Rede von
Dr.
Richard
Jaeger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Teil des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, über den ich zu berichten habe, umfaßt die sogenannte dritte Gewalt, also die Justiz, mit ihrer Zuständigkeit und ihrer Organisation. Es ist sicherlich nicht der Teil des Vertragswerks, der für die politische Entscheidung dieses Hohen Hauses, für das Ja oder Nein, das der einzelne Abgeordnete am Ende der Debatte zu sprechen hat, von entscheidender Bedeutung ist, wenn auch die praktische Auswirkung im Leben des einzelnen nicht zu gering eingeschätzt werden sollte. Schon aus diesem Grunde empfiehlt es sich nicht, die Berichterstattung hierzu allzu ausführlich zu gestalten, zumal sie auf den Seiten 112 ff. des Gesamtberichts *) bereits ausführlich vorgenommen ist, und verwickelte juristische Probleme entweder gründlich oder gar nicht dargestellt werden können.
Hier geht es darum, daß als Gerichtshof derselbe bestimmt ist, der für den Schumanplan eingesetzt worden ist. Man hat sich darum bemüht, die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und die Montan-Union nicht beziehungslos nebeneinanderstehen zu lassen, sondern in enge Verbindung zu bringen, um damit auf dem Gebiet dieser zwei Gemeinschaften schon eine Integration Europas auf den verschiedensten Gebieten vorzubereiten. So entspricht dem Ministerrat der Montan-Union der der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, und so entsprechen die Hohe Behörde und das Kommissariat einander, zwar nicht personell, aber im Aufbau. Die Parlamente der beiden Gemeinschaften sind nahezu gleich, indem zum Parlament des Schumanplans bei der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft noch neun Abgeordnete hinzutreten. Der Gerichtshof beider Gemeinschaften ist völlig identisch. Diese Identität ist also nicht ein Zeichen der Vorläufigkeit, sondern ist gedacht als ein Moment der Einheit und der Stabilität.
Zu dem Gerichtshof treten eine Reihe weiterer Gerichte, insonderheit Landessenate des Gerichtshofs und nachgeordnete Gerichte in Strafsachen so-
*) Vgl. Anlage zur 240. Sitzung, Seite 11276 ff.
wie örtliche Schadenskammern zur Behandlung der Schadensfälle.
In sachlicher Hinsicht sind es zwei große Probleme, die hier geregelt werden. Das erste davon betrifft die Amtshaftung. Die Amtshaftung ist wenigstens in den Grundsätzen geregelt und soll, da ein einheitliches Recht vorerst noch nicht vorliegt, durch den Richterspruch der Schadenskammern und der Landessenate, in besonderen Fällen auch des Gerichtshofs selber weiterentwickelt werden. Es ist nicht das erste Mal, daß ein gemeinsames Recht auf diese Weise wesentlich durch einen Gerichtshof geschaffen wird. Die Grundsätze, die hierfür im Justizprotokoll entwickelt sind, entsprechen jenen rechtsstaatlichen Grundsätzen, um die sich vor allem in Deutschland in den letzten hundert Jahren Rechtswissenschaft und Praxis bemüht haben.
Das zweite Gebiet ist das des Militärstrafrechts. Auf diesem Gebiet ist eine gemeinsame Gesetzgebung an sich viel notwendiger und dringlicher als bei der Amtshaftung; denn während im zivilen Bereich der Richter Recht setzen und Recht schaffen kann, ist dies auf dem Gebiet des Strafrechts nicht möglich, weil ja in alien der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft angeschlossenen Staaten der Grundsatz gilt, daß keine Strafe ohne gesetzliche Grundlage ausgesprochen werden kann, ein Grundsatz, der bei uns zu einem Verfassungsgrundsatz erhoben worden ist. Die Einführung eines gemeinsamen Militärstrafgesetzbuchs ist also vordringlich. Bis dahin gilt für die Soldaten der verschiedenen Nationalitäten ihr nationales Militärstrafgesetzbuch, was für uns Deutsche bedeutet, daß wir uns alsbald daran machen müssen, ein eigenes Militärstrafgesetzbuch zu schaffen. Dies bringt den Vorteil mit sich, daß wir bei der Vereinheitlichung des europäischen Militärstrafrechts selber von der Grundlage eines modernen, von diesem Hause beschlossenen Militärstrafgesetzbuchs ausgehen können.
Aus der Fülle der einzelnen Probleme, die hier angeschnitten sind und die wieder durchaus den rechtsstaatlichen Überlieferungen Deutschlands und der übrigen europäischen Länder entsprechen, will ich nur noch ein einziges herausgreifen, weil es in der öffentlichen Diskussion der letzten Wochen und in Zuschriften auch an dieses Hohe Haus eine besondere Bedeutung gefunden hat: das Problem der Todesstrafe. Das Strafrechtsprotokoll sieht zwar neben Freiheits- und Geldstrafen auch die Todesstrafe vor, stellt aber in Ziffer 8 ausdrücklich fest, daß in denjenigen Ländern, in denen die Todesstrafe verfassungsmäßig abgeschafft ist, eine solche gegen Soldaten dieser Nationalität nicht ausgesprochen werden kann. Dies hat mit der persönlichen Haltung des einzelnen Abgeordneten zum Problem der Todesstrafe nichts zu tun. Solange unsere Verfassung die Todesstrafe verbietet — und dieses Hohe Haus hat ja abändernde Anträge dreimal mit großer Mehrheit verworfen —, solange kann auch nicht gegen einen europäischen Soldaten deutscher Nationalität die Todesstrafe ausgesprochen werden. Daraus folgt einmal, daß eine Propaganda, die uns der Ostwind ins Haus geweht hat und die das Gegenteil behauptet, nur von einer Seite stammen kann, die sich mit den Verträgen eingehend überhaupt nicht befaßt hat. Es folgt zweitens, daß auch hier ein Widerspruch zwischen dem Vertragswerk und dem Grundgesetz nicht vorhanden ist.