Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Rechtsausschuß hat sich in zahlreichen Sitzungen mit dem Problem der Verfassungsmäßigkeit des Vertragswerks befaßt und hat beschlossen, ein Mehrheits-
und Minderheitsgutachten abzugeben, weil gerade diese Rechtsfragen am besten im Zusammenhang dargestellt werden und weil die Mehrheit und die Minderheit Gelegenheit haben sollten, ihren Rechtsstandpunkt zusammenhängend darzustellen. Am Schluß meines Berichtes werde ich noch auf die letzte Sitzung eingehen müssen, die der Rechtsausschuß abgehalten hat. Zunächst möchte ich aber das vortragen, was im wesentlichen in meinem Schriftlichen Bericht*) niedergelegt ist.
Wer das Grundgesetz unbefangen liest, kann nicht zu dem Ergebnis kommen, daß es einen deutschen Wehrbeitrag von der Art des im Vertragswerk vorgesehenen ausgeschlossen hat. Zwar ist nirgends die Wehrpflicht. direkt ausgeschlossen oder das traditionelle Rechtsgut einer Wehrverfassung ausdrücklich aufgenommen; aber die Erschwerungen, die für jede Art von militärischer Vorbereitung und Betätigung im Grundgesetz enthalten sind, zeigen, daß der Parlamentarische Rat als Grundgesetzgeber die Möglichkeit einer deutschen Wehrbetätigung ins Auge gefaßt hat,
und zwingen im Zusammenhang mit dem Inhalt der Beratungen zu der Annahme, daß, wenn diese grundgesetzlichen Schranken beachtet werden, mindestens in einem internationalen Rahmen eine deutsche Wehrbetätigung zugelassen worden ist. Es ist nach den im Ausschuß abgegebenen Erklärungen des Vorsitzenden des Zuständigkeitsausschusses im Parlamentarischen Rat, des Abgeordneten Justizrat Wagner, sicherlich richtig, wenn man annimmt, daß eine Reihe von Mitgliedern des Parlamentarischen Rats den Antrag Strauß, in Art. 73 die Bundeszuständigkeit nicht nur für die auswärtigen Angelegenheiten, sondern auch für den Schutz des Bundes nach außen zu normieren, deshalb abgelehnt haben, weil sie den neuen Staat nicht mit dem Vorwurf belasten wollten, daß der deutsche Militarismus wiederaufleben sollte; aber die Begründungen, die damals angeführt wurden, zeigen, daß die Besorgnisse die Wiedererstehung einer deutschen Reichswehr betrafen. Die im Parlamentarischen Rat gefallene Äußerung: „Die Zeit der Nationalarmeen ist vorbei" beweist dies genügend, zumal der Parlamentarische Rat den Antrag des Kommunisten Renner gegen dessen Stimme abgelehnt hat, im Art. 24 Abs. 2 klarzustellen, daß das kollektive Sicherheitssystem, dem die Bundesrepublik durch einfaches Gesetz beitreten kann, keine militärischen Hilfeleistungen von der Bundesrepublik oder ihren Angehörigen fordern könne.
Die Bedenken gegen einen deutschen Beitrag zu einer internationalen Verteidigungsanstrengung waren offenbar geringer. Es kommt im modernen Rechtsleben häufig vor, daß im nationalen Bereich Beschränkungen bestehen, die im internationalen Bereich entfallen. Das internationale Element verändert einen rechtlichen Tatbestand häufig so, daß seine Beurteilung nicht einfach nach den normalen Maßstäben für einen rein nationalen Sachverhalt vorgenommen werden kann. Das ist auch im vorliegenden Falle so. Wenn jetzt die Minderheit des Rechtsausschusses geltend macht, der Antrag Ren-
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11196
ner sei deswegen der Ablehnung verfallen, weil es sich um einen kommunistischen Antrag handelte, so ist dieses Argument nicht stichhaltig. Zwar ging dem Antrag Renner eine sachliche Debatte nicht voraus, aber, wie zahlreiche Präzedenzfälle beweisen, hätte die sozialdemokratische Fraktion nach Ablehnung des Antrags Renner einen Antrag gleichen oder ähnlichen Inhalts stellen können. Dies ist nicht geschehen.
Wenn man die Formulierungen des Grundgesetzes im einzelnen ansieht, so ist nirgends das Verteidigungsrecht expressis verbis in Anspruch genommen, weil man eine den Wehrwillen direkt ausdrückende Formulierung für inopportun hielt. Aber wenn es in Art. 26 heißt: Die Vorbereitung eines Angriffskrieges ist verfassungswidrig, so ist damit die Vorbereitung eines Verteidigungskrieges verfassungsmäßig. Die ursprünglich in den Entwürfen vorgesehene Bestimmung, daß die Vorbereitung jedes Krieges verfassungswidrig sei, ist bewußt eingeschränkt worden.
Genau so liegt es bei Art. 4 Abs. 3, nach dem niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden kann, wobei die Einzelheiten der Regelung einem einfachen Bundesgesetz überlassen bleiben. Auch hier ist in der Formulierung, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, allein das Negative ausgesprochen, nämlich, wer keinen Dienst mit der Waffe zu leisten braucht. Aber der Satz besagt, daß jeder auch gegen seinen Willen zum Dienst ohne Waffe, z. B. zum Sanitätsdienst gezwungen werden kann, und daß derjenige, der sich aus dem Dienst mit der Waffe kein Gewissen macht, zum Dienst mit der Waffe gezwungen werden kann. Der grundrechtliche Schutz des einzelnen gegen die Heranziehung zum Waffen dienst ist also auf die Fälle der Gewissensnot eingeschränkt.
Die Minderheit steht auf dem Standpunkt, daß diese Vorschrift im Zusammenhang mit dem Schutz der Religion und der Weltanschauungen lediglich ein zusätzliches Militärdienstverweigerungsrecht schaffe, ohne die Frage, ob überhaupt eine Wehrpflicht bestehe, zu präjudizieren. Da deren Einführung ihrerseits nach Auffassung der Minderheit einer Zweidrittelmehrheit bedarf, ist also dieses Grundrecht gegenstandslos, wenn die qualifizierte Mehrheit, die die Wehrpflicht wieder einführt, die Waffendienstverweigerung aus Gewissensgründen für unangemessen hält. Es läge also hier ein Grundrecht vor, dem die typische Funktion, den Gesetzgeber zu binden, überhaupt abginge, und ich glaube nicht, daß man dem Parlamentarischen Rat die Absicht einer reinen Deklamation unterstellen darf. Ganz anders, wenn durch Art. 4 Abs. 3 die Zulassung der allgemeinen Wehrpflicht impliziert ist. Dann handelt es sich um ein echtes Grundrecht, das das Ermessen des Gesetzgebers einschränkt, und schon deshalb erscheinen die von der Mehrheit aus Art. 4 per argumentum e contrario gezogenen Schlußfolgerungen unausweichlich.
Auch für die Herstellung Und den Vertrieb von Waffen ist im Grundgesetz nur das erschwerende Erfordernis der besonderen Genehmigung der Bundesregierung herausgestellt. Aber damit ist zugleich unzweifelhaft die Verfassungsnorm anerkannt, daß trotz des damals geltenden alliierten Verbots der Waffenherstellung nach deutschem Recht, wenn auch mit Erschwerungen, die Kriegswaffenherstellung zulässig ist.
Dr. Wahl)
Von der Gegenseite ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß das im Völkerrecht viel berufene Recht des Staates zur Selbstverteidigung es nicht ausschließt, daß ein Staat durch sein Grundgesetz sich zum absoluten Pazifismus bekennt. Aber wenn dies nicht der Fall ist — und die herangezogenen Bestimmungen des Grundgesetzes lassen eine andere Auslegung nicht zu —, dann kann sich nur noch die Frage erheben, ob die Durchführung der militärischen Organisation durch gewöhnliches Bundesgesetz daran scheitert, daß gewisse militärische Angelegenheiten nicht durch einfaches Gesetz, sondern nur durch verfassungsänderndes Gesetz geregelt werden können. Es fragt sich also, ob die Durchführung des vorliegenden Vertragswerks die Regelung von Fragen erfordert, die nach allgemeiner oder jedenfalls nach kontinentaler Rechtstradition Verfassungsrang haben. Das wäre eher der Fall, wenn der Oberbefehl bei den Deutschen stünde; denn die Weimarer Verfassung hat den Oberbefehl ausdrücklich geregelt und ihn dem Reichspräsidenten übertragen.
Durch den EVG-Vertrag liegt aber der Oberbefehl überhaupt nicht bei einem Verfassungsorgan der deutschen Bundesrepublik, sondern bei internationalen Organen, deren Betrauung nicht Aufgabe des Grundgesetzes sein konnte und kann. Die den deutschen Verteidigungsbehörden übertragenen Befugnisse sind nicht von der Art, daß sie nur im Grundgesetz normiert werden könnten. Das gilt sowohl für das Ernennungsrecht der Offiziere bis zum Obersten als auch für die Rekrutierungsbefugnisse, die den deutschen Instanzen zustehen. Der Rechtsausschuß steht nicht auf dem Standpunkt, daß diese deutschen Befugnisse lediglich auf einer Rückdelegation seitens der Hohen Behörde beruhen — das ist höchstens im technischen Sinne der Fall —, sondern daß es sich hier der Substanz nach um Ausflüsse der deutschen Wehrhoheit handelt, die durch einfaches Bundesgesetz in Anspruch genommen werden können.