Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Euler hat soeben ausgeführt, daß deutscherseits keine Veranlassung bestehe, der Sowjetunion einen Preis anzubieten. Mit dieser Auffassung ist er einer Meinung gefolgt, die von der Sozialdemokratie seit jeher vertreten wird. Wir haben immer die sogenannte Preisdiskussion für einen Unsinn erklärt, und das Wort „Preis" befindet sich auch in diesem Fall gar nicht in unserem Wörterbuch; es stammt ja sehr viel mehr aus der freien Marktwirtschaft.
Ich verstehe dann aber auch nicht, warum man denn den Westmächten einen so hohen Preis bietet, und zwar sogar ohne dafür die volle Freiheit dem Westen gegenüber zu bekommen. Das werden wir gerade bei der verfassungsrechtlichen Diskussion sehen.
25 Monate sind verstrichen, seit dieser Bundestag das erste Mal erörterte, ob wir über die sachliche Verteidigungslast hinaus, über die bei den Demokraten dieses Hauses im Grundsatz Einigkeit herrscht, auch einen bewaffneten Beitrag durch Soldaten leisten können. Damals, am 8. Oktober 1950, hat Dr. Kurt Schumacher für uns dargelegt, daß zuvor erst bestimmte Voraussetzungen tatsächlich verwirklicht sein müßten, um uns im gesamtdeutschen Interesse diesen bewaffneten Beitrag zu ermöglichen. Eine überparteiliche Außenpolitik und eine von allen demokratischen Kräften gemeinsam getragene Wiedervereinigungspolitik wären bei einer Verständigung über jene Grundlagen, wie Dr. Kurt Schumacher sie hier aufgezeigt hat, möglich gewesen. Sie waren nicht nur nationalpolitisch erforderlich, sie waren auch verfassungsrechtlich geboten. Denn damals schon, als eben eine solche Möglichkeit politisch noch durchaus offenstand, hat Kurt Schumacher unsere Rechtsüberzeugung ausgesprochen, daß allein ein neugewählter Bundestag zu einer Wehrentscheidung legitimiert sein könne und daß eine Verfassungsergänzung vorausgehen müsse.
Unsere Bereitschaft, nach Erfüllung der politischen Voraussetzungen in eine Erweiterung des Grundgesetzes einzuwilligen, blieb unbeachtet.
Statt dessen sind die Bundesregierung und die Koalitionsparteien mutwillig einen parteipolitischen Weg gegangen, von dem sie in diesen so versäumten 25 Monaten wissen mußten, daß er niemals unsere Zustimmung finden konnte. Am Ende dieses unnötigen Weges stehen wir heute vor einem Verfassungskonflikt von letzter Tiefe.
Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht hat sich in großen Zügen mit den hierdurch aufgeworfenen Verfassungsfragen beschäftigt, ohne sie erschöpfend behandeln zu können. Unsere Beratungen waren sachlich und ernst. Mich hat der Eindruck tief bewegt, daß manch Andersdenkender im Ausschuß mit seinem Rechtsgewissen notvoll gerungen hat, und wenn wir uns auch in einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung leider nicht gefunden haben, so verpflichtet es mich zu Dank, daß wir sie immerhin suchten. Mir bleibt jetzt nur noch die Aufgabe, vor der Öffentlichkeit und vor der Geschichte zu bekunden, wie katastrophal die Verfassungsnot ist, in die uns eine Annahme der Vertragsgesetze stürzen muß.
Dieser Bundestag ist nach unserer aufrechterhaltenen Überzeugung zu der unwiederholbaren und unwiderruflichen Schicksalsentscheidung über die Wehrfrage nicht befugt.
Ein solcher Übergriff wird jeden Ansatz eines demokratischen Bewußtseins im Volke von Grund auf zerstören.
Art. 63 des Grundgesetzes hätte sehr wohl eine zulässige Möglichkeit geboten, um an das Volk zu appellieren, das in einer Demokratie die höchste Instanz sein soll. Wer aber da sagt, die Wehrfrage eigne sich nicht für eine Selbstbestimmung der Wähler, der verachtet das Volk und der verachtet die Demokratie.
Ich wende mich jetzt den Vertragswerken zu, um einige Hauptpunkte aufzuzeigen, in denen sie mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Unvereinbar mit dem Grundgesetz ist zuallererst die Notstandsklausel in Art. 5 des Generalvertrags, insbesondere die deutscherseits übernommene Verpflichtung, diese Notstandsbefugnis der drei Westmächte nicht zu beeinträchtigen, ja sogar ihre Ausübung zu erleichtern. Was ist denn der Inhalt dieser Notstandsbefugnis? Die drei Westmächte bleiben befugt, nach ihrem Ermessen ohne jede Schranke und ohne jede schiedsgerichtliche Kontrolle in Westdeutschland alles und jedes anzuordnen, was sie zum Schutz ihrer Truppen einseitig für erforderlich halten, falls nach ihrer subjektiven Meinung die freiheitlich demokratische Grundordnung nur bedroht ist oder der Ausbruch eines Krieges drohen sollte.
Hier ist dem Herrn Bundeskanzler in seiner Rede gestern ein erstaunlicher Irrtum unterlaufen, der trotz der Tausendzahl der Paragraphen nicht hätte vorkommen sollen.
Ich zitiere wörtlich, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat:
Ich glaube, daß wir durch Einfügung der Schiedsgerichtsklausel etwaigen Mißbräuchen des Notstandsrechts vorgebeugt haben.
Das ist nicht richtig. Denn Sie wissen, daß das Schiedsgericht keine Zuständigkeit hat über die sogenannten Vorbehaltsrechte der drei Westmächte,
also auch nicht über die Notstandsbefugnis.
Die Bundesregierung behauptet, diese außerordentlichen Befugnisse würden gar nicht durch den Generalvertrag begründet; sondern die Westalliierten hätten sich diese Befugnisse nur einseitig vorbehalten. Ja woraus denn vorbehalten. An den Abkommen der Alliierten untereinander war und ist Deutschland nicht beteiligt, so daß es auch nicht verpflichtet werden konnte durch jene Abkommen, die unter anderen geschlossen sind.
Aus dem Völkerrecht unmittelbar ergeben sich solche Befugnisse auch nicht, zumal unbestritten die amerikanischen Truppen in England keineswegs solche Rechte haben. Es trifft nicht zu, wenn der Herr Bundeskanzler gestern hier ausgeführt hat, daß die Notstandsbefugnis eine selbstverständliche Konsequenz der Truppenstationierung in Deutschland wäre. Denn es sind z. B. amerikanische Truppen auch in Großbritannien auf der Insel stationiert. Ich habe im Ausschuß den Regierungsvertreter Herrn Professor Grewe gefragt, ob denn die amerikanischen Truppen in Großbritannien auch befugt seien, dort die demokratische Freiheit und Ordnung aufrechtzuerhalten, wenn sie sie für bedroht hielten. Darauf ist mir geantwortet worden: „Na, ja, darin ist natürlich hier ein politischer Rest in der Notstandsklausel enthalten."
Sollten dagegen diese Befugnisse noch aus der Okkupation hergeleitet werden, so bleiben wir also ein besetztes Land. Dann ist also in einem wesentlichen Punkte das Besatzungsstatut eben nicht aufgehoben, und von unserer Gleichberechtigung kann keine Rede sein.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat gestern gesagt, am Vorbehaltsrecht der Truppenstationierung und somit an der Notstandsklausel sei Dr. Kurt Schumacher schuld, weil er im April 1951 geäußert habe, eine Unterschrift des Bundeskanzlers sei für uns null und nichtig. Was hat Herr Dr. Kurt Schumacher gesagt? Ich habe es nachgelesen. Er hat gesagt: Ehe die gesetzgebenden Körperschaften durch Gesetz — dem Schumanplan nämlich — zugestimmt und ehe der Bundespräsident einen Vertrag ratifiziert hat, können mündliche Zusagen oder auch Unterschriften des Bundeskanzlers als null und nichtig das deutsche Volk noch nicht verpflichten.
Eine Selbstverständlichkeit, die Dr. Schumacher ausgesprochen hat! Daß das richtig ist, kann kein vernünftiger Mensch bestreiten!
Meine Damen und Herren! Nur ein Haß
bis über das Grab hinaus
kann für den eigenen Mißerfolg des Bundeskanzlers noch den toten Gegner verantwortlich machen. Die Öffentlichkeit wird urteilen, auf wen der Stein fällt, der hier geworfen wurde.
Unter allen Umständen ist es verfassungswidrig, daß wir uns vertraglich verpflichten, die Ausübung dieser alliierten Diktaturbefugnisse zu erleichtern. Gerade das aber ist ja vereinbart. Was heißt denn das? Wenn die Westalliierten behaupten, daß ein Krieg auszubrechen drohe, und wenn sie deshalb einseitig zum Schutz ihrer Truppen verlangen, daß der Deutsche Bundestag etwa oder der Bundesrat oder die Bundesregierung sich sofort jeder weiteren Tätigkeit enthalten, dann müssen wir, ohne den Schutz eines Schiedsgerichts zu haben, diese Diktatur nicht nur dulden, sondern sie sogar pflichtgemäß auch noch erleichtern.
— Nein, das ist kein Irrtum! Dann haben Sie die Verträge nicht hinreichend gelesen. Einzig in der Welt soll also allein das deutsche Volk noch dabei mithelfen, daß es in der Stunde seiner größten Gefahr, insbesondere im Kriegsfalle, seine demokratische Volksvertretung und seine eigene Regierung verliert oder verlieren kann. Unser Grundgesetz erlaubt uns nicht, selbst bei uns die Demokratie zugunsten einer ausländischen Diktatur zu beseitigen.
Die pausenlose Propaganda der Bundesregierung hat allerdings dem Volke verschwiegen, daß solche Ungeheuerlichkeiten im Generalvertrag stehen, und ich merke, daß manch einer unter Ihnen das bis jetzt auch noch nicht ganz richtig gesehen hat.
Ich komme zu einem anderen Punkt, dem Schiedsgericht im Generalvertrag. Durch den Generalvertrag verpflichten wir uns, eine Fülle von Besatzungsgesetzen bestehen zu lassen. Außerdem verpflichten wir uns, bestimmte neue Gesetze zu erlassen, z. B. Enteignungsgesetze zur Landbeschaffung für Verteidigungszwecke. Schließlich verpflichten wir uns, kein Abkommen zu schließen, das die sogenannten Vorbehaltsrechte der Westalliierten beeinträchtigt. Wenn wir nun diese Vertragspflichten nach Meinung des Schiedsgerichts nicht richtig erfüllen, dann kann dieses merkwürdige Schiedsgericht selbst diese Gesetze in Westdeutschland für uns Deutsche erlassen.
Eine schiedsrichterliche Oberhoheit dieser Art ist einmalig in der Rechtsgeschichte. Der elementarste und sogar ausdrücklich für unantastbar erklärte Grundsatz unserer Verfassung, die Gewaltenteilung, wird hier durch die Errichtung einer Behörde verletzt, die in einer Hand Rechtsprechung, Vollstreckung und sogar Gesetzgebung vereinigen soll.
Außerdem ist diese Klausel für Deutschland diskriminierend, da sich die Gewalt des Schiedsgerichts auf das westdeutsche Gebiet beschränkt. Hierfür ein Beispiel. Wenn wir eine Abmachung treffen, durch die wir nach Meinung des in seiner Mehrheit ja von den andern besetzten Schiedsgerichts ein sogenanntes Vorbehaltsrecht der Westalliierten beeinträchtigen, etwa ihr Veto gegen eine deutsche Wiedervereinigung, so erklärt das Schiedsgericht diese Abmachung für ungültig. Schließt aber etwa Frankreich unter Verletzung des Generalvertrags mit einer dritten Macht ein ausdrücklich gegen die deutsche Einheit gerichtetes Abkommen, so kann das Schiedsgericht kein Gesetz erlassen, das in Frankreich gilt und jenes Abkommen aufhebt.
Also einseitiges Recht, ausschließlich allein gegen Deutschland. Hier ist in diskriminierender Weise ein solches einseitiges Recht geschaffen.
Leider ist die Liste der Verletzungen unseres Grundgesetzes durch den Generalvertrag und die Zusatzverträge so groß, daß im Rahmen einer Rede nicht einmal eine Aufzählung möglich ist. Ich beschränke mich daher jetzt auf die Feststellung, daß der Generalvertrag in wesentlichen Punkten absolut verfassungswidrig ist und daß er uns die Gleichberechtigung versagt.
Ich wende mich jetzt dem Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu. Diese sogenannte Gemeinschaft ist keine Einrichtung, auf die wir nach unserem Grundgesetz Hoheitsrechte übertragen dürfen, weil sie in ihrem Aufbau weder demokratisch noch parlamentarisch kontrolliert ist. Das Volk — und das Volk soll doch die Soldaten stellen — hat dort alles Recht verloren. An der Spitze der sogenannten Gemeinschaft steht ein Kommissariat, das wiederum nicht nur Regierung, sondern zugleich auch Gesetzgeber sein soll. Unsere Verfassungsurkunde bestimmt aber in Art. 20, daß Regierung und Gesetzgebung nur von getrennten Organen ausgeübt werden dürfen, und Art. 79 des Grundgesetzes entzieht diesen unantastbaren Grundsatz der Gewaltenteilung sogar jeder Verfassungsänderung. Mit diesen fundamentalen Bestimmungen unseres Verfassungsrechts ist es unvereinbar, supranationale Instanzen, autoritäre Instanzen zu schaffen, auch wenn man sie fälschlich europäische nennt. Was hier entsteht, ist kein Europa der gleichen und der freien Völker, das wir alle ersehnen, sondern ein autoritäres Regime der Manager.
Der Bundestag als die Volksvertretung und auch der Bundesrat verlieren ihr wichtigstes Recht, soweit Ausgaben für Rüstungszwecke zu bewilligen und zu kontrollieren sind. Wer erwarten sollte, daß an die Stelle dieses Rechts des nationalen Parlaments die bei der EVG gebildete sogenannte Versammlung als supranationales Parlament treten würde, der sieht sich enttäuscht. Nicht einmal mit einer Zweidrittelmehrheit kann diese europäische Verteidigungsversammlung einen nennenswerten Einfluß auf den Rüstungshaushalt nehmen, worüber mein Freund Erwin Schoettle noch Ausführungen machen wird. Kommissariat und Ministerrat sind auch insoweit nahezu allmächtig.
So ist es mit dem Geld, und so ist es, was noch ungleich schwerer wiegt, mit dem Blut. Über die Kriegserklärung soll deutscherseits ein einziger Mann insgeheim mitbestimmen können: der deutsche Minister im europäischen Ministerrat.
Gewiß darf nach dem EVG-Vertrag in Übereinstimmung mit unserm Grundgesetz nur ein Verteidigungskrieg erklärt werden, aber es wäre ein verhängsnisvoller Irrtum, sich einzureden, die Erklärung des Verteidigungskrieges sei nur eine belanglose Formalität ohne Bedeutung. Im Gegenteil, es gehört zu den verantwortlichsten Schicksalsentscheidungen, darüber zu bestimmen, ob irgendein Übergriff nur ein Grenzzwischenfall ist, der noch lokalisiert werden kann, oder ob er bereits die Aggression einer fremden Kriegsmacht darstellt. Nach der Weimarer Verfassung bedurfte es auch für die Erklärung eines Verteidigungskrieges eines Reichsgesetzes; also der Reichstag als die Volksvertretung entschied, ob der Kriegsfall eingetreten ist. Das Grundgesetz ermächtigt überhaupt niemand, den Krieg für uns zu erklären. Aber nach dem EVG-Vertrag können wir uns unversehens eines Tages plötzlich im Verteidigungskrieg befinden, nur weil ein einziger deutscher Minister hinter verschlossenen Türen mit dafür gestimmt hat, daß irgendein Grenzzwischenfall bereits der Angriff auf uns sei.
Die ungeheuerliche Tragweite einer solchen Diktaturgewalt, die für jeden Soldaten dann die Pflicht zum Kämpfen auslöst, ist erst ganz zu ermessen, wenn man sie mit der Stellung Amerikas innerhalb des Atlantikpakts vergleicht. Da nach der amerikanischen Unionsverfassung einzig der Kongreß als die Volksvertretung durch Gesetz darüber beschließen kann, ob der Verteidigungsfall gegeben ist, so ist der Atlantikpakt absichtlich in der Weise formuliert, daß die atlantische Organisation keine Entscheidungsbefugnis darüber hat, ob Amerika sich im Verteidigungskrieg befindet. Die Amerikaner haben hier wie auch sonst ihr Verfassungsrecht gewahrt, wir nicht. Jetzt aber könnte deshalb die Katastrophe eintreten, daß wir mit der Stimme des einzigen deutschen Ministers im Ministerrat der EVG als im Krieg befindlich erklärt werden, aber der amerikanische Kongreß es ablehnt, den Kriegsfall für Amerika anzuerkennen.
Mit unserm Grundgesetz ist es schlechterdings unvereinbar, einem einzigen Minister eine solche Allmacht zu übertragen.
Alle diese Fehler kommen daher, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft keine demokratische und keine parlamentarisch kontrollierte Einrichtung ist, sondern ein autoritäres Regime, das von Managern manipuliert wird.
Nun hat der Herr Abgeordnete Professor Wahl in seinem für die Mehrheit erstatteten Rechtsgutachten allerdings gesagt, wenn mehrere Kommunen durch Zweckverband eine Straßenbahn betrieben, sei ja auch die parlamentarische Kontrolle durch die Stadtverordneten ausgeschaltet. Als ob der Betrieb einer Straßenbahn vergleichbar wäre mit Veranstaltungen, bei denen es eine Endstation Krieg gibt!
Aber wenn die Waffen wieder getragen werden sollen - und die Voraussetzungen, darüber zu diskutieren, sind von uns am 8. November 1950 aufgezeigt worden — unter Voraussetzungen, deren tatsächliche Erfüllung im gesamtdeutschen Interesse so etwas sinnvoll machen könnte, wovon heute keine Rede ist, so ist es doch das primitivste Recht eines jeden Soldaten, daß sein oberster Befehlshaber ein Mann sein muß, den das Vertrauen seines Volkes mit an diesen Platz gestellt hat. In einer gemeinschaftlichen Armee kann gewiß nur eine der beteiligten Nationen diesen Oberbefehlshaber stellen; darüber ist kein Streit. Hier aber ist durch die Verträge darauf verzichtet, deutscherseits gleichwertig und gleichberechtigt mitzubestimmen, wer den Oberbefehl führt und nach welchen Grundsätzen und Plänen der Betreffende ihn zu führen hat. Denn wir sind kein Mitglied des Atlantikpakts und können deshalb ohne Verletzung des Grundgesetzes auch nicht das Hoheitsrecht des Oberbefehls über die deutschen Kontingente unwiderruflich in seiner Substanz auf den Oberbefehlshaber NATO übertragen, da wir gar nicht mitzubestimmen haben, wer diesen Oberbefehl und wie er ihn ausübt.
Die deutschen Kontingente, die für den Verteidigungsfall einem fremden Kommando unterstellt sind, werden aber außerdem, so gleichsam mit der linken Hand, durch Art. 12 § 1 Abs. 1 des EVGVertrags dem Bundeskanzler als Machtinstrument seiner inneren Politik ausgeliefert,
was auch die wenigsten wissen. Das Grundgesetz
hat die Rechte eines Bundeskanzlers genau und abschließend bestimmt und ihm nicht einmal eine
Bundespolizei gewährt. Es ist unstreitig, daß ohne
eine Verfassungsänderung keine Bundespolizei zulässig ist. Der EVG-Vertrag gewährt ohne Rücksicht auf das Grundgesetz dem Bundeskanzler ein
selbständiges Recht, die deutschen Divisionen anzufordern, wenn er nach seinem Ermessen oder
seinem „einsamen Entschluß" die freiheitliche
demokratische Grundordnung oder die Sicherheit
und Ordnung für bedroht hält. Wer weiß denn,
wann das der Fall ist? Wer schützt uns und wer
schützt die befehlsgebundenen Soldaten davor, daß
ein Kanzler schon gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen oder Streiks als solche Störungen ansieht?
Hiergegen ist es unerheblich, daß dann der Einsatz
der Truppen im Inneren nur nach dem Grundgesetz
erfolgen soll. Denn die Rechtsgelehrten der Bundesregierung behaupten ja heute schon, daß die Notstandsregelung im Grundgesetz nur fragmentarisch sei und jedenfalls ein übergesetzliches Notstandsrecht aus der sogenannten „Natur der Sache" den Einsatz deutscher Soldaten im Innern gegen ein angeblich ungetreues Bundesland oder als Deutsche gegen Deutsche selbst im Westen zulasse.
In jedem Falle verändert bereits das Anforderungsrecht des Kanzlers seine verfassungsrechtliche Stellung von Grund auf
und schenkt ihm eine Machtfülle, die selbst Bismarck nicht hatte. Warum verschweigt man der Öffentlichkeit, daß die Männer, die man zur Fahne ruft, keineswegs allein die Aufgabe haben sollen, die Heimat gegen einen Angriff von außen zu schützen, sondern daß ihre Truppe auch als inner-politisches Machtmittel dienen kann?
Welche Rechte sollen die Soldaten gegen verfassungswidrige Befehle haben? Auf wen oder auf was sollen die Soldaten überhaupt verpflichtet werden? Auf Gesamtdeutschland? Auf den Bundeskanzler? Auf den Oberbehelfshaber NATO? Auf die EVG? Oder auf was? Es bleibt ungewiß, welche Verpflichtungen eine Bundesregierung den eigenen Soldaten gegenüber hat, und es ist ebenso eine offene Frage, welche Rechte ein deutscher Soldat besitzt, der in Gewissensnot kommt, weil er sich Befehlen gegenüber sieht, die ihn zwingen wollen, seine Heimat preiszugeben. Alle diese Regelungen und noch schlimmer diese Blankovollmachten sind außerhalb der Verfassung.
Hiermit komme ich zum letzten Punkt: das Grundgesetz kennt weder eine Wehrgewalt, noch erlaubt es ohne Verfassungsergänzung eine allgemeine Wehrpflicht. Man sollte diese klare Rechtslage nicht durch einen Mißbrauch des Schlagworten von der Wehrhoheit verdunkeln. Was bedeutet denn die Wehrhoheit? Wehrhoheit ist die völkerrechtliche Befugnis eines jeden freien Volkes, selbst zu bestimmen, ob und wie es sich gegen fremde Mächte verteidigt. Diese Selbstbestimmung nimmt auch das deutsche Volk für sich in Anspruch. Das Vertragswerk aber gewährt sie uns nicht, sondern versagt sie uns. Meine Damen und Herren, mit den Japanern hat man erst den Vertrag über das Ende der Besatzung abgeschlossen und in Kraft gesetzt.
Erst als die Japaner dadurch wieder ein freies Volk waren, haben sie mit Amerika den sogenannten Sicherheitsvertrag vereinbart.
Bei uns dagegen verfährt man umgekehrt.
Für uns sind die Verträge aneinander gefesselt. Uns gibt der Generalvertrag weder Freiheit noch Einheit noch Gleichberechtigung. Aber der angekoppelte EVG-Vertrag zwingt uns, Soldaten zu stellen, und nimmt uns die Mitbestimmung über den Oberbefehl. Hierbei hat man nicht einmal Rücksicht darauf genommen, daß unsere Verfassung keine Wehrpflicht kennt, also erst ergänzt werden müßte, um das Aufstellen von Truppen zu erlauben. Sogar die Gutachter der Bundesregierung erkennen an, daß die völkerrechtliche Wehrhoheit nichts dar-
über besagt, welche Voraussetzungen nach unserem innerdeutschen Verfassungsrecht zu erfüllen sind, um Truppen aufzustellen und einen Zwang zur Wehrpflicht anzuordnen.
Anders als sämtliche bundesstaatlichen Verfassungen, die es je in der Welt gab und gibt, schweigt das Grundgesetz zu diesen Fragen. Warum? Weil das Grundgesetz ja als Verfassung nur für ein Teilgebiet der Bundesrepublik Deutschland erlassen werden konnte. Den Parlamentarischen Rat bewegte als zentrales Problem mit Recht die Sorge, nichts zu tun, was die von den Besatzungsmächten zu verantwortende Zerteilung des Bundesgebiets an der Saar und an der Elbe hätte noch einschneidender machen können. Auch heute noch ist es eine offenkundige Unwahrheit, wenn davon gesprochen wird, daß Deutschland oder daß die Bundesrepublik in die Verteidigungsgemeinschaft integriert werde. Denn die Bundesrepublik umfaßt auch Saarbrükken, Groß-Berlin, Dresden, Breslau und Königsberg!
Der Parlamentarische Rat ist deshalb, weil er nur ein Teilgebiet Deutschlands und auch dies nur provisorisch zu ordnen hatte, nachweisbar zu dem Schluß gekommen, die Wehrfrage weder positiv noch negativ zu lösen, sondern sie als damals zur Zeit unausgereift auszuklammern und ihre Lösung einer späteren Ergänzung des Grundgesetzes zu überlassen. Die Verhandlungen zu Art. 73, die zur ausdrücklichen Ablehnung einer Schutz- oder Sicherungsgewalt führten, ergeben das mit aller Klarheit.
Wenn man heute den Art. 4, der das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung gewährt, geradezu in sein Gegenteil verkehrt und uns weismachen will, daß er im Grundsatz die Wehrpflicht voraussetze, so empfehle ich Ihnen einmal, die Verhandlungen unseres Rechtsausschusses vom 10. Januar 1951 nachzulesen. Damals hat Herr Ewers von der DP erklärt, daß der Art. 4 „ohne sachlichen Inhalt" sei,
und Herr Dr. Weber von der CDU hat gesagt, daß das Grundsätzliche noch nicht bekannt sei. Erst jetzt will man in Art. 4 nachträglich einen Grundsatz der Wehrpflicht hineindeuten.
Meine Damen und Herren, was hat denn der Parlamentarische Rat und was hat die sozialdemokratische Fraktion, auf die dieser Artikel zurückgeht im Zusammenhang mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit, damit bringen wollen? Doch nach den Erlebnissen des zweiten Weltkrieges eine Art Ölzweig; und wenn man heute so mit irgendwelchen logischen oder gedanklichen Manipulationen diesen Ölzweig mit einem dahinter verborgenen Bajonett vertauschen will, dann ist das ein Zynismus ohnegleichen!
Jetzt will man auch auf einmal aus dem Art. 24, der nun wirklich europäisch gedacht war, so eine Art juristischer Atombombe machen, um die Verfassung zu sprengen. Was sagt denn Art. 24? Er sagt in seinem zweiten Absatz, um den es sich hier handelt: Der Bund kann in Beschränkungen
seiner Hoheitsrechte einwilligen, und zwar indem er sich einem System kollektiver Sicherheit einordnet. Das ist eine klare und einfache Vorschrift, und die Abgeordneten Carlo Schmid, Wagner, Greve und Maier haben uns in der Ausschußberatung klar bezeugt, daß man weder damit eine nationale noch eine supranationale Wehrgewalt oder Wehrmacht ermöglichen wollte, weil schlechterdings eben jeder Bewaffnung die gleiche Sorge entgegenstand, eine vorzeitige und unbedachte Regelung des Wehrproblems könnte ungünstige Rückwirkungen auf die Wiedervereinigung haben.
Im Parlamentarischen Rat war man sich klar, daß man in der Wehrfrage eine Lücke ließ. Gerade auch deshalb hat man im Art. 79 angeordnet, daß eine erhöhte Mehrheit, eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat befugt sein soll, die Verfassungsurkunde in ihrem Wortlaut zu ergänzen. Die bloß einfache Mehrheit ist also nicht die höchste politische Instanz. In Grundfragen, die eine Einigkeit der Nation erfordern, ist diese einfache Mehrheit nur eine unzureichende Minderheit gegenüber dem Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit. In Verfassungsfragen — und die Wehrfrage ist eine Verfassungsfrage — werden das Volksganze und das Staatsganze parlamentarisch allein von der Koalition u n d der Opposition zusammen verkörpert!
Eine Regierungskoalition dagegen, die sich für den
Staat erklärt und eine Einheit von Staat und Regierungsparteien behauptet, begeht einen Staatsstreich.
Ihr fehlt die moralische Autorität.
— Ja, Herr Kollege, Sie finden das lächerlich,
aber es ist schon eine Reihe von Jahren her, daß mein verehrter Lehrer Heinrich Triepel in Berlin schrieb, daß auch ein Parlament einen Staatsstreich begehen könne. Dieses Wort stammt von einem größeren als ich es bin.
Der Mehrheit fehlt die moralische Autorität, um in
einer Grundfrage der Verfassung Recht zu schaffen.
Wenn hierbei ein Teil des Volkes — und das haben Sie ja vor — Gewissenszwang gegen den anderen Teil des Volkes üben will, dann bekommt — —
— Gewissenszwang wollen Sie üben; denn Sie wissen ja, daß Sie nur vielleicht die Hälfte des Volkes
— und das noch nicht einmal — hinter sich haben, und Sie wollen die andere Hälfte in ihrem Gewissen zwingen,
und wenn Sie da$ tun, dann bekommen Sie günstigstenfalls Hiwis oder Legionäre, aber keine Soldaten!
Ich will Ihnen das ganz klar sagen: Um Soldaten, die freie Wehrbürger sind, zu bekommen und sie zur Fahne zu rufen, dazu gehört mehr als der Parteibefehl einer Regierungskoalition!
Dieser untaugliche Versuch beschwört die Gefahr herauf, unser von den Besatzungsmächten schon in seinem Gebiet gespaltenes Land jetzt auch noch in den Gewissen menschlich zu zerreißen.
Die Demokratie wird zersetzt mit solchen Methoden.
— Ach, Herr Strauß, reden Sie doch nicht über so etwas. Denn wir sind eben der Meinung, daß das, was Sie vorhaben, die Unsicherheit und die Gefahr nur erhöht. Sie sollten sich klar sein, daß Sie mit diesen Methoden nicht weiterkommen und den klaren Text der Verfassung so nicht verändern können. Denn die Verfassung ist kein Gegenstand von Schlauheit und listiger Deutelei.
Man soll das Wort des Grundgesetzes stehenlassen,
wie es steht und so, wie jeder es zu lesen versteht.
Man soll eine Verfassung heute nicht andersherum auslegen, als sie gestern noch begriffen wurde.
Man war sich im Parlamentarischen Rat darüber klar, keine Wehrgewalt zu schaffen.
Das Volk will doch das Vertauen haben,
daß seine Verfassung unverbrüchlich ist und daß man der Verfassung glauben darf. Wenn man uns heute einreden will, das Grundgesetz sei in nur für Schriftgelehrte entzifferbarer Geheimsprache abgefaßt — der Rheinische Merkur spricht in seiner Ausgabe vom 5. Dezember von den „taktischen Lücken" — und das Grundgesetz habe einen doppelten Boden, dann ist es mit der Verfassungsmoral und der Verfassungsehrlichkeit vorbei.
Ein solcher Frevel muß in weitesten Volkskreisen, die treu zur Demokratie stehen und ihr Vaterland nicht weniger lieben als andere Deutsche, die bitterste aller Enttäuschungen wecken, das Bewußtsein, aus dem Staate ausgestoßen zu werden und in der eigenen Heimat heimatlos zu sein.
Dieser Bruch wäre nie wieder gutzumachen. Wir würden aufhören, e i n Volk zu sein selbst hier im Westen und wären nur noch feindliche Parteien im kalten Bürgerkrieg.
Das letzte Wort über die verfassungsrechtlichen Fragen wird an anderer Stelle gesprochen werden.
Die nach Karlsruhe hin gesprochenen Belehrungen, Warnungen und fast — ich scheue mich es auszusprechen — Drohungen verschiedener Redner, etwa des Herrn von Merkatz, sind grobe Ungehörigkeiten und ein trauriges Zeugnis für den Tiefstand unserer Rechtsmoral.
Ich wiederhole, was ich im Bundestag schon einmal von dieser Stelle aus sagte. Der gesetzeskräftige Urteilsspruch über die Zulässigkeit dieser Vertragsgesetze wird für uns verbindlich sein. Ich wiederhole aber auch, daß politisch wir weder jetzt noch je bereit sein werden, uns eine parlamentarische Entscheidung zu eigen zu machen, die für die Gemeinsamkeit des Staatsbewußtseins eine Katastrophe bedeutet.