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ID0124106700

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    Deutscher Bundestag — 241. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Dezember 1952 11301 241. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 4. Dezember 1952. Geschäftliche Mitteilungen 11303A Mitteilung des Präsidenten über die Erledigung der Entschließung der Fraktion der SPD zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (Umdruck Nr. 118) 11303B Fortsetzung der zweiten und dritte Beratung der Entwürfe eines Gesetzes betr. den Vertrag vom 26. Mai 1952 über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten mit Zusatzverträgen, eines Gesetzes betr. das Abkommen vom 26. Mai 1952 über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder (Nm. 3500, zu 3500, Nachgang zu 3500 der Drucksachen, Umdruck Nr. 699 [neu]), eines Gesetzes betr. das Protokoll vom 26. Juli 1952 über die Erstreckung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts auf Streitigkeiten aus dem am 26. Mai 1952 in Bonn unterzeichneten Abkommen über die steuerliche -Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder (Nr. 3700 der Drucksachen), eines Gesetzes betr. den Vertrag vom 27. Mai 1952 über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und betr. den Vertrag vom 27. Mai 1952 zwischen dem Vereinigten Königreich und den Mitgliedstaaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, eines Gesetzes betr. das Abkommen vom 27. Mai 1952 über die Rechtsstellung der Europäischen Verteidigungsstreitkräfte und über das Zoll- und Steuerwesen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (Nm. 3501, zu 3501 der Drucksachen); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) (Nr. 3900, zu 3900 der Drucksachen, Umdrucke Nm. 713 bis 718, 720 bis 723) in Verbindung mit der Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Generalvertrag und Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (Nrn. 3398, 3363 der Drucksachen) sowie mit der Fortsetzung der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Generalvertrag und Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (Nr. 3392 der Drucksachen) 11303B Fortsetzung der Berichterstattung der Ausschüsse: Die verfassungsrechtliche, rechtspolitische und rechtliche Bedeutung der Vertragswerke: Berichte des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur Frage der Vereinbarung der Vertragswerke mit dem Grundgesetz: Dr. Wahl (CDU): als Berichterstatter 11304A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11196B Dr. Arndt (SPD): als Berichterstatter 11307A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11201D, 11211C Die wirtschaftliche, finanz- und steuertechnische Bedeutung der Vertragswerke: Dr. Freiherr von Rechenberg (FDP) (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11215A Dr. Fricke (DP): als Berichterstatter 11309D Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11216A Stegner (FDP) (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) . . . . 11218C Dr. Kreyssig (SPD) : als Berichterstatter 11310C Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11224D Erler (SPD): als Berichterstatter 11315A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11227B Dr. Kneipp (FDP): als Berichterstatter 11316A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11228D, 11298 Dr. Gülich (SPD): als Berichterstatter 11316D Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11231C Dr. Wellhausen (FDP): als Berichterstatter 11321C Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11246D Dr. Hasemann (FDP): als Berichterstatter 11323B Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11249B Bausch (CDU): als Berichterstatter . . . 11323A, 11324D Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11250C Schoettle (SPD): als Berichterstatter 11325D Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11256C Die Vertragswerke im Hinblick auf Truppen-Stationierung und Verteidigung Deutschlands, Berichte des Ausschusses zur Mitberatung des EVGVertrages und der damit zusammenhängenden Abmachungen: Bericht über die politischen und militärischen Bestimmungen des EVGVertrages und ihre Auswirkungen: Strauß (CSU): als Berichterstatter 11328A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11262A Bericht über die wirtschaftlichen, finanziellen und haushaltsmäßigen Bestimmungen des EVG-Vertrages und ihre Auswirkungen: Erler (SPD): als Berichterstatter 11329D Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11270B Bericht über die rechtsprechende Gewalt im Rahmen des EVG-Vertrages: Dr. Jaeger (Bayern) (CSU): als Berichterstatter 11333A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11276B Zusätzliche Berichte des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zu bestimmten Teilen der Vertragswerke: Zusätzlicher Bericht über die mit der Stationierung fremder Truppen zusammenhängenden Rechtsfragen: Dr. Wahl (CDU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11285A Zusätzlicher Bericht zu Teil I des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen: Dr. Wahl (CDU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11286C Dr. von Merkatz (DP), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11288D Zusätzlicher Bericht zu Teil VII des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen: Dr. Reismann (FU): als Berichterstatter 11334A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11289C Zusätzlicher Bericht zu Teil XI des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen: Dr. Vogel (CDU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11290C Zusätzliche Berichte anderer Ausschüsse zu bestimmten Teilen der Vertragswerke: Zusätzlicher Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen zu den Verkehrsbestimmungen der Vertragswerke: Rademacher (FDP), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11292A Zusätzlicher Bericht des Ausschusses für Post- und Fernmeldewesen zu den das Post- und Fernmeldewesen betreffenden Bestimmungen des EVG-Vertrages: Cramer (SPD): als Berichterstatter 11335B Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11293D Zusätzlicher Bericht des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films zu bestimmten Abschnitten des Vertrages über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen: Dr. Vogel (CDU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11295B Unterbrechung der Sitzung 11335D Fortsetzung der allgemeinen Aussprache: Reimann (KPD) 11336A von Thadden (Fraktionslos) . . . 11344B Dr. Bertram (Soest) (FU) 11346A Dr. Tillmanns (CDU) 11349D Dr. Besold (FU) 11354D Dr. Reismann (FU) 11357A Frau Wessel (Fraktionslos) . . . 11359D Euler (FDP) 11361B Dr. Arndt '(SPD) 11364B Kiesinger (CDU) 11369C Dr. Schneider (FDP) 11375C Weiterberatung vertagt . . . . . . 11378D Nächste Sitzung 11378D Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Adolf Arndt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Euler hat soeben ausgeführt, daß deutscherseits keine Veranlassung bestehe, der Sowjetunion einen Preis anzubieten. Mit dieser Auffassung ist er einer Meinung gefolgt, die von der Sozialdemokratie seit jeher vertreten wird. Wir haben immer die sogenannte Preisdiskussion für einen Unsinn erklärt, und das Wort „Preis" befindet sich auch in diesem Fall gar nicht in unserem Wörterbuch; es stammt ja sehr viel mehr aus der freien Marktwirtschaft.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Abg. Euler: Das hat Carlo Schmid hier gesagt, an Ihrer Stelle!)

    Ich verstehe dann aber auch nicht, warum man denn den Westmächten einen so hohen Preis bietet, und zwar sogar ohne dafür die volle Freiheit dem Westen gegenüber zu bekommen. Das werden wir gerade bei der verfassungsrechtlichen Diskussion sehen.
    25 Monate sind verstrichen, seit dieser Bundestag das erste Mal erörterte, ob wir über die sachliche Verteidigungslast hinaus, über die bei den Demokraten dieses Hauses im Grundsatz Einigkeit herrscht, auch einen bewaffneten Beitrag durch Soldaten leisten können. Damals, am 8. Oktober 1950, hat Dr. Kurt Schumacher für uns dargelegt, daß zuvor erst bestimmte Voraussetzungen tatsächlich verwirklicht sein müßten, um uns im gesamtdeutschen Interesse diesen bewaffneten Beitrag zu ermöglichen. Eine überparteiliche Außenpolitik und eine von allen demokratischen Kräften gemeinsam getragene Wiedervereinigungspolitik wären bei einer Verständigung über jene Grundlagen, wie Dr. Kurt Schumacher sie hier aufgezeigt hat, möglich gewesen. Sie waren nicht nur nationalpolitisch erforderlich, sie waren auch verfassungsrechtlich geboten. Denn damals schon, als eben eine solche Möglichkeit politisch noch durchaus offenstand, hat Kurt Schumacher unsere Rechtsüberzeugung ausgesprochen, daß allein ein neugewählter Bundestag zu einer Wehrentscheidung legitimiert sein könne und daß eine Verfassungsergänzung vorausgehen müsse.
    Unsere Bereitschaft, nach Erfüllung der politischen Voraussetzungen in eine Erweiterung des Grundgesetzes einzuwilligen, blieb unbeachtet.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Statt dessen sind die Bundesregierung und die Koalitionsparteien mutwillig einen parteipolitischen Weg gegangen, von dem sie in diesen so versäumten 25 Monaten wissen mußten, daß er niemals unsere Zustimmung finden konnte. Am Ende dieses unnötigen Weges stehen wir heute vor einem Verfassungskonflikt von letzter Tiefe.
    Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht hat sich in großen Zügen mit den hierdurch aufgeworfenen Verfassungsfragen beschäftigt, ohne sie erschöpfend behandeln zu können. Unsere Beratungen waren sachlich und ernst. Mich hat der Eindruck tief bewegt, daß manch Andersdenkender im Ausschuß mit seinem Rechtsgewissen notvoll gerungen hat, und wenn wir uns auch in einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung leider nicht gefunden haben, so verpflichtet es mich zu Dank, daß wir sie immerhin suchten. Mir bleibt jetzt nur noch die Aufgabe, vor der Öffentlichkeit und vor der Geschichte zu bekunden, wie katastrophal die Verfassungsnot ist, in die uns eine Annahme der Vertragsgesetze stürzen muß.

    (Beifall bei der SPD.)

    Dieser Bundestag ist nach unserer aufrechterhaltenen Überzeugung zu der unwiederholbaren und unwiderruflichen Schicksalsentscheidung über die Wehrfrage nicht befugt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ein solcher Übergriff wird jeden Ansatz eines demokratischen Bewußtseins im Volke von Grund auf zerstören.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Art. 63 des Grundgesetzes hätte sehr wohl eine zulässige Möglichkeit geboten, um an das Volk zu appellieren, das in einer Demokratie die höchste Instanz sein soll. Wer aber da sagt, die Wehrfrage eigne sich nicht für eine Selbstbestimmung der Wähler, der verachtet das Volk und der verachtet die Demokratie.

    (Beifall bei der SPD.)



    (Dr. Arndt)

    Ich wende mich jetzt den Vertragswerken zu, um einige Hauptpunkte aufzuzeigen, in denen sie mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Unvereinbar mit dem Grundgesetz ist zuallererst die Notstandsklausel in Art. 5 des Generalvertrags, insbesondere die deutscherseits übernommene Verpflichtung, diese Notstandsbefugnis der drei Westmächte nicht zu beeinträchtigen, ja sogar ihre Ausübung zu erleichtern. Was ist denn der Inhalt dieser Notstandsbefugnis? Die drei Westmächte bleiben befugt, nach ihrem Ermessen ohne jede Schranke und ohne jede schiedsgerichtliche Kontrolle in Westdeutschland alles und jedes anzuordnen, was sie zum Schutz ihrer Truppen einseitig für erforderlich halten, falls nach ihrer subjektiven Meinung die freiheitlich demokratische Grundordnung nur bedroht ist oder der Ausbruch eines Krieges drohen sollte.
    Hier ist dem Herrn Bundeskanzler in seiner Rede gestern ein erstaunlicher Irrtum unterlaufen, der trotz der Tausendzahl der Paragraphen nicht hätte vorkommen sollen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich zitiere wörtlich, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat:
    Ich glaube, daß wir durch Einfügung der Schiedsgerichtsklausel etwaigen Mißbräuchen des Notstandsrechts vorgebeugt haben.
    Das ist nicht richtig. Denn Sie wissen, daß das Schiedsgericht keine Zuständigkeit hat über die sogenannten Vorbehaltsrechte der drei Westmächte,

    (Hört! Hört! bei der SPD) also auch nicht über die Notstandsbefugnis.


    (Abg. Dr. Gülich: Das steht sogar in der deutschen Begründung! Weiterer Zuruf von der SPD: Das war bewußt!)

    Die Bundesregierung behauptet, diese außerordentlichen Befugnisse würden gar nicht durch den Generalvertrag begründet; sondern die Westalliierten hätten sich diese Befugnisse nur einseitig vorbehalten. Ja woraus denn vorbehalten. An den Abkommen der Alliierten untereinander war und ist Deutschland nicht beteiligt, so daß es auch nicht verpflichtet werden konnte durch jene Abkommen, die unter anderen geschlossen sind.
    Aus dem Völkerrecht unmittelbar ergeben sich solche Befugnisse auch nicht, zumal unbestritten die amerikanischen Truppen in England keineswegs solche Rechte haben. Es trifft nicht zu, wenn der Herr Bundeskanzler gestern hier ausgeführt hat, daß die Notstandsbefugnis eine selbstverständliche Konsequenz der Truppenstationierung in Deutschland wäre. Denn es sind z. B. amerikanische Truppen auch in Großbritannien auf der Insel stationiert. Ich habe im Ausschuß den Regierungsvertreter Herrn Professor Grewe gefragt, ob denn die amerikanischen Truppen in Großbritannien auch befugt seien, dort die demokratische Freiheit und Ordnung aufrechtzuerhalten, wenn sie sie für bedroht hielten. Darauf ist mir geantwortet worden: „Na, ja, darin ist natürlich hier ein politischer Rest in der Notstandsklausel enthalten."

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Gegenrufe rechts.)

    Sollten dagegen diese Befugnisse noch aus der Okkupation hergeleitet werden, so bleiben wir also ein besetztes Land. Dann ist also in einem wesentlichen Punkte das Besatzungsstatut eben nicht aufgehoben, und von unserer Gleichberechtigung kann keine Rede sein.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat gestern gesagt, am Vorbehaltsrecht der Truppenstationierung und somit an der Notstandsklausel sei Dr. Kurt Schumacher schuld, weil er im April 1951 geäußert habe, eine Unterschrift des Bundeskanzlers sei für uns null und nichtig. Was hat Herr Dr. Kurt Schumacher gesagt? Ich habe es nachgelesen. Er hat gesagt: Ehe die gesetzgebenden Körperschaften durch Gesetz — dem Schumanplan nämlich — zugestimmt und ehe der Bundespräsident einen Vertrag ratifiziert hat, können mündliche Zusagen oder auch Unterschriften des Bundeskanzlers als null und nichtig das deutsche Volk noch nicht verpflichten.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Eine Selbstverständlichkeit, die Dr. Schumacher ausgesprochen hat! Daß das richtig ist, kann kein vernünftiger Mensch bestreiten!

    (Abg. Dr. Menzel: Eine Verleumdung ist das! Das ist ein Kanzler! — Weiterer Zuruf von der SPD: Ein Fälscher!)

    Meine Damen und Herren! Nur ein Haß

    (Abg. Dr. Menzel: Das sind wir an ihm gewohnt!)

    bis über das Grab hinaus

    (Oh-Rufe von der CDU)

    kann für den eigenen Mißerfolg des Bundeskanzlers noch den toten Gegner verantwortlich machen. Die Öffentlichkeit wird urteilen, auf wen der Stein fällt, der hier geworfen wurde.

    (Sehr gut! und Beifall bei der SPD.)

    Unter allen Umständen ist es verfassungswidrig, daß wir uns vertraglich verpflichten, die Ausübung dieser alliierten Diktaturbefugnisse zu erleichtern. Gerade das aber ist ja vereinbart. Was heißt denn das? Wenn die Westalliierten behaupten, daß ein Krieg auszubrechen drohe, und wenn sie deshalb einseitig zum Schutz ihrer Truppen verlangen, daß der Deutsche Bundestag etwa oder der Bundesrat oder die Bundesregierung sich sofort jeder weiteren Tätigkeit enthalten, dann müssen wir, ohne den Schutz eines Schiedsgerichts zu haben, diese Diktatur nicht nur dulden, sondern sie sogar pflichtgemäß auch noch erleichtern.

    (Zuruf von der CDU: Das ist doch ein Irrtum!)

    — Nein, das ist kein Irrtum! Dann haben Sie die Verträge nicht hinreichend gelesen. Einzig in der Welt soll also allein das deutsche Volk noch dabei mithelfen, daß es in der Stunde seiner größten Gefahr, insbesondere im Kriegsfalle, seine demokratische Volksvertretung und seine eigene Regierung verliert oder verlieren kann. Unser Grundgesetz erlaubt uns nicht, selbst bei uns die Demokratie zugunsten einer ausländischen Diktatur zu beseitigen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Die pausenlose Propaganda der Bundesregierung hat allerdings dem Volke verschwiegen, daß solche Ungeheuerlichkeiten im Generalvertrag stehen, und ich merke, daß manch einer unter Ihnen das bis jetzt auch noch nicht ganz richtig gesehen hat.

    (Sehr gut! bei der SPD.)



    (Dr. Arndt)

    Ich komme zu einem anderen Punkt, dem Schiedsgericht im Generalvertrag. Durch den Generalvertrag verpflichten wir uns, eine Fülle von Besatzungsgesetzen bestehen zu lassen. Außerdem verpflichten wir uns, bestimmte neue Gesetze zu erlassen, z. B. Enteignungsgesetze zur Landbeschaffung für Verteidigungszwecke. Schließlich verpflichten wir uns, kein Abkommen zu schließen, das die sogenannten Vorbehaltsrechte der Westalliierten beeinträchtigt. Wenn wir nun diese Vertragspflichten nach Meinung des Schiedsgerichts nicht richtig erfüllen, dann kann dieses merkwürdige Schiedsgericht selbst diese Gesetze in Westdeutschland für uns Deutsche erlassen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Eine schiedsrichterliche Oberhoheit dieser Art ist einmalig in der Rechtsgeschichte. Der elementarste und sogar ausdrücklich für unantastbar erklärte Grundsatz unserer Verfassung, die Gewaltenteilung, wird hier durch die Errichtung einer Behörde verletzt, die in einer Hand Rechtsprechung, Vollstreckung und sogar Gesetzgebung vereinigen soll.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Außerdem ist diese Klausel für Deutschland diskriminierend, da sich die Gewalt des Schiedsgerichts auf das westdeutsche Gebiet beschränkt. Hierfür ein Beispiel. Wenn wir eine Abmachung treffen, durch die wir nach Meinung des in seiner Mehrheit ja von den andern besetzten Schiedsgerichts ein sogenanntes Vorbehaltsrecht der Westalliierten beeinträchtigen, etwa ihr Veto gegen eine deutsche Wiedervereinigung, so erklärt das Schiedsgericht diese Abmachung für ungültig. Schließt aber etwa Frankreich unter Verletzung des Generalvertrags mit einer dritten Macht ein ausdrücklich gegen die deutsche Einheit gerichtetes Abkommen, so kann das Schiedsgericht kein Gesetz erlassen, das in Frankreich gilt und jenes Abkommen aufhebt.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Also einseitiges Recht, ausschließlich allein gegen Deutschland. Hier ist in diskriminierender Weise ein solches einseitiges Recht geschaffen.
    Leider ist die Liste der Verletzungen unseres Grundgesetzes durch den Generalvertrag und die Zusatzverträge so groß, daß im Rahmen einer Rede nicht einmal eine Aufzählung möglich ist. Ich beschränke mich daher jetzt auf die Feststellung, daß der Generalvertrag in wesentlichen Punkten absolut verfassungswidrig ist und daß er uns die Gleichberechtigung versagt.
    Ich wende mich jetzt dem Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu. Diese sogenannte Gemeinschaft ist keine Einrichtung, auf die wir nach unserem Grundgesetz Hoheitsrechte übertragen dürfen, weil sie in ihrem Aufbau weder demokratisch noch parlamentarisch kontrolliert ist. Das Volk — und das Volk soll doch die Soldaten stellen — hat dort alles Recht verloren. An der Spitze der sogenannten Gemeinschaft steht ein Kommissariat, das wiederum nicht nur Regierung, sondern zugleich auch Gesetzgeber sein soll. Unsere Verfassungsurkunde bestimmt aber in Art. 20, daß Regierung und Gesetzgebung nur von getrennten Organen ausgeübt werden dürfen, und Art. 79 des Grundgesetzes entzieht diesen unantastbaren Grundsatz der Gewaltenteilung sogar jeder Verfassungsänderung. Mit diesen fundamentalen Bestimmungen unseres Verfassungsrechts ist es unvereinbar, supranationale Instanzen, autoritäre Instanzen zu schaffen, auch wenn man sie fälschlich europäische nennt. Was hier entsteht, ist kein Europa der gleichen und der freien Völker, das wir alle ersehnen, sondern ein autoritäres Regime der Manager.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Bundestag als die Volksvertretung und auch der Bundesrat verlieren ihr wichtigstes Recht, soweit Ausgaben für Rüstungszwecke zu bewilligen und zu kontrollieren sind. Wer erwarten sollte, daß an die Stelle dieses Rechts des nationalen Parlaments die bei der EVG gebildete sogenannte Versammlung als supranationales Parlament treten würde, der sieht sich enttäuscht. Nicht einmal mit einer Zweidrittelmehrheit kann diese europäische Verteidigungsversammlung einen nennenswerten Einfluß auf den Rüstungshaushalt nehmen, worüber mein Freund Erwin Schoettle noch Ausführungen machen wird. Kommissariat und Ministerrat sind auch insoweit nahezu allmächtig.
    So ist es mit dem Geld, und so ist es, was noch ungleich schwerer wiegt, mit dem Blut. Über die Kriegserklärung soll deutscherseits ein einziger Mann insgeheim mitbestimmen können: der deutsche Minister im europäischen Ministerrat.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Gewiß darf nach dem EVG-Vertrag in Übereinstimmung mit unserm Grundgesetz nur ein Verteidigungskrieg erklärt werden, aber es wäre ein verhängsnisvoller Irrtum, sich einzureden, die Erklärung des Verteidigungskrieges sei nur eine belanglose Formalität ohne Bedeutung. Im Gegenteil, es gehört zu den verantwortlichsten Schicksalsentscheidungen, darüber zu bestimmen, ob irgendein Übergriff nur ein Grenzzwischenfall ist, der noch lokalisiert werden kann, oder ob er bereits die Aggression einer fremden Kriegsmacht darstellt. Nach der Weimarer Verfassung bedurfte es auch für die Erklärung eines Verteidigungskrieges eines Reichsgesetzes; also der Reichstag als die Volksvertretung entschied, ob der Kriegsfall eingetreten ist. Das Grundgesetz ermächtigt überhaupt niemand, den Krieg für uns zu erklären. Aber nach dem EVG-Vertrag können wir uns unversehens eines Tages plötzlich im Verteidigungskrieg befinden, nur weil ein einziger deutscher Minister hinter verschlossenen Türen mit dafür gestimmt hat, daß irgendein Grenzzwischenfall bereits der Angriff auf uns sei.
    Die ungeheuerliche Tragweite einer solchen Diktaturgewalt, die für jeden Soldaten dann die Pflicht zum Kämpfen auslöst, ist erst ganz zu ermessen, wenn man sie mit der Stellung Amerikas innerhalb des Atlantikpakts vergleicht. Da nach der amerikanischen Unionsverfassung einzig der Kongreß als die Volksvertretung durch Gesetz darüber beschließen kann, ob der Verteidigungsfall gegeben ist, so ist der Atlantikpakt absichtlich in der Weise formuliert, daß die atlantische Organisation keine Entscheidungsbefugnis darüber hat, ob Amerika sich im Verteidigungskrieg befindet. Die Amerikaner haben hier wie auch sonst ihr Verfassungsrecht gewahrt, wir nicht. Jetzt aber könnte deshalb die Katastrophe eintreten, daß wir mit der Stimme des einzigen deutschen Ministers im Ministerrat der EVG als im Krieg befindlich erklärt werden, aber der amerikanische Kongreß es ablehnt, den Kriegsfall für Amerika anzuerkennen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)



    (Dr. Arndt)

    Mit unserm Grundgesetz ist es schlechterdings unvereinbar, einem einzigen Minister eine solche Allmacht zu übertragen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Alle diese Fehler kommen daher, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft keine demokratische und keine parlamentarisch kontrollierte Einrichtung ist, sondern ein autoritäres Regime, das von Managern manipuliert wird.
    Nun hat der Herr Abgeordnete Professor Wahl in seinem für die Mehrheit erstatteten Rechtsgutachten allerdings gesagt, wenn mehrere Kommunen durch Zweckverband eine Straßenbahn betrieben, sei ja auch die parlamentarische Kontrolle durch die Stadtverordneten ausgeschaltet. Als ob der Betrieb einer Straßenbahn vergleichbar wäre mit Veranstaltungen, bei denen es eine Endstation Krieg gibt!

    (Starker Beifall bei der SPD.)

    Aber wenn die Waffen wieder getragen werden sollen - und die Voraussetzungen, darüber zu diskutieren, sind von uns am 8. November 1950 aufgezeigt worden — unter Voraussetzungen, deren tatsächliche Erfüllung im gesamtdeutschen Interesse so etwas sinnvoll machen könnte, wovon heute keine Rede ist, so ist es doch das primitivste Recht eines jeden Soldaten, daß sein oberster Befehlshaber ein Mann sein muß, den das Vertrauen seines Volkes mit an diesen Platz gestellt hat. In einer gemeinschaftlichen Armee kann gewiß nur eine der beteiligten Nationen diesen Oberbefehlshaber stellen; darüber ist kein Streit. Hier aber ist durch die Verträge darauf verzichtet, deutscherseits gleichwertig und gleichberechtigt mitzubestimmen, wer den Oberbefehl führt und nach welchen Grundsätzen und Plänen der Betreffende ihn zu führen hat. Denn wir sind kein Mitglied des Atlantikpakts und können deshalb ohne Verletzung des Grundgesetzes auch nicht das Hoheitsrecht des Oberbefehls über die deutschen Kontingente unwiderruflich in seiner Substanz auf den Oberbefehlshaber NATO übertragen, da wir gar nicht mitzubestimmen haben, wer diesen Oberbefehl und wie er ihn ausübt.
    Die deutschen Kontingente, die für den Verteidigungsfall einem fremden Kommando unterstellt sind, werden aber außerdem, so gleichsam mit der linken Hand, durch Art. 12 § 1 Abs. 1 des EVGVertrags dem Bundeskanzler als Machtinstrument seiner inneren Politik ausgeliefert,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    was auch die wenigsten wissen. Das Grundgesetz
    hat die Rechte eines Bundeskanzlers genau und abschließend bestimmt und ihm nicht einmal eine
    Bundespolizei gewährt. Es ist unstreitig, daß ohne
    eine Verfassungsänderung keine Bundespolizei zulässig ist. Der EVG-Vertrag gewährt ohne Rücksicht auf das Grundgesetz dem Bundeskanzler ein
    selbständiges Recht, die deutschen Divisionen anzufordern, wenn er nach seinem Ermessen oder
    seinem „einsamen Entschluß" die freiheitliche
    demokratische Grundordnung oder die Sicherheit
    und Ordnung für bedroht hält. Wer weiß denn,
    wann das der Fall ist? Wer schützt uns und wer
    schützt die befehlsgebundenen Soldaten davor, daß
    ein Kanzler schon gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen oder Streiks als solche Störungen ansieht?

    (Beifall bei der SPD.)

    Hiergegen ist es unerheblich, daß dann der Einsatz
    der Truppen im Inneren nur nach dem Grundgesetz
    erfolgen soll. Denn die Rechtsgelehrten der Bundesregierung behaupten ja heute schon, daß die Notstandsregelung im Grundgesetz nur fragmentarisch sei und jedenfalls ein übergesetzliches Notstandsrecht aus der sogenannten „Natur der Sache" den Einsatz deutscher Soldaten im Innern gegen ein angeblich ungetreues Bundesland oder als Deutsche gegen Deutsche selbst im Westen zulasse.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    In jedem Falle verändert bereits das Anforderungsrecht des Kanzlers seine verfassungsrechtliche Stellung von Grund auf

    (Abg. Arnholz: Sehr wahr!)

    und schenkt ihm eine Machtfülle, die selbst Bismarck nicht hatte. Warum verschweigt man der Öffentlichkeit, daß die Männer, die man zur Fahne ruft, keineswegs allein die Aufgabe haben sollen, die Heimat gegen einen Angriff von außen zu schützen, sondern daß ihre Truppe auch als inner-politisches Machtmittel dienen kann?
    Welche Rechte sollen die Soldaten gegen verfassungswidrige Befehle haben? Auf wen oder auf was sollen die Soldaten überhaupt verpflichtet werden? Auf Gesamtdeutschland? Auf den Bundeskanzler? Auf den Oberbehelfshaber NATO? Auf die EVG? Oder auf was? Es bleibt ungewiß, welche Verpflichtungen eine Bundesregierung den eigenen Soldaten gegenüber hat, und es ist ebenso eine offene Frage, welche Rechte ein deutscher Soldat besitzt, der in Gewissensnot kommt, weil er sich Befehlen gegenüber sieht, die ihn zwingen wollen, seine Heimat preiszugeben. Alle diese Regelungen und noch schlimmer diese Blankovollmachten sind außerhalb der Verfassung.
    Hiermit komme ich zum letzten Punkt: das Grundgesetz kennt weder eine Wehrgewalt, noch erlaubt es ohne Verfassungsergänzung eine allgemeine Wehrpflicht. Man sollte diese klare Rechtslage nicht durch einen Mißbrauch des Schlagworten von der Wehrhoheit verdunkeln. Was bedeutet denn die Wehrhoheit? Wehrhoheit ist die völkerrechtliche Befugnis eines jeden freien Volkes, selbst zu bestimmen, ob und wie es sich gegen fremde Mächte verteidigt. Diese Selbstbestimmung nimmt auch das deutsche Volk für sich in Anspruch. Das Vertragswerk aber gewährt sie uns nicht, sondern versagt sie uns. Meine Damen und Herren, mit den Japanern hat man erst den Vertrag über das Ende der Besatzung abgeschlossen und in Kraft gesetzt.

    (Sehr richtig! links.)

    Erst als die Japaner dadurch wieder ein freies Volk waren, haben sie mit Amerika den sogenannten Sicherheitsvertrag vereinbart.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Bei uns dagegen verfährt man umgekehrt.

    (Abg. Arnholz: Hört! Hört!)

    Für uns sind die Verträge aneinander gefesselt. Uns gibt der Generalvertrag weder Freiheit noch Einheit noch Gleichberechtigung. Aber der angekoppelte EVG-Vertrag zwingt uns, Soldaten zu stellen, und nimmt uns die Mitbestimmung über den Oberbefehl. Hierbei hat man nicht einmal Rücksicht darauf genommen, daß unsere Verfassung keine Wehrpflicht kennt, also erst ergänzt werden müßte, um das Aufstellen von Truppen zu erlauben. Sogar die Gutachter der Bundesregierung erkennen an, daß die völkerrechtliche Wehrhoheit nichts dar-


    (Dr. Arndt)

    über besagt, welche Voraussetzungen nach unserem innerdeutschen Verfassungsrecht zu erfüllen sind, um Truppen aufzustellen und einen Zwang zur Wehrpflicht anzuordnen.
    Anders als sämtliche bundesstaatlichen Verfassungen, die es je in der Welt gab und gibt, schweigt das Grundgesetz zu diesen Fragen. Warum? Weil das Grundgesetz ja als Verfassung nur für ein Teilgebiet der Bundesrepublik Deutschland erlassen werden konnte. Den Parlamentarischen Rat bewegte als zentrales Problem mit Recht die Sorge, nichts zu tun, was die von den Besatzungsmächten zu verantwortende Zerteilung des Bundesgebiets an der Saar und an der Elbe hätte noch einschneidender machen können. Auch heute noch ist es eine offenkundige Unwahrheit, wenn davon gesprochen wird, daß Deutschland oder daß die Bundesrepublik in die Verteidigungsgemeinschaft integriert werde. Denn die Bundesrepublik umfaßt auch Saarbrükken, Groß-Berlin, Dresden, Breslau und Königsberg!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Wahlreden sind das!)

    Der Parlamentarische Rat ist deshalb, weil er nur ein Teilgebiet Deutschlands und auch dies nur provisorisch zu ordnen hatte, nachweisbar zu dem Schluß gekommen, die Wehrfrage weder positiv noch negativ zu lösen, sondern sie als damals zur Zeit unausgereift auszuklammern und ihre Lösung einer späteren Ergänzung des Grundgesetzes zu überlassen. Die Verhandlungen zu Art. 73, die zur ausdrücklichen Ablehnung einer Schutz- oder Sicherungsgewalt führten, ergeben das mit aller Klarheit.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wenn man heute den Art. 4, der das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung gewährt, geradezu in sein Gegenteil verkehrt und uns weismachen will, daß er im Grundsatz die Wehrpflicht voraussetze, so empfehle ich Ihnen einmal, die Verhandlungen unseres Rechtsausschusses vom 10. Januar 1951 nachzulesen. Damals hat Herr Ewers von der DP erklärt, daß der Art. 4 „ohne sachlichen Inhalt" sei,

    (Abg. Kiesinger: Herr Ewers ist Ziviljurist!)

    und Herr Dr. Weber (Koblenz) von der CDU hat gesagt, daß das Grundsätzliche noch nicht bekannt sei. Erst jetzt will man in Art. 4 nachträglich einen Grundsatz der Wehrpflicht hineindeuten.
    Meine Damen und Herren, was hat denn der Parlamentarische Rat und was hat die sozialdemokratische Fraktion, auf die dieser Artikel zurückgeht im Zusammenhang mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit, damit bringen wollen? Doch nach den Erlebnissen des zweiten Weltkrieges eine Art Ölzweig; und wenn man heute so mit irgendwelchen logischen oder gedanklichen Manipulationen diesen Ölzweig mit einem dahinter verborgenen Bajonett vertauschen will, dann ist das ein Zynismus ohnegleichen!

    (Stürmischer Beifall bei der SPD. — Lebhafte Zurufe und Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Jetzt will man auch auf einmal aus dem Art. 24, der nun wirklich europäisch gedacht war, so eine Art juristischer Atombombe machen, um die Verfassung zu sprengen. Was sagt denn Art. 24? Er sagt in seinem zweiten Absatz, um den es sich hier handelt: Der Bund kann in Beschränkungen
    seiner Hoheitsrechte einwilligen, und zwar indem er sich einem System kollektiver Sicherheit einordnet. Das ist eine klare und einfache Vorschrift, und die Abgeordneten Carlo Schmid, Wagner, Greve und Maier haben uns in der Ausschußberatung klar bezeugt, daß man weder damit eine nationale noch eine supranationale Wehrgewalt oder Wehrmacht ermöglichen wollte, weil schlechterdings eben jeder Bewaffnung die gleiche Sorge entgegenstand, eine vorzeitige und unbedachte Regelung des Wehrproblems könnte ungünstige Rückwirkungen auf die Wiedervereinigung haben.
    Im Parlamentarischen Rat war man sich klar, daß man in der Wehrfrage eine Lücke ließ. Gerade auch deshalb hat man im Art. 79 angeordnet, daß eine erhöhte Mehrheit, eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat befugt sein soll, die Verfassungsurkunde in ihrem Wortlaut zu ergänzen. Die bloß einfache Mehrheit ist also nicht die höchste politische Instanz. In Grundfragen, die eine Einigkeit der Nation erfordern, ist diese einfache Mehrheit nur eine unzureichende Minderheit gegenüber dem Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit. In Verfassungsfragen — und die Wehrfrage ist eine Verfassungsfrage — werden das Volksganze und das Staatsganze parlamentarisch allein von der Koalition u n d der Opposition zusammen verkörpert!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Eine Regierungskoalition dagegen, die sich für den
    Staat erklärt und eine Einheit von Staat und Regierungsparteien behauptet, begeht einen Staatsstreich.

    (Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD — Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Ihr fehlt die moralische Autorität.

    (Abg. Dr. Hasemann: Wir haben keine Zirkusvorstellung hier! — Zuruf des Abg. Kiesinger.)

    — Ja, Herr Kollege, Sie finden das lächerlich, (Abg. Kiesinger: Ich finde es betrüblich, nicht lächerlich!)

    aber es ist schon eine Reihe von Jahren her, daß mein verehrter Lehrer Heinrich Triepel in Berlin schrieb, daß auch ein Parlament einen Staatsstreich begehen könne. Dieses Wort stammt von einem größeren als ich es bin.

    (Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Der Mehrheit fehlt die moralische Autorität, um in
    einer Grundfrage der Verfassung Recht zu schaffen.

    (Anhaltende Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Wenn hierbei ein Teil des Volkes — und das haben Sie ja vor — Gewissenszwang gegen den anderen Teil des Volkes üben will, dann bekommt — —

    (Abg. Strauß: Reden Sie doch nicht solchen Unsinn! Wir tun, was notwendig ist!)

    — Gewissenszwang wollen Sie üben; denn Sie wissen ja, daß Sie nur vielleicht die Hälfte des Volkes
    — und das noch nicht einmal — hinter sich haben, und Sie wollen die andere Hälfte in ihrem Gewissen zwingen,

    (Abg. Strauß: Sie wollen uns mit Ihren Kniffen terrorisieren!)

    und wenn Sie da$ tun, dann bekommen Sie günstigstenfalls Hiwis oder Legionäre, aber keine Soldaten!

    (Stürmischer Beifall bei der SPD.)



    (Dr. Arndt)

    Ich will Ihnen das ganz klar sagen: Um Soldaten, die freie Wehrbürger sind, zu bekommen und sie zur Fahne zu rufen, dazu gehört mehr als der Parteibefehl einer Regierungskoalition!

    (Stürmischer Beifall bei der SPD. — Abg. Strauß: Sie reden ja wie von einem Kaiser-Wilhelms-Denkmal runter!)

    Dieser untaugliche Versuch beschwört die Gefahr herauf, unser von den Besatzungsmächten schon in seinem Gebiet gespaltenes Land jetzt auch noch in den Gewissen menschlich zu zerreißen.
    Die Demokratie wird zersetzt mit solchen Methoden.

    (Zuruf rechts: Durch Sie! — Abg. Dr. Gerstenmaier: Da haben Sie recht! — Abg. Strauß: Ihren Vortrag können Sie in Sibirien weiterhalten!)

    — Ach, Herr Strauß, reden Sie doch nicht über so etwas. Denn wir sind eben der Meinung, daß das, was Sie vorhaben, die Unsicherheit und die Gefahr nur erhöht. Sie sollten sich klar sein, daß Sie mit diesen Methoden nicht weiterkommen und den klaren Text der Verfassung so nicht verändern können. Denn die Verfassung ist kein Gegenstand von Schlauheit und listiger Deutelei.

    (Stürmischer Beifall bei der SPD. — Lebhafte Zurufe von der Mitte und rechts.)

    Man soll das Wort des Grundgesetzes stehenlassen,
    wie es steht und so, wie jeder es zu lesen versteht.

    (Erneuter stürmischer Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Hasemann: Und Sie wollen es anders auslegen! — Weitere lebhafte Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Man soll eine Verfassung heute nicht andersherum auslegen, als sie gestern noch begriffen wurde.

    (Zuruf von der Mitte: Das machen Sie ja ständig!)

    Man war sich im Parlamentarischen Rat darüber klar, keine Wehrgewalt zu schaffen.

    (Zuruf von der Mitte: Das stimmt ja gar nicht!)

    Das Volk will doch das Vertauen haben,

    (erneute Zurufe von der Mitte)

    daß seine Verfassung unverbrüchlich ist und daß man der Verfassung glauben darf. Wenn man uns heute einreden will, das Grundgesetz sei in nur für Schriftgelehrte entzifferbarer Geheimsprache abgefaßt — der Rheinische Merkur spricht in seiner Ausgabe vom 5. Dezember von den „taktischen Lücken" — und das Grundgesetz habe einen doppelten Boden, dann ist es mit der Verfassungsmoral und der Verfassungsehrlichkeit vorbei.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Ein solcher Frevel muß in weitesten Volkskreisen, die treu zur Demokratie stehen und ihr Vaterland nicht weniger lieben als andere Deutsche, die bitterste aller Enttäuschungen wecken, das Bewußtsein, aus dem Staate ausgestoßen zu werden und in der eigenen Heimat heimatlos zu sein.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Dieser Bruch wäre nie wieder gutzumachen. Wir würden aufhören, e i n Volk zu sein selbst hier im Westen und wären nur noch feindliche Parteien im kalten Bürgerkrieg.
    Das letzte Wort über die verfassungsrechtlichen Fragen wird an anderer Stelle gesprochen werden.

    (Abg. Dr. Hasemann: Gott sei Dank!)

    Die nach Karlsruhe hin gesprochenen Belehrungen, Warnungen und fast — ich scheue mich es auszusprechen — Drohungen verschiedener Redner, etwa des Herrn von Merkatz, sind grobe Ungehörigkeiten und ein trauriges Zeugnis für den Tiefstand unserer Rechtsmoral.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Ich wiederhole, was ich im Bundestag schon einmal von dieser Stelle aus sagte. Der gesetzeskräftige Urteilsspruch über die Zulässigkeit dieser Vertragsgesetze wird für uns verbindlich sein. Ich wiederhole aber auch, daß politisch wir weder jetzt noch je bereit sein werden, uns eine parlamentarische Entscheidung zu eigen zu machen, die für die Gemeinsamkeit des Staatsbewußtseins eine Katastrophe bedeutet.

    (Anhaltender stürmischer Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    (mit Beifall von den Regierungsparteien begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß die Millionen Hörer, die jetzt vor ihren Rundfunkapparaten gesessen haben


    (Zurufe von der SPD und KPD)

    und der Rede des Abgeordneten Arndt zugehört haben,

    (Abg. Bausch: Das ist eine Schande! — erneute Zurufe von der SPD)

    auch das Wort gehört haben, daß man „mit Schlauheit und listiger Deutelei" eine Verfassung nicht interpretieren könne.

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, genau dieser Vorwurf ist es, den ich der Art Verfassungsinterpretation, die Herr Dr. Arndt seit Jahr und Tag vorzunehmen beliebt, mache.

    (Stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Zurufe von links. — Großer Lärm.)

    Ich habe mir, bevor Herr Dr. Arndt heute abend hier gesprochen hat,

    (große Unruhe — Zuruf von der CDU: Er ist seit gestern abgeschrieben!)

    vorgenommen, mich an dieser Stelle heute nicht in das Detail der Vertragswerke zu begeben — sofern dies notwendig ist, wird das mein Freund Dr. Kopf tun —, sondern mich grundsätzlich mit jenen politischen, pseudorechtlichen, scheinrechtlichen und halbrechtlichen Argumenten auseinanderzusetzen, die immer und immer wieder von seiten unserer politischen Gegner vorgetragen werden, wenn es sich um die Auslegung des Grundgesetzes handelt.
    Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, ernsthaft eine Frage zu prüfen. Seitdem der Streit um diese Verfassung in deutschen Landen aufgeflammt ist, haben sich die ersten Persönlichkeiten der


    (Kiesinger)

    deutschen Staatsrechtswissenschaft zur Verfügung gestellt — hüben wie drüben —

    (Abg. Renner: „Zur Verfügung gestellt" ist gut!)

    und haben uns ihre Meinung über diese Verfassung und darüber, wie sie auszulegen sei, gesagt. Schon der Respekt, den der Jurist vor seinen Kollegen, die große Namen im deutschen Staatsrecht haben, haben sollte, hätte ihn hindern müssen, ihnen zum Vorwurf zu machen, daß sie Schlauheit und listige Deutelei an die Stelle echter juristischer Auslegung setzten.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Zurufe von der SPD und KPD.)

    Aber lassen Sie mich sagen,

    (Zuruf von der KPD: So ein aufgeblähter Frosch!)

    um was es bei dieser heftigen Auseinandersetzung wirklich geht.

    (Lebhafte Zurufe links. — Zuruf von der SPD: Wo sind Ihre Argumente? — Weiterer Zuruf von der SPD: Beweise! — Glocke des Präsidenten.)

    — Sie bekommen die Argumente zu hören, wenn Sie erst einmal versuchen, mich ausreden zu lassen, wie wir Ihren Herrn Kollegen Arndt haben ausreden lassen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich stelle eine Frage voran. Meine Damen und Herren, glaubt jemand in diesem Saal ernsthaft, daß, wenn wir im Jahre 1949 einen Wahlerfolg der Sozialdemokratie erlebt und eine sozialdemokratische Mehrheit in diesem Bundestag und eine sozialdemokratisch geführte Regierung bekommen hätten, wir jemals etwas von dieser Art der Auslegung des Grundgesetzes gehört hätten, die praktisch darauf hinausläuft, die politische Bewegungsfreiheit der Regierung mit allen Mitteln zu beschränken?

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD und KPD. — Glocke des Präsidenten.)

    Wir hätten mit Sicherheit, so wie wir die sozialdemokratische Opposition kennen, erlebt, daß sie jede taktische Möglichkeit,

    (Zurufe links — Glocke des Präsidenten)

    ihre eigene Handlungsfreiheit zu erweitern, benutzt hätte. Und dies ohne Bedenken!

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Zurufe von der SPD. — Abg. Renner: Das sind doch keine Argumente, sondern Redensarten!)

    Es geht hier nicht um Verfassungsauslegung, sondern es geht hier um einen politischen Kampf von seiten der Sozialdemokratie.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD: Aha! — Weitere lebhafte Zurufe von der SPD.)

    Man will nur das deutsche Volk glauben machen, daß es um eine Rechtsinterpretation gehe.

    (Sehr gut! in der Mitte. — Zurufe von der SPD. — Abg. Renner: Wir nicht, wir sagen dem Volk, daß es um den Faschismus geht, nicht um Rechtsfragen! — Glocke des Präsidenten.)

    Meine Damen und Herren, die Wahlen zum Bundestag im Jahre 1949 waren deswegen von so großer Bedeutung, weil mit jenen Wahlen die grundsätzliche politische Prägung des neuen Staatswesens entschieden worden ist. Aus diesem Grunde hat die Sozialdemokratie ihre Niederlage bei jenen Wahlen niemals verwunden

    (Sehr gut! in der Mitte)

    und hat jenes Ergebnis, so demokratisch eindeutig es auch war, niemals innerlich anerkannt.

    (Erneute Zustimmung in der Mitte.)

    Aus dieser Haltung der Sozialdemokratie erklären sich die ungewöhnliche Leidenschaft ihrer Opposition die ganzen Jahre hindurch und zwei Ziele, die sie sich Besetz hat.

    (Zurufe von der SPD.)

    Das erste Ziel war — und ein führender Vertreter der Sozialdemokratie hat mir das schon nach vier Wochen in diesem Bundestag erklärt —, daß dieser Bundestag und die Regierung unter allen Umständen vorzeitig beendet werden müßten,

    (Hört! Hört! in der Mitte — Rufe von der SPD: Unerhört!)

    solange dies nicht gelänge, würde man mit allen Mitteln die politische Bewegungsfreiheit dieser Regierung einschränken.

    (Erneute Rufe von der Mitte: Hört! Hört! - Zurufe von der SPD. — Abg. Renner: Wer war denn der Mann? Wer war denn dieser Sozialdemokrat? Sagen Sie es doch!)

    — Ich kann es Ihnen sagen, wenn Sie wollen. — Es lag der sozialdemokratischen Opposition nahe, diesen Kampf auch durch schroff einengende Auslegung des Grundgesetzes zu führen.

    (Abg. Renner: Reden Sie doch richtig!)

    Dieser Versuch, die politische Bewegungsfreiheit der Regierung dadurch einzuschränken, daß man sagt, das Grundgesetz habe nur eine provisorische und fragmentarische Bedeutung

    (Abg. Niebergall: Das ist doch richtig!)

    und erlaube der Regierung nicht, dies und jenes zu tun, ist von der Sozialdemokratie natürlich aus ihrem politischen Willen heraus unternommen worden, die Regierung, wenn es irgendwie ginge, nicht zum Zuge kommen zu lassen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    So stehen sich nun die Thesen, aus dieser politischen Situation heraus entstanden, gegenüber. Das Grundgesetz ist entstanden in einer Zeit weitgreifenden Besatzungsrechts, in welcher die deutsche Souveränität ruhte und viele wichtige Zuständigkeiten nicht den deutschen, sondern Organen der Besatzungsmacht zustanden.

    (Abg. Renner: Und heute? — Weitere Zurufe von der KPD.)

    Darum mußte das Grundgesetz, wenn es vernünftig angelegt war, auf die Tatsache Rücksicht nehmen, daß im allmählich zu erwartenden Abbau des Besatzungsrechts deutsche Zuständigkeiten wieder auflebten und daß dann nicht Mal für Mal, wie jetzt behauptet wird, eine Ergänzung des Verfassungsrechts notwendig wurde.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Vielmehr mußte, was da auflebte, unmittelbar anwendbares deutsches Verfassungsrecht werden.


    (Kiesinger)

    Wenn man etwa den Schöpfern des Grundgesetzes, den Männern und Frauen des Parlamentarischen Rates, unterstellen wollte, daß sie das Grundgesetz nur auf den kümmerlichen Leib der damaligen staatsrechtlichen Verhältnisse zugeschnitten hätten und nicht auf den mit Sicherheit zu erwartenden Zuwachs, dann wäre das auch für deutsche Verhältnisse eine unbegreifliche Wirklichkeitsferne gewesen.

    (Erneute Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD und von der KPD. — Zuruf links: Sophistereien!)

    Die Auslegung der Verhandlungen des Parlamentarischen Rats wird von der Opposition sehr einseitig und unrichtig vorgenommen.

    (Sehr wahr! in der Mitte.)

    Es ist nicht so, wie der Herr Kollege Arndt gesagt hat, daß man damals z. B. den ganzen Wehrkomplex nicht geregelt habe, weil man an das Deutschland östlich des Eisernen Vorhangs gedacht habe.

    (Fortgesetzte Zurufe von der KPD.)

    Man hat es nicht getan, weil damals einfach nach Lage des Besatzungsrechts eine Regelung der Wehrhoheit nicht möglich war.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der KPD: Der Amerikaner hat es damals nicht ausgesprochen, darum habt ihr nicht darüber geredet! — Weitere Zurufe.)

    Weder die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes noch seine Anlage berechtigen zu der Annahme, die die Sozialdemokratie uns immer wieder nahelegen will.

    (Zuruf von der SPD: Sie haben heute einen schlechten Tag! — Gegenruf von der Mitte: Sie aber auch! — Weitere Zurufe und Auseinandersetzungen zwischen Abgeordneten der Regierungsparteien und der SPD.)

    — Ihr Ärger beweist mir, daß der Tag nicht so schlecht ist!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Renner: Wann kommen denn nun die Argumente? — Zuruf von der SPD.)

    — Ich komme gleich darauf, Herr Greve! — Man mag einwenden, daß es das gute Recht einer Opposition sei, bei allen ihren Bestrebungen danach zu trachten, daß ihre Position gestärkt wird. Das würde auch niemand übelnehmen, selbst nicht bei dem politischen Versuch der Verfassungsausdeutung. Aber, meine Damen und Herren — und ich bitte, hören Sie mich wirklich einmal mit Ruhe an —,

    (erneute Zurufe von der SPD und von der KPD)

    dann muß man das in einer Sprache tun, die wir noch ernst nehmen können und die nicht die öffentliche Meinung vergiftet!

    (Stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir haben heute abend aus dem Munde des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt wieder jene jakobinisch-anklägerischen Worte gehört,

    (lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Lachen und Zurufe links)

    die er immer in den Mund nimmt, wenn er hier heraufkommt, um über solche Fragen zu reden.

    (Abg. Dr. Schröder [Düsseldorf]: Er soll mal über das Goebbels-Urteil sprechen!)

    Ich will nur eine kleine Blütenlese aus seiner heutigen Rede veranstalten: Wir von der Koalition sind „mutwillig" diesen Weg gegangen und haben dadurch eine „katastrophale Verfassungsnot" heraufgeführt;

    (Zurufe von der SPD)

    wir „verachten das Volk und die Demokratie",

    (Lachen bei der KPD — Abg. Renner: Das tut ihr ja auch!)

    und der Bundeskanzler hat bei seiner gestrigen Rede „einen Haß bis über das Grab hinaus bekundet".

    (Lebhafte Zurufe von den Regierungsparteien. — Lachen links.)

    Das Wort „Staatsstreich" ist wieder gefallen! (Erneute Zurufe von der KPD.)

    Meine Damen und Herren, ich habe das Glück, zurückgreifen zu können auf ähnliche Äußerungen des Herrn Dr. Arndt in der 18. Sitzung des Bundestags am 24. November 1949. Damals ging es um das Petersberger Abkommen. Herr Dr. Arndt hat damals gesagt:
    In Wahrheit handelt es sich um nichts anderes als um ein neues Glied in der Kette der Versuche der permanenten Ausschaltung des Parlaments, des Unterfangens, Verfassungskämpfe durch autoritären Handstreich zu gewinnen.

    (Zurufe von der SPD.)

    — Warten Sie, meine Herren! — Herr Dr. Arndt hat damals weiter gesagt:
    Was heute hier zur Debatte und zur Abstimmung steht; ist nichts anderes als die Probe dessen, ob das Grundgesetz ein Fetzen Papier ist ....
    Das war die Sprache damals. Damit sollte das Petersberger Abkommen madig gemacht werden. Das Bundesverfassungsgericht hat inzwischen entschieden,

    (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien)

    es hat erklärt, daß wir Rechtens gehandelt haben!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich hatte auch damals — wenn Sie meine damaligen Ausführungen nachlesen — Herrn Dr. Arndt und den Seinen nie das Recht bestritten, Zweifel an der Rechtmäßigkeit unserer Maßnahmen zu erheben. Das war ihr gutes Recht. Aber wir wehren uns ein für allemal dagegen, daß es in dieser anklägerischen Form geschieht, die uns bei jeder Gelegenheit des flagranten Verfassungsbruchs, des Unrechts und der Mutwilligkeit beschuldigt.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wuermeling: Bravo! Ausgezeichnet!)

    Herr Dr. Arndt hat in der vergangenen Woche erneut geglaubt, wieder einmal sagen zu müssen, das Abwarten des Gutachtens sei — nicht etwa zweckmäßig, nicht etwa ratsam, nein — „eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit", und wenn diese verfassungsrechtliche Notwendigkeit verletzt wor-


    (Kiesinger)

    den sei, dann sei wieder einmal das Opfer die Demokratie.

    (Lachen in der Mitte.)

    Da wir nun einmal bei dieser Generalabrechnung sind, kann ich mir auch nicht versagen, die Worte zu zitieren, die Herr Dr. Arndt in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses nicht nur seinen Kollegen, nicht nur uns, sondern nach dem Wortlaut auch ganz klar den Richtern des Bundesverfassungsgerichts warnend zugerufen hat. Soeben hat er die Redner getadelt, die angeblich derartige Warnungen nach Karlsruhe gerichtet haben sollen.

    (Abg. Dr. Arndt: Herr Kiesinger, das ist nicht wahr!)

    — Ich kann Ihnen genau sagen, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Arndt. Sie sind auf das Petersberger Abkommen eingegangen. Sie haben gesagt, das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, leider habe es sich geirrt;

    (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien)

    man müsse einen solchen Irrtum eben allenfalls in Kauf nehmen und sich ihm beugen. Aber in dieser Frage sind sie fortgefahren:
    Ich will Ihnen ganz klar sagen, ich für meinen Teil würde das Regime, das durch diese Verträge begründet wird, mit der gleichen Leidenschaft und mit der gleichen Empörung ablehnen, wie ich das nationalsozialistische Regime abgelehnt habe.

    (Lautes Lachen bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wuermeling: Ausgerechnet Herr Arndt! — Gegenrufe von der SPD. — Unruhe.)

    Herr Kollege Dr. Arndt fuhr dann fort:
    Das ist dann keine Opposition mehr gegen eine jeweilige Regierung, — —

    (Abg. Renner: SA-Mann Kiesinger!)

    — Herr Renner, Ihnen fällt auch gar nichts Neues ein!

    (Abg. Renner: Sie sind ja heute noch Nazi!) Herr Kollege Dr. Arndt sagte dann:

    Das ist dann keine Opposition mehr gegen eine jeweilige Regierung, gegen die man Mißtrauen hat, sondern zu dem Staat, der hier geschaffen werden soll, gehöre ich nicht mehr dazu.
    Ich hoffe, daß diese Auffassung des Herrn Kollegen Dr. Arndt wirklich nicht von seiner Fraktion geteilt wird. Wo kämen wir in diesem Lande hin, wenn wir versuchten, die Mehrheitsentscheidung, die nun einmal die demokratische Entscheidung ist, verhindern zu wollen?

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

    Eine Auseinandersetzung darüber, ob eine Mehrheitsentscheidung genüge oder ob eine Verfassungsänderung oder eine Auflösung des Bundestages notwendig sei, kann man in anderer Sprache führen.

    (Sehr richtig! und Sehr gut! bei den Regierungsparteien. — Zuruf links: In Ihrer!)

    Wie ist nun die Lage in Wahrheit?

    (Zuruf links: Höchst bezeichnend! — Zuruf von der KPD: Zu den Verträgen!)

    — Ich rede zu den Verträgen, nämlich dazu, wie man diese Verträge zu interpretieren hat und wie man sie eben nicht zu interpretieren hat!

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebafte Zurufe von der KPD.)

    — Ihr Widerspruch beweist mir nur, wie sehr Sie sich getroffen fühlen.

    (Sehr gut! und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Als die Regierung die Verhandlungen über die Verträge begann, konnte sie besten Glaubens handeln. Das Grundgesetz selbst, die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates, die inzwischen erschienene verfassungsrechtliche Literatur — alle konnten der Bundesregierung die Überzeugung vermitteln, daß sich die Verträge, die sie da abzuschließen im Begriff war, in voller Übereinstimmung mit unserem Verfassungsrecht befanden.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der KPD.)

    Ich habe schon darauf hingewiesen, daß wir inzwischen eine große Zahl juristischer Fachgelehrter gehört haben, und es ist, sowohl was die Zahl dieser Gelehrten als was ihre Qualität als Rechtswissenschaftler anlangt, so, daß die Bundesregierung sich in keiner schlechten Position befindet,

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien)

    und es ist ein sehr billiges Argument, von diesen Rechtsgelehrten immer nur als von den „Gutachtern der Bundesregierung" zu sprechen.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Das sind nicht einseitige Prozeßvertreter, sondern das sind Rechtswissenschaftler, die mit diesen Gutachten ihren guten Namen aufs Spiel gesetzt haben.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe links. — Zuruf von der KPD: Werden die nicht auch bezahlt? — Abg. Dr. Greve: Lesen Sie den Brief von Professor Schätzel im Bonner „GeneralAnzeiger" von gestern!)

    — Herr Kollege Greve, Sie kommen doch auch noch dran; Sie können mir doch noch zur Genüge antworten.
    In unserer Bevölkerung wird ja gern immer wieder gefragt: Worüber können denn Juristen nicht streiten? Nun ja, es ist so, und gerade auf dem Gebiet des Verfassungsrechts ist es so. Aber die Juristen selbst sind nicht daran schuld; die Jurisprudenz nimmt eben teil an der allgemeinen Geistes- und Kulturkrise unserer Zeit,

    (Zuruf von der KPD: Wird bezahlt!)

    und weil es so ist, wird die Frage auch der Auslegung einer konkreten Verfassung zu einem so außerordentlich schwierigen Problem, bei dem man sich hüten müßte, den eigenen Standpunkt immer wieder als ganz unanfechtbar hinzustellen.

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

    Es geht doch um eine viel zu ernste Sache, als daß wir so miteinander verhandeln dürften.
    Welche Fragen entstehen auf dem Gebiet? Was ist Recht, was ist der Staat, was ist die Verfassung, was ist das Wesen und die Aufgabe des Staates, wo liegen die Grenzen der Staatsgewalt?

    (Abg. Renner: Bei Adenauer! — Heiterkeit.)

    Und diese Krise wirkt sich doch so stark aus, daß
    wir überhaupt keine gemeinsame Methode der


    (Kiesinger)

    Verfassungsauslegung haben. Jedem Juristen des öffentlichen Rechts ist es bekannt, daß es in der jungen deutschen Staatsrechtswissenschaft zu einer solchen gemeinsamen Methode noch nicht gereicht hat. Wenn ich Zeit hätte, würde ich Innen vorlesen, was etwa Rudolf Smend über diese Dinge gesagt hat: daß in Deutschland im Gegensatz zu der angelsächsischen Welt diese Tradition noch nicht begründet worden ist, daß wir Deutsche, meistens von der Einzelbestimmung ausgehend. naiv-formalistisch zu entscheiden streben und den Rest dann allzu gern politisch ergänzen, während man im großen angelsächsischen Rechtsraum aus dem Geist des Ganzen, Gesunden und Volkstümlichen seit mehr als zwei Jahrhunderten entscheidet.
    Ich kenne einige Gutachten der Gegenseite. Drei davon sind so, daß sie sich methodisch völlig ausschließen, daß sie, obwohl sie äußerlich zum selben Ergebnis kommen, sich gegenseitig im Ergebnis aufheben. Denn es ist doch klar, meine Damen und Herren: wenn der eine Rechtsgelehrte sagt: mit der Methode des andern läßt sich ein vertretbares wissenschaftliches Ergebnis nicht Gewinnen — und das wird tatsächlich von dem einen gegen den andern gesagt —, dann heben diese Gutachten und ihre Ergebnisse sich gegenseitig auf. Man kann mit einer solchen Methode keine echten Ergebnisse gewinnen.

    (Abg. Dr. Greve: Das ist doch keine Physik und keine Mathematik, Herr Kiesinger!)

    — Aber das ist Geisteswissenschaft und Jurisprudenz!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Anhaltende Zurufe links.)

    Herr Greve, Sie sind doch Jurist, und Sie sollten
    der erste sein, der bei diesen Dingen zuhört!

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Wir haben in der Weimarer Zeit die außerordentliche Schwierigkeit einer derartigen Verfassungsinterpretation erlebt. Wir alle, die wir damals noch in juristischen Seminaren saßen, haben uns doch damit herumschlagen müssen. Wir haben in Deutschland leider Gottes auch nicht, was man in anderen Ländern hat: eine lange begründete sichere Lehre und eine Geborgenheit in der Tradition einer jahrhundertealten gerichtlichen Praxis. Alles ist neu, alles ist unsicher, alles ist auf die persönlichen Thesen und Hypothesen einzelner Staatsrechtslehrer abgestellt.

    (Zurufe links.)

    Diese Not - und es handelt sich hier um eine echte Not — wurde zur Weimarer Zeit durchaus gespürt. Damals hat der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich in einem bekanntgewordenen Fall, in dem es um die Prüfung der Verfassungsgültigkeit eines preußischen Landeswahlgesetzes ging, in Erkenntnis der mangelnden Interpretationsmittel für die Erkundung des Verfassungswillens wie folgt entschieden. Er sagte — ich darf es mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten vorlesen, es sind nur wenige Sätze —:
    Den Entschließungen des Gesetzgebers kann der Staatsgerichtshof, wenn überhaupt, so doch jedenfalls nur dann entgegentreten, wenn sie offensichtlich der inneren Rechtfertigung entbehren und wenn von ihnen deshalb mit Sicherheit gesagt werden kann, daß sie dem zum Ausdruck gelangten Willen des Verfassungsgesetzgebers zuwiderlaufen.
    Ich will hier nicht etwa eine Mahnung nach Karlsruhe hin richten. In Karlsruhe muß man sich dieser Schwierigkeiten ja selbst bewußt sein und muß zusehen, wie man ihrer Herr wird. Ich will damit nur darauf hindeuten, daß es bei der Verfassungsinterpretation tausendfach Unsicherheiten, Zweifel, Unklarheiten gibt und daß es noch keine Methode logizistisch-mathematischer Exaktheit gibt, die uns sagt: Das eine ist richtig, das andere ist falsch.

    (Abg. Renner: Und Adenauer pfeift auf alles!)

    — O nein! Er hat sich von seinen Gutachtern und Sachbearbeitern sehr sorgfältig beraten lassen, von Sachkennern des einschlägigen Rechtsgebietes, bevor er seine Entscheidungen traf.

    (Erneute Zurufe links.)

    Eine besondere Schwierigkeit bereitet bei dieser ganzen Auslegung die berühmte Trennung von Rechtsfragen und politischen Fragen. Einer der Gutachter der SPD sagt ganz offen und klar, dem Bundesverfassungsgericht lägen — wörtlich — „die großen politischen Entscheidungen in juristischer Verkleidung" vor. „Die großen politischen Entscheidungen in juristischerVerkleidung"!, dieses Wort ist außerordentlich gefährlich.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Das Bundesverfassungsgericht hat jedenfalls im Südweststaat-Prozeß gesagt — und es hat dies im Anschluß an Anschütz und andere gesagt —, daß es nur über Rechtsfragen und über nichts sonst zu entscheiden habe.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Hieraus, meine Damen und Herren, ergibt sich das Problem einer immanenten inneren Begrenzung der Verfassungsauslegung. Wo man mit den Mitteln der bloßen Rechtsinterpretation nicht mehr weiterkommt, muß man eben haltmachen, und wenn es nicht anders geht, zu einem non liquet kommen — ich kann mich weder so noch so entscheiden — und muß dann, wie das der Staatsgerichtshof getan hat, die Entscheidung den politischen Instanzen überlassen, die dafür die Verantwortung tragen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Anhaltende Zurufe links.)

    Natürlich kann man eine Verfassung politisch interpretieren; und das, meine Damen und Herren, was uns Herr Kollege Arndt hier, abgesehen von seinen hyperpolemischen Ausführungen, vorgetragen hat, war weitreichend keine rechtliche Interpretation der Verfassung, sondern eine politische.

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

    Niemand von uns verwehrt der Opposition diese politische Interpretation der Verfassung. Eine Verfassung kann, je nachdem ich Föderalist bin oder Zentralist oder Sozialist oder Liberaler — eine Verfassung gar unserer Art, die den bekannten Kompromißcharakter hat —, natürlich politisch verschieden ausgelegt werden.

    (Abg. Renner: Die Auslegung ist alles!)

    Aber diese Auslegung ist etwas ganz anderes als die Auslegung, die jemand treffen muß, der zu jener furchtbaren Verantwortung aufgerufen ist zu sagen: Von hier ab entscheide ich: dieses ist recht und jenes unrecht!

    (Sehr richtig! bei der CDU. — Aha!-Rufe bei der SPD.)



    (Kiesinger)

    Vor dieser Entscheidung stehen die Richter des Bundesverfassungsgerichts.

    (Zuruf links: Und wir!)

    Wo sich Rechtsfragen und politische Fragen nicht trennen lassen, sollte man äußerste Vorsicht walten lassen und sollte bescheiden genug sein, sich zu sagen: ich mag zwar meinen Standpunkt mir selber einigermaßen plausibel begründen können; aber den Rest, den ich aus meinem politischen Willen heraus hinzufügen muß, kann ich nur als Politiker hinzufügen! Und diese Aufgabe kann ich auch nicht einem Verfassungsgericht übertragen. Sonst würde die Verfassungsgerichtsbarkeit in deutschen Landen zerstört und die Politik mit ihr.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Renner: Laßt den guten Konrad walten! — Weitere Zurufe links. — Glocke des Präsidenten.)

    Meine Damen und Herren! Wir haben große Beispiele der Verfassungsauslegung, — zwar nicht in der kurzen Zeit der modernen deutschen rechtsstaatlichen 'Demokratie — ich habe eines davon genannt —, aber drüben in der Neuen Welt, in den Vereinigten Staaten von Amerika, gibt es schon seit zwei Jahrhunderten eine solche große Rechtstradition. Wie dort die Verfassung von den dazu berufenen Gerichten interpretiert wird, das darf ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten in wenigen Zitaten, die aus unmittelbaren amerikanischen Quellen und vor allen Dingen aus berühmt gewordenen Gerichtsentscheidungen stammen, kurz vorlesen.
    Das erste Zitat:
    Die Gerichte unseres Landes
    — der Vereinigten Staaten —
    zeigen sich entschlossen, unseren geschriebenen Verfassungsgesetzen durch Auslegung die Elastizität zu verleihen,

    (Lachen links)

    die sie mit den öffentlichen Interessen, wie die Gerichte sie sehen, in Übereinstimmung bringt. Ihre Bestimmungen werden im Wege der Auslegung laufend ausgedehnt und ausgeweitet, um den fortschreitenden und sich steigernden Lebensbedürfnissen gerecht zu werden.

    (Hört! Hört! bei der CDU. — Zuruf von der KPD: Faschismus!)

    Das zweite Zitat:
    Das Gericht wünscht nicht, sich dieser engherzigen Auslegung der Verfassung anzuschließen, welche Zuständigkeiten leugnen würde, die nach dem gewöhnlichen SprachSinn begründet werden, und welche die Regierung lahmlegen würde
    — im Urtext heißt es: verkrüppeln würde —
    und sie außerstande setzte, die Aufgaben zu erfüllen, für die sie geschaffen wurde, während sie doch in der Lage wäre, diese Aufgaben zu erfüllen, wenn man nur die Zuständigkeitsfragen richtig versteht.

    (Zuruf von der KPD: Recht ist Macht, heißt das!)

    — Oh nein! Diese Rechtsprechung der Vereinigten Staaten hat noch niemand in dieser Welt angegriffen, sie sei nicht demokratisch-rechtsstaatlich, außer den Trabanten Moskaus!

    (Beifall bei der CDU. Gegenrufe von der KPD. — Abg. Renner: Und die Lynchjustiz!)

    Und das dritte Zitat:
    Das ist auch so ausgedrückt worden, daß eine Verfassung dem Geiste nach auszulegen ist, welcher belebt, und nicht nach dem Buchstaben, welcher tötet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Renner: Nach amerikanischem Geist! — Weiterer Zuruf von der KPD: Das ist die Methode Hitlers! — Unruhe links. — Glocke des Präsidenten.)

    Meine Damen und Herren! Diese Art der Verfassungsauslegung kann uns ein Vorbild sein:

    (Ironischer Zuruf von der KPD: Richtig!) Der Geist und nicht der tötende Buchstabe.

    Herr Kollege Arndt! Sie haben heute früh zitiert, daß Ihr Kollege Herr Professor Schmid seine Äußerung im Parlamentarischen Rat über das System der kollektiven Sicherheit so verstehe — wenn nicht damals so verstanden habe —, daß von einem System kollektiver Sicherheit nur gesprochen werden könne, wenn in ihm auch der virtuelle, der mögliche Angreifer selbst eingeschlossen sei. Sie haben deswegen gesagt, das System der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft sei kein kollektives Sicherheitssystem. Ja, meine Damen und Herren, haben wir hier nicht von allem Anfang an und immer wieder erklärt, daß diese Europäische Verteidigungsgemeinschaft keineswegs nur gegen eine Bedrohung vom Osten her geschlossen worden ist, sondern deswegen, weil wir in Europa reinen Tisch machen wollen und auch die unter uns, die einmal virtuelle Angreifer sein könnten, zusammenführen wollten zu einem Frieden?

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Aha-Rufe bei der KPD.)

    Haben wir nicht immer wieder erklärt, daß wir dieses neue Europa auch geschaffen hätten ohne die Bedrohung von Osten her und daß diese Bedrohung von Osten her diese unsere Arbeit nur beschleunigen kann?
    Sie haben also, meine Damen und Herren — und ich hoffe, daß mich auch die einfachen Leute dabei verstehen —, durchaus Möglichkeiten einer Verfassungsauslegung,

    (anhaltende Zurufe links)

    die haltbar, hieb- und stichfest ist, wenn man nur guten Willens ist.

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der KPD: Das Protokoll ist eine gute Sache, Herr Kiesinger!)

    Auch wir und gerade wir bejahen den demokratischen Rechtsstaat. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich bezweifle nicht, daß dieser Wille auch in Ihren Reihen herrscht. Aber sollte es Sie nicht nachdenklich machen, daß immer wieder in den Fragen, um die es jetzt geht, wenn Sie hier auftreten, einer von da drüben — etwa der bewährte, unverdrossene Vorkämpfer des Rechtsstaates wie unser Kollege Renner — an Ihrer Seite steht und das Wort ergreift?

    (Erregte Zurufe von der KPD. — Abg. Renner: SA-Männer dürften hier eigentlich gar nicht sprechen! — Rabauken!)



    (Kiesinger)

    Ich konnte angesichts der Sprache, die die Opposition bei der Frage der Verfassungsauslegung gegen uns führt, einer Sprache, die wir unstatthaft, unwahr und nun wirklich für die Demokratie gefährlich nennen müssen, nicht schweigen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Von einem flagranten Verfassungsbruch durch den Abschluß der großen Verträge kann keine Rede sein.

    (Lebhafter Widerspruch bei der SPD. — Zuruf links: „Also"?)

    Ich habe die Schwierigkeiten, wie es nicht anders möglich war, in skizzenhafter Form darzustellen versucht. Aber wir sind auch überzeugt und getrosten Mutes, daß auch eine verborgene Verfassungsverletzung in den Verträgen nicht enthalten ist, jedenfalls keine, die das Schicksal der Vertragswerke selbst in Frage stellen könnte.
    Einer der Gutachter der Gegenseite hat darauf hingewiesen, daß wir in einer Zeit gewaltig sich verwandelnder staats- und völkerrechtlicher Verhältnisse leben, und er hat gesagt, daß in dem rapiden Prozeß, den wir da durchmachen, die alten Verfassungen sich anpassen und, so meinte er, durch Verfassungsänderung ergänzt werden müßten. Er hat aber nicht sehen wollen, daß es in diesem Europa nicht nur alte Verfassungen — hundert Jahre alte oder fünfzig Jahre alte oder noch ältere — gibt, sondern daß es drei neue Verfassungen gibt, geschaffen nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, geboren aus den Leiden dieses Weltkrieges — es sind die französische, die italienische und das deutsche Grundgesetz —, und allen, die dabei mitgewirkt haben, wird es eines Tages zum Ruhme gereichen. Diese Verfassungen haben > von vornherein ins Auge gefaßt den Abbau der staatlichen Souveränität, der nach diesen Gutachten das Kriterium der alten Verfassung sein soll, zugunsten eines Systems der kollektiven Sicherheit. Feierlich hat das Grundgesetz in seiner Präambel die Freiheit Deutschlands in einem vereinten Europa verkündet. Die Artikel 24, 25 und 26 des Grundgesetzes haben ein breites und weites Tor für das System der kollektiven Sicherheit geöffnet. Das Grundgesetz ist kein Gesetz, das sich diesen Verhältnissen erst durch eine Verfassungsergänzung anpassen müßte; das Beste an ihm ist, daß es dies von Anfang an getan hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Gewiß, wir haben die Rechtsfrage nicht zu entscheiden; sie liegt in anderen Händen. Meine Damen und Herren, bedenken Sie noch einmal diese Frage und nehmen Sie es mir wirklich ab, um was es geht!

    (Zurufe von der KPD!)

    — Nicht Sie dort drüben; Sie anderen alle! Es geht in diesen Zeiten darum, nicht mit kleinlichen Bedenken eine große Aufgabe zu versäumen. Erst jüngst hat ein bedeutender Autor darauf aufmerksam gemacht — es ist nicht das erste Mal geschehen —, daß alle Hochkulturen der vergangenen Jahrtausende immer wieder dadurch zugrunde gegangen sind, daß sie innerlich und äußerlich gegen den Ansturm von außen her nicht gerüstet waren. In dieser Situation steht die letzte Hochkultur, die wir kennen, die abendländische.

    (Zurufe links.)

    Dieser Autor schließt damit: Ob unsere eigene
    abendländische Kultur endlich diese Verteidigungsfähigkeit in ausreichendem Maße besitzt, das ist die große Schicksalsfrage, die die Weltgeschichte eben jetzt an uns stellt. So gnade uns Gott, daß wir diese Frage nicht überhören!

    (Langanhaltender stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien.)