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ID0124106500

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    Deutscher Bundestag — 241. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Dezember 1952 11301 241. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 4. Dezember 1952. Geschäftliche Mitteilungen 11303A Mitteilung des Präsidenten über die Erledigung der Entschließung der Fraktion der SPD zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (Umdruck Nr. 118) 11303B Fortsetzung der zweiten und dritte Beratung der Entwürfe eines Gesetzes betr. den Vertrag vom 26. Mai 1952 über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten mit Zusatzverträgen, eines Gesetzes betr. das Abkommen vom 26. Mai 1952 über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder (Nm. 3500, zu 3500, Nachgang zu 3500 der Drucksachen, Umdruck Nr. 699 [neu]), eines Gesetzes betr. das Protokoll vom 26. Juli 1952 über die Erstreckung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts auf Streitigkeiten aus dem am 26. Mai 1952 in Bonn unterzeichneten Abkommen über die steuerliche -Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder (Nr. 3700 der Drucksachen), eines Gesetzes betr. den Vertrag vom 27. Mai 1952 über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und betr. den Vertrag vom 27. Mai 1952 zwischen dem Vereinigten Königreich und den Mitgliedstaaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, eines Gesetzes betr. das Abkommen vom 27. Mai 1952 über die Rechtsstellung der Europäischen Verteidigungsstreitkräfte und über das Zoll- und Steuerwesen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (Nm. 3501, zu 3501 der Drucksachen); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) (Nr. 3900, zu 3900 der Drucksachen, Umdrucke Nm. 713 bis 718, 720 bis 723) in Verbindung mit der Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Generalvertrag und Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (Nrn. 3398, 3363 der Drucksachen) sowie mit der Fortsetzung der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Generalvertrag und Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (Nr. 3392 der Drucksachen) 11303B Fortsetzung der Berichterstattung der Ausschüsse: Die verfassungsrechtliche, rechtspolitische und rechtliche Bedeutung der Vertragswerke: Berichte des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur Frage der Vereinbarung der Vertragswerke mit dem Grundgesetz: Dr. Wahl (CDU): als Berichterstatter 11304A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11196B Dr. Arndt (SPD): als Berichterstatter 11307A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11201D, 11211C Die wirtschaftliche, finanz- und steuertechnische Bedeutung der Vertragswerke: Dr. Freiherr von Rechenberg (FDP) (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11215A Dr. Fricke (DP): als Berichterstatter 11309D Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11216A Stegner (FDP) (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) . . . . 11218C Dr. Kreyssig (SPD) : als Berichterstatter 11310C Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11224D Erler (SPD): als Berichterstatter 11315A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11227B Dr. Kneipp (FDP): als Berichterstatter 11316A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11228D, 11298 Dr. Gülich (SPD): als Berichterstatter 11316D Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11231C Dr. Wellhausen (FDP): als Berichterstatter 11321C Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11246D Dr. Hasemann (FDP): als Berichterstatter 11323B Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11249B Bausch (CDU): als Berichterstatter . . . 11323A, 11324D Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11250C Schoettle (SPD): als Berichterstatter 11325D Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11256C Die Vertragswerke im Hinblick auf Truppen-Stationierung und Verteidigung Deutschlands, Berichte des Ausschusses zur Mitberatung des EVGVertrages und der damit zusammenhängenden Abmachungen: Bericht über die politischen und militärischen Bestimmungen des EVGVertrages und ihre Auswirkungen: Strauß (CSU): als Berichterstatter 11328A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11262A Bericht über die wirtschaftlichen, finanziellen und haushaltsmäßigen Bestimmungen des EVG-Vertrages und ihre Auswirkungen: Erler (SPD): als Berichterstatter 11329D Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11270B Bericht über die rechtsprechende Gewalt im Rahmen des EVG-Vertrages: Dr. Jaeger (Bayern) (CSU): als Berichterstatter 11333A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11276B Zusätzliche Berichte des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zu bestimmten Teilen der Vertragswerke: Zusätzlicher Bericht über die mit der Stationierung fremder Truppen zusammenhängenden Rechtsfragen: Dr. Wahl (CDU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11285A Zusätzlicher Bericht zu Teil I des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen: Dr. Wahl (CDU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11286C Dr. von Merkatz (DP), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11288D Zusätzlicher Bericht zu Teil VII des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen: Dr. Reismann (FU): als Berichterstatter 11334A Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11289C Zusätzlicher Bericht zu Teil XI des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen: Dr. Vogel (CDU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11290C Zusätzliche Berichte anderer Ausschüsse zu bestimmten Teilen der Vertragswerke: Zusätzlicher Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen zu den Verkehrsbestimmungen der Vertragswerke: Rademacher (FDP), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11292A Zusätzlicher Bericht des Ausschusses für Post- und Fernmeldewesen zu den das Post- und Fernmeldewesen betreffenden Bestimmungen des EVG-Vertrages: Cramer (SPD): als Berichterstatter 11335B Schriftlicher Bericht (Anlage zur 240. Sitzung) 11293D Zusätzlicher Bericht des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films zu bestimmten Abschnitten des Vertrages über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen: Dr. Vogel (CDU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht: Anlage zur 240. Sitzung) 11295B Unterbrechung der Sitzung 11335D Fortsetzung der allgemeinen Aussprache: Reimann (KPD) 11336A von Thadden (Fraktionslos) . . . 11344B Dr. Bertram (Soest) (FU) 11346A Dr. Tillmanns (CDU) 11349D Dr. Besold (FU) 11354D Dr. Reismann (FU) 11357A Frau Wessel (Fraktionslos) . . . 11359D Euler (FDP) 11361B Dr. Arndt '(SPD) 11364B Kiesinger (CDU) 11369C Dr. Schneider (FDP) 11375C Weiterberatung vertagt . . . . . . 11378D Nächste Sitzung 11378D Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von August-Martin Euler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wundert mich nicht, daß die Moskauer Lautsprecher mich in der von ihnen schon hinreichend gewohnten Art begrüßen.

    (Erneute Zurufe von der KPD.)

    Aber daß es in diesem Hause außer den Kommunisten noch Abgeordnete gibt,

    (Abg. Rische: So, das ist allerhand!)

    die in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungsweise das sowjetische Sicherheitsbedürfnis statt unseres deutschen Sicherheitsbedürfnisses stellen, das ist allerdings sehr verwunderlich.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD und KPD.)

    Ich glaube, wir sollten uns weniger Sorgen darum
    machen, wo Väterchen Stalin seine Sicherheit findet.

    (Fortgesetzte Zurufe von der KPD.)

    Ihm braucht um seine Sicherheit nicht bange zu
    sein, nachdem er aus dem zweiten Weltkrieg mit
    einem Machtsystem hervorgegangen ist, das von
    Wladiwostok bis nach Eisenach reicht und das er
    in dieser Nachkriegszeit nicht nur mit friedlichen,
    sondern mit agressiven Mitteln der direkten und
    indirekten Kriegführung dauernd ausgeweitet hat.

    (Zuruf von der KPD: Woher weißt Du!)

    Unser Sicherheitsproblem ist ja daraus erwachsen, daß die sowjetische Politik fortgesetzt aggressiv gewesen ist,

    (Abg. Frau Strohbach: Das ist eine Lüge!)

    daß sie seit 1946 kein Jahr hat vergehen lassen, in dem sie nicht Angriffe gesetzt hat. Es waren ja nicht nur Angriffe außerhalb Deutschlands, sondern einer der schwersten und verbrecherischsten Angriffe fand auf Berlin mit der Hungerblockade gegen 21/2 Millionen deutsche Menschen

    (Zurufe von der KPD)

    mitten im Frieden statt!

    (Erneute Zurufe von der KPD.)

    Das wird von den Neutralisten geflissentlich vergessen, genau so wie es von denen vergessen wird, die heute davon sprechen, daß die hier zur Debatte stehenden Verträge die deutsche Einheit verhindern oder erschweren. Gestern sagte hier der sozialdemokratische Kollege Brandt, die Spaltung Deutschlands werde durch die Verträge versteinert, und eben wiederholte mit anderen Worten auch Frau Wessel, daß die deutsche Einheit durch die Verträge verhindert werde. Ja, wer das sagt, der setzt doch voraus, daß ohne den EVG-Vertrag und ohne die westliche Integrierung der Bundesrepublik die Sowjetunion jetzt schon zur Herstellung der deutschen Einheit in Freiheit bereit wäre, der deutschen Einheit, wie wir sie verstehen, wohlgemerkt, und nicht, wie Sie sie verstehen;

    (Lebhafte Zurufe von der KPD)

    denn wie Sie sie verstehen, das beweisen Sie ja seit 1945 in Mitteldeutschland.

    (Fortgesetzte Zurufe von der KPD.)

    Wir haben die erstaunliche Behauptung gehört, daß die Sowjets zu Verhandlungen mit dem Ziele der Herstellung der Freiheit in Gesamtdeutschland bereit seien; wir haben gehört, es habe bei ihnen ein diesbezüglicher Kurswechsel stattgefunden oder er bereite sich vor. All diese Behauptungen werden auch durch die letzte sowjetische Note widerlegt. Darin hat die Sowjetunion sehr nachdrücklich gerade die einzige materielle Erörterung abgelehnt, die der natürlichen Ordnung der Dinge entspräche: erst freie Wahlen, dann Bildung einer aus freien Wahlen in ganz Deutschland hervorgehenden Regierung und danach Friedensverhandlungen unter Teilnahme dieser aus wirklich freien Wahlen hervorgegangenen und dementsprechend demokratisch legitimierten deutschen Regierung. Die Note der Sowjets hat in nichts erkennen lassen, daß sie zu einer derartigen Gestaltung Deutschlands oder der Freiheit auch in Mitteldeutschland bereit wären.

    (Zurufe von der KPD. — Abg. Fisch: Sie meinen die Freiheit von Auschwitz?!)

    Dagegen haben sie gerade in den seit der ersten Lesung vergangenen Monaten wiederum Tatsachen geschaffen, die viel beredter als all ihre Noten darüber Auskunft geben, was sie in Wahrheit wollen. Die erste Tatsache ist nachdrücklich genug: der Stacheldraht quer durch Deutschland mit der Fünf-Kilometer-Zone des Schweigens. Die zweite


    (Euler)

    sehr wesentliche Tatsache: die Menge der von den Sowjets entlang der Zonengrenze ständig hervorgerufenen Grenzzwischenfälle, obwohl keinem Volkspolizisten unbekannt ist, wo die Zonengrenze verläuft, und deshalb Grenzzwischenfälle ausgeschlossen sein sollten, nachdem der Stacheldraht und die Zone des Schweigens geschaffen sind.
    Zum dritten: die gerade in den letzten Monaten mit aller Energie betriebene Sowjetisierung des gesamten wirtschaftlichen Lebens. Wir haben erlebt, daß die Landwirtschaft mit einer neuen Kollektivierungswelle überzogen wurde, die jetzt schon bis weit in den mittleren Besitz reicht. Es handelt sich um die Bestrebungen, Kolchosen zu bilden. In der gewerblichen Wirtschaft sehen wir die gleiche Tendenz. Immer mehr ausgesprochene Mittel-, ja schon Kleinbetriebe werden in die Verstaatlichung einbezogen. Wir kennen auch die Parolen von der Aktivierung des Sozialismus, mit denen nichts anderes als die völlige Sowjetisierung der ostzonalen Wirtschaft gemeint ist.
    Nun aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, schließlich die vierte wesentliche Tatsache: inzwischen sind die Bereitschaften nicht nur zu militärischen Verbänden umgegliedert, sondern unter das Kommando sowjetischer Offiziere gestellt worden. Diese werden Instruktionsoffiziere genannt; aber tatsächlich liegt die Entscheidungs- und Befehlsgewalt bei ihnen. Diese Offiziere befinden sich nicht nur bei Einheiten wie Divisionen und Regimentern,' sondern ihre Anwesenheit geht hinunter bis in die Bataillone und Kompanien. Zum Ausdruck dessen, daß es sich bei dieser Volkspolizei um eine deutsche Truppe unter sowjetischem Kommando handelt, ist sie auch in eine Uniform gesteckt worden, die der sowjetischen sehr viel mehr angenähert ist, als es die bisherige Uniform der Volkspolizei gewesen ist.

    (Abg. Dr. Mende: Hört! Hört!)

    Das sind die maßgebenden Tatsachen, die sich in den letzten Monaten in Deutschland vollzogen haben.
    Dazu kommen entscheidende Tatsachen, außerhalb Deutschlands, an denen man die Tendenz der sowjetischen Politik ablesen kann. Da haben wir einmal die Fortdauer der Verhandlungen über den staatsrechtlichen Status einer Nation, die auch einmal von den Sowjets als befreite Nation bezeichnet worden ist. Inzwischen ist man zu 260 Verhandlungen über den österreichischen Staatsvertrag gelangt, ohne daß es gelungen ist, den Sowjets das Zugeständnis abzuringen, wie denn nun die Freiheit dieser befreiten Nation aussehen soll.
    Die Waffenstillstandsverhandlungen in Korea werden seit anderthalb Jahren geführt, Sie sind offensichtlich nichts anderes als ein Mittel gewesen, um im Zeichen der Waffenstillstandsverhandlungen die kommunistische militärische Position in Nordkorea auszubauen. In Indochina haben wir eine verstärkte kommunistisch-sowjetische militärische Aktivität festzustellen.

    (Zurufe von der KPD.)

    Dazu die Wühlarbeit in Persien, im gesamten Vorderen Orient und in Afrika, — nun, meine verehrten Damen und Herren, diese Tatsachen sind entscheidender als Notenwechsel!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wer diese Tatsachen verschweigt oder als nicht existent behandelt, der treibt Propaganda für die Sowjets.

    (Rufe von der KPD: Mau-Mau!)

    In diesem Sinne treiben Propaganda für die Sowjets gerade die Männer und Frauen - mögen sie sich dessen auch nicht bewußt sein; aber tatsächlich ist es so: sie sind behilflich, Illusionen zu erzeugen —, die sich in der famosen Gesamtdeutschen Volkspartei zusammengefunden haben.

    (Abg. Kunze: Sehr richtig!)

    Diese Gesamtdeutsche Volkspartei mit ihrer Neutralisierungspolitik würde, wenn sie zum Zuge käme, nichts anderes bewirken, als daß Deutschland in die Lage Koreas gebracht würde

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien)

    und daß lediglich für uns in Zukunft das eine in Frage stünde: wann denn der Zeitpunkt eines sowjetischen Angriffs, eines sowjetischen Überfalles gekommen wäre.

    (Zurufe von der KPD.)

    Die Gesamteinstellung der Sowjets, die aus all diesen von mir angeführten Tatsachen erhellt, findet schließlich ihren Niederschlag in der These, die Stalin aus Anlaß des Kommunistischen Parteitages in Moskau wieder aus der Mottenkiste hervorgeholt hat: der These von der Selbstzerfleischung des kapitalistischen Westens. Wenn die Kommunistische Partei, wenn Stalin als Machthaber der Sowjetunion diese These von der Selbstzerfleischung des kapitalistischen Westens, auf die die Sowjetunion warten könne, wieder hervorholt, dann bedeutet das doch, daß, solange man an die Erfüllung dieser These glaubt, keinerlei Bereitschaft zur Preisgabe von Gebieten des sowjetischen Machtbereichs feststellbar ist.

    (Abg. Rische: Was sagen Sie zur Rede des Herrn Rechenberg? — Abg. Dr. Mende: Davon verstehen Sie ja nichts, Herr Rische!)

    Die Hoffnung auf die Erfüllung ihrer These muß den Sowjets genommen werden. Sie sehen sich erst dann zu einem Wechsel ihrer Politik veranlaßt.

    (Zurufe von der KPD.)

    Sie sehen sich erst dann veranlaßt, von einer Politik der allenthalben befolgten und ausgenutzten Aggressionen, einer Politik des Kalten Krieges, zu einer solchen der Friedenskonsolidierung überzugehen, wenn sie nicht mehr hoffen können, daß sich die Völker der, wie sie sagen, „kapitalistischen Welt" selbst zerfleischen werden, daß sie sich in neue Konflikte stürzen werden oder aber daß sie jedenfalls nicht fähig sein werden, einen Zustand permanenter Desorganisation zu überwinden.

    (Abg. Dr. Mende: Sehr richtig!)

    Ob wir den Sowjets diese Hoffnung nehmen, das hängt allein von uns Deutschen hier außerhalb des sowjetischen Machtbereiches ab. Es hängt gleichermaßen von den anderen europäischen Völkern und außerhalb Europas von den Völkern ab, die ebenfalls die Sache der Freiheit vertreten.

    (Abg. Dr. Schröder [Düsseldorf]: Sehr gut!)

    Unser Verhalten ist insofern entscheidend, als nur durch dieses Verhalten bewirkt werden kann, ob die Sowjets in Zukunft Deutschland als einen schwachen Punkt in der westlichen Front betrachten können.
    Unsere Aufgabe muß sein, an die Stelle eines jetzt noch obwaltenden Zustandes der Zerrüttung durch Desorganisation zwischen den verschiedenen freien Völkern zu einem Zustand der Organisation zum Zwecke der Konzentration zu kommen.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)



    (Eule!)

    Damit, daß wir eine dahingehende Politik einschlagen und verwirklichen wollen, wird der Ausgleich zwischen der westlichen und östlichen Welt nicht verhindert, sondern es wird überhaupt erst einmal die Voraussetzung dafür geschaffen,

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien) daß er eines Tages möglich ist.


    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist ja bisher deshalb nicht möglich, weil den Sowjets der Wille fehlt, der für einen Generalausgleich und damit für die Begründung einer langdauernden Friedenspolitik erforderlich wäre.

    (Zuruf der Abg. Frau Strohbach.)

    Dieser Generalausgleich, der eines Tages zu einer Neuabsteckung der Machtbereiche führen wird, ist aber gebunden an den sowjetischen Willen, auch das in Betracht zu ziehen, was die Sowjets heute noch nicht in Betracht ziehen, nämlich auf deutsche und andere europäische Gebiete zu verzichten, von denen sie wissen, daß sie zu 90, 95, ja 98 % von Menschen bewohnt sind, die nur eine Hoffnung und eine Sehnsucht haben: von der sowjetischen Herrschaft freizukommen.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Es ist seit dem Sommer dieses Jahres, soweit ich habe feststellen können, Sitte geworden, bei diesem Problem des — wie ich überzeugt bin — eines Tages eintretenden und zunächst einmal anzustrebenden Ausgleichs davon zu sprechen, daß wir für die Befreiung Mittel- und Ostdeutschlands einen Preis zu zahlen hätten. Ist es eigentlich Aufgabe deutscher Politiker, wenn man von den Kommunisten da drüben absieht, den Sowjets klarzumachen, daß sie einen Preis, und zwar einen möglichst hohen Preis dafür zu fordern hätten?

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. — Abg. Stücklen: Das ist Verrat! — Gegenrufe von der KPD.)

    Sie, meine Damen und Herren von der SPD, leisten der Sowjetunion einen Dienst, indem Sie bei jeder Gelegenheit darauf hinweisen, daß wir wohl einen Preis leisten müssen.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Große Unruhe bei der SPD. — Zuruf des Abg. Arnholz.)

    Für uns handelt es sich darum, und dieser Standpunkt sollte von allen Deutschen vertreten werden, daß ein Unrecht, das man uns zugefügt hat, aus der Welt geschafft werden muß. Daß dieses Unrecht nur eintreten konnte kraft eines Vertrags, den die westlichen Mächte mit den Sowjets geschlossen haben, das steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls sollte das für uns nicht das maßgebliche Moment bei der Betrachtungsweise sein. Im übrigen sollten alle diejenigen, die von dem Preis sprechen, das eine bedenken: Wer sagt denn, wie eines Tages die Verhältnisse in der Welt aussehen werden, welcher Art der Preis wäre, wo in der Welt er läge, ob überhaupt auf politischem oder nur auf wirtschaftlichem Gebiet, in wirtschaftlichen Kompensationen, die der Westen dem Osten leisten kann und die für den Osten eines Tages außerordentlich wertvoll sein könnten?
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, alle diese Argumente zeigen, daß der Weg zu einem Ausgleich, zu einer Bereitschaft der Sowjets zum langandauernden Frieden nur über die defensiven Regionalpakte der westlichen Welt
    im Rahmen der Vereinten Nationen führt; und defensive Regionalpakte dieser Art sind ja die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und die NATO.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Es ist nicht richtig, wenn Kollege Brandt sagt, die Bundesregierung wolle eine bündnisfreie Politik unmöglich machen. Tatsache ist, daß eine bündnisfreie Politik uns und den anderen europäischen Völkern nicht aus der Gefahr heraushilft, in der wir heute durch das Dasein und den Charakter des sowjetischen Systems schweben. Im übrigen sollte es j a wohl hier keine Meinungsverschiedenheit darüber geben, daß sich der defensive Charakter des europäischen Verteidigungsvertrags nicht nur daraus ergibt, daß der Verteidigungszweck vertraglich festgesetzt ist. Wir wissen, wie wenig das unter Umständen zu besagen braucht. Viel wesentlicher ist, daß die europäischen Völker von Friedensliebe durchdrungen sind und daß die europäischen Völker, da es sich durchweg um demokratisch organisierte Völker handelt, überhaupt nicht in der Lage sind, einen Angriffskrieg vorzubereiten und einzuleiten. Das weiß niemand besser als Stalin und das Heer seiner Berater. Niemand weiß besser als die sowjetischen Machthaber, daß moderne Demokratien mit ihrer enormen Gebundenheit an die öffentliche Meinung in Wahrheit unfähig sind, einen Angriffskrieg vorzubereiten. Das können nur diktatorische Systeme.

    (Sehr richtig! und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Geschichte der letzten dreißig Jahre hat eindeutig gezeigt — und das ist allerdings ein sehr bedenklicher Tatbestand, den sich auch unsere Opposition zu Gemüte führen sollte —, welchen Vorsprung im rein Faktisch-Machtmäßigen moderne diktatorische Systeme dadurch gewinnen können, daß der gesamte Rüstungs- und Kriegsapparat lediglich davon abhängig ist, daß wenige Machthaber den Hebei der Macht betätigen, während in den demokratischen Staaten eine ungeheure Fülle von Widerständen zu überwinden ist bei jeder Erörterung von Verteidigungsfragen, geschweige denn, daß es sich um Beschlußfassungen handelt.
    Der Weg über die Pakte, die EVG und die NATO, ist der einzige Weg, um die Sowjetunion einer echten Friedenspolitik zuzuführen, und das ergibt sich außer all den Gründen, die ich bereits angeführt habe, noch aus einem für uns besonders wichtigen Zusammenhang. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist nämlich ein weit stärkeres Mittel zur Förderung der politisch-wirtschaftlichen Einheit Europas als die Montanunion. Die Montanunion war bereits gedacht als ein Mittel zur Integrierung Europas, ein Mittel auf dem Wege zur Föderalisierung Europas. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft wird viel stärkere dynamische Kräfte auslösen, die in diese Richtung drängen. Für uns sind Verträge wie der Montanunion-Vertrag und der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft bei Gott keine Idealverträge. Es haften ihnen viele Mängel an. Aber diese Verträge haben das eine Gute: sie sind die einzigen Mittel, um mit der erforderlichen Geschwindigkeit zu einem Tatbestand zu kommen, der weit umfassender ist; zu dem Tatbestand, den wir alle heißen Herzens anstreben: dem Tatbestand der wirtschaftlichen und politischen Einheit Europas.

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)



    (Euler)

    Auch was den Umfang dieser Einheit anlangt, müssen wir damit vorliebnehmen, daß zunächst nur sechs Staaten an diesem Integrationsprozeß teilzunehmen bereit sind. Aber es sind immerhin Staaten mit 155 Millionen Menschen. Je erfolgreicher sich dieser Integrationsprozeß zeigt, je schneller er fortschreitet, je mehr er seine Produktivität im Materiellen und Verteidigungsmäßigen erweist, um so mehr dürfen wir gewiß sein, daß die wirtschaftliche und politische Einheit Europas dann auch einen größeren Kreis von Völkern und Staaten ergreift.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Für uns handelt es sich nicht um die Verträge als solche, sondern um die Verträge als Träger dynamischer Wirkungen, und diese Wirkungen weisen in die Richtung eines gesunden, auf der Basis der föderalistischen Prinzipien, der Gegenseitgikeit und Gleichberechtigung gegründeten Europas.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. Meine Damen und Herren! Sie haben an den zahlreichen Besuchen hier oben gemerkt, daß die Frage der Reihenfolge in der Rednerliste in zunehmendem Maße schwierig wird. Da leider noch nicht die Möglichkeit erfunden ist, mehrere Herren gleichzeitig reden zu lassen, jedenfalls hier oben, möchte ich Ihnen den Vorschlag machen, entsprechend der Planung, die wir uns vorgenommen hatten, jetzt zunächst einzutreten in den Komplex der verfassungsrechtlichen, rechtspolitischen und rechtlichen Bedeutung der Vertragswerke und im übrigen dann die Debatte in einer gewissen Gliederung morgen weiterzuführen. Ich habe die Hoffnung, daß dieses Problem heute im wesentlichen noch durchdiskutiert werden kann. Zunächst hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Arndt. — Herr Abgeordneter Dr. Arndt hat das Wort. Herr Abgeordneter Loritz, ich vermag dem Hause mitzuteilen, daß Sie mir wiederholt den Wunsch mitgeteilt haben, jetzt das Wort zu bekommen. Ich bedaure, daß ich von meinem Recht, die Reihenfolge der Redner festzusetzen, in diesem Falle Gebrauch machen muß. Bitte, Herr Abgeordneter Arndt. (Abg. Loritz: Das ist ein sehr schlechter Gebrauch! — Heiterkeit.)


Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

(Heiterkeit)


(Abg. Loritz: Zur Geschäftsordnung!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Adolf Arndt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Euler hat soeben ausgeführt, daß deutscherseits keine Veranlassung bestehe, der Sowjetunion einen Preis anzubieten. Mit dieser Auffassung ist er einer Meinung gefolgt, die von der Sozialdemokratie seit jeher vertreten wird. Wir haben immer die sogenannte Preisdiskussion für einen Unsinn erklärt, und das Wort „Preis" befindet sich auch in diesem Fall gar nicht in unserem Wörterbuch; es stammt ja sehr viel mehr aus der freien Marktwirtschaft.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Abg. Euler: Das hat Carlo Schmid hier gesagt, an Ihrer Stelle!)

    Ich verstehe dann aber auch nicht, warum man denn den Westmächten einen so hohen Preis bietet, und zwar sogar ohne dafür die volle Freiheit dem Westen gegenüber zu bekommen. Das werden wir gerade bei der verfassungsrechtlichen Diskussion sehen.
    25 Monate sind verstrichen, seit dieser Bundestag das erste Mal erörterte, ob wir über die sachliche Verteidigungslast hinaus, über die bei den Demokraten dieses Hauses im Grundsatz Einigkeit herrscht, auch einen bewaffneten Beitrag durch Soldaten leisten können. Damals, am 8. Oktober 1950, hat Dr. Kurt Schumacher für uns dargelegt, daß zuvor erst bestimmte Voraussetzungen tatsächlich verwirklicht sein müßten, um uns im gesamtdeutschen Interesse diesen bewaffneten Beitrag zu ermöglichen. Eine überparteiliche Außenpolitik und eine von allen demokratischen Kräften gemeinsam getragene Wiedervereinigungspolitik wären bei einer Verständigung über jene Grundlagen, wie Dr. Kurt Schumacher sie hier aufgezeigt hat, möglich gewesen. Sie waren nicht nur nationalpolitisch erforderlich, sie waren auch verfassungsrechtlich geboten. Denn damals schon, als eben eine solche Möglichkeit politisch noch durchaus offenstand, hat Kurt Schumacher unsere Rechtsüberzeugung ausgesprochen, daß allein ein neugewählter Bundestag zu einer Wehrentscheidung legitimiert sein könne und daß eine Verfassungsergänzung vorausgehen müsse.
    Unsere Bereitschaft, nach Erfüllung der politischen Voraussetzungen in eine Erweiterung des Grundgesetzes einzuwilligen, blieb unbeachtet.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Statt dessen sind die Bundesregierung und die Koalitionsparteien mutwillig einen parteipolitischen Weg gegangen, von dem sie in diesen so versäumten 25 Monaten wissen mußten, daß er niemals unsere Zustimmung finden konnte. Am Ende dieses unnötigen Weges stehen wir heute vor einem Verfassungskonflikt von letzter Tiefe.
    Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht hat sich in großen Zügen mit den hierdurch aufgeworfenen Verfassungsfragen beschäftigt, ohne sie erschöpfend behandeln zu können. Unsere Beratungen waren sachlich und ernst. Mich hat der Eindruck tief bewegt, daß manch Andersdenkender im Ausschuß mit seinem Rechtsgewissen notvoll gerungen hat, und wenn wir uns auch in einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung leider nicht gefunden haben, so verpflichtet es mich zu Dank, daß wir sie immerhin suchten. Mir bleibt jetzt nur noch die Aufgabe, vor der Öffentlichkeit und vor der Geschichte zu bekunden, wie katastrophal die Verfassungsnot ist, in die uns eine Annahme der Vertragsgesetze stürzen muß.

    (Beifall bei der SPD.)

    Dieser Bundestag ist nach unserer aufrechterhaltenen Überzeugung zu der unwiederholbaren und unwiderruflichen Schicksalsentscheidung über die Wehrfrage nicht befugt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ein solcher Übergriff wird jeden Ansatz eines demokratischen Bewußtseins im Volke von Grund auf zerstören.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Art. 63 des Grundgesetzes hätte sehr wohl eine zulässige Möglichkeit geboten, um an das Volk zu appellieren, das in einer Demokratie die höchste Instanz sein soll. Wer aber da sagt, die Wehrfrage eigne sich nicht für eine Selbstbestimmung der Wähler, der verachtet das Volk und der verachtet die Demokratie.

    (Beifall bei der SPD.)



    (Dr. Arndt)

    Ich wende mich jetzt den Vertragswerken zu, um einige Hauptpunkte aufzuzeigen, in denen sie mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Unvereinbar mit dem Grundgesetz ist zuallererst die Notstandsklausel in Art. 5 des Generalvertrags, insbesondere die deutscherseits übernommene Verpflichtung, diese Notstandsbefugnis der drei Westmächte nicht zu beeinträchtigen, ja sogar ihre Ausübung zu erleichtern. Was ist denn der Inhalt dieser Notstandsbefugnis? Die drei Westmächte bleiben befugt, nach ihrem Ermessen ohne jede Schranke und ohne jede schiedsgerichtliche Kontrolle in Westdeutschland alles und jedes anzuordnen, was sie zum Schutz ihrer Truppen einseitig für erforderlich halten, falls nach ihrer subjektiven Meinung die freiheitlich demokratische Grundordnung nur bedroht ist oder der Ausbruch eines Krieges drohen sollte.
    Hier ist dem Herrn Bundeskanzler in seiner Rede gestern ein erstaunlicher Irrtum unterlaufen, der trotz der Tausendzahl der Paragraphen nicht hätte vorkommen sollen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich zitiere wörtlich, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat:
    Ich glaube, daß wir durch Einfügung der Schiedsgerichtsklausel etwaigen Mißbräuchen des Notstandsrechts vorgebeugt haben.
    Das ist nicht richtig. Denn Sie wissen, daß das Schiedsgericht keine Zuständigkeit hat über die sogenannten Vorbehaltsrechte der drei Westmächte,

    (Hört! Hört! bei der SPD) also auch nicht über die Notstandsbefugnis.


    (Abg. Dr. Gülich: Das steht sogar in der deutschen Begründung! Weiterer Zuruf von der SPD: Das war bewußt!)

    Die Bundesregierung behauptet, diese außerordentlichen Befugnisse würden gar nicht durch den Generalvertrag begründet; sondern die Westalliierten hätten sich diese Befugnisse nur einseitig vorbehalten. Ja woraus denn vorbehalten. An den Abkommen der Alliierten untereinander war und ist Deutschland nicht beteiligt, so daß es auch nicht verpflichtet werden konnte durch jene Abkommen, die unter anderen geschlossen sind.
    Aus dem Völkerrecht unmittelbar ergeben sich solche Befugnisse auch nicht, zumal unbestritten die amerikanischen Truppen in England keineswegs solche Rechte haben. Es trifft nicht zu, wenn der Herr Bundeskanzler gestern hier ausgeführt hat, daß die Notstandsbefugnis eine selbstverständliche Konsequenz der Truppenstationierung in Deutschland wäre. Denn es sind z. B. amerikanische Truppen auch in Großbritannien auf der Insel stationiert. Ich habe im Ausschuß den Regierungsvertreter Herrn Professor Grewe gefragt, ob denn die amerikanischen Truppen in Großbritannien auch befugt seien, dort die demokratische Freiheit und Ordnung aufrechtzuerhalten, wenn sie sie für bedroht hielten. Darauf ist mir geantwortet worden: „Na, ja, darin ist natürlich hier ein politischer Rest in der Notstandsklausel enthalten."

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Gegenrufe rechts.)

    Sollten dagegen diese Befugnisse noch aus der Okkupation hergeleitet werden, so bleiben wir also ein besetztes Land. Dann ist also in einem wesentlichen Punkte das Besatzungsstatut eben nicht aufgehoben, und von unserer Gleichberechtigung kann keine Rede sein.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat gestern gesagt, am Vorbehaltsrecht der Truppenstationierung und somit an der Notstandsklausel sei Dr. Kurt Schumacher schuld, weil er im April 1951 geäußert habe, eine Unterschrift des Bundeskanzlers sei für uns null und nichtig. Was hat Herr Dr. Kurt Schumacher gesagt? Ich habe es nachgelesen. Er hat gesagt: Ehe die gesetzgebenden Körperschaften durch Gesetz — dem Schumanplan nämlich — zugestimmt und ehe der Bundespräsident einen Vertrag ratifiziert hat, können mündliche Zusagen oder auch Unterschriften des Bundeskanzlers als null und nichtig das deutsche Volk noch nicht verpflichten.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Eine Selbstverständlichkeit, die Dr. Schumacher ausgesprochen hat! Daß das richtig ist, kann kein vernünftiger Mensch bestreiten!

    (Abg. Dr. Menzel: Eine Verleumdung ist das! Das ist ein Kanzler! — Weiterer Zuruf von der SPD: Ein Fälscher!)

    Meine Damen und Herren! Nur ein Haß

    (Abg. Dr. Menzel: Das sind wir an ihm gewohnt!)

    bis über das Grab hinaus

    (Oh-Rufe von der CDU)

    kann für den eigenen Mißerfolg des Bundeskanzlers noch den toten Gegner verantwortlich machen. Die Öffentlichkeit wird urteilen, auf wen der Stein fällt, der hier geworfen wurde.

    (Sehr gut! und Beifall bei der SPD.)

    Unter allen Umständen ist es verfassungswidrig, daß wir uns vertraglich verpflichten, die Ausübung dieser alliierten Diktaturbefugnisse zu erleichtern. Gerade das aber ist ja vereinbart. Was heißt denn das? Wenn die Westalliierten behaupten, daß ein Krieg auszubrechen drohe, und wenn sie deshalb einseitig zum Schutz ihrer Truppen verlangen, daß der Deutsche Bundestag etwa oder der Bundesrat oder die Bundesregierung sich sofort jeder weiteren Tätigkeit enthalten, dann müssen wir, ohne den Schutz eines Schiedsgerichts zu haben, diese Diktatur nicht nur dulden, sondern sie sogar pflichtgemäß auch noch erleichtern.

    (Zuruf von der CDU: Das ist doch ein Irrtum!)

    — Nein, das ist kein Irrtum! Dann haben Sie die Verträge nicht hinreichend gelesen. Einzig in der Welt soll also allein das deutsche Volk noch dabei mithelfen, daß es in der Stunde seiner größten Gefahr, insbesondere im Kriegsfalle, seine demokratische Volksvertretung und seine eigene Regierung verliert oder verlieren kann. Unser Grundgesetz erlaubt uns nicht, selbst bei uns die Demokratie zugunsten einer ausländischen Diktatur zu beseitigen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Die pausenlose Propaganda der Bundesregierung hat allerdings dem Volke verschwiegen, daß solche Ungeheuerlichkeiten im Generalvertrag stehen, und ich merke, daß manch einer unter Ihnen das bis jetzt auch noch nicht ganz richtig gesehen hat.

    (Sehr gut! bei der SPD.)



    (Dr. Arndt)

    Ich komme zu einem anderen Punkt, dem Schiedsgericht im Generalvertrag. Durch den Generalvertrag verpflichten wir uns, eine Fülle von Besatzungsgesetzen bestehen zu lassen. Außerdem verpflichten wir uns, bestimmte neue Gesetze zu erlassen, z. B. Enteignungsgesetze zur Landbeschaffung für Verteidigungszwecke. Schließlich verpflichten wir uns, kein Abkommen zu schließen, das die sogenannten Vorbehaltsrechte der Westalliierten beeinträchtigt. Wenn wir nun diese Vertragspflichten nach Meinung des Schiedsgerichts nicht richtig erfüllen, dann kann dieses merkwürdige Schiedsgericht selbst diese Gesetze in Westdeutschland für uns Deutsche erlassen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Eine schiedsrichterliche Oberhoheit dieser Art ist einmalig in der Rechtsgeschichte. Der elementarste und sogar ausdrücklich für unantastbar erklärte Grundsatz unserer Verfassung, die Gewaltenteilung, wird hier durch die Errichtung einer Behörde verletzt, die in einer Hand Rechtsprechung, Vollstreckung und sogar Gesetzgebung vereinigen soll.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Außerdem ist diese Klausel für Deutschland diskriminierend, da sich die Gewalt des Schiedsgerichts auf das westdeutsche Gebiet beschränkt. Hierfür ein Beispiel. Wenn wir eine Abmachung treffen, durch die wir nach Meinung des in seiner Mehrheit ja von den andern besetzten Schiedsgerichts ein sogenanntes Vorbehaltsrecht der Westalliierten beeinträchtigen, etwa ihr Veto gegen eine deutsche Wiedervereinigung, so erklärt das Schiedsgericht diese Abmachung für ungültig. Schließt aber etwa Frankreich unter Verletzung des Generalvertrags mit einer dritten Macht ein ausdrücklich gegen die deutsche Einheit gerichtetes Abkommen, so kann das Schiedsgericht kein Gesetz erlassen, das in Frankreich gilt und jenes Abkommen aufhebt.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Also einseitiges Recht, ausschließlich allein gegen Deutschland. Hier ist in diskriminierender Weise ein solches einseitiges Recht geschaffen.
    Leider ist die Liste der Verletzungen unseres Grundgesetzes durch den Generalvertrag und die Zusatzverträge so groß, daß im Rahmen einer Rede nicht einmal eine Aufzählung möglich ist. Ich beschränke mich daher jetzt auf die Feststellung, daß der Generalvertrag in wesentlichen Punkten absolut verfassungswidrig ist und daß er uns die Gleichberechtigung versagt.
    Ich wende mich jetzt dem Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu. Diese sogenannte Gemeinschaft ist keine Einrichtung, auf die wir nach unserem Grundgesetz Hoheitsrechte übertragen dürfen, weil sie in ihrem Aufbau weder demokratisch noch parlamentarisch kontrolliert ist. Das Volk — und das Volk soll doch die Soldaten stellen — hat dort alles Recht verloren. An der Spitze der sogenannten Gemeinschaft steht ein Kommissariat, das wiederum nicht nur Regierung, sondern zugleich auch Gesetzgeber sein soll. Unsere Verfassungsurkunde bestimmt aber in Art. 20, daß Regierung und Gesetzgebung nur von getrennten Organen ausgeübt werden dürfen, und Art. 79 des Grundgesetzes entzieht diesen unantastbaren Grundsatz der Gewaltenteilung sogar jeder Verfassungsänderung. Mit diesen fundamentalen Bestimmungen unseres Verfassungsrechts ist es unvereinbar, supranationale Instanzen, autoritäre Instanzen zu schaffen, auch wenn man sie fälschlich europäische nennt. Was hier entsteht, ist kein Europa der gleichen und der freien Völker, das wir alle ersehnen, sondern ein autoritäres Regime der Manager.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Bundestag als die Volksvertretung und auch der Bundesrat verlieren ihr wichtigstes Recht, soweit Ausgaben für Rüstungszwecke zu bewilligen und zu kontrollieren sind. Wer erwarten sollte, daß an die Stelle dieses Rechts des nationalen Parlaments die bei der EVG gebildete sogenannte Versammlung als supranationales Parlament treten würde, der sieht sich enttäuscht. Nicht einmal mit einer Zweidrittelmehrheit kann diese europäische Verteidigungsversammlung einen nennenswerten Einfluß auf den Rüstungshaushalt nehmen, worüber mein Freund Erwin Schoettle noch Ausführungen machen wird. Kommissariat und Ministerrat sind auch insoweit nahezu allmächtig.
    So ist es mit dem Geld, und so ist es, was noch ungleich schwerer wiegt, mit dem Blut. Über die Kriegserklärung soll deutscherseits ein einziger Mann insgeheim mitbestimmen können: der deutsche Minister im europäischen Ministerrat.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Gewiß darf nach dem EVG-Vertrag in Übereinstimmung mit unserm Grundgesetz nur ein Verteidigungskrieg erklärt werden, aber es wäre ein verhängsnisvoller Irrtum, sich einzureden, die Erklärung des Verteidigungskrieges sei nur eine belanglose Formalität ohne Bedeutung. Im Gegenteil, es gehört zu den verantwortlichsten Schicksalsentscheidungen, darüber zu bestimmen, ob irgendein Übergriff nur ein Grenzzwischenfall ist, der noch lokalisiert werden kann, oder ob er bereits die Aggression einer fremden Kriegsmacht darstellt. Nach der Weimarer Verfassung bedurfte es auch für die Erklärung eines Verteidigungskrieges eines Reichsgesetzes; also der Reichstag als die Volksvertretung entschied, ob der Kriegsfall eingetreten ist. Das Grundgesetz ermächtigt überhaupt niemand, den Krieg für uns zu erklären. Aber nach dem EVG-Vertrag können wir uns unversehens eines Tages plötzlich im Verteidigungskrieg befinden, nur weil ein einziger deutscher Minister hinter verschlossenen Türen mit dafür gestimmt hat, daß irgendein Grenzzwischenfall bereits der Angriff auf uns sei.
    Die ungeheuerliche Tragweite einer solchen Diktaturgewalt, die für jeden Soldaten dann die Pflicht zum Kämpfen auslöst, ist erst ganz zu ermessen, wenn man sie mit der Stellung Amerikas innerhalb des Atlantikpakts vergleicht. Da nach der amerikanischen Unionsverfassung einzig der Kongreß als die Volksvertretung durch Gesetz darüber beschließen kann, ob der Verteidigungsfall gegeben ist, so ist der Atlantikpakt absichtlich in der Weise formuliert, daß die atlantische Organisation keine Entscheidungsbefugnis darüber hat, ob Amerika sich im Verteidigungskrieg befindet. Die Amerikaner haben hier wie auch sonst ihr Verfassungsrecht gewahrt, wir nicht. Jetzt aber könnte deshalb die Katastrophe eintreten, daß wir mit der Stimme des einzigen deutschen Ministers im Ministerrat der EVG als im Krieg befindlich erklärt werden, aber der amerikanische Kongreß es ablehnt, den Kriegsfall für Amerika anzuerkennen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)



    (Dr. Arndt)

    Mit unserm Grundgesetz ist es schlechterdings unvereinbar, einem einzigen Minister eine solche Allmacht zu übertragen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Alle diese Fehler kommen daher, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft keine demokratische und keine parlamentarisch kontrollierte Einrichtung ist, sondern ein autoritäres Regime, das von Managern manipuliert wird.
    Nun hat der Herr Abgeordnete Professor Wahl in seinem für die Mehrheit erstatteten Rechtsgutachten allerdings gesagt, wenn mehrere Kommunen durch Zweckverband eine Straßenbahn betrieben, sei ja auch die parlamentarische Kontrolle durch die Stadtverordneten ausgeschaltet. Als ob der Betrieb einer Straßenbahn vergleichbar wäre mit Veranstaltungen, bei denen es eine Endstation Krieg gibt!

    (Starker Beifall bei der SPD.)

    Aber wenn die Waffen wieder getragen werden sollen - und die Voraussetzungen, darüber zu diskutieren, sind von uns am 8. November 1950 aufgezeigt worden — unter Voraussetzungen, deren tatsächliche Erfüllung im gesamtdeutschen Interesse so etwas sinnvoll machen könnte, wovon heute keine Rede ist, so ist es doch das primitivste Recht eines jeden Soldaten, daß sein oberster Befehlshaber ein Mann sein muß, den das Vertrauen seines Volkes mit an diesen Platz gestellt hat. In einer gemeinschaftlichen Armee kann gewiß nur eine der beteiligten Nationen diesen Oberbefehlshaber stellen; darüber ist kein Streit. Hier aber ist durch die Verträge darauf verzichtet, deutscherseits gleichwertig und gleichberechtigt mitzubestimmen, wer den Oberbefehl führt und nach welchen Grundsätzen und Plänen der Betreffende ihn zu führen hat. Denn wir sind kein Mitglied des Atlantikpakts und können deshalb ohne Verletzung des Grundgesetzes auch nicht das Hoheitsrecht des Oberbefehls über die deutschen Kontingente unwiderruflich in seiner Substanz auf den Oberbefehlshaber NATO übertragen, da wir gar nicht mitzubestimmen haben, wer diesen Oberbefehl und wie er ihn ausübt.
    Die deutschen Kontingente, die für den Verteidigungsfall einem fremden Kommando unterstellt sind, werden aber außerdem, so gleichsam mit der linken Hand, durch Art. 12 § 1 Abs. 1 des EVGVertrags dem Bundeskanzler als Machtinstrument seiner inneren Politik ausgeliefert,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    was auch die wenigsten wissen. Das Grundgesetz
    hat die Rechte eines Bundeskanzlers genau und abschließend bestimmt und ihm nicht einmal eine
    Bundespolizei gewährt. Es ist unstreitig, daß ohne
    eine Verfassungsänderung keine Bundespolizei zulässig ist. Der EVG-Vertrag gewährt ohne Rücksicht auf das Grundgesetz dem Bundeskanzler ein
    selbständiges Recht, die deutschen Divisionen anzufordern, wenn er nach seinem Ermessen oder
    seinem „einsamen Entschluß" die freiheitliche
    demokratische Grundordnung oder die Sicherheit
    und Ordnung für bedroht hält. Wer weiß denn,
    wann das der Fall ist? Wer schützt uns und wer
    schützt die befehlsgebundenen Soldaten davor, daß
    ein Kanzler schon gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen oder Streiks als solche Störungen ansieht?

    (Beifall bei der SPD.)

    Hiergegen ist es unerheblich, daß dann der Einsatz
    der Truppen im Inneren nur nach dem Grundgesetz
    erfolgen soll. Denn die Rechtsgelehrten der Bundesregierung behaupten ja heute schon, daß die Notstandsregelung im Grundgesetz nur fragmentarisch sei und jedenfalls ein übergesetzliches Notstandsrecht aus der sogenannten „Natur der Sache" den Einsatz deutscher Soldaten im Innern gegen ein angeblich ungetreues Bundesland oder als Deutsche gegen Deutsche selbst im Westen zulasse.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    In jedem Falle verändert bereits das Anforderungsrecht des Kanzlers seine verfassungsrechtliche Stellung von Grund auf

    (Abg. Arnholz: Sehr wahr!)

    und schenkt ihm eine Machtfülle, die selbst Bismarck nicht hatte. Warum verschweigt man der Öffentlichkeit, daß die Männer, die man zur Fahne ruft, keineswegs allein die Aufgabe haben sollen, die Heimat gegen einen Angriff von außen zu schützen, sondern daß ihre Truppe auch als inner-politisches Machtmittel dienen kann?
    Welche Rechte sollen die Soldaten gegen verfassungswidrige Befehle haben? Auf wen oder auf was sollen die Soldaten überhaupt verpflichtet werden? Auf Gesamtdeutschland? Auf den Bundeskanzler? Auf den Oberbehelfshaber NATO? Auf die EVG? Oder auf was? Es bleibt ungewiß, welche Verpflichtungen eine Bundesregierung den eigenen Soldaten gegenüber hat, und es ist ebenso eine offene Frage, welche Rechte ein deutscher Soldat besitzt, der in Gewissensnot kommt, weil er sich Befehlen gegenüber sieht, die ihn zwingen wollen, seine Heimat preiszugeben. Alle diese Regelungen und noch schlimmer diese Blankovollmachten sind außerhalb der Verfassung.
    Hiermit komme ich zum letzten Punkt: das Grundgesetz kennt weder eine Wehrgewalt, noch erlaubt es ohne Verfassungsergänzung eine allgemeine Wehrpflicht. Man sollte diese klare Rechtslage nicht durch einen Mißbrauch des Schlagworten von der Wehrhoheit verdunkeln. Was bedeutet denn die Wehrhoheit? Wehrhoheit ist die völkerrechtliche Befugnis eines jeden freien Volkes, selbst zu bestimmen, ob und wie es sich gegen fremde Mächte verteidigt. Diese Selbstbestimmung nimmt auch das deutsche Volk für sich in Anspruch. Das Vertragswerk aber gewährt sie uns nicht, sondern versagt sie uns. Meine Damen und Herren, mit den Japanern hat man erst den Vertrag über das Ende der Besatzung abgeschlossen und in Kraft gesetzt.

    (Sehr richtig! links.)

    Erst als die Japaner dadurch wieder ein freies Volk waren, haben sie mit Amerika den sogenannten Sicherheitsvertrag vereinbart.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Bei uns dagegen verfährt man umgekehrt.

    (Abg. Arnholz: Hört! Hört!)

    Für uns sind die Verträge aneinander gefesselt. Uns gibt der Generalvertrag weder Freiheit noch Einheit noch Gleichberechtigung. Aber der angekoppelte EVG-Vertrag zwingt uns, Soldaten zu stellen, und nimmt uns die Mitbestimmung über den Oberbefehl. Hierbei hat man nicht einmal Rücksicht darauf genommen, daß unsere Verfassung keine Wehrpflicht kennt, also erst ergänzt werden müßte, um das Aufstellen von Truppen zu erlauben. Sogar die Gutachter der Bundesregierung erkennen an, daß die völkerrechtliche Wehrhoheit nichts dar-


    (Dr. Arndt)

    über besagt, welche Voraussetzungen nach unserem innerdeutschen Verfassungsrecht zu erfüllen sind, um Truppen aufzustellen und einen Zwang zur Wehrpflicht anzuordnen.
    Anders als sämtliche bundesstaatlichen Verfassungen, die es je in der Welt gab und gibt, schweigt das Grundgesetz zu diesen Fragen. Warum? Weil das Grundgesetz ja als Verfassung nur für ein Teilgebiet der Bundesrepublik Deutschland erlassen werden konnte. Den Parlamentarischen Rat bewegte als zentrales Problem mit Recht die Sorge, nichts zu tun, was die von den Besatzungsmächten zu verantwortende Zerteilung des Bundesgebiets an der Saar und an der Elbe hätte noch einschneidender machen können. Auch heute noch ist es eine offenkundige Unwahrheit, wenn davon gesprochen wird, daß Deutschland oder daß die Bundesrepublik in die Verteidigungsgemeinschaft integriert werde. Denn die Bundesrepublik umfaßt auch Saarbrükken, Groß-Berlin, Dresden, Breslau und Königsberg!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Wahlreden sind das!)

    Der Parlamentarische Rat ist deshalb, weil er nur ein Teilgebiet Deutschlands und auch dies nur provisorisch zu ordnen hatte, nachweisbar zu dem Schluß gekommen, die Wehrfrage weder positiv noch negativ zu lösen, sondern sie als damals zur Zeit unausgereift auszuklammern und ihre Lösung einer späteren Ergänzung des Grundgesetzes zu überlassen. Die Verhandlungen zu Art. 73, die zur ausdrücklichen Ablehnung einer Schutz- oder Sicherungsgewalt führten, ergeben das mit aller Klarheit.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wenn man heute den Art. 4, der das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung gewährt, geradezu in sein Gegenteil verkehrt und uns weismachen will, daß er im Grundsatz die Wehrpflicht voraussetze, so empfehle ich Ihnen einmal, die Verhandlungen unseres Rechtsausschusses vom 10. Januar 1951 nachzulesen. Damals hat Herr Ewers von der DP erklärt, daß der Art. 4 „ohne sachlichen Inhalt" sei,

    (Abg. Kiesinger: Herr Ewers ist Ziviljurist!)

    und Herr Dr. Weber (Koblenz) von der CDU hat gesagt, daß das Grundsätzliche noch nicht bekannt sei. Erst jetzt will man in Art. 4 nachträglich einen Grundsatz der Wehrpflicht hineindeuten.
    Meine Damen und Herren, was hat denn der Parlamentarische Rat und was hat die sozialdemokratische Fraktion, auf die dieser Artikel zurückgeht im Zusammenhang mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit, damit bringen wollen? Doch nach den Erlebnissen des zweiten Weltkrieges eine Art Ölzweig; und wenn man heute so mit irgendwelchen logischen oder gedanklichen Manipulationen diesen Ölzweig mit einem dahinter verborgenen Bajonett vertauschen will, dann ist das ein Zynismus ohnegleichen!

    (Stürmischer Beifall bei der SPD. — Lebhafte Zurufe und Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Jetzt will man auch auf einmal aus dem Art. 24, der nun wirklich europäisch gedacht war, so eine Art juristischer Atombombe machen, um die Verfassung zu sprengen. Was sagt denn Art. 24? Er sagt in seinem zweiten Absatz, um den es sich hier handelt: Der Bund kann in Beschränkungen
    seiner Hoheitsrechte einwilligen, und zwar indem er sich einem System kollektiver Sicherheit einordnet. Das ist eine klare und einfache Vorschrift, und die Abgeordneten Carlo Schmid, Wagner, Greve und Maier haben uns in der Ausschußberatung klar bezeugt, daß man weder damit eine nationale noch eine supranationale Wehrgewalt oder Wehrmacht ermöglichen wollte, weil schlechterdings eben jeder Bewaffnung die gleiche Sorge entgegenstand, eine vorzeitige und unbedachte Regelung des Wehrproblems könnte ungünstige Rückwirkungen auf die Wiedervereinigung haben.
    Im Parlamentarischen Rat war man sich klar, daß man in der Wehrfrage eine Lücke ließ. Gerade auch deshalb hat man im Art. 79 angeordnet, daß eine erhöhte Mehrheit, eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat befugt sein soll, die Verfassungsurkunde in ihrem Wortlaut zu ergänzen. Die bloß einfache Mehrheit ist also nicht die höchste politische Instanz. In Grundfragen, die eine Einigkeit der Nation erfordern, ist diese einfache Mehrheit nur eine unzureichende Minderheit gegenüber dem Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit. In Verfassungsfragen — und die Wehrfrage ist eine Verfassungsfrage — werden das Volksganze und das Staatsganze parlamentarisch allein von der Koalition u n d der Opposition zusammen verkörpert!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Eine Regierungskoalition dagegen, die sich für den
    Staat erklärt und eine Einheit von Staat und Regierungsparteien behauptet, begeht einen Staatsstreich.

    (Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD — Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Ihr fehlt die moralische Autorität.

    (Abg. Dr. Hasemann: Wir haben keine Zirkusvorstellung hier! — Zuruf des Abg. Kiesinger.)

    — Ja, Herr Kollege, Sie finden das lächerlich, (Abg. Kiesinger: Ich finde es betrüblich, nicht lächerlich!)

    aber es ist schon eine Reihe von Jahren her, daß mein verehrter Lehrer Heinrich Triepel in Berlin schrieb, daß auch ein Parlament einen Staatsstreich begehen könne. Dieses Wort stammt von einem größeren als ich es bin.

    (Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Der Mehrheit fehlt die moralische Autorität, um in
    einer Grundfrage der Verfassung Recht zu schaffen.

    (Anhaltende Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Wenn hierbei ein Teil des Volkes — und das haben Sie ja vor — Gewissenszwang gegen den anderen Teil des Volkes üben will, dann bekommt — —

    (Abg. Strauß: Reden Sie doch nicht solchen Unsinn! Wir tun, was notwendig ist!)

    — Gewissenszwang wollen Sie üben; denn Sie wissen ja, daß Sie nur vielleicht die Hälfte des Volkes
    — und das noch nicht einmal — hinter sich haben, und Sie wollen die andere Hälfte in ihrem Gewissen zwingen,

    (Abg. Strauß: Sie wollen uns mit Ihren Kniffen terrorisieren!)

    und wenn Sie da$ tun, dann bekommen Sie günstigstenfalls Hiwis oder Legionäre, aber keine Soldaten!

    (Stürmischer Beifall bei der SPD.)



    (Dr. Arndt)

    Ich will Ihnen das ganz klar sagen: Um Soldaten, die freie Wehrbürger sind, zu bekommen und sie zur Fahne zu rufen, dazu gehört mehr als der Parteibefehl einer Regierungskoalition!

    (Stürmischer Beifall bei der SPD. — Abg. Strauß: Sie reden ja wie von einem Kaiser-Wilhelms-Denkmal runter!)

    Dieser untaugliche Versuch beschwört die Gefahr herauf, unser von den Besatzungsmächten schon in seinem Gebiet gespaltenes Land jetzt auch noch in den Gewissen menschlich zu zerreißen.
    Die Demokratie wird zersetzt mit solchen Methoden.

    (Zuruf rechts: Durch Sie! — Abg. Dr. Gerstenmaier: Da haben Sie recht! — Abg. Strauß: Ihren Vortrag können Sie in Sibirien weiterhalten!)

    — Ach, Herr Strauß, reden Sie doch nicht über so etwas. Denn wir sind eben der Meinung, daß das, was Sie vorhaben, die Unsicherheit und die Gefahr nur erhöht. Sie sollten sich klar sein, daß Sie mit diesen Methoden nicht weiterkommen und den klaren Text der Verfassung so nicht verändern können. Denn die Verfassung ist kein Gegenstand von Schlauheit und listiger Deutelei.

    (Stürmischer Beifall bei der SPD. — Lebhafte Zurufe von der Mitte und rechts.)

    Man soll das Wort des Grundgesetzes stehenlassen,
    wie es steht und so, wie jeder es zu lesen versteht.

    (Erneuter stürmischer Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Hasemann: Und Sie wollen es anders auslegen! — Weitere lebhafte Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Man soll eine Verfassung heute nicht andersherum auslegen, als sie gestern noch begriffen wurde.

    (Zuruf von der Mitte: Das machen Sie ja ständig!)

    Man war sich im Parlamentarischen Rat darüber klar, keine Wehrgewalt zu schaffen.

    (Zuruf von der Mitte: Das stimmt ja gar nicht!)

    Das Volk will doch das Vertauen haben,

    (erneute Zurufe von der Mitte)

    daß seine Verfassung unverbrüchlich ist und daß man der Verfassung glauben darf. Wenn man uns heute einreden will, das Grundgesetz sei in nur für Schriftgelehrte entzifferbarer Geheimsprache abgefaßt — der Rheinische Merkur spricht in seiner Ausgabe vom 5. Dezember von den „taktischen Lücken" — und das Grundgesetz habe einen doppelten Boden, dann ist es mit der Verfassungsmoral und der Verfassungsehrlichkeit vorbei.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Ein solcher Frevel muß in weitesten Volkskreisen, die treu zur Demokratie stehen und ihr Vaterland nicht weniger lieben als andere Deutsche, die bitterste aller Enttäuschungen wecken, das Bewußtsein, aus dem Staate ausgestoßen zu werden und in der eigenen Heimat heimatlos zu sein.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Dieser Bruch wäre nie wieder gutzumachen. Wir würden aufhören, e i n Volk zu sein selbst hier im Westen und wären nur noch feindliche Parteien im kalten Bürgerkrieg.
    Das letzte Wort über die verfassungsrechtlichen Fragen wird an anderer Stelle gesprochen werden.

    (Abg. Dr. Hasemann: Gott sei Dank!)

    Die nach Karlsruhe hin gesprochenen Belehrungen, Warnungen und fast — ich scheue mich es auszusprechen — Drohungen verschiedener Redner, etwa des Herrn von Merkatz, sind grobe Ungehörigkeiten und ein trauriges Zeugnis für den Tiefstand unserer Rechtsmoral.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Ich wiederhole, was ich im Bundestag schon einmal von dieser Stelle aus sagte. Der gesetzeskräftige Urteilsspruch über die Zulässigkeit dieser Vertragsgesetze wird für uns verbindlich sein. Ich wiederhole aber auch, daß politisch wir weder jetzt noch je bereit sein werden, uns eine parlamentarische Entscheidung zu eigen zu machen, die für die Gemeinsamkeit des Staatsbewußtseins eine Katastrophe bedeutet.

    (Anhaltender stürmischer Beifall bei der SPD.)