Rede von
Adolf
von
Thadden
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(Fraktionslos)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DRP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich bei der zweiten Lesung der Verträge nur mit einigen Einzelfragen befassen. Die zusammenfassende Behandlung der Verträge soll von uns erst in der dritten Lesung vorgenommen werden. Ich will nur drei Punkte aus den Verträgen herausgreifen.
Erstens die Frage der sogenannten „Kriegsverbrecher". Im Versailler Vertrag war seinerzeit ein Artikel untergebracht, in dem uns, Deutschland, die einseitige und alleinige Schuld am Kriege aufgebürdet wurde. In den zwanziger Jahren hat sich die verhängnisvolle Wirkung gerade dieses Artikels gezeigt. Ich glaube, daß die Kriegsverbrecherfrage sich ähnlich auszuwirken beginnt wie der Kriegsschuldartikel des Versailler Vertrages.
Zu diesem Problem haben wir vor uns den Mündlichen Bericht des Auswärtigen Ausschusses, und zwar den Bericht des Abgeordneten Professor Wahl. In diesem Bericht heißt es, daß das Abkommen hinter den Forderungen des Bundestages zurückbleibe, und dies sei tief bedauerlich. Meine Damen und Herren, dies ist nicht nur bedauerlich! Wir sehen hierin geradezu eine entscheidende Schwächung jedes deutschen Willens, sich an einer gemeinsamen Verteidigungsanstrengung zu beteiligen. Wir sind der Auffassung, daß es ausgeschlossen ist, von uns zu verlangen, deutsche Soldaten für eine Verteidigung des Westens zur Verfügung zu stellen, solange deutsche Soldaten von den Westmächten unter der Bezeichnung „Kriegsverbrecher" zurückgehalten werden.
Aber eins ist in dem Ausschußbericht nicht gesagt worden, nämlich daß in Artikel 6 des Vertrags unsererseits eine Anerkennung der Urteile ausgesprochen wird, die die Alliierten gegen Deutsche gefällt haben. In dem Absatz, durch den der gemischte Ausschuß eingesetzt wird, heißt es, daß dieser Ausschuß die Urteile hinsichtlich der Möglichkeiten der Entlassung usw. zu prüfen habe, „ohne die Gültigkeit der Urteile in Frage zu stellen". Also es ist den Deutschen in dieser Kommission nicht möglich, die berechtigten, ernsthaften und begründeten Zweifel an zahllosen dieser „Urteile" einer Willkürjustiz überhaupt zu äußern.
Wir werden immer wieder damit vertröstet, daß die gemischte Kommission ja demnächst anfangen werde, und das Problem werde sich so rechtzeitig lösen, daß die Frage der Kriegsverbrecher erledigt sei, ehe die ersten deutschen Soldaten eingezogen würden. Auch der Abgeordnete Blank hat ja in seiner Eigenschaft als Sicherheitsbeauftragter deutlich erklärt, er werde sich dafür verbürgen, daß kein deutscher Soldat in Uniform gesteckt würde, solange noch Deutsche hinter alliierten Gittern säßen. Wann treten aber diese gemischten Kommissionen in Tätigkeit? Nach dem Wortlaut des Vertrages erst nach der Ratifizierung. Wann ist die Ratifizierung durch Frankreich zu erwarten? Das kann noch Ewigkeiten dauern, und so lange bleibt die Frage ungeregelt, ein Tatbestand, der für uns schon beinahe ausreichend ist, den Vertrag abzulehnen.
Ein anderes Problem, das in diesem Vertrag nicht angeschnitten ist, aber jetzt durch einen Abänderungsantrag aufgeworfen wird, ist die Frage der Gefangenen in Frankreich. Wir begrüßen durchaus den Änderungsantrag der SPD auf Umdruck Nr. 713, daß die Ratifikationsurkunde erst dann von uns hinterlegt werden soll, wenn ein von der Bundesrepublik Deutschland mit Frankreich abzuschließendes Abkommen über die Behandlung der verurteilten und strafrechtlich verfolgten Kriegsgefangenen im französischen Gewahrsam in Kraft getreten ist. Man sage nicht, der Abschluß eines solchen Vertrags sei nicht möglich. Es gibt historische Beispiele dafür, daß solche Verträge
abgeschlossen und durchgeführt worden sind. So haben z. B. die Engländer Anfang des Jahrhunderts während des Burenkrieges den Feldmarschall Smuts zum Tode verurteilt. In dem Friedensvertrag, der dann zwischen Engländern und Buren abgeschlossen wurde, wurde das Problem der von den Engländern verurteilten Buren vertraglich ausdrücklich geregelt, und zwar dahingehend, daß sämtliche von den Engländern ausgesprochenen Urteile null und nichtig seien, mit dem Erfolg, daß selbiger Feldmarschall Smuts später zum höheren Ruhm Britanniens zweimal die Südafrikaner in den Krieg geführt hat. Das war eine Bereinigung eines solchen Problems, und gerade weil dies in einem solchen Vertrag einmal durchgeführt worden ist, sollten wir hier alle heute dafür sorgen, daß dieser Zusatzantrag angenommen wird, um so den Weg freizumachen für eine wirklich offene und ehrliche Zusammenarbeit.
Die Frage, ob dieser Änderungsantrag angenommen wird, ist meines Erachtens jetzt schon beantwortet, wenn wir uns an die Erklärungen der drei Koalitionsparteien — der CDU, FDP und DP — anläßlich der Kriegsverbrecherdebatte im September erinnern. Wenn alle, die damals dieses Problem eindeutig angesprochen haben, heute bei der Stange bleiben, wird die Regierung festgelegt werden, gegenüber Frankreich die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten.
Etwas anderes ist in dem Ausschußbericht ebenfalls vergessen worden. In Art. 7 heißt es nämlich, daß „alle Urteile und Entscheidungen in Strafsachen, die von einem Gericht oder einer gerichtlichen Behörde der Drei Mächte oder einer von ihnen bisher in Deutschland gefällt worden sind oder später gefällt werden, in jeder Hinsicht nach deutschem Recht rechtskräftig und rechtswirksam bleiben und von den deutschen Gerichten und Behörden entsprechend zu behandeln sind". Meine Damen und Herren, es ist doch wohl nicht ganz möglich, von uns zu verlangen, daß wir alles das als Rechtens anerkennen sollen, was in den Jahren nach dem Kriege an Unrecht und Willkür von Besatzungsgerichten in Deutschland vor sich gegangen ist.
Noch eine letzte Frage: Es ist uns immer wieder zur Begründung der Notwendigkeit des EVG-Vertrags gesagt worden, daß, wenn wir uns nicht beteiligten, die Verteidigung Europas eben am Rhein oder sonstwo im Westen erfolgen werde, niemals aber in einer Linie im Osten. Mit dieser einseitigen Darstellung hat Gott sei Dank rechtzeitig der englische Unterstaatssekretär Nutting vor zwei Tagen aufgeräumt, indem er nämlich erklärte, der Westen müsse sich ohne Rücksicht darauf, ob Deutschland wiederbewaffnet werde, an der Elbe verteidigen.
Meine Damen und Herren! Militärische Fragen sind - man muß wohl sagen: leider — in Deutschland wieder zu Lebensfragen geworden. Nur haben wir den Eindruck, der EVG-Vertrag, so wie er jetzt aussieht, bietet keine Garantie dafür, daß diese deutschen Lebensfragen auf militärischem Gebiet so angefaßt werden, wie dies notwendig ist. Unsere Lage ist doch insofern einfach — ich bin sofort fertig, Herr Präsident —,
als nämlich der Maßstab für das, was wir hier tun
müssen oder nicht, vorgeschrieben wird, und zwar
kategorisch vorgeschrieben wird durch das, was im
Osten vorhanden ist. Der Gegner, dessen Stärke bekannt ist, ist der Maßstab für das, was wir hier tun müssen. Der Bundeskanzler hat gestern nicht nur noch einmal eine Aufstellung der militärischen Kraft der Russen in der Ostzone gegeben; er hat auch darauf hingewiesen, was dort bereits unter dem Deckmantel „Volkspolizei" an militärischen Einheiten aufgestellt wird. Glaubt man, mit „integrierten Korps" und diesen Dingen einer militärischen Streitmacht, wie sie dort drüben vorhanden ist, bzw. in rapidem Tempo aufgebaut wird, beikommen zu können? Glaubt man, in einem Zeitalter, in dem es nur noch nach Panzerstunden und Fallschirmjägerminuten geht, mit Infanteriedivisionen herumoperieren zu können? Mit der Truppe, die hier unter dem Motto des EVG-Vertrags aufgemacht werden soll, werden wir dem Russen nicht den erforderlichen Respekt einflößen können, der ihm eingeflößt werden muß, wenn er davon abgehalten werden soll,
in kriegerische Experimente hineinzugehen.
Es ist so. Und da kommt noch ein anderes Argument hinzu: Es geht nicht mehr darum, daß in einem Krieg die letzte Schlacht gewonnen wird, vielmehr kommt alles darauf an, daß unsere Truppen geeignet sind, die erste Schlacht zu gewinnen; denn an der letzten Schlacht sind wir in einem längeren Krieg uninteressiert.
— Die erste Schlacht — ich will Ihren Zwischenruf aufnehmen - soll verhütet werden. Sie wird aber nur verhütet werden, Herr Strauß und Herr Euler, wenn hier eine wirklich respektgebietende Streitmacht vorhanden ist; eine solche respektgebietende Streitmacht ist — Sie werden die Einzelheiten des EVG-Vertrages genau so kennen wie ich, Herr Strauß —
nicht vorhanden. Im Gegenteil, manches was dort festgelegt ist — vielleicht, weil man im Augenblick nichts Besseres hat —, kann niemals dazu führen, Truppen, die vollmotorisiert, vollbeweglich und gut geführt sind, aufzuhalten.
Vizepräsident Dr. Schäfer Herr Abgeordneter, ich muß bitten, zum Schluß zu kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen, Sie haben sie schon überschritten.