch die Deutsche Bundespost erstellt werden sollen, daß auch der Betrieb der für militärische Zwecke benötigten Fernmeldeanlagen und postalischen Einrichtungen durch die Bundespost durchgeführt werden und daß die Truppen die deutschen Gebührensätze dafür zahlen sollen. Allerdings gilt diese Regelung nur bis zum 30. Juni 1953. Nach diesem Termin sollen neue Vereinbarungen getroffen werden. Wie diese neuen Vereinbarungen aussehen, kann man natürlich heute noch nicht beurteilen. Aber der Ausschuß hat Wert auf die Feststellung gelegt, daß auch dann die deutschen Gebührensätze voll angerechnet werden sollen.
Dann hatte der Ausschuß die Frage zu prüfen, ob durch den militärischen Bedarf nicht etwa der zivile Bedarf so eingeschränkt werden müßte, daß dadurch eine Benachteiligung eintreten könnte. Ich sagte eben schon, Zahlen konnten uns nicht genannt werden, und deshalb war eine Schlußfolgerung auch nicht möglich. Aber wir wissen, daß die Deutsche Bundespost gegenwärtig einen Investitionsbedarf von 3,5 Milliarden hat. Wenn also ein zusätzlicher Bedarf hinzukommt, besteht immerhin die Gefahr, daß der zivile Bedarf etwas beeinträchtigt wird.
Dankbar wurde begrüßt, daß in dem Vertrag zwischen den Drei Mächten und Deutschland die Bestimmungen über die Postzensur fehlen, so daß
— die Regierung hat es wenigstens bestätigt — angenommen werden kann, daß in Zukunft die Postzensur nicht mehr ausgeübt werden soll und darf.
Der Ausschuß hat seine Stellungnahme dahin zusammengefaßt: Er legt Wert darauf, daß in Zukunft die deutschen Gebührensätze auch im Hinblick auf die Truppenteile angewandt werden und daß alles versucht werden soll, damit der zivile Bedarf nicht hinter den Bedarf der militärischen Dienststellen zurückzutreten hat.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Es bleibt noch übrig Abteilung IV, Ziffer 3:
Zusätzlicher Bericht des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films zu bestimmten Abschnitten des Vertrages über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen.
Berichterstatter ist Abgeordneter Dr. Vogel. Ist das Haus bereit, sich mit der Entgegennahme des Schriftlichen Berichts*) zu begnügen?
— Ich stelle keinen Widerspruch fest. Damit ist die Berichterstattung abgeschlossen.
Meine Damen und Herren, der Vereinbarung der Fraktionen entsprechend unterbreche ich
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11295B
die Sitzung. Das Haus tritt um 15 Uhr 30 wieder zusammen.
Die Sitzung wird um 15 Uhr 34 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schäfer wieder eröffnet.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Nach Abschluß der Berichterstattung setzen wir jetzt die Aussprache fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Reimann.
Meine Damen und Herren! Die deutsche Nation blickt in diesen Tagen mit bangem Herzen nach Bonn. Wenn es jemals in der deutschen Geschichte um eine schicksalsschwere Entscheidung ging, so trifft dies für die heutige Debatte über die Ratifizierung des Generalvertrags, seiner Zusatzverträge und des EVG-Vertrags zu. Der Auswärtige Ausschuß hat die sieben Grundfragen des „Generalkriegsvertrags", die schon in der Präambel genannt waren,
noch einmal unterstrichen. Die in diesen sieben
Punkten aufgestellten Behauptungen sind eine Irreführung des Bundestags und des deutschen Volkes.
Sie stehen mit dem tatsächlichen Inhalt der einzelnen Paragraphen des Vertragswerks in krassem Widerspruch. Diese sieben Punkte sind aufgestellt worden, um das deutsche Volk zu täuschen, damit es den wahren Inhalt und die Gefährlichkeit dieses Generalvertrags nicht erkennen kann.
Dieser Generalvertrag soll, wie es unter Punkt 1 heißt, eine „blühende europäische Völkergemeinschaft" hervorbringen. In Wirklichkeit aber haben die amerikanischen Kriegsinteressenten mit diesem Generalvertrag und der europäischen Union nichts anderes im Sinn als erstens die Zusammenfassung des europäischen Rüstungspotentials im Rahmen der Montan-Union, die unter Führung der amerikanischen Monopol- und Bankherren steht, und zweitens die Zusammenfassung des europäischen Menschenpotentials, was beides auf ein Ziel gerichtet ist, darauf nämlich, daß die amerikanischen Imperialisten dieses sogenannte vereinigte Europa für den dritten Weltkrieg zur Verwirklichung ihrer Weltherrschaftspläne ausnutzen wollen.
Bei diesem Plan verlangen die amerikanischen Imperialisten, daß die Völker Europas mittels des Generalvertrags, der Zusatzverträge und des EVGVertrags ihre Souveränität aufgeben
und sich völlig dem amerikanischen Weltgendarmen unterordnen.
Meine Damen und Herren, ein sehr schönes Wortgeklingel: Großeuropa, Kleineuropa, Kerneuropa, Europäisierung, europäische Integration.
In Wahrheit ist es ein Raub- und Kriegskomplott,
gerichtet gegen alle Völker der Welt, nicht zuletzt I auch gegen die Völker der in diese Sackgasse getriebenen Staaten, einer „Völkergemeinschaft", die, noch ehe sie ins Leben getreten ist, schon in allen Fugen kracht. Es ist dies das Kriegsbedürfnis einer Handvoll imperialistischer Kriegstreiber. Diese Herren sprechen von einer Völkergemeinschaft. Wo ist aber die Zustimmung dieser Völker? In Westdeutschland haben sich über 14 Millionen, Frauen und Männer, trotz Polizeiterrors offen gegen diesen Kriegspakt entschieden. Sie verlangen gesamtdeutsche Wahlen und einen gerechten Friedensvertrag mit ganz Deutschland.
Aber bleiben wir bei den offiziellen Volksvertretungen der anderen Staaten. Der USA-Senat, in dem es keinen einzigen Arbeiterabgeordneten gibt, hat natürlich einstimmig den Generalvertrag ratifiziert. Man kann nicht von den Urhebern dieser Verträge verlangen, daß sie gegen den Vertrag stimmen. Der Generalvertrag ist doch das größte amerikanische Geschäft seit dem Marshallplan und dem Schumanplan. Wie sollten ausgerechnet die amerikanischen Interessenten gegen den amerikanischen Kriegsplan und die Unterwerfung Westdeutschlands stimmen? Wie aber war das Stimmenverhältnis im englischen Unterhaus? 292 für und 252 dagegen!
Was bedeutet das? — Niemand wird behaupten wollen, daß die gegenwärtigen Volksvertretungen in den USA und in England die tatsächlichen Auffassungen ihrer Völker wiedergeben. Es fällt der Mehrheit in diesen Parlamenten immer schwerer, sich den Auffassungen der Völker ganz zu entziehen oder sie einfach totzuschweigen. Was unter solchen Umständen ein Stimmenverhältnis von 292 zu 252 Stimmen im englischen Unterhaus, was der Widerstand selbst der Regierungsparteien von Paris zu bedeuten hat, das ist ganz klar. Die Wahrheit über die Absichten der amerikanischen Imperialisten bricht sich Bahn bis in die Parlamente der imperialistischen Staaten. Immer mehr Parlamentarier, die bisher zu den Regierungen dieser Staaten hielten, erkennen heute, daß der Imperialismus die Verneinung des Lebensrechts der Völker und die Vernichtung ihres Lebens bedeutet, und deshalb weigern sie sich, an einem solchen Verbrechen mit schuldig zu werden. Die Völker Englands und Frankreichs, die Deutschen in der Bundesrepublik und die Völker der anderen vom amerikanischen Imperialismus mit dem nationalen und physischen Untergang bedrohten Staaten lehnen diese „Völkergemeinschaft" im Bauche des amerikanischen Wolfes ab. Mögen die Herren in der Wallstreet und dem Weißen Haus bedenken, was die Unterschriften von Vertretern ohne Vertretungsmacht wert sind.
Ungerechte Verträge haben kein langes Leben. Das gilt nicht nur für die Protektoratsverträge, die Hitler von jenem Gesindel unterschreiben ließ, das in den 30er Jahren als Vertreter der versklavten europäischen Völker auftrat. Das geschah auch damals im Zeichen der „streng defensiven Verteidigung" des Überfalls auf die Sowjetunion. Das geschah auch damals unter der betrügerischen Maske von der „Neuordnung Europas". Imperialistische Kriegsbündnisse — das hat die Geschichte zu oft bewiesen — halten bis zur unvermeidlichen gemeinsamen Niederlage.
Sie, Herr Dr. Adenauer, sprechen von der Grundlage der Gleichberechtigung, als ob es so etwas zwischen imperialistischen Mächten geben könnte, als ob der amerikanische Imperialismus irgendeinem seiner Satelliten in irgendeinem Teile der Welt je eine Gleichberechtigung eingeräumt hätte. Nach diesem Vertrag, der uns heute vorliegt, bleibt Westdeutschland auf unbegrenzte Zeit hinaus besetzt; aber Dr. Adenauer versucht, unserm Volke einzureden, daß es gleichberechtigt ist. Worin besteht dann die Gleichberechtigung? Etwa in dem amerikanischen, englischen oder französischen Recht, den Notstand in Westdeutschland zu verhängen und die Militärdiktatur über die Bundesrepublik zu verhängen, wie es in Art. 5 des Generalvertrags heißt? Oder in dem Verbot der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands ohne gleichzeitige Ausdehnung der amerikanisch-englisch-französischen Herrschaft auf ganz Deutschland, wie es in Art. 7 des Generalvertrags heißt? Oder in dem amerikanisch-englisch-französischen Einspruchsrecht gegen jede Wiedervereinigung Deutschlands und der deutschen Hauptstadt Berlin, wie es in Art. 2 heißt? In dem unbegrenzten Recht der Amerikaner, Engländer und Franzosen. auf westdeutschem Boden eigene und andere Truppen zu unterhalten, Truppen, die einen Strafschutz genießen wie die Hitler-Wehrmacht im Nazistaat und deren örtliche Kommandanten jederzeit auf Deutsche schießen lassen können, wie es in Art. 4 und 5 des Vertrags heißt?
Aber eine Gleichberechtigung, meine Damen und Herren, besteht allerdings. Die Staatsmänner der USA, Englands und Frankreichs haben die Abkommen ebenso mit ihrer Unterschrift gedeckt wie Dr. Adenauer mit der seinen. Aber ist das Gleichberechtigung, wenn der, der sein Lebensrecht aufgibt, ebenso zeichnet wie der, der es ihm nimmt? Ist es nicht eine besonders schändliche Verhöhnung der Gleichberechtigung, wenn man sagt: Du hast die gleiche Macht, auf deine Unabhängigkeit zu meinen Gunsten zu verzichten, wie ich die Macht habe, dir deine Unabhängigkeit zu meinen Gunsten
zu nehmen?
Der amerikanische Weltgendarm verteilt in der Tat die niederen Dienstgrade an bestimmte Regierungen, die ihm infolge ihrer besonderen Abhängigkeit zu solcher Bevorzugung geeignet erscheinen.
Es mag sein, daß die Bundesrepublik die Rolle eines Obergefreiten in der amerikanischen Militärkolonie Westeuropa zugeteilt erhalten hat.
Das aber verschärft nur die Widersprüche innerhalb Westeuropas, z. B. zwischen Westdeutschland und Frankreich, wie sich das im Saargebiet und in der Montan-Union heute schon zeigt. In der Präambel Abs. 3 ist von der Wiederherstellung eines völlig freien Deutschlands die Rede. Aber Art. 7 Abs. 3 dieses Vertrags bindet das wiedervereinigte Deutschland an die Verpflichtung aus dem Vertrag, d. h. an die unbegrenzte Besetzung, an die Diktaturgewalt der Besatzungstruppen, an die Marionettenstellung einer deutschen Regierung, an die Gerichts-, Finanz- und Devisenhoheit der Invasionsarmeen. Also das ganze Deutschland soll an diesen Kanonenfuttervertrag gebunden sein.
Das wiedervereinigte Deutschland, das die Unterzeichnermächte zu erstreben vorgeben, soll also eine
erweiterte amerikanische Militärkolonie und demzufolge alles andere sein als ein wirklich freies Deutschland.
Selbst die Verfassung dieses Deutschlands und seine Außenpolitik sind bereits durch Art. 7 Abs. 2 in diesem Vertrag fixiert. Die Herren Amerikaner und Dr. Adenauer wünschen also ein an Händen und Füßen gefesseltes Deutschland, und diese Herrschaften wagen es noch, das Wort „Souveränität des Volkes" in den Mund zu nehmen. Um unser Volk zu verwirren, sprechen sie von einem friedlichen Weg zur Einheit Deutschlands. Meine Damen und Herren, eine Wiedervereinigung Deutschlands unter den Bedingungen der Ausdehnung, der Unterwerfung und des Anschlusses an die einseitig aggressive Militärallianz ist niemals auf friedlichem Wege durchsetzbar.
In Wahrheit handelt es sich hier um die Übertragung der Hitlerischen Anschlußpolitik auf den Osten Deutschlands.
Auch Hitler betrieb diese Politik auf "friedlichem" Wege. Erst Kriegsdrohung, dann Kriegsprovokationen und schließlich der Krieg selbst. Diese Politik verwandelte Deutschland und halb Europa in ein Trümmer- und Leichenfeld, um dann gesetzmäßig zusammenzubrechen. Leidtragende einer solchen Politik war und ist ausschließlich die deutsche Bevölkerung selbst. Mit Recht sagen die „Aachener Nachrichten" vom 22. Mai 1952 dazu:
Die wiederholten Erklärungen des Bundeskanzlers, daß man erst nach voller Einbeziehung Westdeutschlands in das westliche Verteidigungssystem die richtige Verhandlungsbasis gegenüber Sowjetrußland habe, erinnert zu stark an die Verhandlungsmethode Hitlers zur Wiedervereinigung mit Österreich, dem Sudetenland und Danzig nach vollzogener
Wiederaufrüstung Deutschlands, als .das man die Parallele zu dieser Entwicklung übersehen
könnte.
Und weiter schreibt diese Zeitung:
Dieser Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands führt mit einem so hohen Grad von Wahrscheinlichkeit zum Krieg, und zwar in erster Linie zum deutschen Bruderkrieg, daß jeden deutschen Politiker ein Grauen vor diesem Wege befallen sollte.
Im Sprachrohr des Herrn Bundeskanzlers, dem „Rheinischen Merkur", nennt Robert Ingrim die Dinge beim richtigen Namen. Er schreibt am 19. Juni 1952:
Entschlösse man sich zu dieser natürlichen Sprachweise, so würde jedem verständlich, daß die Aufgabe nicht Wiedervereinigung heißt, sondern Befreiung des Verlorenen.
Deutlicher kann auch der Herr Bundeskanzler nicht mehr werden. Das sollte aber jedem Abgeordneten hier im Bundestag zu überlegen geben. Wenn die Katastrophe nach der Ratifizierung dieses Militärbündnisses über unser Volk hereinbricht, kann kein Abgeordneter später sagen: Ich habe das Ausmaß meiner Entscheidung nicht gekannt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Hitlersche Ermächtigungsgesetz. Es gibt in diesem Bundestag Abgeordnete, die seinerzeit diesem Ermächtigungsgesetz die Zustimmung gaben und heute sagen, sie hätten die Auswirkung dieses Gesetzes nicht er-
kannt. Diese Ausrede, meine Damen und Herren, gibt es später, wenn Sie heute dieses Militärbündnis ratifizieren, für Sie nicht mehr.
In diesem Militärbündnisvertrag ist von der Herbeiführung einer frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelung die Rede, und es heißt dann weiter: „mögen auch gegenwärtig außerhalb ihrer Macht liegende Maßnahmen entgegenstehen". Diese gewundene Redeweise vermeidet bewußt das Wort „Friedensvertrag". Die einem Friedensvertrag gegenwärtig entgegenstehenden Maßnahmen sind die Verschleppungsmanöver der Westmächte und der Bundesregierung.
Einer der ältesten Rechtssätze der Menschheit verbietet es, sich zur Verneinung eines Rechtsanspruchs auf Umstände zu berufen, die man selbst geschaffen hat.
Genau darum handelt es sich hier. Die Sowjetregierung macht den alliierten Regierungen, die Organe der Deutschen Demokratischen Republik machen der Bundesregierung seit Jahr und Tag konkrete Angebote, um unter Beteiligung einer frei gewählten gesamtdeutschen Regierung einen Friedensvertrag für ganz Deutschland zu schaffen, dessen Grundlage die uneingeschränkte Souveränität des deutschen Volkes ist. Dr. Adenauer und auch Herr Ollenhauer sind den Vorschlägen der Volkskammer der DDR ausgewichen, indem sie die Ausrede erfanden, man müsse eine andere Reihenfolge für die Tagesordnung einer Viermächtekonferenz festlegen. Diese Ausrede hat der stellvertretende Ministerpräsident der DDR, Walter Ulbricht, zerschlagen, indem er erklärte: Die Frage der Tagesordnung braucht die Einberufung einer Viermächtekonferenz nicht zu verzögern. Denn es ist notwendig und möglich, daß gleichzeitig die für Deutschland höchst aktuellen Frage;_, die nationale Wiedervereinigung, der Friedensvertrag und der Abzug der Besatzungstruppen aus Deutschland, besprochen und entschieden werden. Es gibt unter Deutschen keine Frage, die man auf dem Wege der Verhandlung, auf dem Wege einer friedlichen Lösung nicht regeln könnte.
Vor dieser friedlichen Lösung der deutschen Frage haben die amerikanischen Monopol- und Bankherren und ihre deutschen Verbündeten, die Herren der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie mit Dr. Adenauer an der Spitze, Angst. Sie haben sich für den Krieg, für die Eroberung Osteuropas und für die „Integration Europas bis zum Ural" entschieden. Das ist die alte imperialistische Konzeption. Das ist der Versuch zur Eroberung der Weltherrschaft durch den absterbenden Imperialismus.
Im Punkt 4 des Berichts des Außenpolitischen Ausschusses heißt es, daß das Besatzungsstatut durch den Generalvertrag aufgehoben sei. Das, meine Damen und Herren, ist wohl die plumpste aller Lügen. Das einzig wahre Wort an den Behauptungen des Abs. 4 in der Präambel ist die Tatsache der Verwandlung des bisher einseitig dekretierten Besatzungsstatuts in einen nunmehr mit einer deutschen Unterschrift versehenen Protektoratsvertrag.
Die Verantwortung dafür hat der zu tragen, der die Unterschrift gab, und sie wird von jenen geteilt, die sie durch die Ratifikation bestätigen wollen.
Sachlich ergibt ein Vergleich zwischen dem Besatzungsstatut — das die Führung der SPD selbst als erste gefordert hat — und dem Generalkriegsvertrag folgendes: Ausgangspunkt des Besatzungsstatuts ist die Beibehaltung der obersten ausübenden Gewalt, die die drei Westmächte für sich in Anspruch nehmen. Meine Damen und Herren, ist dieser Ausgangspunkt durch den Generalkriegsvertrag aufgehoben worden? Hören Sie, was der französische Außenminister Schuman dazu sagt: Deutschland wird besetzt bleiben, nicht weil es damit einverstanden ist, sondern weil es unser Recht ist, das wir durch die Unterzeichnung der Verträge nicht verlieren.
Auch General Eisenhower sagte in Rom: Wir brauchen den westdeutschen Boden, seine Schätze und seine Menschenreserven.
Das Besatzungsstatut sieht neun Verbehaltsgebiete vor, in denen sich die Besatzungsmächte Sonderbefugnisse — z. B. das Einspruchsrecht gegen Gesetze — vorbehalten. Was ist nun aus diesen neun Vorbehalten geworden? Die Abrüstung und die Entmilitarisierung ist ersetzt durch die Aufrüstung, die Remilitarisierung auf der Grundlage unbefristeter Invasionen zugunsten der amerikanischen Bruderkriegsvorbereitungen in Deutschland. Die Kontrolle über das Ruhrgebiet ist verschärft durch die finanzielle Beherrschung und weitere Überfremdung auf Grund der Schumanplan-Gesetzgebung. Mit dem Schumanplan und seiner Hohen Behörde ist dem deutschen Volk endgültig das Verfügungsrecht über seine Grundstoffe, über die Wirtschaft entzogen worden. Bei den auswärtigen Angelegenheiten der Bundesrepublik eine Verschärfung durch Art. 3 des Generalvertrags! Dieser Artikel fesselt die Außenpolitik der Bundesrepublik an den amerikanischen Kriegskurs, überläßt den Westmächten die Führung der westdeutschen Außenpolitik mit der tatsächlich freien Welt, mit den Staaten des Weltfriedenslagers und sieht lediglich eine unverbindliche Beratung zwischen den drei Westmächten und der Bundesrepublik vor. Die Kontrolle über Außenhandel und Devisenwirtschaft ist verschärft durch die getroffenen Bestimmungen des Truppenvertrags, der Außenhandel Westdeutschlands bleibt nach wie vor in den Händen der Amerikaner, der Engländer und Franzosen. Keine deutsche Instanz hat das Recht, selbständig Außenhandel zu treiben. Alles unterliegt der Hohen Behörde der Montan-Union, an die der ganze Generalvertrag gekoppelt ist. Ja, selbst das Gericht der Hohen Behörde hat das Entscheidungsrecht über etwaige Differenzen, die sich aus dem EVG-Vertrag unter den Unterzeichnerstaaten ergeben. Mit dem Truppenvertrag kommt die westdeutsche Bevölkerung in den geradezu grotesken Zustand, daß die in Westdeutschland stationierten fremden Truppen in jeder Beziehung frei sind von Abgaben, Steuern usw., so daß allein aus diesem Truppenvertrag sich über 110 Vergünstigungen für die Besatzungstruppen gegenüber der deutschen Bevölkerung ergeben.
Das aber nennt Herr Dr. Adenauer die Ablösung des Besatzungsstatuts durch den Generalvertrag!
Aber es kommt noch weit schlimmer. Die Beachtung des Grundgesetzes, dessen Abänderungen nach Punkt 5 des Besatzungsstatuts der alliierten Genehmigung bedürfen, ist nunmehr ersetzt und in das Gegenteil gekehrt durch die organisierte Miß-
achtung des Grundgesetzes auf Grund des Notstandsrechts und der Standrechtsbefugnisse der Alliierten nach Art. 5 des Generalvertrags.
Alle Bestimmungen, die wenigstens dem Buchstaben nach noch die demokratischen Formen wahren, sowie alle Mindestsicherungen gegen eine Wiederkehr von Militarismus und Faschismus im Besatzungsstatut sind jetzt aufgehoben. Die Behauptung, daß die Auswirkungen des Besatzungsstatuts für die westdeutsche Bevölkerung durch den Generalvertrag aufgehoben seien, entspricht nicht der Wahrheit. Das Gegenteil ist der Fall. Dr. Adenauer und die hinter ihm stehenden rheinischwestfälischen Schwerindustriellen haben die nationale Freiheit und die staatliche Souveränität des deutschen Volkes weder erlangt, noch haben sie sie gewünscht.
Herr Dr. Adenauer, Herr Pferdmenges, Herr Henle, was Sie mit Abs. 4 der Präambel erreichen möchten, ist nicht die Beseitigung der amerikanischen Oberherrschaft, sondern eine Stärkung Ihrer Profitinteressen gegenüber den anderen europäischen Satelliten der USA-Monopol- und Bankherren.
Meine Herren, worum es Ihnen geht, das ist die Sicherung der verstärkten imperialistischen Entwicklung in Westdeutschland.
Sie, meine Herren, treten bereits wieder mit einem eigenen Ausplünderungsprogramm in Afrika, im Nahen Osten und in anderen Weltteilen auf. Das deutsche Volk weiß aus der Erfahrung zweier Weltkriege, was ihm von dieser blühenden „Monopolgemeinschaft" mit allen ihren Widersprüchen und Gegensätzen sehr bald blühen kann. Das deutsche Volk wird sein Souveränitätsrecht zu schützen wissen. Es wird kraft seines Selbstbestimmungsrechts jeden Eingriff in seine inneren und äußeren Angelegenheiten auf der Grundlage einer freien demokratischen Entscheidung der Nation zurückweisen, dem Besatzungsstatut die Anerkennung versagen, auch wenn es unter dem neuen trügerischen Namen „Deutschland-Vertrag" in reaktionär verschärfter Form wieder auftritt.
In Abs. 5 der Präambel wird der Generalvertrag samt seinen Vorbehaltsrechten der Drei Mächte mit den Besonderheiten der internationalen Lage begründet. Der Regierungsjurist Professor D r. G r e w e hat nach dem Bericht der Basler „National-Zeitung" vom 2. Oktober 1952 erklärt, die Besonderheit der internationalen Lage bestehe darin, daß ein Friedensvertrag zur Zeit nicht möglich sei. Auch in der offiziellen Begründung der Bundesregierung und in dem Bericht des Außenpolitischen Ausschusses wird der Generalvertrag als Ersatz für einen Friedensvertrag bezeichnet unter dem Hinweis auf die angeblich durch die sowjetische Politik entstandene Zwangslage.
Diese Erklärung der Bundesregierung ist eine offenkundige Geschichtsfälschung. Eine „besondere internationale Lage" gibt es in der Tat. Sie besteht in der Nichteinhaltung des Potsdamer Abkommens durch die drei Westmächte, in der Spaltung Deutschlands durch dieselben und in der beharrlich dem deutschen Volk und allen friedliebenden Völkern unverständlichen Weigerung der Westmächte und ihres deutschen Vertreters Dr. Adenauer, einen Friedensvertrag für ein geeintes, unabhängiges,
friedliebendes demokratisches Deutschland herbeizuführen. Gegenüber der beharrlichen Weigerung der Westmächte, unserem Volk einen Friedensvertrag zu geben, hat die Sowjetunion in zahlreichen Noten an die Westmächte immer wieder auf die Dringlichkeit, Notwendigkeit und Möglichkeit des Abschlusses eines solchen Friedensvertrages hingewiesen und bereits vor Monaten einen ausgearbeiteten Entwurf eines Friedensvertrags mit Deutschland der ganzen Welt vorgelegt.
Die drei Westmächte haben gegenüber diesen konkreten Vorschlägen nichts weiter als Ausflüchte gebraucht, wobei sie von Dr. Adenauer tatkräftig unterstützt worden sind. Der Präsident, die Regierung und die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik kämpfen unermüdlich für die Schaffung einer gesamtdeutschen Regierung auf Grund freier demokratischer Wahlen und für den Abschluß eines Friedensvertrags mit Deutschland. Der stellvertretende Vorsitzende der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik, Herr Matern, hat bei seinem Auftreten in Bonn vor der Presse wörtlich erklärt: Wir sind unbedingt für die Schaffung einer gesamtdeutschen Regierung; aber wir sind der Auffassung, daß gleichzeitig die Verhandlungen über den Friedensvertrag mit Deutschland aufgenommen werden müssen, die ohnehin umfangreich und langwierig sein werden. Es geht nicht an, den Abschluß de Friedensvertrags zu verzögern und währenddessen den Generalvertrag zu ratifizieren. Das deutsche Volk wünscht nicht eine separate Teilvereinbarung irgendeines Teiles von Deutschland mit irgendeinem. Teil der Großmächte. Es wünscht die Generalvereinbarung mit allen vier Großmächten, d. h. den Friedensvertrag, der dem ganzen deutschen Volke und allen Völkern Europas einen dauerhaften Frieden sichert.
Wir denken, daß es an der Zeit ist, nun unverzüglich den ersten Schritt zu tun und eine Kommission aus Vertretern des Bundestags und der Volkskammer der DDR zur Prüfung der Bedingungen für die Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen in ganz Deutschland zu bilden. Wir erklären zugleich, daß die Kommission auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik jede erforderliche Unterstützung und die volle Möglichkeit erhalten wird, ihre Aufgaben durchzuführen. Wir setzen dabei voraus, daß die gleichen Bedingungen für die Arbeit der Kommission auf dem Territorium Westdeutschlands geschaffen werden. Wenn wir so verfahren, wird der unfruchtbare Streit darüber, womit angefangen werden soll und welcher Punkt als erster auf der Tagesordnung stehen soll, überflüssig.
Meine Damen und Herren, die Meinung des ganzen deutschen Volkes geht dahin: die gefährlichen Besonderheiten der internationalen Lage müssen durch Verhandlungen der vier Großmächte und durch gemeinsames Handeln der beiden Regierungen in Berlin und Bonn beseitigt werden.
Statt dessen aber verfährt die Bundesregierung so: erst schafft sie im Verein mit den Okkupationsmächten die Besonderheiten der internationalen Lage, die auf ihrer mangelnden Verhandlungsbereitschaft, ihrer Angst vor dem Frieden, vor dem Ende der Spaltung Deutschlands und des Rüstungsgeschäfts beruhen, dann beruft sie sich auf diese von ihr geschaffenen Besonderheiten, um noch weit
gefährlichere Besonderheiten durch diesen Generalvertrag ins Leben zu rufen,
die Spaltung Deutschlands zu vertiefen, die Abhängigkeit Westdeutschlands zu vergrößern und die Kriegsgefahr zu verschärfen.
Das deutsche Volk wird eine solche Politik niemals begreifen.
Das deutsche Volk zieht aus logischen und moralischen Gründen gerade den entgegengesetzten Schluß: Wenn die Besonderheiten die Quellen allen Übels sind, muß man sie beseitigen, aber nicht noch steigern und vermehren.
Beseitigen wir also diese Besonderheiten; stellen wir in der Praxis fest, daß sehr wohl Verhandlungen über den Friedensvertrag mit Deutschland aufgenommen und die Voraussetzungen für gesamtdeutsche Wahlen geschaffen werden können! Dann entfallen mit den Besonderheiten nach den eigenen Worten der Bundesregierung die Voraussetzungen für den Generalvertrag und den EVGVertrag,
Verträge, deren Besonderheit es ist, das deutsche Volk in die nationale Katastrophe und Europa in den amerikanischen Krieg zu führen.
Bitte, meine Damen und Herren, fangen wir sofort an! Regeln wir die Frage in Berlin: Wir schlagen Ihnen vor, daß der Bundestag erklärt:
1. Die drei Westmächte werden aufgefordert, mit der Sowjetunion in Verhandlungen zu treten mit dem Ziel des sofortigen Abzuges aller militärischen Garnisonen aus Berlin, der Aufhebung der Sektorengrenzen und der Durchführung freier demokratischer Wahlen zu einem Gesamtberliner Magistrat.
2. Die drei Westmächte werden aufgefordert, das „Kleine Besatzungsstatut für Berlin" vom 8. März 1951 aufzuheben. Die Bevölkerung Westberlins muß unverzüglich ebenso wie die Bevölkerung Ostberlins alle im Grundgesetz garantierten demokratischen Rechte und Freiheiten erhalten. Die Tätigkeit faschistischer und militaristischer Organisationen sowie die Tätigkeit der in Westberlin bestehenden Spionage- und SabotageZentren muß verboten werden.
3. Die Erhebung von Sondersteuern für Berlin von der Bevölkerung Westdeutschlands wird sofort eingestellt.
4. Diese Regelungen sind als provisorisch zu betrachten und sollen Gültigkeit haben bis zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf demokratischer und friedlicher Grundlage.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung erklärt in hochtrabenden Worten, daß sie entschlossen sei, die im Grundgesetz verankerte freiheitlich-demokratische und bundesstaatliche Verfassung aufrechtzuerhalten. In der amtlichen Begründung zum Generalvertrag — auf Seite 6 — widerruft sie diesen Entschluß jedoch sogleich, auch namens und im Auftrage der drei Westmächte. Es heißt:
Die Bundesregierung übernimmt damit nicht
die Verpflichtung, das Grundgesetz in seiner
gegenwärtigen Form unverändert beizubehalten. Ebensowenig übernehmen die Drei Mächte irgendeine Art von Verfassungsgarantie, die durch Interventionen verwirklicht werden könnte.
Deutlicher konnte Herr Dr. Adenauer seine Absichten und die seiner Auftraggeber wohl nicht aussprechen. Der Weg zum Generalvertrag führt somit zur völligen Auflösung der bürgerlichen Gesetzlichkeit
und zum Faschismus.
Herrn Dr. Adenauer kommt es in Wahrheit nur darauf an, den demokratischen Schein zu wahren. Es soll so aussehen, als ob die Aufhebung der demokratischen Formen in demokratischer Form, als ob die Preisgabe der deutschen Souveränität und Unabhängigkeit mit Einverständnis des 'deutschen Volkes erfolgt wäre.
Diesem historischen Betrugsversuch begegnet das deutsche Volk nicht zum ersten Male. Auch Hitler liquidierte die demokratischen Formen der Weimarer Verfassung in der pseudodemokratischen Form des Ermächtigungsgesetzes.
Auch Hitler liquidierte die nationale Souveränität beispielsweise des tschechoslowakischen Staates „mit Einwilligung" seines damaligen Staatspräsidenten, des Verräters des tschechoslowakischen Volkes, Dr. Hacha.
Die Besonderheit bei der Wiederaufnahme der faschistischen Tradition besteht darin, daß sie sich' diesmal offen gegen das eigene Volk richtet und daß ihr betrügerischer Charakter in der amtlichen Begründung zynisch aufgedeckt wird. Wahrscheinlich denkt Herr Dr. Adenauer: „Wer liest schon die amtliche Begründung?" —
Aber, Herr Dr. Adenauer, täuschen Sie sich nicht! Das deutsche Volk nimmt diese Begründung zu seinen Akten und wird sie Ihnen später einmal vor Augen halten.
Im übrigen braucht Herr Dr. Adenauer gar nicht besonders anzukündigen, daß er sich an das Grundgesetz grundsätzlich nicht gebunden fühlt. Der verfassungswidrige Terror seiner Polizeiorgane, die verfassungsfeindliche Gesetzgebung, deren Initiator er ist, wie das Blitzgesetz, das Versammlungsgesetz, das Parteiengesetz. das Betriebsverfassungsgesetz, die Ausschaltung konsequenter patriotischer Volksvertreter, das amtliche Zusammenwirken mit Mordorganisationen wie dem BdJ — —
Herr Abgeordneter Reimann, Sie haben eine Zusammenarbeit der Regierung mit Mordorganisationen behauptet. Ich rufe Sie zur Ordnung!
Ich habe hier einen Ordnungsruf ausgesprochen. Wenn er Ihnen nicht paßt, dann gehen Sie auf dem geschäftsordnungsmäßigen Wege dagegen vor!
- Sie haben keine Lärmszene zu veranstalten!
Das enthält zusammengenommen seine Entscheidung für den Weg des Staatsstreichs in den Faschismus und für die Auslieferung der nationalen Souveränität an die amerikanischen Imperialisten. Die Unterschrift unter die Abkommen von Bonn und Paris krönt diese Entwicklung.
Der Inhalt dieser Verträge ist so ungeheuerlich, daß es jedem Deutschen den Atem verschlägt, der Gelegenheit hat, dieses Schandwerk eingehend zu studieren. Was mag erst in den Geheimverträgen stehen,
die Dr. Adenauer in Verbindung mit diesen Schandverträgen mit den Amerikanern, Engländern und Franzosen abgeschlossen hat?
Bis heute wagt er ,es nicht, den Bundestagsabgeordneten diese Verträge zu unterbreiten. Herr Dr. Adenauer verlangt aber, daß die Bundestagsabgeordneten, ohne daß sie die Geheimverträge kennen, dieses Schandwerk ratifizieren.
ich frage Sie, meine Damen und Herren, hat es in der deutschen Geschichte — mit Ausnahme der Nazis — jemals eine Regierung geben, die solch ein Spiel mit den nationalen Interessen des deutschen Volkes getrieben hat? Die Regierung eines anderen Staates, z. B. Englands, Frankreichs, Italiens, die das Parlament und die Meinung des Volkes so mißachtete, wie Dr. Adenauer das tut, würde keine 24 Stunden im Amte sein.
In Art. 4 des Generalvertrags, ebenso auch in Punkt I des Berichts des Auswärtigen Ausschusses wird von der Verteidigung der freien Welt und des gemeinsamen Erbes gesprochen. Man sagt, der Generalvertrag und seine Zusatzverträge wären sieben Jahre nach dem Zusammenbruch nicht denkbar ohne die weltbedrohende sowjetische Gefahr, ohne die Not, in die hierdurch die freien Völker geraten seien. Hier wird also offen ausgesprochen, daß die angebliche Verteidigung ,den Angriff auf die Sowjetunion und die mit ihr befreundeten Länder in Osteuropa und Asien meint. Um unser Volk zu täuschen, verkleidet man den Angriff mit dem Wort „Verteidigung". Schon im August 1950 forderte der verstorbene Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Dr. Schumacher: Die Alliierten müssen eine gewaltige Militärmacht an der Elbe konzentrieren, die in der Lage ist, die Entscheidung zwischen Weichsel und Njemen zu erzwingen. Die „Frankfurter Allgemeine" vom 14. März 1952 schreibt: Durch den Mund des deutschen Staatssekretärs Hallstein erfährt die Öffentlichkeit unseres Wissens zum erstenmal das eigentliche Ziel, das sich die Führer der westlichen Diplomatie gestellt haben, seitdem sie mit ihren Bemühungen begannen, die 'Bundesrepublik in die Gemeinschaft der westlichen Völker einzubauen. Der Staatssekretär nennt die Etappen des einzuschlagenden Weges: das Ende der deutschen Spaltung, den Zusammenschluß des freien westlichen mit dem vom Bolschewismus befreiten östlichen Europa bis zum Ural.
Anläßlich der ersten Lesung des Generalvertrags am 9. Juli 1952 beteuerte Dr. Adenauer den defensiven Charakter dieses Vertrages und sprach im gleichen Atemzug davon, daß in der Sowjetunion starke Expansions- und Aggressionskräfte in Erscheinung getreten seien. Worin sollen sich solche Kräfte geäußert haben? Bekanntlich hat die Sowjetunion nach 'Beendigung des Krieges eine erhebliche Einschränkung ihrer Streitkräfte vorgenommen, die heute zahlenmäßig nicht stärker sind als vor dem Kriege.
Nach dem zweiten Weltkrieg hat die Regierung der Sowjetunion innerhalb kürzester Frist ihre Truppen aus China, Korea, Norwegen, der Tchechoslowakei, Jugoslawien und Bulgarien abgezogen. Es ist allgemein bekannt, daß die Sowjetunion seit der Beendigung des zweiten Weltkrieges nirgends irgendwelche Kampfhandlungen führte. Die Sowjetunion riß nirgends fremdes Territorium an sich oder terrorisierte die Bevölkerung fremder Staaten mit bestialischen Luftangriffen.
Sie sprachen von Expansionsbestrebungen der Sowjetunion. Sie meinen damit doch nicht etwa die Tatsache, daß die Völker der Sowjetunion Sibirien mit seinen reichen Bodenschätzen der Menschheit erschließen? Oder meinen Sie damit etwa die Tatsache, daß diese friedliebenden Völker der Sowjetunion ganze Wüsten in fruchtbares Land verwandeln, durch Atomkraft den Lauf gewaltiger Flüsse verändern und Weltmeere durch Kanäle untereinander verbinden?
'Die Völker der Sowjetunion, an der Spitze ihre Regierung mit Stalin, wollen und werden niemals ein Land angreifen, auch Deutschland nicht.
Die Sowjetmenschen leben auf einem Sechstel der Erde. Sie haben Land und Bodenschätze genug. Sie und ihre Regierung wollen mit allen Völkern der Erde in Frieden und Freundschaft leben.
Gleichzeitig aber soll sich jeder Kriegstreiber, ob Amerikaner oder Deutscher, darüber im klaren sein, daß die Völker der Sowjetunion und mit ihnen die Völker Chinas sowie der Volksdemokratien zu einem vernichtenden Schlag ausholen werden, wenn es die Kriegsinteressenten wagen sollten, diese 800 Millionen Menschen, die ein Drittel der Erde bewohnen, anzugreifen.
Die USA dagegen haben ihre Streitkräfte nicht eingeschränkt, sondern sie sind bemüht, sie durch riesige Söldnerheere in Europa und der übrigen Welt zu vergrößern. Die Rüstungsproduktion ist nicht nur in den USA ungeheuer angestiegen, sondern mit Hilfe des Marshallplans auch in den west-
europäischen Staaten. Die USA weigern sich, den sowjetischen Vorschlägen zum Verbot der Atomwaffen und bakteriologischen Kampfmittel Gehör zu schenken. Die USA denken gar nicht daran, einen Friedensvertrag mit Deutschland in die Wege zu leiten, sondern sie sind mit dem Generalvertrag gerade dabei, die Frage des gesamtdeutschen Friedensvertrages von der Tagesordnung abzusetzen. Niemand anders als die USA und ihre imperialistischen Verbündeten führen Krieg gegen das koreanische Volk auf koreanischem Boden, auf dem sie nichts zu suchen haben.
Angesichts dieser Tatsache kann sich niemand der Erkenntnis verschließen, daß die Sowjetunion sich lediglich ihrem friedlichen Aufbauwerk des Kommunismus widmet. Darum ist es eine Lüge, von einem Verteidigungspakt gegen die Sowjetunion zu sprechen.
Es gibt nur die unverhüllte Angriffsabsicht der imperialistischen Kriegstreiber gegen die Sowjetunion und ihre Freunde und einen großangelegten hinterhältigen Anschlag auf das Leben der Völker, die sich an dem Kriegsbündnis der USA beteiligen.
Meine Damen und Herren. selbst Dr. Adenauer und seine Presse wagten es in der letzten Zeit kaum mehr, von sowjetischen Angriffsplänen zu fabulieren. Das hindert sie aber nicht, sich gegen die nicht einmal von ihnen behaupteteten sowjetischen Angriffe dennoch zu „verteidigen". Die „Schwäbische Landeszeitung" in Augsburg, die den AdenauerKurs in jeder Weise unterstützt, schreibt am 17. September:
Wir sind davon überzeugt, daß uns kein sowjetischer Angriff bevorsteht; denn vor Jahren hätte er dann noch viel leichter durchgeführt werden können als jetzt.
Die Zeitung muß dann zugeben:
Die USA haben eine polypenhafte Einkreisung der Sowjetunion mit strategischen Flugplätzen und einem Heer von Hilfstruppen begonnen, unter denen die Deutschen neben den Jugoslawen, Türken und Japanern ran- gieren.
Dr. Adenauer erklärte in einem Interview, welches er dem ,Nürnberger 8-Uhr-Abendblatt" am 4. Oktober dieses Jahres gab, die Gefahr eines bewaffneten Angriffs sei in den letzten zwei bis drei Jahren zurückgegangen. Gestern erklärte er in seiner Rede gerade das Gegenteil. Immer wie man's braucht! Bei der Wehrdebatte ein großer Katalog über die Gefahr aus der Sowjetunion und gestern auf Grund einer Meldung von London ein Katalog über angebliche Truppen und Aufrüstungen in der DDR!
Ich erlaube mir nun die Frage: Wozu braucht Herr Dr. Adenauer denn 70 000 deutsche Offiziere? Wozu braucht er 60 deutsche Divisionen, wie Herr Blank ankündigte? Die Antwort wird erleichtert durch Äußerungen des offiziösen Bonner Kommentators Robert Ingrim, die am 7. August 1952 im NWDR Köln fielen und über die die „Fuldaer Volkszeitung" vom 18. August dieses Jahres höchst anschaulich berichtet. Es heißt:
Ingrim ging sogar so weit, zu fordern, daß deutsche Kreise, insbesondere in Zusammenarbeit der Vertriebenen, schon jetzt ein Programm für die Eingliederung Böhmens in den
Reichsverband ausarbeiten sollten. Wer die l die Ausführungen Ingrims hörte,
— so sagte die „Fuldaer Volkszeitung" —mußte sich verwundert fragen, wie lange es wohl dauern wird, bis aus derselben Richtung der Ruf nach einem neuen Reichskommissariat für die Ukraine erschallt.
So also, meine Damen und Herren, sieht die ,,europäische Verteidigung" gegen den „Angriff aus dem Osten" aus. Die angriffslustigen Herren in Bonn könnten natürlich solche Reden nicht halten, wenn nicht hinter ihnen die Unterstützung der amerikanischen Gebieter wäre.
Die Bundesregierung soll in Art. 4 Abs. 2 versprechen, in vollem Umfange daran mitzuwirken, den Streitkräften im Bundesgebiet ihre Aufgabe zu erleichtern. Nicht genug, daß wir unser eigenes Todesurteil in diesem Generalvertrag unterschreiben sollen, wir Deutsche sollen selbst auch noch an seiner Vollstreckung mitwirken.
Herr Dr. Adenauer erklärte am 9. Juli 1952 im Bundestag, der Vorbehalt der Westmächte, ihre und andere ausländische Truppen auf dem Gebiet der Bundesrepublik zu stationieren, liege auch im deutschen Interesse. Herr Dr. Adenauer, das deutsche Interesse ist nicht das Interesse deutscher und ausländischer Kriegsinteressenten und Hitler-Generale!
Das deutsche Volk hat nur ein Interesse: in Frieden zu leben. Der deutsche Bauer hat Interesse an seinem Acker, der deutsche Arbeiter an seinem Arbeitsplatz, der deutsche Unternehmer an der Herstellung und dem freien Absatz deutscher Waren. Die deutsche Jugend will lernen und arbeiten für eine freie und friedliche Zukunft.
Natürlich haben die Amerikaner mit unserem Volk andere Interessen. Sie wollen unsere Jugend in ihre Weltherrschaftspläne einbeziehen, und wenn Professor Grewe meint, man sollte sich in Deutschland darüber im klaren sein, „daß Amerika nicht unbedingt die deutschen Divisionen braucht", so drückt er damit eine Drohung gegen das deutsche Volk aus.
Vom deutschen Standpunkt kann man dazu nur sagen: Wir hoffen, daß auch kein anderes Volk den amerikanischen Imperialisten und ihren Helfershelfern die Kastanien aus dem Feuer holen wird. Wir Deutschen aber sind für uns selbst verantwortlich.
Meine Damen und Herren, ich möchte nun zu den sogenannten Revisionsklauseln Stellung nehmen, auf die auch die sozialdemokratische Parteiführung so großen Wert legt. Dazu zunächst folgendes. Der Art. 7 konkretisiert die Spaltung Deutschlands durch ein ultimatives Entweder-Oder: entweder integriertes Gesamtdeutschland, das praktisch den Anschluß Ostdeutschlands mit Gewalt durchführen will, oder die andere Alternative: dauernde Spaltung Deutschlands. Diesem Zweck dient das absolute Vetorecht jeder der Drei Mächte gegen ein etwaiges Abkommen der Bundesrepublik über ein wiedervereinigtes Deutschland auf anderer Grundlage, d. h. als ein souveräner, friedliebender demokratischer Staat. Dieses Einspruchsrecht in der zentralen Lebensfrage des deutschen Volkes, von deren Lösung der Frieden in Europa abhängt, zeigt
den Charakter der Unterschrift Dr. Adenauers. Als Gegenleistung hat Dr. Adenauer sich zwar kein Einspruchsrecht, aber doch einen Anspruch auf Konsultation erwirkt für den Fall, daß die drei Westmächte in der deutschen Frage ihrerseits Schritte unternehmen. Es ist also die Sorge von Dr. Adenauer, von den Alliierten „verraten" zu werden, es ist seine Furcht vor einer friedlichen Verständigung unter den Großmächten, die ihn um diese bescheidene Schutzklausel hat fechten lassen.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Feststellung des Abs. 1 des Art. 7, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu einer friedensvertraglichen Regelung aufgeschoben werde. Das soll unter Bruch des Potsdamer Abkommens in erster Linie der Hetze gegen die von allen Alliierten anerkannte deutsch-polnische Grenze dienen, wobei die Amerikaner die Gebiete jenseits der Oder-Neiße gleichzeitig sowohl den revanchelüsternen Deutschen wie den konterrevolutionären Polen im Ausland in doppelzüngiger Weise anbieten; siehe amerikanischer Münchener Sender „Freies Europa".
Die Grenzklausel des Art. 7 soll aber auch die Annexion der Saar durch die französischen Imperialisten und die Grenzkorrekturen zugunsten Belgiens, Luxemburgs' und Hollands als „rechtlich möglich" erscheinen lassen. Das Ergebnis ist: Kriegsdrohungen gegen den Osten Deutschlands und den Westen Polens, Begünstigung der Landräubereien im Westen Deutschlands, Entmündigung des deutschen Volkes und Verewigung der Spaltung.
Der Charakter endgültiger Versklavung prägt sich noch einmal besonders deutlich in der sogenannten Revisionsklausel des Generalvertrags aus. Eine Kündigungsmöglichkeit ist in ihm überhaupt nicht vorhanden. Während das EVG-Abkommen immerhin auf 50 Jahre begrenzt ist. kann hier eine Revision am Einspruch eines einzigen Partners scheitern; und daß der Amerika heißt, darüber darf es wohl keinen Zweifel geben.
Praktisch gibt es keine Aufhebung oder Inhaltsänderung ohne amerikanisches Einverständnis.
Also ist der Generalkriegsvertrag samt allen Zusatzabkommen einer jener Verträge, die aus der Geschichte des Nazistaates bekannt sind,
doch verschärft die Unkündbarkeit und das tatsächliche Fehlen von Revisionsmöglichkeiten den tödlichen Charakter dieses Vertrags. Das deutsche Volk wird nie und nimmer diesen Schandvertrag anerkennen und keinerlei Verpflichtungen aus ihm übernehmen.
Das ganze Vertragswerk: Schumanplan, Generalvertrag, Zusatzverträge und EVG-Vertrag, ist miteinander verkoppelt und verbunden. Es ist in einer einzigen Hand, nämlich in der der amerikanischen Monopol- und Bankherren, vereinigt, die vor einigen Tagen ihre neue Regierung in den USA bekanntgegeben haben, An der Spitze steht General Eisenhower. Sein Außenminister ist John Foster Dulles, der Mann des berüchtigten Morgenthau-Plans. John Foster Dulles, der Außenminister' der amerikanischen Monopolherren, erklärte vor einigen Tagen, daß er den kalten Krieg gegen die Sowjetunion bis auf die Spitze treiben würde.
Kriegsminister ist der Generaldirektor der General Motors, Mr. Wilson, einer der aggressivsten Vertreter des amerikanischen Imperialismus und Hauptrüstungslieferant.
Diese Imperialisten interessiert Westdeutschland als Manövergelände, als Kriegsschauplatz und Rüstungsgebiet, diese Herren interessiert die westdeutsche Jugend als ihr Kanonenfutter. Das militärische Gebilde, das sich „Europäische Verteidigungsgemeinschaft" nennt, steht in Krieg und Frieden unter dem Kommando des amerikanischen Oberkommandierenden der Atlantikpaktarmee, ist also an der entscheidenden Stelle nicht „europäisch", sondern amerikanisch.
Der Zweck des Atlantikpaktes ist auf Angriff und nicht auf Verteidigung gerichtet.
Sie, meine Damen und Herren, sind nun aufgefordert, dieses Militärbündnis, welches Dr. Adenauer mit seiner Unterschrift versehen hat, mit Ihrer Zustimmung zu decken. Im Namen unseres ganzen Volkes, im Namen aller Menschen aus Ost- und Westdeutschland ermahne ich Sie in dieser für Sie und unser Volk entscheidungsvollen Stunde: Seien Sie sich der Verantwortung voll bewußt, die Sie bei der Entscheidung über die Ratifizierung fällen! Stimmen Sie der Ratifikation dieses Generalkriegsvertrag nicht zu! Unser Volk und die Völker Europas werden Ihnen in Zukunft dankbar sein, wenn Sie durch die Ablehnung der Ratifizierung dieses Kriegsvertrags den Frieden für das deutsche Volk und damit gleichzeitig den Frieden für Europa retten. Es gibt einen andern Weg als den, der uns von Dr. Adenauer und seinen in- und ausländischen Beauftragten in diesem Generalkriegsvertrag aufgezwungen werden soll. Das ist der Weg zur friedlichen Verständigung der Deutschen aus Ost und West über die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung, die Wahl zu einer deutschen Nationalversammlung, das sofortige Zusammentreten der vier Großmächte zu Verhandlungen über einen gerechten Friedensvertrag mit Deutschland, an der eine Kommission, bestehend aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands, teilnehmen soll. Setzen wir uns doch einmal zusammen, probieren wir, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, bevor dieses Schandwerk durch den Bundestag ratifiziert wird!
Die Unterschrift des Bonner Regimes unter dem Generalvertrag bedeutet Krieg und die Aufhebung der demokratischen Rechte des Volkes. Es kommt dies einem Staatsstreich gleich. Es ist darum nationale Pflicht, daß das ganze deutsche Volk dieses Adenauer-Regime stürzt.
Es soll eine Regierung gebildet werden, eine Regierung der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands.
Eine solche Regierung würde alle Voraussetzungen
besitzen, um die Feinde der nationalen Wiedervereinigung zu zügeln und unser Volk aus der be-
drohlichen Lage herauszuführen. — Sie rufen mir gerade zu: Eine Regierung aus Kommunisten! Nein, es soll sogar eine Koalitionsregierung sein, aber eine andere, als sie jetzt an der Macht ist.
Eine solche Regierung der nationalen Wiedervereinigung hätte sofort Maßnahmen zur Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen zu ergreifen. Sie hätte die Durchführung gesamtdeutscher Schritte bei den vier Großmächten mit dem Ziel des beschleunigten Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland und den Abzug aller Besatzungstruppen zu fordern. Sie hätte alle Verträge, die der Bevölkerung Westdeutschlands aufgezwungen würden und nicht dem Grundsatz der Gleichberechtigung entsprechen, zu beseitigen. Sie hätte die demokratischen Rechte und Freiheiten des Volkes wie das Recht der freien Meinungsäußerung, der Versammlungsfreiheit, das Koalitions- und Streikrecht im vollen Umfang wiederherzustellen. Eine solche Regierung müßte sofort die Terrororganisationen auflösen und die wegen ihres Kampfes für die nationalen Interessen eingekerkerten Patrioten wie den Diplom-Ingenieur Oskar Neumann und Karl Dickel befreien. Wenn an der Spitze Deutschlands eine solche Regierung stände, eine demokratische Regierung der nationalen Wiedervereinigung, die nicht gewillt ist, den ausländischen Unterdrückern als Tarnung und Stütze zu dienen, dann müßten die westlichen Besatzungsbehörden ihre Politik ändern,
dann wären sie gezwungen, sich mit dem vereinten Deutschland, mit dem Abschluß eines Friedensvertrages und mit dem Abzug der Besatzungstruppen einverstanden. zu erklären.
Mit dem Generalvertrag wollen seine Urheber die westdeutsche Bevölkerung schwach und ohnmächtig gegenüber ihren aus- und inländischen Unterdrückern machen. Diese Rechnung geht aber nicht auf. Das deutsche Volk in einem friedliebenden demokratischen Deutschland wird stark sein durch seine Arbeit und die freundschaftlichen Beziehungen zu den Nachbarstaaten. Es wird stark sein durch die Kraft des Volkes, das seine Heimat, das deutsche Vaterland neu gestaltet. Darum weg mit dem Generalkriegsvertrag, her mit dem Friedensvertrag für ein einheitliches Deutschland!
Das Wort hat Herr Abgeordneter von Thadden.
- Das Wort hat Herr Abgeordneter von Thadden und sonst niemand!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich bei der zweiten Lesung der Verträge nur mit einigen Einzelfragen befassen. Die zusammenfassende Behandlung der Verträge soll von uns erst in der dritten Lesung vorgenommen werden. Ich will nur drei Punkte aus den Verträgen herausgreifen.
Erstens die Frage der sogenannten „Kriegsverbrecher". Im Versailler Vertrag war seinerzeit ein Artikel untergebracht, in dem uns, Deutschland, die einseitige und alleinige Schuld am Kriege aufgebürdet wurde. In den zwanziger Jahren hat sich die verhängnisvolle Wirkung gerade dieses Artikels gezeigt. Ich glaube, daß die Kriegsverbrecherfrage sich ähnlich auszuwirken beginnt wie der Kriegsschuldartikel des Versailler Vertrages.
Zu diesem Problem haben wir vor uns den Mündlichen Bericht des Auswärtigen Ausschusses, und zwar den Bericht des Abgeordneten Professor Wahl. In diesem Bericht heißt es, daß das Abkommen hinter den Forderungen des Bundestages zurückbleibe, und dies sei tief bedauerlich. Meine Damen und Herren, dies ist nicht nur bedauerlich! Wir sehen hierin geradezu eine entscheidende Schwächung jedes deutschen Willens, sich an einer gemeinsamen Verteidigungsanstrengung zu beteiligen. Wir sind der Auffassung, daß es ausgeschlossen ist, von uns zu verlangen, deutsche Soldaten für eine Verteidigung des Westens zur Verfügung zu stellen, solange deutsche Soldaten von den Westmächten unter der Bezeichnung „Kriegsverbrecher" zurückgehalten werden.
Aber eins ist in dem Ausschußbericht nicht gesagt worden, nämlich daß in Artikel 6 des Vertrags unsererseits eine Anerkennung der Urteile ausgesprochen wird, die die Alliierten gegen Deutsche gefällt haben. In dem Absatz, durch den der gemischte Ausschuß eingesetzt wird, heißt es, daß dieser Ausschuß die Urteile hinsichtlich der Möglichkeiten der Entlassung usw. zu prüfen habe, „ohne die Gültigkeit der Urteile in Frage zu stellen". Also es ist den Deutschen in dieser Kommission nicht möglich, die berechtigten, ernsthaften und begründeten Zweifel an zahllosen dieser „Urteile" einer Willkürjustiz überhaupt zu äußern.
Wir werden immer wieder damit vertröstet, daß die gemischte Kommission ja demnächst anfangen werde, und das Problem werde sich so rechtzeitig lösen, daß die Frage der Kriegsverbrecher erledigt sei, ehe die ersten deutschen Soldaten eingezogen würden. Auch der Abgeordnete Blank hat ja in seiner Eigenschaft als Sicherheitsbeauftragter deutlich erklärt, er werde sich dafür verbürgen, daß kein deutscher Soldat in Uniform gesteckt würde, solange noch Deutsche hinter alliierten Gittern säßen. Wann treten aber diese gemischten Kommissionen in Tätigkeit? Nach dem Wortlaut des Vertrages erst nach der Ratifizierung. Wann ist die Ratifizierung durch Frankreich zu erwarten? Das kann noch Ewigkeiten dauern, und so lange bleibt die Frage ungeregelt, ein Tatbestand, der für uns schon beinahe ausreichend ist, den Vertrag abzulehnen.
Ein anderes Problem, das in diesem Vertrag nicht angeschnitten ist, aber jetzt durch einen Abänderungsantrag aufgeworfen wird, ist die Frage der Gefangenen in Frankreich. Wir begrüßen durchaus den Änderungsantrag der SPD auf Umdruck Nr. 713, daß die Ratifikationsurkunde erst dann von uns hinterlegt werden soll, wenn ein von der Bundesrepublik Deutschland mit Frankreich abzuschließendes Abkommen über die Behandlung der verurteilten und strafrechtlich verfolgten Kriegsgefangenen im französischen Gewahrsam in Kraft getreten ist. Man sage nicht, der Abschluß eines solchen Vertrags sei nicht möglich. Es gibt historische Beispiele dafür, daß solche Verträge
abgeschlossen und durchgeführt worden sind. So haben z. B. die Engländer Anfang des Jahrhunderts während des Burenkrieges den Feldmarschall Smuts zum Tode verurteilt. In dem Friedensvertrag, der dann zwischen Engländern und Buren abgeschlossen wurde, wurde das Problem der von den Engländern verurteilten Buren vertraglich ausdrücklich geregelt, und zwar dahingehend, daß sämtliche von den Engländern ausgesprochenen Urteile null und nichtig seien, mit dem Erfolg, daß selbiger Feldmarschall Smuts später zum höheren Ruhm Britanniens zweimal die Südafrikaner in den Krieg geführt hat. Das war eine Bereinigung eines solchen Problems, und gerade weil dies in einem solchen Vertrag einmal durchgeführt worden ist, sollten wir hier alle heute dafür sorgen, daß dieser Zusatzantrag angenommen wird, um so den Weg freizumachen für eine wirklich offene und ehrliche Zusammenarbeit.
Die Frage, ob dieser Änderungsantrag angenommen wird, ist meines Erachtens jetzt schon beantwortet, wenn wir uns an die Erklärungen der drei Koalitionsparteien — der CDU, FDP und DP — anläßlich der Kriegsverbrecherdebatte im September erinnern. Wenn alle, die damals dieses Problem eindeutig angesprochen haben, heute bei der Stange bleiben, wird die Regierung festgelegt werden, gegenüber Frankreich die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten.
Etwas anderes ist in dem Ausschußbericht ebenfalls vergessen worden. In Art. 7 heißt es nämlich, daß „alle Urteile und Entscheidungen in Strafsachen, die von einem Gericht oder einer gerichtlichen Behörde der Drei Mächte oder einer von ihnen bisher in Deutschland gefällt worden sind oder später gefällt werden, in jeder Hinsicht nach deutschem Recht rechtskräftig und rechtswirksam bleiben und von den deutschen Gerichten und Behörden entsprechend zu behandeln sind". Meine Damen und Herren, es ist doch wohl nicht ganz möglich, von uns zu verlangen, daß wir alles das als Rechtens anerkennen sollen, was in den Jahren nach dem Kriege an Unrecht und Willkür von Besatzungsgerichten in Deutschland vor sich gegangen ist.
Noch eine letzte Frage: Es ist uns immer wieder zur Begründung der Notwendigkeit des EVG-Vertrags gesagt worden, daß, wenn wir uns nicht beteiligten, die Verteidigung Europas eben am Rhein oder sonstwo im Westen erfolgen werde, niemals aber in einer Linie im Osten. Mit dieser einseitigen Darstellung hat Gott sei Dank rechtzeitig der englische Unterstaatssekretär Nutting vor zwei Tagen aufgeräumt, indem er nämlich erklärte, der Westen müsse sich ohne Rücksicht darauf, ob Deutschland wiederbewaffnet werde, an der Elbe verteidigen.
Meine Damen und Herren! Militärische Fragen sind - man muß wohl sagen: leider — in Deutschland wieder zu Lebensfragen geworden. Nur haben wir den Eindruck, der EVG-Vertrag, so wie er jetzt aussieht, bietet keine Garantie dafür, daß diese deutschen Lebensfragen auf militärischem Gebiet so angefaßt werden, wie dies notwendig ist. Unsere Lage ist doch insofern einfach — ich bin sofort fertig, Herr Präsident —,
als nämlich der Maßstab für das, was wir hier tun
müssen oder nicht, vorgeschrieben wird, und zwar
kategorisch vorgeschrieben wird durch das, was im
Osten vorhanden ist. Der Gegner, dessen Stärke bekannt ist, ist der Maßstab für das, was wir hier tun müssen. Der Bundeskanzler hat gestern nicht nur noch einmal eine Aufstellung der militärischen Kraft der Russen in der Ostzone gegeben; er hat auch darauf hingewiesen, was dort bereits unter dem Deckmantel „Volkspolizei" an militärischen Einheiten aufgestellt wird. Glaubt man, mit „integrierten Korps" und diesen Dingen einer militärischen Streitmacht, wie sie dort drüben vorhanden ist, bzw. in rapidem Tempo aufgebaut wird, beikommen zu können? Glaubt man, in einem Zeitalter, in dem es nur noch nach Panzerstunden und Fallschirmjägerminuten geht, mit Infanteriedivisionen herumoperieren zu können? Mit der Truppe, die hier unter dem Motto des EVG-Vertrags aufgemacht werden soll, werden wir dem Russen nicht den erforderlichen Respekt einflößen können, der ihm eingeflößt werden muß, wenn er davon abgehalten werden soll,
in kriegerische Experimente hineinzugehen.
Es ist so. Und da kommt noch ein anderes Argument hinzu: Es geht nicht mehr darum, daß in einem Krieg die letzte Schlacht gewonnen wird, vielmehr kommt alles darauf an, daß unsere Truppen geeignet sind, die erste Schlacht zu gewinnen; denn an der letzten Schlacht sind wir in einem längeren Krieg uninteressiert.
— Die erste Schlacht — ich will Ihren Zwischenruf aufnehmen - soll verhütet werden. Sie wird aber nur verhütet werden, Herr Strauß und Herr Euler, wenn hier eine wirklich respektgebietende Streitmacht vorhanden ist; eine solche respektgebietende Streitmacht ist — Sie werden die Einzelheiten des EVG-Vertrages genau so kennen wie ich, Herr Strauß —
nicht vorhanden. Im Gegenteil, manches was dort festgelegt ist — vielleicht, weil man im Augenblick nichts Besseres hat —, kann niemals dazu führen, Truppen, die vollmotorisiert, vollbeweglich und gut geführt sind, aufzuhalten.
Vizepräsident Dr. Schäfer Herr Abgeordneter, ich muß bitten, zum Schluß zu kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen, Sie haben sie schon überschritten.
Ein letztes Wort!
Aber wirklich ein letztes Wort! Sie haben Ihre Redezeit schon erheblich überschritten. Also noch einen Schlußsatz, aber nicht ein „Schlußwort" ohne Begrenzung.
Sämtliche militärischen Einzelheiten sind aber sinnlos, wenn sie nicht in ein politisches Konzept eingebaut sind, das in derselben Richtung läuft, wie die militärischen Anstrengungen gedacht sind.
Wir sind der Überzeugung und werden in der dritten Lesung auf diese Frage eingehen,
daß das politische Konzept des Generalvertrages
und des EVG-Vertrags auf entscheidende deutsche Ansprüche und Lebensrechte nicht in dem erforderlichen Maße Rücksicht nimmt, daß uns vielmehr nur etwas vorgegaukelt wird.
Herr Abgeordneter von Thadden, ich muß bitten, jetzt zu schließen. Ich habe Sie mehrfach aufgefordert.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bertram.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich von der Fraktion der Föderalistischen Union namens der Zentrumspartei zu Ihnen spreche, muß ich darauf hinweisen, daß zum Unterschied von den Fraktionskollegen der Bayernpartei eine größere Anzahl von uns sich gegen die Verträge, insbesondere gegen den Generalvertrag, aussprechen wird.
Es ist mir wichtig, festzustellen, daß der Bundeskanzler gestern darauf hingewiesen hat, der gute Glaube könnte bei allen oder jedenfalls den meisten Abgeordneten vorausgesetzt werden, ob sie mit Ja oder mit Nein stimmten, aber ein Nein sei für die Verbauung des Weges nach Europa ursächlich.
Meine Damen und Herren, stimmt diese Behauptung wenigstens in ihren Grundzügen? — Die Behauptung ist falsch! Sie übersieht einige wichtige weitere zukünftige ungewisse Ereignisse, von denen es abhängen wird, ob dieser Weg überhaupt gangbar ist. Sie wäre zunächst einmal nur dann richtig, wenn sich im Bundestag eine Mehrheit gegen den EVG-Vertrag ausspräche. Sie werden mir entgegenhalten: „Aha, damit rechnen Sie!" Nichts ist falscher als das. Wir gehen davon aus, daß der EVGVertrag in seiner jetzigen Form verfassungswidrig ist und dem Geist des Grundgesetzes widerspricht. Wir fühlen uns diesem Geist des Grundgesetzes verpflichtet und können nicht einsehen, daß wir wegen irgendwelcher politischen Dinge gegen den Geist des Grundgesetzes verstoßen dürfen.
Diese Auffassung wird unserer festen Überzeugung nach vom Bundesverfassungsgericht bestätigt werden. Wir sind sicher, daß das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit, insbesondere zahlreicher Bestimmungen des EVG-Vertrags, ebenso annehmen wird, wie es verschiedene Gutachter getan haben. Wenn die Bundesregierung die Abstimmung vor dem Termin des Gutachtens des Bundesverfassungsgerichts gewünscht hat, so sicherlich deshalb, weil sie nicht mit Unrecht befürchten muß, daß vom Bundesverfassungsgericht eine Verfassungswidrigkeit festgestellt wird.
Wir sind der Ansicht, daß der Grundrechtekatalog nicht einfach auf dem Weg über Art. 24 des Grundgesetzes außer Kraft gesetzt werden kann: der Grundsatz der freien Berufswahl, der Grundsatz der Koalitions- und Versammlungsfreiheit, der Grundsatz der Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere aber die Substanzgarantie des Art. 19 des Grundgesetzes. Wenn die Regelungen des EVGVertrags, insbesondere des Militärprotokolls, so wie sie jetzt vereinbart sind, Wirklichkeit werden sollten, wäre damit die Substanzgarantie der Freiheitsrechte des Grundgesetzes gegenstandslos, und das Grundgesetz würde einen inhaltlich völlig anderen Charakter erhalten.
— Natürlich, wir wollen die Entscheidung abwarten; aber wir sind dieser festen Überzeugung und können von der Verfassungsmäßigkeit auch dann nicht abweichen, wenn behauptet wird, unsere Treue zur Verfassung sei in der einen oder anderen Richtung politisch nachteilig.
Jetzt komme ich aber zu dem meiner Ansicht nach vom Herrn Bundeskanzler ebenfalls übersehenen zukünftigen ungewissen äußeren Ereignis, das für die Beurteilung wichtig ist. Das ist die Frage, ob es überhaupt richtig ist, daß Verhandlungen mit den anderen Mächten aussichtslos seien. Der Bundeskanzler hat erklärt, in schwerwiegenden Dingen seien ja Verhandlungen aussichtslos. Meine Damen und Herren, demgegenüber ist festzustellen, daß die Bundesregierung in der Frage der Wehrverfassung die gleiche Auffassung vertritt, wie sie die Franzosen und wie sie die Italiener vertreten, daß sie aber überhaupt nicht den Versuch gemacht hat, eine Wehrverfassung durchzusetzen, die dem Geist des Grundgesetzes entspricht. Solange ein Versuch der Verhandlungen nicht unternommen worden ist, kann man schwerlich behaupten, daß hier eine Verhandlung aussichtslos wäre.
Die vierte ungewisse äußere Tatsache, die den Weg des Vertrages ebenfalls beeinflussen kann, ist die Entscheidung der französischen Kammer. Wir wissen nicht, wie diese Entscheidung ausfallen wird.
Endlich aber ist in Art. 131 Satz 2 des EVG-Vertrags ausdrücklich ausgeführt, daß die Bestimmungen des Vertrags gemäß den verfassungsmäßigen Bestimmungen jedes Mitgliedstaates auszuführen seien. Wenn dies richtig ist, so haben die vertragschließenden Staaten bereits vorgesehen, daß die Bestimmungen nur im Rahmen des Verfassungsrechtes möglich seien, d. h. also, daß es darauf ankommen wird, welche Rechtssätze unsere deutsche Verfassung für unsere Wehrverfassung aufstellt und daß diese Rechtssätze auch für die anderen vertragschließenden Partner maßgebend sind, daß also die Alternative, die sich stellt, nicht ist: EVGVertrag oder nicht, sondern: EVG-Vertrag im Rahmen des deutschen Verfassungsrechtes. Das ist in Art. 131 bereits gesagt, so daß eine entsprechende Stellungnahme von unserer Seite keineswegs das bedeutet, was der Bundeskanzler hier gestern unterlegen wollte, sondern bedeutet: die inhaltliche Akzeptierung des Vertrages, aber im Rahmen des geltenden deutschen Verfassungsrechts.
Es ist richtig, wenn man darauf hinweist, daß für den Vertrag nur diejenigen Einzelheiten entscheidend sind, aus denen sich die grundsätzliche politische Linie ergibt. Es ist immer so bei Verhandlungen, daß der eine etwas will und der andere etwas gibt und daß bei solchen Verhandlungen ungünstige Punkte sich in Hülle und Fülle ermitteln lassen, für die eine Seite und für die andere Seite. Man braucht dazu gar keine Lupe, von der der Herr Bundeskanzler gestern sprach. Die ungünstigen Dinge drängen sich geradezu auf. Trotzdem müssen die grundsätzlichen Dinge, die in dem EVGVertrag geregelt sind, wenn sie lebensnotwendig sind, zu einer entsprechenden Stellungnahme führen.
Hier ist der Hauptgrundsatz des EVG-Vertrags, der für unser ganzes inneres politisches Leben von
entscheidender Bedeutung ist, der Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht und des stehenden Heeres, der im Militärprotokoll in zahlreichen Bestimmungen so eingehend geregelt ist, daß wir kaum noch eines deutschen Wehrgesetzes bedürfen. Im Militärprotokoll sind alle die Dinge, die sonst in einem nationalen Wehrgesetz enthalten zu sein pflegen, bereits geregelt. Die historische Wurzel dieser Auffassung, die von den vertragschließenden Staaten protokolliert worden ist, liegt offen zutage. Allgemeine Wehrpflicht und stehendes Heer sind charakteristisch für die demokratisch organisierten Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts. Dabei weiß man nicht, was die Wurzel ist und was die Frucht ist. Ein innerer geistiger Zusammenhang zwischen Wehr- und Staatsverfassung ist aber allgemein anerkannt.
Die französische Revolution von 1789 schuf das stehende Heer mit allgemeinem Wehrzwang. Allerdings kamen bald die Stellvertretungsmöglichkeit und die Möglichkeit des Loskaufens vom Wehrdienst auf. Die geistige Grundlage dieser folgenschweren Entscheidung der französischen Revolution war der Geist der Expansion des den Mehrheitswillen verkörpernden Staates, und dieser Geist hat sich in der Folgezeit ja als für die französische Revolution charakteristisch gezeigt. Die Abschaffung des Königtums, die Beseitigung aller Standesunterschiede brachte damit der Staatsmacht Zuwachs nach innen und außen. Die französische Revolution hat deshalb insofern die Erbschaft des absoluten Staates angetreten, mit einer breiteren moralischen Basis und nach außen greifenden Ansprüchen, die sich in der Einrichtung des stehenden Heeres auf der Basis der allgemeinen Zwangsaushebung kundtut.
1 Die preußischen Heeresreformen, die Scharnhorst eingeleitet hatte, hatten andere geistige Wurzeln. Die Reformidee eines Scharnhorst basierte auf dem Ideal der persönlichen Freiheit. Die Einschränkung der persönlichen Freiheit zugunsten des Staates war nach seiner Meinung nur gerechtfertigt bei einer unmittelbaren Bedrohung der nationalen Unabhängigkeit. Er wollte deshalb den militärischen Zwangsdienst aller Bürger nur vorübergehend und kurzzeitig. Sein Ziel war das stehende Heer aus Berufssoldaten und daneben eine Miliz mit kurzer Dienstzeit auf Zwangsbasis. Seine Auffassung kommt in dem Satz zum Ausdruck, daß die Wehrverfassung Ausdruck des Geistes der neuen politischen Ordnung sein müsse.
Wir stehen in einer ähnlichen Situation wie damals Scharnhorst, der der Erneuerer der preußischen Armee sein wollte. Diese Auffassungen eines Scharnhorst sind gescheitert — und das sollte man doch bedenken — an dem Einspruch eines Napoleon. Napoleon hat es unterbunden, daß wir eine solche Wehrverfassung bekommen haben. Napoleon ist es gewesen, der dies verbot und deshalb die allgemeine Wehrpflicht mit stehendem Heer für Preußen erzwang. Die Wirklichkeit wurde deshalb ganz anders, als Schamhorst sie in seinem idealen Denken vorgesehen hatte. Die Wirklichkeit bedeutete lediglich Machtzuwachs des absoluten Staates, Machtzuwachs Preußens nach außen und innen, aber keinen Zuwachs an freiheitlicher Gesinnung und keine dauernde Erhaltung. Dementsprechend ist auch in Deutschland die allgemeine Wehrpflicht niemals voll durchgeführt worden. Zahlreiche Menschen waren davon befreit. 1913 waren 52 % aller Wehrpflichtigen erfaßt, 48 % waren befreit. Aber
auch in anderen Ländern wie in der Schweiz war es um die gleiche Zeit ähnlich.
Auch die freiheitliche Gesinnung, von der Scharnhorst geträumt hatte; wurde nicht Wirklichkeit. Der Geist des Militarismus, eine Folge des Subordinationsverhältnisses der Zwangsrekrutierten gegenüber den freiwilligen Berufsoffizieren, drang tief in die deutsche Wehrverfassung ein, infolgedessen ein weitgehender Mißbrauch der Autorität, Überspannung der Unterordnung, mechanischer Drill und Kastengeist häufig zu beobachtende Erscheinungen. Alles eine Folge des Systems der Zwangsaushebung im System des stehenden Heeres.
Daß diese Schlußfolgerung richtig ist, ergibt sich daraus, daß wir mit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht und eines stehenden Heeres 1936 die gleichen Erscheinungen wieder beobachten konnten. Wir konnten Ende der 30er Jahre wieder sehen, wie das Strafexerzieren eingeführt wurde. Man konnte, wenn man auf einen Kasernenhof kam, erleben, wie ein Offizier mit der Reitgerte auf und ab winkte und wie sich die Männer im gleichen Rhythmus auf dem Kasernenhof zu erheben und hinzuwerfen hatten. Man konnte erleben, wie beim Exerzieren der Druck über alles gesetzt wurde, statt Korrektur der Fehler und statt Kampfsport einzuführen. Die Verwendung der Reserveoffiziere während des Krieges in vorderster Linie, während man das Leben der aktiven Offiziere für wertvoller hielt und deshalb zu schonen suchte, gesellschaftliche Schranken, alles das sind Dinge, die wir alle beobachtet haben und die eine Folge der fehlerhaften Wehrverfassung sind, eine Folge des absoluten Staatsdenkens, das sich in dieser Wehrverfassung ausdrückt.
Das Kontingentsystem und die allgemeine Wehrpflicht, insbesondere wie sie der EVG-Vertrag vorsieht, lassen sich nicht vereinbaren; je zahlreicher nämlich die Uk-Stellungen, desto zahlreicher sind die dann eintretenden und zu erwartenden Korruptionsfälle. Freiwillige sind nicht, wie man das oft so sagt, Söldner, während Ausgehobene Deutsehe sind, die mit dem ganzen Volke enger verbunden sind. Freiwillige sind Deutsche wie Ausgehobene auch. Vor allem aber ist nach dem EVGVertrag vorgeschrieben, daß sämtliche Offiziere Freiwillige sein müssen. Dieses Argument also, daß der Söldner weniger volksverbunden sei, würde gerade das künftige Offizierskorps treffen, das sowieso freiwillig sein muß. Wenn im Hunderttausendmannheer eine starke Isolierung dieses Truppenkörpers vom Volke stattgefunden hat, so lag das nicht an den Soldaten, sondern es lag in der Person des Führers begründet; es lag an der Person des Herrn von Seeckt. Wenn wir einen anderen Chef gehabt hätten, so wäre auch der Geist dieser Truppe ein anderer gewesen. Der Soldatenstand ist ein Stand wie die anderen Stände auch. Er ist Teil der gesamten Gesellschafts- und Staatsordnung, wenn Standesdünkel in ihm nicht zugelassen wird.
Entscheidend wichtig ist deshalb die Auswahl der höheren Führer durch ein parlamentarisches Gremium. Als ich diesen Vorschlag in der ersten Debatte hierzu machte, hat man mir entgegengehalten: „Wie Fritzchen sich den Krieg vorstellt!" Heute sehen wir, daß der Bundeskanzler selbst die Sorge um die Auswahl der höheren Führer hat und deshalb ein Gremium von bewährten Persönlichkeiten für die Auswahl dieser Führer vorgeschlagen hat, allerdings — das ist ein wesentlicher Unterschied — nicht im parlamentarischen Raum, sondern im
außerparlamentarischen Raum, ein Gremium, das der Form der Regierung, wie er sie liebt, offenbar besser gefällt als das Gremium, das wir vorgeschlagen hatten.
Die Auswahl der Soldaten, die dienen müssen und die nicht dienen müssen, durch lokale Bürgerkomitees ist hierbei ein Weg, der ernsthaft erwogen werden sollte. In den USA ist es beispielsweise so, daß für jedes Wehrbezirkskommando derartige lokale Bürgerkomitees gebildet worden sind, um eine Korruption von vornherein unmöglich zu machen. Überall, wo es möglich ist, müssen deshalb in einem kommenden Heer zivile Kontrollen eingebaut, zivile parlamentarische Überwachungsorgane vorgesehen werden, um von vornherein das Aus-der-Hand-Gleiten dieses Körpers aus dem Staatsverband zu verhindern.
Der demokratische Staat wird nicht nur an der Front von den kämpfenden Soldaten im Kriege verteidigt, sondern von allen Mitgliedern des Staates, die irgendeine nützliche Funktion haben. An der Front waren schon im letzten Kriege nie mehr als ein paar Prozent eingesetzt. Die Technisierung hat den Prozentsatz der unmittelbaren Frontsoldaten außerordentlich herabgedrückt. Eine allgemeineVerteidigungsmöglichkeit wie in den Wagenburgen der Zimbern und Teutonen gibt es heute nicht mehr. Außerdem ist im Kriege das ganze Volk in Lebensgefahr. Ein Kruppscher Arbeiter, der während des ständigen Bombenhagels auf Essen regelmäßig seine Arbeitsstätte trotz der damit verbundenen Gefahr aufsuchte, war nicht weniger Soldat als ein Soldat, der unmittelbar an der Front eingesetzt war. Deshalb ist es auch nicht mehr gerechtfertigt, dem Soldatenstand eine Bevorzugung wegen des angeblich höheren Opfers, das er dem Staat zu bringen bereit ist, angedeihen zu lassen.
Tatsächlich muß, wenn ein Kriegsfall eintritt, das ganze Volk diesen soldatischen Geist, diesen Opfergeist aufbringen, wenn überhaupt eine wertvolle Verteidigung möglich sein soll.
— Gestatten Sie bitte: Da in diesem EVG-Vertrag alle Fragen, die in einem deutschen Wehrgesetz geregelt werden könnten, bereits bestimmt sind,
kommt es hier darauf an, Sie davon zu überzeugen,
daß die Annahme dieser Bestimmungen des Militärprotokolls der entscheidende Fehler ist, der entscheidende Fehler, der unser Grundgesetz völlig
umkrempelt und uns damit für die Richtung festlegt, in der ein Wehrgesetz gemacht werden könnte.
— Ich habe nicht nur den Ausschußbericht durchgesehen, sondern ich habe insbesondere auch den Text durchstudiert.
Es wird darauf hingewiesen, daß die Bildung der Reserven durch eine allgemeine Wehrpflicht, wie sie im EVG-Vertrag vorgesehen ist, eher möglich sei als auf Grund der Freiwilligkeit. Dazu ist zunächst zu sagen, daß bis zum Jahrgang 1929 sämtliche Jahrgänge ausgebildet sind. Freiwilligenverbände werden ohnedies eine Aufstellungszeit
von mehreren Jahren nötig haben. Weitere Reservebildung, wie sie Herr Blank wiederholt angekündigt hat, von jährlich schätzungsweise 300 000 Mann wäre aber höchst bedenklich, denn der Defensivzweck des Paktes kann ohne Millionen von ausgebildeten Reservisten erfüllt werden. Was sollen daher die jährlichen 300 000 Mann neuer Reservisten?
Diese Verträge sind doch kein Selbstzweck. Diese Verträge haben doch den Zweck, eine Verhandlungsbasis zu schaffen, ferner eine Verteidigung zu ermöglichen und von dieser Verhandlungbasis aus mit Rußland die Wiedervereinigung ganz Deutschlands zu fördern. Deshalb kommt es entscheidend darauf an, daß nach Herstellung des defensiven Heeres im Rahmen der EVG, was wir bejahen, diese Verhandlungbasis alsbald auch genutzt, wird. Und wenn wir verhandeln, so werden wir uns auch darüber klar sein müssen, daß insbesondere die Abrüstungskonvention ein wertvolles Mittel der Verhandlung mit Sowjetrußland sein wird. Gerade auf dem Gebiet der vertraglichen Rüstungsbegrenzung liegt eine der Möglichkeiten für Verhandlungen mit Sowjetrußland. Anders kann ich den Standpunkt nicht verstehen, daß mit diesen Verträgen eine Verhandlungsbasis geschaffen werden soll.
Die in der allgemeinen Wehrpflicht des stehenden Heeres erfolgende militärische Erziehung ist auch kein Ersatz für eine sonstige Erziehung unserer Jugend. Wehrzwang bringt den jungen unfertigen Menschen in eine Umgebung, in der keine Gelegenheit zur Bewährung des persönlichen Willens gegeben ist. Alle persönlichen Lebensbedürfnisse werden von dritter Seite befriedigt, Essen und Trinken, Wohnen und Schlafen, Kleidung usw. Der junge Mensch ist nur ein unselbständiger Teil eines Ganzen. Man wird dort dasselbe erleben wie bei dem Musterschüler eines Internats, der in einem Internat wundervoll funktioniert hat, in dem Augenblick aber, da er sich im Leben bewähren soll, versagt. Unser Ideal ist demgegenüber die in sich selbst gegründete und der Gemeinschaft aus freiwilligem Tun verantwortliche Persönlichkeit.
Notwendig ist daher die Errichtung entsprechender Schulen zur Erziehung der Jugend sowie Förderung des Vereinslebens.
Das vertraglich vorgesehene deutsche Kontingent ist auch auf der Basis der Freiwilligkeit möglich; das kann man aus den Zahlen der Hilfsverbände bei den Besatzungsstreitkräften ohne weiteres ersehen. Außerdem könnte man mit der von uns vorgeschlagenen Form einer Wehrverfassung, wie sie seinerzeit auch Scharnhorst vorgeschwebt hat, die anwachsenden französischen Befürchtungen zerstreuen, daß die Zahl der deutschen Verbände die der französischen übersteigen könnte. England und Amerika haben zwar die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, diese Länder sind aber für uns nicht maßgebend. Die beiden Mächte haben das deutsche Beispiel auf Grund einer unzutreffenden Analyse nachgeahmt. Auch im Dritten Reich waren die besten Verbände Freiwillige: Luftwaffe, Fallschirmjäger, Panzertruppen und Marine.
Das Wiederaufleben des militaristischen Geistes und die Überbetonung des Staates sind unausweichlich, wenn ein stehendes Heer mit allgemeiner Wehrpflicht eingeführt wird. Die öffentliche Debatte darüber zeigt schon, welchen Geistes dieje-
nigen sind, die die Wehrverfassung und das Leitbild eines künftigen deutschen Soldaten geschaffen haben. In dem Juli-Heft der Zeitschrift „Wehrwissenschaft" heißt es wörtlich:
Im Soldatentum liegt ein Appell an die Tugenden des ewig Männlichen. Auf dem Schlachtfeld erfolgt die Bewährung des Mannes. Es handelt sich um metaphysische Zusammenhänge.
Die Gemeinschaft des Schlachtfeldes als Mythologie des ewig Männlichen anzuerkennen, das ist der Geist, wie er in — —
— General von Sodenstern!
—Verzeihung! Ich habe nur zitiert, und wenn Sie diese Äußerung als „dummes Zeug" bezeichnen, so sprechen Sie mir aus der Seele. Ich weise nur darauf hin, daß gerade diese Auffassung in einer Armee, wie sie im EVG-Vertrag vorgesehen ist, unausweichlich sein wird, wie die Geschichte bewiesen hat. Wir müssen den Willen und müssen den Willen und die Einsicht des Soldaten gewinnen. Diesen Willen und diese Einsicht können wir aber nicht gewinnen, wenn der Soldat die Ungleichmäßigkeit der Aushebung, die die zwangsläufige Folge des vorgesehenen Kontingentsystems ist, erkennt und wenn die Unlust der zwangsweise Ausgehobenen dem Willen der Ausbilder gegenübertritt, diese unlustigen Menschen zu wahren Soldaten zu machen. Die Unlust der Ausbilder ist dann die notwendige Folge und damit die Untugend, die wir Militarismus nennen. Die Bevorzugung der allgemeinen Wehrpflicht ist eine Folge der Staatsüberschätzung, einer Krankheit unserer Zeit, eine Unterschätzung der moralischen Idee. Es ist ein Widerspruch zum Geist unseres Grundgesetzes.
Heute hat sich allmählich und dann und wann ein anderer Geist erhoben. Er hat sich noch nicht
durchgesetzt, aber er ist im Grundgesetz in verbindlichen Artikeln zum Ausdruck gekommen: der Geist der freiwilligen Hingabe an eine Aufgabe und der freiwilligen Einordnung in eine geordnete Gemeinschaft. Diesem Geist entspricht der Appell an die moralischen Fähigkeiten des Menschen in der Erwartung von Höchstleistungen durch Erziehung und freiwillige Gemeinschaftsarbeit. Nur eine schrittweise Aufstellung von Wehrverbänden, bestehend aus Freiwilligen, kann diesem Geist entsprechen. Spätere Milizverbände aus kurzzeitig Dienenden sind daneben möglich, wenn hierbei eine Berufsunterbrechung vermieden wird. Daß eine solche Wehrmachtsform gleichzeitig den militärischen Bedürfnissen auf das Beste entsprechen würde, ergibt sich aus der militärischen Literatur, die ja allgemein anerkennt, daß im Zeitpunkt der schnellen Kriege, im Zeitpunkt der Blitzkriege das Kontingent all der Reservisten viel zu langsam an die Brennpunkte gelangt und daß wir eine Feuerwehrarmee brauchen, eine Feuerwehrarmee, die jederzeit einsatzbereit ist, um ihre defensiven Zwecke zu erfüllen.
Es gibt keine wesentlichen politischen Schwierigkeiten, wenn die deutsche Bundesregierung an die anderen Mächte entsprechend herantreten würde und sie nur das deutsche Kontingent in der erforderlichen Höhe auf andere Weise zu stellen verspricht. Diese entsprechenden Möglichkeiten ergeben sich bereits aus Art. 131 des EVG-Vertrags.
Es kommt hinzu, daß unbekannte Geheimklauseln vorhanden sein sollen. Unbekannte Geheimklauseln aber sind für uns unannehmbar. Wir wissen nicht, was darin steht. Wir können nur aus der Tatsache, daß diese Geheimklauseln vertraglich vereinbart worden sind, den Schluß ziehen und die Vermutung hegen, daß sie sich zu Ungunsten Deutschlands auswirken. Denn beträfen sie nur einfach solche Dinge, die im militärischen Bereich immer geheimgehalten zu werden pflegen, dann brauchten sie nicht besonders vertraglich festgelegt zu werden. Die Tatsache aber, daß es derartige vertragliche Geheimklauseln nach einer Äußerung des französischen Kammerpräsidenten Herriot gibt, ist für uns ein wichtiger Fingerzeig, daß es sich um Dinge zur Benachteiligung Deutschlands handelt.
Wer also einen abänderbaren Punkt des Vertragswerks nicht akzeptiert, lehnt die europäische Verteidigung als solche nicht ab. Er verlangt nur die Anpassung an das deutsche Verfassungsrecht. Der Bundeskanzler selbst hat die Vervollkommnung des Art. 38 des EVG-Vertrages betrieben und gestern für wahrscheinlich erklärt. Warum sollte das gleiche, wenn die Bundestagsmehrheit nur will,
nicht für die Wehrverfassung möglich sein? Deshalb appelliere ich an Sie alle, gerade in dieser Frage der Wehrverfassung den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht im stehenden Heer abzulehnen und den Grundsatz der Freiwilligkeit als den dem Grundgesetz entsprechenden Ausdruck des Geistes unserer Verfassung anzunehmen und eine entsprechende Ergänzung des EVG-Vertrags zu fordern.
Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Tillmanns.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Diskussion über das Vertragswerk, das uns zur Beratung vorliegt, hat uns keine Frage so beschäftigt wie die: was wird aus der Wiedervereinigung Deutschlands? Aus dem Bericht, den Herr Dr. Bärsch für die Minderheit des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen diesem Hohen Hause vorgelegt hat, geht die Auffassung hervor, dieser Vertrag verbaue den Weg zur Wiedervereinigung, weil nur eine einzige Konzeption, nämlich die Wiedervereinigung auf der Grundlage der Einbeziehung Deutschlands in den europäischatlantischen Militärpakt, vorgesehen sei, was die Sowjetunion zweifellos ablehnen müsse. Ist das richtig?
Ich knüpfe an diese Frage gleich die zweite: Gibt es einen anderen praktisch zu verwirklichenden Weg der Wiedervereinigung, als die Verträge es vorsehen?
Ich denke, wir sind uns alle darin einig, daß die Wiedervereinigung Deutschlands auf friedlichem Wege bewerkstelligt werden soll und so, daß das wiedervereinigte Gesamtdeutschland in Selbständigkeit, d. h. nach den Gegebenheiten seiner Geschichte, seiner Kultur und nach seinem Wesen, über seine politische, soziale und wirtschaftliche Ordnung entscheiden kann.
Damit sind wir aber angesichts der Weltlage, d. h. angesichts des fortdauernden kalten Krieges des expansiven Bolschewismus, der die freiheitliche, rechtsstaatliche Ordnung als Grundlage des Zusammenlebens der Völker nicht will, auf die Verbindung mit den freien Völkern angewiesen.
l Wiedervereinigung Deutschlands, meine Damen und Herren, heißt Überwindung der unglückseligen Spaltung unseres Landes. Diese Spaltung ist bewirkt durch den großen Weltgegensatz, der nach 1945 zwischen den Siegermächten entstanden ist, und dieser Weltgegensatz seinerseits ist hervorgerufen durch die sowjetische Politik des kalten Krieges, d. h. die Politik auf Ausweitung der kommunistischen Herrschaft überall. Wenn das richtig ist, dann ist die Wiedervereinigung Deutschlands entscheidend nur durch die Beilegung dieses Weltgegensatzes herbeizuführen. das heißt, durch eine Verständigung der Großmächte untereinander. Damit sage ich nicht, daß wir, die Deutschen, nichts dazu beitragen können. Aber das entscheidende Gewicht liegt auf dieser Verständigung zwischen den Großmächten.
Die Politik der Sowjetunion beruht nun einmal auf dem Axiom der strukturellen Schwäche und Lebensunfähigkeit der westlichen Welt. Sie beruht auf der Überzeugung, daß ihre Gesellschaftsordnung sich auflösen und untergehen muß und daß sie wegen der Gegensätze klassenmäßiger und nationaler Art überhaupt Licht in der Lage ist, sich zu einigen, ja daß Hader, Krieg und Zerfall innerhalb der freien Welt notwendig und unvermeidlich sind. Das hat erst vor kurzem auf dem Zweiten Parteikongreß der Sozialistischen Einheitspartei im Juli dieses Jahres der Generalsekretär Walter Ulbricht in folgenden Worten ausgesprochen:
Es steht außer Zweifel, daß diese Widersprüche wachsen werden, ebenso wie die Widersprüche zwischen England und Frankreich, Frankreich und Italien, Frankreich und Westdeutschland usw. wachsen und sich entwickeln werden. Die Weltereignisse werden durch diese Widersprüche und Antagonismen bestimmt, aber nicht durch die pharisäischen Erklärungen Achesons und nicht durch die Salonreden Edens in Berlin. Das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung der imperialistischen Länder und die Unvermeidlichkeit der Widersprüche und Krisen zwischen ihnen hat heute eine größere Gültigkeit denn je. Die letzten Konferenzen der USA, Englands und Frankreichs in Bonn und Paris verschleiern zwar diese Widersprüche, schaffen aber gleichzeitig neue Voraussetzungen für eine noch nie dagewesene Verschärfung dieser Gegensätze.
In gleicher Weise haben sich in den letzten Monaten alle Prominenten der Sowjetunion vernehmen lassen.
Meine Damen und Herren, solange diese Erwartung des Bolschewismus fortbesteht, wird der kalte Krieg fortbestehen, das heißt, so lange wird das Bestreben fortbestehen, die Macht des Kommunismus auf ganz Deutschland und Europa auszudehnen, und so lange ist keine Chance zur Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit.
Daher ist die erste, die vornehmste, die dringlichste und wichtigste Aufgabe der freien Welt, diese Erwartung des Bolschewismus auf ihren Zerfall und auf ihren Hader endgültig zunichte zu machen,
sich zusammenzuschließen, die Gegensätze untereinander zu überwinden, eine stabile wirtschaftliche Ordnung und sozialen Wohlstand zu entwickeln. Damit allein bahnen wir den Weg für eine Verständigung und für den Frieden. Das ist der Sinn aller Politik des europäischen Zusammenschlusses und des Aufbaus einer Gemeinschaft der Völker der freien Welt.
Da die Welt nun einmal weiß, wie kurz der Weg vom kalten zum heißen Krieg sein kann, und da wir unausgesetzten Rüstungsanstrengungen im Machtbereich des Bolschewismus und auch in der Sowjetzone Deutschlands gegenüberstehen, bildet der Aufbau einer gemeinsamen Schutz- und Verteidigungsgemeinschaft der europäischen Völker einen notwendigen Bestandteil dieser unserer Europapolitik.
Die Gefahr, daß der kalte Krieg heiß wird, ist um so größer, je leichter, je müheloser die Sowjetunion auf diesem Wege zum Ziele kommen zu können glaubt und je kleiner ihrer Meinung nach das Risiko für sie selber sein würde.
Die Gefahr wird um so geringer, je eindeutiger klargestellt wird, daß die Sowjetunion es in einem solchen Falle mit der gesamten übrigen Welt zu tun hat, daß eine solche Auseinandersetzung für sie ein totales Risiko bedeuten würde, was sie nicht wollen kann.
Wenn es gelingt, die Schutzgemeinschaft der freien Welt in wirksamer Weise so zu verwirklichen — und das geht nun einmal nicht ohne Europa und Deutschland —, wird Frieden bleiben.
Je eher wir es fertigbringen, die Sowjetunion von der Unmöglichkeit eines Weges zum heißen Krieg zu überzeugen, je eher es uns gelingt, ihr auch die Aussichtslosigkeit der Fortsetzung des kalten Krieges klarzumachen, um so eher ist der Weg frei zu einem Gespräch der Großmächte und damit zur Wiedervereinigung Deutschlands.
Wenn Herr Kollege Professor Schmid in der ersten Lesung dieser Verträge hier die Frage gestellt hat: Was will man denn mit diesem Instrument der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, wenn es mal da ist? — er meinte, es müsse doch irgendwie genutzt werden —, so ist auf diese Frage nur diese eine Antwort zu geben: die Sowjetunion endgültig von der Aussichtslosigkeit sowohl des kalten wie auch von der Unmöglichkeit des heißen Krieges überzeugen.
Das hat gar nichts mit Drohung und das hat überhaupt nichts mit Appell an die Gewalt zu tun, sondern das ist nichts anderes als der Vollzug einer um der Freiheit Europas und der Welt willen politisch unausweichlichen Notwendigkeit.
Meine Damen und Herren! Wenn es noch eines Beweises für die Richtigkeit dieser Politik bedurft hätte, dann sind es die verbissenen weltweiten Bemühungen des Bolschewismus, das Zustandekommen einer solchen Verteidigungs- und Schutzgemeinschaft der freien Welt unter allen Umständen zu verhindern. Das versucht man bei uns in Deutschland durch Verlockungen mit Einheitsgesprächen und Friedensbeteuerungen. Das versucht
man in der westlichen Welt, in Frankreich und in anderen Staaten damit, daß man dort gegen Deutschland hetzt. In Frankreich ist es der Kommunismus, der behauptet: die Deutschen wollen doch nur Soldaten, um wieder nach Paris zu marschieren, das kann man doch nicht wollen! Und in Amerika ist es der Kommunismus, der versucht, der Bevölkerung klarzumachen, daß die Deutschen doch schon wieder ein Volk von Antisemiten und Nationalsozialisten sind und daß Amerika, das zur Bekämpfung des Nationalsozialismus in den letzten Krieg gegangen ist, doch unmöglich dieses Volk schützen kann. So wird mit allen Mitteln der Versuch gemacht, die Völker der westlichen Welt gegeneinanderzubringen und die Gegensätze unter ihnen zum Siedepunkt zu treiben. Erst in einem Artikel vom 17. November dieses Jahres erklärt die „Prawda" folgendes:
In unverschämter Weise fordern die westdeutschen Revanchisten von ihren westeuropäischen Partnern, daß diese ihren Kolonialbesitz der gemeinsamen Nutzung des vereinigten Europa übergeben. Da das Bonner Westdeutschland die führende Kraft des vereinigten Europa sein soil, verbirgt sich hinter dieser unmißverständlichen Forderung die offene Absicht der Ruhrkönige, die Kolonien der westeuropäischen Länder an sich zu reißen. In eine allgemein verständliche Sprache übersetzt bedeutet das: Ist das vereinigte Europa erst einmal geschaffen, so werden wir nicht nur die Herren des Saargebiets, sondern auch ganz Westeuropas und seiner überseeischen Besitzungen sein. Haben wir erst einmal unsere eigene Armee, so werden wir Europa schon vereinigen und uns unseren Lebensraum sichern.
Das ist nur ein Beispiel für die unabsehbare Flut der Bemühungen, die Gegensätze zwischen den Völkern der freien Welt zu schüren und alles zu tun, um sie nicht zusammenkommen zu lassen.
Meine Damen und Herren, schon diese Bemühungen sollten uns ein Fingerzeig sein für das, was wir zu tun haben.
Ich werde es so leicht nicht vergessen, wie am 18. November dieses Jahres, als sich hier in diesem Hause die Mehrheit gegen den Antrag der Regierungsparteien aussprach, die zweite Lesung über diese Verträge schon in der letzten Novemberwoche stattfinden zu lassen, und als nach dieser Entscheidung die Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hauses in Jubel aufsprangen in verständlicher Freude über ihren Sieg, wie von dieser Seite des Hauses gesehen — Sie, meine Herren, konnten das nicht sehen — hinter Ihnen beinahe wie eine Vision standen in noch größerem Jubel und hämischer Freude die Mitglieder der kommunistischen Fraktion;
meine Damen und Herren, beinahe wie eine Vision über die politische Situation unseres Volkes.
Es täte gut, wenn Sie gelegentlich den Blick, anstatt
ihn immer auf die rechte Seite des Hauses zu richten, politisch auch einmal auf die links von Ihnen Sitzenden lenken würden.
— Ich kann von Ihren Zwischenrufen nichts verstehen.
— Ich kann nichts von Ihren Zwischenrufen verstehen, weil Sie zu sehr durcheinanderschreien.
Meine Damen und Herren, es ist doch nicht möglich, zu verhandeln, wenn ununterbrochen — —
— Meine Damen und Herren, es hat doch keinen Zweck, in dieser Weise zu verhandeln. Ein Zwischenruf hat doch nur Sinn, wenn er verständlich ist. Aber die Serienfabrikation von Zwischenrufen, die sich gegenseitig überdecken, bringt doch nicht einmal klar zum Ausdruck, was denn nun an Widerspruch geltend gemacht werden soll. Im übrigen diskutieren wir doch nacheinander, aber nicht in dieser gehäuften Form. Es nutzt wirklich der Verhandlung nicht. Also bitte, unterbrechen Sie den Redner nicht; Sie kommen alle zu Worte. Sie wissen, es ist eine sehr lange Rednerliste. Es ist doch die Möglichkeit gegeben, richtig und ordnungsmäßig zu erwidern.
Meine Damen und Herren, ich verstehe Ihre Aufregung nicht.
Ich habe nur darauf hingewiesen, daß jede Uneinigkeit zwischen uns nichts anderes verursacht und heraufbeschwört als die Freude nicht nur der 14 Kollegen der KP hier,
sondern der großen Weltmacht des Kommunismus, die hinter ihnen steht.
— Nein, ich habe nichts anderes gesagt! (Abg. Schröter: Sie haben die Sozialdemokratie diffamiert! — Lebhafte Zurufe von der SPD. — Glocke des Präsidenten. — Abg. Dr. Gerstenmaier: Weiterreden! — Abg. Mellies: Dem Kanzler müssen Sie das
sagen!)
— Wenn Sie mich hätten weiterreden lassen, dann hätten Sie gehört, daß ich unmittelbar an das, was ich gesagt habe, den Satz anfügen wollte, daß diese meine Feststellung nichts daran ändert, daß die Stellungnahme und die Entscheidung der Sozialdemokratie gegen den totalitären Bolschewismus von großer Bedeutung für die politische Entwicklung Deutschlands seit 1945 gewesen ist.
— Nicht so aufgeregt!
In der letzten Zeit ist in der Politik des Bolschewismus neben die Verlockung, von der ich gesprochen habe, die klare Drohung mit Gewalt getreten, nämlich die Proklamierung des nationalen Befreiungskampfes gegen die Bundesrepublik. Das kommunistische Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands ist uns allen gerade noch rechtzeitig auf den Tisch gelegt worden. In diesem Programm, in dem die Bundesrepublik dargestellt wird als ein Gebiet, das von den Westmächten versklavt und ausgebeutet wird, heißt es:
Nur der unversöhnliche und revolutionäre Kampf aller deutschen Patrioten kann und wird zum Sturze der Adenauer-Regierung und damit zur Beseitigung der entscheidenden Stütze der Herrschaft des amerikanischen Imperialismus in Westdeutschland führen.
Ich glaube, niemand von uns ist darüber im Zweifel, daß es genau so lauten würde, wenn der Regierungschef heute einen anderen Namen trüge, von welcher demokratischen Partei er auch immer sein möge.
Es handelt sich um die Proklamierung des offenen gewaltsamen Sturzes der rechtsstaatlichen Ordnung in der deutschen Bundesrepublik.
Wer die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit will, muß zuallererst diesen Willen des Kommunismus brechen; und das geht nun einmal nur in dem Schutz und in der Friedensgemeinschaft der freien Völker.
Nun, wir sind es gewohnt, daß jedesmal, wenn ein solcher Schritt des Zusammenschlusses in Europa getan wird, die Unkenrufe kommen: Das ist das Ende der Wiedervereinigung Deutschlands; wenn ihr das tut, dann wird die Sowjetunion nicht mehr bereit sein! Wir erinnern uns noch sehr gut, daß in der Diskussion über die Montan-Union hier die Behauptung aufgestellt wurde: Wenn die Montan-Union gemacht wird, dann ist es aus mit der Wiedervereinigung Deutschlands! Es erschienen damals Artikel unter der Überschrift: „Ein Lebewohl den Brüdern im Osten". Was ist passiert? Das genaue Gegenteil! Nachdem wir Anfang dieses Jahres der Montan-Union endgültig zugestimmt hatten, sind ab 10. März Sowjetnoten erschienen, die Verhandlungen mit den Westmächten über einen Frieden mit Deutschland anboten. Ich will diese Noten hier gar nicht werten, aber es ist doch interessant, daß diese Angebote der Sowjetunion von denselben Leuten, die damals der Meinung waren, die Montan-Union sei das Ende, als ein Zeichen echten Verständigungswillens und als eine Chance für die Wiedervereinigung Deutsch-
lands angesprochen wurden. Die Dinge liegen nun einmal so — das hat die Erfahrung gelehrt —, daß nur durch unsere Festigkeit ein Deutschlandgespräch in Gang gebracht werden kann.
Es ist der Opposition bisher nicht gelungen, dieser klaren, auf Tatsachen begründeten Politik eine andere, ebenso realistische Konzeption entgegenzusetzen.
Der einzige Versuch, der, soweit ich sehen kann, in dieser Richtung gemacht worden ist, ist in der ersten Lesung über die Verträge von dem Kollegen Professor Dr. Schmid gemacht worden. Er hat damals in seiner Rede gesagt, der positive Weg — nach dem auch damals immer gefragt wurde — könne nur darin bestehen, daß sich der Westen in Formen verbinde, die der Osten nicht bedrohlich zu finden brauche.
Er meint also eine lockere Anlehnung, die für den Osten keine Bedrohung darstellt.
Nun ist es ja das Tragische unserer Situation, daß, wenn wir uns mit den übrigen Völkern des freien Westens verbinden — und mag diese Verbindung so locker sein, daß es überhaupt keine Verbindung mehr ist —, der Bolschewismus immer noch von einer Bedrohung sprechen wird und daß er erst dann bereit sein wird, zuzugeben, daß er nicht mehr bedroht ist, wenn wir ganz in seinem Besitz sind, aber nicht vorher.
Ähnlich steht es mit den Mahnungen, die wir immer wieder hören, die vier Mächte möchten doch noch einmal untereinander verhandeln. Vielleicht
— so sagt man — gebe doch die Sowjetunion die Sowjetzone Deutschlands frei, wenn wir auf die Verteidigung verzichten. Ich weiß nicht, ob diese Hoffnung irgendeine Begründung für sich hat. Das KP-Programm, das ich eben vorgelesen habe und das Sie alle kennen, sagt das genaue Gegenteil. Aber ich unterstelle einmal, eine solche Möglichkeit sei gegeben. Dann ist doch wohl ganz klar, daß wir dann zunächst einmal der Sowjetunion zeigen müssen, daß wir — d. h. der Westen und die Parteien in Deutschland — entschlossen sind, diese Schutz- und Verteidigungsgemeinschaft zu schaffen. Solange die Sowjetunion immer noch die Hoffnung hegt, daß infolge unserer Uneinigkeit, infolge der Meinungsverschiedenheiten unter den westeuropäischen Ländern dieses ganze Werk nicht zustande kommt, hat sie doch nicht den geringsten Anlaß, irgendein Zugeständnis oder irgendeine Konzession zu machen.
Der SPD-Parteitag in Dortmund hat sich zwar zu einem System kollektiver Sicherheit bekannt, aber — so hat er hinzugefügt — nur in der Weise, daß die Wiedervereinigung Deutschlands nicht erschwert oder gar verhindert wird. In den Ausschußberatungen ist diese Befürchtung seitens der Minderheit insbesondere aus dem Art. 2 des Deutschland-Vertrages abgeleitet worden, der sagt:
Die Drei Mächte behalten im Hinblick auf die
internationale Lage
— Herr Kollege Wehner hat gestern diese Worte „im Hinblick auf die internationale Lage" bei seiner Zitierung ausgelassen; deswegen unterstreiche ich sie —
die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte in bezug auf ... Berlin und
Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung.
Zu Berlin nur ein ganz kurzes Wort. Ich denke, es besteht in diesem Hause keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß die besondere Situation Berlins die Aufrechterhaltung eines besonderen politischen Status erfordert. Jedenfalls sind die Verhandlungen darüber unter ständiger Mitbeteiligung des Berliner Senats und mit seiner Zustimmung geführt worden. Was wir wünschen, ist die Erweiterung der Bewegungsfreiheit der deutschen Verwaltung in Berlin.
Im deutschen Interesse liegt auch der Vorbehalt in bezug auf Deutschland als Ganzes und die deutsche Wiedervereinigung. Die Situation ist doch sehr einfach und juristisch gar nicht so kompliziert, wie es gestern hier dargestellt wurde. Die Westmächte haben nun einmal aus den Erklärungen und Verträgen von 1945 über ihre Zonen hinaus Rechte auf das ganze Deutschland. Die Aufrechterhaltung dieser ihrer Rechte in bezug auf das Ganze ist doch schlechthin die Voraussetzung für Vier-Mächte-Verhandlungen über Deutschland. Wer also VierMächte-Verhandlungen über Deutschland will, muß unter allen Umständen Wert darauf legen, daß diese Rechte der Westmächte in bezug auf Deutschland als Ganzes aufrechterhalten werden. Da wir alle solche Vier-Mächte-Verhandlungen wollen, müssen wir diese Vorbehalte bejahen. Sie beruhen im übrigen, Herr Kollege Wehner, nicht sosehr auf dem Potsdamer Abkommen als den vorhergegangenen Abkommen, insbesondere der Deklaration vom Juni 1945. Es heißt in dem Artikel, den ich verlesen habe, nicht, daß Vier-Mächte-Vereinbarungen aufrechterhalten werden. Die Geschichte hat sich glücklicherweise schon weit von ihnen entfernt. Wir sollten nicht den Versuch machen, sie wieder in das Licht der Gegenwart zu zerren. Es sind nicht die Vier-Mächte-Vereinbarungen als solche aufrechterhalten worden, sondern die Rechte der Westalliierten auf Deutschland als Ganzes. Das sind keine neuen Rechte, und das bedeutet auch keine Anerkennung solcher Rechte, sondern es handelt sich, wie es deutlich heißt, nur um die Aufrechterhaltung eines faktisch bestehenden Zustandes. Wenn die Verträge nicht abgeschlossen werden, bleibt es erst recht so. Nur der große Fortschritt, den diese Verträge bringen, nämlich daß nunmehr die Konsultationspflicht mit der Bundesregierung in der Ausübung dieser Rechte besteht, würde wegfallen. Es ist also einfach nicht richtig, wenn man sagt, wir binden uns durch diesen Artikel in der Frage der Wiedervereinigung. Nein, wir erhalten stärkere Aktionsfähigkeit als bisher. Im übrigen ist es nun einmal ein politisches Faktum, daß die Wiedervereinigung Deutschlands nur durch eine Verständigung zwischen den Großmächten möglich ist.
Weitere Besorgnisse werden aus dem Art. 7 des Deutschland-Vertrages hergeleitet, nämlich aus dem schon gestern verlesenen Abs. 2, in dem es heißt, daß
bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung die Bundesrepublik und die Drei Mächte zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung ähnlich wie die Bundesrepublik besitzt und in die Europäische Gemeinschaft integriert ist.
Zunächst einmal positiv — und das kann nicht oft genug gesagt werden —: Hier ist zum erstenmal vertraglich festgelegt, daß sich die drei Westmächte bekennen und mit uns zusammenwirken zur Wiedervereinigung Deutschlands.
Man mag daran zweifeln, ob dahinter bei allen ein echter politischer Wille steht; man mag vielleicht sogar sagen, daß dieser Zweifel durch diese oder jene Erscheinung der politischen Gegenwart bei den Westmächten eine gewisse Berechtigung für sich hat. Können wir aber dann diese mangelnde Bereitschaft, wenn sie bei einigen Kreisen unserer westlichen Nachbarn bestehen sollte, durch ein Nein zu den Verträgen überwinden?
Durch ein Nein zu den Verträgen würden doch diese der Wiedervereinigung Deutschlands entgegengesetzten Kräfte erst recht gestärkt werden, und sie würden erst recht zur politischen Relevanz werden. Nein, wir werden diese Widerstände, die zweifellos vorhanden sind, nur dadurch überwinden können, daß wir uns echt zu Europa bekennen, daß wir vor allen Dingen — und es liegt mir daran, das heute zu tun — auch vor dem Ausland erklären, daß unser Wille und unser Streben zur Wiedervereinigung Deutschlands nichts mit nationalistischen Aspirationen zu tun hat, sondern daß wir, wenn wir von der Wiedervereinigung unseres Landes sprechen, damit gar nichts anderes zum Ausdruck bringen als einen schlichten, einfachen Willen unseres Volkes zum gemeinsamen Leben im Frieden mit allen unseren Nachbarn. Ich sage: mit allen unseren Nachbarn.
Der Haupteinwand richtet sich aber nun dagegen, daß in diesem Absatz steht, daß das wiedervereinigte Deutschland in die europäische Gemeinschaft integriert wird. Man sagt, damit sei die Entscheidungsfreiheit einer etw a kommenden deutschen Nationalversammlung in unzulässiger Weise eingeschränkt. Ich sehe ganz davon ab, daß der Wille und das Bekenntnis zum vereinigten Europa in unserem Grundgesetz steht, ein Aufgeben dieses unseres Willens also ein Bruch des Grundgesetzes wäre. Aber mir scheint diese Überlegung, die sich auf die kommende Nationalversammlung richtet, insofern einen falschen Ausgangspunkt zu haben, als es zu einer freien gesamtdeutschen Wahl und damit zu einer Nationalversammlung überhaupt nur kommen kann, wenn eine Vermächte-Vereinbarung vorhergegangen ist; und darin wird über den künftigen Status Deutschlands wenigstens in den Grundlinien zweifellos das Wesentliche gesagt sein. Es ist überhaupt undenkbar, daß es zu einer Nationalversammlung kommt, ohne daß sie etwas Ähnliches vorfindet, wie es der Parlamentarische Rat in Gestalt der Londoner Dokumente vorgefunden hat. Unsere primäre Überlegung muß daher, wenn wir realistisch denken, dahin gehen: Wird durch die Bestimmung des Art. 7 die Freiheit und Möglichkeit der Großmächte, zu einer Einigung über die Wiedervereinigung Deutschlands zu kommen, ausgeschlossen? Das, meine Damen und Herren, ist ganz sicherlich nicht der Fall; denn die Großmächte verpflichten sich in dieser Bestimmung nur zu einem: daß sie diese Verhandlungen nicht ohne uns führen und daß sie dieselben Freiheitsrechte, wie sie die Bundesrepublik hat, gewähren, d. h. daß sie nicht in eine Viermächte-Kontrolle unseligen Angedenkens zurückfallen. Und mir scheint: das wollen wir alle.
Dieser Vertrag bedeutet kein Hindernis, wenn die Sowjetunion überhaupt bereit ist, ein freies und selbständiges Deutschland zuzulassen. Ob es dahin kommt, Herr Kollege Brandt, das kann durch keinen wie immer gearteten Vertrag festgelegt werden, weder positiv noch negativ; das hängt allein und ausschließlich von der Entwicklung der politischen Verhältnisse in dieser Welt ab. Dafür, wie sich diese Kräfte entwickeln, gibt es keine Garantie; sondern es liegt an uns, an unserem politischen Willen und an unserer politischen Aktivität, die Dinge dahin zu bringen. Wesentlich ist, daß die Verträge den Weg dafür offenlassen, daß eine Viermächte-Vereinbarung zustande kommt und in ihr die Zugehörigkeit zur europäischen Gemeinschaft, nämlich die freie Rechtsordnung, sichergestellt ist.
Es ist unmöglich, schon jetzt im einzelnen den künftigen Status eines etwaigen Gesamtdeutschland zu zeichnen. Neutralität heute bringt uns aber keinen Schritt weiter, sondern würde unweigerlich Abkehr von der westlichen Gemeinschaft und Schwächung unserer Position in der Gemeinschaft der westlichen Völker bedeuten, also genau das, was die Sowjetunion will. Wer dazu beitragen will, da es eines Tages zu einer Vereinbarung der vier Großmächte kommt, in der ein politischer Status festgelegt wird, zu dem sowohl die Westmächte als auch die Sowjetunion ja sagen, muß zunächst einmal den Zusammenschluß der westlichen Welt bejahen und sich deswegen jetzt jeder irrealen Neutralitätsspekulation enthalten. Neutralisten heute verbauen nur den Weg zur freien Wiedervereinigung Deutschlands morgen.
Aber eines darf hier nicht unausgesprochen bleiben. Für die Sowjetzone Deutschlands wird wahrscheinlich — wir haben das bereits in den letzten Monaten mit tiefer Sorge festgestellt — eine Periode neuer und schärferer Bolschewisierung heraufziehen, vielleicht auch für Berlin eine Situation weiterer Bedrängnis. Wir hier im Deutschen Bundestag wissen uns wahrhaftig für diese Menschen verantwortlich. Aber die Behauptung, diese Entwicklung sei eine Folge unserer politischen Entscheidung, bedeutet doch die Umkehrung von Ursache und Wirkung. Unsere politische Entscheidung wird erzwungen durch das Regime drüben. Es liegt nun einmal im Wesen einer totalitären Macht, daß sie auf jeden Widerstand, den sie findet, mit einem schärferen Druck reagiert. Meine Freunde, wer den Druck einer totalitären Macht vermeiden will, dem bleibt nur eines übrig, nämlich sich zu ergeben; und das können wir gerade um der 18 Millionen hinter dem Eisernen Vorhang willen nicht tun.
Lassen Sie mich ein kurzes Beispiel anführen. Im Jahre 1948 hat auch der Selbstbehauptungs- und Freiheitswille Berlins zur Blockade geführt. Ich habe damals niemanden gehört, der gesagt hätte, diese Blockade sei die Schuld der Berliner freiheitlichen Politik.
Genau so liegen die Dinge heute.
Wir alle miteinander tragen schwer an unserer Verantwortung für die Sowjetzone. Wir können diese Verantwortung nur tragen, weil wir wissen, daß gerade die Menschen drüben, besonders in Berlin, ja sagen zu unserer Entscheidung. Unsere Aufgabe ist es jetzt erst recht, mit aller Kraft dahin zu wirken, daß jede Möglichkeit einer positiven Lösung der Deutschlandfrage ergriffen wird. Die Verträge dürfen nicht das Ende, sondern sie müssen die Basis entschiedener, zielstrebiger Politik der Wiedervereinigung Deutschlands sein.
Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat uns in einer sehr ernsten Botschaft gemahnt, wir sollten diese unsere Entscheidung, die wir im Blick auf das ganze Deutschland zu bedenken haben, nur nach reiflicher Prüfung unseres Gewissens treffen. Ich denke, wir, die wir ja sagen, können erklären, daß wir uns bemühen, diese Entscheidung wirklich nach unserem Gewissen zu treffen. Es ist Unwahrheit, wenn draußen behauptet wird — vorgestern hat mir das noch ein evangelischer Pfarrer in diesem Hause gesagt —, wir müßten hier ja doch nur unter dem Druck der Besatzungsmächte entscheiden, wir seien gar nicht frei. Das ist eine Lüge!
Dieser Bundestag ist Gott sei Dank in der Lage, diese verantwortungsvolle Entscheidung nach seinem Gewissen zu treffen.
Aber mehr noch! Wir sagen nicht nur deshalb ja zur Verteidigungsgemeinschaft und zum Deutschland-Vertrag, damit es hier so bleibt, daß frei gewählte Abgeordnete nach ihrem Gewissen urteilen können. Wir sagen ja zu diesen Verträgen, damit bald auch wieder die Deutschen in der Sowjetzone durch Parlamentarier vertreten sein können, die nicht unter dem Zwang eines totalitären Systems stehen, sondern nach der Prüfung ihres Gewissens entscheiden können.
Meine Damen und Herren, damit Sie wissen, was Sie erwartet, darf ich darauf hinweisen, daß für die etwa 11 Stunden restliche Redezeit zur Zeit 50 Wortmeldungen vorliegen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Besold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Generalvertrag die Vergangenheit abschließen soll, so zeigt der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft den Weg in die Zukunft des deutschen Volkes und Europas. Die Bayernpartei war sich bei der Prüfung der Westverträge bewußt, daß es sich, wie schon von verschiedenen Rednern hier betont worden ist, um eine Entscheidung von größter Tragweite für das gesamte deutsche Volk handelt. Es ist uns auch vollkommen klar: niemand, gar niemand wird den Abgeordneten die Entscheidung über das Ja oder Nein zu den Westverträgen abnehmen, und wir als verantwortungsbewußte Parlamentarier, die allein dem Volk gegenüber verantwortlich sind, dürfen uns diese Entscheidung auch nicht von dem höchsten Gericht der Bundesrepublik, dem Bundesverfassungsgericht, abnehmen lassen. Das Hauptgewicht dieser Entscheidung — das ist wohl jedem klar — liegt auf politischem Gebiet, in der Abwägung der politischen, und zwar der außenpolitischen Notwendigkeiten, Sorgen und Gefahren. Wenn diese politische Entscheidung mit einem Ja beantwortet wird, muß dieses Parlament auch den
Mut haben und die Verantwortung auf sich nehmen, die verfassungsrechtlich notwendigen Mehrheiten wegen der hochpolitischen Bedeutung der Westverträge herbeizuführen.
Sie wissen, daß sich die Bayernpartei nach einer verantwortungsbewußten Prüfung zu einem Ja zu den Westverträgen durchgerungen hat
und die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten für die Westverträge stimmen wird. Gleichwohl darf ich Ihnen, weil es für die Fortentwicklung des Vertragsinhaltes nützlich ist, wenigstens drei Hauptbedenken zum EVG-Vertrage bekanntgeben. Ein Bedenken bei der Beratung war die im Vertrage festgelegte Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, weil psychologische und mit dem System zusammenhängende Sachverhalte aus der jünsten Vergangenheit zu frisch und belastend gerade mit Rücksicht auf die sogenannte „Entmilitarisierung" noch auf uns und unserer Jugend liegen. Wir hoffen, daß die von da und dort angekündigten durchgreifenden Reformen im Wehrwesen Wirklichkeit werden, wenn nicht durch Vereinbarungen zwischen den Vertragsmächten doch noch die Freiheit des Wehrsystems gewährleistet werden kann.
Ein weiteres schwerwiegendes Bedanken war, daß noch nicht die unmittelbare Mitgliedschaft Westdeutschlands im Nordatlantikpakt vollzogen ist. weil dadurch das Ausmaß des politischen und strategischen Einflusses in der Atlantischen Gemeinschaft, bei der letzten Endes im Ernstfall der Oberbefehl der europäischen Streitkräfte liegt, im umgekehrten Verhältnis zu unserem Risiko steht; denn der deutsche Raum ist der exponierteste Teil des westeuropäischen Randgebietes der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Es muß aber auch festgestellt werden, daß durch die Integrierung in den höchsten Stäben in EVG und NATO schon jetzt der deutsche Einfuß bedeutend gesichert ist.
Eines der größten Hemmnisse für das Ja-Bekenntnis zu den Westverträgen war die Gefahr für die von der Bayernpartei konsequent vertretene föderalistische Staatsidee. Wir wissen — und die Vergangenheit hat uns bitterste Beweise geliefert —, daß es immer die Wehrhaftmachung und die Verstärkung des militärischen Potentials waren, die den politischen Zentralismus mit seiner jeweiligen Katastrophenpolitik zur Folge hatten. Diese Gefahren zeichnen sich schon jetzt in den neuerlichen finanzpolitischen Erwägungen ab, einen weiteren schweren Eingriff in die Einkommensquellen der Länder zu machen und damit die Finanzkraft und die Finanzhoheit der Länder auszuhöhlen. Nur die drohende Gefahr des Bolschewismus, der überhaupt jede Möglichkeit eines föderalistischen Staatsaufbaus auslöschen würde, hat der Bayernpartei die Einsicht abgerungen, zu den Westverträgen, so wie sie jetzt vorliegen, ja zu sagen.
Es ist aber jetzt auch die Stunde, die Bundesregierung und die Parteien dieses Parlaments darauf hinzuweisen, daß die klare Erkenntnis aus den Fehlern der Vergangenheit sein muß: Der Föderalismus ist d i e Staatsidee, die der Gralshüter gegen den Mißbrauch der Staatsgewalt ist.
Entscheidend für ein Ja der Bayernpartei zu den Westverträgen war auch die eingehende Untersuchung der Kardinalfrage: Ist die Notwendigkeit einer militärischen Schutzgemeinschaft unerläßlich? Wir haben hier schon gehört, daß gerade die Entwicklung seit 1945 und das Ausscheren der Sowjetunion aus den Zielen der Vereinten Nationen größte Gefahren heraufbeschworen hat.
Ich erinnere nur an die Okkupation Polens, der Tschechoslowakei, Ungarns, Rumäniens, Bulgariens und Albaniens. Diese sowjetrussische Politik ist geleitet von panslawistischem Expansionsdrang, gestärkt durch den Glaubenssatz dieser Weltrevolutionäre. daß der Westen in sich zu Ende gehe und der kommunistische Sozialismus die Herrschaft in der Welt übernehmen müsse.
Aber wenn uns das alles noch nicht überzeugte — man braucht auch nicht allen Propagandaschriften, die vielleicht von der Bundesregierung kommen, restlos zu vertrauen —, ist es viel besser, sich einmal Berichte oder Schriften aus der Sowjetzone zu besorgen.
Hier ist ein Bericht über die letzte Parteikonferenz der SED im Juli dieses Jahres.
Wir wissen. daß die SED der verlängerte Arm Moskaus und das Sprachrohr Moskaus ist.
Was in den Beschlüssen der SED in diesem Jahre festgelegt worden ist, zeigt klar und deutlich auf, daß hier eine revolutionäre Bewegung schärfsten Ausmaßes in Gang gesetzt wird. Nur einige Zitate aus diesen Beschlüssen der SED mögen Ihnen zeigen, wohin der Weg aus diesem bolschewistischen Osten führen soll.
Unter der Maske des „nationalen Befreiungskampfes" und unter der Maske einer „Friedensbewegung" wird hier zu einem Kampf gegen die amerikanischen, englischen und französischen Okkupanten in Westdeutschland, so heißt es hier, und zum Sturz der Vasallenregierung in Bonn aufgefordert. Aber nicht nur gegen diese Kräfte geht es, sondern im zweiten Punkt dieses Beschlusses, wo die Schaffung einer Aktionseinheit der kommunistischen, sozialdemokratischen, christlichen und parteilosen Arbeiter herausgefordert und zu einer Friedensbewegung aufgefordert wird, heißt es: Der große Befreiungskampf der Patrioten gegen die fremden imperialistischen Eindringlinge und Ausbeuter erfordert zugleich den entschiedenen Kampf gegen die rechten sozialdemokratischen Führer und Gewerkschaften. Ich habe bisher noch nicht gewußt, daß es rechte und linke Sozialdemokraten bei uns gibt; aber hier ist es festgelegt.
Gegen alle Aufbaukräfte, ob es die Alliierten, ob es die Bundesregierung oder die Opposition in Westdeutschland ist, wird zum „nationalen Befreiungskampf" aufgerufen.
Interessant ist, wer die Schrittmacher in Westdeutschland sind und wer dazu beauftragt wird. Das finden wir im Punkt 3 dieses Beschlusses, wo es heißt:
Die Stärkung der brüderlichen Solidarität mit der Kommunistischen Partei Deutschlands, die ihre Reihen festigt und alle Anstrengungen unternimmt, damit sie ihre geschichtliche Aufgabe in den vordersten Reihen der nationalen Befreiungsbewegung in Westdeutschland erfüllen kann ...
Die Kommunistische Partei Deutschlands ist die
Klammer zu diesen aufrührerischen Bewegungen.
Das steht hier in einer sowjetischen Schrift.
Aber es ist nicht nur eine waffenlose Friedensbewegung. Hier steht auch klipp und klar, daß die Sicherung des Friedens, die Stärkung der demokratischen Volksmacht, der demokratischen Ordnung und Gesetzlichkeit und die Organisierung bewaffneter Streitkräfte, die mit den neuesten technischen Errungenschaften ausgerüstet sind, vorbereitet werden. Und unsere „Friedensbewegler" wollen sich jeden Schutzes gegenüber derartigen militärischen Kräften, die mit den modernsten technischen Mitteln ausgerüstet sind, begeben! Herr Brandt von der SPD, Sie haben gestern gesagt: Besser ist es, zu wissen, als zu glauben. Jetzt wissen Sie, was Sie nicht glauben wollen!
Und wenn gestern zu Beginn dieser Sitzung Herr Renner
die Eilbedürftigkeit des Abschlusses dieser Verträge kritisiert und mit Bezug auf diese Verträge von Schandverträgen gesprochen hat, so wissen wir nun auch, warum und in wessen Auftrag er das getan hat.
Sie sagten auch, Herr Renner: Unsere Jugend und unser Volk sollen dem Moloch Krieg geopfert werden! — Nein, Herr Renner, nur über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft wird die Absicht Ihrer Auftraggeber verhindert, unsere Jugend dem Moloch Krieg und Bolschewismus zu opfern.
Und das soll unsere Jugend auch wissen!
Sehen wir uns einmal all die Flüchtlingsströme seit 1945 an! Sie gehen nicht von Westen nach Osten, sie kommen alle vom Osten nach dem Westen.
Das ist die Flucht vor der Unfreiheit in die Freiheit. Das ist die Flucht vor der Menschenunwürde in ein menschenwürdiges Dasein.
Außer diesen Fakten haben uns noch folgende Gründe bei der Abwägung der Vertragsauswirkungen zu unserer Stellungnahme bewogen. Wir sind davon überzeugt, daß durch die Schaffung Europas in Verbindung mit der Sicherung durch die Atlantikpaktstaaten eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft entsteht, die die Sowjetunion und ' den östlichen Machtbereich mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eher davon abhalten wird, weiter gegen den Westen vorzustoßen, als der jetzige Zustand Europas.
Jeder Ehrliche muß zugeben, daß diese Verträge für Deutschland die würdelose Besatzungszeit beenden und den Weg zur vollständigen Bereinigung der Vergangenheit und zur Gleichberechtigung der westlichen Völker freimachen. Feindschaften und Kriege zwischen den Völkern des Westens, die in der Vergangenheit soviel politisches und menschliches Unheil und auch die jetzige Gefahr des Ostens gebracht haben, können bei ehrlicher Fortentwicklung der Verträge beseitigt werden. Außerdem dürfte feststehen — was hier ja auch schon gesagt worden ist —, daß es dann innerhalb der Vertragspartner keine Gefahren mehr gibt. Gerade hierauf haben die Gegner immer hingewiesen, indem sie erklärt haben, daß die westlichen alliierten Siegermächte sich etwa auf Kosten Deutschlands im Wege von Verhandlungen und Abmachungen über unseren Kopf hinweg mit den Sowjets verständigen könnten. Das ist nun, nach dem Abschluß der Verträge mit dem Westen, nicht mehr möglich.
Noch eines muß das Bekenntnis zu diesen Westverträgen leichter machen: nicht im Osten wird die persönliche Freiheit garantiert. Dort heißt es für die Jugend: entweder in die Volkspolizei oder in die Uranbergwerke!
Die persönliche Freiheit, eines der höchsten Güter, die wir haben, erleben wir nur im Westen, und deshalb muß der Westen sich eine Schutzmacht verschaffen.
Wir alle fühlen, ja wissen es, daß die Welt in zwei Teile geteilt ist und daß die westliche Welt allen Grund hat, nationalistische Forderungen und untergeordnete Bedenken aller Art der Sicherung des europäischen Friedens hintanzustellen. Dieses Mal muß Europa errungen werden, damit Europa nicht wie nach dem ersten Weltkrieg den Frieden versäumt. Daran soll uns die Tatsache erinnern, daß ein englischer Politiker, MacDonald, am 3. September 1929 in einer Rede zur Europafrage und bei Ausführungen über die überstaatliche Organisation gesagt hat: „Die Zeit ist nicht reif. Wir müssen weiterhin zehn Jahre warten." Nach zehnjährigem Warten und zehnjähriger Versäumnis, den Europa - Gedanken vorwärtszutragen, brach im September 1939 der zweite Weltkrieg aus.
Wollen wir das wiederholen? Nicht das Klügeln, nicht das Negieren, nicht das Verzögern und vor allem nicht das Zerreden wird uns vorwärtsbringen und die einzig mögliche Chance des Friedens sichern, sondern nur der offene Mut und das echte Bekenntnis zu Europa.
Aus dieser Erkenntnis stimmt im Einklang mit der Partei die überwiegende Mehrheit der Bayernpartei-Abgeordneten dem Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Reismann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz Billigung der Grundkonzeption des Herrn Kanzlers und seiner Regierung, und obwohl das Zentrum in den Mittelpunkt seiner Bestrebungen auf dem Gebiet der auswärtigen Politik schon seit 1945 den Gedanken Europa stellt, obwohl auch für uns die Abwehr des Bolschewismus das oberste Gesetz unserer auswärtigen Politik sein muß und ist, — glaubt das Zentrum im Gegensatz zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Besold, der für die Bayernpartei gesprochen hat, den Verträgen nicht zustimmen zu können.
Auch wir wollen den Anschluß an den Westen. Gerade deswegen protestiere ich mit allem Nachdruck gegen die vereinfachende These, die der Herr Bundeskanzler aufstellte: „Wer gegen die Verträge ist, ist gegen Europa, und wer gegen Europa ist, ist für Stalin!" Das ist falsch! Das ist total falsch! Und nicht nur subjektiv, sondern,
Herr Bundeskanzler, um Ihre eigenen Worte zu gebrauchen und in Anlehnung an Oscar Wilde: da sind Sie von Ihrer eigenen Ebene heruntergestiegen, und da haben Sie eine Rede vollführt, die unter Ihrem Niveau liegt.
Herr Bundeskanzler, das ist das Niveau derer, die ich auch ablehne, die sagen: „Wer den Vertrag bejaht, bejaht den Krieg!" Auch das ist unrecht. Aber Sie dürfen sich nicht so weit vergessen und denen, die die Verträge ablehnen, schlechthin vorwerfen, daß sie den Bolschewismus unterstützten.
Bedenken Sie einmal die Konsequenzen dieser Ausführungen für den Teil des Verfassungsgerichts, der aus rein rechtlichen Gründen sich auch einmal gegen Ihre Auffassung über die Rechtmäßigkeit und Verfassungsmäßigkeit stellen könnte.
Es ist mit Sicherheit jetzt schon zu erkennen, daß ein Teil — ich will gar nicht sagen ein wie großer Teil — aber zum mindesten ein Teil der Richter des Bundesverfassungsgerichts Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit haben wird.
Wir können das in Ruhe abwarten.
— Warten Sie zunächst einmal ab, bevor Sie diesen Vorwurf auch gegen Mitglieder des Verfassungsgerichts richten.
Sie billigen uns guten Glauben zu, Herr Bundeskanzler. Aber schon die objektive Schilderung, die Sie gaben, scheitert daran, daß Sie eben die Frage der Verfassungsmäßigkeit außer Betracht lassen.
Sie warfen dann denen, die nein sagen, und damit auch uns, vor, wir vergäßen, daß wir unter einer Besatzung leben, und wir übersähen, daß es sich um einen Schritt vorwärts handle. Das, verehrter Herr Bundeskanzler, ist nicht die Frage. Kein Mensch vergißt, daß wir nicht den Krieg, der verloren ist, nachträglich auf dem Papier gewinnen können. Aber es ist auch nicht richtig, wenn Sie sagen, wir seien nun ohnmächtig und wir ständen ohnmächtig den Siegern gegenüber, die alle Macht hätten. Sie erwähnten gleichzeitig auch den sowjetischen Druck. Und in der Tat, die Lehre von Korea und die militärpolitischen Erwägungen, und nicht diese allein, sondern ganz einfach der Zeitablauf sind die Momente, die nicht bloß bei den Verhandlungen in die Waagschale fallen, sondern die einfach nicht übersehen werden können.
Ist es denn denkbar, daß noch, sagen wir, im Jahre 2000 oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt die Sieger von gestern sich immer noch auf das Besatzungsstatut und die totale Kapitulation berufen können? Ist es denn denkbar, daß man nach einer Art von Kolonialstatut, das man sich weder in Persien noch in Ägypten noch in Marokko noch irgendwo sonst in der Welt gefallen läßt, noch immer weiter hier qua Besatzungsstatut regiert? Das bedeutet positiv ausgedrückt: Allein der Zeitlauf bringt es über kurz oder lang, wenn nicht schon heute, mit sich, daß die Sieger von gestern in einen vertragsmäßigen Zustand mit uns kommen müssen; und dann wäre es schlecht, den gegenwärtigen Zeitpunkt zu wählen, den Zeitpunkt zu fixieren, wo, wie Sie glauben, es noch nicht möglich ist, eine volle Gleichberechtigung herauszuholen.
Wir geben Ihnen in einem Punkt ganz unzweifelhaft recht: Man darf nicht kleinlich sein, man darf nicht das Letzte schon jetzt fordern. Das ist eben eine Folge des verlorenen Krieges. Aber wenn wir im großen die Frage der Gleichberechtigung behandeln, dann bleiben hier einige diskriminierende Vorbehalte übrig, einige diskriminierende Bestimmungen, die den Kern, die Gleichberechtigung der Verträge, treffen und die zu akzeptieren nicht nötig wäre, wenn man sich eben mehr Zeit und die Dinge reifen ließe.
Und nun sagen Sie mit Recht, es bestünde dann
Gefahr, daß diese Verhandlungen nicht zu
Ende käme. Diese Verhandlungen so vielleicht nicht! Aber da zitiere ich Ihre eigenen Worte, Herr Bundeskanzler: „Auch dann, wenn etwa ein Nein das Ergebnis dieser Beratungen und Abstimmungen wäre, wären wir nicht am Ende der Weltgeschichte. Die Weltgeschichte geht auch nach der dritten Lesung und nach der zweiten Lesung weiter", und nach allen Erfahrungen würde man dann eben in Verhandlungen über die Einzelpunkte eintreten müssen, die uns Veranlassung zum Nein geben. Wenn — und das ist allerdings wichtig — nicht eine grundsätzliche Überlegung Grund der Ablehnung ist, wenn das einzige, was entgegensteht, die Gleichberechtigung Deutschlands ist und die Ausführungen sind, die Herr Kollege Bertram hinsichtlich der Wahrung der Rechte unserer eigenen Verfassung gemacht hat, dann läßt sich sehr sehr wohl mit den Partnern dieser Vertragsverhandlungen zu einem günstigeren Ergebnis kommen. Genau so, wie die Franzosen sich jetzt bemühen, in besonderen Verhandlungen mehr, anderes und bestimmte Festlegungen für sich zu erreichen, könnte das auch von unserer Seite aus sein, wenn nur rechtzeitig der Wille und der Wunsch des deutschen Volkes gehört würde und die Regierung den entsprechenden Aufforderungen Folge leistete, in solche Verhandlungen einzutreten.
Der gegenwärtige Zeitpunkt, der nach dem Ergebnis der bisherigen Verhandlungen und nach Ihren Ausführungen kein anderes Ergebnis zu
Tage fördern kann als das Festfrieren der bisherigen deutschen Unterlegenheit. die Verewigung des gegenwärtigen deutschen Tiefstandes, ist also nach Ihren eigenen Darlegungen noch nicht reif, noch nicht geeignet für den Abschluß dieser Verträge.
Sehen wir uns deswegen die größten und die wichtigsten Hindernisse politischer Art aus diesem Vertragswerk an! Und wenn wir alles berücksichtigen, was nebenbei sonst noch eine Rolle spielen könnte, und was Herrn von Rechenberg heute morgen Veranlassung gab, darzulegen, daß wir von vornherein schon mit der Absicht an dieses Vertragswerk herantreten müßten. baldmöglichst eine Verbesserung zu erzielen, dann bleiben allein schon Gründe genug übrig, es abzulehnen.
Aber lassen Sie mich mit wenigen Worten auf diese Überlegungen des Herrn von Rechenberg eingehen, der von vornherein mit dem Gedanken spielt, alsbald eine Abänderung herbeizuführen.
Bei dem normalen Zeitablauf treten naturgemäß Umstände auf, die uns demnächst, weil neue Gesichtspunkte hinzugekommen sind, Veranlassung geben, eine Änderung des Vertragswerks zu verlangen. Wenn man aber in der Zeit, wo man das Vertragswerk genehmigt und ratifiziert, von vornherein Bedenken hat und von vornherein der Ansicht ist: Das kann nicht gehalten werden, das muß abgeändert werden, das ist untragbar für das Volk!, dann darf man erst gar nicht ratifizieren. Wir mögen das, was sich in Zukunft entwickelt, der zukünftigen Entscheidung und eventuellen Abänderung überlassen. Aber das, was heute schon vorliegt, muß in dem gegenwärtigen Zeitpunkt auch berücksichtigt werden. Es wäre nach meiner und nach unserer Auffassung nicht richtig. die Vorbehalte, die wir jetzt schon machen, auf die Zukunft zu verschieben.
Wenn ich bei dem Vertragswerk von einzelnen Vorbehalten sprach, so fällt dabei zunächst die Überlegung ins Gewicht, daß wir hinsichtlich der Politik, die die Wiedervereinigung Deutschlands betrifft, an die Mitwirkung der Alliierten gebunden sind. Die Mitwirkung der Alliierten ist uns zwar in Aussicht gestellt; aber wer garantiert dafür, wann sie diese effektiv werden lassen? Wer garantiert dafür, daß sie nicht wegen ihres inneren Zwiespalts, der erklärlich wäre, wie eine Bremse wirken? Und wer garantiert dafür, daß sie nicht wegen der Verschiedenheit des Weges, auf dem sie und auf dem wir die Wiedervereinigung Deutschlands und die Regelung der Ostzone erreichen wollen, zu Differenzen mit uns kommen werden? Wir werden durch diesen Vertrag mediatisiert, und unsere Politik wird zwangsweise unselbständig. Wir haben nicht mehr die volle Macht, Art und Weise selber zu bestimmen, wenn wir hier folgen.
Noch ein weiteres. Wir schneiden uns eine Verbesserung dieses Zustandes ab, indem wir für die Abänderung dieser Verträge im Gegensatz zu dem normalen Weg der Änderung mit Zeitablauf und der Möglichkeit, Verträge abzuändern, wenn sich inzwischen eine grundlegende Änderung der Verhältnisse herausgestellt hat, ausdrücklich vereinbaren, daß alle vier Mächte einer Änderung zustimmen müssen, wenn wir eine solche herbeigeführt haben wollen. Und ferner dadurch, daß das auch nur dann möglich ist, wenn bestimmte bedeutsame Ereignisse wie die Bildung eines einheitlichen Europas oder die vollzogene Wiedervereinigung oder Ereignisse von ähnlicher Schwere und Bedeutung voraufgegangen sind. Also der nor-
malerweise ausreichende Wechsel der gesamten Zeitverhältnisse und Umstände reicht hierfür nicht aus. Auch das ist von großer Bedeutung.
Sehr am Herzen liegt uns auch das Schicksal der zahlreichen Menschen, die immer noch in Kriegsgefangenschaft im Ausland sind, auch soweit sie unter dem Vorwand oder vielleicht unter der von der anderen Seite gutgläubig noch angenommenen Beschuldigung schwerer Vergehen zurückgehalten werden. Kein Wort über die echten Kriegsverbrecher! Aber wir müssen derer gedenken, die im Ausland festgehalten werden, ohne daß nach ungefähr acht Jahren ein Urteil über sie gesprochen ist. Wenn es bis jetzt noch nicht zu einem Urteil ausgereicht hat, dann sollte man sie nunmehr freilassen. Und wir müssen derer gedenken, bei denen das Urteil, in der ersten Zeit der Nachkriegspsychose erlassen, problematisch ist. Kein Wort über die echten Kriegsverbrecher, aber der anderen müssen wir gedenken. Im Gegensatz zu der Praxis der Friedensverträge seit 1648, die alle eine Bereinigung dieser Dinge und einen Generalpardon vorgesehen haben, im Gegensatz zu dieser jahrhundertealten Praxis wird hier ein Generalpardon, eine Generalbereinigung nicht vorgesehen.
Vor allem aber — und das ist das Wichtigste — darf man nicht die Frage des Vorbehalts nach Art. 5, die Notstandsklausel übersehen. Diese Klausel ist in der Geschichte eines derartigen Vertrages, ja sogar in der Geschichte eines Friedensvertrages überhaupt etwas Erstmaliges, etwas Einmaliges. Es ist seit Jahrhunderten nicht mehr vorgekommen, daß der Feind von gestern sofort mit dem Friedensschluß der Verbündete von heute und morgen wird, und dem sollte man Rechnung tragen. Das geschieht aber nicht, und gerade in diesem Punkt zeigen sich das Fehlen der Gleichberechtigung und die Mangelhaftigkeit der Regelung der deutschen Interessen in diesem Vertrag. Der Art. 5 unterscheidet sich in wesentlichen Dingen von dem, was man zu seiner Rechtfertigung anführt. Es heißt, es handle sich hier um das Sicherungsrecht für die Truppen, um ein Sicherungsrecht, wie es als immanentes Notrecht das Völkerrecht für alle irgendwo in irgendeinem Lande stationierten Truppen schon vorsehe. Das trifft aber nicht zu; denn allein Art. 5 Abs. 7 regelt dieses immanente Notrecht, das keiner Regelung bedürfte, wenn es richtig wäre, daß es etwas Selbstverständliches sei. Wozu setzt man es dann in den Vertrag, wenn es schon zu den allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gehört? Nein, man will mit dieser Regelung des Art. 5 des Deutschland-Vertrags oder Generalvertrags, gleichviel wie man ihn nennen will, mehr erreichen.
Man will auch mehr erreichen, als der Art. 123 des EVG-Vertrages vorsieht. Der Art. 123 des E V G- Vertrages würde nach unserer Auffassung nicht zu beanstanden sein; denn hier wird die Regelung eines Notstandes erstens dem Rat übertragen, und in dem Rat sind wir vertreten. Zweitens setzt die Entscheidung des Rates in Notstandsfragen voraus, daß die Entscheidung einstimmig ergeht, und dann würde man uns nicht überstimmen können. Drittens ist eine Regelung, die der Rat dann trifft, beschränkt durch das Ziel der Gemeinschaft, die dabei ihre Interessen durchsetzen will, und begrenzt durch die Aufgaben der Gemeinschaft, während es der Notstandsartikel des Generalvertrags, Art. 5, allein auf die Interessen der Sicherheit der Truppen abstellt, die angeblich zu unserer Sicherheit hier im Lande sind.
1 Nun haben wir gewisse Erfahrungen mit der Sicherheit. Wenn einmal ein Angriff aus dem Osten erfolgen sollte, dann richtet er sich natürlich in erster Linie gegen die Sicherheit dieser Truppen. Angesichts des allein in Betracht kommenden potentiellen Gegners ist doch klar, daß weder die Bundesregierung noch die Europäische Verteidigungsgemeinschaft allein eines solchen Notstandes Herr werden könnte. Es ist also schon wegen der Beistandspflicht Englands und Amerikas klar, daß der Notstandsfall des Art. 5 in seinen Voraussetzungen gegeben ist, und zwar schon dann, wenn ein solcher Angriff droht.
Nun bitte ich zu bedenken: Eine solche Klausel, die Voraussetzung eines drohenden Angriffs, wurde in den Jahren 1946/47 bei den Verhandlungen mit der ägyptischen Regierung dem Lande Ägypten vorgeschlagen. Ägypten hat in einer bedeutend schwächeren Position, als wir es sind, seinerzeit abgelehnt, und auch dann war die Weltgeschichte nicht zu Ende, sondern es wurde weiter verhandelt. Man kam trotzdem zwischen den Partnern des damaligen Vertrags zu einem für beide Teile tragbaren Ergebnis. Warum sollte man nicht hier bei hartnäckigeren und besseren Verhandlungen ein besseres Ergebnis herausholen können?
Aber ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß ähnlich wie in Art. 123 des EVGVertrags in dem Art. 4 des NATO-Vertrags auch den dort Beteiligten bessere Bedingungen ausgehandelt sind. Nur und allein im Art. 5 des Deutschland-Vertrags oder Generalvertrags, in dieser Bestimmung allein wird Deutschland erschwerten und erschwerenden Voraussetzungen unterworfen, allein deswegen, weil man uns noch nicht als gleichberechtigt behandelt,
und allein im westlichen Interesse, im Interesse der
Besatzungsmächte vorgeht, welche ihre Truppen
daherschicken.
Nun haben wir gerade gewisse Erfahrungen mit diesen Mächten vor Augen: wir haben die Erfahrungen der Nachbarländer. Denken Sie an die Erfahrungen von Belgien und Nordfrankreich bei dem Rückzug anläßlich des Vordringens der deutschen Truppen! Ohne eine Notstandsklausel wurde damals das immanente Notstandsrecht, das also bedeutend eingeschränkter ist als das hier vorliegende, gegen die einheimische Zivilbevölkerung im Interesse der Sicherheit der Truppen ausgenutzt. Hier geht aber das Recht sehr viel weiter. Es besteht sogar die Möglichkeit, daß für das gesamte Bundesgebiet der Notstand verkündet wird mit dem Erfolg, daß die Bundesregierung ungefähr in die Lage gedrückt wird wie die sogenannte Hoheitsregierung in Preußen bei dem Papen-Putsch im Jahre 1932. Daß diese Dinge nicht mehr mit Gleichberechtigung bezeichnet werden können, sollte jedem einleuchten. Daß diese Dinge untragbar sind, wenn man uns gleichzeitig auffordert, als angeblich Gleichberechtigte Europas Freiheit, unsere Freiheit und die der anderen mit zu verteidigen, auch das sollte einleuchten, Herr Bundeskanzler! Deswegen sind wir der Ansicht, daß man es dem deutschen Volke nicht zumuten kann, den Verträgen in der gegenwärtigen Fassung die Zustimmung zu geben.
Gerade der Bündnisfall bringt uns in die Notlage, daß weder das deutsche Parlament noch die Bundesregierung irgendeine Bedeutung hat. Die
Konsultativklausel ist praktisch wertlos. Sie besagt ja nicht mehr, als daß möglichst die Bundesregierung konsultiert werden soll. Aber was möglich ist, das bestimmen die anderen. Auch die Möglichkeit, an den NATO-Rat zu appellieren, ist wertlos, weil wir höchstens sehr indirekt und schwach und zu spät dabei zu Worte kommen, zunächst aber überhaupt nicht. Ich frage mich, und sage das im Namen des Zentrums im Bundestag: Was sollen denn diese Vorbehalte in einem Stadium, in einer Zeit und in einem Vertrag, wo der Auftakt für ein neues Europa gegeben werden soll?
Wenn man uns Europa mitverteidigen lassen will, so geht es nicht anders als auf der Basis der Gleichberechtigung. Das hier können wir nicht als Gleichberechtigung, nicht als eine ausreichende Wahrung der Interessen des deutschen Volkes, des deutschen Landes ansehen.
Es bleibt noch die Frage aufzuwerfen, wo und wie denn eigentlich verteidigt werden soll, eine Frage, die im Bundestag überhaupt noch nicht erörtert worden ist. Diese Frage will ich nicht zuletzt Ihrer besonderen Aufmerksamkeit anvertrauen. Nach dem, was immerhin bedeutende militärische Führer vor der ausländischen Presse seinerzeit publiziert haben, daß die Verteidigung ungefähr auf der Linie Antwerpen-Straßburg stattfinden soll, wäre das deutsche Volk überhaupt nicht daran interessiert. Allein solche Verlautbarungen sind von Übel. Denn man muß auch der psychologischen Situation Rechnung tragen. Und außerdem: Wenn man sagt, man kann die militärischen Geheimnisse nicht offenbaren — wenn man das als ein Geheimnis betrachtet —, warum dann diese Verlautbarungen? Es ist natürlich jedermann klar, daß man die Details nicht erfahren kann. Aber das es ein Bündnis gibt, in dem nicht die Garantie ausgesprochen wird, nach Möglichkeit das Gebiet des Teilnehmerstaats mitzuverteidigen, ist etwas Einmaliges und etwas Neues in der Geschichte. Wenn im Europarat die Vertreter gerade der westeuropäischen Länder in einer Resolution der letzten Sitzung allesamt und einmütig Befürchtungen in dieser Hinsicht ausgedrückt haben, Herr Bundeskanzler, so möge Ihnen das bedeuten, daß es nicht etwa bloß ein besonderes Anliegen der Opposition, nicht einmal allein ein Anliegen der Deutschen, sondern daß es ein westeuropäisches Anliegen ist, um das es hier geht,
und daß wir die Verpflichtung haben, diese Gelegenheit zu benutzen, um die Sicherheit unseres Landes zu gewährleisten, nicht bloß einen Beitrag zur Sicherheit der anderen zu leisten. Solange diese Gewähr nicht offiziell gegeben ist, Herr Bundeskanzler, kann das Zentrum im Bundestag seine Zustimmung nicht geben.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Bedeutung der Verträge für die Erhaltung des Friedens, der Freiheit, der Sicherheit und der Wiederherstellung der Einheit des deutschen Volkes ist es bedauerlich, daß den Abgeordneten, die nicht mit der Politik der Bundesregierung übereinstimmen, nur eine kurze Redezeit zur Verfügung steht. Bei den zehn Minuten — —
Frau Abgeordnete, es steht allen fraktionslosen Abgeordneten nur eine kurze Redezeit zur Verfügung. Sie vermögen nicht zu unterstellen, daß das nur Abgeordnete sind, die die Politik der Bundesregierung ablehnen.
Bei zehn Minuten, die mir zur Verfügung stehen, kann ich nur im Telegrammstil das Notwendige sagen.
Meine Damen und Herren, die Folgen einer aus Verkennung der tatsächlichen Weltsituation falsch geführten Politik der Bundesregierung werden sich eines Tages für das deutsche Volk verhängnisvoll auswirken. Denn die Einbeziehung von West- und Ostdeutschland in den militärischen Aufmarsch der verfeindeten Weltmächte gefährdet das deutsche Volk tödlich. Um dieser Gefahr zu begegnen, müßte eine Außenpolitik geführt werden, die Deutschland aus dem Objekt-Verhältnis der beiden Weltmächte herausholt. Nur ein aus dem militärischen Aufmarsch der USA und Rußlands herausbleibendes Deutschland dient dem Weltfrieden und dem Gleichgewicht der Kräfte.
Die größte Sorge der Gegner der Verträge ist die, daß sie die Wiedervereinigung Deutschlands auf friedlichem Wege unmöglich machen. Denn das sowjetische Sicherheitsbedürfnis ist der Angelpunkt für die Wiedervereinigung. Es wird entscheidend sein, ob wir bereit sind, dem russischen Sicherheitsbedürfnis dadurch entgegenzukommen, daß wir darauf verzichten, uns militärisch in den Westen einzugliedern. Das ist das, was man als den Preis für eine Wiedervereinigung bezeichnet.
Wenn demgegenüber gesagt wird, daß die Wiedervereinigung unser gutes Recht sei und die Russen sich ihm aus Rechtsgründen fügen müßten, so ist das sicherlich richtig. Tatsache ist aber auch, daß Rußland durch das Potsdamer Abkommen Mitteldeutschland mit 20 Millionen Deutschen als Faustpfand hat, und es scheint mir eine der gefährlichsten Illusionen des Herrn Bundeskanzlers zu sein, zu glauben, die Russen würden dieses Faustpfand ohne Preis hergeben,
um dieses wiedervereinigte Deutschland dann insgesamt dem Aufrüstungsblock des Westens eingegliedert zu sehen. Will man diesen politischen Preis
für die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands
nicht durch Verzicht auf die Verträge zahlen, wird
man eines Tages den militärischen Preis zahlen
müssen mit dem ganzen Risiko eines Krieges und
seinen unübersehbaren Folgen für das ganze Volk.
Im Gegensatz zur amerikanischen Politik sollte unser Ziel darauf gerichtet sein, die diplomatische Auseinandersetzung mit der Sowjetunion nicht aufzuschieben, bis Westeuropa aufgerüstet ist. Hier könnte sich nämlich die Tatsache der versäumten Gelegenheiten, wie sie sich in der bisherigen Behandlung der russischen Noten zeigt, einmal sehr gefährlich für uns auswirken. Denn die Aufrüstung Westeuropas wird durch zwei Umstände belastet und gehemmt: einmal durch den deutsch-französischen Gegensatz, andererseits durch die Tatsache, daß die europäischen Völker ihre relativ hohe Lebenshaltung nicht gefährden wollen, während Rußland in der Lage ist, unter Beibehaltung seiner niederen Lebenshaltung, ja selbst bei Senkung derselben seine vollen Kräfte in den Dienst der Aufrüstung zu stellen.
Aus den Verlautbarungen der NATO geht hervor, daß die westeuropäischen Mitglieder nicht in der Lage sind, die Planziffern für 1952 gemäß dem Lissabonner Abkommen zu erfüllen. Wenn sich schon bei den ersten Ansätzen zur Erfüllung der Rüstungsaufgaben derartige Schwächen zeigen, so dürfte eine Ausführung des vollen Planes weder durch eigene Anstrengungen noch durch die Hilfe der USA mit Sicherheit zu erwarten sein.
Gegenüber dieser Situation Westeuropas — von dem wir bezweifeln müssen, ob es überhaupt in der Lage sein wird, in einem Wettrüsten mit Rußland alle seine Kräfte einzuspannen —, die uns Deutsche in eine besonders gefährliche Situation bringen würde, gilt es doch einmal zu prüfen, ob denn keine andere und weniger gefährliche Lösung möglich ist. Sie könnte darin liegen, daß die an Deutschland interessierten Länder in Übereinstimmung ihrer eigenen Interessen mit denen Deutschlands zu der Lösung kommen, daß sich zwischen den beiden Mächteblöcken eine Mitte bildet, die entweder nur Deutschland umfaßt — dessen Sicherheit von allen vier Mächten garantiert wird — oder ein neutrales Mitteleuropa. Würde zudem Deutschland nach den Vorschlägen der Westmächte und Rußlands noch Mitglied der Vereinten Nationen werden, genösse es deren Schutz und wäre auch ohne Eingliederung in einen der Machtblöcke gegen einen Angriff ebenso gesichert wie die übrigen Mitgliedsstaaten der UN.
Die Ausklammerung Deutschlands aus dem östlichen wie aus dem westlichen Militärblock würde auch das Sicherheitsgefühl Frankreichs befriedigen. Die ablehnende Haltung des überwiegenden Teils des französischen Volkes zu den Verträgen beruht doch auf dem Angstgefühl, daß das durch den indochinesischen Krieg in seiner wirtschaftlichen und militärischen Kraft geschwächte Frankreich auch in seiner politischen Funktion in Europa Deutschland gegenüber in den Hintergrund gedrängt wird. Solange diese Vorstellung bei den Franzosen vorherrschend ist, wird es nicht zu einer Entspannung des deutsch-französischen Verhältnisses kommen,
die auch eine im deutschen Interesse mögliche Lösung des Saarproblems ermöglicht. Erst recht wird Frankreich nicht bereit sein, ohne die Befriedigung seines Sicherheitsbedürfnisses in eine Wiedervereinigung Deutschlands einzuwilligen, wodurch es an seiner Ostgrenze einen Staat bekäme, der um 20 Millionen Menschen stärker wäre als bisher.
Es scheint mir auch notwendig zu sein, eine klarere Vorstellung von den Grundlagen unserer Europapolitik zu haben, als sie aus der Rede des Herrn Bundeskanzlers erkennbar war.
Die übernationale Zusammenarbeit mit allen europäischen Staaten ist die Grundlage. Aber wer Europa schaffen will, muß dafür eine umfassendere europäische Lösung im Gegensatz zu der in der EVG vorgesehenen kleineuropäischen Lösung haben. Nur diese wird die Chance geben, die gescheiterte Politik der Bundesregierung im Hinblick auf das deutsch-französische Spannungsverhältnis
von einer positiveren Grundlage aus neu zu beginnen. Das Ziel unserer Europapolitik muß ein Europa als selbständige dritte Kraft zwischen den beiden Mächten, der USA und der Sowjetunion, sein. Nur ein politisch starkes und unabhängiges Europa kann durch seine aktive Entspannungspolitik dem Frieden dienen. Es kann nicht Brückenkopf für eine der beiden Weltmächte sein. Nur ein unabhängiges Europa hat auch Aussicht auf die Mitarbeit Osteuropas, und nur von dieser Perspektive aus wird es überhaupt möglich sein, die Fragen der östlichen Grenzen, auch die Fragen der Oder-Neiße-Linie in positivem Sinne für Deutschland zu lösen.
Ich wende mich deshalb gegen die Europapolitik der Bundesregierung, weil sie nicht dieses vereinigte Europa schaffen kann, das wir alle in diesem Hohen Hause von ganzem Herzen wünschen, weil die Annahme der EVG-Verträge die vertiefte und verhärtete Spaltung Europas bedeutet.
Darum gilt es doch für uns Deutsche, klar zu erkennen, wohin diese Verträge führen. Im gegen- wärtigen Stadium der latenten internationalen
Lage werden die Verträge eine Verschärfung der Gegensätze zwischen Ost und West herbeiführen, die Weltaufrüstung beschleunigen, die bekanntlich nicht zum Frieden, sondern zum Krieg führt. Das ist der Grund für meine Ablehnung der beiden Verträge,
Und das, möchte ich zum Schluß dem Herrn von Rechenberg gegenüber sagen, ist auch das Ziel der Gesamtdeutschen Volkspartei, die Sie freundlicherweise gestern hier erwähnten.
Wer das Morgenthau-Politik nennt, hat wenig begriffen, um was es in der deutschen Politik heute geht. Und das soll es ja auch unter Politikern geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wundert mich nicht, daß die Moskauer Lautsprecher mich in der von ihnen schon hinreichend gewohnten Art begrüßen.
Aber daß es in diesem Hause außer den Kommunisten noch Abgeordnete gibt,
die in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungsweise das sowjetische Sicherheitsbedürfnis statt unseres deutschen Sicherheitsbedürfnisses stellen, das ist allerdings sehr verwunderlich.
Ich glaube, wir sollten uns weniger Sorgen darum
machen, wo Väterchen Stalin seine Sicherheit findet.
Ihm braucht um seine Sicherheit nicht bange zu
sein, nachdem er aus dem zweiten Weltkrieg mit
einem Machtsystem hervorgegangen ist, das von
Wladiwostok bis nach Eisenach reicht und das er
in dieser Nachkriegszeit nicht nur mit friedlichen,
sondern mit agressiven Mitteln der direkten und
indirekten Kriegführung dauernd ausgeweitet hat.
Unser Sicherheitsproblem ist ja daraus erwachsen, daß die sowjetische Politik fortgesetzt aggressiv gewesen ist,
daß sie seit 1946 kein Jahr hat vergehen lassen, in dem sie nicht Angriffe gesetzt hat. Es waren ja nicht nur Angriffe außerhalb Deutschlands, sondern einer der schwersten und verbrecherischsten Angriffe fand auf Berlin mit der Hungerblockade gegen 21/2 Millionen deutsche Menschen
mitten im Frieden statt!
Das wird von den Neutralisten geflissentlich vergessen, genau so wie es von denen vergessen wird, die heute davon sprechen, daß die hier zur Debatte stehenden Verträge die deutsche Einheit verhindern oder erschweren. Gestern sagte hier der sozialdemokratische Kollege Brandt, die Spaltung Deutschlands werde durch die Verträge versteinert, und eben wiederholte mit anderen Worten auch Frau Wessel, daß die deutsche Einheit durch die Verträge verhindert werde. Ja, wer das sagt, der setzt doch voraus, daß ohne den EVG-Vertrag und ohne die westliche Integrierung der Bundesrepublik die Sowjetunion jetzt schon zur Herstellung der deutschen Einheit in Freiheit bereit wäre, der deutschen Einheit, wie wir sie verstehen, wohlgemerkt, und nicht, wie Sie sie verstehen;
denn wie Sie sie verstehen, das beweisen Sie ja seit 1945 in Mitteldeutschland.
Wir haben die erstaunliche Behauptung gehört, daß die Sowjets zu Verhandlungen mit dem Ziele der Herstellung der Freiheit in Gesamtdeutschland bereit seien; wir haben gehört, es habe bei ihnen ein diesbezüglicher Kurswechsel stattgefunden oder er bereite sich vor. All diese Behauptungen werden auch durch die letzte sowjetische Note widerlegt. Darin hat die Sowjetunion sehr nachdrücklich gerade die einzige materielle Erörterung abgelehnt, die der natürlichen Ordnung der Dinge entspräche: erst freie Wahlen, dann Bildung einer aus freien Wahlen in ganz Deutschland hervorgehenden Regierung und danach Friedensverhandlungen unter Teilnahme dieser aus wirklich freien Wahlen hervorgegangenen und dementsprechend demokratisch legitimierten deutschen Regierung. Die Note der Sowjets hat in nichts erkennen lassen, daß sie zu einer derartigen Gestaltung Deutschlands oder der Freiheit auch in Mitteldeutschland bereit wären.
Dagegen haben sie gerade in den seit der ersten Lesung vergangenen Monaten wiederum Tatsachen geschaffen, die viel beredter als all ihre Noten darüber Auskunft geben, was sie in Wahrheit wollen. Die erste Tatsache ist nachdrücklich genug: der Stacheldraht quer durch Deutschland mit der Fünf-Kilometer-Zone des Schweigens. Die zweite
sehr wesentliche Tatsache: die Menge der von den Sowjets entlang der Zonengrenze ständig hervorgerufenen Grenzzwischenfälle, obwohl keinem Volkspolizisten unbekannt ist, wo die Zonengrenze verläuft, und deshalb Grenzzwischenfälle ausgeschlossen sein sollten, nachdem der Stacheldraht und die Zone des Schweigens geschaffen sind.
Zum dritten: die gerade in den letzten Monaten mit aller Energie betriebene Sowjetisierung des gesamten wirtschaftlichen Lebens. Wir haben erlebt, daß die Landwirtschaft mit einer neuen Kollektivierungswelle überzogen wurde, die jetzt schon bis weit in den mittleren Besitz reicht. Es handelt sich um die Bestrebungen, Kolchosen zu bilden. In der gewerblichen Wirtschaft sehen wir die gleiche Tendenz. Immer mehr ausgesprochene Mittel-, ja schon Kleinbetriebe werden in die Verstaatlichung einbezogen. Wir kennen auch die Parolen von der Aktivierung des Sozialismus, mit denen nichts anderes als die völlige Sowjetisierung der ostzonalen Wirtschaft gemeint ist.
Nun aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, schließlich die vierte wesentliche Tatsache: inzwischen sind die Bereitschaften nicht nur zu militärischen Verbänden umgegliedert, sondern unter das Kommando sowjetischer Offiziere gestellt worden. Diese werden Instruktionsoffiziere genannt; aber tatsächlich liegt die Entscheidungs- und Befehlsgewalt bei ihnen. Diese Offiziere befinden sich nicht nur bei Einheiten wie Divisionen und Regimentern,' sondern ihre Anwesenheit geht hinunter bis in die Bataillone und Kompanien. Zum Ausdruck dessen, daß es sich bei dieser Volkspolizei um eine deutsche Truppe unter sowjetischem Kommando handelt, ist sie auch in eine Uniform gesteckt worden, die der sowjetischen sehr viel mehr angenähert ist, als es die bisherige Uniform der Volkspolizei gewesen ist.
Das sind die maßgebenden Tatsachen, die sich in den letzten Monaten in Deutschland vollzogen haben.
Dazu kommen entscheidende Tatsachen, außerhalb Deutschlands, an denen man die Tendenz der sowjetischen Politik ablesen kann. Da haben wir einmal die Fortdauer der Verhandlungen über den staatsrechtlichen Status einer Nation, die auch einmal von den Sowjets als befreite Nation bezeichnet worden ist. Inzwischen ist man zu 260 Verhandlungen über den österreichischen Staatsvertrag gelangt, ohne daß es gelungen ist, den Sowjets das Zugeständnis abzuringen, wie denn nun die Freiheit dieser befreiten Nation aussehen soll.
Die Waffenstillstandsverhandlungen in Korea werden seit anderthalb Jahren geführt, Sie sind offensichtlich nichts anderes als ein Mittel gewesen, um im Zeichen der Waffenstillstandsverhandlungen die kommunistische militärische Position in Nordkorea auszubauen. In Indochina haben wir eine verstärkte kommunistisch-sowjetische militärische Aktivität festzustellen.
Dazu die Wühlarbeit in Persien, im gesamten Vorderen Orient und in Afrika, — nun, meine verehrten Damen und Herren, diese Tatsachen sind entscheidender als Notenwechsel!
Wer diese Tatsachen verschweigt oder als nicht existent behandelt, der treibt Propaganda für die Sowjets.
In diesem Sinne treiben Propaganda für die Sowjets gerade die Männer und Frauen - mögen sie sich dessen auch nicht bewußt sein; aber tatsächlich ist es so: sie sind behilflich, Illusionen zu erzeugen —, die sich in der famosen Gesamtdeutschen Volkspartei zusammengefunden haben.
Diese Gesamtdeutsche Volkspartei mit ihrer Neutralisierungspolitik würde, wenn sie zum Zuge käme, nichts anderes bewirken, als daß Deutschland in die Lage Koreas gebracht würde
und daß lediglich für uns in Zukunft das eine in Frage stünde: wann denn der Zeitpunkt eines sowjetischen Angriffs, eines sowjetischen Überfalles gekommen wäre.
Die Gesamteinstellung der Sowjets, die aus all diesen von mir angeführten Tatsachen erhellt, findet schließlich ihren Niederschlag in der These, die Stalin aus Anlaß des Kommunistischen Parteitages in Moskau wieder aus der Mottenkiste hervorgeholt hat: der These von der Selbstzerfleischung des kapitalistischen Westens. Wenn die Kommunistische Partei, wenn Stalin als Machthaber der Sowjetunion diese These von der Selbstzerfleischung des kapitalistischen Westens, auf die die Sowjetunion warten könne, wieder hervorholt, dann bedeutet das doch, daß, solange man an die Erfüllung dieser These glaubt, keinerlei Bereitschaft zur Preisgabe von Gebieten des sowjetischen Machtbereichs feststellbar ist.
Die Hoffnung auf die Erfüllung ihrer These muß den Sowjets genommen werden. Sie sehen sich erst dann zu einem Wechsel ihrer Politik veranlaßt.
Sie sehen sich erst dann veranlaßt, von einer Politik der allenthalben befolgten und ausgenutzten Aggressionen, einer Politik des Kalten Krieges, zu einer solchen der Friedenskonsolidierung überzugehen, wenn sie nicht mehr hoffen können, daß sich die Völker der, wie sie sagen, „kapitalistischen Welt" selbst zerfleischen werden, daß sie sich in neue Konflikte stürzen werden oder aber daß sie jedenfalls nicht fähig sein werden, einen Zustand permanenter Desorganisation zu überwinden.
Ob wir den Sowjets diese Hoffnung nehmen, das hängt allein von uns Deutschen hier außerhalb des sowjetischen Machtbereiches ab. Es hängt gleichermaßen von den anderen europäischen Völkern und außerhalb Europas von den Völkern ab, die ebenfalls die Sache der Freiheit vertreten.
Unser Verhalten ist insofern entscheidend, als nur durch dieses Verhalten bewirkt werden kann, ob die Sowjets in Zukunft Deutschland als einen schwachen Punkt in der westlichen Front betrachten können.
Unsere Aufgabe muß sein, an die Stelle eines jetzt noch obwaltenden Zustandes der Zerrüttung durch Desorganisation zwischen den verschiedenen freien Völkern zu einem Zustand der Organisation zum Zwecke der Konzentration zu kommen.
Damit, daß wir eine dahingehende Politik einschlagen und verwirklichen wollen, wird der Ausgleich zwischen der westlichen und östlichen Welt nicht verhindert, sondern es wird überhaupt erst einmal die Voraussetzung dafür geschaffen,
daß er eines Tages möglich ist.
Es ist ja bisher deshalb nicht möglich, weil den Sowjets der Wille fehlt, der für einen Generalausgleich und damit für die Begründung einer langdauernden Friedenspolitik erforderlich wäre.
Dieser Generalausgleich, der eines Tages zu einer Neuabsteckung der Machtbereiche führen wird, ist aber gebunden an den sowjetischen Willen, auch das in Betracht zu ziehen, was die Sowjets heute noch nicht in Betracht ziehen, nämlich auf deutsche und andere europäische Gebiete zu verzichten, von denen sie wissen, daß sie zu 90, 95, ja 98 % von Menschen bewohnt sind, die nur eine Hoffnung und eine Sehnsucht haben: von der sowjetischen Herrschaft freizukommen.
Es ist seit dem Sommer dieses Jahres, soweit ich habe feststellen können, Sitte geworden, bei diesem Problem des — wie ich überzeugt bin — eines Tages eintretenden und zunächst einmal anzustrebenden Ausgleichs davon zu sprechen, daß wir für die Befreiung Mittel- und Ostdeutschlands einen Preis zu zahlen hätten. Ist es eigentlich Aufgabe deutscher Politiker, wenn man von den Kommunisten da drüben absieht, den Sowjets klarzumachen, daß sie einen Preis, und zwar einen möglichst hohen Preis dafür zu fordern hätten?
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, leisten der Sowjetunion einen Dienst, indem Sie bei jeder Gelegenheit darauf hinweisen, daß wir wohl einen Preis leisten müssen.
Für uns handelt es sich darum, und dieser Standpunkt sollte von allen Deutschen vertreten werden, daß ein Unrecht, das man uns zugefügt hat, aus der Welt geschafft werden muß. Daß dieses Unrecht nur eintreten konnte kraft eines Vertrags, den die westlichen Mächte mit den Sowjets geschlossen haben, das steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls sollte das für uns nicht das maßgebliche Moment bei der Betrachtungsweise sein. Im übrigen sollten alle diejenigen, die von dem Preis sprechen, das eine bedenken: Wer sagt denn, wie eines Tages die Verhältnisse in der Welt aussehen werden, welcher Art der Preis wäre, wo in der Welt er läge, ob überhaupt auf politischem oder nur auf wirtschaftlichem Gebiet, in wirtschaftlichen Kompensationen, die der Westen dem Osten leisten kann und die für den Osten eines Tages außerordentlich wertvoll sein könnten?
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, alle diese Argumente zeigen, daß der Weg zu einem Ausgleich, zu einer Bereitschaft der Sowjets zum langandauernden Frieden nur über die defensiven Regionalpakte der westlichen Welt
im Rahmen der Vereinten Nationen führt; und defensive Regionalpakte dieser Art sind ja die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und die NATO.
Es ist nicht richtig, wenn Kollege Brandt sagt, die Bundesregierung wolle eine bündnisfreie Politik unmöglich machen. Tatsache ist, daß eine bündnisfreie Politik uns und den anderen europäischen Völkern nicht aus der Gefahr heraushilft, in der wir heute durch das Dasein und den Charakter des sowjetischen Systems schweben. Im übrigen sollte es j a wohl hier keine Meinungsverschiedenheit darüber geben, daß sich der defensive Charakter des europäischen Verteidigungsvertrags nicht nur daraus ergibt, daß der Verteidigungszweck vertraglich festgesetzt ist. Wir wissen, wie wenig das unter Umständen zu besagen braucht. Viel wesentlicher ist, daß die europäischen Völker von Friedensliebe durchdrungen sind und daß die europäischen Völker, da es sich durchweg um demokratisch organisierte Völker handelt, überhaupt nicht in der Lage sind, einen Angriffskrieg vorzubereiten und einzuleiten. Das weiß niemand besser als Stalin und das Heer seiner Berater. Niemand weiß besser als die sowjetischen Machthaber, daß moderne Demokratien mit ihrer enormen Gebundenheit an die öffentliche Meinung in Wahrheit unfähig sind, einen Angriffskrieg vorzubereiten. Das können nur diktatorische Systeme.
Die Geschichte der letzten dreißig Jahre hat eindeutig gezeigt — und das ist allerdings ein sehr bedenklicher Tatbestand, den sich auch unsere Opposition zu Gemüte führen sollte —, welchen Vorsprung im rein Faktisch-Machtmäßigen moderne diktatorische Systeme dadurch gewinnen können, daß der gesamte Rüstungs- und Kriegsapparat lediglich davon abhängig ist, daß wenige Machthaber den Hebei der Macht betätigen, während in den demokratischen Staaten eine ungeheure Fülle von Widerständen zu überwinden ist bei jeder Erörterung von Verteidigungsfragen, geschweige denn, daß es sich um Beschlußfassungen handelt.
Der Weg über die Pakte, die EVG und die NATO, ist der einzige Weg, um die Sowjetunion einer echten Friedenspolitik zuzuführen, und das ergibt sich außer all den Gründen, die ich bereits angeführt habe, noch aus einem für uns besonders wichtigen Zusammenhang. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist nämlich ein weit stärkeres Mittel zur Förderung der politisch-wirtschaftlichen Einheit Europas als die Montanunion. Die Montanunion war bereits gedacht als ein Mittel zur Integrierung Europas, ein Mittel auf dem Wege zur Föderalisierung Europas. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft wird viel stärkere dynamische Kräfte auslösen, die in diese Richtung drängen. Für uns sind Verträge wie der Montanunion-Vertrag und der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft bei Gott keine Idealverträge. Es haften ihnen viele Mängel an. Aber diese Verträge haben das eine Gute: sie sind die einzigen Mittel, um mit der erforderlichen Geschwindigkeit zu einem Tatbestand zu kommen, der weit umfassender ist; zu dem Tatbestand, den wir alle heißen Herzens anstreben: dem Tatbestand der wirtschaftlichen und politischen Einheit Europas.
Auch was den Umfang dieser Einheit anlangt, müssen wir damit vorliebnehmen, daß zunächst nur sechs Staaten an diesem Integrationsprozeß teilzunehmen bereit sind. Aber es sind immerhin Staaten mit 155 Millionen Menschen. Je erfolgreicher sich dieser Integrationsprozeß zeigt, je schneller er fortschreitet, je mehr er seine Produktivität im Materiellen und Verteidigungsmäßigen erweist, um so mehr dürfen wir gewiß sein, daß die wirtschaftliche und politische Einheit Europas dann auch einen größeren Kreis von Völkern und Staaten ergreift.
Für uns handelt es sich nicht um die Verträge als solche, sondern um die Verträge als Träger dynamischer Wirkungen, und diese Wirkungen weisen in die Richtung eines gesunden, auf der Basis der föderalistischen Prinzipien, der Gegenseitgikeit und Gleichberechtigung gegründeten Europas.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Euler hat soeben ausgeführt, daß deutscherseits keine Veranlassung bestehe, der Sowjetunion einen Preis anzubieten. Mit dieser Auffassung ist er einer Meinung gefolgt, die von der Sozialdemokratie seit jeher vertreten wird. Wir haben immer die sogenannte Preisdiskussion für einen Unsinn erklärt, und das Wort „Preis" befindet sich auch in diesem Fall gar nicht in unserem Wörterbuch; es stammt ja sehr viel mehr aus der freien Marktwirtschaft.
Ich verstehe dann aber auch nicht, warum man denn den Westmächten einen so hohen Preis bietet, und zwar sogar ohne dafür die volle Freiheit dem Westen gegenüber zu bekommen. Das werden wir gerade bei der verfassungsrechtlichen Diskussion sehen.
25 Monate sind verstrichen, seit dieser Bundestag das erste Mal erörterte, ob wir über die sachliche Verteidigungslast hinaus, über die bei den Demokraten dieses Hauses im Grundsatz Einigkeit herrscht, auch einen bewaffneten Beitrag durch Soldaten leisten können. Damals, am 8. Oktober 1950, hat Dr. Kurt Schumacher für uns dargelegt, daß zuvor erst bestimmte Voraussetzungen tatsächlich verwirklicht sein müßten, um uns im gesamtdeutschen Interesse diesen bewaffneten Beitrag zu ermöglichen. Eine überparteiliche Außenpolitik und eine von allen demokratischen Kräften gemeinsam getragene Wiedervereinigungspolitik wären bei einer Verständigung über jene Grundlagen, wie Dr. Kurt Schumacher sie hier aufgezeigt hat, möglich gewesen. Sie waren nicht nur nationalpolitisch erforderlich, sie waren auch verfassungsrechtlich geboten. Denn damals schon, als eben eine solche Möglichkeit politisch noch durchaus offenstand, hat Kurt Schumacher unsere Rechtsüberzeugung ausgesprochen, daß allein ein neugewählter Bundestag zu einer Wehrentscheidung legitimiert sein könne und daß eine Verfassungsergänzung vorausgehen müsse.
Unsere Bereitschaft, nach Erfüllung der politischen Voraussetzungen in eine Erweiterung des Grundgesetzes einzuwilligen, blieb unbeachtet.
Statt dessen sind die Bundesregierung und die Koalitionsparteien mutwillig einen parteipolitischen Weg gegangen, von dem sie in diesen so versäumten 25 Monaten wissen mußten, daß er niemals unsere Zustimmung finden konnte. Am Ende dieses unnötigen Weges stehen wir heute vor einem Verfassungskonflikt von letzter Tiefe.
Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht hat sich in großen Zügen mit den hierdurch aufgeworfenen Verfassungsfragen beschäftigt, ohne sie erschöpfend behandeln zu können. Unsere Beratungen waren sachlich und ernst. Mich hat der Eindruck tief bewegt, daß manch Andersdenkender im Ausschuß mit seinem Rechtsgewissen notvoll gerungen hat, und wenn wir uns auch in einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung leider nicht gefunden haben, so verpflichtet es mich zu Dank, daß wir sie immerhin suchten. Mir bleibt jetzt nur noch die Aufgabe, vor der Öffentlichkeit und vor der Geschichte zu bekunden, wie katastrophal die Verfassungsnot ist, in die uns eine Annahme der Vertragsgesetze stürzen muß.
Dieser Bundestag ist nach unserer aufrechterhaltenen Überzeugung zu der unwiederholbaren und unwiderruflichen Schicksalsentscheidung über die Wehrfrage nicht befugt.
Ein solcher Übergriff wird jeden Ansatz eines demokratischen Bewußtseins im Volke von Grund auf zerstören.
Art. 63 des Grundgesetzes hätte sehr wohl eine zulässige Möglichkeit geboten, um an das Volk zu appellieren, das in einer Demokratie die höchste Instanz sein soll. Wer aber da sagt, die Wehrfrage eigne sich nicht für eine Selbstbestimmung der Wähler, der verachtet das Volk und der verachtet die Demokratie.
Ich wende mich jetzt den Vertragswerken zu, um einige Hauptpunkte aufzuzeigen, in denen sie mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Unvereinbar mit dem Grundgesetz ist zuallererst die Notstandsklausel in Art. 5 des Generalvertrags, insbesondere die deutscherseits übernommene Verpflichtung, diese Notstandsbefugnis der drei Westmächte nicht zu beeinträchtigen, ja sogar ihre Ausübung zu erleichtern. Was ist denn der Inhalt dieser Notstandsbefugnis? Die drei Westmächte bleiben befugt, nach ihrem Ermessen ohne jede Schranke und ohne jede schiedsgerichtliche Kontrolle in Westdeutschland alles und jedes anzuordnen, was sie zum Schutz ihrer Truppen einseitig für erforderlich halten, falls nach ihrer subjektiven Meinung die freiheitlich demokratische Grundordnung nur bedroht ist oder der Ausbruch eines Krieges drohen sollte.
Hier ist dem Herrn Bundeskanzler in seiner Rede gestern ein erstaunlicher Irrtum unterlaufen, der trotz der Tausendzahl der Paragraphen nicht hätte vorkommen sollen.
Ich zitiere wörtlich, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat:
Ich glaube, daß wir durch Einfügung der Schiedsgerichtsklausel etwaigen Mißbräuchen des Notstandsrechts vorgebeugt haben.
Das ist nicht richtig. Denn Sie wissen, daß das Schiedsgericht keine Zuständigkeit hat über die sogenannten Vorbehaltsrechte der drei Westmächte,
also auch nicht über die Notstandsbefugnis.
Die Bundesregierung behauptet, diese außerordentlichen Befugnisse würden gar nicht durch den Generalvertrag begründet; sondern die Westalliierten hätten sich diese Befugnisse nur einseitig vorbehalten. Ja woraus denn vorbehalten. An den Abkommen der Alliierten untereinander war und ist Deutschland nicht beteiligt, so daß es auch nicht verpflichtet werden konnte durch jene Abkommen, die unter anderen geschlossen sind.
Aus dem Völkerrecht unmittelbar ergeben sich solche Befugnisse auch nicht, zumal unbestritten die amerikanischen Truppen in England keineswegs solche Rechte haben. Es trifft nicht zu, wenn der Herr Bundeskanzler gestern hier ausgeführt hat, daß die Notstandsbefugnis eine selbstverständliche Konsequenz der Truppenstationierung in Deutschland wäre. Denn es sind z. B. amerikanische Truppen auch in Großbritannien auf der Insel stationiert. Ich habe im Ausschuß den Regierungsvertreter Herrn Professor Grewe gefragt, ob denn die amerikanischen Truppen in Großbritannien auch befugt seien, dort die demokratische Freiheit und Ordnung aufrechtzuerhalten, wenn sie sie für bedroht hielten. Darauf ist mir geantwortet worden: „Na, ja, darin ist natürlich hier ein politischer Rest in der Notstandsklausel enthalten."
Sollten dagegen diese Befugnisse noch aus der Okkupation hergeleitet werden, so bleiben wir also ein besetztes Land. Dann ist also in einem wesentlichen Punkte das Besatzungsstatut eben nicht aufgehoben, und von unserer Gleichberechtigung kann keine Rede sein.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat gestern gesagt, am Vorbehaltsrecht der Truppenstationierung und somit an der Notstandsklausel sei Dr. Kurt Schumacher schuld, weil er im April 1951 geäußert habe, eine Unterschrift des Bundeskanzlers sei für uns null und nichtig. Was hat Herr Dr. Kurt Schumacher gesagt? Ich habe es nachgelesen. Er hat gesagt: Ehe die gesetzgebenden Körperschaften durch Gesetz — dem Schumanplan nämlich — zugestimmt und ehe der Bundespräsident einen Vertrag ratifiziert hat, können mündliche Zusagen oder auch Unterschriften des Bundeskanzlers als null und nichtig das deutsche Volk noch nicht verpflichten.
Eine Selbstverständlichkeit, die Dr. Schumacher ausgesprochen hat! Daß das richtig ist, kann kein vernünftiger Mensch bestreiten!
Meine Damen und Herren! Nur ein Haß
bis über das Grab hinaus
kann für den eigenen Mißerfolg des Bundeskanzlers noch den toten Gegner verantwortlich machen. Die Öffentlichkeit wird urteilen, auf wen der Stein fällt, der hier geworfen wurde.
Unter allen Umständen ist es verfassungswidrig, daß wir uns vertraglich verpflichten, die Ausübung dieser alliierten Diktaturbefugnisse zu erleichtern. Gerade das aber ist ja vereinbart. Was heißt denn das? Wenn die Westalliierten behaupten, daß ein Krieg auszubrechen drohe, und wenn sie deshalb einseitig zum Schutz ihrer Truppen verlangen, daß der Deutsche Bundestag etwa oder der Bundesrat oder die Bundesregierung sich sofort jeder weiteren Tätigkeit enthalten, dann müssen wir, ohne den Schutz eines Schiedsgerichts zu haben, diese Diktatur nicht nur dulden, sondern sie sogar pflichtgemäß auch noch erleichtern.
— Nein, das ist kein Irrtum! Dann haben Sie die Verträge nicht hinreichend gelesen. Einzig in der Welt soll also allein das deutsche Volk noch dabei mithelfen, daß es in der Stunde seiner größten Gefahr, insbesondere im Kriegsfalle, seine demokratische Volksvertretung und seine eigene Regierung verliert oder verlieren kann. Unser Grundgesetz erlaubt uns nicht, selbst bei uns die Demokratie zugunsten einer ausländischen Diktatur zu beseitigen.
Die pausenlose Propaganda der Bundesregierung hat allerdings dem Volke verschwiegen, daß solche Ungeheuerlichkeiten im Generalvertrag stehen, und ich merke, daß manch einer unter Ihnen das bis jetzt auch noch nicht ganz richtig gesehen hat.
Ich komme zu einem anderen Punkt, dem Schiedsgericht im Generalvertrag. Durch den Generalvertrag verpflichten wir uns, eine Fülle von Besatzungsgesetzen bestehen zu lassen. Außerdem verpflichten wir uns, bestimmte neue Gesetze zu erlassen, z. B. Enteignungsgesetze zur Landbeschaffung für Verteidigungszwecke. Schließlich verpflichten wir uns, kein Abkommen zu schließen, das die sogenannten Vorbehaltsrechte der Westalliierten beeinträchtigt. Wenn wir nun diese Vertragspflichten nach Meinung des Schiedsgerichts nicht richtig erfüllen, dann kann dieses merkwürdige Schiedsgericht selbst diese Gesetze in Westdeutschland für uns Deutsche erlassen.
Eine schiedsrichterliche Oberhoheit dieser Art ist einmalig in der Rechtsgeschichte. Der elementarste und sogar ausdrücklich für unantastbar erklärte Grundsatz unserer Verfassung, die Gewaltenteilung, wird hier durch die Errichtung einer Behörde verletzt, die in einer Hand Rechtsprechung, Vollstreckung und sogar Gesetzgebung vereinigen soll.
Außerdem ist diese Klausel für Deutschland diskriminierend, da sich die Gewalt des Schiedsgerichts auf das westdeutsche Gebiet beschränkt. Hierfür ein Beispiel. Wenn wir eine Abmachung treffen, durch die wir nach Meinung des in seiner Mehrheit ja von den andern besetzten Schiedsgerichts ein sogenanntes Vorbehaltsrecht der Westalliierten beeinträchtigen, etwa ihr Veto gegen eine deutsche Wiedervereinigung, so erklärt das Schiedsgericht diese Abmachung für ungültig. Schließt aber etwa Frankreich unter Verletzung des Generalvertrags mit einer dritten Macht ein ausdrücklich gegen die deutsche Einheit gerichtetes Abkommen, so kann das Schiedsgericht kein Gesetz erlassen, das in Frankreich gilt und jenes Abkommen aufhebt.
Also einseitiges Recht, ausschließlich allein gegen Deutschland. Hier ist in diskriminierender Weise ein solches einseitiges Recht geschaffen.
Leider ist die Liste der Verletzungen unseres Grundgesetzes durch den Generalvertrag und die Zusatzverträge so groß, daß im Rahmen einer Rede nicht einmal eine Aufzählung möglich ist. Ich beschränke mich daher jetzt auf die Feststellung, daß der Generalvertrag in wesentlichen Punkten absolut verfassungswidrig ist und daß er uns die Gleichberechtigung versagt.
Ich wende mich jetzt dem Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu. Diese sogenannte Gemeinschaft ist keine Einrichtung, auf die wir nach unserem Grundgesetz Hoheitsrechte übertragen dürfen, weil sie in ihrem Aufbau weder demokratisch noch parlamentarisch kontrolliert ist. Das Volk — und das Volk soll doch die Soldaten stellen — hat dort alles Recht verloren. An der Spitze der sogenannten Gemeinschaft steht ein Kommissariat, das wiederum nicht nur Regierung, sondern zugleich auch Gesetzgeber sein soll. Unsere Verfassungsurkunde bestimmt aber in Art. 20, daß Regierung und Gesetzgebung nur von getrennten Organen ausgeübt werden dürfen, und Art. 79 des Grundgesetzes entzieht diesen unantastbaren Grundsatz der Gewaltenteilung sogar jeder Verfassungsänderung. Mit diesen fundamentalen Bestimmungen unseres Verfassungsrechts ist es unvereinbar, supranationale Instanzen, autoritäre Instanzen zu schaffen, auch wenn man sie fälschlich europäische nennt. Was hier entsteht, ist kein Europa der gleichen und der freien Völker, das wir alle ersehnen, sondern ein autoritäres Regime der Manager.
Der Bundestag als die Volksvertretung und auch der Bundesrat verlieren ihr wichtigstes Recht, soweit Ausgaben für Rüstungszwecke zu bewilligen und zu kontrollieren sind. Wer erwarten sollte, daß an die Stelle dieses Rechts des nationalen Parlaments die bei der EVG gebildete sogenannte Versammlung als supranationales Parlament treten würde, der sieht sich enttäuscht. Nicht einmal mit einer Zweidrittelmehrheit kann diese europäische Verteidigungsversammlung einen nennenswerten Einfluß auf den Rüstungshaushalt nehmen, worüber mein Freund Erwin Schoettle noch Ausführungen machen wird. Kommissariat und Ministerrat sind auch insoweit nahezu allmächtig.
So ist es mit dem Geld, und so ist es, was noch ungleich schwerer wiegt, mit dem Blut. Über die Kriegserklärung soll deutscherseits ein einziger Mann insgeheim mitbestimmen können: der deutsche Minister im europäischen Ministerrat.
Gewiß darf nach dem EVG-Vertrag in Übereinstimmung mit unserm Grundgesetz nur ein Verteidigungskrieg erklärt werden, aber es wäre ein verhängsnisvoller Irrtum, sich einzureden, die Erklärung des Verteidigungskrieges sei nur eine belanglose Formalität ohne Bedeutung. Im Gegenteil, es gehört zu den verantwortlichsten Schicksalsentscheidungen, darüber zu bestimmen, ob irgendein Übergriff nur ein Grenzzwischenfall ist, der noch lokalisiert werden kann, oder ob er bereits die Aggression einer fremden Kriegsmacht darstellt. Nach der Weimarer Verfassung bedurfte es auch für die Erklärung eines Verteidigungskrieges eines Reichsgesetzes; also der Reichstag als die Volksvertretung entschied, ob der Kriegsfall eingetreten ist. Das Grundgesetz ermächtigt überhaupt niemand, den Krieg für uns zu erklären. Aber nach dem EVG-Vertrag können wir uns unversehens eines Tages plötzlich im Verteidigungskrieg befinden, nur weil ein einziger deutscher Minister hinter verschlossenen Türen mit dafür gestimmt hat, daß irgendein Grenzzwischenfall bereits der Angriff auf uns sei.
Die ungeheuerliche Tragweite einer solchen Diktaturgewalt, die für jeden Soldaten dann die Pflicht zum Kämpfen auslöst, ist erst ganz zu ermessen, wenn man sie mit der Stellung Amerikas innerhalb des Atlantikpakts vergleicht. Da nach der amerikanischen Unionsverfassung einzig der Kongreß als die Volksvertretung durch Gesetz darüber beschließen kann, ob der Verteidigungsfall gegeben ist, so ist der Atlantikpakt absichtlich in der Weise formuliert, daß die atlantische Organisation keine Entscheidungsbefugnis darüber hat, ob Amerika sich im Verteidigungskrieg befindet. Die Amerikaner haben hier wie auch sonst ihr Verfassungsrecht gewahrt, wir nicht. Jetzt aber könnte deshalb die Katastrophe eintreten, daß wir mit der Stimme des einzigen deutschen Ministers im Ministerrat der EVG als im Krieg befindlich erklärt werden, aber der amerikanische Kongreß es ablehnt, den Kriegsfall für Amerika anzuerkennen.
Mit unserm Grundgesetz ist es schlechterdings unvereinbar, einem einzigen Minister eine solche Allmacht zu übertragen.
Alle diese Fehler kommen daher, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft keine demokratische und keine parlamentarisch kontrollierte Einrichtung ist, sondern ein autoritäres Regime, das von Managern manipuliert wird.
Nun hat der Herr Abgeordnete Professor Wahl in seinem für die Mehrheit erstatteten Rechtsgutachten allerdings gesagt, wenn mehrere Kommunen durch Zweckverband eine Straßenbahn betrieben, sei ja auch die parlamentarische Kontrolle durch die Stadtverordneten ausgeschaltet. Als ob der Betrieb einer Straßenbahn vergleichbar wäre mit Veranstaltungen, bei denen es eine Endstation Krieg gibt!
Aber wenn die Waffen wieder getragen werden sollen - und die Voraussetzungen, darüber zu diskutieren, sind von uns am 8. November 1950 aufgezeigt worden — unter Voraussetzungen, deren tatsächliche Erfüllung im gesamtdeutschen Interesse so etwas sinnvoll machen könnte, wovon heute keine Rede ist, so ist es doch das primitivste Recht eines jeden Soldaten, daß sein oberster Befehlshaber ein Mann sein muß, den das Vertrauen seines Volkes mit an diesen Platz gestellt hat. In einer gemeinschaftlichen Armee kann gewiß nur eine der beteiligten Nationen diesen Oberbefehlshaber stellen; darüber ist kein Streit. Hier aber ist durch die Verträge darauf verzichtet, deutscherseits gleichwertig und gleichberechtigt mitzubestimmen, wer den Oberbefehl führt und nach welchen Grundsätzen und Plänen der Betreffende ihn zu führen hat. Denn wir sind kein Mitglied des Atlantikpakts und können deshalb ohne Verletzung des Grundgesetzes auch nicht das Hoheitsrecht des Oberbefehls über die deutschen Kontingente unwiderruflich in seiner Substanz auf den Oberbefehlshaber NATO übertragen, da wir gar nicht mitzubestimmen haben, wer diesen Oberbefehl und wie er ihn ausübt.
Die deutschen Kontingente, die für den Verteidigungsfall einem fremden Kommando unterstellt sind, werden aber außerdem, so gleichsam mit der linken Hand, durch Art. 12 § 1 Abs. 1 des EVGVertrags dem Bundeskanzler als Machtinstrument seiner inneren Politik ausgeliefert,
was auch die wenigsten wissen. Das Grundgesetz
hat die Rechte eines Bundeskanzlers genau und abschließend bestimmt und ihm nicht einmal eine
Bundespolizei gewährt. Es ist unstreitig, daß ohne
eine Verfassungsänderung keine Bundespolizei zulässig ist. Der EVG-Vertrag gewährt ohne Rücksicht auf das Grundgesetz dem Bundeskanzler ein
selbständiges Recht, die deutschen Divisionen anzufordern, wenn er nach seinem Ermessen oder
seinem „einsamen Entschluß" die freiheitliche
demokratische Grundordnung oder die Sicherheit
und Ordnung für bedroht hält. Wer weiß denn,
wann das der Fall ist? Wer schützt uns und wer
schützt die befehlsgebundenen Soldaten davor, daß
ein Kanzler schon gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen oder Streiks als solche Störungen ansieht?
Hiergegen ist es unerheblich, daß dann der Einsatz
der Truppen im Inneren nur nach dem Grundgesetz
erfolgen soll. Denn die Rechtsgelehrten der Bundesregierung behaupten ja heute schon, daß die Notstandsregelung im Grundgesetz nur fragmentarisch sei und jedenfalls ein übergesetzliches Notstandsrecht aus der sogenannten „Natur der Sache" den Einsatz deutscher Soldaten im Innern gegen ein angeblich ungetreues Bundesland oder als Deutsche gegen Deutsche selbst im Westen zulasse.
In jedem Falle verändert bereits das Anforderungsrecht des Kanzlers seine verfassungsrechtliche Stellung von Grund auf
und schenkt ihm eine Machtfülle, die selbst Bismarck nicht hatte. Warum verschweigt man der Öffentlichkeit, daß die Männer, die man zur Fahne ruft, keineswegs allein die Aufgabe haben sollen, die Heimat gegen einen Angriff von außen zu schützen, sondern daß ihre Truppe auch als inner-politisches Machtmittel dienen kann?
Welche Rechte sollen die Soldaten gegen verfassungswidrige Befehle haben? Auf wen oder auf was sollen die Soldaten überhaupt verpflichtet werden? Auf Gesamtdeutschland? Auf den Bundeskanzler? Auf den Oberbehelfshaber NATO? Auf die EVG? Oder auf was? Es bleibt ungewiß, welche Verpflichtungen eine Bundesregierung den eigenen Soldaten gegenüber hat, und es ist ebenso eine offene Frage, welche Rechte ein deutscher Soldat besitzt, der in Gewissensnot kommt, weil er sich Befehlen gegenüber sieht, die ihn zwingen wollen, seine Heimat preiszugeben. Alle diese Regelungen und noch schlimmer diese Blankovollmachten sind außerhalb der Verfassung.
Hiermit komme ich zum letzten Punkt: das Grundgesetz kennt weder eine Wehrgewalt, noch erlaubt es ohne Verfassungsergänzung eine allgemeine Wehrpflicht. Man sollte diese klare Rechtslage nicht durch einen Mißbrauch des Schlagworten von der Wehrhoheit verdunkeln. Was bedeutet denn die Wehrhoheit? Wehrhoheit ist die völkerrechtliche Befugnis eines jeden freien Volkes, selbst zu bestimmen, ob und wie es sich gegen fremde Mächte verteidigt. Diese Selbstbestimmung nimmt auch das deutsche Volk für sich in Anspruch. Das Vertragswerk aber gewährt sie uns nicht, sondern versagt sie uns. Meine Damen und Herren, mit den Japanern hat man erst den Vertrag über das Ende der Besatzung abgeschlossen und in Kraft gesetzt.
Erst als die Japaner dadurch wieder ein freies Volk waren, haben sie mit Amerika den sogenannten Sicherheitsvertrag vereinbart.
Bei uns dagegen verfährt man umgekehrt.
Für uns sind die Verträge aneinander gefesselt. Uns gibt der Generalvertrag weder Freiheit noch Einheit noch Gleichberechtigung. Aber der angekoppelte EVG-Vertrag zwingt uns, Soldaten zu stellen, und nimmt uns die Mitbestimmung über den Oberbefehl. Hierbei hat man nicht einmal Rücksicht darauf genommen, daß unsere Verfassung keine Wehrpflicht kennt, also erst ergänzt werden müßte, um das Aufstellen von Truppen zu erlauben. Sogar die Gutachter der Bundesregierung erkennen an, daß die völkerrechtliche Wehrhoheit nichts dar-
über besagt, welche Voraussetzungen nach unserem innerdeutschen Verfassungsrecht zu erfüllen sind, um Truppen aufzustellen und einen Zwang zur Wehrpflicht anzuordnen.
Anders als sämtliche bundesstaatlichen Verfassungen, die es je in der Welt gab und gibt, schweigt das Grundgesetz zu diesen Fragen. Warum? Weil das Grundgesetz ja als Verfassung nur für ein Teilgebiet der Bundesrepublik Deutschland erlassen werden konnte. Den Parlamentarischen Rat bewegte als zentrales Problem mit Recht die Sorge, nichts zu tun, was die von den Besatzungsmächten zu verantwortende Zerteilung des Bundesgebiets an der Saar und an der Elbe hätte noch einschneidender machen können. Auch heute noch ist es eine offenkundige Unwahrheit, wenn davon gesprochen wird, daß Deutschland oder daß die Bundesrepublik in die Verteidigungsgemeinschaft integriert werde. Denn die Bundesrepublik umfaßt auch Saarbrükken, Groß-Berlin, Dresden, Breslau und Königsberg!
Der Parlamentarische Rat ist deshalb, weil er nur ein Teilgebiet Deutschlands und auch dies nur provisorisch zu ordnen hatte, nachweisbar zu dem Schluß gekommen, die Wehrfrage weder positiv noch negativ zu lösen, sondern sie als damals zur Zeit unausgereift auszuklammern und ihre Lösung einer späteren Ergänzung des Grundgesetzes zu überlassen. Die Verhandlungen zu Art. 73, die zur ausdrücklichen Ablehnung einer Schutz- oder Sicherungsgewalt führten, ergeben das mit aller Klarheit.
Wenn man heute den Art. 4, der das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung gewährt, geradezu in sein Gegenteil verkehrt und uns weismachen will, daß er im Grundsatz die Wehrpflicht voraussetze, so empfehle ich Ihnen einmal, die Verhandlungen unseres Rechtsausschusses vom 10. Januar 1951 nachzulesen. Damals hat Herr Ewers von der DP erklärt, daß der Art. 4 „ohne sachlichen Inhalt" sei,
und Herr Dr. Weber von der CDU hat gesagt, daß das Grundsätzliche noch nicht bekannt sei. Erst jetzt will man in Art. 4 nachträglich einen Grundsatz der Wehrpflicht hineindeuten.
Meine Damen und Herren, was hat denn der Parlamentarische Rat und was hat die sozialdemokratische Fraktion, auf die dieser Artikel zurückgeht im Zusammenhang mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit, damit bringen wollen? Doch nach den Erlebnissen des zweiten Weltkrieges eine Art Ölzweig; und wenn man heute so mit irgendwelchen logischen oder gedanklichen Manipulationen diesen Ölzweig mit einem dahinter verborgenen Bajonett vertauschen will, dann ist das ein Zynismus ohnegleichen!
Jetzt will man auch auf einmal aus dem Art. 24, der nun wirklich europäisch gedacht war, so eine Art juristischer Atombombe machen, um die Verfassung zu sprengen. Was sagt denn Art. 24? Er sagt in seinem zweiten Absatz, um den es sich hier handelt: Der Bund kann in Beschränkungen
seiner Hoheitsrechte einwilligen, und zwar indem er sich einem System kollektiver Sicherheit einordnet. Das ist eine klare und einfache Vorschrift, und die Abgeordneten Carlo Schmid, Wagner, Greve und Maier haben uns in der Ausschußberatung klar bezeugt, daß man weder damit eine nationale noch eine supranationale Wehrgewalt oder Wehrmacht ermöglichen wollte, weil schlechterdings eben jeder Bewaffnung die gleiche Sorge entgegenstand, eine vorzeitige und unbedachte Regelung des Wehrproblems könnte ungünstige Rückwirkungen auf die Wiedervereinigung haben.
Im Parlamentarischen Rat war man sich klar, daß man in der Wehrfrage eine Lücke ließ. Gerade auch deshalb hat man im Art. 79 angeordnet, daß eine erhöhte Mehrheit, eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat befugt sein soll, die Verfassungsurkunde in ihrem Wortlaut zu ergänzen. Die bloß einfache Mehrheit ist also nicht die höchste politische Instanz. In Grundfragen, die eine Einigkeit der Nation erfordern, ist diese einfache Mehrheit nur eine unzureichende Minderheit gegenüber dem Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit. In Verfassungsfragen — und die Wehrfrage ist eine Verfassungsfrage — werden das Volksganze und das Staatsganze parlamentarisch allein von der Koalition u n d der Opposition zusammen verkörpert!
Eine Regierungskoalition dagegen, die sich für den
Staat erklärt und eine Einheit von Staat und Regierungsparteien behauptet, begeht einen Staatsstreich.
Ihr fehlt die moralische Autorität.
— Ja, Herr Kollege, Sie finden das lächerlich,
aber es ist schon eine Reihe von Jahren her, daß mein verehrter Lehrer Heinrich Triepel in Berlin schrieb, daß auch ein Parlament einen Staatsstreich begehen könne. Dieses Wort stammt von einem größeren als ich es bin.
Der Mehrheit fehlt die moralische Autorität, um in
einer Grundfrage der Verfassung Recht zu schaffen.
Wenn hierbei ein Teil des Volkes — und das haben Sie ja vor — Gewissenszwang gegen den anderen Teil des Volkes üben will, dann bekommt — —
— Gewissenszwang wollen Sie üben; denn Sie wissen ja, daß Sie nur vielleicht die Hälfte des Volkes
— und das noch nicht einmal — hinter sich haben, und Sie wollen die andere Hälfte in ihrem Gewissen zwingen,
und wenn Sie da$ tun, dann bekommen Sie günstigstenfalls Hiwis oder Legionäre, aber keine Soldaten!
Ich will Ihnen das ganz klar sagen: Um Soldaten, die freie Wehrbürger sind, zu bekommen und sie zur Fahne zu rufen, dazu gehört mehr als der Parteibefehl einer Regierungskoalition!
Dieser untaugliche Versuch beschwört die Gefahr herauf, unser von den Besatzungsmächten schon in seinem Gebiet gespaltenes Land jetzt auch noch in den Gewissen menschlich zu zerreißen.
Die Demokratie wird zersetzt mit solchen Methoden.
— Ach, Herr Strauß, reden Sie doch nicht über so etwas. Denn wir sind eben der Meinung, daß das, was Sie vorhaben, die Unsicherheit und die Gefahr nur erhöht. Sie sollten sich klar sein, daß Sie mit diesen Methoden nicht weiterkommen und den klaren Text der Verfassung so nicht verändern können. Denn die Verfassung ist kein Gegenstand von Schlauheit und listiger Deutelei.
Man soll das Wort des Grundgesetzes stehenlassen,
wie es steht und so, wie jeder es zu lesen versteht.
Man soll eine Verfassung heute nicht andersherum auslegen, als sie gestern noch begriffen wurde.
Man war sich im Parlamentarischen Rat darüber klar, keine Wehrgewalt zu schaffen.
Das Volk will doch das Vertauen haben,
daß seine Verfassung unverbrüchlich ist und daß man der Verfassung glauben darf. Wenn man uns heute einreden will, das Grundgesetz sei in nur für Schriftgelehrte entzifferbarer Geheimsprache abgefaßt — der Rheinische Merkur spricht in seiner Ausgabe vom 5. Dezember von den „taktischen Lücken" — und das Grundgesetz habe einen doppelten Boden, dann ist es mit der Verfassungsmoral und der Verfassungsehrlichkeit vorbei.
Ein solcher Frevel muß in weitesten Volkskreisen, die treu zur Demokratie stehen und ihr Vaterland nicht weniger lieben als andere Deutsche, die bitterste aller Enttäuschungen wecken, das Bewußtsein, aus dem Staate ausgestoßen zu werden und in der eigenen Heimat heimatlos zu sein.
Dieser Bruch wäre nie wieder gutzumachen. Wir würden aufhören, e i n Volk zu sein selbst hier im Westen und wären nur noch feindliche Parteien im kalten Bürgerkrieg.
Das letzte Wort über die verfassungsrechtlichen Fragen wird an anderer Stelle gesprochen werden.
Die nach Karlsruhe hin gesprochenen Belehrungen, Warnungen und fast — ich scheue mich es auszusprechen — Drohungen verschiedener Redner, etwa des Herrn von Merkatz, sind grobe Ungehörigkeiten und ein trauriges Zeugnis für den Tiefstand unserer Rechtsmoral.
Ich wiederhole, was ich im Bundestag schon einmal von dieser Stelle aus sagte. Der gesetzeskräftige Urteilsspruch über die Zulässigkeit dieser Vertragsgesetze wird für uns verbindlich sein. Ich wiederhole aber auch, daß politisch wir weder jetzt noch je bereit sein werden, uns eine parlamentarische Entscheidung zu eigen zu machen, die für die Gemeinsamkeit des Staatsbewußtseins eine Katastrophe bedeutet.
Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.
: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß die Millionen Hörer, die jetzt vor ihren Rundfunkapparaten gesessen haben
und der Rede des Abgeordneten Arndt zugehört haben,
auch das Wort gehört haben, daß man „mit Schlauheit und listiger Deutelei" eine Verfassung nicht interpretieren könne.
Meine Damen und Herren, genau dieser Vorwurf ist es, den ich der Art Verfassungsinterpretation, die Herr Dr. Arndt seit Jahr und Tag vorzunehmen beliebt, mache.
Ich habe mir, bevor Herr Dr. Arndt heute abend hier gesprochen hat,
vorgenommen, mich an dieser Stelle heute nicht in das Detail der Vertragswerke zu begeben — sofern dies notwendig ist, wird das mein Freund Dr. Kopf tun —, sondern mich grundsätzlich mit jenen politischen, pseudorechtlichen, scheinrechtlichen und halbrechtlichen Argumenten auseinanderzusetzen, die immer und immer wieder von seiten unserer politischen Gegner vorgetragen werden, wenn es sich um die Auslegung des Grundgesetzes handelt.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, ernsthaft eine Frage zu prüfen. Seitdem der Streit um diese Verfassung in deutschen Landen aufgeflammt ist, haben sich die ersten Persönlichkeiten der
deutschen Staatsrechtswissenschaft zur Verfügung gestellt — hüben wie drüben —
und haben uns ihre Meinung über diese Verfassung und darüber, wie sie auszulegen sei, gesagt. Schon der Respekt, den der Jurist vor seinen Kollegen, die große Namen im deutschen Staatsrecht haben, haben sollte, hätte ihn hindern müssen, ihnen zum Vorwurf zu machen, daß sie Schlauheit und listige Deutelei an die Stelle echter juristischer Auslegung setzten.
Aber lassen Sie mich sagen,
um was es bei dieser heftigen Auseinandersetzung wirklich geht.
— Sie bekommen die Argumente zu hören, wenn Sie erst einmal versuchen, mich ausreden zu lassen, wie wir Ihren Herrn Kollegen Arndt haben ausreden lassen.
Ich stelle eine Frage voran. Meine Damen und Herren, glaubt jemand in diesem Saal ernsthaft, daß, wenn wir im Jahre 1949 einen Wahlerfolg der Sozialdemokratie erlebt und eine sozialdemokratische Mehrheit in diesem Bundestag und eine sozialdemokratisch geführte Regierung bekommen hätten, wir jemals etwas von dieser Art der Auslegung des Grundgesetzes gehört hätten, die praktisch darauf hinausläuft, die politische Bewegungsfreiheit der Regierung mit allen Mitteln zu beschränken?
Wir hätten mit Sicherheit, so wie wir die sozialdemokratische Opposition kennen, erlebt, daß sie jede taktische Möglichkeit,
ihre eigene Handlungsfreiheit zu erweitern, benutzt hätte. Und dies ohne Bedenken!
Es geht hier nicht um Verfassungsauslegung, sondern es geht hier um einen politischen Kampf von seiten der Sozialdemokratie.
Man will nur das deutsche Volk glauben machen, daß es um eine Rechtsinterpretation gehe.
Meine Damen und Herren, die Wahlen zum Bundestag im Jahre 1949 waren deswegen von so großer Bedeutung, weil mit jenen Wahlen die grundsätzliche politische Prägung des neuen Staatswesens entschieden worden ist. Aus diesem Grunde hat die Sozialdemokratie ihre Niederlage bei jenen Wahlen niemals verwunden
und hat jenes Ergebnis, so demokratisch eindeutig es auch war, niemals innerlich anerkannt.
Aus dieser Haltung der Sozialdemokratie erklären sich die ungewöhnliche Leidenschaft ihrer Opposition die ganzen Jahre hindurch und zwei Ziele, die sie sich Besetz hat.
Das erste Ziel war — und ein führender Vertreter der Sozialdemokratie hat mir das schon nach vier Wochen in diesem Bundestag erklärt —, daß dieser Bundestag und die Regierung unter allen Umständen vorzeitig beendet werden müßten,
solange dies nicht gelänge, würde man mit allen Mitteln die politische Bewegungsfreiheit dieser Regierung einschränken.
— Ich kann es Ihnen sagen, wenn Sie wollen. — Es lag der sozialdemokratischen Opposition nahe, diesen Kampf auch durch schroff einengende Auslegung des Grundgesetzes zu führen.
Dieser Versuch, die politische Bewegungsfreiheit der Regierung dadurch einzuschränken, daß man sagt, das Grundgesetz habe nur eine provisorische und fragmentarische Bedeutung
und erlaube der Regierung nicht, dies und jenes zu tun, ist von der Sozialdemokratie natürlich aus ihrem politischen Willen heraus unternommen worden, die Regierung, wenn es irgendwie ginge, nicht zum Zuge kommen zu lassen.
So stehen sich nun die Thesen, aus dieser politischen Situation heraus entstanden, gegenüber. Das Grundgesetz ist entstanden in einer Zeit weitgreifenden Besatzungsrechts, in welcher die deutsche Souveränität ruhte und viele wichtige Zuständigkeiten nicht den deutschen, sondern Organen der Besatzungsmacht zustanden.
Darum mußte das Grundgesetz, wenn es vernünftig angelegt war, auf die Tatsache Rücksicht nehmen, daß im allmählich zu erwartenden Abbau des Besatzungsrechts deutsche Zuständigkeiten wieder auflebten und daß dann nicht Mal für Mal, wie jetzt behauptet wird, eine Ergänzung des Verfassungsrechts notwendig wurde.
Vielmehr mußte, was da auflebte, unmittelbar anwendbares deutsches Verfassungsrecht werden.
Wenn man etwa den Schöpfern des Grundgesetzes, den Männern und Frauen des Parlamentarischen Rates, unterstellen wollte, daß sie das Grundgesetz nur auf den kümmerlichen Leib der damaligen staatsrechtlichen Verhältnisse zugeschnitten hätten und nicht auf den mit Sicherheit zu erwartenden Zuwachs, dann wäre das auch für deutsche Verhältnisse eine unbegreifliche Wirklichkeitsferne gewesen.
Die Auslegung der Verhandlungen des Parlamentarischen Rats wird von der Opposition sehr einseitig und unrichtig vorgenommen.
Es ist nicht so, wie der Herr Kollege Arndt gesagt hat, daß man damals z. B. den ganzen Wehrkomplex nicht geregelt habe, weil man an das Deutschland östlich des Eisernen Vorhangs gedacht habe.
Man hat es nicht getan, weil damals einfach nach Lage des Besatzungsrechts eine Regelung der Wehrhoheit nicht möglich war.
Weder die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes noch seine Anlage berechtigen zu der Annahme, die die Sozialdemokratie uns immer wieder nahelegen will.
— Ihr Ärger beweist mir, daß der Tag nicht so schlecht ist!
— Ich komme gleich darauf, Herr Greve! — Man mag einwenden, daß es das gute Recht einer Opposition sei, bei allen ihren Bestrebungen danach zu trachten, daß ihre Position gestärkt wird. Das würde auch niemand übelnehmen, selbst nicht bei dem politischen Versuch der Verfassungsausdeutung. Aber, meine Damen und Herren — und ich bitte, hören Sie mich wirklich einmal mit Ruhe an —,
dann muß man das in einer Sprache tun, die wir noch ernst nehmen können und die nicht die öffentliche Meinung vergiftet!
Wir haben heute abend aus dem Munde des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt wieder jene jakobinisch-anklägerischen Worte gehört,
die er immer in den Mund nimmt, wenn er hier heraufkommt, um über solche Fragen zu reden.
Ich will nur eine kleine Blütenlese aus seiner heutigen Rede veranstalten: Wir von der Koalition sind „mutwillig" diesen Weg gegangen und haben dadurch eine „katastrophale Verfassungsnot" heraufgeführt;
wir „verachten das Volk und die Demokratie",
und der Bundeskanzler hat bei seiner gestrigen Rede „einen Haß bis über das Grab hinaus bekundet".
Das Wort „Staatsstreich" ist wieder gefallen!
Meine Damen und Herren, ich habe das Glück, zurückgreifen zu können auf ähnliche Äußerungen des Herrn Dr. Arndt in der 18. Sitzung des Bundestags am 24. November 1949. Damals ging es um das Petersberger Abkommen. Herr Dr. Arndt hat damals gesagt:
In Wahrheit handelt es sich um nichts anderes als um ein neues Glied in der Kette der Versuche der permanenten Ausschaltung des Parlaments, des Unterfangens, Verfassungskämpfe durch autoritären Handstreich zu gewinnen.
— Warten Sie, meine Herren! — Herr Dr. Arndt hat damals weiter gesagt:
Was heute hier zur Debatte und zur Abstimmung steht; ist nichts anderes als die Probe dessen, ob das Grundgesetz ein Fetzen Papier ist ....
Das war die Sprache damals. Damit sollte das Petersberger Abkommen madig gemacht werden. Das Bundesverfassungsgericht hat inzwischen entschieden,
es hat erklärt, daß wir Rechtens gehandelt haben!
Ich hatte auch damals — wenn Sie meine damaligen Ausführungen nachlesen — Herrn Dr. Arndt und den Seinen nie das Recht bestritten, Zweifel an der Rechtmäßigkeit unserer Maßnahmen zu erheben. Das war ihr gutes Recht. Aber wir wehren uns ein für allemal dagegen, daß es in dieser anklägerischen Form geschieht, die uns bei jeder Gelegenheit des flagranten Verfassungsbruchs, des Unrechts und der Mutwilligkeit beschuldigt.
Herr Dr. Arndt hat in der vergangenen Woche erneut geglaubt, wieder einmal sagen zu müssen, das Abwarten des Gutachtens sei — nicht etwa zweckmäßig, nicht etwa ratsam, nein — „eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit", und wenn diese verfassungsrechtliche Notwendigkeit verletzt wor-
den sei, dann sei wieder einmal das Opfer die Demokratie.
Da wir nun einmal bei dieser Generalabrechnung sind, kann ich mir auch nicht versagen, die Worte zu zitieren, die Herr Dr. Arndt in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses nicht nur seinen Kollegen, nicht nur uns, sondern nach dem Wortlaut auch ganz klar den Richtern des Bundesverfassungsgerichts warnend zugerufen hat. Soeben hat er die Redner getadelt, die angeblich derartige Warnungen nach Karlsruhe gerichtet haben sollen.
— Ich kann Ihnen genau sagen, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Arndt. Sie sind auf das Petersberger Abkommen eingegangen. Sie haben gesagt, das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, leider habe es sich geirrt;
man müsse einen solchen Irrtum eben allenfalls in Kauf nehmen und sich ihm beugen. Aber in dieser Frage sind sie fortgefahren:
Ich will Ihnen ganz klar sagen, ich für meinen Teil würde das Regime, das durch diese Verträge begründet wird, mit der gleichen Leidenschaft und mit der gleichen Empörung ablehnen, wie ich das nationalsozialistische Regime abgelehnt habe.
Herr Kollege Dr. Arndt fuhr dann fort:
Das ist dann keine Opposition mehr gegen eine jeweilige Regierung, — —
— Herr Renner, Ihnen fällt auch gar nichts Neues ein!
Herr Kollege Dr. Arndt sagte dann:
Das ist dann keine Opposition mehr gegen eine jeweilige Regierung, gegen die man Mißtrauen hat, sondern zu dem Staat, der hier geschaffen werden soll, gehöre ich nicht mehr dazu.
Ich hoffe, daß diese Auffassung des Herrn Kollegen Dr. Arndt wirklich nicht von seiner Fraktion geteilt wird. Wo kämen wir in diesem Lande hin, wenn wir versuchten, die Mehrheitsentscheidung, die nun einmal die demokratische Entscheidung ist, verhindern zu wollen?
Eine Auseinandersetzung darüber, ob eine Mehrheitsentscheidung genüge oder ob eine Verfassungsänderung oder eine Auflösung des Bundestages notwendig sei, kann man in anderer Sprache führen.
Wie ist nun die Lage in Wahrheit?
— Ich rede zu den Verträgen, nämlich dazu, wie man diese Verträge zu interpretieren hat und wie man sie eben nicht zu interpretieren hat!
— Ihr Widerspruch beweist mir nur, wie sehr Sie sich getroffen fühlen.
Als die Regierung die Verhandlungen über die Verträge begann, konnte sie besten Glaubens handeln. Das Grundgesetz selbst, die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates, die inzwischen erschienene verfassungsrechtliche Literatur — alle konnten der Bundesregierung die Überzeugung vermitteln, daß sich die Verträge, die sie da abzuschließen im Begriff war, in voller Übereinstimmung mit unserem Verfassungsrecht befanden.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß wir inzwischen eine große Zahl juristischer Fachgelehrter gehört haben, und es ist, sowohl was die Zahl dieser Gelehrten als was ihre Qualität als Rechtswissenschaftler anlangt, so, daß die Bundesregierung sich in keiner schlechten Position befindet,
und es ist ein sehr billiges Argument, von diesen Rechtsgelehrten immer nur als von den „Gutachtern der Bundesregierung" zu sprechen.
Das sind nicht einseitige Prozeßvertreter, sondern das sind Rechtswissenschaftler, die mit diesen Gutachten ihren guten Namen aufs Spiel gesetzt haben.
— Herr Kollege Greve, Sie kommen doch auch noch dran; Sie können mir doch noch zur Genüge antworten.
In unserer Bevölkerung wird ja gern immer wieder gefragt: Worüber können denn Juristen nicht streiten? Nun ja, es ist so, und gerade auf dem Gebiet des Verfassungsrechts ist es so. Aber die Juristen selbst sind nicht daran schuld; die Jurisprudenz nimmt eben teil an der allgemeinen Geistes- und Kulturkrise unserer Zeit,
und weil es so ist, wird die Frage auch der Auslegung einer konkreten Verfassung zu einem so außerordentlich schwierigen Problem, bei dem man sich hüten müßte, den eigenen Standpunkt immer wieder als ganz unanfechtbar hinzustellen.
Es geht doch um eine viel zu ernste Sache, als daß wir so miteinander verhandeln dürften.
Welche Fragen entstehen auf dem Gebiet? Was ist Recht, was ist der Staat, was ist die Verfassung, was ist das Wesen und die Aufgabe des Staates, wo liegen die Grenzen der Staatsgewalt?
Und diese Krise wirkt sich doch so stark aus, daß
wir überhaupt keine gemeinsame Methode der
Verfassungsauslegung haben. Jedem Juristen des öffentlichen Rechts ist es bekannt, daß es in der jungen deutschen Staatsrechtswissenschaft zu einer solchen gemeinsamen Methode noch nicht gereicht hat. Wenn ich Zeit hätte, würde ich Innen vorlesen, was etwa Rudolf Smend über diese Dinge gesagt hat: daß in Deutschland im Gegensatz zu der angelsächsischen Welt diese Tradition noch nicht begründet worden ist, daß wir Deutsche, meistens von der Einzelbestimmung ausgehend. naiv-formalistisch zu entscheiden streben und den Rest dann allzu gern politisch ergänzen, während man im großen angelsächsischen Rechtsraum aus dem Geist des Ganzen, Gesunden und Volkstümlichen seit mehr als zwei Jahrhunderten entscheidet.
Ich kenne einige Gutachten der Gegenseite. Drei davon sind so, daß sie sich methodisch völlig ausschließen, daß sie, obwohl sie äußerlich zum selben Ergebnis kommen, sich gegenseitig im Ergebnis aufheben. Denn es ist doch klar, meine Damen und Herren: wenn der eine Rechtsgelehrte sagt: mit der Methode des andern läßt sich ein vertretbares wissenschaftliches Ergebnis nicht Gewinnen — und das wird tatsächlich von dem einen gegen den andern gesagt —, dann heben diese Gutachten und ihre Ergebnisse sich gegenseitig auf. Man kann mit einer solchen Methode keine echten Ergebnisse gewinnen.
— Aber das ist Geisteswissenschaft und Jurisprudenz!
Herr Greve, Sie sind doch Jurist, und Sie sollten
der erste sein, der bei diesen Dingen zuhört!
Wir haben in der Weimarer Zeit die außerordentliche Schwierigkeit einer derartigen Verfassungsinterpretation erlebt. Wir alle, die wir damals noch in juristischen Seminaren saßen, haben uns doch damit herumschlagen müssen. Wir haben in Deutschland leider Gottes auch nicht, was man in anderen Ländern hat: eine lange begründete sichere Lehre und eine Geborgenheit in der Tradition einer jahrhundertealten gerichtlichen Praxis. Alles ist neu, alles ist unsicher, alles ist auf die persönlichen Thesen und Hypothesen einzelner Staatsrechtslehrer abgestellt.
Diese Not - und es handelt sich hier um eine echte Not — wurde zur Weimarer Zeit durchaus gespürt. Damals hat der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich in einem bekanntgewordenen Fall, in dem es um die Prüfung der Verfassungsgültigkeit eines preußischen Landeswahlgesetzes ging, in Erkenntnis der mangelnden Interpretationsmittel für die Erkundung des Verfassungswillens wie folgt entschieden. Er sagte — ich darf es mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten vorlesen, es sind nur wenige Sätze —:
Den Entschließungen des Gesetzgebers kann der Staatsgerichtshof, wenn überhaupt, so doch jedenfalls nur dann entgegentreten, wenn sie offensichtlich der inneren Rechtfertigung entbehren und wenn von ihnen deshalb mit Sicherheit gesagt werden kann, daß sie dem zum Ausdruck gelangten Willen des Verfassungsgesetzgebers zuwiderlaufen.
Ich will hier nicht etwa eine Mahnung nach Karlsruhe hin richten. In Karlsruhe muß man sich dieser Schwierigkeiten ja selbst bewußt sein und muß zusehen, wie man ihrer Herr wird. Ich will damit nur darauf hindeuten, daß es bei der Verfassungsinterpretation tausendfach Unsicherheiten, Zweifel, Unklarheiten gibt und daß es noch keine Methode logizistisch-mathematischer Exaktheit gibt, die uns sagt: Das eine ist richtig, das andere ist falsch.
— O nein! Er hat sich von seinen Gutachtern und Sachbearbeitern sehr sorgfältig beraten lassen, von Sachkennern des einschlägigen Rechtsgebietes, bevor er seine Entscheidungen traf.
Eine besondere Schwierigkeit bereitet bei dieser ganzen Auslegung die berühmte Trennung von Rechtsfragen und politischen Fragen. Einer der Gutachter der SPD sagt ganz offen und klar, dem Bundesverfassungsgericht lägen — wörtlich — „die großen politischen Entscheidungen in juristischer Verkleidung" vor. „Die großen politischen Entscheidungen in juristischerVerkleidung"!, dieses Wort ist außerordentlich gefährlich.
Das Bundesverfassungsgericht hat jedenfalls im Südweststaat-Prozeß gesagt — und es hat dies im Anschluß an Anschütz und andere gesagt —, daß es nur über Rechtsfragen und über nichts sonst zu entscheiden habe.
Hieraus, meine Damen und Herren, ergibt sich das Problem einer immanenten inneren Begrenzung der Verfassungsauslegung. Wo man mit den Mitteln der bloßen Rechtsinterpretation nicht mehr weiterkommt, muß man eben haltmachen, und wenn es nicht anders geht, zu einem non liquet kommen — ich kann mich weder so noch so entscheiden — und muß dann, wie das der Staatsgerichtshof getan hat, die Entscheidung den politischen Instanzen überlassen, die dafür die Verantwortung tragen.
Natürlich kann man eine Verfassung politisch interpretieren; und das, meine Damen und Herren, was uns Herr Kollege Arndt hier, abgesehen von seinen hyperpolemischen Ausführungen, vorgetragen hat, war weitreichend keine rechtliche Interpretation der Verfassung, sondern eine politische.
Niemand von uns verwehrt der Opposition diese politische Interpretation der Verfassung. Eine Verfassung kann, je nachdem ich Föderalist bin oder Zentralist oder Sozialist oder Liberaler — eine Verfassung gar unserer Art, die den bekannten Kompromißcharakter hat —, natürlich politisch verschieden ausgelegt werden.
Aber diese Auslegung ist etwas ganz anderes als die Auslegung, die jemand treffen muß, der zu jener furchtbaren Verantwortung aufgerufen ist zu sagen: Von hier ab entscheide ich: dieses ist recht und jenes unrecht!
Vor dieser Entscheidung stehen die Richter des Bundesverfassungsgerichts.
Wo sich Rechtsfragen und politische Fragen nicht trennen lassen, sollte man äußerste Vorsicht walten lassen und sollte bescheiden genug sein, sich zu sagen: ich mag zwar meinen Standpunkt mir selber einigermaßen plausibel begründen können; aber den Rest, den ich aus meinem politischen Willen heraus hinzufügen muß, kann ich nur als Politiker hinzufügen! Und diese Aufgabe kann ich auch nicht einem Verfassungsgericht übertragen. Sonst würde die Verfassungsgerichtsbarkeit in deutschen Landen zerstört und die Politik mit ihr.
Meine Damen und Herren! Wir haben große Beispiele der Verfassungsauslegung, — zwar nicht in der kurzen Zeit der modernen deutschen rechtsstaatlichen 'Demokratie — ich habe eines davon genannt —, aber drüben in der Neuen Welt, in den Vereinigten Staaten von Amerika, gibt es schon seit zwei Jahrhunderten eine solche große Rechtstradition. Wie dort die Verfassung von den dazu berufenen Gerichten interpretiert wird, das darf ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten in wenigen Zitaten, die aus unmittelbaren amerikanischen Quellen und vor allen Dingen aus berühmt gewordenen Gerichtsentscheidungen stammen, kurz vorlesen.
Das erste Zitat:
Die Gerichte unseres Landes
— der Vereinigten Staaten —
zeigen sich entschlossen, unseren geschriebenen Verfassungsgesetzen durch Auslegung die Elastizität zu verleihen,
die sie mit den öffentlichen Interessen, wie die Gerichte sie sehen, in Übereinstimmung bringt. Ihre Bestimmungen werden im Wege der Auslegung laufend ausgedehnt und ausgeweitet, um den fortschreitenden und sich steigernden Lebensbedürfnissen gerecht zu werden.
Das zweite Zitat:
Das Gericht wünscht nicht, sich dieser engherzigen Auslegung der Verfassung anzuschließen, welche Zuständigkeiten leugnen würde, die nach dem gewöhnlichen SprachSinn begründet werden, und welche die Regierung lahmlegen würde
— im Urtext heißt es: verkrüppeln würde —
und sie außerstande setzte, die Aufgaben zu erfüllen, für die sie geschaffen wurde, während sie doch in der Lage wäre, diese Aufgaben zu erfüllen, wenn man nur die Zuständigkeitsfragen richtig versteht.
— Oh nein! Diese Rechtsprechung der Vereinigten Staaten hat noch niemand in dieser Welt angegriffen, sie sei nicht demokratisch-rechtsstaatlich, außer den Trabanten Moskaus!
Und das dritte Zitat:
Das ist auch so ausgedrückt worden, daß eine Verfassung dem Geiste nach auszulegen ist, welcher belebt, und nicht nach dem Buchstaben, welcher tötet.
Meine Damen und Herren! Diese Art der Verfassungsauslegung kann uns ein Vorbild sein:
Der Geist und nicht der tötende Buchstabe.
Herr Kollege Arndt! Sie haben heute früh zitiert, daß Ihr Kollege Herr Professor Schmid seine Äußerung im Parlamentarischen Rat über das System der kollektiven Sicherheit so verstehe — wenn nicht damals so verstanden habe —, daß von einem System kollektiver Sicherheit nur gesprochen werden könne, wenn in ihm auch der virtuelle, der mögliche Angreifer selbst eingeschlossen sei. Sie haben deswegen gesagt, das System der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft sei kein kollektives Sicherheitssystem. Ja, meine Damen und Herren, haben wir hier nicht von allem Anfang an und immer wieder erklärt, daß diese Europäische Verteidigungsgemeinschaft keineswegs nur gegen eine Bedrohung vom Osten her geschlossen worden ist, sondern deswegen, weil wir in Europa reinen Tisch machen wollen und auch die unter uns, die einmal virtuelle Angreifer sein könnten, zusammenführen wollten zu einem Frieden?
Haben wir nicht immer wieder erklärt, daß wir dieses neue Europa auch geschaffen hätten ohne die Bedrohung von Osten her und daß diese Bedrohung von Osten her diese unsere Arbeit nur beschleunigen kann?
Sie haben also, meine Damen und Herren — und ich hoffe, daß mich auch die einfachen Leute dabei verstehen —, durchaus Möglichkeiten einer Verfassungsauslegung,
die haltbar, hieb- und stichfest ist, wenn man nur guten Willens ist.
Auch wir und gerade wir bejahen den demokratischen Rechtsstaat. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich bezweifle nicht, daß dieser Wille auch in Ihren Reihen herrscht. Aber sollte es Sie nicht nachdenklich machen, daß immer wieder in den Fragen, um die es jetzt geht, wenn Sie hier auftreten, einer von da drüben — etwa der bewährte, unverdrossene Vorkämpfer des Rechtsstaates wie unser Kollege Renner — an Ihrer Seite steht und das Wort ergreift?
Ich konnte angesichts der Sprache, die die Opposition bei der Frage der Verfassungsauslegung gegen uns führt, einer Sprache, die wir unstatthaft, unwahr und nun wirklich für die Demokratie gefährlich nennen müssen, nicht schweigen.
Von einem flagranten Verfassungsbruch durch den Abschluß der großen Verträge kann keine Rede sein.
Ich habe die Schwierigkeiten, wie es nicht anders möglich war, in skizzenhafter Form darzustellen versucht. Aber wir sind auch überzeugt und getrosten Mutes, daß auch eine verborgene Verfassungsverletzung in den Verträgen nicht enthalten ist, jedenfalls keine, die das Schicksal der Vertragswerke selbst in Frage stellen könnte.
Einer der Gutachter der Gegenseite hat darauf hingewiesen, daß wir in einer Zeit gewaltig sich verwandelnder staats- und völkerrechtlicher Verhältnisse leben, und er hat gesagt, daß in dem rapiden Prozeß, den wir da durchmachen, die alten Verfassungen sich anpassen und, so meinte er, durch Verfassungsänderung ergänzt werden müßten. Er hat aber nicht sehen wollen, daß es in diesem Europa nicht nur alte Verfassungen — hundert Jahre alte oder fünfzig Jahre alte oder noch ältere — gibt, sondern daß es drei neue Verfassungen gibt, geschaffen nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, geboren aus den Leiden dieses Weltkrieges — es sind die französische, die italienische und das deutsche Grundgesetz —, und allen, die dabei mitgewirkt haben, wird es eines Tages zum Ruhme gereichen. Diese Verfassungen haben > von vornherein ins Auge gefaßt den Abbau der staatlichen Souveränität, der nach diesen Gutachten das Kriterium der alten Verfassung sein soll, zugunsten eines Systems der kollektiven Sicherheit. Feierlich hat das Grundgesetz in seiner Präambel die Freiheit Deutschlands in einem vereinten Europa verkündet. Die Artikel 24, 25 und 26 des Grundgesetzes haben ein breites und weites Tor für das System der kollektiven Sicherheit geöffnet. Das Grundgesetz ist kein Gesetz, das sich diesen Verhältnissen erst durch eine Verfassungsergänzung anpassen müßte; das Beste an ihm ist, daß es dies von Anfang an getan hat.
Gewiß, wir haben die Rechtsfrage nicht zu entscheiden; sie liegt in anderen Händen. Meine Damen und Herren, bedenken Sie noch einmal diese Frage und nehmen Sie es mir wirklich ab, um was es geht!
— Nicht Sie dort drüben; Sie anderen alle! Es geht in diesen Zeiten darum, nicht mit kleinlichen Bedenken eine große Aufgabe zu versäumen. Erst jüngst hat ein bedeutender Autor darauf aufmerksam gemacht — es ist nicht das erste Mal geschehen —, daß alle Hochkulturen der vergangenen Jahrtausende immer wieder dadurch zugrunde gegangen sind, daß sie innerlich und äußerlich gegen den Ansturm von außen her nicht gerüstet waren. In dieser Situation steht die letzte Hochkultur, die wir kennen, die abendländische.
Dieser Autor schließt damit: Ob unsere eigene
abendländische Kultur endlich diese Verteidigungsfähigkeit in ausreichendem Maße besitzt, das ist die große Schicksalsfrage, die die Weltgeschichte eben jetzt an uns stellt. So gnade uns Gott, daß wir diese Frage nicht überhören!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht viel Zeit. Ich will mich deshalb mit einem Spezialproblem befassen, und zwar mit den Rechtsfragen, die sich um den EVG-Vertrag ranken, weil sie ja in dem Kampf, der hier geführt wird, auch in dem Rechtskampf und in dem Verfassungskampf, den Hauptbestandteil bilden. Ich will aber nicht in der Art der Polemik und der geradezu zersetzenden Art der Polemik, wie es der Herr Kollege Arndt gemacht hat, mich hier mit diesen Dingen auseinandersetzen, sondern ich will es ruhig und sachlich tun, weil ich der Meinung bin. daß Rechtsprobleme nur ruhig und sachlich behandelt werden können. Ich kann es nur in These und Antithese.
Der Haupteinwand gegen den EVG-Vertrag geht dahin, daß das Grundgesetz keine Wehrgewalt konstituiert habe. Entgegen der Auffassung der Bundesregierung sei die Staatsgewalt nicht allumfassend. Das Volk übertrage vielmehr als Verfassungsgeber den verschiedenen Staatsorganen nur bestimmte, im einzelnen aufgezählte Befugnisse. Da den Organen der Bundesrepublik keine Zuständigkeiten auf dem Gebiete der Wehrverfassung übertragen seien, fehle es an der notwendigen verfassungsrechtlichen Ermächtigung zur Ausübung derartiger Befugnisse, insbesondere seien die gesetzgebenden Körperschaften der Bundesrepublik nicht zum Erlaß von Gesetzen auf diesem Gebiet mit einfacher Mehrheit ermächtigt.
Dazu sagen wir: Die moderne Staatsgewalt
ist nicht in der Aufzählung einzelner Hoheitsrechte zu erfassen; sie ist vielmehr innerhalb der Schranken der Verfassung, des Völkerrechts und des überpositiven Rechts allumfassend. Auch das Grundgesetz hat nicht einzelne Hoheitsrechte, sondern die volle Staatsgewalt konstituiert. Es hat deren Ausübung den besonderen Organen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung übertragen. Die Aufzählung der Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes in Art. 73 ff. dient nur der Abgrenzung zwischen den Kompetenzen des Bundes und der Länder. Da das Grundgesetz die Ausübung von Wehrgewalt nicht verbietet und in den Artikeln 4 Abs. 3 und 26 als selbstverständlich voraussetzt, sind die nach dem Grundgesetz
zu ermittelnden Verfassungsorgane berechtigt, Wehrgewalt auszuüben. Zu prüfen ist lediglich, ob eine Zuständigkeit des Bundes oder der Länder besteht. Wenn auch in den Artikeln 73 ff. keine ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes festgelegt ist, so ist doch eine ungeschriebene Zuständigkeit des Bundes anzunehmen. Für die Beteiligung an einer supranationalen Wehrmacht ist schon nach Art. 24 nach unserer Auffassung die Zuständigkeit des Bundes begründet.
Zweiter Einwand: Daß der Verfassungsgeber keine Gesetzgebungskompetenz für Wehrfragen habe schaffen wollen, ergebe sich einwandfrei daraus, daß der Parlamentarische Rat es ausdrücklich abgelehnt habe, in Art. 73 Nr. 1 des Grundgesetzes eine Kompetenz des Bundes zum Schutz nach außen zu schaffen. Dabei sei die Rücksichtnahme auf die deutsche Einheit maßgebend gewesen. Die SPD hätte dem Grundgesetz nie zugestimmt, wenn dieses die Wehrhoheit konstituiert hätte.
Unser Standpunkt: Aus der Tatsache, daß in Art. 73 Nr. 1 keine ausdrückliche Kompetenz des Bundes zum Schutze nach außen geschaffen ist, kann ein stillschweigender Ausschluß von Wehrkompetenz nicht gefolgert werden. Die mehrfach gestellten Anträge auf ausdrückliche Erwähnung dieser Kompetenz sind im Parlamentarischen Rat nicht deshalb abgelehnt worden, weil man derartige Befugnisse etwa mit Rücksicht auf die deutsche Einheit nicht wollte, sondern weil man es mit Rücksicht auf die Einstellung des Auslandes nicht sagen wollte und konnte.
Aus Äußerungen von Vertretern der SPD ist zu entnehmen, daß diese keinesfalls einhellig eine Verteidigung ablehnten. Im übrigen kommt es auf die Auffassung einzelner Abgeordneter nicht an, wenn sie im Grundgesetz keinen Ausdruck gefunden hat.
Dritter Einwand: Die Kompetenz von Bundesorganen zur Ausübung von Wehrgewalt könne auch nicht mit Art. 25 und 26 des Grundgesetzes begründet werden. Aus diesen Artikeln könne nur entnommen werden, daß Deutschland völkerrechtlich ein Recht auf Selbstverteidigung habe. Damit sei jedoch nicht gesagt, daß und welche deutschen Staatsorgane staatsrechtlich berechtigt seien, Wehrgewalt auszuüben. Diese Frage zu regeln, sei Aufgabe des Verfassungsgesetzgebers, nicht des einfachen Gesetzgebers.
Unser Standpunkt: Da das Recht zur Selbstverteidigung eine unbestrittenermaßen anerkannte Regel des Völkerrechts ist, bedürfte es mindestens eines sehr strengen Nachweises, wenn man es nicht als Bestandteil des deutschen Staatsrechts anerkennen wollte.
Ebenso hat es nicht nur völkerrechtliche, sondern auch staatsrechtliche Bedeutung, wenn in Art. 26 nur der Angriffskrieg, nicht aber ein Verteidigungskrieg für verfassungswidrig erklärt wird.
Vierter Einwand: a) Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht sei schon deshalb ausgeschlossen, weil das Grundgesetz dieses besondere Gewaltverhältnis nicht konstituiert habe. Auch aus Art. 4 Abs. 3 könne die Zulässigkeit der allgemeinen Wehrpflicht nicht begründet werden. Dieser Artikel setze nicht, wie die Mehrheit meine, die Möglichkeit einer Einführung der Wehrpflicht als selbstverständlich voraus. In diesem Zusammenhang wird von Professor S m e n d unter Hinweis auf die Ohne-mich-Bewegung die außerordentlich gefährliche Auffassung vertreten, daß Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes überhaupt eine allgemeine Wehrpflicht praktisch unmöglich mache, da sich Millionen auf diese Vorschrift berufen würden. b) Im übrigen sei mindestens in der Durchführung
einer allgemeinen Wehrpflicht eine Beschränkung einzelner Grundrechte für den Soldaten notwendig; da das Grundgesetz die Möglichkeit derartiger grundrechtlicher Beschränkungen nicht ausdrücklich zulasse, sei damit die Wehrpflicht auch praktisch nicht durchführbar. c) Nach deutscher Verfassungstradition stehe die Staatsangehörigkeit in unlösbarem Zusammenhang mit der Wehrpflicht. Da das Grundgesetz aber von einer einheitlich alle Deutschen umfassenden Staatsangehörigkeit ausgehe, würde die Einführung der Wehrpflicht im Geltungsbereich des Grundgesetzes eine unzulässige Aufspaltung der Staatsangehörigkeit in eine wehrpflichtige und eine nicht wehrpflichtige bedeuten.
Wir sagen dazu: a) Das Grundgesetz sieht ganz allgemein davon ab, die Grundpflichten des Staatsbürgers festzulegen. Es besagt daher nichts, daß es nicht ausdrücklich die Wehrpflicht als zulässig bezeichnet. Die verfassungsrechtlichen Schranken, die zu beachten sind, sind in Art. 4 Abs. 3 bezeichnet. b) Die Wehrpflicht als solche verstößt auch gegen keine sonstigen Grundrechte. Selbst wenn sie Freiheitsbeschränkung im Sinne des Art. 2 bringen sollte, wäre sie zulässig,
da Art. 2 eine Beschränkung durch einfaches Gesetz zuläßt.
Grundrechtsbeschränkungen, die bei der Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht erforderlich
sein sollten, sind aus den gleichen Gesichtspunkten
verfassungsrechtlich möglich, wie diese beispielsweise im Beamtenrecht immer anerkannt sind.
c) Durch die Einführung der Wehrpflicht tritt eine
Aufspaltung der Staatsangehörigkeit nicht ein.
Ein unlösbarer Zusammenhang zwischen Wehrpflicht und Staatsangehörigkeit besteht nicht. Es ist daher zulässig, die Wehrpflicht auf zusätzliche Merkmale wie Wohnsitz usw. abzustellen.
Fünfter Einwand: die Übernahme von Wehrbefugnissen durch Organe der Bundesrepublik verändere das Verfassungsgefüge sowohl im Verhältnis der Bundesorgane zueinander wie im Verhältnis von Bund und Ländern. Dies gelte auch für den Fall einer supranationalen Wehrmacht, da nach dem EVG-Vertrag auch Zuständigkeiten für nationale Organe vorgesehen seien.
Unser Standpunkt: Da im Rahmen der supranationalen Wehrmacht die wesentlichen Zuständigkeiten bei supranationalen Organen liegen, kann schon aus diesem Grunde von einer Veränderung des Verfassungsgefüges nicht gesprochen werden. Auch soweit nationale Organe zuständig sind, werden nur die Machtbefugnisse der bestehenden Verfassungsorgane innerhalb der verfassungsmäßigen Kompetenz verstärkt, ein Vorgang, der verfassungsrechtlich ohne Bedeutung ist.
Sechster Einwand schließlich: Art. 24 könne die Beteiligung an einer supranationalen Wehrmacht nicht rechtfertigen. Dieser Artikel gestatte lediglich, daß anstelle der nationalen Organe zwischenstaatliche Organe treten, entbinde jedoch nicht von den sonstigen Vorschriften der Verfassung. Wenn nach dem Grundgesetz Wehrgewalt von nationalen Organen nicht ohne Verfassungsergänzung ausgeübt werden dürfe, sei damit auch eine Übertragung auf zwischenstaatliche Organe ausgeschlossen.
Unser Standpunkt: Selbst wenn es richtig wäre, daß Organe der Bundesrepublik keine nationale
Wehrgewalt ausüben dürften, würde Art. 24 Abs. 2 die bewaffnete Beteiligung an einem System kollektiver Sicherheit gestatten. Art. 24 Abs. 2 schließt eine derartige Beteiligung nicht aus. Ein entsprechender Antrag des Abgeordneten Renner ist im Parlamentarischen Rat abgelehnt worden.
Ich hätte noch zu einzelnen Rechtsfragen Stellung nehmen müssen. Aber das würde meine Zeit zu lange beanspruchen, und ich käme dann mit meiner Redezeit nicht aus, weil ich nämlich über das Thema Rechtsfragen hinaus doch noch einiges Allgemeine sagen wollte.
Ich habe schon einmal von dieser Stelle aus dem Herrn Kollegen Arndt — schade, daß er nicht mehr da ist — gesagt, daß seine Art der Kritik, seine Art, sich mit uns als Regierungskoalition auseinanderzusetzen, eine ungeheure Gefahr für die Demokratie bedeute,
weil sie nämlich nicht objektiv sei, sondern weil sie vorsätzlich, bewußt zersetzend angelegt sei.
.
Ich habe ihm damals, als er sich darüber aufregte, daß ein Mitglied dieses Hauses ein geradezu unvorstellbares Telegramm — auch nach meiner Meinung — an einen seiner Parteifreunde in Bayern geschickt hatte, gesagt: Sie brauchen sich darüber nicht aufzuregen, Herr Kollege Dr. Arndt! Denn Sie sind es ja, die diese Dinge heraufbeschwören. Denn wenn man sich in Ihrer Art mit der Regierungskoalition auseinandersetzt, dann ist das der Anfang, und diese Dinge sind die selbstverständliche letzte Konsequenz.
Das möchte ich voraussteilen.
Und, meine sehr verehrten Damen und Herren,
nun eins. In allen großen Staaten des Westens sind
Regierung und Opposition immer einig, wenn es darum geht, das Land nach außen zu vertreten,
mit anderen Worten eine gemeinsame Außenpolitik zu machen.
Warum ist denn das bei uns nicht so?
Ist das eigentlich ein Zufall? Nein! Das ist kein Zufall,
sondern das ergibt sich aus der grundsätzlichen Haltung dieser Opposition.
Sie sprach ja heute abend wieder aus den Worten des Kollegen Arndt. Denn er sprach davon und warf dem Herrn Bundeskanzler vor, er, der Herr Bundeskanzler, habe Haß bis über das Grab hinaus. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie auch nur ein Gefühl dafür haben, was eigentlich Haß ist, Haß aus tiefster Seele, — dann waren die Ausführungen des Herrn Kollegen Arndt heute abend ein klassisches Beispiel für ein derartig haßerfülltes Handeln.
Warum geht denn die Opposition mit uns nicht den Weg, den wir gehen müssen? Ich würde bereit sein, mich mit ihr über ein besseres System, über einen besseren Weg zu unterhalten, mit ihr auch darüber zu diskutieren.
Aber sie hat ja doch nichts! Was hat sie denn bis jetzt beigebracht? Gar nichts! Nur Reden! Man kritisiert, man sagt: Das darf nicht sein, jenes sollte nicht sein, dieses hätte man fordern müssen; man hätte einen anderen Weg einschlagen müssen, zwar Verteidigung, aber keine Soldaten.
Der Professor Schmid sagte: „Keine Neutralität". — Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist das denn ein System? Der Herr Bundeskanzler hat doch ganz mit Recht gestern gesagt: Die Opposituation hat mir bis jetzt nicht verraten, was sie denn an die Stelle des Weges zu setzen gedenkt — real! —, den wir zu gehen wünschen, den wir nach unserer Überzeugung gehen müssen.
Die Opposition ist bis heute darauf die Antwort schuldig geblieben.
Und, Herr Wehner, gerade weil Sie mir einen Zwischenruf gemacht haben: Ihre Ausführungen gestern waren doch, ich möchte beinahe sagen, so konfus, daß sie ein normaler Mensch überhaupt nicht begreifen konnte.
Diese sozialdemokratische Opposition hat von Anfang an nicht gewollt, daß es zu einer echten Verständigung wenigstens in der Außenpolitik gekommen ist. Warum sie das nicht wollte, werde ich Ihnen noch gleich auseinandersetzen. Von Anfang an schon, von Frankfurt her, ais wir bekanntgaben, daß wir das Steuer der Wirtschaftspolitik entscheidend herumdrehen wollten — nämlich von der kommandierten Planwirtschaft zur freien Wirtschaft —, kritisierte man uns in den schärfsten Tönen. Da warf man uns vor und machte dem deutschen Volk weis: dieses Herumreißen des Steuers wird euch 5 bis 6 Millionen Arbeitslose kosten. Als das nicht mehr wahr war, als man auf diesen Dingen nicht mehr herumreiten konnte,
als die Entwicklung absolut nach oben ging, da kam man auf die anderen Gebiete und da bemächtigte man sich der Außenpolitik, statt sich zusammen mit der Regierung Mühe zu geben, einen gemeinsamen Weg im Interesse der Gestaltung unseres deutschen Schicksals für die Zukunft zu gehen. Nein, da ging man in diese Art Opposition, wie wir sie heute abend wieder gehört haben. Da sagte man: Das Petersberg-Abkommen — der erste Schritt, den wir in der Richtung taten, daß die deutsche Unfreiheit aufgelockert wurde — ist nicht richtig, das verstößt gegen das Grundgesetz; ihr seid gar nicht berechtigt — Herr Kollege Kiesinger hat ja die entsprechenden Worte zitiert —, das allein zu beschließen. Das Bundesverfassungsgericht hat uns recht gegeben.
Dann kam der Schumanplan und die gleiche negative Einstellung mit der Behauptung, wir wollten ein kapitalistisches, klerikales, europäisches
Kartell schaffen. Und jetzt kommen schließlich die Verträge, und da heißt es u. a., diese Verträge seien mit der Verfassung nicht zu vereinbaren. Der Herr Kollege Arndt hat heute abend ein sehr böses Wort gesagt; Herr Kollege Kiesinger hat sich deshalb schon mit ihm auseinandergesetzt. Aber was er tut — Kiesinger sagte es ja schon —, das ist doch absolutes Deuteln, absolutes Deutelnwollen in der Auslegung der Verfassung. Herr Kollege Arndt, das ist das, was ich Ihnen übelnehme. Sie tun das nicht, weil Ihnen das Recht am Herzen liegt, sondern weil Sie aus politischen Zweckmäßigkeitserwägungen heraus so deuteln wollen; denn Sie wollen ja ein politisches Ziel erreichen,
nämlich das politische Ziel, daß das Bundesverfassungsgericht unter allen Umständen Ihrer Auffassung recht geben möge.
Und warum wollen Sie das? Nicht, weil Sie glauben, der Weg, den wir außenpolitisch gehen wollen, sei falsch, sei für das deutsche Volk nicht tragbar. Ich bin überzeugt, daß ein großer Teil Ihrer Fraktion der gleichen Meinung mit uns ist,
daß das Ganze nur Gesten nach außen sind. Sie wollen die innere politische Situation schaffen, die Sie immer wollen,
nämlich dieser Regierungskoalition unter dem Schein des Rechts, unter dem Schein eines Gerichtsurteils ihre Legitimität absprechen! Das ist Ihr Ziel, und das werfe ich Ihnen vor, und damit wird auch Ihr Rechtsuchenwollen, Ihr Rechtsbegehren nicht mehr recht wahrhaft.
Sie suchen nicht mehr Recht, um die Gerechtigkeit zu finden, sondern Sie erniedrigen das Recht zu einem innerpolitischen Kampfmittel!
Ihre ganze Haltung ist doch nur - -
— Sie können mich gar nicht stören. Sie unterbrechen mich nur, weil Sie innerlich genau wissen, daß ich recht habe.
Ich lasse mich von Ihnen nicht aus der Ruhe bringen.
Sie haben schon einmal ein gutes politisches Geschäft gemacht, damals, als Ihr Herr Dr. Schumacher den Ohne-mich-Standpunkt vor der Hessen-Wahl hier entwickelt hat. Mit diesem Ohnemich-Standpunkt haben Sie damals in Hessen gesiegt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, jetzt satteln Sie den Vertragsgaul, um Ihr innerpolitisches Ziel bei der nächsten Bundestagswahl zu erreichen, Ihr innerpolitisches Machtziel, hier die absolute Mehrheit zu bekommen.
Darin, meine Damen und Herren, liegt Ihre politische Verantwortung. Das ist es, was wir Ihnen vorzuwerfen haben, daß Sie diese Dinge nicht prüfen wie wir,
und zwar objektiv und unter Zurücksetzung aller parteitaktischen Überlegungen als Schicksalsfrage unseres Volkes, und daß Sie, wie es Ihnen auch schon der Herr Bundeskanzler vorgeworfen hat, diese ernste Schicksalsfrage unseres Volkes allein unter parteitaktische Erwägungen und Überlegungen stellen. Wir machen den Weg nicht mit. Ich wollte das nur vor der deutschen Öffentlichkeit festgestellt haben.
Wir sehen uns in die Stunde historischer Entscheidung gestellt und sind gewillt, dafür die Verantwortung zu tragen.
Meine Damen und Herren, wir hatten vorgesehen, daß auch heute die Beratungen um 21 Uhr u n t erbrochen werden. Es ist eben 21 Uhr.
Ich berufe die nächste, die 242. Sitzung des Deutschen Bundestags mit der gleichen Tagesordnung auf Freitag, den 5. Dezember, 9 Uhr, und schließe die 241. Sitzung.