Bei zehn Minuten, die mir zur Verfügung stehen, kann ich nur im Telegrammstil das Notwendige sagen.
Meine Damen und Herren, die Folgen einer aus Verkennung der tatsächlichen Weltsituation falsch geführten Politik der Bundesregierung werden sich eines Tages für das deutsche Volk verhängnisvoll auswirken. Denn die Einbeziehung von West- und Ostdeutschland in den militärischen Aufmarsch der verfeindeten Weltmächte gefährdet das deutsche Volk tödlich. Um dieser Gefahr zu begegnen, müßte eine Außenpolitik geführt werden, die Deutschland aus dem Objekt-Verhältnis der beiden Weltmächte herausholt. Nur ein aus dem militärischen Aufmarsch der USA und Rußlands herausbleibendes Deutschland dient dem Weltfrieden und dem Gleichgewicht der Kräfte.
Die größte Sorge der Gegner der Verträge ist die, daß sie die Wiedervereinigung Deutschlands auf friedlichem Wege unmöglich machen. Denn das sowjetische Sicherheitsbedürfnis ist der Angelpunkt für die Wiedervereinigung. Es wird entscheidend sein, ob wir bereit sind, dem russischen Sicherheitsbedürfnis dadurch entgegenzukommen, daß wir darauf verzichten, uns militärisch in den Westen einzugliedern. Das ist das, was man als den Preis für eine Wiedervereinigung bezeichnet.
Wenn demgegenüber gesagt wird, daß die Wiedervereinigung unser gutes Recht sei und die Russen sich ihm aus Rechtsgründen fügen müßten, so ist das sicherlich richtig. Tatsache ist aber auch, daß Rußland durch das Potsdamer Abkommen Mitteldeutschland mit 20 Millionen Deutschen als Faustpfand hat, und es scheint mir eine der gefährlichsten Illusionen des Herrn Bundeskanzlers zu sein, zu glauben, die Russen würden dieses Faustpfand ohne Preis hergeben,
um dieses wiedervereinigte Deutschland dann insgesamt dem Aufrüstungsblock des Westens eingegliedert zu sehen. Will man diesen politischen Preis
für die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands
nicht durch Verzicht auf die Verträge zahlen, wird
man eines Tages den militärischen Preis zahlen
müssen mit dem ganzen Risiko eines Krieges und
seinen unübersehbaren Folgen für das ganze Volk.
Im Gegensatz zur amerikanischen Politik sollte unser Ziel darauf gerichtet sein, die diplomatische Auseinandersetzung mit der Sowjetunion nicht aufzuschieben, bis Westeuropa aufgerüstet ist. Hier könnte sich nämlich die Tatsache der versäumten Gelegenheiten, wie sie sich in der bisherigen Behandlung der russischen Noten zeigt, einmal sehr gefährlich für uns auswirken. Denn die Aufrüstung Westeuropas wird durch zwei Umstände belastet und gehemmt: einmal durch den deutsch-französischen Gegensatz, andererseits durch die Tatsache, daß die europäischen Völker ihre relativ hohe Lebenshaltung nicht gefährden wollen, während Rußland in der Lage ist, unter Beibehaltung seiner niederen Lebenshaltung, ja selbst bei Senkung derselben seine vollen Kräfte in den Dienst der Aufrüstung zu stellen.
Aus den Verlautbarungen der NATO geht hervor, daß die westeuropäischen Mitglieder nicht in der Lage sind, die Planziffern für 1952 gemäß dem Lissabonner Abkommen zu erfüllen. Wenn sich schon bei den ersten Ansätzen zur Erfüllung der Rüstungsaufgaben derartige Schwächen zeigen, so dürfte eine Ausführung des vollen Planes weder durch eigene Anstrengungen noch durch die Hilfe der USA mit Sicherheit zu erwarten sein.
Gegenüber dieser Situation Westeuropas — von dem wir bezweifeln müssen, ob es überhaupt in der Lage sein wird, in einem Wettrüsten mit Rußland alle seine Kräfte einzuspannen —, die uns Deutsche in eine besonders gefährliche Situation bringen würde, gilt es doch einmal zu prüfen, ob denn keine andere und weniger gefährliche Lösung möglich ist. Sie könnte darin liegen, daß die an Deutschland interessierten Länder in Übereinstimmung ihrer eigenen Interessen mit denen Deutschlands zu der Lösung kommen, daß sich zwischen den beiden Mächteblöcken eine Mitte bildet, die entweder nur Deutschland umfaßt — dessen Sicherheit von allen vier Mächten garantiert wird — oder ein neutrales Mitteleuropa. Würde zudem Deutschland nach den Vorschlägen der Westmächte und Rußlands noch Mitglied der Vereinten Nationen werden, genösse es deren Schutz und wäre auch ohne Eingliederung in einen der Machtblöcke gegen einen Angriff ebenso gesichert wie die übrigen Mitgliedsstaaten der UN.
Die Ausklammerung Deutschlands aus dem östlichen wie aus dem westlichen Militärblock würde auch das Sicherheitsgefühl Frankreichs befriedigen. Die ablehnende Haltung des überwiegenden Teils des französischen Volkes zu den Verträgen beruht doch auf dem Angstgefühl, daß das durch den indochinesischen Krieg in seiner wirtschaftlichen und militärischen Kraft geschwächte Frankreich auch in seiner politischen Funktion in Europa Deutschland gegenüber in den Hintergrund gedrängt wird. Solange diese Vorstellung bei den Franzosen vorherrschend ist, wird es nicht zu einer Entspannung des deutsch-französischen Verhältnisses kommen,
die auch eine im deutschen Interesse mögliche Lösung des Saarproblems ermöglicht. Erst recht wird Frankreich nicht bereit sein, ohne die Befriedigung seines Sicherheitsbedürfnisses in eine Wiedervereinigung Deutschlands einzuwilligen, wodurch es an seiner Ostgrenze einen Staat bekäme, der um 20 Millionen Menschen stärker wäre als bisher.
Es scheint mir auch notwendig zu sein, eine klarere Vorstellung von den Grundlagen unserer Europapolitik zu haben, als sie aus der Rede des Herrn Bundeskanzlers erkennbar war.
Die übernationale Zusammenarbeit mit allen europäischen Staaten ist die Grundlage. Aber wer Europa schaffen will, muß dafür eine umfassendere europäische Lösung im Gegensatz zu der in der EVG vorgesehenen kleineuropäischen Lösung haben. Nur diese wird die Chance geben, die gescheiterte Politik der Bundesregierung im Hinblick auf das deutsch-französische Spannungsverhältnis
von einer positiveren Grundlage aus neu zu beginnen. Das Ziel unserer Europapolitik muß ein Europa als selbständige dritte Kraft zwischen den beiden Mächten, der USA und der Sowjetunion, sein. Nur ein politisch starkes und unabhängiges Europa kann durch seine aktive Entspannungspolitik dem Frieden dienen. Es kann nicht Brückenkopf für eine der beiden Weltmächte sein. Nur ein unabhängiges Europa hat auch Aussicht auf die Mitarbeit Osteuropas, und nur von dieser Perspektive aus wird es überhaupt möglich sein, die Fragen der östlichen Grenzen, auch die Fragen der Oder-Neiße-Linie in positivem Sinne für Deutschland zu lösen.
Ich wende mich deshalb gegen die Europapolitik der Bundesregierung, weil sie nicht dieses vereinigte Europa schaffen kann, das wir alle in diesem Hohen Hause von ganzem Herzen wünschen, weil die Annahme der EVG-Verträge die vertiefte und verhärtete Spaltung Europas bedeutet.
Darum gilt es doch für uns Deutsche, klar zu erkennen, wohin diese Verträge führen. Im gegen- wärtigen Stadium der latenten internationalen
Lage werden die Verträge eine Verschärfung der Gegensätze zwischen Ost und West herbeiführen, die Weltaufrüstung beschleunigen, die bekanntlich nicht zum Frieden, sondern zum Krieg führt. Das ist der Grund für meine Ablehnung der beiden Verträge,
Und das, möchte ich zum Schluß dem Herrn von Rechenberg gegenüber sagen, ist auch das Ziel der Gesamtdeutschen Volkspartei, die Sie freundlicherweise gestern hier erwähnten.
Wer das Morgenthau-Politik nennt, hat wenig begriffen, um was es in der deutschen Politik heute geht. Und das soll es ja auch unter Politikern geben.