Rede von
Dr.
Anton
Besold
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Generalvertrag die Vergangenheit abschließen soll, so zeigt der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft den Weg in die Zukunft des deutschen Volkes und Europas. Die Bayernpartei war sich bei der Prüfung der Westverträge bewußt, daß es sich, wie schon von verschiedenen Rednern hier betont worden ist, um eine Entscheidung von größter Tragweite für das gesamte deutsche Volk handelt. Es ist uns auch vollkommen klar: niemand, gar niemand wird den Abgeordneten die Entscheidung über das Ja oder Nein zu den Westverträgen abnehmen, und wir als verantwortungsbewußte Parlamentarier, die allein dem Volk gegenüber verantwortlich sind, dürfen uns diese Entscheidung auch nicht von dem höchsten Gericht der Bundesrepublik, dem Bundesverfassungsgericht, abnehmen lassen. Das Hauptgewicht dieser Entscheidung — das ist wohl jedem klar — liegt auf politischem Gebiet, in der Abwägung der politischen, und zwar der außenpolitischen Notwendigkeiten, Sorgen und Gefahren. Wenn diese politische Entscheidung mit einem Ja beantwortet wird, muß dieses Parlament auch den
Mut haben und die Verantwortung auf sich nehmen, die verfassungsrechtlich notwendigen Mehrheiten wegen der hochpolitischen Bedeutung der Westverträge herbeizuführen.
Sie wissen, daß sich die Bayernpartei nach einer verantwortungsbewußten Prüfung zu einem Ja zu den Westverträgen durchgerungen hat
und die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten für die Westverträge stimmen wird. Gleichwohl darf ich Ihnen, weil es für die Fortentwicklung des Vertragsinhaltes nützlich ist, wenigstens drei Hauptbedenken zum EVG-Vertrage bekanntgeben. Ein Bedenken bei der Beratung war die im Vertrage festgelegte Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, weil psychologische und mit dem System zusammenhängende Sachverhalte aus der jünsten Vergangenheit zu frisch und belastend gerade mit Rücksicht auf die sogenannte „Entmilitarisierung" noch auf uns und unserer Jugend liegen. Wir hoffen, daß die von da und dort angekündigten durchgreifenden Reformen im Wehrwesen Wirklichkeit werden, wenn nicht durch Vereinbarungen zwischen den Vertragsmächten doch noch die Freiheit des Wehrsystems gewährleistet werden kann.
Ein weiteres schwerwiegendes Bedanken war, daß noch nicht die unmittelbare Mitgliedschaft Westdeutschlands im Nordatlantikpakt vollzogen ist. weil dadurch das Ausmaß des politischen und strategischen Einflusses in der Atlantischen Gemeinschaft, bei der letzten Endes im Ernstfall der Oberbefehl der europäischen Streitkräfte liegt, im umgekehrten Verhältnis zu unserem Risiko steht; denn der deutsche Raum ist der exponierteste Teil des westeuropäischen Randgebietes der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Es muß aber auch festgestellt werden, daß durch die Integrierung in den höchsten Stäben in EVG und NATO schon jetzt der deutsche Einfuß bedeutend gesichert ist.
Eines der größten Hemmnisse für das Ja-Bekenntnis zu den Westverträgen war die Gefahr für die von der Bayernpartei konsequent vertretene föderalistische Staatsidee. Wir wissen — und die Vergangenheit hat uns bitterste Beweise geliefert —, daß es immer die Wehrhaftmachung und die Verstärkung des militärischen Potentials waren, die den politischen Zentralismus mit seiner jeweiligen Katastrophenpolitik zur Folge hatten. Diese Gefahren zeichnen sich schon jetzt in den neuerlichen finanzpolitischen Erwägungen ab, einen weiteren schweren Eingriff in die Einkommensquellen der Länder zu machen und damit die Finanzkraft und die Finanzhoheit der Länder auszuhöhlen. Nur die drohende Gefahr des Bolschewismus, der überhaupt jede Möglichkeit eines föderalistischen Staatsaufbaus auslöschen würde, hat der Bayernpartei die Einsicht abgerungen, zu den Westverträgen, so wie sie jetzt vorliegen, ja zu sagen.
Es ist aber jetzt auch die Stunde, die Bundesregierung und die Parteien dieses Parlaments darauf hinzuweisen, daß die klare Erkenntnis aus den Fehlern der Vergangenheit sein muß: Der Föderalismus ist d i e Staatsidee, die der Gralshüter gegen den Mißbrauch der Staatsgewalt ist.
Entscheidend für ein Ja der Bayernpartei zu den Westverträgen war auch die eingehende Untersuchung der Kardinalfrage: Ist die Notwendigkeit einer militärischen Schutzgemeinschaft unerläßlich? Wir haben hier schon gehört, daß gerade die Entwicklung seit 1945 und das Ausscheren der Sowjetunion aus den Zielen der Vereinten Nationen größte Gefahren heraufbeschworen hat.
Ich erinnere nur an die Okkupation Polens, der Tschechoslowakei, Ungarns, Rumäniens, Bulgariens und Albaniens. Diese sowjetrussische Politik ist geleitet von panslawistischem Expansionsdrang, gestärkt durch den Glaubenssatz dieser Weltrevolutionäre. daß der Westen in sich zu Ende gehe und der kommunistische Sozialismus die Herrschaft in der Welt übernehmen müsse.
Aber wenn uns das alles noch nicht überzeugte — man braucht auch nicht allen Propagandaschriften, die vielleicht von der Bundesregierung kommen, restlos zu vertrauen —, ist es viel besser, sich einmal Berichte oder Schriften aus der Sowjetzone zu besorgen.
Hier ist ein Bericht über die letzte Parteikonferenz der SED im Juli dieses Jahres.
Wir wissen. daß die SED der verlängerte Arm Moskaus und das Sprachrohr Moskaus ist.
Was in den Beschlüssen der SED in diesem Jahre festgelegt worden ist, zeigt klar und deutlich auf, daß hier eine revolutionäre Bewegung schärfsten Ausmaßes in Gang gesetzt wird. Nur einige Zitate aus diesen Beschlüssen der SED mögen Ihnen zeigen, wohin der Weg aus diesem bolschewistischen Osten führen soll.
Unter der Maske des „nationalen Befreiungskampfes" und unter der Maske einer „Friedensbewegung" wird hier zu einem Kampf gegen die amerikanischen, englischen und französischen Okkupanten in Westdeutschland, so heißt es hier, und zum Sturz der Vasallenregierung in Bonn aufgefordert. Aber nicht nur gegen diese Kräfte geht es, sondern im zweiten Punkt dieses Beschlusses, wo die Schaffung einer Aktionseinheit der kommunistischen, sozialdemokratischen, christlichen und parteilosen Arbeiter herausgefordert und zu einer Friedensbewegung aufgefordert wird, heißt es: Der große Befreiungskampf der Patrioten gegen die fremden imperialistischen Eindringlinge und Ausbeuter erfordert zugleich den entschiedenen Kampf gegen die rechten sozialdemokratischen Führer und Gewerkschaften. Ich habe bisher noch nicht gewußt, daß es rechte und linke Sozialdemokraten bei uns gibt; aber hier ist es festgelegt.
Gegen alle Aufbaukräfte, ob es die Alliierten, ob es die Bundesregierung oder die Opposition in Westdeutschland ist, wird zum „nationalen Befreiungskampf" aufgerufen.
Interessant ist, wer die Schrittmacher in Westdeutschland sind und wer dazu beauftragt wird. Das finden wir im Punkt 3 dieses Beschlusses, wo es heißt:
Die Stärkung der brüderlichen Solidarität mit der Kommunistischen Partei Deutschlands, die ihre Reihen festigt und alle Anstrengungen unternimmt, damit sie ihre geschichtliche Aufgabe in den vordersten Reihen der nationalen Befreiungsbewegung in Westdeutschland erfüllen kann ...
Die Kommunistische Partei Deutschlands ist die
Klammer zu diesen aufrührerischen Bewegungen.
Das steht hier in einer sowjetischen Schrift.
Aber es ist nicht nur eine waffenlose Friedensbewegung. Hier steht auch klipp und klar, daß die Sicherung des Friedens, die Stärkung der demokratischen Volksmacht, der demokratischen Ordnung und Gesetzlichkeit und die Organisierung bewaffneter Streitkräfte, die mit den neuesten technischen Errungenschaften ausgerüstet sind, vorbereitet werden. Und unsere „Friedensbewegler" wollen sich jeden Schutzes gegenüber derartigen militärischen Kräften, die mit den modernsten technischen Mitteln ausgerüstet sind, begeben! Herr Brandt von der SPD, Sie haben gestern gesagt: Besser ist es, zu wissen, als zu glauben. Jetzt wissen Sie, was Sie nicht glauben wollen!
Und wenn gestern zu Beginn dieser Sitzung Herr Renner
die Eilbedürftigkeit des Abschlusses dieser Verträge kritisiert und mit Bezug auf diese Verträge von Schandverträgen gesprochen hat, so wissen wir nun auch, warum und in wessen Auftrag er das getan hat.
Sie sagten auch, Herr Renner: Unsere Jugend und unser Volk sollen dem Moloch Krieg geopfert werden! — Nein, Herr Renner, nur über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft wird die Absicht Ihrer Auftraggeber verhindert, unsere Jugend dem Moloch Krieg und Bolschewismus zu opfern.
Und das soll unsere Jugend auch wissen!
Sehen wir uns einmal all die Flüchtlingsströme seit 1945 an! Sie gehen nicht von Westen nach Osten, sie kommen alle vom Osten nach dem Westen.
Das ist die Flucht vor der Unfreiheit in die Freiheit. Das ist die Flucht vor der Menschenunwürde in ein menschenwürdiges Dasein.
Außer diesen Fakten haben uns noch folgende Gründe bei der Abwägung der Vertragsauswirkungen zu unserer Stellungnahme bewogen. Wir sind davon überzeugt, daß durch die Schaffung Europas in Verbindung mit der Sicherung durch die Atlantikpaktstaaten eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft entsteht, die die Sowjetunion und ' den östlichen Machtbereich mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eher davon abhalten wird, weiter gegen den Westen vorzustoßen, als der jetzige Zustand Europas.
Jeder Ehrliche muß zugeben, daß diese Verträge für Deutschland die würdelose Besatzungszeit beenden und den Weg zur vollständigen Bereinigung der Vergangenheit und zur Gleichberechtigung der westlichen Völker freimachen. Feindschaften und Kriege zwischen den Völkern des Westens, die in der Vergangenheit soviel politisches und menschliches Unheil und auch die jetzige Gefahr des Ostens gebracht haben, können bei ehrlicher Fortentwicklung der Verträge beseitigt werden. Außerdem dürfte feststehen — was hier ja auch schon gesagt worden ist —, daß es dann innerhalb der Vertragspartner keine Gefahren mehr gibt. Gerade hierauf haben die Gegner immer hingewiesen, indem sie erklärt haben, daß die westlichen alliierten Siegermächte sich etwa auf Kosten Deutschlands im Wege von Verhandlungen und Abmachungen über unseren Kopf hinweg mit den Sowjets verständigen könnten. Das ist nun, nach dem Abschluß der Verträge mit dem Westen, nicht mehr möglich.
Noch eines muß das Bekenntnis zu diesen Westverträgen leichter machen: nicht im Osten wird die persönliche Freiheit garantiert. Dort heißt es für die Jugend: entweder in die Volkspolizei oder in die Uranbergwerke!
Die persönliche Freiheit, eines der höchsten Güter, die wir haben, erleben wir nur im Westen, und deshalb muß der Westen sich eine Schutzmacht verschaffen.
Wir alle fühlen, ja wissen es, daß die Welt in zwei Teile geteilt ist und daß die westliche Welt allen Grund hat, nationalistische Forderungen und untergeordnete Bedenken aller Art der Sicherung des europäischen Friedens hintanzustellen. Dieses Mal muß Europa errungen werden, damit Europa nicht wie nach dem ersten Weltkrieg den Frieden versäumt. Daran soll uns die Tatsache erinnern, daß ein englischer Politiker, MacDonald, am 3. September 1929 in einer Rede zur Europafrage und bei Ausführungen über die überstaatliche Organisation gesagt hat: „Die Zeit ist nicht reif. Wir müssen weiterhin zehn Jahre warten." Nach zehnjährigem Warten und zehnjähriger Versäumnis, den Europa - Gedanken vorwärtszutragen, brach im September 1939 der zweite Weltkrieg aus.
Wollen wir das wiederholen? Nicht das Klügeln, nicht das Negieren, nicht das Verzögern und vor allem nicht das Zerreden wird uns vorwärtsbringen und die einzig mögliche Chance des Friedens sichern, sondern nur der offene Mut und das echte Bekenntnis zu Europa.
Aus dieser Erkenntnis stimmt im Einklang mit der Partei die überwiegende Mehrheit der Bayernpartei-Abgeordneten dem Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu.