Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Auftrag, die Auffassung der Minderheit im Haushaltsausschuß hier insoweit zu erörtern, als sie sich nicht in vollem Umfang aus dem von mir verfaßten Teil des Berichts*) ergibt.
Zunächst die Umschreibung der Aufgabe, die dem Ausschuß gestellt war und aus der sich dann auch die Feststellungen ergaben, die die Minderheit glaubte treffen zu müssen. Die Aufgabe des Haushaltsausschusses beschränkte sich auf die Feststellung der unmittelbaren Belastung des Bundeshaushalts, die sich aus den Vertragstexten ergibt; weiterhin auf die Feststellung der mittelbaren materiellen Auswirkungen der Verträge und der Zusatzverträge im Sinne von weiteren Ausgaben des Bundes und Einnahmeminderungen und letztlich auf die haushaltsrechtlichen Konsequenzen der Verträge. Der Unterschied zwischen der Auffassung der Mehrheit und der der Minderheit lag weniger in der Beurteilung der unmittelbaren Be-
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11256C
lastung, soweit sie sich aus den Vertragstexten klar ergibt — und Sie werden auch finden, daß die Ziffern, die in dem Bericht der Mehrheit und dem der Minderheit in diesem Punkte genannt worden sind, im wesentlichen übereinstimmen als vielmehr in der politischen Beurteilung der Möglichkeiten für künftige Haushaltsjahre, der Chancen für die Herabsetzung der deutschen Belastung. Kurzum, darin liegt der fundamentale Unterschied der Auffassungen, der die Mehrheit von der Minderheit trennt.
In den Beratungen des Ausschusses ist immer wieder zutage getreten — ich möchte das als Vertreter der Minderheit sagen —, daß auf der einen Seite ein, wenn ich diesen Begriff verwenden darf, hohes Maß von Glauben an die Chancen, an den Geist der Verträge und an den Geist der Vertragspartner bestand, auf der andern Seite ein, wie ich glaube, auf die Realitäten gestützter Skeptizismus gegenüber den Möglichkeiten, die sich für die Bundesrepublik im Zusammenhang mit der Durchführung dieser Verträge ergeben. Wie gesagt, über die aktuellen Zahlen, soweit sie in den Verträgen oder in Abmachungen anderer Art festgelegt sind, bestand keine Meinungsverschiedenheit. Eine Meinungsverschiedenheit bestand aber hinsichtlich der Beurteilung der Tragbarkeit der Belastungen für die Bundesrepublik. Ich will sie kurz nennen: für den Bundeshaushalt 1952/53 rechnet jeder, auch der Herr Bundesfinanzminister, mit den 8,8 Milliarden DM, die sich bereits im Haushalt niedergeschlagen haben und über die bestimmte Vereinbarungen vorliegen. Für das Haushaltsjahr 1953/54 sind Abmachungen und vertragliche Festlegungen nur bis zum 30. Juni 1953 vorhanden. Im ersten Vierteljahr ergeben sie sich von selber aus den Verpflichtungen, die die Bundesrepublik eingegangen ist. Man muß damit rechnen, daß im Haushaltsjahr 1953/54 die 10,2 Milliarden DM reiner Verteidigungsbeitrag in vollem Umfang auf die Bundesrepublik entfallen. Die Chancen, daß nach dem 30. Juni 1953 die monatliche Verpflichtung von 850 Millionen DM herabgesetzt wird, werden von der Minderheit völlig anders beurteilt als von der Mehrheit. Der Herr Bundesfinanzminister selber hat ja gerade in diesen Tagen erklärt, diese 850 Millionen DM seien nach dem 30. Juni 1953 nicht tragbar. Die politischen Voraussetzungen für eine echte Herabsetzung dieses Betrags sind aber nach der Auffassung der Minderheit des Ausschusses außerordentlich skeptisch zu beurteilen.
Eine andere Frage war, welche Belastungen sich zusätzlich ergeben. In diesem Punkte mußten wir uns auf die Mitteilungen des Bundesfinanzministeriums stützen. Soweit die nackten Ziffern vorliegen, die teils auf Schätzungen, teils auf Erfahrungen beruhen, hat man sich darauf geeinigt, daß zu den 10,2 Milliarden DM noch weitere 840 Millionen DM treten würden, deren Natur und Ausgangspunkt in dem Bericht im einzelnen dargestellt worden ist.
Bezüglich der politischen Beurteilung der Chancen ist im Ausschuß von der Minderheit darauf hingewiesen worden, eine entscheidende Schwäche der Position der Bundesregierung sei vor allem die, daß die Spekulation auf die sogenannte Außenhilfe im wesentlichen eine Spekulation auf eine sehr unsichere politische Konstellation sei, die sich offenkundig schon in dem Augenblick geändert habe, als die amerikanischen Präsidentschaftswahlen das bekannte Ergebnis gehabt hätten.
Im Ausschuß ist sehr eingehend darüber gesprochen worden, inwieweit die Belastungen der Bundesrepublik sich auf die Höhe begrenzen ließen, die nach den Vertragstexten nunmehr zu übersehen sei, inwieweit insbesondere der zunächst ausgehandelte deutsche Verteidigungsbeitrag entweder so bleiben oder sich gar ermäßigen werde.
Demgegenüber haben wir von der Minderheit gesagt, daß entscheidend für die Bemessung des künftigen deutschen Beitrags an die Europäische Verteidigungsgemeinschaft nicht sein werde, welche Richtlinien etwa von NATO oder von der EVG ermittelt worden seien, sondern daß entscheidend dafür die tatsächliche Wirksamkeit der nach dem EVG-Vertrag aufzustellenden militärischen Verbände sein werde. Wenn man diese Verbände wirksam machen wolle, werde man vermutlich sehr bald gezwungen werden, unter dem Druck der veränderten amerikanischen Situation, unter dem Druck der Situation, die sich aus der Aufstellung dieser Verbände ergebe, aufs neue die Gesamtbelastung und den Gesamtbedarf der EVG zu errechnen. Dabei ist nach Meinung der Minderheit des Ausschusses damit zu rechnen, daß der deutsche Verteidigungsbeitrag wie der Verteidigungsbeitrag der übrigen EVG-Partner wahrscheinlich nicht auf der bisherigen Höhe gehalten werden könne, sondern daß er über dieses Maß hinauswachsen werde. Selbstverständlich waren Schätzungen in einigermaßen zutreffendem Umfange auf diesem Gebiete nicht möglich. Ich will aber doch hier die Auffassung der Minderheit aus ihrer politischen Beurteilung der Situation her begründen. Was die Schlußfolgerungen angeht, die die Minderheit bezüglich der ersten Aufgabe des Ausschusses, nämlich bezüglich der unmittelbaren materiellen Wirkungen der Verträge, gezogen hat, so habe ich in meinem Bericht dargestellt, daß sich nach Meinung der Minderheit für die Zeit bis zum 30. Juni 1953 zwar das errechnete Quantum der Haushaltsbelastung wahrscheinlich bestätigen werde, daß aber darüber hinaus erst das Ergebnis von Verhandlungen abzuwarten sei. Dieses Ergebnis beurteilen wir außerordentlich skeptisch.
Nun kommen zu den übersehbaren materiellen Auswirkungen der Verträge auch die voraussichtlichen finanziellen Belastungen der Bundesrepublik aus dem Überleitungsvertrag. Hier haben wir eine Aufrechnung der Herren des Bundesfinanzministeriums erhalten, deren Endergebnis die Summe von 20 549 Millionen oder 20 1/2 Milliarden DM ergibt, von der wir wissen, daß sie nicht in einem Haushaltsjahr verkraftet werden muß, selbstverständlich nicht. Sie wird sich auf viele Haushaltsjahre verteilen; immerhin aber sind diese Belastungen da, man muß sie ins Auge fassen. Wenn es sich darum handelt, die Tragbarkeit der aus dem EVG-Vertrage sich ergebenden Belastungen zu beurteilen, kann man nicht so tun, als ob das eine Sache für sich wäre; dann muß man die gesamten auf den Bundeshaushalt zukommenden Belastungen in künftigen Haushaltsjahren mit in Rechnung stellen. Das war der Ausgangspunkt des Urteils der Minderheit im Ausschuß. Sie sagte: Die gesamte Belastung für die deutschen Steuerzahler, für die öffentlichen Haushalte muß mit herangezogen werden, wenn man ein richtiges Urteil über die Belastung erhalten will, die sich aus den Verträgen ergibt. Es ist ganz klar, und das legte die Minderheit ihrer eigenen Auffassung zugrunde: Wie immer man die heute im einzelnen noch gar nicht feststellbaren weiteren Belastungen
aus irgendwelchen moralischen und sachlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik beurteilt, diese Gesamtbelastungen werden doch so hoch sein — insbesondere wegen des Zwanges politischer, menschlicher und moralischer Natur, sie nicht in irgendeiner nicht übersehbaren Zeit zu realisieren, sondern in einem Zeitraum, den wir übersehen können —, daß sich aus diesen Gesamtbelastungen der Zwang ergeben wird, bestimmte Aufgaben und Ausgaben zu beschränken, wenn man die uns aus den Verträgen erwachsenden Ausgaben tatsächlich leisten und aufbringen will.
Wir von der Minderheit kamen zu der Schlußfolgerung, daß sich angesichts der gesamten Verpflichtungen des Bundeshaushalts aus den Verträgen zwangsläufig in der Haushalts- und Finanzgesetzgebung des Bundes die Notwendigkeit ergeben wird, zugunsten der Verteidigungslasten, deren Festsetzung nicht allein von den politischen Entscheidungen in der Bundesrepublik, sondern auch von anderen Einflüssen abhängt, auf anderen Sektoren unserer öffentlichen Haushaltsgebarung, unserer Finanzwirtschaft Einschränkungen zu machen. Die Minderheit erblickte in dieser Feststellung einen entscheidenden Widerspruch zu der Behauptung der Regierung, die Erfüllung der Verpflichtungen aus den Verträgen sei ohne Beschränkung der sozialen Leistungen und ohne neue Steuern möglich. Über dieses Thema werden wir in absehbarer Zeit noch viel zu reden haben.
Wir hatten ferner die haushaltsrechtlichen Konsequenzen der Verträge zu untersuchen. Nicht umsonst hat der Haushaltsausschuß — und der Auswärtige Ausschuß hat sich diesem Begehren angeschlossen — an die Bundesregierung den Wunsch gerichtet, sie möge rechtzeitig vor der endgültigen Verabschiedung dieser Verträge im Plenum des Bundestages erklären, daß sie bereit sei, vor der Festlegung deutscher Verpflichtungen in den Organen der EVG mit dem zuständigen Ausschuß des Bundestages das Zahlenmaterial zu erörtern,
das ihren eigenen Absichten zugrunde liege. Der Herr Bundesfinanzminister hat im Haushaltsausschuß mündlich mitteilen lassen, die Bundesregierung werde sich selbstverständlich einem solchen Wunsche nicht verschließen. Ich darf hier nur als Berichterstatter der Minderheit sagen, daß uns diese mündliche Erklärung durch einen Herrn des Bundesfinanzministeriums nicht genügt. Hier ist eine so fundamentale Forderung des Parlaments an die Bundesregierung aufgestellt, daß die Erklärung in einer ganz anderen und bindenderen Form auch dem Parlament gegenüber gegeben werden muß.
Zu den haushaltsrechtlichen Konsequenzen der Verträge darf ich vom Standpunkt der Minderheit noch folgendes anfügen: Wir waren der Meinung, daß — wie immer man die haushaltsrechtlichen Vorschriften im EVG-Vertrag beurteilen mag, und sie werden verschieden beurteilt — die entscheidende Schwäche die sei, daß die Konstitution der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und insbesondere die Zuständigkeiten der Versammlung, also des quasi Parlaments, der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft derart seien, daß wir darin keine effektive Kontrolle des Haushalts der EVG erblicken können; dieser nicht vorhandenen Kontrolle stehe auf der anderen Seite eine Einschränkung des Budgetrechts der nationalen Parlamente gegenüber, die außerordentliche Bedenken auslösen müsse.
Die Minderheit konnte sich nicht damit begnügen, daß ihr von der Regierungsseite und von der
Mehrheit gesagt worden ist, eine künftige, aus allgemeinen europäischen Wahlen hervorgehende echte parlamentarische Körperschaft werde größere Befugnisse haben. Wir waren der Meinung, daß das ein Wechsel auf eine sehr ungewisse Zukunft sei. Heute könne noch niemand sagen, ob die ohne gesetzliche Grundlage tagende ad-hoc-Versammlung mit ihrer Arbeit, auch wenn sie selber zu einem Abschluß komme, insofern erfolgreich sein werde, daß sich die an der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft beteiligten Regierungen auf einen so weitgehenden Verzicht auf nationale Souveränitätsrechte einigen könnten, daß daraus eine echte, eine effektive Haushaltskontrolle werde, — die ja nicht nur eine rein technische Angelegenheit ist, sondern im eminentesten Sinne des Wortes eine politische Angelegenheit, nämlich eine Lebensfrage der europäischen Demokratie ist.
Wir waren also der Meinung, daß es außerordentlich fragwürdig sei, ob aus den jetzt eingeleiteten Verhandlungen, Besprechungen und — nach unserer Auffassung — privaten Unterhaltungen ein Ergebnis hervorgehen werde, das in absehbarer Zeit an die Stelle der ungenügenden und unseres Erachtens politisch gefährlichen Lösungen eine echte europäische politische Lösung setzen werde. Solange aber dies nicht der Fall ist, ist nach Meinung der Minderheit der unbefriedigende Zustand, wie ihn die finanziellen Bestimmungen des EVGVertrages vorsehen, entscheidend. Daraus ergeben sich nach unserer Auffassung außerordentliche Gefahren, die wir von der Minderheit in den Schluß zusammengefaßt haben, daß das Haushaltsrecht des Bundestages durch die Verträge in erheblichem Umfang beschränkt wird und daß dieser Beschränkung kein gleichwertiger Ersatz auf der übernationalen Ebene gegenübersteht.
Wir haben weiter festgestellt, daß die der Bundesrepublik zugemutete Verteidigungslast unabhängig von ihrer politischen Bedeutung, die vom Ausschuß nicht zu untersuchen war, vom Bundeshaushalt nur getragen werden kann, wenn andere wichtige Aufgaben vernachlässigt werden, und daß sich daraus der Zwang ergibt, entweder andere Leistungen des Bundeshaushalts zu drosseln oder eine Erhöhung der Einnahmen zu erreichen.
Ich darf abschließend sagen, daß die Minderheit der Auffassung war, daß die in den Verträgen vorgesehenen Regelungen, soweit sie das Haushaltsrecht betreffen, auf einen Abbau, der parlamentarischen Kontrolle auf weiten Gebieten des öffentlichen Haushalts hinauslaufen und damit auf eine echte Gefährdung der Demokratie, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in den Partnerstaaten. Wir können uns nicht auf den Standpunkt stellen, daß uns die Entwicklung bei den Partnern gleichgültig sein könne, wenn nur bei uns die Dinge in Ordnung seien. Nach Meinung der Minderheit müssen Sie aus den Verpflichtungen, die die Bundesregierung in den Verträgen eingegangen ist, tatsächlich die Schlußfolgerung ziehen, daß das nationale Parlament .bei der Ausübung seiner haushaltsrechtlichen Befugnisse so beschränkt ist, daß es in Zukunft zu einem mindestens 40 % des gesamten Haushaltsvolumens umfassenden Betrag nur noch ja oder nein sagen kann.