Rede von
Dr.
Franz Josef
Strauß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Brandt hat Ihnen gestern als dritter Generalberichterstatter die politische Wertung des Vertrags über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vorgetragen. Der Bundestag hat im Juli einen besonderen Ausschuß zur Mitberatung des EVG-Vertrags und der damit zusammenhängenden Abmachungen eingesetzt. Die Aufgabe dieses besonderen Ausschusses bestand darin, vor allen Dingen die militärpolitische und die militärtechnische Seite des EVG-Vertrags zu untersuchen und die Ergebnisse in einem Bericht vorzulegen, in den sich als Berichterstatter die Kollegen Erler und Jaeger mit mir teilen. Der erste Teil dieses Berichts des EVG-Ausschusses umfaßt eine Darstellung der politischen und militärischen Bestimmungen des EVG-Vertrages und deren Auswirkungen.
Der Ausschuß zur Mitberatung des EVG-Vertrages, der diesen Vertrag in insgesamt 18 Sitzungen untersucht hat, ist in technischen und militärischen Fragen weitgehend zu gemeinsamen Feststellungen gekommen. Bei der politischen Wertung einzelner wesentlicher Bestimmungen ist er naturgemäß zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt, ohne daß ein eigener Mehrheits- und ein eigener Minderheitsbericht vorgelegt zu werden brauchen.
Die bei der politischen Wertung sich ergebenden unterschiedlichen Auffassungen in einzelnen Punkten sind jeweils innerhalb des gemeinsamen Berichts als Mehrheitsauffassung bzw. als Minderheitsauffassung besonders hervorgehoben worden. Der Ausschuß kann wohl übereinstimmend feststellen, daß ohne Rücksicht auf die politische Grundeinstellung zu diesem Vertrag und auf die abschließende Entscheidung der einzelnen Fraktionen in gemeinsamem Verantwortungsbewußtsein und in gemeinsamer Überzeugung von der Tragweite dieses Vertrags eine sachliche, objektive Prüfung vorgenommen wurde und zu wertvollen Ergebnissen führte. Insbesondere sind wertvolle Anhaltspunkte und Handhaben für die. Anwendung dieses Vertrages gewonnen worden, Anhaltspunkte und Handhaben, die, wenn der Vertrag angenommen werden sollte, der Regierung und ihrer Delegation für die weitere Behandlung dieser Materie Richtlinien und wertvolle Hinweise geben werden. Insbesondere ist es dem Ausschuß wohl ohne Zweifel gelungen, eine Klärung und Interpretation derjenigen Textstellen herbeizuführen, die in ihrer ursprünglichen Fassung zu Zweifeln Anlaß gegeben haben.
Es ist nicht meine Absicht, den umfangreichen Bericht, der mir zugefallen ist, so, wie er im gedruckten Wortlaut*) vor Ihnen liegt, nun im einzelnen zu verlesen. Ich beschränke mich darauf, die wesentlichen Beratungsgegenstände des Ausschusses in Stichworten vor Ihnen darzulegen.
Der Ausschuß konnte nicht darauf verzichten, trotz der Generalberichterstattung eine allgemeine
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11262A
politische Einführung in die Vorgeschichte des Vertrags und in die Hintergründe und Zusammenhänge, warum es zu diesem Vertrag überhaupt gekommen ist, zu geben. Der Ausschuß hat sich sehr eingehend mit den Organen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft befaßt und dabei insbesondere die gleiche oder analoge Struktur und Aufgabe dieser Organe im Vergleich mit den Organen der Montan-Union herausgearbeitet. Der Ausschuß hat es sich sehr angelegen sein lassen, ein klares Bild über die Stellung der Versammlung innerhalb der Organe der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu gewinnen. Der Ausschuß hat insgesamt das nach seiner Ansicht zu geringe Maß der Aufgaben und Rechte dieser Versammlung bedauert und hat seiner Erwartung Ausdruck verliehen, daß durch die Schaffung einer späteren politischen Autorität so, wie die Regierung es angekündigt hat, die Versammlung im Sinne echter parlamentarischer Befugnisse ausgestattet wird, die sie nach dem Vertragstext nicht hat. Der Ausschuß hat sich mit der Stellung des Ministerrats, mit dem Aufgabenbereich des Kommissariats und mit den Zuständigkeiten des Gerichtshofs eingehend befaßt.
An wesentlichen politischen Bestimmungen hat der Ausschuß die Frage der Vertragsdauer und der Auswirkungen dieser Vertragsdauer auf die besonderen Probleme der deutschen Situation beraten, hat allerdings die Wertung dieser Frage dann naturgemäß dem Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen überlassen.
Ein ernstes Anliegen war dem Ausschuß die Prüfung der Frage, wieweit die Bundesrepublik von sich behaupten darf, an diesem Vertrage gleichberechtigt beteiligt zu sein. Im Rahmen dieser Frage hat sich zwangsläufig eine ausführliche Aussprache und eine eingehende Beratung über die Zusammenhänge zwischen EVG und AtlantikpaktOrganisation ergeben, bei der eine Mehrheits- und eine Minderheitsauffassung mit verschiedenen Resultaten zutage trat.
Eine wesentliche Rolle zur Klärung der internationalen Stellung und Bedeutung dieses Vertragswerks hat auch die Frage der gegenseitigen Beistandsverpflichtung, der engeren Beistandsverpflichtung zwischen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und dem Vereinigten Königreich,' also Großbritannien, gespielt. Besonders wurde ferner die Frage behandelt, inwieweit ein Zusammenhang bestehen könnte zwischen der Notstandsklausel des Deutschland-Vertrags und der Notstandsklausel, wie sie im EVG-Vertrag vorgesehen ist.
An militärischen Bestimmungen im engeren Sinne hat der Ausschuß eingehender behandelt einmal die sowohl militärisch wie politisch außerordentlich interessante und weitreichende Frage der Integration der militärischen Verbände, der politischen und militärischen Zweckmäßigkeit der einzelnen möglichen Integrationsstufen und vor allen Dingen die Richtigkeit und Zweckmäßigkeit der hier getroffenen Lösung.
Der Ausschuß hat sich dann auch sehr eingehend mit der Unterscheidung zwischen den EVG-Streitkräften und den national reservierten Streitkräften befaßt, die einzelne Staaten für besondere Aufgaben unterhalten können. Der Ausschuß ist weiterhin — wenn auch natürlich nur im Rahmen der durch diesen Vertrag gezogenen Grenzen — auf die Frage der Wehrpflicht, auf die Frage der Rekrutierung und der Zuständigkeit zur Rekrutierung und auf die Frage der Dienstzeit eingegangen.
Eingehend ist das Problem der Stationierung und des Einsatzes der Streitkräfte untersucht worden, im Bewußtsein der Tatsache, daß diese Frage in der deutschen Öffentlichkeit ein besonders großes Augenmerk findet. Es wurde genau geprüft, nach welchen Zuständigkeiten deutsche Truppen im Friedensfall und in welchen Gebieten sie stationiert werden dürfen und wer für die Verteilung der Truppen innerhalb des Vertragsgebiets zuständig ist. Es wurde festgestellt, daß eine einstimmige Zustimmung des Ministerrats, in diesem Falle also auch die Zustimmung Deutschlands, notwendig wäre, um deutsche Kontingente außerhalb des EVG-Gebiets zu verlegen. Es wurde eingehend geprüft, ob nach dem geltenden deutschen Verfassungsrecht — wobei naturgemäß Mehrheitsauffassung und Minderheitsauffassung einander schroff gegenüberstanden — Truppen auch außerhalb des im Atlantikpakt bezeichneten Gebiets ohne parlamentarische Zustimmung stationiert werden dürfen. Hierfür ist nach dem Vertrag die Zustimmung der nationalen Parlamente vorgesehen, wo die Verfassungen der einzelnen Staaten es vorschreiben.
Es wurde auch die Abgrenzung der Zuständigkeiten für die Mobilmachungsmaßnahmen, ihre Auslösung und ihre Durchführung besprochen.
Weiter wurden in diesem Zusammenhang die Aufgaben und Befugnisse, die Stellung und die Natur der militärischen Zentralorgane erörtert, die durch das Kommissariat einzurichten sind. Besonders geprüft wurde hierbei die Frage der militärischen Territorialorganisation, wie sie in jedem Lande errichtet wird, und die Stellung des Bevollmächtigten in dieser Territorialorganisation. Diese Frage ist für uns in Deutschland deshalb von besonders großer Bedeutung, weil bei uns erst ein Apparat geschaffen werden muß, während die übrigen Vertragsstaaten bereits über einen solchen Apparat verfügen. Es ist naturgemäß notwendig, daß diese Territorialorganisation und der Bevollmächtigte in Deutschland für eine bestimmte Zeit eine gewisse Handlungsfreiheit haben, in der sie sowohl dem Kommissariat wie dem nationalen Verteidigungsministerium unterstehen, um der Parität zwischen dem Stand der Entwicklung in den übrigen Vertragsstaaten und dem angestrebten Stand der Entwicklung in Deutschland zu entsprechen.
Es wurden im einzelnen noch solche Fragen besprochen wie die Soldatenkategorien, die zwei Möglichkeiten bei der Verleihung der Dienstgrade, die vorgesehenen Regelungen über die Ergänzung des Offizierskorps und auch der Aufbau und die Gestaltung der Lehrpläne der Schulen.
Eine wesentliche Rolle hat bei den Beratungen die Ergänzung gewisser militärischer Rahmenbestimmungen gespielt. Darunter fiel insbesondere die Frage einer gemeinsamen europäischen Disziplinarordnung und eines gemeinsamen europäischen Militärstrafgesetzbuchs. Wie sich aus dem Vertragstext und aus den Beratungen ergibt, wird eine europäische Lösung angestrebt, wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten aber wahrscheinlich eine nationale Übergangslösung nicht zu vermeiden sein. In jedem Falle bedürfen aber diese Lösungen der Ratifizierung durch das nationale Parlament. Auch die Fragen der Besoldung und Versorgung haben in unseren Beratungen eine Rolle gespielt.
Der Ausschuß hat sich eingehend auch der arbeitsrechtlichen Verhältnisse der Wehrpflichtigen angenommen, um hier von vornherein bestimmte, im Interesse der Wehrpflichtigen notwendige
Wünsche für eine zukünftige gesetzliche Regelung gegenüber der Regierung zu äußern.
Der Ausschuß hat davon Kenntnis genommen, daß nicht mehr an einen Soldateneid in der früheren Form gedacht wird, sondern nur mehr an eine feierliche Verpflichtung.
Eingehend diskutiert wurde vom Ausschuß das Problem des militärischen Gehorsams, die Problematik dieser ganzen Frage, die Grenzen des militärischen Gehorsams auf der einen Seite und die Notwendigkeiten der militärischen Disziplin, der militärischen Unterordnung auf der anderen Seite. Es liegt auf der Hand, daß hierbei naturgemäß die in Deutschland gemachten Erfahrungen eine besondere Rolle gespielt haben, die zu großer Vorsicht Anlaß geben. Sehr interessiert hat sich der Ausschuß für die Frage der Beschränkung der militärischen Formen auf das dienstlich notwendige Maß. Er hat sich in diesem Zusammenhang auch bereits anläßlich des Vertrags mit der Frage des sogenannten inneren Gefüges befaßt. Der Ausschuß hat auch einstimmig seinen Wunsch ausgesprochen, daß den zukünftigen EVG-Soldaten eine Teilnahme am politischen Leben in einer großzügigeren und besseren Form, als es früher üblich war, ermöglicht werden sollte, wenn hier auch naturgemäß durch die Art des militärischen Dienstes bestimmte Grenzen entstehen. Der Ausschuß hat dann auch solche Spezialfragen wie das Koalitionsrecht der Berufssoldaten und die Stellung der zukünftigen Verwaltungsbeamten sowie der zukünftigen Ärzte innerhalb der Truppe oder der Ärzte, die zur Behandlung der Truppe verwendet werden, geprüft.
Der Ausschuß hat somit, ohne in eine eingehende politische Wertung des Vertragswerkes, die naturgemäß bei wesentlichen Bestimmungen nicht zu umgehen war, einzutreten, sich insbesondere bemüht, den Vertragstext so klar zu durchleuchten, daß er in Zukunft in der Anwendung keine besonderen Schwierigkeiten mehr bieten soll. Er hat sich auch bemüht, in einer sehr objektiven, gemeinsam und verantwortungsbewußt geleisteten Arbeit sachliche Unklarheiten zu klären. Der Ausschuß glaubt, damit für die Interpretation des Vertragswerkes und für seine parlamentarische Behandlung einen Beitrag geleistet zu haben.