Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der zweite Abschnitt des Berichts des EVG-Ausschusses*) behandelt die wirtschaftlichen, finanziellen und haushaltsmäßigen Bestimmungen des Vertrages und ihre Auswirkungen. In der Einleitung wird wieder darauf hingewiesen, daß eine Reihe von anderen Ausschüssen Probleme dieser Art gleichfalls erörtert haben, und die Abgrenzung der Arbeitsbereiche erörtert. Es handelt sich um Beträge von einer erheblichen Größenordnung, auf die im Bericht an anderer Stelle noch eingegangen wird. Das Entscheidende für das Funktionieren
*) Vgl, Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11270B
der EVG wird sein, in welchem Umfang außer den Beiträgen der Mitgliedstaaten die EVG auch auf Außenhilfe rechnen kann. Bei der Darlegung des Aufbaues des Haushaltsplans müssen wir berücksichtigen, daß es sich um einen echten Gemeinschaftshaushalt handelt und nicht etwa nur um Beiträge zu einem Fonds, der von nationalen Staaten gespeist wird. Das ist bewußt so gestaltet worden, um darin den supranationalen, den übernationalen Charakter der Einrichtung sichtbar werden zu lassen.
Für die Verteilung der Beiträge wird zunächst der Schlüssel angewandt, der auch in der Nordatlantikpakt-Organisation gilt. Obwohl der Vertrag eine andere Möglichkeit offenläßt, muß für eine Reihe von Jahren damit gerechnet werden, daß es bei diesem Schlüssel bleibt. Es ist also wichtig, daß man sich damit befaßt, wie die Beiträge auf die einzelnen Mitgliedstaaten verteilt werden. Die Beiträge sollen nach ihrer Leistungsfähigkeit bemessen werden. Dabei wird vom Sozialprodukt ausgegangen, das verschiedenen Sonderbelastungen unterliegt. Der auch von der Bundesregierung aufgestellte Grundsatz, daß die progressiv steigende Leistungsfähigkeit je nach dem durchschnittlichen Einzeleinkommen des Bürgers der einzelnen Staaten dabei berücksichtigt werden muß, hat sich noch nicht durchgesetzt. Das wird ein Gegenstand der Verhandlungen sein, die ja jetzt schon geführt werden müssen, weil der Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik für die Zeit nach dem 30. Juni 1953 noch nicht festgesetzt ist.
Der Bericht behandelt dann weiter die Absetzungen, die von dem errechneten globalen Verteidigungsbeitrag gemacht werden können für bestimmte Ausgaben, die sich zwar in den nationalen Haushalten finden, aber doch als direkte oder indirekte Verteidigungsausgaben angesprochen werden können. Ich darf hier nur etwa an die Polizei erinnern. In begrenztem Umfang ist das bisher auch schon für gewisse Aufwendungen in Berlin anerkannt, leider nicht für 'den gesamten Aufwand für Berlin.
Wichtig ist, wie als Beitrag an die EVG die Stationierungskosten der Bundesrepublik behandelt werden. Für das erste Jahr spielt das keine Rolle; für das erste Jahr ist ein bestimmter fester Schlüssel für das Stimmgewicht der einzelnen Vertreter der Staaten in den Organen der EVG festgesetzt. Aber später richtet sich das Stimmgewicht nach den militärischen und finanziellen Leistungen der Mitgliedstaaten. Die Bundesregierung steht im Gegensatz etwa zu jüngeren Auslassungen des französischen Generals Béthouard auf dem Standpunkt, daß der Aufwand der Bundesrepublik an Stationierungskosten auch beim Stimmgewicht in den Organen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft mit berücksichtigt wird. Ich sagte schon, Herr Béthouard ist anderer Meinung; aber die Bundesregierung weist darauf hin, daß das gerade der Sinn des Durchlaufens der Stationierungskosten durch den Haushalt der EVG sei. Wir zahlen die Kosten dort hinein, die EVG leitet sie unverändert und ohne Einfluß auf sie zu nehmen, weiter.
Der Ausschuß hat sich eingehend mit dem, Haushaltsrecht der nationalen Parlamente befaßt, das ja auch in den Berichten des Haushaltsausschusses angesprochen worden ist. Die Höhe jedes einzelnen Beitrags wird vom 'Ministerrat einstimmig festgesetzt, also nicht ohne die deutsche Stimme. Aber diese so zustande gekommene Summe muß in den
nationalen Haushalt eingestellt werden, und sofern dieser Beitrag zur Erreichung der Ziele der Verteidigungsgemeinschaft verwendet wird — wovon man ja wohl mindestens für die ersten Jahre ausgehen kann —, wäre gegen einen abweichenden Beschluß des Bundestages Klage beim Gerichtshof der Gemeinschaft möglich. Kein Staat kann durch Verweigerung oder Beschränkung des einmal beschlossenen finanziellen 'Beitrags durch das nationale Parlament die Verteidigungsgemeinschaft aushöhlen. „Insofern", so sagt die Regierungsbegründung wörtlich, „ist das Recht der nationalen Parlamente auf freie Bestimmung der Beiträge beschränkt." In diesem Zusammenhang ist es zwar zutreffend, aber 'natürlich für die Frage selbst nicht entscheidend, daß nicht das Schiedsgericht des Generalvertrags, wohl aber der Gerichtshof der EVG eine solche Streitfrage zu entscheiden hätte.
Die Bestimmungen über die Aufstellung des Haushaltsplanes brauche ich hier nicht eingehend darzulegen. Der Haushaltsplan wird vom Kommissariat nach Abstimmung mit den Mitgliedstaaten aufgestellt und dann im Gesamtumfang vom Ministerrat einstimmig beschlossen, während für die einzelnen Ansätze jeweils eine Zweidrittelmehrheit genügt. Ein einzelner Ansatz kann also auch gegen die Stimme irgendeines Landes 'beschlossen werden, weil es mitunter notwendig sein kann, doch über nationale Sonderwünsche hinwegzugehen. Die Versammlung hat, das ist im Bericht des Haushaltsausschusses zum Ausdruck gekommen, nur bescheidene Befugnisse bei der Mitwirkung am Zustandekommen des Haushaltsplans. Sie kann Änderungen, selbst die Ablehnung nur mit einer Zweidrittelmehrheit vorschlagen, und dieser Vorschlag muß dann noch mit Zweidrittelmehrheit vom Ministerrat oder auch durch Stillschweigen des Ministerrats gebilligt werden. Sonst entscheidet der Ministerrat und nicht die Versammlung.
Über die Gliederung des Plans will ich mich hier nicht äußern. Aber wichtig ist, auch in politischer Sicht, der Übergangshaushalt. In dieser Übergangsperiode gehen die nationalen Haushalte in den Gesamthaushaltsplan ein, soweit sie Wehrausgaben betreffen. Die Bundesrepublik hat aber noch keinen Verteidigungshaushalt. Sie stellt ein Programm für die Verwendung ihres Finanzbeitrags an die EVG auf, und die EVG ist an dieses Programm genau so weitgehend gebunden wie an die Verwendungsprogramme, die auch die anderen Länder für diese Übergangsperiode vorlegen. Das hat zur Konsequenz, daß man nicht zu befürchten braucht, daß etwa in dieser Übergangsperiode deutsche Finanzbeiträge verwendet werden zur Aufstellung und Ausrüstung von französischen oder italienischen Divisionen. Aber umgekehrt ist es natürlich genau so: durch die Bindung an die Programme der einzelnen Staaten ist auch in dieser Übergangsperiode nicht damit zu rechnen, daß etwa französische Steuermittel zur Bezahlung deutscher Kontingente verwendet werden. Die Gesamtkosten, die den einzelnen Mitgliedstaaten zur Deckung finanziell verbleiben, hängen sehr stark, ich möchte sagen, im wesentlichen, davon ab, was an Außenhilfe aufgebracht wird. Denn die Beiträge der Mitgliedstaaten werden den Aufbau der gesamten EVG und vor allem auch den Aufbau der deutschen Kontingente allein aus eigenen Mitteln nicht bestreiten können. Die Zahlen sind Ihnen bekannt: die 850 Millionen DM monatlich, auf die zunächst der deutsche Finanzbeitrag festgelegt worden ist, und die Aufteilung auf Stationierungskosten und auf die Beträge, die der EVG teils für den Aufbau des zen-
tralen Apparats, teils für den Aufbau der deutschen Kontingente verbleiben werden.
Die Höhe der späteren Stationierungskosten kann nicht ohne Mitwirkung der Bundesrepublik beschlossen werden. Der Vertrag sieht Verhandlungen über dieses Thema, also über die Kosten, die nach dem 30. Juni 1953 eventuell zu entrichten wären, ausdrücklich vor.
Der Bundesfinanzminster hat seine feste Überzeugung ausgesprochen, den finanziellen Verteidigungsbeitrag ohne neue Steuern und ohne defizitäre Haushaltspolitik aufbringen zu können, wenn die Berlinhilfe voll angerechnet wird. Das ist natürlich nur möglich, wenn der deutsche Beitrag zur EVG sich in der bisher bekannten Größenordnung hält, wenn also die EVG die für den Ausbau ihrer Verbände notwendige Außenhilfe in dem gehofften Ausmaß erhält. Treten diese Voraussetzungen nicht ein, dann müßten entweder die Beiträge der Mitgliedstaaten entsprechend, also in dem Maße, in dem die Außenhilfe hinter den Erwartungen zurückbleibt, erhöht werden, oder die Schlagkraft der Verbände der EVG würde infolge unzureichender Ausrüstung leiden müssen. Das Gesamthaushaltsvolumen der EVG — das macht diese Konstruktion mit der Außenhilfe deutlich — wird von den Einnahmen und nicht vom Bedarf bestimmt.
Nun müssen wir untersuchen, mit welcher Außenhilfe zu rechnen ist. Es liegen Zusagen für die Lieferung von schwerem und leichtem Gerät vor, die dem Ausschuß ziffernmäßig nicht genannt werden konnten. Wir haben im Ausschuß noch einmal die Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers in der Plenarsitzung des Bundestages vom 9. Juli 1952 untersucht, in der es hieß, daß die Vereinigten Staaten die Verpflichtung übernommen haben, das gesamte schwere Material für die Ausrüstung der deutschen Kontingente in derselben Art usw. zu liefern, wie sie es nach den NATOVerträgen für irgendein anderes Kontingent liefern, und zwar unentgeltlich. Außerdem hätten sie sich verpflichtet, auch leichtes Material in einem bestimmten Wert und zahlenmäßig genannten Umfange zu liefern. Aus dieser Erklärung ergibt sich, daß die Bundesrepublik bei den Lieferungen durch die Vereinigten Staaten auf keinen Fall schlechter als die anderen Partner der NATO behandelt wird. Es steht aber nicht drin, wie sie behandelt wird und wie die anderen Partner der NATO behandelt werden. Welchen Wert und zahlenmäßigen Umfang das zu liefernde leichte und schwere Material hat, konnte nicht festgestellt werden.
Wichtig ist noch die Form der amerikanischen Verpflichtung. Sie hat nach den Erhebungen des EVG-Ausschusses, für den ich zu berichten habe — der Haushaltsausschuß kam hier zu einem anderen Ergebnis; die Vertreter der Regierung konnten das im EVG-Ausschuß nicht eindeutig aufklären —, nicht die Form eines im Besitz der Bundesrepublik befindlichen unterzeichneten Dokuments, sondern stützt sich auf protokollarisch festgehaltene mündliche Erklärungen 'der amerikanischen Beobachter bei den Pariser Verhandlungen.
Die Bundesrepublik wird rund ein Drittel des gesamten Haushaltsvolumens der EVG zu bestreiten haben. Natürlich sind auch diese Zahlen veränderlich je nach der Entwicklung der Lage, des Bedarfs und der Wirtschaftskraft der einzelnen Länder. Als Anhalt für den Finanzbedarf müssen wir uns einige Zahlen vor Augen halten. Für die Aufstellung eines Kontingents von 12 Divisionen
einschließlich aller dazugehörigen Verbände muß man mit einem Gesamtaufwand von rund 36 Milliarden DM rechnen. Dazu treten die Unterbringungskosten. Für einen Mann bedeutet das in der modernen Heeresorganisation durchschnittlich 7000 DM, so daß rund 3 Milliarden DM hinzutreten. Dieser Aufwand von zusammen rund 39 Milliarden DM muß in der Aufbauzeit aufgebracht werden; das sind praktisch die zwei Jahre, in denen der Vertrag die Aufstellung dieser Verbände vorsieht. Allerdings fällt diese Belastung nur insoweit der EVG zur Last, als sie eben keine Außenhilfe von den Vereinigten Staaten von Amerika bekommt. Das ist oben schon dargelegt.
Zum Vollzug des Haushalts kann ich mich wesentlich kürzer fassen, da es sich hier um die Fragen der Organisation handelt, denen wir wohl keine allzu große politische Bedeutung beizumessen haben. Bemerkenswert ist der verhältnismäßig große Spielraum, den Kommissariat und Ministerrat bei der Deckungsfähigkeit, bei dem Verwenden von Mitteln aus einem Ansatz für einen anderen Ansatz, haben. Der Nothaushalt ist zunächst etwas dem deutschen Prinzip angenähert. Für die ersten drei Monate kann in einem neuen Rechnungsjahr weitergewirtschaftet werden mit je einem Zwölftel der alten Jahresansätze. Aber dann kommt eine wichtige Bestimmung: wenn die Versammlung nicht in den ersten drei Monaten des Haushaltsjahres den Plan beschlossen hat, dann tritt einfach der vom Ministerrat beschlossene Haushaltsplan auch ohne Entscheidung der Versammlung in Kraft.
Die Rolle des Finanzkontrolleurs will ich Ihnen nicht im einzelnen darlegen; das hat auch Kollege Gülich schon getan. Ich verweise hierzu auf Seite 109 des Berichts Drucksache Nr. 3900.1
Auch zur Nachkontrolle und Entlastung kann ich mich kurz fassen. Eine Rechnungsprüfungsbehörde etwa nach dem Modell des Rechnungshofs soll schnell — innerhalb von sechs Monaten — ihren Bericht vorlegen. Wichtig ist aber, daß die Entlastung durch die Versammlung nur mit einer Zweidrittelmehrheit verweigert werden kann.
Zu den Finanzfragen hat der Ausschuß zunächst die Auswirkungen auf die deutsche Devisensituation überprüft, die auch Gegenstand der Beratungen im Finanz- und Wirtschaftsausschuß dieses Hauses waren. Hier bitte ich vor allen Dingen die sogenannte 85 %-Klausel einer Würdigung zu unterziehen, die darauf hinzielt, daß, um eine gewisses Gleichgewicht in der Devisensituation der einzelnen Länder zu wahren, in jedem Lande mindestens 85 % seines Finanzbeitrags selbst von der EVG in seiner eigenen Währung in seinem Hoheitsgebiet ausgegeben werden müssen. Darüber hinaus kann von der EVG noch mehr ausgegeben werden, 100, auch 115 N. Wenn es aber dann mehr wird, ist das nur zulässig mit Zustimmung des betreffenden Staates selbst, um etwa in Zeiten bestimmter Mangelsituationen einen Ausverkauf eines solchen Landes durch die EVG zu verhindern, indem die Spitzen der verschiedenen 15 %-Beiträge aller Länder konzentriert zum Ausverkauf auf ein Land angesetzt würden. Das ist der Sinn dieser Klausel. Für die ersten Jahre wird damit zu rechnen sein, daß in der Bundesrepublik sicher mehr als 85 % ihres Beitrags ausgegeben werden, schon wegen der zu erwartenden Bauten.
Zur Finanzordnung brauche ich hier nur auf den Bericht zu verweisen.
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11273
Mit der Außenhilfe habe ich mich bereits befaßt. Sie wird ausgehandelt vorn Kommissariat, nicht vom Ministerrat. Das Kommissariat kann mit Zweidrittelmehrheit Richtlinien geben; aber entscheidend ist, daß das Kommissariat die als Material — also nicht in bar — geleistete Außenhilfe allein verwaltet und verteilt. Da kann ihm kein anderes Organ der Gemeinschaft hineinreden. Natürlich kann auch noch Wirtschaftshilfe und — etwa für Kolonialkriege — Materialhilfe von dem Geber, der daran nicht gehindert ist, an die Einzelmitglieder der EVG geleistet werden. Die EVG kann auch Außenhilfe geben; ob und wann das praktisch wird, brauchen wir jetzt nicht zu untersuchen.
Bei den Wirtschaftsfragen haben wir uns zunächst mit dem Rüstungsprogramm befaßt. Es wird vom Kommissariat im Benehmen mit den Mitgliedstaaten aufgestellt und soll ähnlich wie der Finanzbeitrag die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten aufs beste nutzbar machen und schwere Störungen in der Wirtschaft vermeiden. Bei Streitigkeiten entscheidet zunächst das Kommissariat, eventuell auch der Gerichtshof. Es wird einen beratenden Ausschuß geben, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber paritätisch vertreten sind, der beratend an der Erarbeitung dieses Programms beteiligt wird. Das Programm wird vom Ministerrat mit einer Zweidrittelmehrheit genehmigt und vom Kommissariat ausgeführt. Wichtig ist, daß es schon eine gebietsmäßige Verteilung der einzelnen Aufträge auf die einzelnen Länder unter Berücksichtigung der dargelegten 85 %-Klausel enthalten muß.
Zum Beschaffungswesen darf ich auf die Ausführungen auf Seite 110/111 des Berichts *) und vor allem auch auf die Darlegungen des Kollegen Stegner verweisen. Wichtig ist, daß bei einer Mangellage das Kommissariat Empfehlungen geben kann. Diese Empfehlungen sind in Wirklichkeit Auflagen. Sie gehen aber nicht an den Einzelbetrieb, sondern nur an die Regierungen. Die Regierungen müssen dem Ziel nachkommen, sind aber in der Wahl der Mittel frei. Daß die EVG durch den großen Block ihrer Aufträge, den großen Block der Finanzmasse ein Stück Wirtschaftspolitik mit zu lenken imstande ist, ist klar, auch wenn ihr keine nationalen wirtschaftlichen Hoheitsrechte übertragen sind. Daß eine einheitliche Ausrüstung der Streitkräfte der EVG ihre Zeit braucht, wenn man berücksichtigt, daß ja jetzt vorhandene Armeen eingebaut werden, versteht sich am Rande.
Besonderes Interesse gefunden hat die Kontrolle der Rüstungsproduktion. Ihnen ist bekannt, daß die gesamte Rüstungsproduktion nur mit ausdrücklicher Genehmigung durch das Kommissariat in den einzelnen Ländern gestattet ist, und zwar ohne Unterschied ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich zunächst die Herstellung von Rüstungsmaterial verboten, soweit nicht das Kommissariat das gestattet. Das ist der allgemein geltende Grundsatz. Es muß eine Genehmigung des Kommissariats eingeholt werden, die gleichmäßig an die Staaten erteilt werden soll.
Aber es gibt für eine Anzahl von Waffen andere Gesichtspunkte, nämlich strategische. In strategisch gefährdeten Gebieten sind die in Anlage 2 des Vertrages genannten Waffen nicht herzustellen. Das Kommissariat könnte Genehmigungen nur mit einstimmiger Zustimmung des Rates erteilen. Da-
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seiten 11274/75
bei handelt es sich um Atomwaffen, chemische Waffen, gelenkte Geschosse, Influenzminen, allerdings auch um größere Kriegsschiffe und um .Militärflugzeuge. All das darf in strategisch gefährdeten Gebieten nicht hergestellt werden.
Die Bundesregierung hat nun in einem Brief an die Außenminister erklärt, daß die Bundesrepublik sich in einer strategisch exponierten Lage befinde und es infolgedessen nicht als Diskriminierung betrachte, wenn ihr das Kommissariat keine Erlaubnis zur Herstellung derartiger Waffen im Gebiet der Bundesrepublik erteile,
während diese Erlaubnis durchaus an andere Länder erteilt werden kann. Die rechtliche Bedeutung dieses Briefes ist, daß etwa Holland, das sich in einer ähnlichen strategischen Position wie die Bundesrepublik befindet, für den Fall der Verweigerung einer solchen Erlaubnis den Gerichtshof anrufen könnte, während sich die Bundesrepublik dieses Weges begeben hat.
Die Bundesrepublik hat sich verpflichtet, im Wege der Gesetzgebung eine Reihe von Verboten auszusprechen, die sich vor allem auf die Atomwaffen beziehen. Weiter hat sie sich auch zur Einführung einer Reihe von Kontrollen, etwa auf dem Gebiet der Ein- und Ausfuhr der interessierenden Materialien, verpflichtet.
In diesen Zusammenhang gehört die Frage der Pulverlinie. Die Anlage von neuen Pulverfabriken für militärische Zwecke ist nur in einem bestimmten Gebiet westlich einer festgelegten Linie gestattet. Diese Linie läuft durch die Bundesrepublik. Östlich dieser Linie darf es also keine neuen Pulverfabriken geben.
Der Bundeskanzler hat außerdem einen Brief an die Außenminister der Besatzungsmächte gerichtet, in dem es heißt daß zur Zeit in der Bundesrepublik Zivilluftfahrzeuge weder hergestellt würden noch Möglichkeiten für eine derartige Produktion bestünden und die Bundesrepublik Flugzeuge käuflich erwerben wolle; würden sich diese Verhältnisse ändern, dann würde sich die Bundesrepublik um ein Einvernehmen mit den Regierungen der Drei Mächte bemühen.
Im Ausschuß ist nun die Befürchtung erörtert worden, die auch in einem anderen Bericht vorhin angeklungen ist, daß strategisch gefährdete Gebiete durch die besondere Erwähnung dieser Gefährdung im Vertrag wirtschaftliche Nachteile erlitten, daß sie eventuell auch von der Konsumgüterindustrie gemieden würden. Dem ist im Ausschuß entgegengehalten worden, daß die strategisch gefährdete Lage der Bundesrepublik sich ja nicht aus dem Vertragstext, sondern aus den Tatsachen ergebe und der gesamten Wirtschaft auch ohne Erwähnung im Vertrag bekannt sei; man müßte dann für einen Ausgleich der eventuell zu erwartenden Nachteile für diese Gebiete durch sinnvolle Lenkung von Aufträgen gerade dorthin sorgen. Die Minderheit ist bei ihrem Einwand geblieben, daß die abschreckende Wirkung, vor allem gegenüber Neuinvestitionen, mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die strategisch gefährdete Lage im Vertragstext verstärkt worden sei und man damit etwa den französischen Tendenzen zur Verlagerung der Rüstungsproduktion in das lothringische Industriebecken und nach Afrika entgegenkomme.
Ich darf noch erwähnen, daß andere Rüstungs-
und Forschungsbeschränkungen und -kontrollen
außer denen, die ich Ihnen vorgetragen habe, mit dem Inkrafttreten der Verträge fortfallen. Die Praxis der künftigen Kontrolle hängt natürlich sehr von der Gestaltung des Kommissariats ab, der infolgedessen die besondere Aufmerksamkeit der Bundesregierung und des Deutschen Bundestags zugewendet werden müßte.