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ID0124106900

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    Deutscher Bundestag — 241. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Dezember 1952 11301 241. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 4. Dezember 1952. Geschäftliche Mitteilungen 11303A Mitteilung des Präsidenten über die Erledigung der Entschließung der Fraktion der SPD zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (Umdruck Nr. 118) 11303B Fortsetzung der zweiten und dritte Beratung der Entwürfe eines Gesetzes betr. den Vertrag vom 26. Mai 1952 über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten mit Zusatzverträgen, eines Gesetzes betr. das Abkommen vom 26. Mai 1952 über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder (Nm. 3500, zu 3500, Nachgang zu 3500 der Drucksachen, Umdruck Nr. 699 [neu]), eines Gesetzes betr. das Protokoll vom 26. Juli 1952 über die Erstreckung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts auf Streitigkeiten aus dem am 26. Mai 1952 in Bonn unterzeichneten Abkommen über die steuerliche -Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder (Nr. 3700 der Drucksachen), eines Gesetzes betr. den Vertrag vom 27. Mai 1952 über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und betr. den Vertrag vom 27. Mai 1952 zwischen dem Vereinigten Königreich und den Mitgliedstaaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, eines Gesetzes betr. das Abkommen vom 27. Mai 1952 über die Rechtsstellung der Europäischen Verteidigungsstreitkräfte und über das Zoll- und Steuerwesen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (Nm. 3501, zu 3501 der Drucksachen); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) (Nr. 3900, zu 3900 der Drucksachen, Umdrucke Nm. 713 bis 718, 720 bis 723) in Verbindung mit der Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Generalvertrag und Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (Nrn. 3398, 3363 der Drucksachen) sowie mit der Fortsetzung der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Generalvertrag und Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (Nr. 3392 der Drucksachen) 11303B Fortsetzung der Berichterstattung der Ausschüsse: Die verfassungsrechtliche, rechtspolitische und rechtliche Bedeutung der Vertragswerke: Berichte des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur Frage der Vereinbarung der Vertragswerke mit dem Grundgesetz: Dr. Wahl (CDU): als Berichterstatter 11304A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11196B Dr. Arndt (SPD): als Berichterstatter 11307A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11201D, 11211C Die wirtschaftliche, finanz- und steuertechnische Bedeutung der Vertragswerke: Dr. Freiherr von Rechenberg (FDP) (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11215A Dr. Fricke (DP): als Berichterstatter 11309D Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11216A Stegner (FDP) (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) . . . . 11218C Dr. Kreyssig (SPD) : als Berichterstatter 11310C Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11224D Erler (SPD): als Berichterstatter 11315A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11227B Dr. Kneipp (FDP): als Berichterstatter 11316A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11228D, 11298 Dr. Gülich (SPD): als Berichterstatter 11316D Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11231C Dr. Wellhausen (FDP): als Berichterstatter 11321C Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11246D Dr. Hasemann (FDP): als Berichterstatter 11323B Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11249B Bausch (CDU): als Berichterstatter . . . 11323A, 11324D Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11250C Schoettle (SPD): als Berichterstatter 11325D Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11256C Die Vertragswerke im Hinblick auf Truppen-Stationierung und Verteidigung Deutschlands, Berichte des Ausschusses zur Mitberatung des EVGVertrages und der damit zusammenhängenden Abmachungen: Bericht über die politischen und militärischen Bestimmungen des EVGVertrages und ihre Auswirkungen: Strauß (CSU): als Berichterstatter 11328A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11262A Bericht über die wirtschaftlichen, finanziellen und haushaltsmäßigen Bestimmungen des EVG-Vertrages und ihre Auswirkungen: Erler (SPD): als Berichterstatter 11329D Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11270B Bericht über die rechtsprechende Gewalt im Rahmen des EVG-Vertrages: Dr. Jaeger (Bayern) (CSU): als Berichterstatter 11333A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11276B Zusätzliche Berichte des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zu bestimmten Teilen der Vertragswerke: Zusätzlicher Bericht über die mit der Stationierung fremder Truppen zusammenhängenden Rechtsfragen: Dr. Wahl (CDU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11285A Zusätzlicher Bericht zu Teil I des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen: Dr. Wahl (CDU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11286C Dr. von Merkatz (DP), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11288D Zusätzlicher Bericht zu Teil VII des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen: Dr. Reismann (FU): als Berichterstatter 11334A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11289C Zusätzlicher Bericht zu Teil XI des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen: Dr. Vogel (CDU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11290C Zusätzliche Berichte anderer Ausschüsse zu bestimmten Teilen der Vertragswerke: Zusätzlicher Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen zu den Verkehrsbestimmungen der Vertragswerke: Rademacher (FDP), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11292A Zusätzlicher Bericht des Ausschusses für Post- und Fernmeldewesen zu den das Post- und Fernmeldewesen betreffenden Bestimmungen des EVG-Vertrages: Cramer (SPD): als Berichterstatter 11335B Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11293D Zusätzlicher Bericht des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films zu bestimmten Abschnitten des Vertrages über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen: Dr. Vogel (CDU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11295B Unterbrechung der Sitzung 11335D Fortsetzung der allgemeinen Aussprache: Reimann (KPD) 11336A von Thadden (Fraktionslos) . . . 11344B Dr. Bertram (Soest) (FU) 11346A Dr. Tillmanns (CDU) 11349D Dr. Besold (FU) 11354D Dr. Reismann (FU) 11357A Frau Wessel (Fraktionslos) . . . 11359D Euler (FDP) 11361B Dr. Arndt '(SPD) 11364B Kiesinger (CDU) 11369C Dr. Schneider (FDP) 11375C Weiterberatung vertagt . . . . . . 11378D Nächste Sitzung 11378D Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    (mit Beifall von den Regierungsparteien begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß die Millionen Hörer, die jetzt vor ihren Rundfunkapparaten gesessen haben


    (Zurufe von der SPD und KPD)

    und der Rede des Abgeordneten Arndt zugehört haben,

    (Abg. Bausch: Das ist eine Schande! — erneute Zurufe von der SPD)

    auch das Wort gehört haben, daß man „mit Schlauheit und listiger Deutelei" eine Verfassung nicht interpretieren könne.

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, genau dieser Vorwurf ist es, den ich der Art Verfassungsinterpretation, die Herr Dr. Arndt seit Jahr und Tag vorzunehmen beliebt, mache.

    (Stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Zurufe von links. — Großer Lärm.)

    Ich habe mir, bevor Herr Dr. Arndt heute abend hier gesprochen hat,

    (große Unruhe — Zuruf von der CDU: Er ist seit gestern abgeschrieben!)

    vorgenommen, mich an dieser Stelle heute nicht in das Detail der Vertragswerke zu begeben — sofern dies notwendig ist, wird das mein Freund Dr. Kopf tun —, sondern mich grundsätzlich mit jenen politischen, pseudorechtlichen, scheinrechtlichen und halbrechtlichen Argumenten auseinanderzusetzen, die immer und immer wieder von seiten unserer politischen Gegner vorgetragen werden, wenn es sich um die Auslegung des Grundgesetzes handelt.
    Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, ernsthaft eine Frage zu prüfen. Seitdem der Streit um diese Verfassung in deutschen Landen aufgeflammt ist, haben sich die ersten Persönlichkeiten der


    (Kiesinger)

    deutschen Staatsrechtswissenschaft zur Verfügung gestellt — hüben wie drüben —

    (Abg. Renner: „Zur Verfügung gestellt" ist gut!)

    und haben uns ihre Meinung über diese Verfassung und darüber, wie sie auszulegen sei, gesagt. Schon der Respekt, den der Jurist vor seinen Kollegen, die große Namen im deutschen Staatsrecht haben, haben sollte, hätte ihn hindern müssen, ihnen zum Vorwurf zu machen, daß sie Schlauheit und listige Deutelei an die Stelle echter juristischer Auslegung setzten.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Zurufe von der SPD und KPD.)

    Aber lassen Sie mich sagen,

    (Zuruf von der KPD: So ein aufgeblähter Frosch!)

    um was es bei dieser heftigen Auseinandersetzung wirklich geht.

    (Lebhafte Zurufe links. — Zuruf von der SPD: Wo sind Ihre Argumente? — Weiterer Zuruf von der SPD: Beweise! — Glocke des Präsidenten.)

    — Sie bekommen die Argumente zu hören, wenn Sie erst einmal versuchen, mich ausreden zu lassen, wie wir Ihren Herrn Kollegen Arndt haben ausreden lassen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich stelle eine Frage voran. Meine Damen und Herren, glaubt jemand in diesem Saal ernsthaft, daß, wenn wir im Jahre 1949 einen Wahlerfolg der Sozialdemokratie erlebt und eine sozialdemokratische Mehrheit in diesem Bundestag und eine sozialdemokratisch geführte Regierung bekommen hätten, wir jemals etwas von dieser Art der Auslegung des Grundgesetzes gehört hätten, die praktisch darauf hinausläuft, die politische Bewegungsfreiheit der Regierung mit allen Mitteln zu beschränken?

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD und KPD. — Glocke des Präsidenten.)

    Wir hätten mit Sicherheit, so wie wir die sozialdemokratische Opposition kennen, erlebt, daß sie jede taktische Möglichkeit,

    (Zurufe links — Glocke des Präsidenten)

    ihre eigene Handlungsfreiheit zu erweitern, benutzt hätte. Und dies ohne Bedenken!

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Zurufe von der SPD. — Abg. Renner: Das sind doch keine Argumente, sondern Redensarten!)

    Es geht hier nicht um Verfassungsauslegung, sondern es geht hier um einen politischen Kampf von seiten der Sozialdemokratie.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD: Aha! — Weitere lebhafte Zurufe von der SPD.)

    Man will nur das deutsche Volk glauben machen, daß es um eine Rechtsinterpretation gehe.

    (Sehr gut! in der Mitte. — Zurufe von der SPD. — Abg. Renner: Wir nicht, wir sagen dem Volk, daß es um den Faschismus geht, nicht um Rechtsfragen! — Glocke des Präsidenten.)

    Meine Damen und Herren, die Wahlen zum Bundestag im Jahre 1949 waren deswegen von so großer Bedeutung, weil mit jenen Wahlen die grundsätzliche politische Prägung des neuen Staatswesens entschieden worden ist. Aus diesem Grunde hat die Sozialdemokratie ihre Niederlage bei jenen Wahlen niemals verwunden

    (Sehr gut! in der Mitte)

    und hat jenes Ergebnis, so demokratisch eindeutig es auch war, niemals innerlich anerkannt.

    (Erneute Zustimmung in der Mitte.)

    Aus dieser Haltung der Sozialdemokratie erklären sich die ungewöhnliche Leidenschaft ihrer Opposition die ganzen Jahre hindurch und zwei Ziele, die sie sich Besetz hat.

    (Zurufe von der SPD.)

    Das erste Ziel war — und ein führender Vertreter der Sozialdemokratie hat mir das schon nach vier Wochen in diesem Bundestag erklärt —, daß dieser Bundestag und die Regierung unter allen Umständen vorzeitig beendet werden müßten,

    (Hört! Hört! in der Mitte — Rufe von der SPD: Unerhört!)

    solange dies nicht gelänge, würde man mit allen Mitteln die politische Bewegungsfreiheit dieser Regierung einschränken.

    (Erneute Rufe von der Mitte: Hört! Hört! - Zurufe von der SPD. — Abg. Renner: Wer war denn der Mann? Wer war denn dieser Sozialdemokrat? Sagen Sie es doch!)

    — Ich kann es Ihnen sagen, wenn Sie wollen. — Es lag der sozialdemokratischen Opposition nahe, diesen Kampf auch durch schroff einengende Auslegung des Grundgesetzes zu führen.

    (Abg. Renner: Reden Sie doch richtig!)

    Dieser Versuch, die politische Bewegungsfreiheit der Regierung dadurch einzuschränken, daß man sagt, das Grundgesetz habe nur eine provisorische und fragmentarische Bedeutung

    (Abg. Niebergall: Das ist doch richtig!)

    und erlaube der Regierung nicht, dies und jenes zu tun, ist von der Sozialdemokratie natürlich aus ihrem politischen Willen heraus unternommen worden, die Regierung, wenn es irgendwie ginge, nicht zum Zuge kommen zu lassen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    So stehen sich nun die Thesen, aus dieser politischen Situation heraus entstanden, gegenüber. Das Grundgesetz ist entstanden in einer Zeit weitgreifenden Besatzungsrechts, in welcher die deutsche Souveränität ruhte und viele wichtige Zuständigkeiten nicht den deutschen, sondern Organen der Besatzungsmacht zustanden.

    (Abg. Renner: Und heute? — Weitere Zurufe von der KPD.)

    Darum mußte das Grundgesetz, wenn es vernünftig angelegt war, auf die Tatsache Rücksicht nehmen, daß im allmählich zu erwartenden Abbau des Besatzungsrechts deutsche Zuständigkeiten wieder auflebten und daß dann nicht Mal für Mal, wie jetzt behauptet wird, eine Ergänzung des Verfassungsrechts notwendig wurde.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Vielmehr mußte, was da auflebte, unmittelbar anwendbares deutsches Verfassungsrecht werden.


    (Kiesinger)

    Wenn man etwa den Schöpfern des Grundgesetzes, den Männern und Frauen des Parlamentarischen Rates, unterstellen wollte, daß sie das Grundgesetz nur auf den kümmerlichen Leib der damaligen staatsrechtlichen Verhältnisse zugeschnitten hätten und nicht auf den mit Sicherheit zu erwartenden Zuwachs, dann wäre das auch für deutsche Verhältnisse eine unbegreifliche Wirklichkeitsferne gewesen.

    (Erneute Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD und von der KPD. — Zuruf links: Sophistereien!)

    Die Auslegung der Verhandlungen des Parlamentarischen Rats wird von der Opposition sehr einseitig und unrichtig vorgenommen.

    (Sehr wahr! in der Mitte.)

    Es ist nicht so, wie der Herr Kollege Arndt gesagt hat, daß man damals z. B. den ganzen Wehrkomplex nicht geregelt habe, weil man an das Deutschland östlich des Eisernen Vorhangs gedacht habe.

    (Fortgesetzte Zurufe von der KPD.)

    Man hat es nicht getan, weil damals einfach nach Lage des Besatzungsrechts eine Regelung der Wehrhoheit nicht möglich war.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der KPD: Der Amerikaner hat es damals nicht ausgesprochen, darum habt ihr nicht darüber geredet! — Weitere Zurufe.)

    Weder die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes noch seine Anlage berechtigen zu der Annahme, die die Sozialdemokratie uns immer wieder nahelegen will.

    (Zuruf von der SPD: Sie haben heute einen schlechten Tag! — Gegenruf von der Mitte: Sie aber auch! — Weitere Zurufe und Auseinandersetzungen zwischen Abgeordneten der Regierungsparteien und der SPD.)

    — Ihr Ärger beweist mir, daß der Tag nicht so schlecht ist!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Renner: Wann kommen denn nun die Argumente? — Zuruf von der SPD.)

    — Ich komme gleich darauf, Herr Greve! — Man mag einwenden, daß es das gute Recht einer Opposition sei, bei allen ihren Bestrebungen danach zu trachten, daß ihre Position gestärkt wird. Das würde auch niemand übelnehmen, selbst nicht bei dem politischen Versuch der Verfassungsausdeutung. Aber, meine Damen und Herren — und ich bitte, hören Sie mich wirklich einmal mit Ruhe an —,

    (erneute Zurufe von der SPD und von der KPD)

    dann muß man das in einer Sprache tun, die wir noch ernst nehmen können und die nicht die öffentliche Meinung vergiftet!

    (Stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir haben heute abend aus dem Munde des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt wieder jene jakobinisch-anklägerischen Worte gehört,

    (lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Lachen und Zurufe links)

    die er immer in den Mund nimmt, wenn er hier heraufkommt, um über solche Fragen zu reden.

    (Abg. Dr. Schröder [Düsseldorf]: Er soll mal über das Goebbels-Urteil sprechen!)

    Ich will nur eine kleine Blütenlese aus seiner heutigen Rede veranstalten: Wir von der Koalition sind „mutwillig" diesen Weg gegangen und haben dadurch eine „katastrophale Verfassungsnot" heraufgeführt;

    (Zurufe von der SPD)

    wir „verachten das Volk und die Demokratie",

    (Lachen bei der KPD — Abg. Renner: Das tut ihr ja auch!)

    und der Bundeskanzler hat bei seiner gestrigen Rede „einen Haß bis über das Grab hinaus bekundet".

    (Lebhafte Zurufe von den Regierungsparteien. — Lachen links.)

    Das Wort „Staatsstreich" ist wieder gefallen! (Erneute Zurufe von der KPD.)

    Meine Damen und Herren, ich habe das Glück, zurückgreifen zu können auf ähnliche Äußerungen des Herrn Dr. Arndt in der 18. Sitzung des Bundestags am 24. November 1949. Damals ging es um das Petersberger Abkommen. Herr Dr. Arndt hat damals gesagt:
    In Wahrheit handelt es sich um nichts anderes als um ein neues Glied in der Kette der Versuche der permanenten Ausschaltung des Parlaments, des Unterfangens, Verfassungskämpfe durch autoritären Handstreich zu gewinnen.

    (Zurufe von der SPD.)

    — Warten Sie, meine Herren! — Herr Dr. Arndt hat damals weiter gesagt:
    Was heute hier zur Debatte und zur Abstimmung steht; ist nichts anderes als die Probe dessen, ob das Grundgesetz ein Fetzen Papier ist ....
    Das war die Sprache damals. Damit sollte das Petersberger Abkommen madig gemacht werden. Das Bundesverfassungsgericht hat inzwischen entschieden,

    (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien)

    es hat erklärt, daß wir Rechtens gehandelt haben!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich hatte auch damals — wenn Sie meine damaligen Ausführungen nachlesen — Herrn Dr. Arndt und den Seinen nie das Recht bestritten, Zweifel an der Rechtmäßigkeit unserer Maßnahmen zu erheben. Das war ihr gutes Recht. Aber wir wehren uns ein für allemal dagegen, daß es in dieser anklägerischen Form geschieht, die uns bei jeder Gelegenheit des flagranten Verfassungsbruchs, des Unrechts und der Mutwilligkeit beschuldigt.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wuermeling: Bravo! Ausgezeichnet!)

    Herr Dr. Arndt hat in der vergangenen Woche erneut geglaubt, wieder einmal sagen zu müssen, das Abwarten des Gutachtens sei — nicht etwa zweckmäßig, nicht etwa ratsam, nein — „eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit", und wenn diese verfassungsrechtliche Notwendigkeit verletzt wor-


    (Kiesinger)

    den sei, dann sei wieder einmal das Opfer die Demokratie.

    (Lachen in der Mitte.)

    Da wir nun einmal bei dieser Generalabrechnung sind, kann ich mir auch nicht versagen, die Worte zu zitieren, die Herr Dr. Arndt in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses nicht nur seinen Kollegen, nicht nur uns, sondern nach dem Wortlaut auch ganz klar den Richtern des Bundesverfassungsgerichts warnend zugerufen hat. Soeben hat er die Redner getadelt, die angeblich derartige Warnungen nach Karlsruhe gerichtet haben sollen.

    (Abg. Dr. Arndt: Herr Kiesinger, das ist nicht wahr!)

    — Ich kann Ihnen genau sagen, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Arndt. Sie sind auf das Petersberger Abkommen eingegangen. Sie haben gesagt, das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, leider habe es sich geirrt;

    (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien)

    man müsse einen solchen Irrtum eben allenfalls in Kauf nehmen und sich ihm beugen. Aber in dieser Frage sind sie fortgefahren:
    Ich will Ihnen ganz klar sagen, ich für meinen Teil würde das Regime, das durch diese Verträge begründet wird, mit der gleichen Leidenschaft und mit der gleichen Empörung ablehnen, wie ich das nationalsozialistische Regime abgelehnt habe.

    (Lautes Lachen bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wuermeling: Ausgerechnet Herr Arndt! — Gegenrufe von der SPD. — Unruhe.)

    Herr Kollege Dr. Arndt fuhr dann fort:
    Das ist dann keine Opposition mehr gegen eine jeweilige Regierung, — —

    (Abg. Renner: SA-Mann Kiesinger!)

    — Herr Renner, Ihnen fällt auch gar nichts Neues ein!

    (Abg. Renner: Sie sind ja heute noch Nazi!) Herr Kollege Dr. Arndt sagte dann:

    Das ist dann keine Opposition mehr gegen eine jeweilige Regierung, gegen die man Mißtrauen hat, sondern zu dem Staat, der hier geschaffen werden soll, gehöre ich nicht mehr dazu.
    Ich hoffe, daß diese Auffassung des Herrn Kollegen Dr. Arndt wirklich nicht von seiner Fraktion geteilt wird. Wo kämen wir in diesem Lande hin, wenn wir versuchten, die Mehrheitsentscheidung, die nun einmal die demokratische Entscheidung ist, verhindern zu wollen?

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

    Eine Auseinandersetzung darüber, ob eine Mehrheitsentscheidung genüge oder ob eine Verfassungsänderung oder eine Auflösung des Bundestages notwendig sei, kann man in anderer Sprache führen.

    (Sehr richtig! und Sehr gut! bei den Regierungsparteien. — Zuruf links: In Ihrer!)

    Wie ist nun die Lage in Wahrheit?

    (Zuruf links: Höchst bezeichnend! — Zuruf von der KPD: Zu den Verträgen!)

    — Ich rede zu den Verträgen, nämlich dazu, wie man diese Verträge zu interpretieren hat und wie man sie eben nicht zu interpretieren hat!

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebafte Zurufe von der KPD.)

    — Ihr Widerspruch beweist mir nur, wie sehr Sie sich getroffen fühlen.

    (Sehr gut! und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Als die Regierung die Verhandlungen über die Verträge begann, konnte sie besten Glaubens handeln. Das Grundgesetz selbst, die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates, die inzwischen erschienene verfassungsrechtliche Literatur — alle konnten der Bundesregierung die Überzeugung vermitteln, daß sich die Verträge, die sie da abzuschließen im Begriff war, in voller Übereinstimmung mit unserem Verfassungsrecht befanden.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der KPD.)

    Ich habe schon darauf hingewiesen, daß wir inzwischen eine große Zahl juristischer Fachgelehrter gehört haben, und es ist, sowohl was die Zahl dieser Gelehrten als was ihre Qualität als Rechtswissenschaftler anlangt, so, daß die Bundesregierung sich in keiner schlechten Position befindet,

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien)

    und es ist ein sehr billiges Argument, von diesen Rechtsgelehrten immer nur als von den „Gutachtern der Bundesregierung" zu sprechen.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Das sind nicht einseitige Prozeßvertreter, sondern das sind Rechtswissenschaftler, die mit diesen Gutachten ihren guten Namen aufs Spiel gesetzt haben.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe links. — Zuruf von der KPD: Werden die nicht auch bezahlt? — Abg. Dr. Greve: Lesen Sie den Brief von Professor Schätzel im Bonner „GeneralAnzeiger" von gestern!)

    — Herr Kollege Greve, Sie kommen doch auch noch dran; Sie können mir doch noch zur Genüge antworten.
    In unserer Bevölkerung wird ja gern immer wieder gefragt: Worüber können denn Juristen nicht streiten? Nun ja, es ist so, und gerade auf dem Gebiet des Verfassungsrechts ist es so. Aber die Juristen selbst sind nicht daran schuld; die Jurisprudenz nimmt eben teil an der allgemeinen Geistes- und Kulturkrise unserer Zeit,

    (Zuruf von der KPD: Wird bezahlt!)

    und weil es so ist, wird die Frage auch der Auslegung einer konkreten Verfassung zu einem so außerordentlich schwierigen Problem, bei dem man sich hüten müßte, den eigenen Standpunkt immer wieder als ganz unanfechtbar hinzustellen.

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

    Es geht doch um eine viel zu ernste Sache, als daß wir so miteinander verhandeln dürften.
    Welche Fragen entstehen auf dem Gebiet? Was ist Recht, was ist der Staat, was ist die Verfassung, was ist das Wesen und die Aufgabe des Staates, wo liegen die Grenzen der Staatsgewalt?

    (Abg. Renner: Bei Adenauer! — Heiterkeit.)

    Und diese Krise wirkt sich doch so stark aus, daß
    wir überhaupt keine gemeinsame Methode der


    (Kiesinger)

    Verfassungsauslegung haben. Jedem Juristen des öffentlichen Rechts ist es bekannt, daß es in der jungen deutschen Staatsrechtswissenschaft zu einer solchen gemeinsamen Methode noch nicht gereicht hat. Wenn ich Zeit hätte, würde ich Innen vorlesen, was etwa Rudolf Smend über diese Dinge gesagt hat: daß in Deutschland im Gegensatz zu der angelsächsischen Welt diese Tradition noch nicht begründet worden ist, daß wir Deutsche, meistens von der Einzelbestimmung ausgehend. naiv-formalistisch zu entscheiden streben und den Rest dann allzu gern politisch ergänzen, während man im großen angelsächsischen Rechtsraum aus dem Geist des Ganzen, Gesunden und Volkstümlichen seit mehr als zwei Jahrhunderten entscheidet.
    Ich kenne einige Gutachten der Gegenseite. Drei davon sind so, daß sie sich methodisch völlig ausschließen, daß sie, obwohl sie äußerlich zum selben Ergebnis kommen, sich gegenseitig im Ergebnis aufheben. Denn es ist doch klar, meine Damen und Herren: wenn der eine Rechtsgelehrte sagt: mit der Methode des andern läßt sich ein vertretbares wissenschaftliches Ergebnis nicht Gewinnen — und das wird tatsächlich von dem einen gegen den andern gesagt —, dann heben diese Gutachten und ihre Ergebnisse sich gegenseitig auf. Man kann mit einer solchen Methode keine echten Ergebnisse gewinnen.

    (Abg. Dr. Greve: Das ist doch keine Physik und keine Mathematik, Herr Kiesinger!)

    — Aber das ist Geisteswissenschaft und Jurisprudenz!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Anhaltende Zurufe links.)

    Herr Greve, Sie sind doch Jurist, und Sie sollten
    der erste sein, der bei diesen Dingen zuhört!

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Wir haben in der Weimarer Zeit die außerordentliche Schwierigkeit einer derartigen Verfassungsinterpretation erlebt. Wir alle, die wir damals noch in juristischen Seminaren saßen, haben uns doch damit herumschlagen müssen. Wir haben in Deutschland leider Gottes auch nicht, was man in anderen Ländern hat: eine lange begründete sichere Lehre und eine Geborgenheit in der Tradition einer jahrhundertealten gerichtlichen Praxis. Alles ist neu, alles ist unsicher, alles ist auf die persönlichen Thesen und Hypothesen einzelner Staatsrechtslehrer abgestellt.

    (Zurufe links.)

    Diese Not - und es handelt sich hier um eine echte Not — wurde zur Weimarer Zeit durchaus gespürt. Damals hat der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich in einem bekanntgewordenen Fall, in dem es um die Prüfung der Verfassungsgültigkeit eines preußischen Landeswahlgesetzes ging, in Erkenntnis der mangelnden Interpretationsmittel für die Erkundung des Verfassungswillens wie folgt entschieden. Er sagte — ich darf es mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten vorlesen, es sind nur wenige Sätze —:
    Den Entschließungen des Gesetzgebers kann der Staatsgerichtshof, wenn überhaupt, so doch jedenfalls nur dann entgegentreten, wenn sie offensichtlich der inneren Rechtfertigung entbehren und wenn von ihnen deshalb mit Sicherheit gesagt werden kann, daß sie dem zum Ausdruck gelangten Willen des Verfassungsgesetzgebers zuwiderlaufen.
    Ich will hier nicht etwa eine Mahnung nach Karlsruhe hin richten. In Karlsruhe muß man sich dieser Schwierigkeiten ja selbst bewußt sein und muß zusehen, wie man ihrer Herr wird. Ich will damit nur darauf hindeuten, daß es bei der Verfassungsinterpretation tausendfach Unsicherheiten, Zweifel, Unklarheiten gibt und daß es noch keine Methode logizistisch-mathematischer Exaktheit gibt, die uns sagt: Das eine ist richtig, das andere ist falsch.

    (Abg. Renner: Und Adenauer pfeift auf alles!)

    — O nein! Er hat sich von seinen Gutachtern und Sachbearbeitern sehr sorgfältig beraten lassen, von Sachkennern des einschlägigen Rechtsgebietes, bevor er seine Entscheidungen traf.

    (Erneute Zurufe links.)

    Eine besondere Schwierigkeit bereitet bei dieser ganzen Auslegung die berühmte Trennung von Rechtsfragen und politischen Fragen. Einer der Gutachter der SPD sagt ganz offen und klar, dem Bundesverfassungsgericht lägen — wörtlich — „die großen politischen Entscheidungen in juristischer Verkleidung" vor. „Die großen politischen Entscheidungen in juristischerVerkleidung"!, dieses Wort ist außerordentlich gefährlich.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Das Bundesverfassungsgericht hat jedenfalls im Südweststaat-Prozeß gesagt — und es hat dies im Anschluß an Anschütz und andere gesagt —, daß es nur über Rechtsfragen und über nichts sonst zu entscheiden habe.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Hieraus, meine Damen und Herren, ergibt sich das Problem einer immanenten inneren Begrenzung der Verfassungsauslegung. Wo man mit den Mitteln der bloßen Rechtsinterpretation nicht mehr weiterkommt, muß man eben haltmachen, und wenn es nicht anders geht, zu einem non liquet kommen — ich kann mich weder so noch so entscheiden — und muß dann, wie das der Staatsgerichtshof getan hat, die Entscheidung den politischen Instanzen überlassen, die dafür die Verantwortung tragen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Anhaltende Zurufe links.)

    Natürlich kann man eine Verfassung politisch interpretieren; und das, meine Damen und Herren, was uns Herr Kollege Arndt hier, abgesehen von seinen hyperpolemischen Ausführungen, vorgetragen hat, war weitreichend keine rechtliche Interpretation der Verfassung, sondern eine politische.

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

    Niemand von uns verwehrt der Opposition diese politische Interpretation der Verfassung. Eine Verfassung kann, je nachdem ich Föderalist bin oder Zentralist oder Sozialist oder Liberaler — eine Verfassung gar unserer Art, die den bekannten Kompromißcharakter hat —, natürlich politisch verschieden ausgelegt werden.

    (Abg. Renner: Die Auslegung ist alles!)

    Aber diese Auslegung ist etwas ganz anderes als die Auslegung, die jemand treffen muß, der zu jener furchtbaren Verantwortung aufgerufen ist zu sagen: Von hier ab entscheide ich: dieses ist recht und jenes unrecht!

    (Sehr richtig! bei der CDU. — Aha!-Rufe bei der SPD.)



    (Kiesinger)

    Vor dieser Entscheidung stehen die Richter des Bundesverfassungsgerichts.

    (Zuruf links: Und wir!)

    Wo sich Rechtsfragen und politische Fragen nicht trennen lassen, sollte man äußerste Vorsicht walten lassen und sollte bescheiden genug sein, sich zu sagen: ich mag zwar meinen Standpunkt mir selber einigermaßen plausibel begründen können; aber den Rest, den ich aus meinem politischen Willen heraus hinzufügen muß, kann ich nur als Politiker hinzufügen! Und diese Aufgabe kann ich auch nicht einem Verfassungsgericht übertragen. Sonst würde die Verfassungsgerichtsbarkeit in deutschen Landen zerstört und die Politik mit ihr.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Renner: Laßt den guten Konrad walten! — Weitere Zurufe links. — Glocke des Präsidenten.)

    Meine Damen und Herren! Wir haben große Beispiele der Verfassungsauslegung, — zwar nicht in der kurzen Zeit der modernen deutschen rechtsstaatlichen 'Demokratie — ich habe eines davon genannt —, aber drüben in der Neuen Welt, in den Vereinigten Staaten von Amerika, gibt es schon seit zwei Jahrhunderten eine solche große Rechtstradition. Wie dort die Verfassung von den dazu berufenen Gerichten interpretiert wird, das darf ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten in wenigen Zitaten, die aus unmittelbaren amerikanischen Quellen und vor allen Dingen aus berühmt gewordenen Gerichtsentscheidungen stammen, kurz vorlesen.
    Das erste Zitat:
    Die Gerichte unseres Landes
    — der Vereinigten Staaten —
    zeigen sich entschlossen, unseren geschriebenen Verfassungsgesetzen durch Auslegung die Elastizität zu verleihen,

    (Lachen links)

    die sie mit den öffentlichen Interessen, wie die Gerichte sie sehen, in Übereinstimmung bringt. Ihre Bestimmungen werden im Wege der Auslegung laufend ausgedehnt und ausgeweitet, um den fortschreitenden und sich steigernden Lebensbedürfnissen gerecht zu werden.

    (Hört! Hört! bei der CDU. — Zuruf von der KPD: Faschismus!)

    Das zweite Zitat:
    Das Gericht wünscht nicht, sich dieser engherzigen Auslegung der Verfassung anzuschließen, welche Zuständigkeiten leugnen würde, die nach dem gewöhnlichen SprachSinn begründet werden, und welche die Regierung lahmlegen würde
    — im Urtext heißt es: verkrüppeln würde —
    und sie außerstande setzte, die Aufgaben zu erfüllen, für die sie geschaffen wurde, während sie doch in der Lage wäre, diese Aufgaben zu erfüllen, wenn man nur die Zuständigkeitsfragen richtig versteht.

    (Zuruf von der KPD: Recht ist Macht, heißt das!)

    — Oh nein! Diese Rechtsprechung der Vereinigten Staaten hat noch niemand in dieser Welt angegriffen, sie sei nicht demokratisch-rechtsstaatlich, außer den Trabanten Moskaus!

    (Beifall bei der CDU. Gegenrufe von der KPD. — Abg. Renner: Und die Lynchjustiz!)

    Und das dritte Zitat:
    Das ist auch so ausgedrückt worden, daß eine Verfassung dem Geiste nach auszulegen ist, welcher belebt, und nicht nach dem Buchstaben, welcher tötet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Renner: Nach amerikanischem Geist! — Weiterer Zuruf von der KPD: Das ist die Methode Hitlers! — Unruhe links. — Glocke des Präsidenten.)

    Meine Damen und Herren! Diese Art der Verfassungsauslegung kann uns ein Vorbild sein:

    (Ironischer Zuruf von der KPD: Richtig!) Der Geist und nicht der tötende Buchstabe.

    Herr Kollege Arndt! Sie haben heute früh zitiert, daß Ihr Kollege Herr Professor Schmid seine Äußerung im Parlamentarischen Rat über das System der kollektiven Sicherheit so verstehe — wenn nicht damals so verstanden habe —, daß von einem System kollektiver Sicherheit nur gesprochen werden könne, wenn in ihm auch der virtuelle, der mögliche Angreifer selbst eingeschlossen sei. Sie haben deswegen gesagt, das System der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft sei kein kollektives Sicherheitssystem. Ja, meine Damen und Herren, haben wir hier nicht von allem Anfang an und immer wieder erklärt, daß diese Europäische Verteidigungsgemeinschaft keineswegs nur gegen eine Bedrohung vom Osten her geschlossen worden ist, sondern deswegen, weil wir in Europa reinen Tisch machen wollen und auch die unter uns, die einmal virtuelle Angreifer sein könnten, zusammenführen wollten zu einem Frieden?

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Aha-Rufe bei der KPD.)

    Haben wir nicht immer wieder erklärt, daß wir dieses neue Europa auch geschaffen hätten ohne die Bedrohung von Osten her und daß diese Bedrohung von Osten her diese unsere Arbeit nur beschleunigen kann?
    Sie haben also, meine Damen und Herren — und ich hoffe, daß mich auch die einfachen Leute dabei verstehen —, durchaus Möglichkeiten einer Verfassungsauslegung,

    (anhaltende Zurufe links)

    die haltbar, hieb- und stichfest ist, wenn man nur guten Willens ist.

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der KPD: Das Protokoll ist eine gute Sache, Herr Kiesinger!)

    Auch wir und gerade wir bejahen den demokratischen Rechtsstaat. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich bezweifle nicht, daß dieser Wille auch in Ihren Reihen herrscht. Aber sollte es Sie nicht nachdenklich machen, daß immer wieder in den Fragen, um die es jetzt geht, wenn Sie hier auftreten, einer von da drüben — etwa der bewährte, unverdrossene Vorkämpfer des Rechtsstaates wie unser Kollege Renner — an Ihrer Seite steht und das Wort ergreift?

    (Erregte Zurufe von der KPD. — Abg. Renner: SA-Männer dürften hier eigentlich gar nicht sprechen! — Rabauken!)



    (Kiesinger)

    Ich konnte angesichts der Sprache, die die Opposition bei der Frage der Verfassungsauslegung gegen uns führt, einer Sprache, die wir unstatthaft, unwahr und nun wirklich für die Demokratie gefährlich nennen müssen, nicht schweigen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Von einem flagranten Verfassungsbruch durch den Abschluß der großen Verträge kann keine Rede sein.

    (Lebhafter Widerspruch bei der SPD. — Zuruf links: „Also"?)

    Ich habe die Schwierigkeiten, wie es nicht anders möglich war, in skizzenhafter Form darzustellen versucht. Aber wir sind auch überzeugt und getrosten Mutes, daß auch eine verborgene Verfassungsverletzung in den Verträgen nicht enthalten ist, jedenfalls keine, die das Schicksal der Vertragswerke selbst in Frage stellen könnte.
    Einer der Gutachter der Gegenseite hat darauf hingewiesen, daß wir in einer Zeit gewaltig sich verwandelnder staats- und völkerrechtlicher Verhältnisse leben, und er hat gesagt, daß in dem rapiden Prozeß, den wir da durchmachen, die alten Verfassungen sich anpassen und, so meinte er, durch Verfassungsänderung ergänzt werden müßten. Er hat aber nicht sehen wollen, daß es in diesem Europa nicht nur alte Verfassungen — hundert Jahre alte oder fünfzig Jahre alte oder noch ältere — gibt, sondern daß es drei neue Verfassungen gibt, geschaffen nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, geboren aus den Leiden dieses Weltkrieges — es sind die französische, die italienische und das deutsche Grundgesetz —, und allen, die dabei mitgewirkt haben, wird es eines Tages zum Ruhme gereichen. Diese Verfassungen haben > von vornherein ins Auge gefaßt den Abbau der staatlichen Souveränität, der nach diesen Gutachten das Kriterium der alten Verfassung sein soll, zugunsten eines Systems der kollektiven Sicherheit. Feierlich hat das Grundgesetz in seiner Präambel die Freiheit Deutschlands in einem vereinten Europa verkündet. Die Artikel 24, 25 und 26 des Grundgesetzes haben ein breites und weites Tor für das System der kollektiven Sicherheit geöffnet. Das Grundgesetz ist kein Gesetz, das sich diesen Verhältnissen erst durch eine Verfassungsergänzung anpassen müßte; das Beste an ihm ist, daß es dies von Anfang an getan hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Gewiß, wir haben die Rechtsfrage nicht zu entscheiden; sie liegt in anderen Händen. Meine Damen und Herren, bedenken Sie noch einmal diese Frage und nehmen Sie es mir wirklich ab, um was es geht!

    (Zurufe von der KPD!)

    — Nicht Sie dort drüben; Sie anderen alle! Es geht in diesen Zeiten darum, nicht mit kleinlichen Bedenken eine große Aufgabe zu versäumen. Erst jüngst hat ein bedeutender Autor darauf aufmerksam gemacht — es ist nicht das erste Mal geschehen —, daß alle Hochkulturen der vergangenen Jahrtausende immer wieder dadurch zugrunde gegangen sind, daß sie innerlich und äußerlich gegen den Ansturm von außen her nicht gerüstet waren. In dieser Situation steht die letzte Hochkultur, die wir kennen, die abendländische.

    (Zurufe links.)

    Dieser Autor schließt damit: Ob unsere eigene
    abendländische Kultur endlich diese Verteidigungsfähigkeit in ausreichendem Maße besitzt, das ist die große Schicksalsfrage, die die Weltgeschichte eben jetzt an uns stellt. So gnade uns Gott, daß wir diese Frage nicht überhören!

    (Langanhaltender stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider.

(Abg. Erler: Hoffentlich spricht der nächste zu den Verträgen!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ludwig Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht viel Zeit. Ich will mich deshalb mit einem Spezialproblem befassen, und zwar mit den Rechtsfragen, die sich um den EVG-Vertrag ranken, weil sie ja in dem Kampf, der hier geführt wird, auch in dem Rechtskampf und in dem Verfassungskampf, den Hauptbestandteil bilden. Ich will aber nicht in der Art der Polemik und der geradezu zersetzenden Art der Polemik, wie es der Herr Kollege Arndt gemacht hat, mich hier mit diesen Dingen auseinandersetzen, sondern ich will es ruhig und sachlich tun, weil ich der Meinung bin. daß Rechtsprobleme nur ruhig und sachlich behandelt werden können. Ich kann es nur in These und Antithese.
    Der Haupteinwand gegen den EVG-Vertrag geht dahin, daß das Grundgesetz keine Wehrgewalt konstituiert habe. Entgegen der Auffassung der Bundesregierung sei die Staatsgewalt nicht allumfassend. Das Volk übertrage vielmehr als Verfassungsgeber den verschiedenen Staatsorganen nur bestimmte, im einzelnen aufgezählte Befugnisse. Da den Organen der Bundesrepublik keine Zuständigkeiten auf dem Gebiete der Wehrverfassung übertragen seien, fehle es an der notwendigen verfassungsrechtlichen Ermächtigung zur Ausübung derartiger Befugnisse, insbesondere seien die gesetzgebenden Körperschaften der Bundesrepublik nicht zum Erlaß von Gesetzen auf diesem Gebiet mit einfacher Mehrheit ermächtigt.
    Dazu sagen wir: Die moderne Staatsgewalt

    (große Unruhe — Glocke des Präsidenten)

    ist nicht in der Aufzählung einzelner Hoheitsrechte zu erfassen; sie ist vielmehr innerhalb der Schranken der Verfassung, des Völkerrechts und des überpositiven Rechts allumfassend. Auch das Grundgesetz hat nicht einzelne Hoheitsrechte, sondern die volle Staatsgewalt konstituiert. Es hat deren Ausübung den besonderen Organen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung übertragen. Die Aufzählung der Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes in Art. 73 ff. dient nur der Abgrenzung zwischen den Kompetenzen des Bundes und der Länder. Da das Grundgesetz die Ausübung von Wehrgewalt nicht verbietet und in den Artikeln 4 Abs. 3 und 26 als selbstverständlich voraussetzt, sind die nach dem Grundgesetz

    (anhaltende große Unruhe — Glocke des Präsidenten)

    zu ermittelnden Verfassungsorgane berechtigt, Wehrgewalt auszuüben. Zu prüfen ist lediglich, ob eine Zuständigkeit des Bundes oder der Länder besteht. Wenn auch in den Artikeln 73 ff. keine ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes festgelegt ist, so ist doch eine ungeschriebene Zuständigkeit des Bundes anzunehmen. Für die Beteiligung an einer supranationalen Wehrmacht ist schon nach Art. 24 nach unserer Auffassung die Zuständigkeit des Bundes begründet.


    (Dr. Schneider)

    Zweiter Einwand: Daß der Verfassungsgeber keine Gesetzgebungskompetenz für Wehrfragen habe schaffen wollen, ergebe sich einwandfrei daraus, daß der Parlamentarische Rat es ausdrücklich abgelehnt habe, in Art. 73 Nr. 1 des Grundgesetzes eine Kompetenz des Bundes zum Schutz nach außen zu schaffen. Dabei sei die Rücksichtnahme auf die deutsche Einheit maßgebend gewesen. Die SPD hätte dem Grundgesetz nie zugestimmt, wenn dieses die Wehrhoheit konstituiert hätte.
    Unser Standpunkt: Aus der Tatsache, daß in Art. 73 Nr. 1 keine ausdrückliche Kompetenz des Bundes zum Schutze nach außen geschaffen ist, kann ein stillschweigender Ausschluß von Wehrkompetenz nicht gefolgert werden. Die mehrfach gestellten Anträge auf ausdrückliche Erwähnung dieser Kompetenz sind im Parlamentarischen Rat nicht deshalb abgelehnt worden, weil man derartige Befugnisse etwa mit Rücksicht auf die deutsche Einheit nicht wollte, sondern weil man es mit Rücksicht auf die Einstellung des Auslandes nicht sagen wollte und konnte.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Aus Äußerungen von Vertretern der SPD ist zu entnehmen, daß diese keinesfalls einhellig eine Verteidigung ablehnten. Im übrigen kommt es auf die Auffassung einzelner Abgeordneter nicht an, wenn sie im Grundgesetz keinen Ausdruck gefunden hat.
    Dritter Einwand: Die Kompetenz von Bundesorganen zur Ausübung von Wehrgewalt könne auch nicht mit Art. 25 und 26 des Grundgesetzes begründet werden. Aus diesen Artikeln könne nur entnommen werden, daß Deutschland völkerrechtlich ein Recht auf Selbstverteidigung habe. Damit sei jedoch nicht gesagt, daß und welche deutschen Staatsorgane staatsrechtlich berechtigt seien, Wehrgewalt auszuüben. Diese Frage zu regeln, sei Aufgabe des Verfassungsgesetzgebers, nicht des einfachen Gesetzgebers.
    Unser Standpunkt: Da das Recht zur Selbstverteidigung eine unbestrittenermaßen anerkannte Regel des Völkerrechts ist, bedürfte es mindestens eines sehr strengen Nachweises, wenn man es nicht als Bestandteil des deutschen Staatsrechts anerkennen wollte.

    (Abg. Dr. Laforet: Sehr richtig!)

    Ebenso hat es nicht nur völkerrechtliche, sondern auch staatsrechtliche Bedeutung, wenn in Art. 26 nur der Angriffskrieg, nicht aber ein Verteidigungskrieg für verfassungswidrig erklärt wird.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Vierter Einwand: a) Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht sei schon deshalb ausgeschlossen, weil das Grundgesetz dieses besondere Gewaltverhältnis nicht konstituiert habe. Auch aus Art. 4 Abs. 3 könne die Zulässigkeit der allgemeinen Wehrpflicht nicht begründet werden. Dieser Artikel setze nicht, wie die Mehrheit meine, die Möglichkeit einer Einführung der Wehrpflicht als selbstverständlich voraus. In diesem Zusammenhang wird von Professor S m e n d unter Hinweis auf die Ohne-mich-Bewegung die außerordentlich gefährliche Auffassung vertreten, daß Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes überhaupt eine allgemeine Wehrpflicht praktisch unmöglich mache, da sich Millionen auf diese Vorschrift berufen würden. b) Im übrigen sei mindestens in der Durchführung
    einer allgemeinen Wehrpflicht eine Beschränkung einzelner Grundrechte für den Soldaten notwendig; da das Grundgesetz die Möglichkeit derartiger grundrechtlicher Beschränkungen nicht ausdrücklich zulasse, sei damit die Wehrpflicht auch praktisch nicht durchführbar. c) Nach deutscher Verfassungstradition stehe die Staatsangehörigkeit in unlösbarem Zusammenhang mit der Wehrpflicht. Da das Grundgesetz aber von einer einheitlich alle Deutschen umfassenden Staatsangehörigkeit ausgehe, würde die Einführung der Wehrpflicht im Geltungsbereich des Grundgesetzes eine unzulässige Aufspaltung der Staatsangehörigkeit in eine wehrpflichtige und eine nicht wehrpflichtige bedeuten.
    Wir sagen dazu: a) Das Grundgesetz sieht ganz allgemein davon ab, die Grundpflichten des Staatsbürgers festzulegen. Es besagt daher nichts, daß es nicht ausdrücklich die Wehrpflicht als zulässig bezeichnet. Die verfassungsrechtlichen Schranken, die zu beachten sind, sind in Art. 4 Abs. 3 bezeichnet. b) Die Wehrpflicht als solche verstößt auch gegen keine sonstigen Grundrechte. Selbst wenn sie Freiheitsbeschränkung im Sinne des Art. 2 bringen sollte, wäre sie zulässig,

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien)

    da Art. 2 eine Beschränkung durch einfaches Gesetz zuläßt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Grundrechtsbeschränkungen, die bei der Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht erforderlich
    sein sollten, sind aus den gleichen Gesichtspunkten
    verfassungsrechtlich möglich, wie diese beispielsweise im Beamtenrecht immer anerkannt sind.
    c) Durch die Einführung der Wehrpflicht tritt eine
    Aufspaltung der Staatsangehörigkeit nicht ein.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Ein unlösbarer Zusammenhang zwischen Wehrpflicht und Staatsangehörigkeit besteht nicht. Es ist daher zulässig, die Wehrpflicht auf zusätzliche Merkmale wie Wohnsitz usw. abzustellen.
    Fünfter Einwand: die Übernahme von Wehrbefugnissen durch Organe der Bundesrepublik verändere das Verfassungsgefüge sowohl im Verhältnis der Bundesorgane zueinander wie im Verhältnis von Bund und Ländern. Dies gelte auch für den Fall einer supranationalen Wehrmacht, da nach dem EVG-Vertrag auch Zuständigkeiten für nationale Organe vorgesehen seien.
    Unser Standpunkt: Da im Rahmen der supranationalen Wehrmacht die wesentlichen Zuständigkeiten bei supranationalen Organen liegen, kann schon aus diesem Grunde von einer Veränderung des Verfassungsgefüges nicht gesprochen werden. Auch soweit nationale Organe zuständig sind, werden nur die Machtbefugnisse der bestehenden Verfassungsorgane innerhalb der verfassungsmäßigen Kompetenz verstärkt, ein Vorgang, der verfassungsrechtlich ohne Bedeutung ist.
    Sechster Einwand schließlich: Art. 24 könne die Beteiligung an einer supranationalen Wehrmacht nicht rechtfertigen. Dieser Artikel gestatte lediglich, daß anstelle der nationalen Organe zwischenstaatliche Organe treten, entbinde jedoch nicht von den sonstigen Vorschriften der Verfassung. Wenn nach dem Grundgesetz Wehrgewalt von nationalen Organen nicht ohne Verfassungsergänzung ausgeübt werden dürfe, sei damit auch eine Übertragung auf zwischenstaatliche Organe ausgeschlossen.
    Unser Standpunkt: Selbst wenn es richtig wäre, daß Organe der Bundesrepublik keine nationale


    (Dr. Schneider)

    Wehrgewalt ausüben dürften, würde Art. 24 Abs. 2 die bewaffnete Beteiligung an einem System kollektiver Sicherheit gestatten. Art. 24 Abs. 2 schließt eine derartige Beteiligung nicht aus. Ein entsprechender Antrag des Abgeordneten Renner ist im Parlamentarischen Rat abgelehnt worden.
    Ich hätte noch zu einzelnen Rechtsfragen Stellung nehmen müssen. Aber das würde meine Zeit zu lange beanspruchen, und ich käme dann mit meiner Redezeit nicht aus, weil ich nämlich über das Thema Rechtsfragen hinaus doch noch einiges Allgemeine sagen wollte.
    Ich habe schon einmal von dieser Stelle aus dem Herrn Kollegen Arndt — schade, daß er nicht mehr da ist — gesagt, daß seine Art der Kritik, seine Art, sich mit uns als Regierungskoalition auseinanderzusetzen, eine ungeheure Gefahr für die Demokratie bedeute,

    (lehafter Beifall bei den Regierungsparteien)

    weil sie nämlich nicht objektiv sei, sondern weil sie vorsätzlich, bewußt zersetzend angelegt sei.

    (Erneuter lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien).

    Ich habe ihm damals, als er sich darüber aufregte, daß ein Mitglied dieses Hauses ein geradezu unvorstellbares Telegramm — auch nach meiner Meinung — an einen seiner Parteifreunde in Bayern geschickt hatte, gesagt: Sie brauchen sich darüber nicht aufzuregen, Herr Kollege Dr. Arndt! Denn Sie sind es ja, die diese Dinge heraufbeschwören. Denn wenn man sich in Ihrer Art mit der Regierungskoalition auseinandersetzt, dann ist das der Anfang, und diese Dinge sind die selbstverständliche letzte Konsequenz.

    (Sehr gut! bei der FDP.)

    Das möchte ich voraussteilen.
    Und, meine sehr verehrten Damen und Herren,
    nun eins. In allen großen Staaten des Westens sind
    Regierung und Opposition immer einig, wenn es darum geht, das Land nach außen zu vertreten,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    mit anderen Worten eine gemeinsame Außenpolitik zu machen.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Warum ist denn das bei uns nicht so?

    (Abg. Wehner: Fragen Sie den Bundeskanzler!)

    Ist das eigentlich ein Zufall? Nein! Das ist kein Zufall,

    (Abg. Arnholz: Das ist eine Folge der Politik des Bundeskanzlers!)

    sondern das ergibt sich aus der grundsätzlichen Haltung dieser Opposition.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie sprach ja heute abend wieder aus den Worten des Kollegen Arndt. Denn er sprach davon und warf dem Herrn Bundeskanzler vor, er, der Herr Bundeskanzler, habe Haß bis über das Grab hinaus. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie auch nur ein Gefühl dafür haben, was eigentlich Haß ist, Haß aus tiefster Seele, — dann waren die Ausführungen des Herrn Kollegen Arndt heute abend ein klassisches Beispiel für ein derartig haßerfülltes Handeln.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Warum geht denn die Opposition mit uns nicht den Weg, den wir gehen müssen? Ich würde bereit sein, mich mit ihr über ein besseres System, über einen besseren Weg zu unterhalten, mit ihr auch darüber zu diskutieren.

    (Zurufe von der SPD.)

    Aber sie hat ja doch nichts! Was hat sie denn bis jetzt beigebracht? Gar nichts! Nur Reden! Man kritisiert, man sagt: Das darf nicht sein, jenes sollte nicht sein, dieses hätte man fordern müssen; man hätte einen anderen Weg einschlagen müssen, zwar Verteidigung, aber keine Soldaten.

    (Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Der Professor Schmid sagte: „Keine Neutralität". — Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist das denn ein System? Der Herr Bundeskanzler hat doch ganz mit Recht gestern gesagt: Die Opposituation hat mir bis jetzt nicht verraten, was sie denn an die Stelle des Weges zu setzen gedenkt — real! —, den wir zu gehen wünschen, den wir nach unserer Überzeugung gehen müssen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Die Opposition ist bis heute darauf die Antwort schuldig geblieben.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Und, Herr Wehner, gerade weil Sie mir einen Zwischenruf gemacht haben: Ihre Ausführungen gestern waren doch, ich möchte beinahe sagen, so konfus, daß sie ein normaler Mensch überhaupt nicht begreifen konnte.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Mellies: Sie sollten sich nicht so ein Armutszeugnis ausstellen! — Zuruf des Abg. Arnholz.)

    Diese sozialdemokratische Opposition hat von Anfang an nicht gewollt, daß es zu einer echten Verständigung wenigstens in der Außenpolitik gekommen ist. Warum sie das nicht wollte, werde ich Ihnen noch gleich auseinandersetzen. Von Anfang an schon, von Frankfurt her, ais wir bekanntgaben, daß wir das Steuer der Wirtschaftspolitik entscheidend herumdrehen wollten — nämlich von der kommandierten Planwirtschaft zur freien Wirtschaft —, kritisierte man uns in den schärfsten Tönen. Da warf man uns vor und machte dem deutschen Volk weis: dieses Herumreißen des Steuers wird euch 5 bis 6 Millionen Arbeitslose kosten. Als das nicht mehr wahr war, als man auf diesen Dingen nicht mehr herumreiten konnte,

    (Zuruf von der SPD: Zur Sache können Sie wohl nicht sprechen?)

    als die Entwicklung absolut nach oben ging, da kam man auf die anderen Gebiete und da bemächtigte man sich der Außenpolitik, statt sich zusammen mit der Regierung Mühe zu geben, einen gemeinsamen Weg im Interesse der Gestaltung unseres deutschen Schicksals für die Zukunft zu gehen. Nein, da ging man in diese Art Opposition, wie wir sie heute abend wieder gehört haben. Da sagte man: Das Petersberg-Abkommen — der erste Schritt, den wir in der Richtung taten, daß die deutsche Unfreiheit aufgelockert wurde — ist nicht richtig, das verstößt gegen das Grundgesetz; ihr seid gar nicht berechtigt — Herr Kollege Kiesinger hat ja die entsprechenden Worte zitiert —, das allein zu beschließen. Das Bundesverfassungsgericht hat uns recht gegeben.
    Dann kam der Schumanplan und die gleiche negative Einstellung mit der Behauptung, wir wollten ein kapitalistisches, klerikales, europäisches


    (Dr. Schneider)

    Kartell schaffen. Und jetzt kommen schließlich die Verträge, und da heißt es u. a., diese Verträge seien mit der Verfassung nicht zu vereinbaren. Der Herr Kollege Arndt hat heute abend ein sehr böses Wort gesagt; Herr Kollege Kiesinger hat sich deshalb schon mit ihm auseinandergesetzt. Aber was er tut — Kiesinger sagte es ja schon —, das ist doch absolutes Deuteln, absolutes Deutelnwollen in der Auslegung der Verfassung. Herr Kollege Arndt, das ist das, was ich Ihnen übelnehme. Sie tun das nicht, weil Ihnen das Recht am Herzen liegt, sondern weil Sie aus politischen Zweckmäßigkeitserwägungen heraus so deuteln wollen; denn Sie wollen ja ein politisches Ziel erreichen,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    nämlich das politische Ziel, daß das Bundesverfassungsgericht unter allen Umständen Ihrer Auffassung recht geben möge.
    Und warum wollen Sie das? Nicht, weil Sie glauben, der Weg, den wir außenpolitisch gehen wollen, sei falsch, sei für das deutsche Volk nicht tragbar. Ich bin überzeugt, daß ein großer Teil Ihrer Fraktion der gleichen Meinung mit uns ist,

    (lebhafte Zurufe von der SPD)

    daß das Ganze nur Gesten nach außen sind. Sie wollen die innere politische Situation schaffen, die Sie immer wollen,

    (Zuruf von der SPD: Unerhört!)

    nämlich dieser Regierungskoalition unter dem Schein des Rechts, unter dem Schein eines Gerichtsurteils ihre Legitimität absprechen! Das ist Ihr Ziel, und das werfe ich Ihnen vor, und damit wird auch Ihr Rechtsuchenwollen, Ihr Rechtsbegehren nicht mehr recht wahrhaft.

    (Erneute Zurufe von der SPD.)

    Sie suchen nicht mehr Recht, um die Gerechtigkeit zu finden, sondern Sie erniedrigen das Recht zu einem innerpolitischen Kampfmittel!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ihre ganze Haltung ist doch nur - -

    (Abg. Mellies: Das ist sehr billig! Noch billiger!)

    — Sie können mich gar nicht stören. Sie unterbrechen mich nur, weil Sie innerlich genau wissen, daß ich recht habe.

    (Lachen bei der SPD.)

    Ich lasse mich von Ihnen nicht aus der Ruhe bringen.

    (Erneute Zurufe von der SPD.)

    Sie haben schon einmal ein gutes politisches Geschäft gemacht, damals, als Ihr Herr Dr. Schumacher den Ohne-mich-Standpunkt vor der Hessen-Wahl hier entwickelt hat. Mit diesem Ohnemich-Standpunkt haben Sie damals in Hessen gesiegt.

    (Zurufe von der SPD.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, jetzt satteln Sie den Vertragsgaul, um Ihr innerpolitisches Ziel bei der nächsten Bundestagswahl zu erreichen, Ihr innerpolitisches Machtziel, hier die absolute Mehrheit zu bekommen.

    (Zustimmung in der Mitte. — Zuruf von der Mitte: Das wird aber schief gehen! — Zurufe von der SPD.)

    Darin, meine Damen und Herren, liegt Ihre politische Verantwortung. Das ist es, was wir Ihnen vorzuwerfen haben, daß Sie diese Dinge nicht prüfen wie wir,

    (Zurufe von der SPD: Au! Au!)

    und zwar objektiv und unter Zurücksetzung aller parteitaktischen Überlegungen als Schicksalsfrage unseres Volkes, und daß Sie, wie es Ihnen auch schon der Herr Bundeskanzler vorgeworfen hat, diese ernste Schicksalsfrage unseres Volkes allein unter parteitaktische Erwägungen und Überlegungen stellen. Wir machen den Weg nicht mit. Ich wollte das nur vor der deutschen Öffentlichkeit festgestellt haben.

    (Zuruf von der SPD: Wahlrede! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Wir sehen uns in die Stunde historischer Entscheidung gestellt und sind gewillt, dafür die Verantwortung zu tragen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)