Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, bevor wir uns der Tagesordnung zuwenden, darf ich eines Toten gedenken.
Am 2. September ist unser ehemaliger Kollege William Borm im Alter von 92 Jahren verstorben. William Borm, der lange Jahre Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der FDP und später Mitglied des FDP-Bundesvorstandes war, gehörte dem Deutschen Bundestag von 1965 bis 1972 an. Er war während der 6. Wahlperiode Alterspräsident dieses Hauses.
Schon vor 1933 als Mitglied der Deutschen Volkspartei politisch aktiv, hat William Bonn nach dem Krieg in Berlin am Aufbau der LPD und späteren FDP mitgewirkt, bis er 1950 auf einer Fahrt von Berlin nach Kassel von den Behörden der DDR verhaftet wurde. Neun Jahre lang wurde er daraufhin in Strafanstalten der DDR festgehalten.
Wir alle kennen ihn als eine Persönlichkeit, die sich durch kritisches und eigenwilliges Denken hervortat; doch erwarb sich William Borm, der bis in sein hohes Alter für seine politischen Auffassungen leidenschaftlich kämpfte und stritt, als Mensch und Persönlichkeit bei Kollegen und Mitbürgern stets Achtung und Respekt.
Der Deutsche Bundestag wird William Borm ein ehrendes Gedenken bewahren.
Sie haben sich zu Ehren des Toten erhoben. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, in der Ehrenloge hat der Vorsitzende der Zweiten Kammer der Niederländischen Generalstaaten, Herr Dr. Dirk Dolman, Platz genommen.
Sehr geehrter Herr Präsident, im Namen des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie sehr herzlich. Ihr offizieller Besuch in unserem Land unterstreicht die engen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Parlamenten und Völkern.
Wir wünschen Ihnen interessante und nützliche Gespräche sowie einen angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Herr Abgeordnete Dr. Jobst hat am 5. September 1987 seinen 60. Geburtstag gefeiert. Ich darf ihm die besten Wünsche des Hauses übermitteln.
Ich rufe nun den einzigen Punkt der Tagesordnung der heutigen Sitzung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988
— Drucksache 11/700 —
Überweisung: Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991
— Drucksache 11/701
Überweisung: Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache heute und morgen um ca. 20 Uhr sowie am Freitag gegen 13 Uhr beendet werden. Eine Mittagspause ist für Mittwoch und Donnerstag vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Zur Einbringung des Haushalts erteile ich dem Herrn Bundesminister der Finanzen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie seit 1983 hat die Bundesregierung bereits im Juli den Entwurf des Bundeshaushalts für das nächste Jahr und die mittelfristige Finanzplanung beschlossen und dem Deutschen Bundestag im August zugeleitet. Der vorgelegte Haushalt ist Ausdruck der Kontinuität unserer Politik. Er gibt zugleich Antworten auf neue Herausforderungen und veränderte Bedingungen.
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1460 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Bundesminister Dr. StoltenbergWir setzen damit die im Herbst 1982 eingeschlagene Linie sparsamer öffentlicher Ausgaben konsequent und jetzt im sechsten Jahr hintereinander fort. Für uns bleibt die Begrenzung des Ausgabenanstiegs der entscheidende Maßstab für solide öffentliche Finanzen.
Der Entwurf des Bundeshaushalts 1988 sieht eine Erhöhung der Ausgaben um 2,4 % vor. In der Finanzplanung haben wir den niedrigen Ausgabenzuwachs bis 1991 festgeschrieben. Damit sichern wir auch die Grundlagen für unsere Politik der Steuersenkung und der Steuerreform.
Wir können auf den finanzpolitischen Fortschritten und Erfolgen der vergangenen Legislaturperiode, in der die Fundamente unserer Volkswirtschaft gefestigt wurden, aufbauen. Der jährliche Anstieg der Bundesausgaben wurde in den Jahren 1983 bis 1986 auf durchschnittlich 1,7 % begrenzt.
Der Vergleichswert für das vorhergehende Jahrzehnt betrug durchschnittlich jährlich rund 9 % Ausgabensteigerung.
Die Neuverschuldung des Bundes sank von 37,2 Milliarden DM im Jahre 1982 auf unter 23 Milliarden DM in den Jahren 1985 und 1986.
Der Anteil der öffentlichen Defizite, der Fehlbeträge, von Bund, Ländern und Gemeinden, gemessen am Bruttosozialprodukt, also an unserer volkswirtschaftlichen Leistung, der 1981 noch 4,9 % betrug, wurde bis 1986 auf 2,2 % zurückgeführt.
Der Staatsanteil am Bruttosozialprodukt, an unserer volkswirtschaftlichen Leistung, ist in den Jahren 1982 bis 1986 von 49,8 % um 3 Prozentpunkte auf 46,8 % reduziert worden.Was noch wichtiger ist: Die schleichende Inflation der siebziger und frühen achtziger Jahre wurde gestoppt.
Ein hohes Maß an Preisstabilität sichert die Kaufkraft der Bürger, hilft vor allem den sozial Schwachen und bildet für die Investoren eine verläßlichere Kalkulationsgrundlage.Meine Damen und Herren, die Finanz- und Wirtschaftspolitik steht jetzt zu Beginn der neuen Wahlperiode vor zwei Hauptaufgaben: Im Inneren müssen wir die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft weiter stärken, weil wir nur so das Angebot an bezahlbarer Arbeit vergrößern,
den erreichten Wohlstand halten und die Zukunft sichern und gestalten können.Nach außen geht es um den uns möglichen Beitrag zum Abbau der teilweise bedenklichen internationalen Ungleichgewichte, nicht nur im Wohlstand, sondern auch in Handelsbilanz- und Leistungsbilanzdaten. Wir haben daran ein vitales Interesse, weil wir wie kaum ein anderes Land mit der Weltwirtschaft verflochten sind.Einen besonders wichtigen Beitrag des Staates zur Lösung dieser beiden vorrangigen Zukunftsaufgaben sehen wir in einer Steuerpolitik, die berufliche Leistung wirksamer anerkennt und die volkswirtschaftlichen Wachstumskräfte stärkt. Weil wir auf die schöpferischen Kräfte der Menschen, auf Freiheit und Verantwortung setzen, wollen wir dem Bürger mehr von dem Ertrag seiner Arbeit belassen.
Wir werden die Steuerreform verwirklichen.
Unsere, wie die genannten Kern- und Eckdaten zeigen, erfolgreiche Finanz- und Wirtschaftspolitik in der vergangenen Legislaturperiode hat hierfür ein tragfähiges Fundament geschaffen.Meine Damen und Herren, in dem für 1988 vorgesehenen Haushaltsplan von 275 Milliarden DM, 6,5 Milliarden DM mehr als 1987, können die zusätzlichen Verpflichtungen des Bundes und wichtige politische Prioritäten angemessen finanziert werden. Dafür spricht übrigens auch die Entwicklung des Bundesetats im Jahresverlauf 1987. Bisher wuchsen die Ausgaben des Bundes nur verhalten um 2,2 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Auch wenn wir für die letzten Monate dieses Jahres mit einem etwas stärkeren Anstieg rechnen, bleiben wir auf Kurs. Durch das im ersten Halbjahr verhaltenere Wirtschaftswachstum und den starken Rückgang
— 1,5 % ist verhalten, aber immerhin ein Anhalten des Wachstumprozesses —
der Importpreise sind bisher auch die Steuereinnahmen hinter dem Soll zurückgeblieben. Wir nehmen aber an, daß wir das Volumen der letzten Steuerschätzung vom Mai erreichen können.Wie vorsichtig man sein muß — ich sage das zu Ihrer zweifelnden Zwischenbemerkung — , zeigen die monatlichen Zahlen. Wir waren, was die Steuereinnahmen anbetrifft, in der Tat bis Juli mit 2,2 % plus noch deutlich hinter der letzten Steuerschätzung. Gestern habe ich die Zahlen für den August gesehen: Sie zeigen plötzlich einen Anstieg um 10,5 % gegenüber dem Vorjahresmonat. So haben wir in den acht Monaten fast das Einnahmensoll der letzten Steuerschätzung erreicht. — Ich sage das nur zu einigem, Herr Kollege Apel, was Sie und andere in den letzten Tagen von sich gegeben haben.
Es hat keinen Sinn, auf Grund von Quartals- oderMonatsdaten, so wie Sie das in Rendsburg, dankenswerterweise noch in meinem Wahlkreis, veröffentlicht
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1461
Bundesminister Dr. Stoltenberghaben, jetzt den Zusammenbruch der Finanzwirtschaft zu verkünden.
— Ja, reisende Leute, Herr Vogel, das kann man sagen. Wir haben so viele Besucher in Schleswig-Holstein. Ich werde nachher noch auf zwei Besucher aus den letzten Tagen zu sprechen kommen.
Im Sommer und Herbst 1986 hat die Opposition genauso Kritik an einer angeblich viel zu niedrigen Veranschlagung der Mittel im Budget dieses Jahres geübt, wie Sie es jetzt für 1988 wiederholen. Jedes Jahr, seitdem diese Koalition von CDU/CSU und FDP Verantwortung trägt, haben wir die Ausgaben unter Kontrolle halten können. Immer wieder haben sich die Schreckensmeldungen der SPD über eine angeblich drohende Ausgabenexplosion als irreführende Propaganda erwiesen.
Ich bin den Koalitionsfraktionen für ihre klare Aussage dankbar, den vom Kabinett für 1988 vorgesehenen Rahmen auf keinen Fall zu erweitern und — wenn möglich — noch zu reduzieren.Unsere Verwaltungseinnahmen werden 1988 weiter zurückgehen. So verringerte sich der Bundesbankgewinn bereits 1987 von 12,7 Milliarden DM auf 7,3 Milliarden DM — eine Folge der starken Aufwertung, des gewachsenen Vertrauens in die Deutsche Mark im Verhältnis zum Dollar und niedrigerer Zinsen. Für 1988 haben wir 6 Milliarden DM veranschlagt. Dies ist neben der Steuersenkung ein wesentlicher Grund für den Anstieg der Neuverschuldung 1987 auf rund 26 Milliarden DM und rund 29 Milliarden DM 1988.Meine Damen und Herren, in den sechs Jahren seit 1982 soll auf der Grundlage des Etatentwurfs 1988 der Ausgabenanstieg zusammengenommen 12,4 % betragen.
Für die gleiche Zeit zeichnet sich eine Zunahme unseres Bruttosozialprodukts um etwa 33 % ab. So wird die Verringerung des Staatsanteils an unserer gesamtwirtschaftlichen Leistung von 49,8 % 1982 auf voraussichtlich 46,5 % im nächsten Jahr überwiegend — zu knapp zwei Dritteln — vom Bundeshaushalt erbracht. Ich sage das mit Blick auf unsere Partner in Ländern und Gemeinden und deren Ausgabeentwicklung.Ein Vergleich mit den 70er Jahren macht den Unterschied in der Grundrichtung der Finanzpolitik deutlich. Damals, Herr Kollege Apel, sind unter Ihrer maßgebenden Verantwortung mehrfach in einem einzigen Jahr die Bundesausgaben stärker angestiegen, als sich für den Zeitraum von 1982 bis 1988 abzeichnet. 1971 betrug die Steigerungsrate 13 %, 1972 12,8 % und 1975 12,7 %. Erinnern Sie sich einmal an diese Daten, wenn Sie Ihre Reden halten und Ihre Presseerklärungen abgeben, verehrter Herr Kollege!
Damals wurden zudem den Menschen durch hohe Inflationsraten und steigende Steuerlasten die Ergebnisse einer zu großzügigen Umverteilung schnell wieder weggenommen. Der Staat wurde überfordert und schließlich in einer krisenhaften Zeit handlungsunfähig.Im Haushaltsentwurf 1988 haben wir überdurchschnittliche Zuwachsraten insbesondere für die Bereiche Wirtschaft, Landwirtschaft, Forschung und Umweltschutz vorgesehen. Besonders stark steigen die Mittel des Bundes für die Kohlehilfen an. Die ständig wachsende Differenz zwischen den inländischen Produktionskosten und den Weltmarktpreisen, die in letzter Zeit ja stark zurückgegangen sind, führt allein bei der Kokskohlenbeihilfe zu einer Erhöhung von einer halben Milliarde DM 1982 über 1 Milliarde DM 1985, 2,3 Milliarden DM 1987 auf 2,4 Milliarden DM 1988. Ich sage das nicht nur aus haushaltspolitischen Gründen. Ich will hier einmal deutlich machen, daß wir eine ganz ungewöhnliche Leistung für die deutsche Kohle und ihre Bergleute erbringen. Das muß hier auch einmal hervorgehoben werden.
Insgesamt rechnen wir für das nächste Jahr mit Mitteln des Bundes, der beiden beteiligten Bundesländer und der Stromverbraucher von zusammen rund 10,2 Milliarden DM für die deutsche Steinkohle. Wir wollen damit die Fundamente für den deutschen Bergbau und seine Mitarbeiter in einer ungewöhnlich verschlechterten Wettbewerbslage aus Gründen der langfristigen Versorgungssicherheit festigen.Aber der dramatisch angestiegene Subventionsbedarf macht es notwendig, die bisher gewährten Mittel für den Export von Kokskohle ab 1988 schrittweise aus der öffentlichen Förderung herauszunehmen. Damit wird die Versorgungssicherheit im Inland nicht gefährdet. Wir können aber — und das ist ein Problem für uns alle, meine Damen und Herren — mit der Zustimmung der revierfernen Bundesländer zu einer weiteren Erhöhung des Kohlepfennigs, also des Beitrags der Stromverbraucher, dauerhaft nur rechnen, wenn die sozialdemokratische Opposition endlich zum einseitig aufgekündigten Grundkonsens in der Energiepolitik zurückkehrt.
Führende Vertreter der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie haben dies erkannt. Ich zitiere hier einmal aus dem Schreiben des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Ruhrkohle-Gesamtbetriebsräte, Hüls, an Ministerpräsident Rau. Hier heißt es:Mit dem Hinweis auf papierne Beschlüsse zur Energiepolitik, die zudem in der Wählerschaft bundesweit ohne Mehrheit geblieben sind, können die Arbeitsplätze der deutschen Bergleute, der Erhalt unserer natürlichen Energiequelle, der Kohle, nicht gesichert werden.
Meine Damen und Herren, entschieden zu verurteilen ist der Versuch der Regierung Rau, die seit Jahrzehnten verankerte Mitfinanzierung der Kohleförderung durch Nordrhein-Westfalen in der vereinbarten Form in Frage zu stellen. Man kann nicht im Ruhrge-
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1462 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Bundesminister Dr. Stoltenbergbiet Proteste gegen die angeblich unzureichenden Hilfen des Bundes ermutigen und dann in Bonn im Bundesrat — am 10. Juli geschehen — erklären, daß Nordrhein-Westfalen seine Unterstützung abbauen will. Wenn die Regierung Rau diesen Weg wirklich beschreiten sollte, gefährdet sie die Existenzgrundlagen des deutschen Bergbaus, mit allen unabsehbaren Folgen.
Wie wir wissen, ist eine gewisse Rückführung der Kapazitäten bei Kohle und auch bei Stahl leider unvermeidbar geworden. Die Bundesregierung ist bereit, bei der sozialen Flankierung mitzuwirken. Aber man darf sie auch nicht in der öffentlichen Diskussion für Entscheidungen in Haftung nehmen wollen, die von privaten oder anderen Unternehmen getroffen worden sind, und man kann auch nicht versuchen, die gesamten Lasten dieses Prozesses auf den Steuerzahler abzuwälzen.
Die Bundesregierung ist bereit, bei der sozialen Flankierung mitzuwirken. Sie hat 1988 hierfür insgesamt 472 Millionen DM Hilfen eingeplant. Aber vor allem die gutverdienenden Konzerne als Gesellschafter der Stahlunternehmen müssen hierbei einen wesentlich größeren eigenen Beitrag leisten, als bisher in Aussicht genommen wurde.
Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur und durch eine zeitliche Verlängerung des steuerlichen Stahlstandorteprogramms werden wir zusätzliche regionale Hilfen für die Förderung von Ersatzarbeitsplätzen zur Verfügung stellen.Wir helfen auch der Werftindustrie und der Handelsschiffahrt bei ihren tiefgreifenden Strukturproblemen. Weltweite Überkapazitäten zwingen überall in den Industrieländern des Westens zu einschneidenden Anpassungen. Vor diesem Hintergrund haben wir nach internen Gesprächen mit den Küstenländern ein Konzept zur Neuordnung der Förderung beschlossen. Die Mittel sollen zielgenauer und wirksamer eingesetzt werden, um bruchartige Entwicklungen mit schweren sozialen Schäden zu vermeiden. Wir haben dafür finanzielle Vorsorge getroffen und begrüßen, daß nunmehr alle Küstenländer bereit sind, ihren finanziellen Beitrag zu leisten, auch wenn es dem einen oder anderen schwergefallen ist.Mit der Entscheidung aller beteiligten europäischen Staaten für die neuen Airbus-Projekte steht in absehbarer Zeit eine moderne und in sich abgerundete Modellfamilie zur Verfügung. Die internationale Wettbewerbsposition der europäischen Luftfahrtindustrie wird dadurch wesentlich verbessert. Auch hier sind die erforderlichen Mittel in den Haushaltsentwurf und in die Finanzplanung der nächsten Jahre eingestellt worden. Wir gehen dabei von einem stärkeren finanziellen Engagement der Industrie aus.Meine Damen und Herren, wir können neue Schwerpunkte nur finanzieren, wenn andere Förderungen beendet oder begrenzt werden. Das Denken in permanenten Besitzständen ist in der Finanzpolitik nicht akzeptabel, auch wenn es vielen naheliegt.
Wir wollen also die Personalkostenzuschüsse an Unternehmen in den Einzelplänen der Bundesminister für Wirtschaft sowie Forschung und Technologie Ende dieses Jahres auslaufen lassen. So werden ab 1988 nur noch bereits eingegangene Verpflichtungen abgewickelt. Entsprechend der Koalitionsvereinbarung haben wir einen Gesetzentwurf eingebracht, in dem die bisher ständig steigenden Bundeszuschüsse für den kommunalen Straßenbau und den öffentlichen Personennahverkehr ab 1988 mit 2,5 Milliarden DM jährlich festgeschrieben werden. Seit 1967 hat der Bund für diese wichtige Aufgabe den Kommunen und den Bundesländern mehr als 40 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Jetzt geht es darum, diese Leistungen auf hohem Niveau zu stabilisieren, um andere wichtige Aufgaben der regionalen Strukturpolitik, die von den Ländern und Kommunen nachdrücklich gefördert werden, auch nachhaltiger unterstützen zu können.Nachdem die Regierungschefs der Bundesländer abweichend von ihrer ursprünglichen Haltung eine weitere befristete Mitfinanzierung durch den Bund für den Städtebau wünschen, haben wir den Ländern für 1988 bis 1990 angeboten, Verpflichtungsermächtigungen von jeweils 660 Millionen DM einzuplanen. Unter Einbeziehung der Zwei-Drittel-Beteiligung von Ländern und Gemeinden soll damit auch in den kommenden drei Jahren ein Fördervolumen von jeweils rund 2 Milliarden DM zur Städtebauförderung zur Verfügung stehen.
Eine weit überdurchschnittliche Steigerungsrate haben wir auch beim Einzelplan des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorgesehen. Damit tragen wir der anhaltend bedrängten Lage unserer Bauern durch Einkommensrückgänge, Überschußprobleme und die veränderte Agrarpolitik der EG Rechnung. Zu einer erheblichen Entlastung für die Ausgaben der Gemeinschaft werden die Beschlüsse des Ministerrats zur Rückführung der Milchproduktion führen. In diesem wichtigsten und bisher kostspieligsten Teilmarkt kann eine in etwa ausgeglichene Situation von Angebot und Nachfrage erreicht werden. Dies eröffnet mittelfristig die Chance für wieder verbesserte Einkommen. Wir flankieren den Produktionsrückgang für die Milch erzeugenden Betriebe im nächsten Jahr mit mehr als 500 Millionen DM. Bei der jüngsten, ungewöhnlich schwierigen Preisrunde in Brüssel konnte die Bundesregierung die Vorschläge der Kommission im Interesse der deutschen Bauern erheblich verändern, aber die Neufestsetzung der Interventionspreise für Getreide und Ölsaaten führte gegen die deutsche Stimme zu einem Preisrückgang. Auch dies begründet die Verbesserung anderer nationaler Hilfen, von der Gemeinschaftsaufgabe bis zur Agrarsozialpolitik. Unser Ziel bleibt es, die Überschußproduktion auch in den anderen Bereichen durch Angebote der Gemeinschaft für freiwillige Extensivierung und Flächenstillegung sowie ein frühzeitigeres Ausscheiden aus dem Beruf
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1463
Bundesminister Dr. Stoltenbergohne permanenten politischen Preisdruck abzubauen.
Für den Haushalt des Bundesministers für Forschung und Technologie ist 1988 ebenfalls ein überdurchschnittlicher Ausgabenanstieg auf insgesamt 7,6 Milliarden DM eingeplant. Wir setzen damit in dem erweiterten Mittelrahmen die erfolgreiche Neuorientierung unserer Forschungspolitik fort: Das Gewicht der wissenschaftlichen Grundlagenforschung wird weiter verstärkt, von 26 % der Mittel im Jahr 1982 auf 37 % im Jahr 1988. Dagegen wird die marktorientierte Projektförderung insgesamt verringert und auf die zukunftsträchtigen Schlüsseltechnologien konzentriert, denn Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft sind in erster Linie auch in der Finanzierung Aufgaben der Unternehmen selbst.
Auch nach einer beträchtlichen Steigerung bleibt der Einzelplan des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit einer der vergleichsweise kleineren Etats.
Vorrangig, Herr Kollege, müssen die auf Grund neuer Rechtsvorschriften und Normen stark anwachsenden Aufwendungen für den Umweltschutz weiterhin von den Verursachern der Umweltbelastungen, also vor allem der gewerblichen Wirtschaft, den Energieversorgungsunternehmen, aber zunehmend, etwa in Verbindung mit der Einführung des umweltfreundlichen Autos, auch den privaten Haushalten aufgebracht werden.
Eine erhebliche politische und finanzielle Verantwortung kommt natürlich auch den Ländern und Gemeinden zu. Umfangreiche Investitionen in den Bereichen des Naturschutzes, der Gewässerreinhaltung und des Lärmschutzes werden notwendig, wenn dauerhafte Schäden von der Natur und von den Menschen abgewendet werden sollen. Zunehmend stellt auch die Abfallbeseitigung viele Gemeinden vor große Auf gaben.Meine Damen und Herren, AIDS ist eine große Herausforderung für den Staat und die Gesellschaft geworden. Mit dem bereits 1987 angelaufenen Sofortprogramm zur Bekämpfung von AIDS haben wir schnell gehandelt. Nur ein verantwortliches Zusammenwirken aller kann die weitere Ausbreitung dieser schrecklichen Krankheit zum Stillstand bringen. An AIDS Erkrankte und Infizierte dürfen nicht ausgegrenzt werden;
sie verdienen menschliche Zuwendung, Unterstützung und Fürsorge, aber sie müssen auch ihrerseits verantwortungsbewußt mit ihrer Krankheit umgehen. 1988 stellen wir für Aufklärungsmaßnahmen, gesundheitliche Modellvorhaben sowie Forschung und Entwicklung zur Erkennung und Behandlung von AIDS 160 Millionen DM Bundesmittel zur Verfügung.Wir werden die Bundeshilfe an Berlin im Finanzplanungszeitraum von derzeit 12 auf über 13 MilliardenDM anheben. Damit tragen wir vom Bund, der Bundeshaushalt, nach wie vor mehr als die Hälfte der Ausgaben des Landes Berlin.Und schließlich: Die beiden größten Einzelpläne des Bundeshaushalts bleiben auch 1988 die Etats für Arbeit und Sozialordnung und für Verteidigung.Nahezu ein Fünftel der Bundesausgaben entfallen auf den Verteidigungsbereich. Die Erhaltung von Frieden und Freiheit bleibt oberstes Ziel unserer Sicherheitspolitik.
Die für 1988 vorgesehenen Mittel steigen gegenüber 1987 um 2,1 %. Das ist knapp bemessen, aber es ist ausreichend für die vorrangigen Aufgaben. Wir sichern damit den erreichten hohen Einsatzstand der Bundeswehr und leisten unseren Beitrag für die Verteidigungsfähigkeit des westlichen Bündnisses. Schwerpunkte sind die Entwicklung neuer defensiver Waffensysteme, Infrastrukturvorhaben, verbesserte Aufstiegschancen durch neue Stellen und Stellenhebungen, Verbesserungen bei der sozialen Sicherung der Soldaten sowie die Erhöhung des Wehrsoldes.Meine Damen und Herren, im Einzelplan des Ministers für Arbeit und Sozialordnung steigt der gesetzliche Zuschuß des Bundes zur Rentenversicherung von 35,5 Milliarden DM auf 36,7 Milliarden DM an.
Die Rücklagen der Rentenversicherung steigen wieder. Diese Regierung, diese Regierungsmehrheit, Frau Kollegin, erfüllt pünktlich die gesetzlichen Verpflichtungen, während unsere sozialdemokratischen Vorgänger die gesetzlichen Verpflichtungen gekürzt haben. Das ist der Unterschied; das will ich Ihnen nur auf Ihren Zwischenruf hin sagen.
Für eine aktive Arbeitsmarktpolitik sind die stark angewachsenen Mittel der Bundesanstalt für Arbeit hervorzuheben. Hierfür stehen im laufenden Jahr rund 12 Milliarden DM zur Verfügung — 80 % mehr als im Jahre 1982. Rund 530 000 Teilnehmer nahmen 1986 Angebote zur beruflichen Fortbildung und Qualifizierung in Anspruch. Rund 120 000 Arbeitnehmer sind durch ABM-Maßnahmen beschäftigt.
Gezielt für die langfristig Arbeitslosen haben wir in mehreren Schritten die Bezugszeit für das Arbeitslosengeld verlängert.Herr Kollege Apel, weil Sie das öffentlich hart kritisiert haben, will ich Ihnen sagen: Nach unserer Einschätzung wird die Bundesanstalt für Arbeit ihre Aufgaben im nächsten Jahr mit den zur Verfügung stehenden Mitteln erfüllen können.
Ich sage das nur vorsorglich, weil ich vermute, daß Sie hier ein gewaltiges Defizit verkündigen.Wir sind davon überzeugt. Wir meinen allerdings auch, daß gegebenenfalls eine gewisse Flexibilität bei
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1464 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Bundesminister Dr. Stoltenbergden freiwilligen Leistungen notwendig ist, um die Grundlagen zu sichern.
— Ja, nachdem wir — anders als Sie — die freiwilligen Leistungen um 80 % erhöht haben, ist es doch wohl berechtigt, dies hier zu sagen.
Wie kommen Sie denn dazu, sich darüber aufzuregen?Darüber hinaus ist vorgesehen, bestimmte Aufgaben aus dem Bundeshaushalt, u. a. bei der Förderung benachteiligter Jugendlicher und der Arbeitsbeschaffung, auf die Bundesanstalt für Arbeit zu übertragen. Zugleich wird im Rahmen der Neubestimmung wichtiger Aufgaben der sozialen Sicherung den gewachsenen Verpflichtungen des Bundes in der Rentenversicherung durch die Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht Rechnung getragen.Meine Damen und Herren, trotz der beträchtlichen Mehraufwendungen für Kohle, Landwirtschaft und Luftfahrt haben wir im Etatentwurf 1988 den Umfang der Finanzhilfen, also der Subventionen, auf der Ausgabenseite etwas zurückführen können, nämlich von 15,1 Milliarden DM auf unter 15 Milliarden DM. Die investiven Mittel im Bundeshaushalt sollen nach dem Etatentwurf von 34,1 Milliarden DM auf 34,2 Milliarden DM im nächsten Jahr ansteigen.
Weil auch das ein Punkt der öffentlichen Kritik der Sozialdemokraten ist, will ich Sie, meine Damen und Herren der Opposition, daran erinnern
— Herr Kollege Walther, Sie waren doch dabei — , daß der Anteil der investiven Ausgaben im Bundeshaushalt in Ihrer Regierungszeit
von 17 % im Jahre 1969 auf 13,1 % im Jahre 1982 zurückging. Wir haben einen Anteil von 12,4 % eingeplant.
— Nur, Herr Kollege Vogel: Es ist, glaube ich, richtig für eine ernsthafte Debatte, wenn man über die investiven Leistungen des Bundes redet, den Blick auf die Sondervermögen des Bundes und auf die bundeseigenen Finanzinstitutionen zu richten. Da kann man sagen, daß in den letzten Jahren die Sondervermögen Post, Bahn, ERP und die bundeseigenen Kreditinstitute ihre Investitionen und Fördermittel ganz beträchtlich erhöht haben. Insgesamt erreichen sie mittlerweile ein Volumen, das den Investitionsmitteln des Bundeshaushalts nahezu entspricht. Allein die investiven Ausgaben der Bundespost konnten in den vier Jahren um 5,5 Milliarden DM auf nunmehr 18,2 Milliarden DM gesteigert werden.Wir schlagen dem Deutschen Bundestag keine Ausweitung des Personalbestandes der Bundesverwaltung vor. 470 neue Stellen sind für Schwerpunktaufwendungen wie Umweltschutz, Gesundheitswesenund auswärtige Vertretungen vorgesehen. Eine entsprechende Zahl soll in anderen Bereichen entfallen. Mit 303 000 Beamten, Angestellten und Arbeitern können wir die vielfältigen Aufgaben der Bundesverwaltung angemessen wahrnehmen. Ich möchte auch an dieser Stelle den Mitarbeitern des Bundes für ihren meistens unauffälligen, aber sachkundigen Dienst und ihre vorbildliche Pflichterfüllung sehr herzlich danken.
Die Finanzlage der Europäischen Gemeinschaft, meine Damen und Herren, ist angespannt.
Nachdem wir bereits 1986 fast 4 Milliarden DM Steuereinnahmen des Bundes an die EG übertragen haben, empfiehlt die Kommission jetzt ein grundlegend neues Finanzsystem, das zu einem weiteren Transfer von Steuermitteln der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaft führen soll.Hierüber gibt es noch wesentliche Auffassungsunterschiede zwischen den zwölf Regierungen. Hier gibt es auch noch einen sachlichen Klärungsbedarf im Hinblick auf einige Vorstellungen der Kommission. Wir konnten bei der Aufstellung des Etats deshalb nicht veranschlagen, in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt die zweifellos erforderliche Neuregelung unsere Einnahmen berührt. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Koalitionsvereinbarung vom März 1987. Hier ist festgelegt und veröffentlicht, daß der Bund für weitere Transfers an die EG einen Ausgleich braucht. Falls — so heißt es dort — dieser nicht anders erreicht werden kann, ist demnach eine begrenzte Anhebung spezifischer Verbrauchsteuern möglich.
— Ich komme noch auf das Thema zu sprechen, Herr Vogel. Machen Sie sich keine Sorgen.Meine Damen und Herren, wir setzen uns für den Ausbau der Gemeinschaft ein, vor allem im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Binnenmarktes und der Stärkung der Strukturfonds. Alle diese für unsere eigene Zukunft so wichtigen Ziele werden aber nicht ohne einen gewissen Preis zu erreichen sein.
Das muß in aller Klarheit gesagt werden. Wenn ich manche bewegten Festreden von engagierten Europapolitikern in diesem Hohen Hause und woanders höre, dann habe ich manchmal den Eindruck, daß es Europa zum Nulltarif gibt. Davon kann gar keine Rede sein. Wer Europa will, muß auch einen Preis dafür zahlen. Das ist die schlichte Wahrheit.
Immer wieder stellt sich die Frage, welche Wirkungen die Haushalts- und Finanzpolitik für die Entwicklung unserer Volkswirtschaft, den Arbeitsmarkt und die soziale Situation der Menschen hat, welche Ge-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1465
Bundesminister Dr. Stoltenbergstaltungsmöglichkeiten wir nutzen können. Durch Ausgabenbegrenzung — ich habe es im einzelnen dargelegt — konnten wir die Neuverschuldung erheblich zurückführen. Damit haben wir die wichtigste Voraussetzung für eine Politik der Steuersenkung und Steuerreform geschaffen. Wir konnten die Kapitalmärkte entlasten, so maßgeblich zur Zinssenkung und vor allem zu einer in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispielhaften Preisstabilität beitragen. Unter diesem Vorzeichen steigen die Realeinkommen der arbeitenden Menschen, der Rentner, der ganz großen Mehrheit unserer Mitbürger spürbar an.Meine Damen und Herren, wir haben 1987 — im fünften Jahr — wirtschaftliches Wachstum ohne die Gefahr eines neuen Inflationsschubes. Die Zahl der Arbeitsplätze nahm seit Oktober 1983 um mehr als 660 000 zu. Allerdings verlangsamte sich seit Anfang dieses Jahres das Wachstumstempo bei uns und in zahlreichen anderen europäischen Industrieländern. Die kurzfristige sehr starke Aufwertung der Deutschen Mark gegenüber dem amerikanischen Dollar zwischen dem Frühjahr 1985 und 1987 hat die Wettbewerbssituation, vor allem unserer Exportwirtschaft, zunächst spürbar erschwert.Durch die erfolgreiche Zusammenarbeit der großen Industrieländer und veränderte Markterwartungen verzeichnen wir seit über sechs Monaten weitgehende Wechselkursstabilität und damit wieder bessere Voraussetzungen für höhere Investitionen und mehr Wachstum. In Übereinstimmung mit der Mehrzahl der wirtschaftswissenschaftlichen Institute halten wir für 1987 deshalb eine reale Wachstumsrate von 1,5 bis 2 % und für 1988 von etwa 2,5 % für erreichbar.Wachstum ist kein Selbstzweck. Aber seine Wirkungen für mehr Beschäftigung, für die arbeitenden Menschen, für die sozialen Sicherungssysteme, für die Staatseinnahmen und auch für andere, in Not und Bedrängnis lebende Völker, sind vor allem in der aktuellen Situation ganz besonders hoch einzuschätzen.
Wir müssen neben den begrenzten kurzfristigen Schwankungen in den Konjunkturdaten vor allem die tiefergehenden Veränderungen wesentlich ernster nehmen, die sich in längeren Zeiträumen für die Stellung Deutschlands in der Weltwirtschaft abzeichnen. Japan ist in weniger als zwei Jahrzehnten in die Spitzengruppe der Industrieländer aufgerückt und hat uns Europäern wie auch den Amerikanern erhebliche Marktanteile abgenommen, andererseits auch Impulse gegeben. Andere Staaten, von Südkorea über Taiwan bis Brasilien, folgen in einem sehr schnellen Tempo.Die um ihre Arbeitsplätze bangenden Werftarbeiter an unserer Küste wissen schon, daß die Koreaner und Taiwanesen und demnächst auch die Chinesen, also die Volksrepublik China, im Schiffbau uns Europäern heute mit 35, 40 oder 45 % unseres Lohnniveaus, der Lohnnebenkosten und der Steuerlasten härteste Konkurrenz machen.Meine Damen und Herren, andere Wirtschaftszweige und ihre Mitarbeiter werden zunehmend dieselbe Erfahrung machen. In der ersten Hälfte dieses Jahres wuchs beispielsweise die immer stärker exportorientierte Wirtschaft Südkoreas trotz aller politischer Erschütterungen mit einer Jahresrate von 15 %, verglichen mit 3 % in Japan und knapp 2 % in Westeuropa. In derselben Zeit stieg der Leistungsbilanzüberschuß Südkoreas auf 4,1 Milliarden Dollar und erhöhte sich damit gegenüber dem Vorjahreszeitraum um fast das Zehnf ache.Unsere Antwort kann nicht Abschottung, kann nicht ein defensives Verhalten sein, sondern das konstruktive Annehmen der Herausforderung.
Dazu gehören die Ermutigung der schöpferischen Kräfte zu hohem Leistungsstand, auch zu Spitzenleistungen in Wissenschaft, in Technik, am Arbeitsplatz und die stärkere Anerkennung solcher Leistung im Steuerrecht.Auch ein deutliches Abbremsen des Anstiegs der Lohnnebenkosten gehört zu jeder ernsthaften Strategie für Wettbewerb und mehr Arbeitsplätze. Natürlich kommt insbesondere den Tarifpartnern hierbei eine zentrale Verantwortung zu. Meine Damen und Herren, wer durch einen Streik vor zwei Jahren die Kosten in der bereits hart bedrängten deutschen Handelsschiffahrt massiv nach oben trieb, muß heute zur Kenntnis nehmen, daß die neue Welle der Ausflaggungen zahlreiche Arbeitsplätze für deutsche Seeleute vernichtet.Wir können krasses Fehlverhalten bestimmter Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände nicht durch immer höhere Subventionen des Staates ausgleichen.
Auch das gehört zu den ordnungspolitischen Grundlagen eines ernsthaften Dialogs zwischen gesellschaftlichen Gruppen einerseits, Regierungen und Parlamenten andererseits.An die Finanzpolitik werden heute im Hinblick auf Konjunktur, Wettbewerbsfähigkeit und Förderung der Beschäftigung sehr unterschiedliche, teilweise ganz entgegengesetzte Erwartungen und Forderungen gerichtet. Die vorherrschende Meinung der internationalen Wirtschaftswissenschaftler und der angesehenen wirtschaftspolitischen Institutionen wie auch der Regierungen zahlreicher Partnerländer ist, wir sollten unsere Steuersenkungen weiter beschleunigen und erheblich verstärken.Auch in der Bundesrepublik Deutschland wird diese Auffassung vertreten. So sprach sich z. B. der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt Anfang Juli in einem Interview in der „Financial Times" für nachhaltige Steuersenkungen als wichtigstes Mittel für eine ausgeglichenere Zahlungsbilanz, also auch zur Stimulierung der Konjunktur und Förderung der Beschäftigung, aus. Aber dessen Gedanken sind ja in Ihren Reihen überhaupt nicht mehr präsent, meine Damen und Herren,
in der Sicherheitspolitik ebensowenig wie in der Finanzpolitik. Deswegen können Sie fröhlich und unbe-
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1466 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Bundesminister Dr. StoltenbergSchwert, allerdings auch mit vielen Verdrehungen, gegen die Steuersenkungspolitik polemisieren.
Auf der anderen Seite bekämpft nämlich die sozialdemokratische Opposition die Steuerreform und eine behutsame Rückführung der Steuerquote. Sie verlangt unverdrossen neue Ausgabenprogramme, jetzt unter der Überschrift „Arbeit und Umwelt". Es macht aber nach den Erfahrungen der 70er Jahre mit kurzfristig angelegten Programmen dieser Art keinen Sinn, neuen Wein in alte, verbrauchte Schläuche zu gießen.
Meine Damen und Herren, Steuer- und Haushaltspolitik müssen in einem Gleichgewicht bleiben. Wir wollen die großen Erfolge unserer Konsolidierung einer wesentlichen Verbesserung der Haushaltssituation von Bund, Ländern und Gemeinden nicht wieder verlieren. Aber es ist schon erstaunlich, wenn die sozialdemokratische Opposition, die nicht nur die Kreditaufnahme des Bundes in ihrer Regierungszeit dramatisch ausweitete, sondern Anfang der 80er Jahre die kommunale Selbstverwaltung in die schwerste Finanzkrise der Nachkriegszeit trieb, heute mit falschem Pathos als Kronanwalt der Konsolidierung und der Kommunen auftreten will. Das ist schon sehr erstaunlich.
Orientieren wir uns einmal an Zahlen: 1982, im Jahre des Regierungswechsels, mußten Städte, Kreise und Gemeinden 6,4 Milliarden DM neue Kredite aufnehmen. Zugleich gingen ihre Investitionen seit 1980 drastisch zurück. 1986 betrug die Neuverschuldung der Kommunen demgegenüber nur noch 2 Milliarden DM,
weniger als ein Drittel bei zugleich deutlich ansteigenden Investitionen. Dieser positive Trend unterstreicht: Auch bei den Kommunen sind prinzipiell die Voraussetzungen gegeben, daß wir die Steuern für die arbeitenden Menschen und die Betriebe weiter senken können.
Das ist notwendig, um bei härterem internationalen Wettbewerb das Angebot an bezahlbarer Arbeit vergrößern zu können und berufliche Leistung, ehrliche Arbeit wieder stärker anzuerkennen.
Die von uns bereits verabschiedeten Steuersenkungsvorlagen widerlegen eindeutig die Behauptung der SPD, unsere Steuerpolitik diene den Reichen oder schade den Arbeitnehmern. Ab 1986, vor allem ab 1988 entlasten wir die Berufstätigen mit der Senkung der Einkommen- und Lohnsteuer um 24,6 Milliarden DM. Einschließlich der vor zwei Jahren beschlossenen besseren Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsgebäude beträgt die Gesamtentlastung für Arbeitnehmer und Betriebe sogar fast 29 Milliarden DM. In diesen schon beschlossenen Maßnahmen wirddie prozentual weitaus stärkste Steuersenkung bei den unteren Einkommensgruppen und den Berufstätigen mit Kindern wirksam.Meine Damen und Herren, der steuerfreie Bruttojahresverdienst wird beträchtlich erhöht: bei Verheirateten mit zwei Kindern von 13 956 DM im Jahre 1985 auf 20 273 DM im Jahre 1988. Die Steuerpflichtigen mit einem zu versteuernden Einkommen bis zu 18 000 DM bei Ledigen bzw. 36 000 DM bei Verheirateten bringen auf der Grundlage des Einkommensteuerrechts 1985 5,4 % der Lohn- und Einkommensteuer auf; bei der Entlastung 1986/88 entfallen auf sie dagegen 6,5 % der Steuersenkung.Um es anschaulicher zu machen: Ein Arbeitnehmer mit 20 273 DM Bruttolohn, verheiratet, mit zwei Kindern — also in der untersten Einkommensgruppe — mußte 1985 noch 1 140 DM Lohnsteuer zahlen.
Im nächsten Jahr ist er von jeder Lohnsteuerpflicht befreit. Die Entlastung beträgt 100 %; mehr ist nicht möglich.
Eine Arbeitnehmerin, verheiratet, zwei Kinder, in der Elektroindustrie tätig, mit einem Durchschnittseinkommen von 31 700 DM wird 1988 gegenüber 1985 um 40 % entlastet, konkret um 1 142 DM. Ein lediger Facharbeiter in der Automobilindustrie mit einem dort wesentlich höheren Durchschnittseinkommen von 52 300 DM wird im kommenden Jahr gegenüber 1985 um 1 404 DM entlastet; das sind fast 11 seiner Steuerschuld.Man muß, Herr Kollege Apel, schon sehr weit von der Lebenswelt der arbeitenden Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen entfernt sein, um ständig wahrheitswidrig zu behaupten, diese Steuerpolitik sei arbeitnehmerfeindlich und diene den Reichen. Das ist schon grotesk, was Sie hier seit Wochen aufführen! Grotesk!
Es ist noch schlimmer, wenn die sozialdemokratischen Spitzenfunktionäre des Deutschen Gewerkschaftsbundes ihre gesamten publizistischen und agitatorischen Mittel in den Dienst dieser arbeitnehmerfeindlichen und unehrlichen Propaganda der Sozialdemokratischen Partei stellen.
— Also, bei einigen, etwa dem soeben Genannten, unterstelle ich, daß sie das nicht so genau wissen. Aber die Verfasser dieser Artikel wissen genau, was sie da anrichten.Meine Damen und Herren, bei hohen Einkommen geht die prozentuale — —
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1467
Bundesminister Dr. Stoltenberg— Nein, nein, wir sind — damit Sie hier einen Begriff aus dem Bereich des Sportes nicht falsch verwenden — in der Offensive, voll in der Offensive.
Wir nutzen die erste Gelegenheit im Deutschen Bundestag, in der offenen Auseinandersetzung mit Ihnen einmal diese unehrliche Kampagne der Verdrehungen und Täuschungen zu nennen, so wie sie es verdient, Herr Kollege Huonker, — damit da kein Zweifel besteht.
— Also, Herr Apel, Sie haben ja schreckliche Dinge für mich heute angekündigt. Deswegen muß ich die Auseinandersetzung auch gleich einmal richtig eröffnen.Bei hohen Einkommen geht die prozentuale Steuersenkung deutlich zurück. Im Ergebnis beträgt die Entlastung 1986 und 1988 für alle Steuerzahler im Durchschnitt 9,9 % der bisherigen Steuerschuld. Bei den Beziehern hoher Einkommen mit einem Steuersatz von 56 % sind es nur noch 3,3 %.Meine Damen und Herren, die Koalitionsparteien haben für 1990 eine weitergehende Steuerreform vereinbart. Niedrige Tarife für alle und weniger Ausnahmen für spezielle Gruppen sind das Ziel, um zu einem in sich schlüssigeren und gerechteren Steuersystem zu kommen. Viele haben sich in den letzten Jahrzehnten an diesem Ziel orientiert, auch eine Reihe meiner sozialdemokratischen Amtsvorgänger. Wenn ich an die prinzipielle Begründung etwa der von dem Kollegen Alex Möller einmal vorgeschlagenen Steuerreform, die dann keine Mehrheit fand, erinnere, dann stelle ich fest: Es waren dieselben Grundsätze, die wir heute vertreten.Im Ergebnis wollen wir die Belastung durch Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer noch einmal um 20 Milliarden DM verringern. Die vorgesehenen Maßnahmen aber, vor allem die Einführung des sanft ansteigenden linearen Progressionstarifs, die kräftige Erhöhung des Grundfreibetrages und die weitere Erhöhung der Kinderfreibeträge, kosten rund 39 Milliarden DM an Steuerausfällen.
Wir wollen also 19 Milliarden DM im Steuersystem umschichten.
Meine Damen und Herren, das ist nicht nur aus Haushaltsgründen, sondern vor allem auch im Interesse einer Vereinfachung der soeben genannten Grundsätze notwendig. Mehr als 150 Einzelpunkte, Steuersubventionen, Sonderregelungen, Gestaltungsmöglichkeiten für Privilegierte, sind also zunächst fachlich und dann in den politischen Folgerungen auf ihre Berechtigung einer so nachhaltigen Absenkung des Tarifs der Normalbesteuerung sorgfältig zu prüfen. Ich bin heute davon überzeugt, daß wir durch eine solche Erweiterung der Bemessungsgrundlage den ganz überwiegenden Teil des genannten Umschichtungsbedarfs erreichen können. Und da Sie konkret fragen, Herr Kollege Walther, muß ichIhnen zu diesem Teil wirklich einmal in aller Ruhe sagen: Sie haben in den 13 Jahren Ihrer Regierungsverantwortung — trotz der intensiven Bemühungen von Alex Möller und anderen — eine so weitgehende Steuerreform, vor allem mit den breiteren und gerechteren Grundlagen der Besteuerung, nicht erreicht.
Wir haben das in den Koalitionsverhandlungen vereinbart. Und Sie müssen uns schon erlauben, daß wir das erste Jahr dieser Wahlperiode benutzen, um zu den konkreten Folgerungen zu kommen. Wer in 13 Jahren keine Steuerreform erreicht hat, ist wirklich nicht berechtigt, den Terminplan der Koalition glaubwürdig zu kritisieren.
Je weiter wir auf diesem Weg kommen, desto weniger brauchen wir im Rahmen der Steuerreform spezifische Verbrauchsteuern anzulegen.
Diese Konzeption macht auch deutlich — ich bekräftige das, weil man ja vieles immer wiederholen muß — , daß wir nach meiner Überzeugung zu einem positiven Resultat ohne Erhöhung der Mehrwertsteuer kommen können.
Aber weil die Möglichkeit, die ich ja bereits vor der Bundestagswahl im Deutschen Bundestag öffentlich angesprochen habe, daß wir unter Umständen auch auf die eine oder andere spezifische Verbrauchsteuer als Restposten gleichsam zurückgreifen müssen,
nun in den öffentlichen Bekundungen der SPD als geradezu unglaublich und unsozial erscheint — auch ein Teil Ihrer Sommerkampagne — , will ich Sie, meine Damen und Herren der Opposition, einmal kurz daran erinnern, was Sie in Ihrer eigenen Regierungszeit beschlossen haben.
In den Jahren 1970 bis 1982 haben Sie unter maßgebender Beteiligung der damaligen Bundesminister Apel und Vogel indirekte Steuern in der Größenordnung von insgesamt 25,6 Milliarden DM jährlich erhöht, ohne daß es zu einer wirklich durchgreifenden Steuerreform kam.
— Ich will Ihnen das hier noch mal vortragen, Frau Matthäus-Maier; es interessiert eine breite Öffentlichkeit, die von Ihnen vollkommen desinformiert wurde. — Die Mineralölsteuer auf Benzin stieg in Ihrer Regierungszeit um 16 Pfennig auf 51 Pfennig je Liter.
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1468 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Bundesminister Dr. Stoltenberg— Daß Sie das nicht gerne hören, Herr Walther, ist klar.
— Aber den Inhalt meiner Ausführungen bestimme ich immer noch selbst; das ist doch vollkommen klar.
Sie können ja die nächste Fragestunde benutzen, um das zu erörtern.
Beim Dieselkraftstoff wurde um 12 Pfennig erhöht. Die Mehrwertsteuer wurde um zwei Punkte angehoben. Die Steuer für Trinkbranntwein ging um 112 % nach oben. Die Heizölsteuer wurde verdoppelt.Ihr seid mir schöne Anwälte der Kampagne gegen Verbrauchsteuern; ihr seid wirklich prima, kann ich euch nur sagen!
Herr Kollege Apel, einen Großteil Ihrer Reden vom Sommer konnte jeder, der sich an die Finanzpolitik nach 1969 erinnert, nur noch mit schwarzem Humor zur Kenntnis nehmen. Das will ich Ihnen hier wirklich sagen.
Aber jetzt zu den zugrunde liegenden Sachfragen.Unser Steuersystem ist dringend reformbedürftig. Vor allem die zu stark steigende Progressionsbelastung nimmt den arbeitenden Menschen zu viel von den Ergebnissen beruflichen Aufstiegs, aber auch jeder Tarifrunde weg. Eine gefährliche Folge ist, daß die Schattenwirtschaft der am stärksten wachsende Sektor unserer Volkswirtschaft wurde. Das habe ich gemeint, Frau Kollegin, als ich vorhin von ehrlicher Arbeit sprach. Der scheidende Präsident des Deutschen Handwerks, Paul Schnitker, hat vor wenigen Wochen erklärt, jährlich gingen rund 100 000 Arbeitsplätze durch Schwarzarbeit verloren. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Heinrich Franke, schätzt in einer Stellungnahme im August den Anteil der Untergrundwirtschaft mittlerweile auf 10% unserer volkswirtschaftlichen Leistung. Es genügt nicht, diesen gefährlichen Trend,
der die Grundlagen unserer Sozialsysteme und natürlich auch unseres Staatseinkommens schwächt, zu beklagen.
Auch wünschenswerte administrative Maßnahmengegen Schwarzarbeit werden allein nicht ausreichen.Notwendig ist vielmehr, daß ehrliche Arbeit im Steuerrecht nachhaltiger anerkannt wird. Das ist der entscheidende Zugang.
Es hat ja auch einen Sinn, daß diese Koalition beabsichtigt, die noch anstehenden endgültigen Entscheidungen zur Steuerreform und die notwendigen Beschlüsse zur Kostenbegrenzung im Gesundheitswesen in einer engen zeitlichen Verbindung zu treffen,
weil beides notwendig ist, wenn das Angebot an bezahlbarer Arbeit wirklich dauerhaft erhöht werden soll und wir die Arbeitslosigkeit nachhaltig zurückführen wollen; beides sind Schlüsselaufgaben.
Herr Kollege Apel, die Vorschläge der SPD — ich beziehe mich da auf Ihr Wahlprogramm vor der Bundestagswahl — , Steuern nur im unteren Einkommensbereich etwas zu senken, um dann die Arbeitnehmer bei einem erfolgreichen Aufstieg mit einer zusätzlichen Ergänzungsabgabe zu bestrafen, sind wirklich unbrauchbar. Sie sind in ihren ökonomischen und sozialen Wirkungen schädlich. Und sie sind ja auch von den Bürgerinnen und Bürgern im Januar insoweit verworfen worden.Bund, Länder und Kommunen sollen ausgewogen an den Mindereinnahmen durch Steuersenkung und Steuerreform beteiligt werden. Ich sage das auch im Hinblick auf die Forderung kommunaler Spitzenverbände. In diesem Bereich ist in der Tat eine ausgewogene Lösung nötig. Aber die Sozialdemokraten sind ein schlechter Anwalt der Steuerzahler und der kommunalen Selbstverwaltung. Wo Sozialdemokraten regieren, werden die Städte, Gemeinden und Kreise am stärksten zur Ader gelassen.
In Nordrhein-Westfalen verschlechtert die Regierung Rau seit 1982 Jahr für Jahr den kommunalen Finanzausgleich in schlimmer Weise. 1987 führt das für die Städte, Gemeinden und Kreise an Rhein und Ruhr zu Mindereinnahmen von 2,7 Milliarden DM — in einem Jahr! —
im Vergleich zu 1981. Und zur selben Zeit beklagt Herr Rau auf Veranstaltungen in Schleswig-Holstein bewegt den angeblich drohenden Niedergang der Kommunen durch unsere Steuersenkungen. Auch das kann man nur noch mit schwarzem Humor zur Kenntnis nehmen.
Die schleswig-holsteinischen Städte, Kreise und Gemeinden haben übrigens im Vergleich zu allen anderen Bundesländern die niedrigste Verschuldung pro Einwohner: im Jahr 1986 aus Kreditmarktmitteln 928 DM gegenüber einem Bundesdurchschnitt von 1 846 DM und einem Schuldenstand für die Kommunen Nordrhein-Westfalens von 2 264 DM. Herr Rau sollte sich lieber um die Kommunen in NordrheinWestfalen kümmern, als bei uns zu Hause derartige
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1469
Bundesminister Dr. StoltenbergReden zu halten. Das kann man ihm nur dringend empfehlen.
Ich sagte, daß wir das Defizit von Bund, Ländern und Gemeinden auf 2,2 % zurückgeführt haben. Es wird durch die beschlossenen und zusätzlich geplanten Steuersenkungen 1990 voraussichtlich zeitweise auf knapp 3 % ansteigen. Voraussetzung ist natürlich bei allen Gebietskörperschaften ein sparsamer Ausgabenkurs, der durch das hohe Maß an erreichter Geldwertstabilität erleichtert wird.
Steuersenkungen und Steuerreform stärken Wachstumskräfte. Finanzpolitiker müssen exakt rechnen. Das ist wahr; es ist im übrigen allen Politikern zu wünschen, das zu tun, nicht nur den Finanzpolitikern, Herr Kollege Glos. Aber wir dürfen die Wirkungen unserer Entscheidungen auf die Volkswirtschaft und den Arbeitsmarkt dabei nicht vernachlässigen. Ich bin wirklich davon überzeugt: Wenn wir auf Steuersenkungen und Steuerreform verzichten würden, wäre das Ergebnis längerfristig nicht weniger, sondern mehr Schulden.Die internationale Entwicklung in zahlreichen Industrieländern unterstreicht diese Einsicht. Gegenwärtig verwirklichen ja oder planen christlich-demokratische, liberale, konservative, aber vor allem auch sozialistisch geprägte Regierungen und Parlamentsmehrheiten weitgehende steuerpolitische Entscheidungen. Das Beispiel der Steuerreform in den Vereinigten Staaten von Amerika hat nachhaltige Wirkungen ausgeübt. Ob nun Schweden oder Österreich, ob Frankreich, die Niederlande und Belgien, Kanada und Japan — man kann die Liste verlängern — , es sind bei allen Differenzierungen dieselben Grundüberlegungen und Grundlinien, die ihre ernsthafte Steuerdiskussion und aktuelle Steuergesetzgebung bestimmen.Die zu hohe Tarifbelastung, also die Normalbesteuerung bei der Einkommen-, Lohn- und Körperschaftsteuer wird zurückgeführt. Zugleich soll die zu große Zahl von Ausnahmevorschriften verringert werden. Für erfahrene und aufgeklärte Sozialisten ist es dabei selbstverständlich, daß die Entlastung durchgehend sein muß und deshalb auch der für die Unternehmensbesteuerung besonders wichtige Spitzensteuersatz einbezogen wird.Diese Reformaufgabe wird in manchen Nachbarländern als so dringend angesehen, daß sie beispielsweise in Österreich, wo die weit überhöhte Staatsverschuldung nach Auffassung der Regierungsparteien kurzfristig eine Steuersenkung nicht erlaubt, ausschließlich durch Umschichtungen im Steuersystem finanziert wird. Ich sage es noch einmal: In Österreich — die Regierung besteht dort aus Sozialistischer Partei und Österreichischer Volkspartei — sieht man zwar nicht den Spielraum für Steuersenkungen, aber man finanziert die Tarifsenkung bis zum Spitzensteuersatz ausschließlich durch Umschichtungen im Steuersystem.Die Sozialdemokraten sollten die sozialistischen Finanzminister der anderen europäischen Länder einmal als Experten zu einem Fortbildungsseminar zu diesen zentralen Themen der Steuer- und Finanzpolitik einladen. Ich kann Ihnen das nur empfehlen.
Das käme Ihren Diskussionen und auch unseren Debatten in diesem Hohen Haus zugute.Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung — OECD — , in der internationalen Diskussion ja mit besonders hoher Autorität ausgestattet, schrieb in ihrem jüngsten Deutschlandbericht zu den angesprochenen zentralen Fragen— ich zitiere das — :Im finanzpolitischen Bereich müssen die beachtlichen Fortschritte im Auge behalten werden, die in den letzten vier Jahren bei der Konsolidierung des öffentlichen Gesamthaushalts erzielt worden sind, und es muß gleichzeitig auf eine Senkung der Ausgabenquote hingewirkt werden.— Das ist auch für Diskussionen in manchen Bereichen der Koalition wichtig. —Zwar müßte vielleicht einige Jahre lang eine höhere Staatsschuld im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt hingenommen werden, doch dürfte dies angesichts des Gewichts, das die Bundesregierung einem vorsichtigen Haushaltsgebaren beimißt, die Glaubwürdigkeit ihrer Politik kaum beeinträchtigen.Die OECD, der Internationale Währungsfonds und andere Institutionen mit großem Ansehen mahnen uns allerdings, auch in anderen Bereichen notwendige Reformen weiterzuführen und konsequent zu verwirklichen. Dazu gehören nach ihrer und meiner Auffassung die weitere Privatisierung von Unternehmen und bestimmten Dienstleistungen,
nicht nur beim Bund, sondern vor allem auch in der Verantwortung der Kommunen, der Abbau zu starker bürokratischer Hemmnisse bei arbeitsplatzschaffenden Investitionen und eine beweglichere Tarifpolitik, die nachhaltiger beschäftigungsfördernd wirken sollte.
Ich unterstreiche dies auch als eine Verpflichtung für die Koalition und die Regierung. Wir müssen weiter vorangehen. Ich bin der Überzeugung, daß insbesondere die Tarifpolitik stärker den sehr unterschiedlichen Strukturen und regionalen Gegebenheiten in der Bundesrepublik Deutschland Rechnung tragen soll.Meine Damen und Herren, ich habe zu Beginn meiner Ausführungen hervorgehoben, daß kaum ein anderes Land so nachhaltig mit der Weltwirtschaft verflochten ist wie wir. Deshalb setzen wir uns für eine wirksamere internationale Zusammenarbeit und für handlungsfähige weltweite oder regionale Organisationen der Währungs-, Finanz-, Handels- und Entwicklungshilfepolitik ein.Es gibt auf diesem schwierigen Weg einige wichtige Fortschritte. Die schon kurz erwähnte Pariser Erklä-
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1470 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Bundesminister Dr. Stoltenbergrung der Finanzminister und Notenbankpräsidenten der großen Industrieländer vom Februar beschränkte sich nicht auf das angekündigte Zusammenwirken zur Stabilisierung von Wechselkursen. Sie formulierte weiter gespannte gemeinsame Ziele, die in der Verantwortung der einzelnen Staaten oder in den internationalen Institutionen verwirklicht werden sollen. Ob dies erreicht werden kann, wird für die Zukunft der Weltwirtschaft, vor allem der von Krisen überschatteten Situation so vieler Schwellen- und Entwicklungsländer, aber auch für uns und für andere Industrieländer von sehr großer Bedeutung sein. Auch der Wirtschaftsgipfel der Staats- und Regierungschefs in Venedig hat im Gegensatz zu manchen voreiligen Ankündigungen über Krisen und Kontroversen diese Grundlinien der Zusammenarbeit verdeutlicht.Natürlich wiederholen sich manche Formeln und Forderungen in den Kommuniqués von Jahrestagungen und Wirtschaftsgipfeln, aber es wäre falsch, sie deshalb von vornherein gering einzuschätzen. Wir sehen auf Grund dieser internationalen Zusammenarbeit auch Bewegung und wichtige Wirkungen in zentralen Themen.In dem am 30. September zu Ende gehenden Haushaltsjahr wird erstmals das Etatdefizit der Vereinigten Staaten von Amerika um rund 30% verringert. Allerdings spielen auch einmalige Faktoren dort eine Rolle. Deshalb sind in Washington weitere gesetzgeberische Entscheidungen dringend erforderlich, damit dieser Kurs fortgesetzt werden kann. Die Trendwende beim Abbau des amerikanischen Handelsdefizits vollzieht sich in der Tat langsamer, ist aber in ersten wesentlichen Daten erkennbar. Japan hat weitere Einzelschritte zur Öffnung seiner Märkte getan. Auch hier wünschen wir eine schnellere und umfassendere Entwicklung, damit potentiell gefährliche Verwerfungen und internationale Konflikte abgewehrt werden können. Aber wir als Deutsche, meine Damen und Herren, können Forderungen an unsere wichtigsten Partner nur glaubwürdig vertreten, wenn wir unseren eigenen Beitrag leisten. Wenn wir sagen, daß wir uns abmelden aus einer abgestimmten Strategie für Wachstum und Beschäftigung, daß wir deswegen die Steuern nicht senken, sondern erhöhen, wie sollen denn der Bundeskanzler, der Bundesfinanzminister, der Bundeswirtschaftsminister mit Autorität in diesen internationalen Verhandlungen auftreten und unsere vitalen Belange dort vertreten können? Wie soll denn das überhaupt geschehen?
Man muß die erheblich verbesserte Zusammenarbeit der Industrieländer, die auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu verzeichnen ist, allerdings auch vor Mißverständnissen bewahren. Sie hat nicht ein System von automatischen Handlungsverpflichtungen bei kurzfristigen konjunkturellen Schwankungen zum Ziel; sie beachtet vielmehr die spezifischen Bedingungen der Partner und die vorrangige Verantwortung ihrer Parlamente, Regierungen und Notenbanken. Dies ist auch nicht ein Kartell der Industrieländer.Unsere Mitverantwortung für die Weltwirtschaft und damit besonders für die von schweren Belastungen getroffenen ärmeren Entwicklungsländer muß jederzeit im Vordergrund der Beratungen und Entscheidungen stehen.Angesichts der Größenordnung und der Härte der Schuldenlast ist positiv zu bewerten, daß in den letzten fünf Jahren seit Ausbruch der Mexiko-Krise die Lage unter Kontrolle gehalten werden konnte. In einigen Ländern wurde durch nationale Initiativen und internationale Unterstützung eine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Daten erreicht. Mexiko, das in diesem Jahr eine eindrucksvolle Steigerung seiner Exporte und einen beträchtlichen Anstieg seiner Währungsreserven erreichen kann, ist ein Beispiel dafür, was durch eine entschlossene Wirtschaftspolitik auch bei ungünstigen Ausgangsbedingungen möglich ist.Auf der anderen Seite bleibt die Situation der meisten verschuldeten Länder sehr schwierig. Der Nettokapitalzufluß in viele Staaten ist praktisch zum Erliegen gekommen. Neue Kredite stehen in vielen Fällen eigentlich nur noch für Umschuldungen und Zinszahlungen zur Verfügung. In einer solchen Lage schwindet das Interesse mancher Länder an einer Kooperation mit den öffentlichen und den privaten Gläubigern, schwindet die Bereitschaft, knappe Devisen für Tilgung und Zinszahlungen zur Verfügung zu stellen. Das bereits acht Monate anhaltende Zahlungsmoratorium Brasiliens hat bei den übrigen großen Schuldnerländern keine Nachahmer gefunden; es ist jedoch ein Zeichen einer gewissen Verhärtung der Verhandlungsposition zwischen den Beteiligten.Allerdings, meine Damen und Herren, die Erfahrungen von Ländern, die diesen Weg zunächst mit großer innerer Unterstützung und auch mit manchen Sympathien gegangen sind und dann in eine schwere Krise geraten sind — ich denke an Peru — , zeigen auch, daß das nicht der richtige Weg ist, die Probleme der hochverschuldeten Länder zu lösen. Wir können diese Länder in ihrem eigenen Interesse nur auffordern, ihn nicht zu gehen.Auf der anderen Seite gibt es für uns Verpflichtungen. Private und öffentliche Gläubiger müssen im eigenen wie im Interesse der hochverschuldeten Entwicklungs- und Schwellenländer die Bereitschaft zeigen, das notwendige Kapital für deren wirtschaftliche Entwicklung bereitzustellen. Entschlossene Anpassungspolitik — der erkennbare Wille, die strukturellen Voraussetzungen im privaten wie im öffentlichen Bereich für mehr Wachstum zu schaffen — bleibt die Voraussetzung für eine dauerhafte Stabilisierung und Verbesserung der Lage.Die meisten europäischen privaten Banken haben die Zeit genutzt und in ihren Bilanzen in großem Umfange Vorsorge für mögliche Risiken im Auslandsgeschäft getroffen. Die großen Banken in den Vereinigten Staaten sind jetzt dabei, in diesem Bereich Versäumtes nachzuholen. Diese Entwicklung eröffnet Chancen wie auch gewisse Risiken. Zahlungseinstellungen einzelner Schuldner würden heute nicht mehr die noch vor wenigen Jahren befürchtete internationale Finanzkrise auslösen. Das ist das Positive. Darüber hinaus ist Raum geschaffen worden für neue Ver-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1471
Bundesminister Dr. Stoltenbergeinbarungen mit den Schuldnerländern, die deren wirtschaftlichen Möglichkeiten besser Rechnung tragen.Aber die Abschreibung von Forderungen an in Schwierigkeiten befindliche Lander darf nicht als Signal zum Rückzug aus dem internationalen Engagement mißverstanden werden. Wir dürfen — das gilt für den Staat, das gilt für die Firmen, das gilt für die Banken — die Schuldnerländer mit ihren Problemen nicht alleinlassen;
sonst müßten wir auch schwerwiegende Rückwirkungen auf die eigene wirtschaftliche Situation befürchten.Zunehmende Bedeutung bei der Bewältigung der internationalen Verschuldenssituation kommt auch und vor allem den internationalen Finanzinstitutionen zu. Die Bundesrepublik setzt sich seit langem dafür ein, die Mittel bei der Weltbank und, sobald erforderlich, auch beim Internationalen Währungsfonds zu verstärken. Sie hat ja, wie Sie wissen, einen überdurchschnittlichen Anteil bei der Aufstockung der Mittel der Internationalen Entwicklungsagentur übernommen. Wir erweitern den Rahmen für die bilaterale Entwicklungshilfe.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat in den letzten fünf Jahren gezeigt, daß sie auch im Rahmen eng begrenzter öffentlicher Mittel national wie international erfolgreich Politik gestalten kann. Wir haben in einer Gemeinschaftsleistung wieder ein verläßliches Fundament für Wirtschaft und Staat geschaffen und damit auch das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in der Welt gestärkt.
Die Bürger unseres Landes haben die positiven Auswirkungen unserer Politik konkret erfahren können, manche allerdings bis heute sicher nur eingeschränkt.
— Ja, ich denke an die Menschen, die von den schweren Strukturveränderungen betroffen sind.
Stetiges Wachstum, zunehmende Beschäftigung, bessere Ausbildungschancen, stabile Preise, niedrigere Zinsen und steigende Realeinkommen sind Tatsachen, die zählen und die man nicht aus der Welt polemisieren kann.
Aber — auch das sollte ganz deutlich werden — vieles bleibt zu tun. Der Haushaltsentwurf 1988 und der Finanzplan bis 1991 beschreiben den Kurs einer weiterhin verläßlichen und vertrauensbildenden Finanzpolitik. Wir haben eine gute Grundlage geschaffen, auf der wir nach meiner Überzeugung vor den großen Herausforderungen der nächsten Jahre erfolgreich bestehen können.Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Rede des Bundesministers der Finanzen,
ebenso wie der vorliegende Haushaltsentwurf 1988 und der Finanzplan bis 1991 sind erkennbar davon bestimmt, bis zu den Wahlen am kommenden Sonntag über die Runden zu kommen.
Sie wollen — und darauf werde ich einzugehen haben — den Eindruck
solider Finanzpolitik vorspielen. Der Bundesfinanzminister versucht auch heute wieder, die Illusion aufrechtzuerhalten, Ihre überzogenen Steuerpläne seien solide finanzierbar und gerecht,
und Sie wollen den Eindruck erwecken, als könnten Sie Ihre Wahlversprechen halten.Tatsache ist dagegen, meine Damen und Herren von der Union, daß der Haushaltsentwurf, den Sie uns vorgelegt haben, ein Torso ist. Er verstößt — und darauf werde ich im einzelnen eingehen — in eklatanter Weise gegen die haushaltsrechtlichen Grundsätze von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit.
Meine Damen und Herren, der mittelfristige Finanzplan bis 1991 war schon bei seiner Verabschiedung im Kabinett nichts weiter als Makulatur. Ihr Zahlenwerk ist unvollständig; Ihre Schätzansätze lassen die für eine solide Finanzpolitik notwendige Vorsicht vermissen. Dieses Zahlenwerk — und ich sage das in allem Ernst — ist keine solide Grundlage für die Haushaltsberatungen im Deutschen Bundestag.
Meine Damen und Herren, ich möchte das gern im einzelnen begründen. Ich möchte dabei eine Vorbemerkung machen. Herr Stoltenberg hat Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, mit der Bemerkung abgespeist, wir hätten bei den letzten Haushaltsberatungen unnötig Alarm geschlagen, und die Fakten seien doch ganz anders. Wie sind die Fakten nun aber wirklich?
Herr Stoltenberg hat am 22. Dezember 1986, also noch nach den Haushaltsberatungen, in der „Welt am
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1472 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Dr. ApelSonntag" gesagt, er erwarte für 1987 ein Wirtschaftswachstum zwischen 2,5 % und etwas mehr als 3 %.
Tatsache ist, daß er inzwischen über 4 Milliarden DM Steuereinnahmen verloren hat. Dieses haben wir ihm prophezeit; damit haben wir recht gehabt. Hören Sie auf, so zu tun, als sei das, was Sie uns damals vorgelegt haben, und das, was Sie uns heute vorlegen, etwas, was der finanzpolitischen Realität unserer Zeit entspricht. Genau das Gegenteil ist richtig.
Nun zu den Einzelheiten. Herr Kollege Stoltenberg, ich frage Sie, ob es richtig ist, daß Sie am 23. Juli 1986 folgendes erklärt haben — ich zitiere:Eine seriöse Finanzplanung muß die nötige Vorsorge für den Fall treffen, daß der Höchstsatz für die Abführung der Mehrwertsteuereigenmittel an die EG ab 1988 weiter erhöht wird.Ich frage Sie, ob es stimmt, daß Sie im letzten Finanzplan vor 12 Monaten deshalb, völlig zu Recht, 5,8 Mil-harden DM als zusätzliche EG-Abgaben für die Jahre 1988 bis 1990 eingesetzt haben. — Dieses war so. Sie können es nicht bestreiten. — Nun, bei der Vorlage des Bundeshaushalts 1988 gibt es plötzlich diese Risiken nicht mehr. Die 5,8 Milliarden DM, die Sie damals vorgesehen hatten, werden anderweitig verfrühstückt. Sie wissen bereits heute, daß Ihnen in Brüssel im nächsten Haushaltsjahr 2,2 Milliarden DM fehlen werden. Dafür haben Sie keine Vorsorge getroffen.
Wenn wir das sagen, dann ist das keine irreführende Propaganda, wie Sie sagen, sondern simple fiskalische Wahrheit.
Herr Kollege Stoltenberg, Sie wissen doch wie wir ganz genau — die Unterlagen liegen doch in Ihrem Ministerium — , daß die Bundesanstalt für Arbeit Ihnen mitgeteilt hat, daß sie im nächsten Jahre, auch auf Grund des Verschiebebahnhofs, weil Sie Leistungen, die in den Bundeshaushalt gehören, auf kunstvolle Weise bei der Bundesanstalt abladen, 1,5 Milliarden DM Defizit haben wird.
Sie haben heute immerhin eine interessante Feststellung getroffen. Sie haben gesagt: Wenn das passieren sollte, werden wir eben die freiwilligen Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit — in einer Situation, in der wir über 2,2 Millionen Arbeitslose haben — einschränken. Nur frage ich Sie: Was hat das dann eigentlich mit Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit zu tun? Sie lassen die Haushaltspolitiker beraten, Sie lassen den Deutschen Bundestag beraten, Sie lassen Etatansätze beschließen, und anschließend sagen Sie: April, April, ich werde die Leistungen kürzen. — Wir sagen Ihnen: Es fehlen dort 1,5 Milliarden DM. Auch dies, Herr Kollege Stoltenberg, ist keine irreführende Propaganda.
Für weitere erhebliche Risiken im nächsten Jahre haben Sie doch gar keine Vorsorge getroffen. Sie rechnen sich doch erneut reich. Sie haben hier gesagt, wir würden im nächsten Jahre ein Wirtschaftswachstum von 2,5 % real haben.
Ich kann mir das nicht vorstellen. — Im übrigen, Sie haben sich ja vor 12 Monaten schon einmal beträchtlich geirrt: 3 % mehr Wachstum — und 1,8 % waren es am Ende. Wo sollen diese 2,5 % reales Wachstum herkommen? Die Experten, die sich inzwischen geäußert haben, sagen: Wir werden im nächsten Jahre ein beträchtlich geringeres Wirtschaftswachstum haben. — Und dann werden Ihnen bei jedem Prozent Minus beim Wirtschaftswachstum 4 Milliarden DM auf der Einnahmenseite des Bundeshaushalts fehlen.Herr Kollege Stoltenberg, vielleicht klären Sie den Deutschen Bundestag einmal über folgenden Tatbestand auf: Für 1988 haben Sie im Bundeshaushalt Einnahmen in der Größenordnung von 1,8 Milliarden DM aus Privatisierungserlösen eingesetzt. Niemand, aber auch niemand, war bisher in der Lage, zu sagen, wo das Geld herkommen soll, es sei denn, Sie verschöben die Privatisierung von Volkswagen von diesem Jahr — die Einnahmen daraus sind ja für dieses Jahr vorgesehen — auf das nächste Jahr. Dann muß ich mich allerdings fragen: Wie kann eigentlich ein Finanzminister, der Anspruch aus Seriosität erhebt, Erlöse einer Privatisierung gleich zweimal etatisieren? Oder ist das Ihre Art von doppelter Buchführung?
Ergebnis: Der vorliegende Haushaltsentwurf mit einer von Ihnen angegebenen Neuverschuldung von 29,3 Milliarden DM spiegelt die Wirklichkeit der Bundesfinanzen nicht wider. Die Neuverschuldung des Bundes wird 1988 auf mindestens 33 Milliarden DM ansteigen. Das ist gegenüber dem Haushaltssoll des Jahres 1987 ein Anstieg um 10 Milliarden DM oder 50 %.Meine Damen und Herren, auch der mittelfristige Finanzplan bis 1991 war bereits in dem Augenblick überholt, in dem ihn das Kabinett verabschiedet hat. Denn das Kabinett hat gleichzeitig zum Finanzplan folgendes beschlossen: Im Herbst werden die Verteidigungsausgaben überprüft. Dem Verteidigungsminister wird ein Nachschlag in Aussicht gestellt. Im Herbst wird über die deutsche Beteiligung an den europäischen Raumfahrtprogrammen entschieden; da geht es dann um zusätzliche milliardenschwere Haushaltsbelastungen der nächsten Jahre. Auf den Herbst werden die Entscheidungen darüber vertagt, was Kohle, Stahl und Werften in den nächsten Jahren vom Bund zu erwarten haben; die jetzigen Ansätze müssen erhöht werden.Herr Kollege Stoltenberg, hier will ich einen Moment Pause machen
und mich mit Ihnen über eine Bemerkung auseinandersetzen, die Sie hier gemacht haben. Wenn ich es
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Dr. Apelrichtig verstanden habe, haben Sie gesagt — bitte korrigieren Sie mich andernfalls — , das Land Nordrhein-Westfalen wolle seine finanzielle Unterstützung für seine Kohle abbauen; damit würde Nordrhein-Westfalen die Existenzgrundlage des deutschen Kohlebergbaus gefährden. Das haben Sie gesagt.
Da muß ich sagen: Tatsache ist folgendes.
Erstens. Nordrhein-Westfalen hat zu keinem Zeitpunkt erklärt, daß es sich aus seiner Verantwortung für den Bergbau zurückziehen will.
Nordrhein-Westfalen hat in der Vergangenheit alle Vereinbarungen mit dem Bund und der Kohlewirtschaft eingehalten und wird dies auch in Zukunft tun.
Zweitens. Natürlich hat Nordrhein-Westfalen im Zusammenhang mit der Debatte um die Neuordnung des Finanzausgleichs im Bundesrat darauf hingewiesen, daß die Belastung von 1,5 Milliarden DM, die Nordrhein-Westfalen in seinem Haushalt mit auffangen muß, weil wir die Kohle sichern wollen und in Nordrhein-Westfalen damit auch eine nationale Aufgabe wahrzunehmen haben, bei der Neuordnung des Finanzausgleichs berücksichtigt werden müsse. Dazu hat es einen Antrag im Bundesrat gegeben. Es wurde einmütig beschlossen, daß das Land Nordrhein-Westfalen bei seinen Leistungen für die Kohlelasten, insbesondere bei der Kokskohlenhilfe, entlastet werden soll. Das ist der Tatbestand, und der ist Ihnen bekannt. Aber Sie verdrehen die Wahrheit hier in einer unglaublichen Art und Weise.
Meine Damen und Herren, im Herbst wird auch über die Absicherung des Währungsrisikos beim Airbus und über zusätzliche Hilfen für die Landwirtschaft beschlossen werden. Meine Damen und Herren, das ist ein unglaublicher Vorgang.
Hier wird ein Finanzplan beschlossen.
Gleichzeitig werden milliardenschwere zusätzliche Ausgabenbelastungen in Aussicht gestellt. Im übrigen — das sei nur am Rande vermerkt — : Dieser finanzpolitische Verschiebebahnhof, der alles auf den Herbst verschiebt — wir wissen noch gar nicht, welcher Herbst gemeint ist; Jahreszahlen sind ja nicht angegeben —, macht deutlich, Herr Seiters, wie es um die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit dieser Koalition tatsächlich bestellt ist.
Aber auch für weitere Ansprüche an den Bundeshaushalt hat der Bundesfinanzminister in seiner Finanzplanung keine Vorsorge getroffen. Herr Kollege Stoltenberg, Sie wissen doch selbst, daß von der EGweitere Belastungen auf den Bundeshaushalt zukommen. Beim letzten Europagipfel hat die Bundesregierung selbst zusätzliche Zahlungen an die EG in Aussicht gestellt.
Allein der deutsche Anteil an den in Brüssel aufgelaufenen Verpflichtungen beläuft sich auf 16 Milliarden DM — keine Mark dafür im Finanzplan.
Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben in Ihrer Einbringungsrede darauf hingewiesen, daß Sie zusammen mit dem Bundeshaushalt 1988 dreimal 660 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen im Bereich der Städtebauförderung ausgebracht haben. Ich kann das nur begrüßen. Nur, Herr Kollege Stoltenberg: Wo sind denn die 2 Milliarden DM in die mittelfristige Finanzplanung eingesetzt, wenn diese Verpflichtungsermächtigungen benutzt worden sind und wenn die Rechnungen eingehen? Nicht eine müde Mark haben Sie in Ihren Finanzplan von den von Ihnen selbst gewährten Verpflichtungsermächtigungen eingesetzt. Da kann ich nur sagen: Das ist wirklich eine merkwürdige Finanzpolitik. Da wird der Finanzplan zum Lügenbüchlein der Nation.
Der Bundesfinanzminister hat auch über die finanziellen Nöte der Rentenversicherung gesprochen. Er hat darauf hingewiesen, daß wir mehr Geld zur Sicherung der Rentenversicherung brauchen. Das ist richtig. Aber wir alle wissen doch, der Arbeitsminister weiß doch, daß wir mit großer Wahrscheinlichkeit — nach meiner Überzeugung mit Sicherheit — bereits in dieser Legislaturperiode, in der nächsten Phase des Finanzplans, anfangen müssen, Herr Blüm, Mittel für die Rentenversicherung über das im Finanzplan vorgesehene Maß bis in die Größenordnung von 4 Milliarden DM bereitzustellen. Wo sind denn diese Beträge im Finanzplan eingesetzt? Nicht eine müde Mark. Und was heißt das dann für die Rentenversicherung?
Im übrigen, wenn ich dann die Kollegin Süssmuth und den Kollegen Blüm sehe, möchte ich auch daran erinnern, daß ihre Wahlversprechen, Verbesserung und Erhöhung des Kindergeldes, Verbesserung des Erziehungsgeldes, Absicherung des Pflegefalls, nicht mit einer einzigen Mark im Finanzplan des Finanzministers vorgesehen sind. Damit sind diese Wahlversprechen bereits heute als Seifenblasen zerplatzt. Sie, Herr Gattermann, haben ja auch bereits gestern deutlich gemacht, daß es dabei bleiben wird.
Meine Damen und Herren, bei den Steuereinnahmen hat Herr Stoltenberg durchgängig bis 1991 ein reales Wachstum von 2,5 % eingesetzt. Ich will mich jetzt gar nicht darüber unterhalten, wie das Wachstum wirklich sein wird. Ich glaube nicht, daß diese optimale Zahl erreichbar sein wird. Wir stützen uns auf das ab, was Sachverständige errechnet haben. Da hat
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1474 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Dr. Apeldas Münchner Ifo-Institut die mittelfristigen Steuerschätzungen sehr detailliert untersucht. Das Ifo-Institut kommt zum Ergebnis — ich zitiere — : Mittelfristige Steuerschätzung — nur Makulatur. —
Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes ist nach den Feststellungen aus dem Jahre 1968 — die Mifrifi ist ja in der Großen Koalition beschlossen worden — folgendermaßen definiert worden, und diese Definition stammt aus der Feder des damaligen Finanzministers Franz Josef Strauß — ich zitiere — :Die mittelfristige Finanzplanung ist ein in Zahlen gekleidetes Regierungsprogramm, in dem die zeitlichen Prioritäten und die politischen Schwerpunkte nach den Vorstellungen der Regierung sichtbar gemacht werden.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Finanzplan wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Er setzt weder zeitliche Prioritäten noch politische Schwerpunkte. Er sagt nicht die Wahrheit über die tatsächliche Lage der Staatsfinanzen. Er gleicht vielmehr einer Nebelwand auf einem Zahlenfriedhof, auf dem der Finanzminister hilflos umherirrt.
Aber gerade bei der gegenwärtig labilen Konjunktur — der Bundesfinanzminister hat über diese labile Konjunktur, was die internationalen Aspekte anbelangt, Bemerkungen gemacht, denen wir zustimmen können — kommt es doch darauf an, den wirtschaftlichen Entscheidungsträgern eine verläßliche Orientierung zu geben. Stetigkeit und Vorhersehbarkeit der Finanzpolitik sind heute wichtiger denn je. Deswegen fordern wir Sie in allem Ernste auf: Lassen Sie die Bürger und die Wirtschaft nicht weiter über die wahre Lage der Staatsfinanzen im unklaren! Den Kassensturz, den Sie in Ihrer Koalition für 1989 verabredet haben, brauchen wir jetzt, der ist jetzt fällig. Legen Sie endlich die Bücher offen, damit die deutsche Öffentlichkeit erfährt, was in der Finanzpolitik noch möglich ist!
Angesichts dieser Risiken und der Manipulationen hat auch die im Finanzplan für 1990 vorgesehene Neuverschuldung von 30,9 Milliarden DM überhaupt nichts mit der Wahrheit zu tun. Oder wie wollen Sie eigentlich der Öffentlichkeit folgendes erklären: Der Bundesfinanzminister sagt, im Jahr 1988, also im nächsten Jahr, brauche ich 29,3 Milliarden DM neue Schulden, 1990 brauche ich nur 1,6 Milliarden DM mehr — obwohl er ein Steuerpaket von 40 Milliarden DM zu finanzieren haben wird?
— Dann machen wir es doch lieber so, hochverehrter Herr Kollege, daß wir jemanden als Kronzeugen nehmen, der augenscheinlich besser rechnen kann als Sie, nämlich den Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, der gesagt hat: Diese Zahlen haben mit der Realität nichts zu tun. Es wird eine Neuverschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden — ohne Steuerpaket — von 80 bis 85 Milliarden DM im Jahr 1990 geben.
Dann möchte ich von Ihnen gern die Frage beantwortet haben, wie Sie dann noch die Staatsfinanzen in Ordnung halten wollen.
Nun hat Herr Kollege Stoltenberg, wie immer, wenn man nicht mehr weiterweiß — dafür habe ich durchaus Verständnis —,
einen Ausflug in die Vergangenheit gestartet. Da wollen wir dann über die Vergangenheit reden, und zwar über Ihre Vergangenheit. Die Zahlen, die ich vortrage, können Sie gar nicht bestreiten. Der Bundesfinanzminister hat in den Jahren 1983 bis 1986 bereits Kredite von insgesamt 105 Milliarden DM aufgenommen.
Ohne die Bundesbankgewinne, die in diesem Zeitraum fast 50 Milliarden DM ausmachten, hätte seine Neuverschuldung nicht 105, sondern 155 Milliarden DM betragen.
Und nach dem vorliegenden Finanzplan — ich nehme Ihre Zahlen — soll die Neuverschuldung bis 1991 um weitere 140 Milliarden DM steigen.
Dabei haben Sie dann noch einmal fast 30 Milliarden DM Bundesbankgewinne eingestellt.
Das heißt, meine sehr geehrten Damen und Herren, unter der Regierung Kohl entsteht in neun Jahren ein Finanzierungsdefizit aus Neuverschuldung und Bundesbankgewinn von insgesamt 322 Milliarden DM.
Dieses Defizit ist um 59 Milliarden DM höher als das Gesamtdefizit von 13 Jahren sozialliberaler Koalition. Dem ist dann von uns aus nichts mehr hinzuzufügen.
Der Bundesfinanzminister, hochverehrter Herr Uldall, hat am 28. Oktober 1984 wörtlich folgenden Lehrsatz verkündet. Er sagte — Originalton Stoltenberg — : „Von einer wirklichen Konsolidierung kann man erst sprechen, wenn die jährliche Neuverschuldung des Bundes ohne Bundesbankgewinn spürbar unter 20 Milliarden DM liegt."
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1475
Dr. ApelDie Neuverschuldung des Bundes lag während der Amtszeit des Finanzministers Stoltenberg ohne den Bundesbankgewinn bisher niemals unter 35 Milliarden DM, und sie wird in den nächsten Jahren stets über 35 Milliarden DM liegen.
Das heißt: Machen wir etwas, was Sie nicht beanstanden können, messen wir den Bundesfinanzminister mit seinen eigenen Maßstäben, dann hat in seiner Amtszeit zu keinem Zeitpunkt Konsolidierung stattgefunden, und sie wird in der Zukunft auch nicht stattfinden.
Aber das Dramatische ist ja etwas ganz anderes und Zusätzliches.
Mit ihrer verfehlten Finanzpolitik treibt die Bundesregierung ja auch Länder und Gemeinden in die Verschuldung. Noch vor einem Jahr, meine Damen und Herren von der Koalition — noch vor einem Jahr! —, haben Sie in Ihrem Finanzplan folgendes ausgesagt: 1990 wird die Neuverschuldung von Ländern und Gemeinden zusammen 3,5 Milliarden DM sein. Ein Jahr später sagen Sie — und dies sind geschönte Zahlen — : Nein, die Neuverschuldung von Ländern und Gemeinden wird nicht mehr 3,5 Milliarden DM, sondern 33,6 Milliarden DM betragen.
Das ist das Zehnfache. Und da sagt der Kollege Stoltenberg, er sehe überhaupt keine Probleme bei den Ländern, er sehe überhaupt keine Probleme bei den Gemeinden.Meine Damen und Herren, das Gesamtdefizit von Bund, Ländern und Gemeinden sollte nach der bisherigen Finanzplanung — das ist die Finanzplanung von vor zwölf Monaten — 1990 bei 24,5 Milliarden DM liegen. Nach Ihren neuesten Zahlen wird sie bei 64,5 Milliarden DM liegen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß Ministerpräsident Späth mit 80 bis 85 Milliarden DM rechnet. Wenn wir nur Ihre Zahlen nehmen, ist das innerhalb eines Jahres ein Anstieg der Nettokreditaufnahme für 1990 für Bund, Länder und Gemeinden um 150 %.
Noch eine letzte Zahl. 1990 wird die Staatsverschuldung — Bund, Länder und Gemeinden — nach Ihren Zahlen auf 1 Billion DM steigen.
Das ist gegenüber 1982 eine Zunahme um 400 Milliarden DM oder 65 %.Dieser sprunghafte Anstieg der Staatsverschuldung bringt — wir haben das ja heute erlebt — den Bundesfinanzminister nun in erhebliche Begründungszwänge.
— Wir kommen darauf zurück, Herr Kollege Uldall. — Vor einem Jahr noch hatte der Bundesfinanzminister in Düsseldorf bei der evangelischen Akademie einen Grundsatzvortrag über Nettokreditaufnahme gehalten.
— O ja, den zitiere ich sehr gerne.
Ich bin gerade dabei. Herr Kollege Stoltenberg hat vor einem Jahr folgendes ausgeführt — ich zitiere ihn mit großem Vergnügen — :
Unter sozialethischen Gesichtspunkten war diese Politik— er meint die Nettokreditaufnahme der sozialliberalen Koalition —unverantwortlich geworden.
— Klatschen Sie doch nicht zu früh! — Er fährt dann fort:Sie diente zu einer immer stärkeren Vorbelastung der Zukunft der Generation unserer Kinder,
der empfindlichen Einschränkung ihrer Lebens- und Gestaltungsmöglichkeit.
— Auch richtig.Sie war so eine schwere Verletzung der sittlichen Grundlagen des Generationenvertrages.Beifall! Beifall! — Aber, meine Damen und Herren, wie sieht es denn heute — zwölf Monate später — aus? Jetzt müssen Sie wesentlich höhere Finanzierungsdefizite rechtfertigen.
Sind Ihre Finanzierungsdefizite dann ebenfalls eine schwerwiegende sittliche Verletzung des Generationenvertrages?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, danke schön.
Gilt das für die ganze Redezeit? — Ja.
Meine Damen und Herren, wir kennen doch das Spiel, das Sie hier spielen.
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1476 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Dr. ApelSie wechseln Ihre finanzpolitischen Grundsätze wie andere Leute ihre Kleider. Das ist doch die Wahrheit.
Heute heißt es dann:
Rote Schulden, schlechte Schulden; schwarze Schulden, gute Schulden.
Im übrigen, Herr Kollege Mischnick, wenn ich einen Satz hinzufügen darf: Die Blau-Gelben sind immer dabei.
Ich bin jedoch dafür, daß wir uns an die Tatsachen halten. Als Sozialdemokrat sage ich — vielleicht spreche ich auch für einige Sozialliberale mit: Wir haben in der Zeit der sozial-liberalen Koalition zwei schwere weltwirtschaftliche Rezessionsphasen,
ausgelöst durch zwei Ölpreisexplosionen, durch eine aktive Wirtschafts- und Finanzpolitik wesentlich besser überstanden als die meisten unserer Nachbarn.
Wenn Sie, Herr Kollege Stoltenberg eine aktive Wirtschafts- und Finanzpolitik führen würden, dann würden wir über Ihre Riesendefizite auch ganz anders reden können.
Aber das ist ja eben nicht der Fall.
Ich möchte daran erinnern, was tatsächlich geschehen ist. Die FDP war, wie gesagt, dabei und hat all dem zugestimmt, auch Sie im übrigen sehr häufig im Deutschen Bundestag.
Wir haben mit den von uns aufgenommenen Krediten Zukunftsinvestitionen finanziert. — Herr Kollege Mischnick, diese Zukunftsinvestitionen, die wir damals gemacht haben, haben doch — das werden Sie nicht bestreiten — unsere Umwelt sauberer gemacht. Um auf die kommenden Generationen einzugehen: Sie haben die Lebensbedingungen der kommenden Generationen verbessert.
Wenn Sie darüber lachen, dann will ich Ihnen ein ganz konkretes Beispiel geben — dann werden wir doch einmal sehen, ob Sie weiter lachen — : Wir haben im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms 1977 bis 1981 über 1 000 Gewässerschutzprojekte entlang des Rheins und des Bodensees mit einem Gesamtvolumen von 4 Milliarden DM durchgeführt. Das hatnicht nur Dauerarbeitsplätze geschaffen, es hat auch dazu geführt, daß Millionen von Menschen, die in dieser Region wohnen, auf Dauer Nutzen haben, weil ihr Grundwasser wesentlich und zentral auf Dauer verbessert wurde.
Wir haben in unserer Zeit die Stadtkerne saniert, wir haben die Dörfer erneuert. Wir haben viele alte Baudenkmäler vor dem Verfall bewahrt.
Wir haben die Infrastruktur für die Bürger und für die Wirtschaft modernisiert. Wir haben den öffentlichen Nahverkehr ausgebaut. Ich sage Ihnen: Ich bin stolz darauf, daß wir das damals gemacht haben.
Wir brauchen auch heute mehr öffentliche Investitionen, vor allem im Umweltschutz. Unser Programm „Arbeit und Umwelt" soll sie möglich machen, soll sie finanzieren, ohne die Schuldenlast der öffentlichen Haushalte zu erhöhen, 400 000 zusätzliche Dauerarbeitsplätze. Das können Sie dann mit flapsigen Bemerkungen abtun, Herr Kollege Stoltenberg. Lieber wäre mir, Sie würden mit der Sozialdemokratie in einen Wettbewerb um mehr öffentliche Investitionen eintreten, als sich mit solchen Bemerkungen aus der Affäre zu ziehen.
Meine Damen und Herren, vor einem Jahr, am 5. Juni 1986, hat der Finanzminister erklärt — ich zitiere — , „daß staatliche Kreditaufnahme dann begründet sein kann, wenn sie der Finanzierung öffentlicher Investitionen dient". Also, dem haben wir nichts hinzuzufügen, dem stimmen wir zu. Nur: Ihre Verschuldung erklärt sich eben nicht daraus, daß Sie die öffentlichen Investitionen erhöhen. Im Gegenteil: Die öffentlichen Investitionen wurden nach der Wende immer mehr vernachlässigt. Die Steuer- und Finanzpolitik der Bundesregierung wird auch in den nächsten Jahren zu einem weiteren Verfall der öffentlichen Investitionen führen. Allein beim Bund wird der Anteil der öffentlichen Investitionen an den Ausgaben auf neue Rekordtiefen fallen.Und bei den Gemeinden? Bei den Gemeinden sind die Bauinvestitionen inzwischen wieder auf das Niveau der 60er Jahre zurückgefallen. Ein Rückfall auf das Niveau der 50er Jahre steht bevor. Obwohl wir dieses verzeichnen, tritt der Bundesfinanzminister heute morgen vor das Parlament und berühmt sich der Tatsache, daß er den Gemeinden künftig für den kommunalen Straßenbau und den öffentlichen Personennahverkehr weitere 1,3 Milliarden DM kürzen will. Wahrlich kein Beitrag im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit.
Ihre Defizite, Herr Kollege Stoltenberg, sind nicht die Konsequenz vermehrter öffentlicher Investitionen; Ihre Defizite sind die Konsequenz anhaltender Massenarbeitslosigkeit, die Sie tatenlos hinnehmen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1477
Dr. ApelIhre Defizite sind die Konsequenz einer haltlosen Explosion der Steuersubventionen und auch der Subventionen.Aber vor allem ist es Ihre ungerechte Steuerpolitik, Ihr steuerpolitischer Größenwahn, der Bund, Länder und Gemeinden immer tiefer in die Verschuldung treibt, Ihr völlig überzogenes Steuerpaket 1990, das Sie doch nicht solide finanziert haben. Sie haben heute dazu kein Wort gesagt, wie es denn gehen soll. Das ist doch die Ursache dafür, daß Sie in Schwierigkeiten kommen.
Nun möchte ich erneut den Finanzminister zitieren, damit Sie alle merken, wie schnell er seine Grundsätze wechselt. Vor zwei Jahren hat er erklärt — wörtliches Zitat — : „Steuersenkungen auf Kredit passen nicht in ein Konzept, das sich an den Kriterien Kontinuität, Konsistenz und Glaubwürdigkeit der Wirtschaftspolitik orientiert."
Heute sagen Sie, eine Erhöhung der Neuverschuldung sei vertretbar, wenn sie zur Finanzierung von Steuersenkungen diene.Ich überlasse es Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Koalition, diese permanenten Widersprüche Ihres Finanzministers aufzuklären. Oder machen Sie etwa Politik nach dem Prinzip: „Was schert mich mein Geschwätz von gestern! "?
Aber kommen wir doch einmal zu dieser Steuerpolitik. Wem nutzt denn eigentlich die Steuerpolitik dieser Bundesregierung?
Da reden wir über Zahlen. Sie können nicht bestreiten, daß die große Masse der Arbeitnehmer vom Einkommenszuwachs der letzten vier Jahre 62 % Abzüge in Form von Steuern und Abgaben hatte. Unternehmern und Kapitalbesitzern wurden aber nur 8 % abgezogen.
Da sagen wir ganz kühl: Dieses ist ein verteilungspolitischer Skandal!
Trotz der beiden Steuersenkungen 1986 und 1988 — Herr Kollege Stoltenberg, das sind die Zahlen aus Ihrem Ministerium — steigt die Lohnsteuerbelastung der Arbeitnehmer in den nächsten Jahren noch weiter an. Die Lohnsteuerbelastung eines Durchschnittsverdieners betrug 1982 16,2 %; 1989 wird sie bei 18,5 % liegen. Das ist der Marsch in den Lohnsteuerstaat, und Sie haben ihn zu verantworten!
Aber reden wir über Zahlen! Sie können die Zahlen nachprüfen und gegebenenfalls ans Rednerpult treten und sagen: Die Zahlen stimmen nicht. Die Zahlen stammen im übrigen aus Ihren Vorlagen und aus Ihren Tabellen.
Am 1. Januar des nächsten Jahres erhält ein verheirateter Durchschnittsverdiener mit einem ja durchaus ansehnlichen Gehalt von 3 300 DM im Monat eine monatliche Steuerentlastung von 8 DM. Das wird die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge bei weitem auffressen.Ein Spitzenverdiener mit 25 000 DM Monatseinkommen bekommt dagegen 519 DM Steuerentlastung pro Monat. Das heißt, der Spitzenverdiener bekommt bei einem achtmal so hohen Einkommen eine 65mal so hohe Steuerentlastung.
Diese einseitige und ungerechte Steuerpolitik soll mit dem Steuerpaket 1990 fortgesetzt werden. Für den Normalverdiener wird die Steuer um 68 DM gesenkt, für den von mir zitierten Spitzenverdiener noch einmal um weitere 1 280 DM im Monat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, da hat es doch auch gar keinen Zweck, daß der Bundesminister der Finanzen hier in dubiose Prozentrechnungen ausweicht. Er soll sagen, ob diese Zahlen stimmen, und er soll sagen, ob diese Zahlen aus seiner Sicht steuerpolitisch gerecht sind oder nicht.
Dabei haben wir die Konsequenzen der von Ihnen geplanten Steuererhöhungen zur Finanzierung Ihres Steuerpakets noch nicht einmal berücksichtigt; denn Sie planen die Beschneidung des Arbeitnehmerfreibetrages, die Abschaffung des Weihnachtsfreibetrages, die volle Besteuerung der Zuschläge für Sonn- und Feiertags- und Nachtarbeit, die Besteuerung der Personalrabatte.Eines ist im übrigen hochinteressant — hier wird der Bundesminister der Finanzen seiner Führungsfunktion überhaupt nicht gerecht — : In der Steuerpolitik der Koalition herrscht tatsächlich Chaos. Alle reden, alle reden, was sie wollen, alle um den heißen Brei herum. Dabei steht schon längst fest: Natürlich wird die Mehrwertsteuer erhöht. Zitieren wir Herrn Strauß: Mehrwertsteuererhöhung für die EG. Herr Blüm: Mehrwertsteuererhöhung für den Sozialhaushalt. FDP: Mehrwertsteuererhöhung für die Abschaffung der Gewerbesteuer. Gestern hat der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Bauernverbandes, unser CDU-Kollege Herr Eigen, ein weiteres Eigentor geschossen. Er hat nämlich gesagt, er fordere als Präsident des Bauernverbandes in Schleswig-Holstein die Anhebung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel um 2 Prozentpunkte, damit dieses Geld den Bauern gegeben werden kann.
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1478 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Dr. ApelHerr Bangemann hat im übrigen eine neue Katze aus dem Sack gelassen: Er will die Mineralölsteuer kräftig erhöhen.Und was macht der Finanzminister? Er läßt dementieren, läßt sich alle Hintertüren offen, versucht, die Wahrheit zu verschleiern, und will sich bis zum Wahltag über die Runden retten. Herr Kollege Stoltenberg, wenn Sie dazu lachen, wenn Sie diese Bewertung von mir als ungerecht bezeichnen, dann kommen Sie heute, spätestens am Freitag hier in den Deutschen Bundestag und sagen: Ich verbinde mit meiner politischen Existenz, daß das, das und das nicht stattfinden wird. Dann sind Sie ein Kerl.
Noch am 28. Februar 1987 hat der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Dr. Dregger,
im Westdeutschen Rundfunk gesagt — ich zitiere ihn wörtlich — :Der Entlastungstarif 1990 entlastet alle Steuerzahler mindestens um 1 000 DM, also die breiten Schichten unseres Volkes.
So gehen Sie mit der Wahrheit um!
Dieses Steuerpaket wird für Millionen Bürger ein Verlustgeschäft werden. Sie werden künftig mehr Steuern zahlen als vorher. Rentner, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Schüler und Studenten müssen für Ihre Steuersenkungen mit höheren Verbrauchsteuern bezahlen.
— Hochverehrte Frau Roitzsch, auch die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen erleben doch eins: Das, was Sie ihnen in die eine Tasche hineinstecken, werden Sie ihnen aus der anderen Tasche wieder herausziehen.
Die Bürger unseres Landes haben das selbst erkannt: 9 % der Bürger erwarten nach allen vorliegenden Meinungsumfragen — auch denen, die Herr Stoltenberg hat — von Ihren Steuerplänen für sich steuerliche Erleichterungen, 78 % sind gegen eine Erhöhung der Mineralölsteuer, 87 % lehnen eine Mehrwertsteuererhöhung ab und 67 % sind gegen eine höhere Staatsverschuldung.Meine Damen und Herren, obwohl Sie die Steuern kräftig anheben werden, steuern Sie unser Gemeinwesen in eine Finanzkrise.Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben auf die USA hingewiesen. Und da sage ich Ihnen: Wer da sagt — und bei Ihnen klingt es ein bißchen durch, indem Sie sagen, die erhöhte Nettokreditaufnahme werden wir sehr schnell wieder loswerden — , diese Steuersenkungen führten zu mehr Wachstum und höherenSteuereinnahmen und finanzierten sich damit selbst, dem rate ich, einen Blick nach Amerika zu werfen. Dort wurde dieses Experiment durchgeführt. Es ist auf der ganzen Linie gescheitert. Eingetreten ist statt dessen eine Explosion der Staatsverschuldung auf astronomische Höhen mit verheerenden Folgen für die USA und die gesamte Weltwirtschaft.
Aber unabhängig davon: Die Steuer- und Finanzpolitik dieser Koalition war bereits in den letzten Jahren beschäftigungspolitisch verfehlt. Was war denn Ihr Konzept? Ihr Konzept war: Wir müssen die Unternehmensgewinne stärken, auch über Steuerpolitik. Das ist Ihnen gelungen. Die Nettoeinkommen der Unternehmen sind von 1982 bis 1986 real um 60 % gestiegen. Und dann, so Ihre Annahme, werden die Unternehmen massiv investieren, und die Massenarbeitslosigkeit wird verschwinden. Was ist tatsächlich eingetreten? 60 % Zuwachs bei den Nettoeinkommen der Unternehmen, die Zunahme der Bruttoanlageinvestitionen nahm real nur 7 % zu.
Statt des von Ihnen versprochenen Abbaus der Massenarbeitslosigkeit auf 1 Million — das war ja wohl Ihr Versprechen — steigt die Arbeitslosigkeit auf weit über 2 Millionen — mit steigender Tendenz.Meine Damen und Herren, trotz eines dollarkursbedingten Exportbooms und trotz eines massiven Rückgangs der Rohstoffpreise, vor allem der Ölpreise, lagen die Wachstumsraten in der Bundesrepublik seit der Wende Jahr für Jahr unter dem Durchschnitt der westlichen Industrieländer. Ihre wirtschaftspolitische Angebotsphilosophie hat trotz einer ausgeprägten Schönwetterperiode versagt.Jetzt versuchen Sie — auch der Finanzminister — , Ihrer Finanz- und Steuerpolitik den Mantel der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik umzuhängen. Sie sagen — auch heute wieder — , durch die angekündigten Steuersenkungen werde die Binnennachfrage gestärkt. Sicherlich, das wäre gut, das wäre wirtschaftspolitisch vernünftig. Aber so, wie Sie Ihre Steuersenkungen angelegt haben, im wesentlichen für die Begüterten, für die sehr gut Verdienenden, wird dieser Effekt doch kaum eintreten.
Die Bundesbank hat vor einigen Tagen darauf hingewiesen, daß dann ein ganz hoher Prozentsatz auf die Sparkonten, insbesondere ins Ausland geht,
auch zur Finanzierung des amerikanischen Haushaltsdefizits.
Nur, wir haben davon in der Binnenkonjunktur wenig, zu wenig.
Und mit Ihrer massiven Erhöhung der Verbrauchsteuern, der Streichung der Steuererleichterungen für die Normalverdiener, für die Arbeitnehmer treffen Sie
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1479
Dr. Apeldoch genau die Bevölkerungsgruppen, die dann, wenn wir ihnen ihr Einkommen einschränken, sofort nur weniger ausgeben können. Mit anderen Worten: Das, was Sie steuerpolitisch vorhaben, wird für die Binnennachfrage nicht so positiv sein, wie wir uns das alle wünschen. Im Gegenteil: Es kann auch — ich bin hier bewußt vorsichtig — mit einem Rückgang der Binnennachfrage dann gerechnet werden, wenn die große Mehrheit unseres Volkes dafür bluten muß, daß Sie den Spitzensteuersatz und die Steuerbelastung für die sehr gut Verdienenden senken.
Meine Damen und Herren, auch die kleinen Unternehmen, das Handwerk und der Einzelhandel haben von Ihrer Steuerpolitik doch sehr wenig.
Herr Kollege Stoltenberg, die werden die Senkung des Spitzensteuersatzes, der ja immerhin mehr als 1 Milliarde DM kostet, mitfinanzieren. Aber wenn es dann um die Erhöhung der Verbrauchsteuern und der Mehrwertsteuer geht, dann werden sie dies in ihren Preisen nicht weitergeben können. Das geht dann voll zu Lasten ihrer Gewinnspanne. Ich bitte Sie sehr herzlich darum, einmal die Stellungnahme des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks zu diesem Thema zu lesen.
Die sagen Veto zur Erhöhung der Verbrauchsteuern, nur, Sie werden es am Ende tun. Und damit treffen Sie diesen Bereich, diesen wichtigen Bereich unserer Wirtschaft.
Lassen Sie uns über die Gemeindefinanzen reden: Bereits in den vergangenen Jahren haben unsere Gemeinden immer stärker die Kosten der Massenarbeitslosigkeit tragen müssen. Seit der Wende sind die Ausgaben für die Sozialhilfe um 50 % auf 24 Milliarden DM im Jahr 1986 explodiert.
Mit anderen Worten: Für das Versagen der Bundesregierung bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit müssen Städte und Gemeinden zahlen.
Nun kommt Ihr Steuerpaket 1990. Damit treffen Sie allerdings viele Länder und Gemeinden ins Mark. Sie haben davon gesprochen, daß es wohl schwarzer Humor sei, wenn wir in Schleswig-Holstein über die schlechte Lage der Gemeindefinanzen sprechen. Ich habe bei den CDU-Kämmerern in Schleswig-Holstein keinen schwarzen Humor gefunden, sondern nur tiefe Verzweiflung darüber, wie Ihr Landesvorsitzender mit ihren Gemeindefinanzen und damit mit ihrer kommunalpolitischen Zukunft umgeht.
Sie können doch nicht bestreiten, daß in SchleswigHolstein den Städten und Gemeinden in den nächsten drei Jahren mindestens eine Milliarde DM fehlen wird.Wir fragen Sie: Wie sollen eigentlich Länder wie Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen, Nordrhein-Westfalen und das Saarland den Strukturwandel bewältigen?
Wie sollen sie ihre Wirtschaft modernisieren und die erforderlichen Anpassungsprozesse sozial flankieren, wenn Sie den Ländern jeden finanziellen Handlungsspielraum nehmen?
Herr Kollege Stoltenberg, da versuchen Sie auch noch, in den nächsten vier Jahren die Bundesergänzungszuweisungen für die finanzschwachen Länder um 800 Millionen DM zu kürzen. Der massive Widerstand im Bundesrat zeigt: Sie, der Finanzminister, haben nicht einmal den Versuch unternommen, bei der Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs einen tragfähigen Kompromiß zu suchen. Auf diese Weise mißachten Sie die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.In allem Ernst: Ihre Parteikollegin Frau Breuel, die Finanzministerin des Landes Niedersachsen, hat doch recht, daß Sie mit Ihrer Finanzpolitik in der Bundesrepublik Deutschland eine Zweiklassengesellschaft herstellen:
die Länder mit den Strukturproblemen, CDU- und SPD-regiert, die nicht ertragen können, was Sie ihnen zumuten, und diejenigen, die große Schwierigkeiten haben werden, aber vielleicht gerade eben noch über die Runde kommen. So können Sie doch nicht das Verfassungsgebot der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland mißachten!
Da Sie in Ihrer Einführungsrede das Land Nordrhein-Westfalen wegen seiner Kürzungen der Zuweisungen an die Gemeinden kritisieren, will ich Sie erstens darauf aufmerksam machen, daß das Land Nordrhein-Westfalen bei seinen Zuweisungen unter den Bundesländern immer noch eine sehr gute Position einnimmt. Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, daß die Länder doch angesichts Ihrer Politik gar nicht darum herumkommen, ihre Zuweisungen an die Gemeinden drastisch zu kürzen. Zusammen mit den unmittelbaren Steuerausfällen führt doch Ihr Steuerpaket 1990 bei den Gemeinden zu Steuerausfällen von 10 Milliarden DM pro Jahr. Sie haben während der Sommerpause auf entsprechende Bemerkungen von Herrn Bernrath diese Zahlen kritisiert und für unrichtig befunden.
— So ist es, haben Sie gesagt.
Daraufhin hat der Deutsche Städtetag — und der Deutsche Städtetag ist eine Organisation, in der CDU- und SPD-Bürgermeister und -Oberbürgermeister einvernehmlich zusammenarbeiten — dem Bundesfinanzminister am 14. August in einer öffentlichen Stel-
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1480 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Dr. Apellungnahme etwas gesagt, was nach meiner Überzeugung in der Finanzgeschichte der Bundesrepublik Deutschland einmalig ist. Er hat nämlich gesagt und ihm vorgerechnet, daß der Finanzminister über die finanzielle Lage unserer Gemeinden in mehrfacher Hinsicht unzutreffend informiert, falsch argumentiert. Mit anderen Worten, diese Herren — die ja vornehme Herren sind — haben Ihnen gesagt: Sie sagen über die Konsequenzen Ihrer Steuerpläne für die Gemeinden bewußt die Unwahrheit.
Nicht nur der Deutsche Städtetag, auch CDU-Kommunalpolitiker wie der Oberbürgermeister Rommel aus Stuttgart haben Sie doch auf die Folgen Ihrer Politik für die Gemeinden hingewiesen. Was werden denn die Folgen sein? Die Städte und Gemeinden müssen ihre Sozialleistungen kürzen. Damit werden die Ärmsten der Armen zur Finanzierung der Senkung des Spitzensteuersatzes herangezogen.
Die Kommunen werden — das ist unbestritten, und das lesen Sie ja auch in den Berichten — bei den Investitionen kürzen müssen. Damit fehlen der örtlichen Wirtschaft, insbesondere den vielen kleinen Handwerksunternehmen, notwendige Aufträge. Insolvenzen und Entlassungen werden die Folge sein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lammert?
Nein.Meine Damen und Herren, wir haben heute morgen im „Handelsblatt" etwas lesen können, was Sie eigentlich genauso beunruhigen muß wie uns: Vielen Städten und Gemeinden bleibt doch gar nichts anderes übrig, als angesichts dieser Situation die Gebühren und die Beiträge für ihre Bürger und die Gewerbesteuerbelastung ihrer Wirtschaft anzuheben.
So kommt dann Ihre Steuerpolitik vor Ort bei Bürgern und Betrieben in Form von höheren Beiträgen, Steuern und Gebühren an.Wir sehen es doch bereits nicht nur im Ruhrgebiet, sondern auch in Niedersachsen, auch in SchleswigHolstein: Die Gemeinden werden viele freiwillige Leistungen für die Bürger nicht mehr finanzieren können. Da werden dann Bibliotheken und Schwimmbäder geschlossen. Da wird das kulturelle Angebot eingeschränkt. Die Lebensqualität für die Bürger wird spürbar sinken.Meine Damen und Herren von der Koalition, hinter dieser Finanzpolitik steht Methode. Sie wollen denarmen Staat. Aber wir Sozialdemokraten wissen: Den armen Staat können sich nur die Reichen leisten.
Die große Mehrheit unserer Bürger ist auf ein funktionsfähiges Gemeinwesen angewiesen.Sie wissen es doch genauso wie wir: Unser Gemeinwesen steht vor großen Herausforderungen:
Der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit muß endlich energisch angegangen werden.
Die Umwelt muß verbessert und geschützt werden. Der Strukturwandel unserer Wirtschaft muß bewältigt werden.
— Hochverehrter Herr Kollege Dregger, ich begrüße Sie. Sie sind etwas verspätet gekommen.
Das ist aber nicht zu bedauern.
Die Alterssicherung steht auf Grund der Bevölkerungsentwicklung vor einer Zerreißprobe. Sie muß langfristig konsolidiert werden. Das geht doch nicht ohne einen höheren Bundeszuschuß zur Rentenversicherung.Diesen Aufgaben müssen wir uns stellen. Wir brauchen eine solide finanzierte Steuerpolitik mit Augenmaß. Wir müssen für mehr Steuergerechtigkeit durch Steuererleichterungen für kleine und mittlere Einkommen sorgen. Eine Politik für mehr Steuergerechtigkeit ist möglich, ohne daß die Handlungsfähigkeit von Bund, Ländern und Gemeinden zerstört wird.
Wir brauchen mehr öffentliche und private Investitionen zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, ohne daß die öffentlichen Haushalte dadurch in unlösbare Finanzierungsschwierigkeiten geraten.
— Nein, Sie müßten einmal zuhören, und Sie müßten sich einmal ernsthaft mit unserem Programm „Arbeit und Umwelt" auseinandersetzen. Dann könnten Sie sehen, wie so etwas geht.
Aber wenn Sie, hochverehrte Kollegin, schon fragen, wie denn, dann sagen wir Ihnen: Wir Sozialdemokraten fordern — das abzulehnen werden Sie weiterhin Begründungsschwierigkeiten haben — die Einführung einer steuerstundenden Investitionsrücklage, die vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen das Investieren erleichtert und ihnen Möglichkeiten gibt, neue Arbeitsplätze zu schaffen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1481
Dr. ApelWir brauchen eine faire Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs, die die Finanzlage der finanzschwächeren Länder konsolidiert. Wir brauchen eine Gemeindefinanzreform, die allen Städten und Gemeinden eine ihren investiven und sozialen Ausgaben entsprechende Finanzausstattung gewährt und ihre Finanzautonomie sichert.Meine Damen und Herren, die von Herrn Stoltenberg zu verantwortende Finanzpolitik leistet keinen Beitrag zur Lösung der drängenden Probleme unseres Landes,
im Gegenteil, ihr fehlen Solidität und Glaubwürdigkeit, und der Haushalt '88 und der vorliegende Finanzplan verstoßen gegen die Grundsätze von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Die Staatsverschuldung steigt sprunghaft an. Der finanzielle Handlungsspielraum von Bund, Ländern und Gemeinden wird bedrohlich eingeengt, und — wir haben das heute wieder festgestellt — aus parteitaktischen Gründen werden die Einzelheiten der geplanten Steuererhöhungen erst nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Bremen der Öffentlichkeit bekanntgegeben.
Damit soll die volle Wahrheit über das ungerechte Steuerpaket verschleiert werden.
Dieser unseriösen und unsoliden Politik muß Einhalt geboten werden. Da sind wir uns mit einer ganzen Reihe von CDU-Politikern in Ländern und Gemeinden einig. Wir brauchen einen Neuanfang, eine Finanzpolitik für gerechte Steuern und solide Finanzen. Wir Sozialdemokraten sind bereit, dazu unseren Beitrag zu leisten.Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Carstens .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sofern Ihre Rede, die Sie soeben gehalten haben, Herr Kollege Apel, der groß angekündigte Generalangriff der SPD gewesen sein soll, sollten Sie uns das noch wissen lassen. Ich bin der Meinung, daß es geradezu eine Zumutung ist, von Ihnen auf Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit angesprochen zu werden.
Meine Damen und Herren, wir alle wissen doch aus den 70er Jahren, daß diese Worte zu Apels Zeiten geradezu Fremdworte in der deutschen Finanzpolitik gewesen sind.
Eine noch größere Zumutung ist es, vom Kollegen Apel in Sachen Kredite und Schulden angesprochen zu werden. Herr Kollege Apel, wenn Sie diese Themen aufgreifen, sollten Sie nicht vergessen — und ich bitte Sie, das in Zukunft bei Ihren Äußerungen zu bedenken — , daß wir keine oder kaum Kredite aufnehmen müßten, wenn wir heute nicht die Zinsen für Ihre Schulden zu zahlen hätten.
Sie haben damals — wie Sie glaubten, zur Bewältigung von Strukturproblemen — ein Ausgabenprogramm auf das andere geschichtet.
Sie haben Milliarden über Milliarden Schulden gemacht. Die Zinslast stieg an und leider mit jedem Ausgabenprogramm auch die Arbeitslosigkeit. Wir hatten danach beides zu bewältigen, die hohe Schuldenlast und die Arbeitslosigkeit, und wir sind auf dem besten Weg, diese beiden Probleme in den Griff zu bekommen.
Meine Damen und Herren, wir debattieren hier heute und in den nächsten Tagen im Deutschen Bundestag den Bundeshaushalt 1988 und die mittelfristige Finanzplanung bis 1991. Eines ist aber jetzt schon klar: Diese Bundesregierung bleibt auch im sechsten Jahr auf Kurs,
und das ist ganz wichtig. Eine solide Haushalts- und Finanzpolitik wird auch in den nächsten Jahren zentrale Bedeutung innerhalb der Regierungspolitik haben, und das heißt für uns: Fortsetzung der erfolgreichen Politik.Wir schaffen finanzielle Handlungsspielräume über zurückhaltende Ausgabenzuwächse bei den öffentlichen Haushalten, ohne die Aufgaben der öffentlichen Hand zu vernachlässigen. Wir nutzen diese erarbeiteten Finanzspielräume zur Stärkung des privaten Sektors durch Begrenzung der Nettoneuverschuldung und durch das Senken von Steuern. Wir setzen mit dieser Politik auf den Fleiß und auf das Können unserer Bürger, nicht auf staatliche Gängelung. Diese Politik war in den letzten Jahren erfolgreich und wird auch in den nächsten Jahren erfolgreich sein.
Herr Kollege Apel meinte eben — ich hatte es angedeutet — , von Haushaltswahrheit und -klarheit reden zu sollen. Ich kann mich nur an wenige Jahre erinnern, in denen wir zu seiner Zeit, zur Zeit der SPD, nicht Nachtragshaushalte benötigten oder in denen gar während der Beratungsverfahren nicht noch Ergänzungshaushalte dazwischengeschoben wurden.
Ich darf Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen, sagen, daß dies nun zwischenzeitlich der sechste Haushalt von Gerhard Stoltenberg in Folge ist, der erstens rechtzeitig vorgelegt wurde und zweitens rechtzeitig zum neuen Jahr abgeschlossen sein wird.
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1482 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Carstens
Meine Damen und Herren, das ist der sechste Haushalt in Folge, der mit einer Ausgabensteigerung um 2 % operiert.
In den letzten fünf Jahren haben wir im Durchschnitt nur 1,7 % jährlich zusätzlich ausgegeben. Aber auch dieser Haushalt geht von einer Steigerungsrate um 2 % — im Entwurf noch von 2,4 % — aus. Wir konnten seit Jahren ohne Nachtragshaushalt auskommen,
und dieser Haushalt hat gute Chancen, diesem Beispiel zu folgen.
Meine Damen und Herren, wir haben uns vorgenommen, den Haushalt, den der Bundesfinanzminister vorgelegt hat, noch ein wenig zu verbessern. Wir werden in den nächsten Monaten jeden Einzelplan genauestens unter die Lupe nehmen. Das heißt natürlich, daß wir zwar hier und dort noch Geld in den Ministerien ausfindig machen wollen, daß aber die einzelnen Ministerien auch das nötige Geld behalten werden, um ihre Aufgaben gut erfüllen zu können. Die vom Finanzminister ausgewiesene Gesamtausgabensteigerung gegenüber dem Vorjahr von 2,4 % gilt allerdings nicht nur als absolute Obergrenze, sondern soll noch ein Stück weit reduziert werden. Nach unserer Meinung sollte es möglich sein, die Neuverschuldung auf unter 29 Milliarden DM zu begrenzen.
Wir werden bemüht sein, die Beratungen so abzuschließen, daß wir auch für das nächste Jahr keinen Nachtragshaushalt nötig haben, und sämtliche neuen Vorhaben müssen im Rahmen der vorgesehenen Ausgabensteigerung um 2,4 % finanziert werden. Wenn bei neuen Vorhaben nicht glaubhaft nachgewiesen werden kann, daß die Gesamtfinanzierung langfristig gesichert ist, braucht man nicht mit einer Genehmigung dieser neuen Vorhaben zu rechnen.
Wir werden Haushaltsumschichtungen ermöglichen, am liebsten in Richtung der investiven Anteile, aber nur gegen Beibringung entsprechender Deckung.Eines ist aber auch klar: Gesetzliche Leistungen sowie rechtliche und internationale Verpflichtungen werden für Einsparungen nicht herangezogen. Darauf kann sich jeder Bürger in unserem Lande verlassen.Wir werden uns am kommenden Montag mit den Haushaltspolitikern der FDP in einer Klausurtagung treffen, um weitere Einzelheiten festzulegen. Aber eines lassen Sie mich hierzu schon feststellen: Die SPD hat ihrerseits in der Sommerpause bekundet, daß sie davon ausgeht, daß wir in den Jahren 1988 bis 1990 in jedem Jahr eine Nettoneuverschuldung von über 30 Milliarden DM werden in Kauf nehmen müssen. Sie hat sogar davon gesprochen, daß es bis auf 45 Milliarden DM würde klettern können.Meine Damen und Herren, es ist unser Ziel — und ich bin sicher, daß wir uns innerhalb der CDU/CSU-Fraktion alle einig sind — , alles dafür zu tun, daß wirtrotz der gewaltigen Steuersenkungen in den Jahren 1988, 1989 und 1990 möglichst in keinem Jahr die Neuverschuldung von 30 Milliarden DM überschreiten.
Ich bin sicher, daß wir eine gute Chance haben, das zu erreichen.Meine Damen und Herren, wir werden diese Politik nicht ändern, auch nicht auf Grund der Kritik, die hier der Kollege Apel geäußert hat, und das ist gut so. Ich weiß, daß die gesamte Fraktion der CDU/CSU und auch die der FDP hinter dieser Politik stehen, und auch das ist gut so. Bringt doch diese Politik für die überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung Auswirkungen und Entwicklungen mit sich, die sich sehen lassen können. Ohne diese solide Haushalts- und Finanzpolitik wäre diese Entwicklung überhaupt nicht möglich gewesen.Man kann davon reden, daß es für unser Volk und für die gesamte Bevölkerung ein Glück ist, daß wir imstande gewesen sind, die öffentlichen Finanzen wieder unter Kontrolle zu bringen und sie wieder in den Griff zu nehmen. Es ist genauso ein Glücksfall für unser Land, daß nicht mehr Apel und Matthöfer Finanzminister sind, sondern so ein Mann wie Gerhard Stoltenberg.
Meine Damen und Herren, in den Monaten Juli und August und bis in die letzten Tage hinein hat man innerhalb der Opposition versucht, die Politik von Gerhard Stoltenberg unter der Kanzlerschaft von Helmut Kohl madig zu machen. Man hat von Greueltaten geredet, Horrorszenarien aufgebaut, und man hat davon gesprochen — und das alles in einem Zug —, daß die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte und die Mineralölsteuer um 20 Pfennig pro Liter angehoben werden müßten. Verschiedene andere Steuern sollten angehoben werden; wir würden dafür sorgen, daß die Länder und die Kommunen nicht mehr imstande wären, ihre Aufgaben zu erfüllen;
wir würden sie nach der Aussage der SPD geradezu in den Ruin treiben. Der Kollege Spöri, der sich besonders hervorgetan hat, brachte es dann noch fertig, im Sommer mit einer angeblichen Streichliste im Fernsehen herumzuwedeln.
Bei der Überprüfung dessen, was denn wohl diese Streichliste bedeutete,
stellte sich heraus — jetzt wird der Kollege Spöri ganz nervös — , daß es sich nur um Auszüge aus einer Liste von möglichen Subventionskürzungen handelte, die schon zu einer Zeit im BMF erstellt worden war, als
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1483
Carstens
Gerhard Stoltenberg noch gar nicht da war, nämlich zu SPD-Zeiten.
Das ist dann relativ spät herausgekommen, aber immerhin ist es auch festzustellen.
Ich kann jedenfalls sagen, daß zum Beispiel in einer großen deutschen Tageszeitung über dieses Sommerszenario der SPD folgendes kommentierend gesagt worden ist:
In der finanz- und haushaltspolitischen Diskussion sind seit Wochen Bezichtigungen an der Tagesordnung, die unter normalen Umständen eine Beleidigungsklage nach der anderen auslösen müßten.
Das gilt besonders, seit sich der SPD-Abgeordnete Dieter Spöri auf diesem Feld bewegt.
Seither wird im Finanzministerium nur noch gelogen, werden Erkenntnisse und Beschlüsse vorenthalten und die Öffentlichkeit auf jede nur erdenkliche Weise getäuscht. Der Stil der Auseinandersetzung hatte wohl schon lange nicht mehr ein so verheerendes Niveau.Dies stand wörtlich vor einigen Tagen in der „Welt" zu lesen.
Das, was Sie hier an Greueltaten und Horrorszenario aufzubauen versuchten,
das haben wir in Ihrer Zeit miterleben müssen, leider miterleben müssen. Wir erinnern uns alle noch an die hektischen Monate der Haushaltsaufstellung, an die zum Teil chaotischen Haushaltsberatungen, an ständig neue Hiobsbotschaften z. B. im Zusammenhang mit der Tornado-Finanzierung, die uns ja unter dem Namen Apel noch sehr stark in Erinnerung ist. Fast jährlich gab es Nachtragshaushalte. Ich möchte sagen: Es schlägt schon fast dem Faß den Boden aus, wenn die Schuldenmacher von gestern Gerhard Stoltenberg und uns heute eine Finanzkrise anzudichten versuchen.
Wir haben im Jahre 1975 einmal erlebt, daß ein Finanzminister dem Parlament zumuten wollte, die Mehrwertsteuer um zwei Punkte anzuheben, dem Parlament zumuten wollte, die Mineralölsteuer anzuheben, die Tabaksteuer und weitere Steuern anzuheben. Und dieser Finanzminister wagt es heute hier nach vorne zum Pult zu kommen und uns zu kritisieren. Das war einmalig in der Geschichte. Es war der einmalige Finanzminister von damals, Hans Apel, der uns das zugemutet hat.
Jetzt, meine Damen und Herren, sind die Finanzen solide geordnet.
In einer so komplizierten Volkswirtschaft wie der unseren gibt es immer wieder Probleme, aber wir sind auf der stabilen Grundlage, die wir geschaffen haben, imstande, diese Probleme zu bewältigen. Ich habe soeben schon gesagt — und ich stehe dazu —, daß wir die große Chance haben, diese gewaltige Steuerentlastung in den nächsten Jahren zu bewältigen, ohne in einem Jahr die Grenze von 30 Milliarden DM Neuverschuldung zu überschreiten. Das wäre eine gewaltige Leistung.
Fast alle Bürger in unserem Land hätten ihre Vorteile davon, nicht nur die reichen, Herr Kollege Apel, so, wie Sie es soeben polemisch dargestellt haben.
Wenn wir diese Finanzpolitik nicht gemacht hätten, könnte man jetzt gar nicht darüber diskutieren, eine derartige Steuerentlastung zu beschließen. Gerhard Stoltenberg hat eben die Ausgabenzuwächse genannt, die bei Ihnen üblich gewesen sind. Wenn wir diese Ausgabenzuwächse seit 1982 weiter gehabt hätten, müßten wir jetzt nicht über Steuersenkungen reden, sondern darüber, daß 80 Milliarden DM zusätzliche Kreditfinanzierung notwendig wären — 80 Milliarden DM — , dann redeten wir nicht von Steuersenkungen, sondern davon, daß die Steuern und Abgaben erhöht werden müßten.
Das wäre dann die Fortsetzung damaliger SPD-Politik. Aber das ist durch diese Politik verhindert worden.Wir haben nun, bei allen Problemen, die es immer noch in unserem Lande gibt, hier Gott sei Dank vorzutragen, daß wir uns mittlerweile im fünften Jahr einer wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung befinden. Immer mehr Sektoren und Regionen, trotz aller Probleme, werden in diese Entwicklung einbezogen. Niemand kann erwarten, daß von einer wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung alle Probleme beseitigt werden. Aber das andere ist genauso sicher: Ohne eine anhaltende wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung geht so gut wie nichts. Es kommt nicht von ungefähr, daß bei Umfragen in der Bevölkerung immer mehr Menschen, angesprochen auf ihre persönliche finanzielle Situation, zum Ausdruck bringen, daß sie mit der ganz gut zufrieden seien.
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Carstens
Das ist schon ein erstaunlicher Prozentsatz. Wenn diese Entwicklung weiter anhält — in diesem Jahr hatten wir vorübergehend Schwierigkeiten, das wollen wir gerne eingestehen — —
Aber es gibt keinen ernst zu nehmenden Wirtschaftswissenschaftler, keinen ernst zu nehmenden Experten, der nicht mindestens davon ausgeht, daß wir in diesem Jahr nennenswertes Wachstum behalten und sich dieses Wachstum auch im Jahre 1988, mit einer steigenden Tendenz, fortsetzen wird.
Immer mehr Menschen kommen in den Genuß dieser wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung.Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sollten sich einmal ansehen, wie die Arbeitnehmer in unserem Land in den Jahren 1981 und 1982 gestellt waren, in einer Zeit, als Sie regierten, in einer Zeit, als wir kein Wirtschaftswachstum gehabt haben. Da schrumpfte die Wirtschaft.
— Gerade in dieser Zeit sind zusätzlich viele arbeitslos geworden. Allein im Jahre 1982 haben wir in Deutschland 441 000 Arbeitsplätze verloren, allein in diesem Jahr, für welches Sie politisch voll und ganz verantwortlich gewesen sind und noch sind.
Das gilt ähnlich für das Jahr 1981. In diesem Jahr stieg nicht nur die Arbeitslosigkeit so immens an, sondern wir hatten auch sinkende Reallöhne. Das ist doch völlig klar. Es geht ja gar nicht anders. Wenn die Wirtschaft schrumpft, sind im Prinzip nur sinkende Reallöhne möglich. Das heißt dann aber auch umgekehrt, daß, wenn die Wirtschaft über Jahre wächst, wir über Jahre steigende Reallöhne haben.
In unserer Zeit nun erleben wir, daß wir steigende Reallöhne haben. Die Renten steigen real. Die Finanzen der Rentenkassen werden sicherer. Die Zinsen sind gesunken. Das Geld ist absolut stabil. Das sind doch alles Dinge, die wir vorzeigen können, die es zu Ihrer Zeit so gut wie nie gegeben hat. Das alles zusammen ergibt dann eben doch den hohen Grad an Zufriedenheit der Menschen in unserem Lande mit ihrer Situation.Nun kommt es für uns darauf an, daß wir die Problembereiche nicht aus dem Auge verlieren. Aber das tun wir ja nicht.
Gerade für die setzen wir besondere Mittel in den Haushalt ein,
z. B. für die Landwirtschaft. Der Anteil der Landwirtschaft steigt um 7,4 % — bei einem Gesamtausgabenwachstum von 2,4 %. Ich kann Ihnen sagen, daß wirauch auf europäischer Ebene Programme in Vorbereitung haben, die dafür sorgen, daß die Überschüsse in der Landwirtschaft abgebaut werden. Wir konzentrieren uns nicht nur auf die gesamtwirtschaftliche Aufwärtsentwicklung — die ist besonders wichtig, weil die meisten Leute davon positiv betroffen werden —, sondern wir sehen uns auch die Problembereiche an und überlegen, was wir zur Behebung dieser Probleme tun können, z. B. im Bereich der Kohle, z. B. bei den Werften. Wie sähe es heute bei den Werften aus, wenn wir nicht eingegriffen hätten oder wenn wir kein Geld gehabt hätten, so wie Sie heute kein Geld hätten, wenn Sie weiter regiert hätten?
Wir haben das alles vor Augen, und wir sind dabei, diese Dinge in den Griff zu bekommen.Denken Sie einmal an die Zinsbelastungen derjenigen, die sich vor Jahren ein Häuschen gebaut haben. Die mußten in Ihren Regierungsjahren zeitweise 11 %, 12 %, 13 % Zinsen zahlen. Sie konnten das kaum aufbringen. Einige mußten mehr Zinsen im Monat zahlen, als sie überhaupt verdient haben. Jetzt ist der Zinssatz zurückgegangen, auf 61/2 %, 7 %. Das macht bei vielen Leuten eine monatliche Nettoentlastung von drei-, vier-, fünfhundert D-Mark aus. Das ist ein Ergebnis unserer soliden und sozialen Politik, meine Damen und Herren.
Denken Sie etwa auch an die Sozialhilfeempfänger. Die Sozialhilfeempfänger haben erfahren, daß wir regelmäßig die Regelsätze angehoben haben. Das, was wir angehoben haben, kommt den Sozialhilfeempfängern real zugute, weil es nicht durch die Inflationsraten aufgefressen wird, sondern bei stabiler Währung echt, real zur Verfügung steht. Das ist soziale Politik, wie wir sie verstehen und wie wir sie weitermachen wollen, meine Damen und Herren.
Das kann man auch auf die Entwicklung in Schleswig-Holstein im Vergleich zu Bremen übertragen. Ich will dazu keine längeren Ausführungen machen. Ich nehme an, daß dazu noch der Regierungschef von Bremen Stellung nehmen wird. Aber ihm möchte ich im voraus schon mit auf den Weg geben, sich hier in dieser Runde vor dem Plenum des Deutschen Bundestages damit auseinanderzusetzen, wie er es denn wohl begründet, daß Bremen im Vergleich zu allen anderen Bundesländern bei der Verschuldung des Landes absoluter Spitzenreiter ist,
daß Bremen auch bei der Arbeitslosigkeit absoluter Spitzenreiter ist. Bremen steht ganz obenan und Schleswig-Holstein an sechster, siebter Stelle. Aber dazu wird es gleich weitere Auseinandersetzungen geben. Nur, Herr Wedemeier, ich möchte Sie schon
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Carstens
jetzt bitten, doch auch die Verschuldung des Landes anzusprechen und nicht zu vergessen.Denn, meine Damen und Herren, die Politik, die wir 1982 angefangen haben, die auf die Privatinitiative setzt, den Staat seine Aufgaben erfüllen läßt, ihn aber nicht ins Handeln im Rahmen der wirtschaftlichen Bereiche hineinzieht oder ihn zumindest nach und nach aus den wirtschaftlichen Abläufen weiter herauszieht, hat dafür gesorgt, daß die Leistungsfähigkeit unserer Bevölkerung angeregt wurde, daß die Rahmenbedingungen dafür gegeben wurden, daß sich Einsatz lohnt. Das haben wir nun als Ergebnis vorzulegen: eine sich schon über fünf Jahre nach oben entwickelnde Wirtschaft.Sie, Herr Kollege Apel, haben über Jahre den Fehler gemacht und würden ihn auch heute, wenn Sie die Mehrheit dazu hätten, fortsetzen, nicht auf die Privatinitiative, sondern weiter auf den Staat und seine Institutionen zu setzen. Das ist noch überall in der Welt, wo das praktiziert wurde, fehlgeschlagen. Der Lehrsatz der SPD lautete sozusagen: Hier x Milliarden DM mehr ausgeben, dort y zusätzliche Arbeitsplätze. — Ich gebe zu, meine Kolleginnen und Kollegen der SPD, daß diese Argumentation verblüffend einfach ist. Sie hat nur einen Fehler: sie stimmt nicht. Denn das Ergebnis dieser Politik haben wir gesehen. Nach diesem System sind Sie vorgegangen und sind gescheitert. Sie haben nicht mehr Arbeitsplätze geschaffen, sondern die Arbeitslosigkeit und gleichzeitig die Verschuldung sind angestiegen. Das ist unserer Bevölkerung noch bestens in Erinnerung. Ich bin sicher, daß die große Mehrheit unseres Volkes diese Politik auch nicht wieder erleben möchte.Unsere Rechnung ist ebenso einfach. Sie setzt Vertrauen in die Abläufe der sozialen Marktwirtschaft voraus.
Man muß davon überzeugt sein, daß eine gewisse Summe x, von vielen Unternehmern und Privaten, von der großen Breite der mittelständischen Betriebe investiert, eine andere Qualität hat, als wenn diese Summe der Staat verausgabt.
Wenn viele, viele Einzelinvestitionen durch die mittelständische Wirtschaft vorgenommen werden, hat das eine gänzlich andere Qualität, als wenn das über staatliche Einrichtungen liefe. Diese Politik muß fortgesetzt werden.
Wir müssen unsere Wirtschaft weiter anregen, zu investieren, Arbeitsplätze zu schaffen, für Wachstum zu sorgen, damit wir weiter steigende Reallöhne haben,
damit die Sozialklassen weiter in Ordnung bleiben und daß wir auch imstande sind, den sozial Schwachen zu helfen.
Meine Damen und Herren von der SPD, den sozial Schwachen kann der Staat auch nur helfen, wenn die wirtschaftliche Entwicklung gut ist, wenn auch Geld in die Kassen des Staates fließt.
Bei Ihrer Schuldenpolitik und bei dem Auftürmen der Zinslasten wären Sie heute überhaupt nicht mehr imstande gewesen, den Schwächsten im Lande zu helfen. Auch das gehört zu unserer Politik: daß wir die Schwächsten im Lande nicht vergessen, sondern unsere Politik auch auf sie ausrichten.Diese Politik hat den Vorteil, daß sie sich auch rechnen läßt, daß sie finanzierbar ist, daß man sogar eine gewaltige Steuerentlastung vornehmen kann, ohne die Neuverschuldung wesentlich anzuheben — nur ein wenig, und das vorübergehend. Wir werden den Beweis antreten.
Die Bevölkerung unseres Landes kann das in den nächsten Jahren beobachten, und sie wird das auch beobachten, da bin ich sicher. Ich freue mich schon darauf, daß diese Beobachtung vorgenommen werden wird.Unsere Rechnung geht so: Bei einer normalen wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung, wie wir sie jetzt vier, fünf Jahre gehabt haben, haben wir eine nominelle wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung von 4 bis 5 % zu erwarten.
Von dem daraus resultierenden Zuwachs der Steuereinnahmen — nicht durch Erhöhung der Steuersätze — von 20 Milliarden bis 25 Milliarden DM jährlich für den Fall, daß man die Steuern nicht senkte, also bei gleichbleibenden Steuersätzen, haben wir jährlich nur etwa knapp die Hälfte in den öffentlichen Haushalten ausgegeben und wollen auch in den nächsten Jahren nur etwa knapp die Hälfte dieses Zuwachses durch Ausgaben belegen. Das heißt, daß gut 10 Milliarden DM der Zuwächse bei den Steuereinnahmen, die ohne Steuererhöhung einfließen, für zweierlei Dinge verwendet werden können: entweder für den Abbau der Neuverschuldung oder für das Senken der Steuern. Unsere Politik ist es gewesen — in den ersten Jahren war es auch dringend notwendig —, über Jahre die Neuverschuldung zurückzuführen. Das kann man ablesen: Es ging von 37/38 Milliarden DM herunter bis auf 22/23 Milliarden DM. Für die zweite Legislaturperiode, politisch schon 1986 beginnend, haben wir uns vorgenommen, schwerpunktmäßig die Steuern zu senken, und zwar in einem gewaltigen Ausmaß. Hierbei nehmen wir in Kauf, daß die Neuverschuldung ein wenig ansteigt, um sie aber schon ab 1991 schwerpunktmäßig wieder abzubauen. Alles, was wir an Steuern entlasten werden und schon entlastet haben, gerade für die, die Kinder haben, ist bislang finanziert worden, ohne daß wir den Bürgern
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irgend etwas von dem weggenommen haben, was sie vorher hatten.
Da kann man genau nachlesen, wie wir vorgehen. Wenn jemand sagt, daß das nicht fundiert sei, dann weiß ich nicht, wie dieser sich das sonst in der Politik vorstellen könnte.
Wir werden klar und deutlich Auskunft geben.
Die Worte, die Gerhard Stoltenberg hierzu gefunden hat, brauchen keine weitere Bestätigung.
Meine Damen und Herren, um diese Politik durchhalten zu können, müssen wir auch in den nächsten Jahren jährlich nur mit einem Zuwachs von gut 2 bis 3 % zurecht kommen, nicht nur beim Bund, auch bei den Ländern und bei den Kommunen. Bei den Kommunen hat man noch am ehesten Spielraum, wenn man sich ansieht, wie sich die Steuereinnahmen entwickeln und wie sie sich auf Bund, Länder und Kommunen verteilen.
Im Jahre 1988 wird der Zuwachs bei den Steuereinnahmen zugunsten der Gemeinden zwischen 2 und 3 % liegen; aber schon für das Jahr 1989 kann man davon ausgehen, daß die Steuereinnahmen der Kommunen um 4 bis 5 % ansteigen werden.Meine Damen und Herren, nun möchte ich auch hier einmal sagen, daß die Städte und Gemeinden mit derartigen Zuwächsen hinkommen müssen. Man kann nicht alles finanzieren, was wünschbar ist, sondern man muß sich danach richten, was an Finanzvolumen zur Verfügung steht.
Bei allem, was wir in den nächsten Wochen und Monaten beschließen werden, können alle Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden davon ausgehen, daß wir schon um die Bedeutung der Städte und Gemeinden wissen, daß wir z. B. wissen, daß die Gemeinden und die Städte die Hauptträger der öffentlichen Investitionen sind, daß dafür auch ein gewisses Finanzvolumen vorhanden sein muß. Das wissen wir, und die Kommunen in unserem Lande können sich darauf verlassen, daß das im Rahmen der Beschlüsse umgesetzt wird.
Des weiteren sind wir im Rahmen der Zuwächse von 2 bis 3 % auch in der Lage, Sozialpolitik zu machen. Wir haben in den letzten Jahren bei einer Ausgabensteigerung von nur 1,7 % eine Reihe von Beschlüssen gefaßt und durchgesetzt, die Sie sich damals niemals hätten vornehmen können.
Wir haben z. B. das Kindergeld für arbeitslose Jugendliche, das Sie damals gestrichen haben, das die SPD gestrichen hat, 1985 wieder eingeführt. Wir haben das Wohngeld erhöht, wir haben das Arbeitslosengeld mehrfach erhöht. Wir haben den Wehrsold angepaßt, das Erziehungsgeld eingeführt. Wir haben die Steuern für die gesenkt, die Kinder haben, und für die, die keine Steuern zahlen, haben wir das Kindergeld um bis zu 46 DM je Kind und Monat angepaßt. Das sind soziale Maßnahmen, die man selbst im Rahmen von zwei- bis dreiprozentigen Ausgabensteigerungen finanzieren kann.
Meine Damen und Herren, wir werden diese Politik fortsetzen und dabei die Anliegen unserer Bevölkerung nicht vergessen und sehr wohl auch immer wieder berücksichtigen, daß es in unserem Land noch Problembereiche gibt, in denen es unserer Hilfe bedarf. Die Betroffenen in diesen Bereichen müssen aber natürlich auch durch ihre eigene Leistung dazu beitragen, daß sie zusammen mit unserer Hilfe aus ihren Schwierigkeiten herauskommen.Meine Damen und Herren, wir haben uns natürlich vorgenommen, bei der Steuersenkung den Meinen Mann nicht aus dem Auge zu verlieren.
Das, was Herr Apel hier gesagt hat, war eine typische SPD-Neidparole. Ich möchte Ihnen dazu folgende Antwort geben: Natürlich kann bei einer Steuerentlastung nicht jeder gleichmäßig — im Vergleich zu anderen — entlastet werden. Das hat es noch nie gegeben, das kann es einfach nicht geben.
Bei unserer Politik aber soll bis 1990 jeder Steuerzahler entlastet werden. Bei Ihrer Politik wäre, wenn sie hätte weitergeführt werden können, überhaupt kein Steuerzahler entlastet worden; er wäre vielmehr weiterhin mit Steuerlasten belastet worden.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1487
Carstens
Jeder einzelne Bürger wird sich demnächst ausrechnen können, mit welcher Entlastung er zu rechnen hat. Dann werden nicht nur 8 bis 9%, wie es der Kollege Apel hier gesagt hat, zufrieden sein, sondern dann werden viele Bürger erkennen, daß die Politik, die wir machen, vielen und nicht nur wenigen Steuerzahlern Vorteile bringt.
Meine Damen und Herren, diese Politik der letzten Jahre wird uneingeschränkt fortgeführt.
Wir werden — erstens — über den Haushaltsentwurf 1988 und den Finanzplan bis 1991 dafür garantieren, daß die Steuersenkungen 1988 und 1990 im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung solide finanziert werden können.Zweitens: Die Steuerentlastungen 1986, 1988 und 1990 insgesamt sollen für jeden steuerzahlenden Haushalt spürbar sein.Drittens: Der Ausgaberahmen für das Jahr 1988 und der im Finanzplan vorgegebene Rahmen ist so gesteckt, daß der Bund seine Verpflichtungen erfüllen kann, und zwar sowohl was die Verteidigungsfähigkeit als auch den sozialen Frieden berührt, aber auch was die wirtschaftlichen und technischen Herausforderungen der Zukunft angeht.Viertens: Unsere Haushalts- und Finanzpolitik setzt den erfolgreichen Weg einer angebotsorientierten Politik fort. Dies besagt konkret: Senkung der Staatsquote bei gleichzeitiger Senkung der Steuerquote.Fünftens: Meine Damen und Herren, den mündigen Bürger zu erfinden und ihn gleichzeitig durch staatliche Gängelung zu entmündigen, ist nicht Sache der CDU/CSU. Wir setzen auch in der Zukunft auf den privaten Sektor, auf Fleiß und Können der Bürger. Das schafft Arbeit, Einkommen und Wohlstand.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gab einmal eine Zeit, da waren wir GRÜNE in diesem Hause noch nicht vertreten.
— Das war eine schreckliche Zeit.
— Seinerzeit tobte die Schlacht um die Staatsverschuldung. Da gab es auf der einen Seite des Hauses die „Schurken" und „Inflationstreiber" von der SPD. Sie hatten dieses Land bereits an den Rand des Ruins gebracht.
Dagegen kämpfte eine mutige Schar der Opposition, die dann mit knapper Not verhindern konnte, daß Schmidt und seine bösen Kumpane
durch sozialistische Schuldenmacherei die Zukunft ganzer Generationen ruinieren konnten.
Und als die Not am größten war, da bot sich ein Recke aus dem Norden an, dieses Land vorm sozialistischen Staatsbankrott zu retten. Sein Name war Gerhard Stoltenberg.
So oder ähnlich muß es damals gewesen sein. Jedenfalls habe ich dieses Märchen so oder ähnlich wenigstens ein Dutzendmal in diesem Hohen Haus in den letzten Jahren gehört. Heute nun kommt der Erretter vorm sozialistischen Staatsbankrott daher und legt einen Haushaltsentwurf für 1988 vor, dessen Nettokreditaufnahme mit 29,3 Milliarden DM nicht weniger als 7 Milliarden DM über dem liegt, was in der mittelfristigen Finanzplanung noch im letzten Jahr für 1988 vorgesehen war.Das ist längst nicht alles: Gar nicht berücksichtigt in diesem Haushaltsentwurf sind die zusätzlichen Finanzlücken, die sich aus der Erhöhung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage ergeben. Hinzugerechnet werden muß noch die Tatsache, daß die Eckdaten für die Wirtschaftsentwicklung und Steuereinnahmen, die in diesen Entwurf eingegangen sind, mit Sicherheit nicht haltbar sein werden. Noch größer wird sie also sein, die Schuldenmacherei. Da hilft auch nicht die Gesundbeterei, die Sie vorhin hier einmal mehr demonstriert haben, Herr Stoltenberg.Wenn man sich das anschaut, dann ist man versucht, sich zunächst erstaunt die Augen zu reiben. Was ist da passiert? Was ist aus ihm geworden, aus dem großen Sanierer der Staatsfinanzen? Es drängt sich die Frage auf: Ist nun auch er zu den Bankrotteuren übergelaufen, hat nun auch er sich in diese sozialistische Front der Staatsbankrotteure eingereiht? Nein, hören wir gleich, es ist gar nicht so, wie wir es über die Jahre hinweg ein ums andere Mal von Herrn Stoltenberg gehört haben, daß der Abbau der Staatsverschuldung selbst die große finanzpolitische Hauptaufgabe sei. Heute hören wir plötzlich etwas ganz anderes. Heute hören wir, daß Staatsverschuldung nicht gleich Staatsverschuldung sei. Heute hören wir, daß Schulden nicht gleich Schulden seien.Heute hören wir, daß es zwei ganz unterschiedliche Arten von Staatsverschuldung geben soll, nämlich eine bösartige Staatsverschuldung und eine gutartige Staatsverschuldung.
Die bösartige Staatsverschuldung war die, mit der das finanziert wurde, was Sie seinerzeit als „soziale Hängematte" denunziert haben. Die gutartige Staatsverschuldung dagegen, soll dann vorliegen, wenn über die Steuerreform die Konsumbedürfnisse der besser Verdienenden gefördert werden sollen.
Das ist Ihre Art von Haushaltspolitik. Das ist Ihre Artvon Aufteilung der Haushaltswelt: Es gibt eine guteStaatsverschuldung, die machen Sie, und es gibt eine
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Kleinert
böse Staatsverschuldung, die machen die, die für Sozialpolitik eintreten.Vergessen sind die alten Argumente aus den Haushaltsdebatten der vergangenen Jahre. Vergessen ist das Argument, die Staatsverschuldung verdränge die Investoren vom Kapitalmarkt, die Staatsverschuldung treibe die Zinsen in die Höhe. Vergessen sind die alten Reden, die wir hier über die Jahre hören mußten, in denen gerade diese Staatsverschuldung zur Wurzel allen wirtschafts- und finanzpolitischen Übels stilisiert wurde.Nun stellt sich die Frage: Wozu das Ganze? Die Antwort: Das alles muß jetzt sein, damit die große Steuerreform, jene finanzpolitische Wundertat dieser Regierung, die Sie seit Monaten abfeiern, finanziert werden kann. 13 Milliarden DM Verluste an Steuereinnahmen sind schon für 1988 zu erwarten. 1990 ist mit Einnahmeverlusten von 44 Milliarden DM zu rechnen. Dabei entpuppt sich das, was Sie hier als grandiose Großtat abfeiern wollen, diese Steuerreform, bei näherem Hinsehen rasch als Mogelpackung.Diese Steuerreform, so wie Sie sie durchziehen wollen, ist nicht die sozialpolitische Wohltat, als die Sie sie anpreisen. Sie ist kein Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit. Im Gegenteil: Sie zielt darauf ab und sie wird darauf hinwirken, Steuergeschenke an diejenigen zu verteilen, die ohnehin schon auf der Sonnenseite sitzen.Das kann man unschwer belegen; denn es kann wohl kaum eine soziale Wohltat sein, wenn der Durchschnittsverdiener mit 40 000 DM Jahreseinkommen 950 DM Steuern spart, die ihm dann gleich wieder abgenommen werden, weil zur Finanzierung der Steuerreform Verbrauchsteuern in ungefähr dem gleichen Umfang erhöht werden sollen, während auf der anderen Seite der Spitzenverdiener mit 160 000 DM Jahreseinkommen 15 000 DM Steuern sparen kann. Das kann doch keine soziale Wohltat sein; denn der Spitzenverdiener ist gleich zweimal im Vorteil: einmal spart er bedeutend mehr Steuern, und zum zweiten wird ihm auch verhältnismäßig weniger über die Verbrauchsteuern wieder weggenommen.Die Steuerreform wird noch fragwürdiger, wenn man an die Rückwirkungen für die Haushalte von Ländern und Gemeinden denkt. 10 Milliarden DM Einnahmeverluste bei den Gemeinden für 1990 — so ungefähr lauten die Prognosen. Gerade da, wo die finanziellen Handlungsspielräume ohnehin schon am geringsten sind, gerade da, wo die Belastung durch wachsende Sozialhaushalte dramatisch angestiegen ist, werden die Auswirkungen dieser grandiosen Reform besonders negativ zu Buche schlagen. So werden die Gemeindefinanzen zur Reservekasse des Finanzministers umfunktioniert.
Was das ganze Werk wirtschaftspolitisch eigentlich bringen soll, weiß die Bundesregierung selbst nicht. Ich zitiere die Bundesregierung aus einer Antwort auf eine SPD-Anfrage:Welche quantitativen Auswirkungen die Steuersenkungen letztlich auf Wachstum, Beschäftigung und Investitionstätigkeit haben, hängt von den Entscheidungen der Verbraucher und Investoren ab, die zahlenmäßig nicht im voraus abgeschätzt werden können.Das hindert Herrn Stoltenberg aber keineswegs daran, hier heute morgen das Ganze auch noch als Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit darzustellen. Sie wissen zwar nicht, was die Folge sein wird, aber Sie stellen sich jetzt hier hin und wollen uns weismachen, das sei ein entscheidender Beitrag zur Bekämpfung der Massenerwerbslosigkeit. Ich nenne das, was Sie hier vorführen, einfach Betrug.
Ich sage: Das Gegenteil wird eintreten. Die stolz herausgestellte Verringerung der Staatsquote und die enger gewordenen finanzpolitischen Spielräume der Kommunen werden zu einer weiteren Verminderung der Möglichkeiten der öffentlichen Hand in diesem Bereich führen. Der längst schon laufende Trend zur Verminderung der investiven Ausgaben des Bundes geht ja bereits in diese Richtung. Real muß schon für diesen Haushaltsentwurf von einer Rückläufigkeit der investiven Ausgaben ausgegangen werden. Ökologisch und sozial notwendige Investitionen werden noch stärker ausbleiben als bisher schon. Das Ganze führt im Ergebnis zum Rückzug der öffentlichen Hand aus ihrer ökologischen und sozialen Verantwortung.
Für diese Art der Steuerreform nehmen Sie in Kauf, daß sämtliche Finanzplanungen der letzten Jahre über den Haufen geworfen sind. Sie nehmen in Kauf, daß Haushaltsrisiken entstehen, deren Ausmaß heute gar nicht kalkulierbar ist. Sie nehmen in Kauf, daß Sie heute hier mit einer mittelfristigen Finanzplanung antreten, deren Zahlenwerk völlig ungesichert ist. Die 30,9 Milliarden DM für 1990 sind schlicht und einfach grotesk. Wenn Sie noch 15 Milliarden DM hinzutun, werden Sie vermutlich eher richtig liegen.Wenn man das zum Maßstab nimmt, was Sie in Ihrer eigenen mittelfristigen Finanzplanung mit den Ansätzen für dieses Jahr in kurzer Zeit über den Haufen geworfen haben, dann kann man Ihnen eigentlich nur noch empfehlen: Lassen Sie es in Zukunft mit der mittelfristigen Finanzplanung doch ganz bleiben; denn diese mittelfristige Finanzplanung sagt sowieso nicht mehr aus als die optimistischen Prognosen der Wetterkarte in diesem ausgefallenen Sommer.
Daß Sie das alles zugunsten einer Steuerreform in Kauf nehmen, über deren Finanzierung Sie auch heute wieder kein einziges Wort verloren haben, habe ich schon erwähnt. Warum wir heute dazu wieder nichts gehört haben, wissen wir natürlich alle: Am Samstag wird in Bremen und in Kiel gewählt.
— Am Sonntag. Sie, Herr Stoltenberg, haben diesmal dort besonders viel zu verlieren; nicht nur deshalb, weil Sie als Landesvorsitzender der CDU in Schleswig-Holstein fürchten müssen, in Schwierigkeiten zu kommen, sondern auch deshalb, weil Sie ja ohnehin in
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dieser Koalition als Absteiger des Jahres gehandelt werden,
und zwar nicht nur wegen der Steuerreform. Im Februar durften Sie erfahren, daß der Bundeskanzler hinter Ihrem Rücken Franz Josef Strauß Ihren Posten angeboten hat. Sie konnten von Glück sagen, daß Sie ihn behalten haben, weil Herr Strauß in München geblieben ist. Jetzt kommt noch das Debakel mit der Steuerreform hinzu.Für Sie steht in Schleswig-Holstein in der Tat viel auf dem Spiel, wenn Sie aus diesem Geruch des Absteigertums herauskommen wollen. Weil das so ist, deshalb wollen Sie den Wählern möglichst nicht vor der Wahl die Wahrheit sagen. Sie wollen den Wählern nicht sagen, was auf sie zukommt. Sie wollen, daß die Katze im Sack gekauft wird. Das ist ein unmögliches Verhalten.Es ist ein Unding, daß hier heute eine Finanzplanung für die kommenden Jahre diskutiert werden soll, ohne daß wir die entscheidenden Eckpunkte dafür nur einigermaßen kennen können.
Noch schlimmer und einfach unredlich ist, daß Sie hier aus wahltaktischen Gründen die Entscheidung über die Finanzierung dieser Steuerreform bis auf den Tag nach der Wahl zurückstellen wollen.
Unredlich ist, daß Sie den Wählern nicht vorher sagen wollen, was Sie vorhaben. Die Wähler hätten ein Recht, vor der Wahl zu erfahren, womit sie hinterher zu rechnen haben.Das ganze Regierungschaos in der Frage der Finanzierung der Steuerreform ist sowieso ein Kapitel für sich. Da wird mit Begriffen hantiert, die in Wahrheit überhaupt nicht angebracht sind; semantischer Betrug würde ich dazu sagen. Da geistert die Vokabel vom „Subventionsabbau" herum. Subventionsabbau klingt nicht schlecht; es erweckt den Anschein, als ginge es um ungerechtfertigte Steuerprivilegien, als ginge es um allerlei verdeckte Zuwendungen oder vielleicht sogar darum, daß irgendwelchen Großunternehmen ein bißchen am Zeug geflickt werden sollte. Doch wenn man sich einmal die Debatte anschaut, wird man schnell feststellen: Darum geht es gar nicht, darum geht es in Wirklichkeit zuallerletzt. Dem Airbus sind längst die Milliarden-Subventionen sicher, da steht schon Herr Strauß vor. Darum geht es gar nicht.
Wenn man sich genauer ansieht, worum es geht und was alles zum Thema „Subventionsabbau" verhandelt wird, kommen Dinge zutage, die mit Subventionsabbau fast nichts zu tun haben. Ernsthaftes Thema bei der Debatte „Subventionsabbau" sind Arbeitnehmerfreibeträge, ernsthaftes Thema sind die Zuschläge für Sonn- und Feiertags- und Nachtarbeit, ernsthaftes Thema ist das Weihnachtsgeld für Arbeitnehmer. Dazu kann ich nur sagen: In diesem Zusammenhang ist schon das Wort vom Subventionsabbaubloßer Etikettenschwindel und Irreführung der Öffentlichkeit.
Was Sie vorhaben, das müßte man im Grunde unter dem Stichwort „Fortsetzung des Sozialabbaus mit anderen Mitteln" diskutieren und nicht unter dem Stichwort „Subventionsabbau".
Meine Damen und Herren, daß diese Steuerreform, die um nahezu jeden Preis durchgezogen werden soll, Steuergeschenke für die Unternehmen in einem Ausmaß bereitstellt, wie es nicht einmal Frau Thatcher in England gewagt hat und mit der verglichen Herr Reagan mit seiner Steuerreform fast als sozialpolitischer Wohltäter gelten müßte, wenn man sich die Verteilungswirkungen anschaut, mag Ihnen vielleicht nicht bekannt sein, dürfte aber in diesem Zusammenhang schon von Interesse sein.Wenn die Pläne zur Steuerreform so weit führen, daß sich die ganze finanzpolitische Prioritätensetzung dieser Regierung verschiebt und Herr Stoltenberg sogar das Risiko eingeht, als „Schuldenberg" tituliert zu werden, muß man sich fragen: Welches Konzept steckt eigentlich dahinter? Es ist ganz offensichtlich so, daß man nun nach fünf Jahren in dieser Regierungskoalition dazu übergehen will, daß das, was sich manche unter „Wende" seinerzeit vorgestellt hatten, stärker zum Durchbruch kommen soll. Nach fünf Jahren dieser Bundesregierung sind die Ideologen radikaler Entstaatlichung offensichtlich auf dem Vormarsch. „Privatisierung" und „Deregulierung" lauten hier die Zauberworte, hübsch verbrämt in den bekannten Formeln: Man setze auf Freiheit und Verantwortlichkeit der Burger. Als wenn das irgend jemand nicht wollte! Freiheit der Bürger ist ein wunderschönes Ziel.
Darauf setzen alle, Herr Cronenberg. Was aber in diesen Formeln so schön eingepackt wird und was gewiß nicht schlecht in freidemokratischen Zeitgeist paßt, ist im Grunde nichts anderes als der Rückzug der öffentlichen Hände aus ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung, und dieser Rückzug wird katastrophale Folgen haben.
Wir sind als GRÜNE gewiß nicht die geborenen Verteidiger der Staatsquote. Wir sind weit davon entfernt, alles Heil der Welt von staatlichen Maßnahmen und staatlichen Programmen zu erwarten. Aber eines sehen wir ganz klar: Diese Strategie kann nur Umverteilung verschärfen. Es wird durch diese Strategie kein einziger neuer Arbeitsplatz entstehen. Sicher wird manchen dabei die Tasche gefüllt, Leuten, die die Tasche ohnehin schon voll haben. Aber der Rückzug des Staates aus seiner ökologischen und sozialen Verantwortung ist angesichts der wachsenden Folgeprobleme des Industriesystems und angesichts des sozialen Problemdrucks, mit dem wir heute zu tun haben, einfach nicht verantwortbar.
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1490 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
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Eine solche Politik kann am Ende nur dazu führen, daß zur Verwirklichung notwendiger investiver Ausgaben im Umweltbereich schlicht das Geld fehlt.Dieses Privatisierungskonzept, das die öffentliche Hand nur noch als Reparaturbetrieb begreift, wird in Ihren bevorzugten Klientelen sicher viel Beifall finden. Die FDP muß sich fragen, wo es da noch Unterschiede zur CDU/CSU gibt. Herr Stoltenberg erledigt mit dieser Art von Finanzpolitik das Geschäft Ihrer bevorzugten Klientel doch mindestens so gut wie Herr Bangemann. Also, da bin ich einmal gespannt, wo Sie da noch einsteigen wollen. Wie gesagt, in Ihren bevorzugten Klientelen wird dieses Konzept sicher viel Beifall finden, zur Lösung der dringendsten gesellschaftlichen Probleme aber taugt es nicht, im Gegenteil!Das ist der Hintergrund, der zur Sprache kommen muß, wenn hier in diesem Jahr über den Haushalt 1988 debattiert wird. Aber das ist natürlich nicht alles, was mit diesem Haushalt zu tun hat, was mit diesem Haushalt verbunden ist. Es geht ja nicht nur um Steuerreform, um falsche Grundannahmen und Perspektiven der Finanzpolitik, sondern es geht auch um das Gesamtkonzept von Politik; das in diesem Haushaltsentwurf zum Ausdruck kommt.Der Finanzminister hat zu Beginn seiner Einbringungsrede heute morgen festgestellt — ich zitiere — :Der vorgelegte Haushalt ist Ausdruck der Kontinuität unserer Politik. Er gibt zugleich Antworten auf neue Herausforderungen und veränderte Bedingungen.Ein großer Anspruch, wohl wahr, der dort formuliert worden ist. Die Wirklichkeit freilich, Herr Stoltenberg, sieht um einiges anders aus. Die Kontinuität, von der Sie gesprochen haben, ist eine schlechte Kontinuität, und von den überzeugenden Antworten auf neue Herausforderungen, von denen Sie gesprochen haben, habe ich in Ihrem Beitrag nichts, aber auch gar nichts gehört.
Die schlechte Kontinuität ist schnell belegt: Die investiven Ausgaben in diesem Bundeshaushalt gehen real weiter zurück. Für die Verbesserung der Beschäftigungssituation, für die Schaffung sinnvoller Arbeitsplätze tun Sie praktisch gar nichts. Das gehört in Ihrer Philosophie ja nicht einmal mehr zu Ihren Aufgaben. Trotz nachlassender Konjunktur und erneuter Zunahme der Erwerbslosigkeit bleibt jede wirksame Initiative auf diesem Gebiet aus. Im Gegenteil: Sie versprechen sich alles Heil der Welt von der Privatinitiative der Bürger. Für die Kumpels in den Zechen und für die Arbeiter in der Stahlindustrie haben Sie, Herr Finanzminister, nicht mehr parat als die Auskunft, eine Rückführung von Kapazitäten bei Kohle und Stahl sei leider unvermeidbar geworden. Ein Konzept zur Lösung der Strukturkrisen, ein Konzept zur Lösung der Fragen in den alten Schlüsselindustrien haben Sie nicht anzubieten. Kein Wort habe ich in dem Beitrag heute morgen davon gehört.
Aber das gehört wahrscheinlich auch zu Ihrer Form von Privatisierungsstrategie.Bei den ökologischen Perspektiven stellt man in diesem Haushalt ebenfalls Fehlanzeige fest. Die minimalen Zuwachsraten für den Umweltschutz können nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich — außer ein bißchen Umweltkosmetik hier und ein bißchen Reparaturbetrieb da — praktisch gar nichts bewegt hat. Die Möglichkeiten des Bundes, durch investive Ausgaben in diesem Bereich wirksame, präventive Umweltpolitik zu betreiben, bleiben weiter ungenutzt. In wichtigen Bereichen wie der Energiepolitik oder der Chemiepolitik schreiben Sie einen schlechten Stillstand fest. Möglichkeiten werden ungenutzt bleiben. Altlastensanierung zu betreiben, beschleunigte Kraftwerksentschwefelung vorzunehmen, verstärkte Forschungsanstrengungen, etwa im Bereich der Umwelttechnologie, voranzutreiben — all das bleibt ungenutzt. Weiterwurschteln heißt da die Devise. Tschernobyl hat Sie nicht aus den Ämtern gebracht — so sehen Sie das — , also wird Tschernobyl schleunigst vergessen.
Sie haben Ihren Minister ernannt, jetzt wird er mitKleckerbeträgen abgespeist. Das ist die haushaltswirksame Umweltpolitik, meine Damen und Herren.
Statt präventive Umweltpolitik zu betreiben, werden Milliardenbeträge nach wie vor in unproduktiven Großprojekten und Risikotechnologien verschleudert. Die Finanzierung solcher Projekte, wie etwa die WAA-Finanzierung, verschlingt Milliardensummen, Hunderte von Millionen sollen im Weltraum verpulvert werden, und für den Airbus — ich sagte es schon — stehen Milliardenbeträge bereit. Meine Damen und Herren, das ist die Grundrichtung dieser Finanzpolitik.Und wieder einmal sollen die Rüstungsausgaben steigen; nicht ganz so stark wie in den Jahren vorher — das ist wahr — , aber eben doch wieder um gut 1,4 Milliarden DM. Das muß man sich jetzt einmal genauer ansehen. 1,4 Milliarden DM, das ist ungefähr dreimal so viel wie der gesamte Etat des Umweltministers überhaupt ausmacht. Das ist die Steigerungsrate im Rüstungshaushalt, bei der Sie sich sogar damit brüsten, daß sie weniger stark als in den Jahren davor ist.
Das sind die Relationen in der Politik dieser Bundesregierung: Statt die abrüstungspolitischen Chancen, die sich zur Zeit ergeben, dazu zu nutzen, um auch bei uns deutliche Zeichen für ein Herunterfahren der Rüstungsausgaben zu machen, wird weiter aufgestockt, geht es weiter in Richtung Aufrüstung.Die finanzpolitische Gesamtstrategie, die unter den veränderten Vorzeichen radikaler Privastisierungsabsichten steht, wird den gesellschaftlichen Problemdruck weiter verschärfen. Das öffentliche Dienstleistungsangebot wird sich verschlechtern. Die sozialen Sicherungssysteme werden ausgedünnt. Dringend
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notwendige Impulse zu ökologischen Investitionen werden stranguliert.Der ganze Ansatz ist das Werk ideologisch verbohrter Entstaatlicher, die damit zugleich das finanzpolitische Desaster für die kommenden Jahre programmiert haben.Ich kann nur sagen: Der Lack ist ab, Herr Stoltenberg; nichts ist geblieben vom großen Zampano der Staatsfinanzen; nichts ist geblieben. Ich sagte es bereits: Sie sind der Absteiger des Jahres. Und das wird auch den Wählern deutlich werden, Herr Stoltenberg.
Das ist die Wahrheit.Ein paar Anmerkungen zum Schluß zu den Alternativen der GRÜNEN. Wir werden in dieser Haushaltsdebatte an den einzelnen Punkten verbunden mit konkreten Finanzierungsvorschlägen, unsere Alternativen vorstellen. Notwendig wäre ein ganzes Bündel ökologischer Sofortmaßnahmen. Notwendig wären Kraftwerksentschwefelung und Abwasserentgiftung, Altlastensanierung und Energieeinsparung. Notwendig wäre die Förderung rationeller Energienutzung und alternativer Energieformen. Notwendig ist der gezielte Einsatz von Forschungsmitteln zur Erforschung umweltverträglicher Produkte. Notwendig ist die Steigerung investiver Ausgaben der öffentlichen Hand in der Landwirtschafts- und Ernährungspolitik, im Bauwesen und beim Städtebau, in der Verkehrspolitik, im Etat der Frau Süssmuth. Notwendig sind Schritte zur konventionellen Abrüstung in der Bundesrepublik. Notwendig ist ein Existenzsicherungsprogramm für alle, die unter das fallen, was „Neue soziale Armut" heißt. Notwendig ist eine Umstellung der Forschungspolitik. Notwendig ist, daß die öffentliche Hand ihre Möglichkeiten wahrnimmt, um in der Beschäftigungspolitik Initiativen setzen zu können.Das ist die Grundrichtung von Politik, um die es gehen muß, nicht die Grundrichtung, die Sie hier vorgeschlagen haben.Sie werden uns ins Desaster führen. Das Desaster ist programmiert. Deshalb kommt es darauf an, daß wir die Weichen in eine ganz andere Richtung stellen können. Das sind die Alternativen, um die es in der Debatte in den nächsten Wochen gehen wird.Ihr Konzept ist perspektivlos und weist in eine Zukunft, die wir nicht wollen.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Weng .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat mit einer beeindruckenden Einbringungsrede dem Parlament den Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 1988 übergeben und damit das weitere Verfahren in die Hände des Parlamentsund zunächst, nach der zu erwartenden Überweisung, in die Hände des Haushaltsausschusses gelegt.Einige Stichworte mögen verdeutlichen, welch konsequenter Unterschied im Haushaltsverfahren und Haushaltsgebaren seit 1982 Eingang gefunden hat.Erstens frühzeitige Vorlagen durch die Regierung, um hierdurch uns, dem Parlament, die erforderliche Beratungszeit derart einzuräumen, daß der Haushalt vor Beginn des Haushaltsjahres Gesetzeskraft erlangen kann.
Zweitens Offenlegung der Ansätze wie auch der Risiken, und Bereitschaft, im Lauf des Verfahrens notwendige Änderungen auch politisch aufzugreifen und durchzusetzen — was nicht immer einfach ist, wie wir aus den vergangenen Jahren wissen.Drittens restriktive, d. h. eben sparsame Haushaltsführung in Ansätzen, die für das kommende Jahr nur eine Erhöhung um 2,4 %, auf das Soll des Vorjahres bezogen, bedeuten.Ich weiß nicht, ob die Opposition — hier insbesondere die SPD — im vergangenen Jahr gut beraten war, die Arbeit des Haushaltsausschusses pauschal als quasi ergebnislos, als quasi unsinnig zu bezeichnen; denn sie stellt damit ja ihre eigene Arbeit im Ausschuß ebenso in Frage wie die der Kollegen der Koalition. Es spielen — ich meine, das muß auch deutlich gemacht werden — ja nicht nur die tatsächlichen Veränderungen der Vorlage durch den Ausschuß, durch das Parlament eine Rolle, sondern es spielt auch die politische Grundhaltung der Parlamentsmehrheit eine Rolle, die wir artikulieren; denn diese Grundhaltung versetzt den Finanzminister in die Lage, in den Spitzengesprächen mit den ja immer ausgabefreudigen Fachministern konsequent zu bleiben.Ich halte es auch nicht für besonders nützlich, wenn an den Dingen massiv herumkritisiert wird, die bei einem derart geordneten Verfahren zwangsläufig sind. Wenn die Regierung in der ersten Jahreshälfte einen Haushaltsentwurf erstellt, dessen Einnahme- und Ausgabeseite auf vielen Unwägbarkeiten und Schätzungen beruhen, dann ist es zwangsläufig, daß auf Grund der in der zweiten Jahreshälfte bekanntwerdenden Änderungen noch Korrekturen erfolgen müssen.
Das hat, Herr Kollege Apel, überhaupt nichts mit mangelnder Wahrheit zu tun.Wenn ich bei Ihnen bin, Herr Kollege Apel: Sie haben in Ihrer Rede mit dem Hinweis darauf, die FDP habe doch alles mitgemacht, erneut versucht, sich aus der eigenen Verantwortung zu stehlen.
Die FDP hat zu keinem Zeitpunkt die gemeinsame Politik in Frage gestellt, sich distanziert. Sie hat aber im richtigen Moment erkannt, wo die Fehler lagen, und hat eine entsprechende politische Wende herbeigeführt. Das unterscheidet uns ja in vielen Politikbe-
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reichen von Ihnen, die Sie auf alten Fehlern beharren, die Sie diese alten Fehler fortsetzen.
Man muß sich — ich komme auf die Haushaltsgegebenheiten zurück — eben vorstellen — erlauben Sie mir einen Vergleich aus meinem Apothekerberuf —, daß auf einer Balkenwaage auf beiden Schalen eine Vielzahl unterschiedlicher Gewichte liegt und daß sich diese Waage im Gleichgewicht befindet. Zunahme oder Wegnahme eines Gewichts auf einer Seite zieht automatisch Änderungen auf der anderen Seite nach sich.Daß im laufenden Haushalt Spielräume noch enger werden als in den vergangenen, ist doch unser politischer Wille; denn parallel zu der niedrigen Steigerungsrate von nur 2,4 % haben wir zusätzliche Steuererleichterungen beschlossen, die allein 1988 rund 15 Milliarden DM Entlastung für die Bürger bedeuten, 15 Milliarden DM, die nur ein weiterer Teil des geplanten Gesamtvolumens von 50 Milliarden DM sind, die wir durch Senkung der Steuern bei unseren Bürgern belassen wollen. Es ist unser Wunsch— ich sage das auch im Vorausblick auf die geplante Steuerreform — , daß möglichst viel Geld beim Bürger bleibt, daß der Staatsanteil Zug um Zug gesenkt wird.Das ist natürlich die Angelegenheit der Kollegen der CDU/CSU und der FDP. Die Aufgabe der Abgeordneten der Koalition ist eine doppelte und damit nicht leichter: Wir können von der Opposition — deren Sprecher haben das ja heute vormittag verdeutlicht — keinerlei konstruktive Beiträge für unsere Arbeit erwarten, sondern nur Kritik um der Kritik willen.
Das, was Sie, Herr Kollege Kleinert, gerade dargelegt haben, war ja ein Gesamtabriß alles Wünschenswerten innerhalb von zwei Minuten.
Sicher eine besondere Meisterleistung hinsichtlich der Geschwindigkeit, aber natürlich keine realistischen Ansätze politischer Handlungsfähigkeit.Einerseits tragen wir die von uns gewünschte Haushaltspolitik der Regierung im Grundsatz, verteidigen also deren Entwurf. Wir wollen ihn aber trotzdem verbessern und auch konstruktiv-kritische Anmerkungen zur Regierungspolitik machen.Meine Damen und Herren, da ja fast alle Mitglieder der Regierung auch Abgeordnete dieses Hauses sind, gehe ich davon aus, daß die zahlreichen Minister, die heute und an den kommenden Tagen das Wort ergreifen werden, uns genau in diesem Ziel unterstützen werden, denn das Haushaltsrecht ist das Königsrecht des Parlaments, und auch diese Debatte in erster Lesung soll an sich eine Parlamentsdebatte und kein Vorstellungswettbewerb des Bundeskabinetts und wahlkämpfender Bundesratsmitglieder sein.
Kritische Anmerkungen zu dem Kabinettsbeschluß zum Haushalt 1988 betreffen auch die Parlamentarier selbst, denn wir haben die ausgabewirksamen Beschlüsse für das laufende Jahr und im vergangenen Jahr abgesegnet; sie müssen jetzt haushaltsmäßig ihren Niederschlag finden. Aber der Gesamtzusammenhang einzelner Beschlüsse und Gesetze muß eben vom Finanzminister erkannt und verantwortet werden. Die Mark kann nur einmal ausgegeben werden. Freie Spielräume sind bei nach wie vor zu hoher Nettoneuverschuldung nicht gegeben.Wir gehen deshalb mit dem Ziel in die Beratung, die Verschuldung abzusenken. Diesmal wird es ganz besonders schwer werden. Ich sage dies auch mit Blick auf den Verhandlungszeitraum und den Zeitpunkt der abschließenden Beratung hier im Hause. Wir haben im letzten Jahr gesehen, daß wir vor der zweiten und dritten Beratung noch einmal mit neuen Zahlen konfrontiert worden sind. Wir haben diesen Zahlen in Kenntnis all der Schwierigkeiten, die uns daraus in der öffentlichen Debatte entstehen könnten, Rechnung getragen.
Dennoch — das sage ich Ihnen, lieber Kollege von der SPD mit Ihrem Zwischenruf — , natürlich ist uns auch bewußt, daß es bei einer großen Zahl von Bürgern als wesentlich angenehmer empfunden wird, wenn man aus öffentlichen Haushalten in irgendeiner Weise bedient wird, statt durch Einsparungen nachteilig betroffen zu sein.Es wird also diesmal ganz besonders schwer werden, denn die Tatsache, daß das Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr bei nur ca. 1,8 % landen wird — ohne mich mit dieser Zahl abschließend festlegen zu können — sorgt natürlich auch im kommenden Jahr im Vergleich zur mittelfristigen Finanzplanung für Mindereinnahmen. Daß aber der Kurs richtig ist, zeigt sowohl die nach wie vor klare Unterstützung der unabhängigen Bundesbank, als auch die ständige Verbesserung der Situation auf dem Arbeitsmarkt, die anhaltende Vermehrung der Zahl der Arbeitsplätze seit 1983. Dies ist durch unsere Haushaltspolitik wesentlich mitverursacht.
Die Struktur des Haushalts ist allerdings etwas weniger befriedigend als in den vergangenen Jahren, denn der Investitionsanteil geht zurück, Subventionen steigen an. Wenn auch einiges hiervon durch frühere gesetzliche Verpflichtungen entsteht, anderes durch den von uns nicht zu beeinflussenden Kursrückgang des US-Dollars in der Vergangenheit — Gott sei Dank hat er sich jetzt stabilisiert, unter anderem auch durch Engagement unserer Regierung; das sollte an der Stelle auch gesagt werden — , so hat es doch auf der anderen Seite auch Gefälligkeiten der Bundesregierung gegeben, die aus heutiger Sicht die Strukturprobleme verschärfen.Es muß als weiteres gesagt werden, daß der Abschluß der Tarifpartner im öffentlichen Dienst deutlich über der Steigerungsrate des Gesamthaushalts liegt und damit natürlich auch zu einer Verschiebung innerhalb der großen Ausgabenblöcke beiträgt. Ich wünsche mir unbedingt, daß die öffentlich Bedienste-
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ten eine im Vergleich zu anderen Berufsgruppen angemessene und leistungsgerechte Bezahlung erwarten dürfen, und sie müssen auch angemessene Aufstiegschancen behalten — dies in Kenntnis unserer Restriktionen der vergangenen Jahre — , aber gerade bei restriktiver Haushaltsführung kann das nur die Konsequenz haben, daß die Zahl der öffentlich Bediensteten verringert wird. Hier wäre uns ein Ansatz für Stellenreduzierungen im Regierungsentwurf 1988 und nicht nur in der weiteren Planung liebgewesen.
Hierbei wäre — ich sage dies, ohne daß es des Zurufs von der SPD bedurfte — auch Selbstdisziplin der Regierung wünschenswert, denn die Spitze dieses Eisbergs bei der Schaffung neuer Personalstellen ist die Regierungsforderung nach zwei neuen beamteten Staatssekretären, über die wir im Haushaltsausschuß noch werden beraten müssen.
Eines muß klar sein: Wenn der Regierungswechsel von 1969 — da kann man der jeweiligen Schuldzuweisung ja ein wenig vorbeugen — eine Ausweitung der Zahl aller Staatssekretäre um 25 % nach sich zog, so mußte nicht zwangsläufig die jetzige Koalition nochmals um 20 % aufstocken. Und bei aller Ehrfurcht vor der Organisationsgewalt der Bundesregierung sage ich: Irgendwo muß auch einmal Schluß sein.
Noch ein weiteres Wort zu dem Ausgabenkomplex Personalkosten. Bei allem Verständnis für die Wünsche aus dem Innenministerium, meine Damen und Herren, dann, wenn wir den 1982 begonnenen Kurs jetzt total ändern wollten, indem wir den haushaltsmäßig nicht abgesicherten Strukturbericht des Innenministers umsetzen, wäre damit der Weg soliden Haushaltens verlassen.In den Bereich kritischer Anmerkungen gehört auch der Stand der Privatisierung, denn andere Länder wie England oder Frankreich machen uns ja vor, wie konsequent man hier verfahren kann. Natürlich ist es mir auch recht, daß, wie ich gesehen habe, gerade die GRÜNEN unserer politischen Zielgebung hier besonders vehement Paroli zu bieten versuchen. Das macht der Öffentlichkeit eben deutlich, wo welche politischen Vorstellungen sind: dort Marsch in die Staatswirtschaft, bei uns mehr Vertrauen auf den Bürger,
mehr Rückgabe von wirtschaftlichen Möglichkeiten an die Bürger.
Hatte die Bundesregierung nach der Wende in allen Regierungserklärungen das Ziel Privatisierung ausdrücklich artikuliert, so bleibt das Ergebnis doch sehr deutlich hinter den Erwartungen zurück. Das groß angekündigte Gesamtkonzept betraf nach seiner Verabschiedung nur einen sehr bescheidenen Teil vonBeteiligungen und Dienstleistungen der öffentlichen Hand, und selbst diese wenigen Projekte kommen aus unterschiedlichen Gründen nur sehr zögerlich voran.Die versprochenen Privatisierungen hängen offensichtlich genau an der Bürokratie fest, die — vielleicht sind in den jeweiligen Ministerien Sozialdemokraten dabei —
unserem erklärten politischen Ziel von Anfang an hinhaltenden Widerstand entgegengesetzt hat.
Meine Damen und Herren, sei es wegen des Börsenkurses, sei es, weil betriebliche Untersuchungen urplötzlich andere Zustände ergaben, als sonst über irgendeinen Betrieb immer geäußert worden war, es rührt sich in diesem ordnungspolitisch so wichtigen Bereich fast nichts mehr.Während wir z. B. nach wie vor die Auffassung vertreten, daß zumindest eine Verringerung des Anteils der öffentlichen Hände an der Lufthansa sinnvoll und vertretbar ist, sollen jetzt weitere öffentliche Körperschaften beteiligt werden. Und daß in diesem Zusammenhang — auch wenn ich hier mit Franz Josef Strauß überraschenderweise einmal einer Meinung war, nämlich in der Angelegenheit der Hilton-Hotels; Herr Kollege Glos, auch Sie haben es sicher in der Zeitung gelesen — der Versuch der Geschäftsführung der deutschen Lufthansa, sich zu einem Mischkonzern zu entwickeln, ein Schlag ins Gesicht unseres politischen Willens ist, bleibt trauriges Fazit.Der Vorstand der Deutschen Lufthansa muß sich fragen lassen, warum er nicht in vernünftiger Kooperation mit Hoteleignern — auch unter Einbeziehung mittelständischer Unternehmen — seinen Angebotsbedarf decken kann, sondern versucht hat, mit Milliardenaufwand eine Hotelkette zu erwerben.
Daß dieser Versuch gescheitert ist, lag ja nun nicht an der Deutschen Lufthansa, sondern am schnellen Zugriff eines anderen Anbieters.
— Ja, da ist der Herr Ruhnau zu kurz gesprungen. — Meine Damen und Herren, ist es denn wirklich wünschenswert, daß letztendlich der deutsche Steuerzahler das Risiko der Ausbuchung von Hotels in aller Welt trägt? Das kann nicht sein!Herr Finanzminister, Sie werden entsprechend der Bundeshaushaltsordnung in diesem Jahr stärker gefordert sein als seither, über den Fortbestand der Notwendigkeit öffentlicher Beteiligungen zu berichten, denn bei einer ganzen Zahl solcher Bundesbeteiligungen glauben wir nicht, daß es hoheitliche oder sonstige unabweisbare Gründe für den Besitz des Bundes gibt. Hier wird in der 11. Wahlperiode wieder neuer Schwung erwartet.Anläßlich dieser Haushaltsdebatte muß das Parlament seinen Blick auch auf die längerfristigen Aufga-
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ben und Zielsetzungen richten, bei denen die Bundesregierung im Sinne politischer Führung Prioritäten setzen sollte. Ich meine z. B. den Bereich der Luft- und Raumfahrt. Wir werden in künftigen Haushalten nicht all die Projekte finanzieren können, die im Augenblick in Definition oder Entwicklung sind. Wir wissen auch, daß in diesen Bereichen viel Geld ausgegeben werden kann, egal, ob es Raketen, Weltraumstationen und Raumgleiter im Forschungsbereich, ob es Jäger 90 und Panzerabwehrhubschrauber im Verteidigungsressort oder der Airbus beim Bundeswirtschaftsminister sind.Es wird nicht alles gehen, und Entscheidungen sind gefordert. Unsere Fraktion wird sich diesen Entscheidungen stellen. Die Regierung sollte das gleiche tun.Ich will allerdings beim Airbus einschränkend darauf hinweisen, daß hier nach unserer Überzeugung die Komplettierung der Flugzeugfamilie erforderlich ist. Kurz-, Mittel- und Langstreckenflugzeug müssen angeboten werden können. Wir müssen aber — und das sage ich im Blick auch auf die Berichterstattergespräche — sehr sorgfältig prüfen, ob der hohe Subventionsbedarf nicht auch durch innerbetriebliche Einsparungsmaßnahmen verringert werden kann. Es darf auch nicht durch ein einziges Projekt jede andere Förderungsmöglichkeit bei der zivilen Luftfahrt ausgeschlossen werden.Ich habe kürzlich mit Blick auf Luft- und Raumfahrt scherzhaft gesagt: Das ganze Geflügel frißt uns Haushältern die Haare vom Kopf. Der Hintergrund ist ernst genug.
— Es haben alle gelacht, die dabei waren; das ist richtig. Das waren vielleicht Leute, die etwas mehr Humor hatten als Sie gerade, Herr Kollege; aber das soll es ja geben.
Meine Damen und Herren, eine Erwähnung zur geplanten großen Steuerreform darf in einer Haushaltsrede nicht fehlen, nicht zuletzt deshalb, weil die Opposition und hier insbesondere die Sprecher der SPD während der Sommerpause eine ganz üble Kampagne gefahren sind. Ich hoffe, daß sich der baden-württembergische Kollege Spöri den Artikel in der „Zeit" vom 24. Juli sehr genau durchgelesen hat, in dem Gerd Bucerius unter der Überschrift „Steuern und Redlichkeit" mit seinen Verhaltensweisen hart aber korrekt ins Gericht ging.
Wie unsauber die Diskussion von der SPD geführt wird, wird ja schon daran deutlich, daß man nicht das große Entlastungsvolumen begrüßt, sondern an den noch offenen, aber nach Aussage des Finanzministers bis Oktober zu klärenden Fragen der Finanzierung eines Teilbetrags herummäkelt.
Wer das geplante Entlastungsvolumen von 25 Milliarden DM, wer die Senkung des Eingangssteuersatzes, wer die Erhöhung von Grundfreibeträgen und von Kinderfreibeträgen verschweigt, ist nicht aufrichtig. Daß durch den Wegfall der überzogenen Progression im Bereich mittlerer Einkommen eine durchgreifende Strukturverbesserung geplant ist, paßt natürlich nicht in das Konzept von Miesmachern.
— Die Miesmacher haben sich sofort gemeldet. Es gibt, meine Damen und Herren, einen alten Volksspruch, der heißt: Getroffener Hund bellt. Wir haben das erleben dürfen, auch wenn es ein sehr müdes Bellen gewesen ist.
Die große Steuerreform ist ein notwendiges und wichtiges Vorhaben dieser Wahlperiode. Das Datum der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Bremen am kommenden Sonntag verdeutlicht, warum bei der Opposition nicht Sachlichkeit, sondern Polemik stattfindet.
— Wahrscheinlich können Sie einer ruhigen Rede einfach nicht ruhig zuhören. Sie müssen wohl Schreihälse hier vorne stehen haben, um dem überhaupt folgen zu können. Es geht hier um Worte, die gesprochen, nicht um Worte, die geschrieen werden, Frau Collega. Hier findet von Ihrer Seite Polemik statt in der Überzeugung, es handle sich hier um Wahlspeck für diese Landtagswahlen.Meine Damen und Herren, ich bin sicher, die Bürger der genannten Bundesländer werden dies durchschauen.
Meine Damen und Herren Kollegen, der Haushaltsausschuß wird sich nach der Debatte dieser Woche des Entwurfs der Regierung annehmen.
Ich bin mir der weiteren kollegialen Zusammenarbeit in der Koalition sicher; denn, lieber Kollege Carstens, wir, die Koalitionsabgeordneten des Haushaltsausschusses tragen zunächst einmal die Verantwortung dafür, daß unsere Mehrheit im Deutschen Bundestag einen richtigen und notwendigen Kurs in der Haushaltspolitik fortführt.Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Präsidenten des Senats der Freien Hansestadt Bremen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit bei den Beratungen, die Sie nun in den Ausschüssen haben werden, gern
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Präsident des Senats Wedemeier
auf die Lage strukturschwacher Länder und Gemeinden lenken.Der Haushaltsplan 1988 und leider auch die mittelfristige Finanzplanung zeigen nicht auf, daß es verstärkte Anstrengungen der Bundesregierung gegen regionale Entwicklungsunterschiede geben wird. Ganz im Gegenteil, die Ausgaben für regionale Wirtschaftsförderung werden zusammengestrichen, die Ausgaben für die Mittelstandsförderung sollen halbiert werden, und die Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik sollen ebenfalls verringert werden.
Erforderlich wäre es aber, in den Bereichen Regional- und Arbeitsmarktpolitik finanzielle Mittel zur Bekämpfung der regionalen Disparitäten und der Beschäftigungskrise einzusetzen.
Den wirtschaftsschwachen Regionen und den von der Beschäftigungskrise besonders betroffenen Menschen muß schnell und wirksam geholfen werden, und zwar nicht durch Zwischenrufe, sondern durch Taten, Herr Abgeordneter.
Regionalpolitische Anstrengungen sind besonders angesichts der Tatsache, daß sich das Süd-Nord-Gefälle zur Krise entwickeln könnte, dringend erforderlich. Wir haben ein ausgeprägtes Süd-Nord-Gefälle. Es besteht in der Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungskraft, der Beschäftigung.
Das Volkseinkommen ist also sehr unterschiedlich, auch die Arbeitslosenquote. Im Süden haben wir 6,3 % Arbeitslose, im Norden 11,8 %.
— In Bremen haben wir 15,5 % Arbeitslose. Das ist richtig.
Sie haben, Herr Carstens, nach den Gründen der Arbeitslosenzahl in Bremen gefragt. Ich will Ihnen einige nennen, die auch für die Küste zutreffen. Sollten Sie von Cloppenburg aus mal in Richtung Küste fahren und durch Ostfriesland kommen, werden Sie Arbeitslosenquoten von über 20 % im Lande Niedersachsen feststellen. Insofern haben wir ein gemeinsames Problem an der Küste, das Sie nicht auf Bremen oder Niedersachsen reduzieren können.Wir haben in den letzten 12 Jahren sehr viele Arbeitsplätze in der Werftindustrie verloren. Warum, müssen wir hier nicht weiter diskutieren: verringerte Weltnachfrage, Subventionen. Internationale Konkurrenz! „In Korea ist alles billiger", stimmt einfach nicht, sondern da wird natürlich staatlich subventioniert. Sonst könnten die gar nicht so billig sein.
Hier haben wir in den letzten 12 Jahren über 40 000 Arbeitsplätze verloren.
— Wenn Sie nicht einmal Zahlen zur Kenntnis nehmen wollen, die vom Minister veröffentlicht worden sind, brauchen wir mit Ihnen über die Werftindustrie nicht weiter zu reden.
Das sind übrigens Zahlen, die auch mein Kollege Albrecht aus Niedersachsen und Herr Barschel aus Schleswig-Holstein veröffentlicht haben. Das sind Fakten. Daran können Sie nicht vorbei.Wir haben eine erhebliche Zahl Arbeitsplätze in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie und in der Fischwirtschaft verloren. Nicht wegen des neuesten Skandals, sondern wegen der Umstrukturierungen der vergangenen Jahre sind Tausende von Arbeitsplätzen verlorengegangen.
Auch in der Tabak- und der Kaffeeindustrie sind in Norddeutschland, insbesondere in Bremen, Arbeitsplätze verlorengegangen, bedingt auch in der Stahlindustrie.Also, meine Damen und Herren, es gibt Grund genug, regionalpolitische Anstrengungen zu unternehmen.
Was tut ihr denn? Ich frage zurück: Wann gebt ihr uns endlich die Mittel dafür, daß wir etwas tun können?
Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen: In Bayern und Baden-Württemberg sind pro Einwohner 1985 71 DM für Sozialhilfe gezahlt worden, in den norddeutschen Ländern 169 DM. Wenn man die Ballungszentren betrachtet — ich nehme Bremen einmal heraus — , sind es sogar 351 DM pro Einwohner an Sozialhilfe. Das sind 500 Millionen DM mehr, die in Norddeutschland gemessen am Bundesdurchschnitt an Sozialhilfe gezahlt werden. Das muß jedem zu denken geben.Es gibt eine Lösung dafür: Das ist der Sozialhilfeausgleich. Wir werden sonst nie jene Mittel in die Hand bekommen, die wir brauchen, um durch Investitionen in diesen strukturschwachen Regionen oder in den betroffenen Gemeinden etwas gegen Arbeitslosigkeit tun zu können.
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1496 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Präsident des Senats Wedemeier
— Auch dazu kann ich etwas sagen.
— Wenn ich mit meinen Ausführungen fertig bin, bin ich gern bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen. Ich möchte aber meine Redezeit ausnutzen.Ich darf Ihnen einen Vorschlag von Frau Breuel unterbreiten, den ich unterstütze — sie hat die Lage mancher Regionen in Norddeutschland selbstverständlich erkannt — : Der Bund übernimmt die Sozialhilfelasten und erhält zum Ausgleich einen entsprechend höheren Anteil am Umsatzsteueraufkommen. Das ist dann eine Umverteilung innerhalb der Länder. Ich denke, daß das ein Vorschlag ist, dem man nähertreten muß, weil wir sonst die Lebensbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr ausgleichen können. Und dazu sind Sie nach dem Grundgesetz verpflichtet.
Herr Senatspräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Am Schluß, jetzt nicht.
Am Schluß eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja. Ich möchte meine Redezeit ausnutzen.Meine Damen und Herren, die wirtschaftsschwachen Regionen geraten immer mehr in die Krise, und sie müssen einen erheblichen Beitrag zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit leisten. Das hindert sie, ihre eigentliche Aufgabe wahrzunehmen. Ich bitte Sie, in den Beratungen darüber nachzudenken, wie diese Regionen aus diesem Teufelskreis herauskommen.Es kommt hinzu — das will ich nur anmerken — , daß der Bund uns, den finanzschwachen Gemeinden, den finanzschwachen Regionen, über seine Steuerpläne die Einnahmen entzieht, die wir brauchen, um mehr für die Beschäftigung tun zu können. Es hat keine Logik, Herr Bundesfinanzminister, auf der einen Seite über Ihre Steuerpläne die Einnahmen zu verringern, auf der anderen Seite die Soziallasten steigen zu lassen, weil die Wirkung nämlich fehlen wird, und die investiven Ausgaben zu verhindern, die wir eigentlich tätigen müßten, um tatsächlich etwas gegen die Arbeitslosigkeit zu tun. Es kann doch nicht das Ziel der Bundesregierung sein, durch die Steuerreform zum Ausbluten finanzschwacher Regionen beizutragen.
Das ist aber der Fall.
Daß auch andere, auch CDU-regierte Länder — ich darf auf Ihr Land zurückkommen, Herr Carstens — diese Meinung vertreten, will ich an einem Fall deutlich machen. Der niedersächsische Ministerpräsident hat zusammen mit seiner Finanzministerin einen Haushalt vorgelegt, der Ihre ganzen Steuerpläne schlicht ignoriert.
Die kümmern sich gar nicht mehr darum.
— Es stimmt. Die Steuerpläne werden in Niedersachsen ignoriert. Herr Albrecht hat bis jetzt gesagt — man weiß immer nicht, wie so etwas ausgeht, wenn es zur Abstimmung kommt — , er mache das nicht mit. Das könnten z. B. die norddeutschen Länder nicht verkraften. Es gibt dazu übrigens auch einen Beschluß des Bundesrates. Da ist der Herr Finanzminister gebeten worden, den norddeutschen Ländern einen Ausgleich dafür zu geben.Daß schon ein Oberbürgermeister wie Herr Rommel in einer Stadt, die schon klagt, wenn er 100 oder 200 Millionen DM Kredite aufnehmen muß, diese Steuerpläne als unsozial bezeichnet, müßte Ihnen wenigstens zu denken geben, wenn Sozialdemokraten Sie schon nicht überzeugen können.
Ich will Ihnen das am Beispiel Bremens deutlich machen. Wir, Land und Gemeinde, verlieren pro Jahr durch diese Steuerreform ca. 187 Millionen DM. Die Bundesregierung nimmt uns mit diesen Steuerplänen das Wenige, das sie uns beim Länderfinanzausgleich zugesteht. Sie nimmt uns sogar mehr. Und das soll die gerechte Behandlung einer benachteiligten Region sein?. Nun sagt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss — die FDP sagt es im Bremer Wahlkampf; wenn ich das kurz ansprechen darf — : Ihr sollt ja weniger Geld haben; ihr sollt weniger ausgeben; ihr müßt das Geld durch Ausgabenkürzungen wieder einsammeln, das wir euch gerade über die Steuerpläne weggenommen haben.Meine Damen und Herren, das mag ja in manchen Kommunen, in manchen Großstädten in der Bundesrepublik gehen. Aber es gibt Großstädte, und es gibt Regionen und Kommunen, da geht das nicht mehr. Die haben ausgereizte Haushalte. Da geht es gegen die Kleinen, wie das heute morgen gesagt worden ist, gegen Sozialhilfeempfänger und viele andere. Gegen Menschen in Not setzen Sie Ihre Steuerpläne durch. Das ist das Problem.
Wir haben unsere Ausgaben von 1980 bis 1983 erheblich verringert, auch die Personalausgaben.
Die Gesamtausgaben haben wir in Bremen nur um 13 % gesteigert, im Durchschnitt sind sie um 19 % gestiegen. Ähnlich ist es bei den Personalausgaben. In den letzten vier Jahren haben wir nur 5 % Zuwachs gehabt, insgesamt waren es 10 % Zuwachs.Bei den Investitionen mußten wir die Ausgaben um 42 % senken. Sie sind im Durchschnitt nur um 7 zurückgegangen.Sagen Sie mir bitte, wo wir denn noch kürzen können! Ich bitte Sie sehr: Sagen Sie das dann auch deut-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1497
Präsident des Senats Wedemeier
lich noch bis zum Sonntag! Denn Sie verschweigen die Wahrheiten ja sowieso.
Meine Damen und Herren, strukturschwache Regionen können diese gigantischen Steuerausfälle nicht finanzieren.
— Lachen macht auch Spaß. Ich gönne ihnen das. So viele sind es hier nicht mehr. Dann lassen Sie ihnen doch wenigstens ihre Freude, daß sie noch ein bißchen zu lachen haben.Aber das Thema — Sie haben recht — ist eigentlich zu ernst, als daß man darüber lachen kann, daß eben gerade die Rentner und Sozialhilfeempfänger, die über die Mehrwertsteuer den Haushalt mitfinanzieren— natürlich zahlen die Steuern, nämlich Verbrauchsteuern — , die Tatsache bezahlen müssen, daß Sie Reiche reicher machen wollen. Das ist doch das Problem.
Meine Damen und Herren, die finanzwirtschaftliche Schieflage zwischen armen und reichen Regionen wird in eine Finanzkatastrophe umkippen. Das meint übrigens auch Frau Breuel. Ich darf sie noch einmal zitieren.
Sie merken, es entwickelt sich in Norddeutschland eine Gemeinsamkeit, wenn es darum geht, daß Strukturen verbessert werden müssen. Herr Stoltenberg ärgert sich schon länger darüber.
— Ich möchte — das habe ich eben schon einmal gesagt — zunächst einmal zum Ende kommen, weil ich weiß, daß Sie Ihr Mittagessen schon bestellt haben.Dazu meint Frau Breuel, dies sei „politisch unverantwortbar" . Jetzt zitiere ich sie einmal wörtlich— dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen — :Wer da geglaubt hat, der Bund werde sich als ehrlicher Makler zwischen den finanzschwachen und finanzstarken Ländern betätigen, sieht sich durch den Gesetzesentwurf des Bundes zur Neuregelung des Länderfinanzausgleichs enttäuscht.Frau Breuel, CDU, Niedersachsen.
Herr Bundesminister Stoltenberg, Sie müßten die Lage der krisenbedrohten Gemeinden aus Ihrer Zeit als Ministerpräsident eines norddeutschen Landes eigentlich noch kennen. Sie kennen auch die Lage der norddeutschen Länder. Von Ihnen erwarten wir— auch im Interesse des Föderalismus —, daß die Finanz- und Steuerpolitik des Bundes dafür Sorge trägt,daß die norddeutschen Länder und mit den norddeutschen Ländern auch die Menschen in diesen Ländern noch eine Zukunft haben. Föderalismus heißt auch die Existenz der Stadtstaaten sichern.
Ich verweise einmal auf das entsprechende Bundesverfassungsgerichtsurteil. Darin sind die Stadtstaaten als „zum historischen Bestand der Bundesrepublik Deutschland gehörig" bezeichnet worden. Nach dem Bundesverfassungsgericht sind sie „Wunschkinder der Verfassung". Ihre strukturelle Eigenart als Hafenstadt, als Großstadt, als Hauptstadt ohne Umland muß berücksichtigt werden. Wenn man die Stadtstaaten lebensfähig halten will, dann muß man das Urteil befolgen. Will man aber die Stadtstaaten nicht mehr lebensfähig halten, dann, denke ich, sollte man dies auch offen sagen, ansonsten aber das Urteil des Bundesverfassungsgerichts einhalten.Nun will ich Ihnen noch einen Grund für die Verschuldung des Landes Bremen nennen. Wir beschäftigen in Bremen hunderttausend Niedersachsen, die ihre Steuern in Niedersachsen bezahlen. Wir begrüßen diese hunderttausend jeden Morgen sehr gern. Wir sind nämlich unter anderem auch auf sie angewiesen; völlig klar. Aber sie zahlen ihre Steuern in Niedersachsen. 30 % unserer Krankenhausbetten werden von Niedersachsen belegt. Wir müssen die Investitionen aber allein bezahlen. Wenn wir für die Werften — um noch einmal auf die Arbeitsplätze zurückzukommen — 300 Millionen DM ausgeben, geben wir 100 Millionen DM für niedersächsische Arbeitnehmer und deren Familien aus. 32 % der Studierenden an der Bremer Universität kommen aus Niedersachsen. Sie schicken sogar ihre Kinder zu uns in die Schule. Die werden bei der Oma angemeldet, damit sie in Bremen in die Schule gehen können. Es sind 2 400 in den allgemeinbildenden Schulen und 6 300 in der Berufsschule.
Das alles müssen wir mit Steuergeldern von 650 000 Menschen in Bremen bezahlen. Da muß eigentlich auch Ihnen einsichtig sein, daß hier etwas geändert werden muß. Ich bitte, uns da zu unterstützen, wenn Sie über den Länderfinanzausgleich diskutieren. Das Stadtstaatenurteil darf nicht zu einem Antistadtstaatenurteil umfunktioniert werden.
Das gilt im übrigen auch für die Hafenlasten. Da hat das Bundesverfassungsgericht — da ist jetzt ein fast wörtliches Zitat — gesagt: Die Häfen in Hamburg und Bremen sind Unternehmungen aller Länder und müssen deshalb auch von diesen finanziert werden. — Wir sind gefragt worden und mußten nachweisen, wieviel wir pro Jahr für die Häfen zahlen. Wir haben 200 Millionen DM nachgewiesen, und jetzt stehen im Entwurf der Bundesregierung plötzlich 75 Millionen DM. In der Begründung steht — wir bekommen bisher 25 Millionen DM — , man habe das mal drei genommen. Mit dem kleinen Einmaleins kann man den Hä-
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Präsident des Senats Wedemeier
fen in Bremen und Hamburg aber nicht helfen, sondern dafür sind wirkliche Hilfen erforderlich.
— Selbstverständlich würden wir auch die 75 Millionen DM nehmen — das ist doch logisch — , aber wenn ein Bundesverfassungsgerichtsurteil an diesem Punkt klare Sätze formuliert, dann frage ich mich, wie Sie eigentlich dazu kommen, das zu mißachten und den Häfen in Bremen und Hamburg einfach eine Summe anzubieten, die Sie mal drei genommen haben, ohne zu begründen, warum eigentlich. Das ist auch nach dem Urteil keine Begründung. Der Bundesrat hat das doch schon auf 90 Millionen DM korrigiert; die CDU-regierten Länder haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung korrigiert.Ein letztes, meine Damen und Herren, zum Schiffbau: Hier ist der Baukostenzuschuß von 12,5 %, der bisher den deutschen Reedern zur Verfügung stand, gestrichen und in eine Wettbewerbshilfe umgewandelt worden. Wir, also die Schiffbauer in Bremerhaven, Hamburg, Kiel und anderswo, bekommen jetzt 20 % auch für Exportaufträge. Wir sind in der Tat dafür dankbar, daß dies möglich war. Allerdings verstehen wir nicht, daß die Länder hier mitfinanzieren müssen. Ich muß einmal darauf aufmerksam machen, daß 50 % eines Schiffbauauftrags aus Zulieferungen aus anderen bundesdeutschen Ländern besteht. Er fragt, warum wir so viele Schulden haben. Wir müssen also mit der Hälfte der 80 Millionen DM, also mit 40 Millionen DM, auch Arbeitsplätze in anderen Regionen in der Bundesrepublik sichern. Das kann doch nicht die Aufgabe des Stadtstaates Bremen sein, es ist doch Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, daß Arbeitsplätze gesichert werden.
Da waren wir norddeutschen Ministerpräsidenten, alle vier, Herr Bundesfinanzminister, auch einer Meinung, bis Sie einen Tag vor der entscheidenden Sitzung den Schleswig-Holsteinischen Ministerpräsidenten, um mal in der Schiffbauersprache zu bleiben, geradezu umgenietet haben. Sie haben öffentlich erklärt: Schleswig-Holstein finanziert mit. Ihr Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein wußte nichts davon, er hat das aus der Zeitung erfahren,
und natürlich haben die das dann auch mitmachen müssen. Die ganze Landesregierung hat es natürlich aus der Zeitung erfahren, das sie mitfinanzieren mußte, obwohl wir uns einig waren, daß dies eine Aufgabe des Bundes ist.
Ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen für die Kritik, die ich hier vorbringe, auch CDU-Zeugen aus Norddeutschland bringen zu können, weil ich mir schon gedacht habe, daß es allein mit SPD-Zeugen nicht getan ist.Jetzt sage ich Ihnen noch etwas zur Vergabepolitik des Bundes. Man kann den strukturschwachen Regionen nicht nur über Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik, sondern auch über die Vergabepolitik helfen. Hierzu sagt der Wirtschaftsminister des Landes Niedersachsen in der letzten Ausgabe der „Wirtschaftswoche" folgendes. Er spricht von Strukturverschiebungen, die nicht mehr akzeptabel sind. Ich will nur einen Satz von ihm zitieren: „Der Bund sollte die Region" — er meint Norddeutschland — „besser im Blick haben und nicht länger den Norden benachteiligen." Ich will dem nichts mehr hinzufügen. Es ist übrigens ein FDP-Mann in Schleswig-Holstein, der das gesagt hat, damit Sie nicht glauben, da koaliert die SPD mit der CDU. Das sagt die FDP in Niedersachsen, und dieser gute Mann erhebt schwere Vorwürfe gegen den Bundeswirtschaftsminister, was die Vergabepolitik angeht.
— Ich kann Ihnen das richtig vorlesen.Es kann nach meiner Auffassung nicht im Interesse des Deutschen Bundestages, nicht im Interesse des Bundesrates, auch nicht im Interesse der Bundesregierung liegen, daß es zu einer passiven Sanierung des Nordens durch Abwanderung kommt. Vor dem Problem stehen wir nämlich heute.
Erfolgreich Politik für die Bundesrepublik Deutschland zu gestalten heißt auch, die Menschen an der Küste nicht zu vergessen, sie nicht allein zu lassen. Wenn diese Menschen alleingelassen werden, müssen wir davon ausgehen, daß sich auch ihre Einstellung zur Demokratie ändern wird, daß diese Einstellung Schaden nehmen wird, daß unser Wirtschaftssystem an Akzeptanz verliert, was wir doch gemeinsam nicht wollen. Daran können wir gemeinsam nicht interessiert sein.Mein Appell an Sie ist: Helfen Sie dem Norden! Ich bin sicher, daß Sie damit nicht nur dem Norden Deutschlands, sondern auch unserer Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland helfen.
Herr Senatspräsident, es wird eine Zwischenfrage erbeten. — Bitte schön.
Herr Wedemeier, nachdem Sie jetzt die ganze Zeit immer den norddeutschen Raum in Anspruch genommen haben, frage ich Sie: Haben Sie denn eine Erklärung dafür, warum die Arbeitslosigkeit in den christlich-demokratisch regierten Ländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein zurückgegangen ist, während sie in den Ländern Bremen und Hamburg gestiegen ist?
— Ja, das möchte ich einmal wissen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will gerne darauf antworten. Ich habe im Bundestagswahlkampf oder auch im Kommunalwahlkampf in Niedersachsen erlebt, daß der Kollege Albrecht Flug-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1499
Präsident des Senats Wedemeier
blätter verteilt hat, auf denen stand: Rund um Bremen gibt es nur 10 % Arbeitslose, aber in Bremen gibt es 15 % Arbeitslose. — In Kreisen Niedersachsens, die etwas weiter von Bremen entfernt sind, gibt es natürlich höhere Arbeitslosenquoten.
Ich habe Ihnen vorhin schon einmal gesagt: Wir beschäftigen in Bremen 100 000 Niedersachsen. Wenn wir Herrn Albrecht nicht die 100 000 Arbeitsplätze für seine Leute zur Verfügung stellen würden, dann gäbe es dort ganz andere Arbeitslosenquoten.
Ähnliches gilt natürlich auch für Hamburg. — Ich weiß nicht, ob Sie sich jetzt erst einmal die nächste Frage von der Regierungsbank anhören müssen, bevor ich weiterreden kann. — In Hamburg sind 170 000 Menschen aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen beschäftigt. Wir, die Ballungszentren in Norddeutschland, tragen erheblich zum Abbau des Arbeitslosenproblems in Niedersachsen und SchleswigHolstein bei. Machen Sie uns hier doch keine Vorwürfe!
Und dann vergleichen Sie doch einmal Bremen und Hamburg mit anderen Ballungszentren im Bundesgebiet.
Dort haben wir eine Arbeitslosenquote, die im Durchschnitt natürlich zu hoch ist. Können Sie mir einmal sagen, wieso die Arbeitslosenquote in Ostfriesland bei 25 % liegt? Ich denke, dort regieren Sie auch noch.
Ich kann Sie so schlecht verstehen.
Das habe ich doch soeben klarzumachen versucht. Ich denke mir natürlich, daß einige schon in die Mittagspause gegangen sind. Ich habe gerade klarzumachen versucht, daß für Norddeutschland etwas getan werden muß. Ich könnte Ihnen auch etwas darüber sagen, was wir in den vergangenen Jahren vielleicht hätten besser machen können. Selbstverständlich ist das auch der Fall.
— Natürlich, wer arbeitet, macht Fehler. Deshalb machen Sie wahrscheinlich keine, Herr Hinrichs.
Herr Hinrichs arbeitet wirklich viel, das weiß ich.
Es ist doch Unsinn, was Sie da erzählen. Dieses Spielchen kriegen Sie doch nicht hin. Sie schaffen es nochnicht einmal im Bremer Wahlkampf, uns beide auseinanderzudividieren. Ich würde eher dafür sorgen, daß Herr Neumann Herrn Metz in Bremen einmal in Ruhe läßt, damit er „wahlkämpfen" kann.
Herr Senatspräsident, ich habe die Absicht, Sie noch anzusprechen.
Die Zeit ist schon weit fortgeschritten, und zwar deshalb, weil Sie hier bei mir eine kürzere Redezeit angemeldet hatten.
Der Herr Bundesfinanzminister hat den Wunsch geäußert, eine ganz kurze Antwort geben zu dürfen.
Einen Moment, Herr Kollege Waltemathe. Jetzt habe ich das Wort.
Herr Senatspräsident, wenn Sie mir Ihr Ohr schenken würden. — Sind Sie um 14 Uhr noch anwesend?
Also gut. Damit können wir in die Mittagspause eintreten. Die Sitzung wird um 14 Uhr fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Beratung des Haushaltsgesetzes fort.
Das Wort hat der Abgeordnete Neumann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren in diesen Tagen und gerade heute die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung. Es ist relativ ungewöhnlich, daß im Rahmen dieser Debatte ein Bremer Bürgermeister das Wort nimmt. Dies ist sicherlich nicht damit zu erklären, daß er als Kronzeuge für eine erfolgreiche Wirtschafts- und Finanzpolitik vor Ort gilt,
sondern nur damit, daß am nächsten Sonntag in Bremen gewählt wird. Herr Wedemeier hat hier — wie auch in Bremen in den letzten Wochen — den untauglichen Versuch gestartet, von der eigenen Verantwortung für die schlimme finanzielle und wirtschaftliche Lage in Bremen abzulenken und dem Bund diese Situation in die Schuhe zu schieben.
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1500 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Neumann
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß ich als langjähriger Fraktionsvorsitzender der CDU in der Bremischen Bürgerschaft dazu legitimiert bin, ein paar Bemerkungen zu machen.
Herr Wedemeier hat davon gesprochen, daß wir es mit einem ausgeprägten Nord-Süd-Gefälle zu tun haben. So ist dies in der Sache falsch. Es ist richtig, daß wir im norddeutschen Bereich, im Bereich der Küstenländer, eine Reihe von Problembranchen haben, die es im übrigen in allen norddeutschen Ländern gibt. In Niedersachsen denke ich an die Fischerei, an die Werften, an die Stahlindustrie, an die Landwirtschaft. In Schleswig-Holstein erinnere ich an die Probleme der Werften und die der Landwirtschaft. In Hamburg und Bremen sind es im wesentlichen die Probleme mit den Werften. In Bremen kommt die Fischerei dazu. Man darf auch feststellen, daß die beiden Hansestädte Bremen und Hamburg allein wegen der Verkehrsanbindungen günstiger strukturiert sind als die beiden großen Flächenstaaten.
Meine Damen und Herren, wie sehen die Indikatoren aus? In Schleswig-Holstein haben wir eine Arbeitslosigkeit, die leicht über dem Bundesdurchschnitt liegt und in den letzten Jahren auf 9,5 % zurückgegangen ist. Wir haben dort laut Statistischem Bundesamt eine Pro-Kopf-Verschuldung — ich nehme nur die Zahlen von 1985, weil sie ausgewiesen sind — von 6 700 DM. In Niedersachsen haben wir eine Arbeitslosigkeit von 10,9 % — auch sie ist in den letzten Jahren zurückgegangen — und eine Pro-KopfVerschuldung von 6 500 DM. Im Lande Bremen haben wir eine Arbeitslosigkeit von 15,8 %,
und eine Pro-Kopf-Verschuldung von 16 000 DM.
Die beiden Bundesländer Hamburg und Bremen liegen an der Spitze der Arbeitslosigkeit im ganzen Bundesgebiet.
Dies ist kein Zufall. — Herr Roth, auf Sie komme ich noch, weil Ihre Politik, wie Sie sie immer noch proklamieren, in Bremen in den letzten Jahren mit negativen Ergebnissen umgesetzt worden ist.Meine Damen und Herren, ich möchte dies, weil Herr Wedemeier damit begonnen hat, am Beispiel Bremen deutlich machen. Es ist kein Zufall, daß es in Bremen und Hamburg, die ja ebenfalls im norddeutschen Küstenbereich liegen, wesentlich schlechter aussieht als in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein. Warum?
Als Herr Bürgermeister Koschnick, den ich hier leider vermisse, sein Amt annahm,
war Bremen ein blühendes Bundesland mit gutem Ruf. Es war kaum verschuldet. Es hatte eine unterdurchschnittliche Arbeitslosigkeit, und es war ein gebendes Land im Finanzausgleich. Meine Damen und Herren, dann setzte mit Beteiligung des ehemaligen Jungsozialisten Wedemeier unter der Verantwortung von Bürgermeister Koschnick die SPD-Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik ein, die noch heute in Ihren Bundesprogrammen steht.Wie war sie gekennzeichnet? Sie war gekennzeichnet durch eine permanente Erhöhung der Gewerbesteuer. Bremen hat inzwischen einen Spitzensteuersatz, mit dem Ergebnis, daß die Betriebe abwanderten.
Ganz wichtig ist folgendes: Diese Politik war gekennzeichnet durch eine Ausweitung des öffentlichen Dienstes in einer unverantwortlichen Höhe. Beispiel: Die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, meine Damen und Herren, betrug im Lande Bremen 1971 28 000, im Jahre 1981 38 000. Das ist eine Steigerung um 35 %, obwohl die Einwohnerzahl um 13 % zurückging.Die Folge war — da nützen Ihre Sparmaßnahmen, Herr Bürgermeister Wedemeier, heute auch wenig — eine drastische Verschuldung in Milliardenhöhe.
Statt rechtzeitig Industrieflächen, Gewerbeflächen auszuweisen, haben Sie die Verbandsklage eingeführt. Sie haben in Bremen kürzlich einer realistischen Energiepolitik eine Absage erteilt, indem Sie auf sauberen und preisgünstigen Strom aus Kernkraftwerken verzichten. Sie haben sich vielmehr für den Bau eines teuren umweltbeeinträchtigenden Kohlekraftwerks mitten in einer Großstadt eingesetzt.Meine Damen und Herren, diese ganzen Jahre einer SPD-Wirtschaftspolitik in Bremen, im norddeutschen Raum, waren gekennzeichnet durch die Absage an neue zukunftsweisende Technologien. In der Medienpolitik sind Sie bis heute reaktionär. Sie haben zu lange an überkommenen Strukturen festgehalten und beklagen heute, daß Sie nicht wettbewerbsfähig sind.
Die Werftkrise kam erst viel später. Vorher hatte sich das alles schon angebahnt.Die Folge ist, daß wir in Bremen 12 Milliarden DM Schulden und Ende dieses Jahres eine Pro-Kopf-Verschuldung von 18 500 DM haben. Diese Verschuldung ist dreimal höher als der Durchschnitt aller anderen Bundesländer.
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Fazit: Diese Dramatik, Herr Wedemeier, gibt es nicht erst seit 1983. Hier wird ja der Eindruck erweckt, als habe das alles erst 1983 begonnen. Diese Dramatik setzte vielmehr Zug um Zug in den 70er Jahren ein.
Von 1969 bis 1982, Herr Koschnick, falls Sie sich daran noch erinnern, regierten in Bonn die Sozialdemokraten. Die Aussage also, die Regierung Helmut Kohl sei mitverantwortlich für diesen dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit, ist falsch. Es ist eine Aussage gegen Ihre eigenen Herren Schmidt und Brandt.Das Ergebnis ist — damit will ich zu einem anderen Punkt überleiten — :
Sie haben durch Ihre Politik aus einem blühenden Gemeinwesen ein Bundesland geschaffen, das am Rande des wirtschaftlichen Ruins steht.
Ich darf zu meinen Kollegen von der CDU/CSU sagen: Man könnte meinen, der neue Bürgermeister sei klüger als der alte. In diesem Zusammenhang darf ich zitieren, was die SPD in ihrem Wahlprogramm zur jetzigen Bürgerschaftswahl stehen hat — ich zitiere — :Wir Bremer Sozialdemokraten kapitulieren nicht vor dem Problem der Arbeitslosigkeit. Wir können keine große Lösung versprechen. Die kann nur auf Bundesebene eingeleitet werden.Meine Damen und Herren, das ist ein Armutszeugnis für sozialdemokratische Wirtschafts- und Finanzpolitik vor Ort!
Ein weiterer besonderer Satz in diesem Programm lautet:Dabei werden wir prüfen, ob eine Ausdehnung des öffentlichen Sektors, z. B. durch Gründung öffentlicher Unternehmen oder durch Ausweitung staatlicher Beteiligung an privaten Unternehmen, zum Erreichen strukturpolitischer Ziele beitragen kann.Meine Damen und Herren, das ist ja alles die alte Kiste. Der neueste Beitrag ist, daß sich das kleine Bundesland Bremen hochverschuldet und Bittsteller vor Ort, dazu entschlossen hat, 45 000 Wohnungen der Neuen Heimat aufzukaufen,
mit Verbindlichkeiten in Höhe von 1,9 Milliarden DM. Es sollen Wohnungen aufgekauft werden, die bereits über Jahre öffentlich gefördert wurden,
die durch das Mißmanagement von Gewerkschafts- und SPD-Genossen in die roten Zahlen gebracht wurden und für die jetzt der Steuerzahler noch einmal aufkommen soll.Wenn Sie, Herr Wedemeier, sich hier hinstellen und sagen „Wir können die Steuerreform nicht mehr verkraften" , dann antworte ich Ihnen mit der Feststellung: Es kann doch nicht wahr sein, daß 99 % der Bürger der Bundesrepublik auf eine Steuerreform verzichten, die für den einzelnen mehr Gerechtigkeit und für die Unternehmen mehr Wettbewerbsfähigkeit bedeutet, nur weil in Bremen die Sozialdemokraten nicht mit Geld umgehen können.
Nun zu der verleumderischen Aussage, der Bund lasse die Küste oder lasse insbesondere Bremen im Stich.
— Ich habe auf die Zwischenrufe gewartet. Ich ziehe einmal ein Zitat aus der letzten Sitzung der Bürgerschaft vor einer Woche hervor, damit Sie etwas ruhiger werden, Herr Vogel,
und vielleicht einmal überlegen, ob es richtig ist, gerade den Bremer Bürgermeister für eine solche Debatte zu nominieren.Meine Damen und Herren, vor einer Woche, am 3. September, gab es eine Debatte in der Bremischen Bürgerschaft über die Situation Bremens und insbesondere auch über die Hilfen aus Bonn.
— Ja, Herr Kollge Waltemathe, ich unterscheide mich von Ihnen dadurch, daß ich hin und wieder auch vom Podium rede. Sie machen nur Zwischenrufe. Das ist der Unterschied.
Meine Damen und Herren, in dieser Debatte habe ich darauf hingewiesen, daß Herr Wedemeier doch nicht guten Herzens behaupten könne, die Regierung Helmut Kohl habe nicht mehr für Bremen getan als ihre Vorgänger. Wissen Sie, wie der Zwischenruf ausweislich des Protokolls der Bremischen Bürgerschaft lautet? Bürgermeister Wedemeier: „Das konnte auch gar nicht mehr schlechter werden! "Meine Damen und Herren, dies ist eine volle Anklage ihres eigenen Bürgermeisters gegen die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierungen Schmidt und Brandt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Nein, ich möchte erst einmal meine Redezeit nutzen.Meine Damen und Herren, nun zu den Hilfen des Bundes selbst. Die Regierung Helmut Kohl hat im Bereich der Küste in einer Reihe von Fragen geholfen,
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1502 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
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wo wir gemeinsam, die Abgeordneten aus diesem Bereich, dies gefordert und unterstützt haben. Ich verweise darauf, daß allein in den Jahren 1987 bis 1989 für die Küstenländer eine Hilfe für Schiffbau und Schiffahrt von rund einer Milliarde DM zu erwarten ist. Ich verweise darauf, daß der Bund den Küstenländern Finanzhilfen für die Jahre 1987 und 1988 in einer Größenordnung von 300 Millionen DM gewährt hat. Davon bekommt Bremen allein über 70 Millionen DM. Nun können Sie sagen: Das ist noch nicht genug. — Okay, aber wo gab es diese Leistungen denn unter der alten Koalition? Da haben die Küstenländer gar nichts bekommen. Damals haben Sie nur Küstenprogramme aufgestellt, ohne diese finanziell zu realisieren.
Ich verweise darauf, daß insbesondere durch Unterstützung meines Kollegen Gerhard Stoltenberg das Land Bremen in die Gemeinschaftsaufgabe zur Unterstützung strukturschwacher Gebiete aufgenommen worden ist, obwohl die normalen Kriterien, die dafür nötig sind, noch nicht einmal vorlagen. Aus diesem Bereich bezieht Bremen allein 80 Millionen DM in bar. Dies ist verlängert worden; es kommen noch einmal 40 Millionen DM hinzu. Man geht von einer steuerlichen Minderung von 200 Millionen DM aus.Meine Damen und Herren, ich verweise auf den Zuschuß für die Stahlfirma Klöckner: 173 Millionen DM. Ich verweise auf die unterschiedlichsten Hilfen in Millionenhöhe für die Fischerei. Ich verweise darauf, daß der Bund die Airbus-Familie fördert, was in Bremen viele Arbeitsplätze sichert.
Ich verweise darauf, daß die Bundeswehr immer wieder Aufträge in Milliardenhöhe an bremische Firmen vergibt und auf diese Weise Zehntausende von Arbeitsplätzen gesichert werden können. Jetzt kommt die Moral der Genossen, meine Damen und Herren: Während der Herr Bürgermeister und auch andere im vertraulichen Gespräch gewissermaßen Schlange stehen, um diese Aufträge zu bekommen, wird in Bremen vor Ort auf den SPD-Parteitagen Stimmung gegen die sogenannte Rüstungsindustrie gemacht. Das nenne ich scheinheilig und unmoralisch.
Meine Damen und Herren, ich möchte folgendes Fazit ziehen: Es ist nicht zu bestreiten, daß es im norddeutschen Küstenraum strukturbedingte Probleme gibt. Es ist auch nicht zu bestreiten, daß es Industrien — wie Werften und Fischerei — gibt, die auf Grund von Wettbewerbsverzerrungen und anderen von ihnen und der Politik nicht allein zu verantwortenden Faktoren in große Schwierigkeiten geraten sind. Tausende von Arbeitsplätzen in einer Region, in der ohnehin hohe Arbeitslosigkeit herrscht, sind gefährdet. Hier können wir auch nicht — das sage ich ganz deutlich — mit „Bangemannscher" Kaltschnäuzigkeit von freier Marktwirtschaft und drastischem Arbeitsplatzabbau reden.
— Ich bedanke mich, daß ich einmal von Ihrer Seite Beifall kriege; da muß es allerdings der falsche sein.
Meine Damen und Herren, wir können hier nicht von drastischem Arbeitsplatzabbau reden, ohne daß wir den Leuten sagen, wo sie denn morgen arbeiten sollen.Hier ist es natürlich auch die Aufgabe des Bundes, zur Wahrung vergleichbarer Lebensverhältnisse in allen Teilen der Bundesrepublik, flankierend zu helfen. Die Bundesregierung tut dies, und diejenigen, die aus dem norddeutschen Bereich kommen, werden sich dafür einsetzen, daß dies nach Möglichkeit Zug um Zug noch verbessert wird.Doch, meine Damen und Herren, eines steht fest: Die kritische Entwicklung in einigen Teilen Norddeutschlands dauert schon seit vielen Jahren an.
Sie ist nicht das Ergebnis der Politik unter Helmut Kohl, sondern der Zeit vorher. Und auch ein anderes steht fest — das hat Herr Bürgermeister Wedemeier, wie ich zitiert habe, selbst gesagt — : daß keine Bundesregierung vorher so viel mit verschiedenen Maßnahmen für den norddeutschen Raum getan hat wie die Regierung Helmut Kohl.
Meine Damen und Herren, Hilfe aus Bonn kann aber nur flankierende Hilfe sein. Die Probleme müssen in der Hauptsache vor Ort gelöst werden: durch eine vernünftige Landespolitik. Wer die wirtschaftlichen und finanziellen Daten der SPD-regierten Länder Bremen und Hamburg sieht und diese mit denen Niedersachsens und Schleswig-Holsteins vergleicht, kann objektiv feststellen, daß die Sozialdemokraten vor Ort versagt haben und mit ihrem Latein im Bereich von Wirtschaft und Finanzen am Ende sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Faße?
Nein. — Nun wird versucht, von der eigenen Verantwortung abzulenken und dem Bund die Schuld in die Schuhe zu schieben, so nach dem Motto: Wer nicht tanzen kann, schimpft auf die Kapelle. Meine Damen und Herren, Herr Vogel, es war kein kluger Schachzug der Sozialdemokraten, als Hauptredner in einer Debatte über die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung den Bremer SPD-Bürgermeister auftreten zu lassen,
der mit seiner katastrophalen politischen Bilanz in Bremen die schlimmen Folgen sozialdemokratischer Wirtschafts- und Finanzpolitik sozusagen symbolhaft dokumentiert.
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Neumann
Herr Wedemeier, diesen Auftritt, der eine unqualifizierte Beschimpfung der Bundesregierung darstellte, meine Damen und Herren,
hätten Sie im Interesse Bremens besser unterlassen.
Sie hätten sich besser an die Maxime großer Bremer Bürgermeister, die es bis zu Koschnick gab, halten sollen.
Meine Damen und Herren, jetzt abschließend das Zitat eines solchen großen Bürgermeisters namens Duckwitz. Der hat einmal gesagt, bezogen auf Bremen — ich darf zitieren — :Ein Staat im Deutschen Reich so klein wie Bremen muß sein Verhalten immer so einrichten, daß die anderen Staaten im Deutschen Reich seine Existenz als ihr eigenes Glück empfinden.
Das ist die beste Garantie für das Weiterbestehen Bremens.Meine Damen und Herren, bei der Rede von Herrn Wedemeier konnte man in diesem Falle keine besonderen Glücksempfindungen haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Struck.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nun zwei Bremer hintereinander reden gehört. Nun muß ich sagen: Wenn ich in Bremen wahlberechtigt wäre, würde ich Ihre Partei, Herr Neumann, nicht wählen.
Warum Sie gegen Hans Koschnick nie gewonnen haben, ist mir jetzt klargeworden, nachdem ich Ihre Rede hier gehört habe.
Das ist im übrigen ja auch der Grund, warum Sie nach Bonn geflohen sind und den armen Reinhard Metz in Bremen jetzt im Regen stehen lassen. Er kann einem wirklich nur leid tun. Der ist froh, wenn er 25 % der Stimmen kriegt. Aber uns soll das natürlich nur recht sein, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Stoltenberg, als Mitglied des Haushaltsausschusses und auch als Finanzpolitiker habe ich Ihre Rede heute morgen
mit großem Interesse erwartet. Ich muß sagen: Die 43 Seiten lange Rede hätte nach meiner Einschätzung sehr viel kürzer sein können. Wenn Sie wenigstens die Wahrheit über die wichtigsten Punkte gesagt hätten!Sie werden von mir jetzt einige Worte auch über Ihre Persönlichkeit hören, die Ihnen sicher nicht recht sind, Herr Kollege Stoltenberg. Aber ich denke, es ist jetzt auch einmal Zeit, Ihnen endlich die Maske des Seriösen, die Sie hier in Bonn immer auflegen, vom Gesicht herunterzuziehen.
— Nun regen Sie sich doch nicht auf, Herr Friedmann! Immer ruhig!Ich fange einmal an, Herr Kollege Stoltenberg, mit einer von Ihnen zu verantwortenden Pressemitteilung der CDU vom 3. September 1987, um Ihnen zu zeigen, wie Sie mit der Wahrheit umgehen. Wenn Sie das korrigieren wollen, haben Sie sicher gleich Gelegenheit, das zu tun. In dieser Pressemitteilung vom 3. September 1987 unter der Überschrift „Haltlose Unterstellungen sind kein Ersatz für eine Alternative" — da beschreiben Sie die sozialliberale Regierungszeit — heißt es u. a.
— ja; nicht alles; aber die wichtigen Punkte lese ich vor — : „ So wurde die Heizölsteuer um 0,83 Pf auf 1,66 Pf, die Steuer auf Vergaserkraftstoffe um 35 Pf auf 51 Pf je Liter erhöht." Das ist eine glatte Unwahrheit. Das ist eine Lüge. Und Sie wissen das auch ganz genau, Herr Kollege Stoltenberg.
— Nein; hier steht: „um" 35 Pf erhöht. Da bitte ich Sie, doch einmal zu sagen, ob es nicht eher zutrifft, daß sie, wie wir sagen — und wenn Sie bei der Wahrheit bleiben wollen, werden Sie das bestätigen müssen —, nicht „um" 35 Pf je Liter erhöht worden ist, sondern von 35 Pf auf 51 Pf je Liter. Das ist ein wesentlicher Unterschied.
Auch so kann man natürlich Politik machen, indem man die Unwahrheit hier im Land verbreitet. Wir lassen uns das nicht mehr gefallen.
Ich sage Ihnen noch eines: Friedrich-Karl Fromme hat in der FAZ über Wahlkampfauftritte des Bundesfinanzministers Stoltenberg im schleswig-holsteinischen Wahlkampf geschrieben.
— Ja, was wollen Sie denn? In 13 Jahren um 16 Pf! Was Sie gemacht haben, wird alles noch viel schlimmer werden.
Am 5. September 1987 beschreibt Friedrich-Karl Fromme in der FAZ Stoltenberg als Wahlkämpfer. Ich
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1504 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Dr. Struckerlaube mir, daraus einen Satz zu zitieren, von dem ich meine, daß er Ihre persönliche Situation als Politiker, Herr Kollege Stoltenberg, genau kennzeichnet: „Fern liegen die Zeiten, da er Kanzler werden wollte."Ich kann aus meiner eigenen politischen Tätigkeit in diesem Haus, Herr Kollege Stoltenberg, einiges dazu beitragen. 1986 — die Kollegen von der Union, die ein bißchen sachkundig sind, werden das bestätigen können — stand das in der Tat einmal zur Debatte. Der Herr, der jetzt immer auf diesem Stuhl sitzt, wackelte: wegen Anzeigen, die gegen ihn liefen, u. a. wegen einer uneidlichen Falschaussage. Das Verf ah-ren ist im übrigen nur deswegen eingestellt worden, weil ihm ein Gericht und eine Staatsanwaltschaft bescheinigt haben: Der Herr Bundeskanzler hat auf eine Frage mit Nein geantwortet, aber Ja gemeint. Und wenn wir in Niedersachsen, Herr Kollege Stoltenberg, am 15. Juni 1986 eine andere Regierung gehabt hätten, dann säßen Sie vielleicht hier.Nur: Das ist alles vorbei. Der Lack ist ab. Sie sind nicht mehr Finanzminister, Herr Stoltenberg. Sie sind ein Schuldenminister und nichts anderes.
Die Schulden, die Sie in der Zeit angehäuft haben und die Sie bis 1990 anhäufen werden, Herr Stoltenberg,
überschreiten — Sie werden das nicht bestreiten — zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die 1-Billion-Grenze. Eine Billion ist eine Zahl mit zwölf Nullen. Das sind fast so viele Nullen, wie es Mitglieder in diesem Kabinett gibt.
Eine Billion Staatsverschuldung! Und da kommen Sie und reden von Konsolidierung.Nun können Sie natürlich immer sagen: Die Sozialdemokraten können uns immer nur mit Dreck bewerfen. Aber wir sind ja in guter Gesellschaft. Ich will Ihnen das gern mal zitieren. Es sitzen ja auch einige Kollegen hier, die zu der Frage der Finanzierung der Steuerreform und dergleichen etwas gesagt haben. Manche werden jetzt ein bißchen tiefer sacken.
Ich fange mal mit etwas Hochkarätigerem an.
Wenn der Lothar Späth in einem „Spiegel"-Interview sagt — —
— Auf Sie komme ich doch noch, Herr Uldall
— nun warten Sie doch ab! — , und auch auf Heribert Scharrenbroich. — Wenn Lothar Späth sagt, es hat doch keinen Sinn — ich zitiere das jetzt einmal wörtlich —, eine Steuerreform so zu machen, daß man den Leuten aus der einen Tasche das rausnimmt, was man ihnen angeblich in die andere Tasche wieder hineinstecken will — dann wird es eine ganz große Ernüchterung geben — , hat er doch recht. Wieso ist das, was wir sagen — inhaltlich das gleiche —, falsch und das, was Lothar Späth sagt, richtig? Das kann doch wohl nicht sein. Da, wo Späth recht hat, hat er recht. Das ist genauso wie bei Franz Josef Strauß.Oder ich zitiere einmal eine Kollegin aus dem Lande Niedersachsen, Herr Kollege Seiters. Die von uns zu ertragende Finanzministerin des Landes Niedersachsen Birgit Breuel hat in manchen Punkten recht. Wir wollen ihr in der Frage des Länderfinanzausgleichs ja auch helfen, weil wir, wenn wir 1990 die Regierung in Niedersachsen übernehmen, ja keinen Pleiteladen übernehmen wollen. Wir wollen ja noch ein bißchen Geld haben, um zu regieren. Wir werden das in Niedersachsen auch tun. Aber Birgit Breuel sagt in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" : „Wir sind für die Steuerreform, wenn wir sie bezahlen können. Im Rahmen der gegenwärtigen Planung ist sie nicht machbar. " — Birgit Breuel, Finanzministerin des Landes Niedersachsen.Herr Kollege Stoltenberg, nun möchte ich Ihnen doch einfach einige Fragen stellen und Sie bitten, hierherzukommen und diese Fragen zu beantworten, wenn es denn geht, wenn Sie es können.
Die erste Frage ist: Wollen Sie die Arbeitnehmerfreibeträge ganz streichen, wollen Sie sie teilweise streichen, oder wollen Sie sie gar nicht streichen? Sie brauchen nur ja oder nein zu sagen.
— Ja, Sie lachen. Kommen Sie doch einmal her und sagen das! Ich lasse gerne eine Zwischenfrage zu, wenn Sie sagen wollen: Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich das nicht streichen will? Darüber würde ich mich freuen.
Die zweite Frage ist: Wollen Sie Sonntags- und Nachtarbeitszuschläge besteuern, ja oder nein?Herr Kollege Stoltenberg, wollen Sie Personalrabatte besteuern, ja oder nein?Wollen Sie die Mineralölsteuer erhöhen, Herr Kollege Stoltenberg, ja oder nein? Wenn ja, um wie viele Pfennige? Stimmt die Zahl von 20 Pf pro Liter, die der Kollege Faltlhauser ins Gespräch gebracht hat? Stimmt sie?Herr Kollege Stoltenberg, wollen Sie die Tabaksteuer erhöhen, ja oder nein? Sagen Sie doch einmal etwas dazu.Wollen Sie die Mehrwertsteuer erhöhen, ja oder nein?Wollen Sie die Neuverschuldung erhöhen, Herr Kollege Stoltenberg, ja oder nein?Und dann frage ich Sie: Was verstehen Sie eigentlich unter Steuerumschichtung? Ich habe Ihre 43-Seiten-Rede sehr aufmerksam durchgelesen. Was verstehen Sie eigentlich unter Steuerumschichtung? Was heißt das? Heißt das, daß Sie unter Subventionsabbau die Streichung z. B. der Arbeitnehmerfreibeträge und
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1505
Dr. Struckder anderen Dinge verstehen, die ich eben angesprochen habe? Oder was heißt Steuerumschichtung sonst?Sie haben in Ihrer Rede gesagt, im Rahmen von Steuerumschichtungen könne man auch über Verbrauchsteuern reden. Was heißt denn das: über Verbrauchsteuern reden? Heißt das Verbrauchsteuern erhöhen, oder was meinen Sie damit?Und wenn wir nun schon über die Mehrwertsteuer reden, frage ich Sie: Wie wollen Sie eigentlich den Rentnern, den Arbeitslosen und den Studenten in der Bundesrepublik Deutschland erklären, daß sie dafür bezahlen müssen, daß die Reichen noch reicher werden, was der Fall ist, wenn die Mehrwertsteuer erhöht wird? Ich will ja gar nicht von dem Kollegen Karl Eigen reden — er ist heute nicht hier — , der gestern davon gesprochen hat, man sollte die Mehrwertsteuer für Nahrungsmittel erhöhen. Ich sage einmal — Herr Kollege Stoltenberg, der stammt ja aus Ihrem Landesverband — : Karl Eigen ist der Minenhund, den Sie vorgeschickt haben, um einmal zu testen, wie denn das mit der Mehrwertsteuererhöhung läuft. Wenn das nicht so ist, dann kommen Sie hierher und sagen, das stimmt nicht! Sagen Sie, die Mehrwertsteuer wird nicht erhöht werden! Was soll denn dieses Gerede von Herrn Eigen drei oder vier Tage vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein, die Mehrwertsteuer für Nahrungsmittel zu erhöhen? Entweder hat er dafür von Ihnen grünes Licht gekriegt, um einmal zu testen, wie die Lage ist, oder er spinnt; so sage ich einmal. Aber in beiden Punkten muß der Wähler in Schleswig-Holstein natürlich die Konseqenz ziehen.
— Was haben wir gemacht?
— Herr Kollege Friedmann, das bestreitet hier doch überhaupt keiner.
Aber jetzt geht es doch um folgendes. Es gibt in Ihren Reihen eine Anzahl von Haushalts- und Finanzpolitikern, die sich noch bemühen, seriös zu rechnen. Wenn ich jetzt einmal die Kollegen angucke, die mit mir zusammen im Haushaltsausschuß den Haushalt zu bearbeiten haben, dann weiß ich doch ganz genau: Es gibt bei Ihnen eine Reihe von Kollegen, die sagen: Hätten wir doch bloß nicht damals das Versprechen abgegeben, jeder soll 1 000 DM Steuererleichterung kriegen! Das wird im übrigen sowieso nicht eingehalten. Es kriegt gar nicht jeder 1 000 DM. Das hat Hans Apel heute schon gesagt.Aber wie soll es denn nun finanziert werden? Und nun kommen Sie doch nicht hierher und erzählen: Das werden wir alles im Oktober vorlegen. Ich prophezeie Ihnen eines, wobei man als Politiker mit Prophezeiungen vorsichtig sein soll; vor dem 13. September wird überhaupt nicht gesagt werden, wie es finanziert werden soll, es sei denn, der Herr Stoltenberg stellt sich jetzt oder am Freitag — das ist egal — hier hin und sagt: Apel hat gesagt, die Regierung will dieMehrwertsteuer erhöhen; ich erkläre hier verbindlich für die Bundesregierung, ich erhöhe die Mehrwertsteuer nicht. Wenn Sie das machen: alle Achtung. Dann fragen wir Sie natürlich sofort: Wie wollen Sie es denn bezahlen? Das trauen Sie sich nicht.
— Das ist aber ein entscheidender Punkt. Das ist nämlich der Punkt, der Ihnen wehtut.
— Natürlich, Herr Uldall, der Punkt tut Ihnen weh. In Schleswig-Holstein merken wir das, daß die Bürger Ihnen das überhaupt nicht mehr glauben, daß Sie ein seriöser Finanzpolitiker sind.
— Herr Friedmann, Ihnen fehlen 19 Milliarden DM zur Finanzierung der sogenannten Steuerreform. Ich sage, das ist eine Steuermanipulation und keine Steuerreform. Da fehlen Ihnen 19 Milliarden DM.
Ich möchte mal wissen, wo Sie die herkriegen wollen. Sagen Sie doch den Leuten draußen: Wir machen keine Mehrwertsteuererhöhung, wir streichen die Arbeitnehmererleichterungen nicht.
— Wo denn? „Das hören Sie alles noch" : Erzählen Sie mir doch nichts. Sie wollen sich über den 13. September retten,
— mogeln — , und dann sagen Sie: Jetzt ist es vorbei, jetzt können wir die Grausamkeiten begehen. Lambsdorff hat doch schon von den Grausamkeiten gesprochen, die begangen werden müssen. Es gibt ja auch einige hier im Saal, insbesondere im Bereiche der FDP, von Herrn Geißler kürzlich, wie ich meine, nicht ganz zu Unrecht als Pendlerpartei bezeichnet, die schon ganz offen darüber reden, daß man eine Mehrwertsteuererhöhung brauche — Herr Kollege Gattermann —; aber dann wird immer ein anderer Grund vorgeschoben. Es geht uns Sozialdemokraten hier im Interesse der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit nur um eines: Wenn Sie die Steuermanipulation 1990 durchführen wollen,
dann sagen Sie uns, wie Sie das bezahlen wollen. Das ist das A und O in der Finanzpolitik. Nur darum geht es uns.
Herr Kollege Stoltenberg, ich muß Ihnen vorwerfen, daß Sie unseriös argumentiert haben, auch unseriöse Politik machen, nicht nur im Wahlkampf draußen, wo Ihre Polemik gegen uns Sozialdemokraten die Grenze des Erträglichen weit überschreitet, sondern heute morgen auch hier in diesem Hause. Sie haben bei der
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1506 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Dr. StruckDarstellung der Entwicklung der Investitionen des Bundes eine plumpe Fälschung begangen. Bei der Auflistung der Bundesinvestitionen zu Zeiten der Regierung Kohl haben Sie Bahn und Post einbezogen und zu Recht hervorgehoben, daß Post und Bahn die eigentlichen Investitionsträger sind. Das ist richtig. Sie haben aber verschwiegen — und auch durch Verschweigen kann man manipulieren — , daß das genauso war, als wir noch zusammen mit den Freien Demokraten regiert haben.
Das war doch wohl nicht anders. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, Herr Kollege Stoltenberg, daß sich in der Zeit der sozialliberalen Regierungskoalition die Investitionen bei der Post mehr als verdoppelt haben! Das heißt, wenn Sie schon vergleichen, vergleichen Sie korrekt. Darum geht es uns. Wenn Sie unkorrekt vergleichen, dann zeigt das nur, daß bei Ihnen der Lack ab ist, daß Sie mit dem Rücken an der Wand stehen.
Wir Sozialdemokraten sind gerne bereit, an einer ordentlichen und soliden Haushalts- und Finanzpolitik auch für den Haushalt 1988 mitzuwirken. Wir Haushaltsausschußmitglieder werden uns bemühen, genauso wie die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen dieses Hauses dazu beizutragen, daß der Haushalt die Maßnahmen enthält, die wir aus politischen Gründen auch für erforderlich halten. Über einen Punkt lassen wir mit uns aber nicht mehr reden: Wir sind nicht bereit, mit Ihnen über 1 000 DM, über eine Million DM auf der Ausgabenseite zu diskutieren, wenn nicht auf der Einnahmenseite ein Loch von 19 Milliarden DM gedeckt ist und nicht endlich gesagt wird, wie das Geld aufgebracht werden soll.
— Herr Kollege Friedmann, Ihnen dürfte nicht entgangen sein, daß wir auch über den Finanzplan bis 1990 reden. Darüber habe ich eben gesprochen. Denken Sie dran, Herr Friedmann, bevor Sie einen Zwischenruf machen: Erst überlegen! Nicht der Kehlkopf entscheidet, Herr Friedmann, der Kopf entscheidet.
Herr Kollege Stoltenberg, zuletzt möchte ich Ihnen noch sagen, wenn ich Wahlkämpfer der Union wäre, wenn ich beispielsweise der Kollege Dregger wäre, der heute nicht da ist, dann wäre ich Ihnen ernsthaft böse, und zwar deshalb, weil Sie, Herr Stoltenberg, den Wahlrednern und Wahlkämpfern der Union eingeredet haben — das ist ja auch noch zwei oder drei Wochen vor der Bundestagswahl durch Ihre Sonntagszeitungen verbreitet worden —, daß jeder Steuerzahler 1 000 DM Steuerentlastung ab 1990 bekäme.
— Nicht im Durchschnitt!
— Nein, jeder Steuerzahler! Ich merke schon, wie Sie in Schwierigkeiten sind.
Herr Dregger hat am 28. Februar 1987 im Westdeutschen Rundfunk gesagt — und sein Problem ist, daß er, weil er eine bedeutende Persönlichkeit ist, seine Aussagen immer im Dokumentationsdienst des Presse- und Informationsamtes dokumentiert wiederfindet — : 1 000 DM für jeden Steuerzahler. Und das ist eine Lüge. Es ist eine Lüge!Nun sage ich einmal: Herrn Dregger ist das von Herrn Stoltenberg eingeredet worden. Wenn nicht, kommen Sie her, dementieren Sie es, sagen Sie, Sie hätten das nie gesagt. Tun Sie aber nicht so, Herr Kollege Stoltenberg, als ob Sie das alles nichts anginge, was Ihre Wahlkämpfer draußen im Lande, auch jetzt gerade in Schleswig-Holstein und in Bremen, erzählen. Tun Sie mal nicht so seriös!
Das mit den 1 000 DM ist von Herrn Dregger und anderen nicht frei erfunden worden, sondern ist diesen Kolleginnen und Kollegen von Ihnen, Herr Stoltenberg, eingeflüstert worden.Ihren Haushaltsentwurf für 1988 und den Finanzplan bis 1991 kann man unter einer Überschrift subsumieren: Nach mir die Sintflut.
Was dieser Bundesfinanzminister sich selbst eingebrockt hat, läßt eigentlich nur den Schluß zu, daß Sie, Herr Kollege Stoltenberg, davon ausgehen, daß nicht mehr Sie diese ganze Suppe auszulöffeln haben werden, sondern wir, wenn wir 1991 gewonnen haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Polemik von Bürgermeister Wedemeier entlarvte seinen Auftritt als das, was er war:
als einen Wahlkampfauftritt des Spitzenkandidaten der SPD.
— Herr Kollege, die Tatsache, daß er seine Sprüche abläßt und dann dem Hause nicht mehr die Ehre gibt, unterstreicht das nur noch.
Das war die alte Platte, die da heißt: Bremen ist arm, und der Bund hat Schuld. Herr Wedemeier glaubt das selbst nicht mehr! Gewiß, Bremen hat es nicht leicht, und — Wahlkampf hin, Wahlkampf her — nicht alles, was in Bremen nicht in Ordnung ist, geht auf das
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1507
RichterKonto des Senats. Bremen braucht Hilfe, auch von Bonn. Aber Hilfe wird am ehesten der finden, der eigene Leistungen vorweisen kann,
die die Schwierigkeiten meistern helfen.
Was sind denn nun Bremens Leistungen in dieser Phase? Sie stellen sich doch hauptsächlich so dar, daß geschimpft, gezetert und nach dem Kadi gerufen wurde, pikanterweise noch in ganz unterschiedlicher Akzentuierung, je nachdem, wer gerade zu Wort kam, ob der Finanzsenator oder der Bürgermeister. Der Finanzsenator sagte, nachdem der Finanzausschuß des Bundesrates den Entwurf beraten hatte, zwar habe das Gesetz über den Länderfinanzausgleich noch viele Hürden zu nehmen, aber — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin — „ich glaube nicht, daß wir damit vor dem Vermittlungsausschuß landen". Und weiter: „Ich kann mit diesem Ergebnis gut leben." So war es im „Weserkurier" zu lesen.„ Senatsdirektor Fuchs sprach" — auch dies ein Zitat aus dem „Weserkurier" — „von einem Durchbruch, mit dem die Weichen in Richtung auf die Gleichbehandlung der finanzschwächsten Bundesländer gestellt worden seien. "
Das ist ein merkwürdiger Kontrast zu den Ausführungen des Bürgermeisters vor diesem Hause. — Ich begrüße Sie, Herr Bürgermeister Wedemeier; ich hoffe, es hat Ihnen geschmeckt.Meine Damen und Herren, der Eindruck ist stark, daß die bremische Landesregierung die Konfrontation hier in diesem Hause um ihrer selbst willen sucht, weil sie meint, aus dieser Konfrontation wahltaktisch noch etwas Honig saugen zu können. Außer Schelte, außer Vorwürfen an andere, außer Schuldzuweisungen ist von dieser Landesregierung nichts zu hören gewesen. Verschuldet bis zur Politikunfähigkeit, wartet sie auf ein Wunder
— Hans, du weißt es — und hadert mit dem Schicksal, da es nicht kommt.
Gebetsmühlenhaft wird die Zauberformel wiederholt, die da heißt: Bonn soll helfen, Bonn soll helfen, Bonn soll helfen.Es ist richtig, Bremen braucht Hilfe, auch von Bonn, und Bremen wird sie bekommen; der Gesetzentwurf über den Länderfinanzausgleich macht das deutlich.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Waltemathe, Herr Abgeordneter Richter?
Nein, ich möchte meine Redezeit ausnutzen.
Die Hilfe wird für Bremen allerdings um so wirkungsvoller ausfallen, je konstruktiver die Landesregierung die Chancen des Gesetzgebungsprozesses nutzt. Da mag man die Einzelheiten durchaus diskutieren, ob die Hafenlasten, ob die Einwohnerwertung den Gegebenheiten gerecht werden. Bremen wäre gut beraten, weniger zu lamentieren und mehr konstruktiv zu verhandeln.
Herr Wedemeier hat die Selbständigkeit Bremens angesprochen. Meine Damen und Herren, wenn jemand die Selbständigkeit Bremens gefährdet, dann ist es diese Landesregierung mit ihrer unverantwortlichen Schuldenpolitik.
Wenn Bremen seinen Anteil zur Werftenhilfe zahlen soll, dann hat es kein Geld. Aber wenn es um die Übernahme der Schulden der Neuen Heimat geht, dann spielt Geld keine Rolle.
— Zwei Milliarden DM Schulden, Herr Kollege, zwei Milliarden.
Meine Damen und Herren, in meiner Heimatstadt Bremerhaven steht ein bronzener Kolumbus in der Innenstadt. Es heißt, er steht da, weil Kolumbus der erste Sozialdemokrat war: Als er losfuhr, wußte er nicht wohin; als er angekommen war, wußte er nicht, wo er war; als er zurückkam, konnte er nicht sagen, wo er gewesen war — und alles mit geliehenem Geld.
Meine Damen und Herren, wenn sie doch nur die Entschlußkraft und das nüchterne Urteilsvermögen eines Christoph Kolumbus hätte, die bremische Landesregierung! Ich sage Ihnen: Wenn die lossegelten, würden sie höchstens Helgoland entdecken — immerhin einen roten Felsen.
Das Wort hat der Abgeordnete Roth.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heutige Debattentag hat eigentlich ausgezeichnet begonnen — begonnen mit der in jeder Hinsicht qualifizierten und perspektivischen Etateinbringungsrede unseres Bundesfinanzministers Gerhard Stoltenberg. Es war ein ausgezeichneter Auftritt. Wir haben das leider in der Folgezeit bei Ihnen vermissen müssen.
Und dann kam der Herr Apel, dann kam der Herr Wedemeier, und dann kam der Herr Struck. Worauf die Bürger bis zur Stunde warten, ist, daß Ihre Redner einmal ein Konzept Ihrer Finanzpolitik, einer Alterna-
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1508 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Roth
live zur erfolgreichen Politik der Bundesregierung von Helmut Kohl hier vorlegen.
Sie haben sich heute auf prinzipienlose Mäkelei, auf Nörgelei, auf Stichelei beschränkt, aber es ist nichts dabei herausgekommen. Sie stricken an Legenden, aber Sie produzieren nur Luftmaschen. Das ist keine Politik.Meine Damen und Herren, wenn der ganze haushaltspolitische Einfallsreichtum der SPD sich darauf beschränkt, seit Jahren unentwegt die dann doch nicht eintretende große Finanzkrise, den Zusammenbruch der Bundesfinanzen an die Wand zu malen, dann ist das eigentlich ein Armutszeugnis. Das, was im Rahmen und auch in den Grenzen einer verantwortlichen Politik geleistet werden kann, hat der Bundesfinanzminister gerade in seiner heutigen eindrucksvollen Rede, die, wie wir in der Mittagspause ja auch allenthalben spüren konnten, eine ganz beträchtliche Zustimmung draußen bei den Bürgern gefunden hat, unter Beweis gestellt.Meine Damen und Herren, die Bundesfinanzen bleiben unter Kontrolle. Sie sind es seit dem Regierungswechsel gewesen; sie werden es 1988 sein; sie werden es auch im Jahre 1990 sein.In dreizehn Jahren sozialdemokratischer Verantwortung haben sechs Finanzminister — einer davon war der Herr Kollege Apel — nicht weniger als siebzehnmal an der Steuerschraube hantiert, um die Bürger zu belasten. Heute ärgern sie sich darüber, daß es jetzt eine Regierung gibt, die die Finanzen in Ordnung hat und daran geht, die Bürger durch eine dauerhafte Steuerreform auch einmal zu entlasten.
Sie haben die Mehrwertsteuer, was Sie heute immer wieder wegzuwischen versucht haben, um volle zwei Prozentpunkte nach oben getrieben. Sie haben die Mineralölsteuer um 16 Pfennig erhöht. Sie haben die Heizölsteuer verdoppelt, die Tabaksteuer auf Zigaretten um 116 % die Trinkbranntweinsteuer um 112 % erhöht. Summa summarum sind das 25,6 Milliarden DM an Steuerbelastungen in Ihrer Regierungszeit gewesen. Ich darf schon sagen: Sie haben sich den Ruf als Steuererhöhungspartei Deutschlands redlich verdient.Sie haben sich ebenso den Ruf als Schuldenpartei erworben; denn Sie sind mit all den Steuererhöhungen nie ausgekommen. 6,9 % Steuereinnahmenzuwachs im Jahresdurchschnitt Ihrer Regierungszeit haben Ihnen doch nie gelangt. Sie haben alles noch weiter — auf Pump — aufgebläht. Sie haben die Jahresneuverschuldung von 0 auf 37 Milliarden DM explodieren lassen. Die Volkswirtschaft wurde rücksichtslos überfordert. Es endete in der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise.Der Gradmesser der Einmischung des Staates in die Volkswirtschaft ist nun einmal die Staatsquote. Und sie ist unter Ihrer Regierungsverantwortung von 39 auf 50 % nach oben geschnellt.Meine Damen und Herren, die selbstgerechte Art, wie Sie sich heute als Hüter der Staatsfinanzen und alsAnwalt der Steuerzahler aufzuspielen versuchen, ist abstoßend und unverfroren.
Deshalb, Herr Kollege Dr. Vogel, nehme ich einmal Ihre neue Lieblingsvokabel auf, die Sie in der letzten Woche an anderer Stelle unzutreffend in die Debatte eingeführt haben: Sie leiden allesamt an kollektivem Gedächtnisverlust. Das ist es, was Sie heute im Rückblick auf Ihre finanzpolitische Verantwortung kennzeichnet. Die Bürger wissen: SPD-Regierungen haben stabile Finanzen ruiniert, und die Bundesregierung von Helmut Kohl hat ruinierte Finanzen wieder stabilisiert. Bei diesem Unterschied soll es auch bleiben.
Seit wir Regierungsverantwortung tragen, meine Damen und Herren, sind die Steuerbelastungen für alle, insbesondere für die Berufstätigen und für die Familien, nachhaltig gesenkt worden. Der normal verdienende Familienvater mit zwei Kindern hat bereits im letzten Jahr bare tausend Mark an Steuerersparnis vereinnahmen können. Er muß nicht erst auf die zweite Stufe der Steuerreform warten, die ihm ein weiteres Mal diese Summe bringen wird. Das ist die Situation. Wir haben die Steuern bis heute in der Größenordnung gesenkt, in der Sie bei 17 Steuererhöhungsschritten die Bürger zusätzlich belastet haben, nämlich um etwa 25 Milliarden DM.Meine Damen und Herren, in fünf Aufschwungjahren bei völlig stabilen Preisen sind die Steuereinnahmen bei uns um durchschnittlich 3,4 % gestiegen, also nur noch halb so hoch wie in der Phase davor. Darüber beschweren Sie sich heute. Ich empfinde diesen maßvollen Steueranstieg als ein großartiges Geschenk an die Bürger; denn die Bürger müssen doch die Steuern bezahlen. Was regen Sie sich unentwegt darüber auf, daß sich der Steuerzugriff des Staates bei den Bürgern verlangsamt hat? Das ist doch nur möglich gewesen — und deshalb die Kontinuität und die Festigkeit unserer Politik — , weil wir, vom ersten Haushaltsjahr beginnend, die Ausgabenzuwächse mit 1,7 % im Jahresdurchschnitt im Griff behalten und damit die Voraussetzung geschaffen haben, die Staatsquote um über 3 Prozentpunkte zu senken, weil wir mit den Steuern auch die Schulden nach unten gedrückt haben, weil wir für stabile Preise, für niedrige Zinsen gesorgt haben. Meine Damen und Herren, das ist Bürgerfreundlichkeit hoch 5. Dieser haben Sie überhaupt nichts entgegenzusetzen.
Ich will noch einmal betonen, Herr Kollege Namensvetter: An den Folgen Ihrer gescheiterten Finanzpolitik werden wir noch lange leiden. Es wird zu den bleibenden Erblasten Ihrer Regierungszeit gehören, daß das Institut der staatlichen Kreditaufnahme, das in unserer Verfassung für werbende Staatsausgaben, also für Investitionen, für Zukunftsvorhaben, vorgesehen ist, auf lange Zeit nicht mehr für die operative Staatspolitik genutzt werden kann. Es kann deshalb nicht mehr genutzt werden, weil seit 1983 die Zinsverpflichtungen auf die Schulden, die Sie uns hinterlassen haben, jeden Kreditspielraum um Milliardenbe-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1509
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träge überwuchern — ein wahrhaft beklemmender Dauerzustand. In Zahlen ausgedrückt: Wir haben in vier Haushaltsjahren, 1983 bis 1986, nicht weniger als 113,8 Milliarden DM an Zinsen auf SPD-Schulden bezahlen müssen.
In dieser Zeit haben wir 105 Milliarden DM Neukredite aufgenommen. Die Zinslast war also um 10 Milliarden DM höher als die neuen Schulden. Und da stellen Sie sich hier hin in Ihrer ganzen Unverfrorenheit und versuchen uns noch Vorwürfe daraus zu machen.
Ich kann nur sagen: Die Schuldenwichte sitzen in Ihren Reihen und nicht hier auf der Regierungsbank. Das ist die Wahrheit. Es ist schon makaber, wenn sich ausgerechnet die Bankrotteure von gestern hier in dieser Form aufspielen und mit dem Begriff der Finanzkrise herumhantieren und ausgerechnet diejenigen madig zu machen versuchen, die die Karre nach 1982 wieder aus dem Dreck gezogen haben.
Ähnliches übrigens auch für die Kommunen, die 1981 noch 10 Milliarden DM Defizit hatten,
die heute noch bei ganzen 2 Milliarden DM Defizit liegen, die in der Zwischenzeit aber bereits zwei Haushaltsjahre mit Finanzierungsüberschüssen hatten, wo sie keine einzige Kreditmark mehr aufnehmen mußten.Meine Damen und Herren, auch der Haushaltsentwurf 1988 ist mit seiner moderaten Zuwachsrate von 2,4 % von einer Qualität, wie sie sozialdemokratische Finanzminister nie erreicht haben. Ich füge hinzu: Dieser Etatentwurf berücksichtigt im Gegensatz zu Ihren öffentlichen Einreden den haushaltswirksamen Mehrbedarf und die rechtlichen sowie sonstigen Verpflichtungen, die an den Bundeshaushalt gestellt sind, in vollem Umfang. Das gilt auch für die mittelfristige Finanzplanung.Sie haben angekündigt, Sie wollten im Oktober eine Sondersitzung zur Haushaltsberatung einberufen. Wir sehen dem mit Freude entgegen. Das wird uns ein weiteres Mal Gelegenheit geben, die grundsätzlichen Auffassungsunterschiede zwischen Ihrer gescheiterten und unserer erfolgreichen Haushaltspolitik offenzulegen.Unsere Politik hat den realen Abbau der Arbeits- und Transfereinkommen gestoppt, ins positive Gegenteil umgekehrt, die Steuern gesenkt. Wir haben beispielhafte Stabilität geschaffen. Im Gegensatz zu früheren Jahren mit wirtschaftlichem Aufschwung haben wir es heute nicht mit einer Überforderung der Wirtschaft durch inflatorischen Preis- und Kostenauftrieb zu tun. Das kommt auch dem Staat zugute. Denn ein Prozentpunkt mehr Lohn- und Preisstabilität bedeutet eine Entlastung von nicht weniger als 6 Milliarden DM für die öffentliche Hand.Meine Damen und Herren, auf sozialpolitischem Gebiet sind wir heute das leistungsfähigste Staatswesen in Europa: Einführung von Erziehungsgeld mit monatlich 600 DM bei voller Beschäftigungsgarantie, Kindergeld für arbeitslose Jugendliche, von der SPD seinerzeit gestrichen, von uns wieder eingeführt, Kindererziehungszeiten im Rentenrecht, Verbesserungen beim Wohngeld, bei der Sozialhilfe, verlängerte Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld für ältere Arbeitslose, Verbesserungen in der Agrarsozialpolitik,
Stiftung für Mutter und Kind. Ich könnte, Herr Kollege Becker, die Liste verlängern. Das ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie sich sparsame Politik auch bei moderaten Ausgabenzuwächsen Handlungsspielräume schaffen kann, die letztlich dem Bürger zugute kommen.
Es ist wohl auch kein Zufall, daß die SPD, Herr Kollege Apel, das törichte Wort vom Kaputtsparen, das Sie 1983 und 1984 noch im Schmähvokabular Ihrer demagogischen Auftritte hatten, inzwischen aus ihrem Wortschatz verbannen mußten. Wir haben die Republik nicht kaputtgespart, sondern wir haben sie gesundgespart. Das war die Voraussetzung dafür, daß die dreistufige Steuersenkung mit einer Nettoentlastung von insgesamt 50 Milliarden DM überhaupt möglich gewesen ist. Auch in Zukunft werden für uns öffentliche Sparsamkeit und Steuersenkungen Hand in Hand gehen.Ihre Sirenengesänge vom angeblich verarmenden Staat, Herr Kollege Apel, dienen nur einem Zweck: Sie wollen unsere bürgerfreundliche Steuersenkungspolitik in der Öffentlichkeit diskreditieren. — Geben Sie doch bitte offen zu, was die Beschlußlage innerhalb der Sozialdemokratie ist!
Sie wollen keine Steuersenkung. Sie wollen keine sinkende Steuerquote; das haben Sie in Nürnberg beschlossen. Also sind Sie doch am wenigsten geeignet, Schiedsrichter bei denen zu spielen, die sich alle Mühe geben, dem Bürger in mehreren Schritten eine nachhaltig spürbare steuerliche Entlastung zu geben.
Mit dieser Verweigerungspolitik koppeln Sie sich letztlich aus jeder seriösen finanzpolitischen Diskussion ab. Sie weigern sich auch, den internationalen Wettbewerb der Steuersysteme mitzutragen. Sie weigern sich, die von der Bundesrepublik im internationalen wirtschaftspolitischen Dialog übernommenen Verpflichtungen einzulösen. Beides ist nicht zum Vorteil der Bundesrepublik.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß zusammenfassen.Wir werden erstens das Steuerreformpaket so verwirklichen, wie es in der Koalitionsvereinbarung verabredet ist. Es bleibt bei der Nettoentlastung von 50 Milliarden DM in drei Stufen. Alle Steuerzahler, namentlich diejenigen mit den kleinen und mittleren1510 Deutscher Bundestag — i 1. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987Roth
Einkommen, werden unter dem Strich deutlich entlastet werden.Zweitens. Wir werden uns den Entscheidungs- und Gesetzgebungsfahrplan dazu nicht von der Opposition vorschreiben lassen, die ja ohnehin mit ihren unentwegten Greuelmeldungen nur die sachliche Diskussion stören will.Drittens. Es wird wegen der Steuerreform keinen Kurswechsel unserer Haushaltspolitik geben. Die Ausgabendisziplin ist und bleibt der entscheidende finanzpolitische Test der nächsten Jahre. Sparsamkeit ist die unverzichtbare Finanzierungsquelle jeder steuerlichen Entlastungspolitik, die auf Dauer angelegt sein soll.
Deshalb werden wir in Übereinstimmung mit dem Finanzplanungsrat und der Deutschen Bundesbank an der verhaltenen Ausgabenpolitik festhalten. Die Zurückführung der öffentlichen Ausgabenquote, gemessen am Sozialprodukt, sichert die mit der Steuersenkung angestrebte wirtschaftliche Wirkung auf Dauer. Sie verhindert zugleich die negativen Zins- und Kapitalmarkteffekte einer höheren Kreditfinanzierungsquote. Wir werden auch 1990, im ersten Jahr der vollen Wirksamkeit aller Steuersenkungspläne, mit einem Finanzierungsdefizit der öffentlichen Hand von unter 3 % in einem auch international vertretbaren Rahmen bleiben. Ich erinnere nur an die 4,9 % Defizitquote aus dem Jahre 1981 zu Ihrer Regierungszeit.Viertens und Letztes. Diese Politik beweist, daß wir die notwendige Konstanz der Wirtschaftspolitik, die Stetigkeit und Berechenbarkeit unseres finanzpolitischen Handelns als Grundlage unserer Ordnungspolitik verteidigen und in der vom Finanzminister vorgezeichneten Form auch durchsetzen werden. Die Politik der Bundesregierung hat nicht nur das Vertrauen einer klaren Parlamentsmehrheit, sie wird auch auf Jahre hinaus die Zustimmung und das Vertrauen der Bürger in der Bundesrepublik Deutschland behalten.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Stoltenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein zentrales Thema der ernsthaften Debatten in diesen Monaten in der deutschen Öffentlichkeit nicht nur bei Wirtschaftswissenschaftlern, Verbänden, Gewerkschaften, sondern auch bei vielen Bürgern ist ja, welchen Beitrag die Finanzpolitik für wieder verstärktes wirtschaftliches Wachstum, für mehr Wettbewerbsfähigkeit als Voraussetzung für einen anhaltenden und möglichst noch stärkeren Anstieg der Beschäftigung zu leisten vermag. Ich habe in meiner Einbringungsrede versucht, dies sehr ausführlich auch aus der Sicht der Bundesregierung darzustellen und damit auch zu einem Wettbewerb der Ideen, der Argumente, der Alternativen der Opposition einzuladen. Das ist mein Verständnis von parlamentarischer Auseinandersetzung in Verbindung mit einer großen Debatte bei der ersten Lesung des Bundeshaushalts.
Es geht um die Frage: Welche nationalen Spielräume haben wir denn auch in der Abwägung der Gesichtspunkte zwischen einer jetzt vorwiegend an Steuersenkung und Steuerreform orientierten Politik oder, wie es die Opposition meint, höheren Ausgaben, konjunkturell stimulierenden Programmen, und was sind die Grenzen der Neuverschuldung in diesem Zusammenhang?Ich muß nun sagen, Herr Kollege Apel: Die SPD ist nicht in den Wettbewerb der Ideen, der Argumente und der Alternativen zu diesem zentralen Thema eingetreten; vielleicht wird das im wirtschaftspolitischen Teil der Diskussion noch nachgeholt. Nicht nur ich habe es als enttäuschend empfunden, mit mir viele, wie Sie sich hier dargestellt haben. Sie wiederholen die bekannten Verdrehungen, Verdächtigungen und Entstellungen, weil Sie Ihre Absage an eine Steuersenkung für die arbeitenden Menschen und die Betriebe irgendwo bemänteln und kaschieren müssen, und das alles ist sehr enttäuschend.
Deswegen will ich nach diesem ganzen Arsenal von Verdächtigungen und Unterstellungen noch einmal sagen: Wir sind davon überzeugt, daß wir die Zukunftsprobleme unserer Betriebe und Arbeitsplätze, die Erweiterung des Angebots an bezahlbarer Arbeit nur mit niedrigeren Steuern und einem Abbremsen des in der Vergangenheit zu starken Anstiegs der Lohnnebenkosten meistern können. Das ist eine zentrale These, mit der Sie sich wirklich ernsthafter auseinandersetzen müssen, als Sie das bisher in diesen vielen Stunden getan haben.
Das heißt, daß Sie zu dieser Frage überhaupt nicht Stellung genommen haben, obwohl Sie hier eine Stunde lang dahergeredet haben, Herr Apel. Das heißt das in diesem Stand der Diskussion.
Wir haben nichts gehört von Ihnen, Herr Apel, und in einer besonders erstaunlichen Weise von dem Kollegen Struck, als die abgedroschenen Phrasen über angeblich einseitige Verteilung.Der Umgang mit der Wahrheit war dabei erneut recht leichtfertig und unbefriedigend. Ich will mich hier ganz höflich ausdrücken. Ich habe mir an Hand Ihrer vorbereiteten Rede, die ich ja im Text habe, Herr Apel, kurz einmal einige Notizen gemacht.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1511
Bundesminister Dr. Stoltenberg— Wissen Sie, Sie können nicht so mit mir verfahren, und so können wir in diesem Hohen Hause überhaupt nicht miteinander umgehen,
daß ein Redner dem anderen sagt: Nun kommen Sie mal hierher und sagen ja und nein! Das sind volksdemokratische Methoden und keine demokratischen Methoden im frei gewählten Parlament der Bundesrepublik Deutschland.
Ich rate Ihnen wirklich zu einem anderen Stil der politischen Auseinandersetzung.Aber ich will mich zur Zeit mit Herrn Apel auseinandersetzen. Herr Kollege Apel hat gesagt: Um 62 % wurden die Arbeitnehmer durch steigende Abgaben und Steuern belastet. Meine Fachleute halten dazu fest: Diese Aussage ist irreführend, denn in diese statistische Zahl sind auch die Arbeitgebersozialbeiträge einbezogen. Also bereiten Sie sich in Zukunft besser vor, Herr Kollege Apel, wenn Sie derartige Ausführungen hier machen wollen!
Der Herr Kollege Apel hat, was die Wirkungen der Steuerentlastung betrifft, die wir in Kraft gesetzt haben, erneut mit einem unsauberen Trick gearbeitet. Das ist um so bedauerlicher, als ich ihm dies bereits in der letzten finanzpolitischen Debatte vorhalten mußte. Wenn Sie Entlastungsbeispiele in ihren sozialen Wirkungen bringen, müssen Sie, wenn Sie ernstgenommen werden wollen, natürlich die in einem Konzept erarbeitete und in zwei Stufen in Kraft getretene Steuerreform oder Steuerentlastung, 1986 und 1988, fairerweise in beiden Teilen bewerten.
Die Tatsache, daß wir die Entlastung bei den Berufstätigen mit Kindern auf 1986 vorgezogen haben, kann doch nicht, wie Sie das hier tun, unterschlagen werden, wenn wir über die Verteilungswirkung der bisher beschlossenen steuerlichen Maßnahmen ernsthaft und vernünftig miteinander reden wollen.
Herr Kollege Apel, Sie disqualifizieren sich wirklich durch derartige unsaubere Methoden, denn über diese Fragen ist ja nun seit 1985, seitdem wir immer wieder, zunächst in der Gesetzgebung, zuletzt in der Erweiterung der Gesetzgebung durch das Steuererweiterungsentlastungsgesetz 1988, hier debattieren, Stunden um Stunden im Deutschen Bundestag, zum Teil auch in Ihrer Anwesenheit, in Steuerdebatten geredet worden. Wenn Sie jetzt — kurz bevor die Steuerentlastung 1988 in Kraft tritt — wieder mit derartigen verfälschenden Darstellungen kommen, muß ich Ihnen sagen: Es ist eigentlich unter dem Standard, den Sie als langjähriges Mitglied der Bundesregierung auch in der Opposition bewahren sollten.Ich habe die Entlastungs-Beispiele hier korrekt vorgetragen. Sie zeigen übrigens, daß die von Ihnen undin besonders plumper Weise von Herrn Struck attakkierte Aussage, daß bei den typischen Einkommensbeziehern, im Schnitt eine Entlastung von 1 000 DM zu erwarten ist, zutrifft.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, Herr Kollege Apel, ich möchte jetzt auch im Zusammenhang reden. Sie haben vorhin auch Zwischenfragen abgelehnt. Ich will jetzt fortfahren.
— Ich will jetzt fortfahren und Ihnen folgendes sagen: Wir haben über diese Aussage in der von Ihnen, Herr Kollege Struck, kritisierten Wahlzeitung vorher geredet.
Der Generalsekretär und seine Mitarbeiter haben mich gefragt: Was ist vertretbar? Ich habe ihnen gesagt: Es ist vertretbar zu schreiben: Im Schnitt erfolgt eine Entlastung um 1 000 DM.
So stand es, und wenn Sie das Gegenteil behaupten, dann sagen Sie die Unwahrheit, Herr Kollege Struck. Das will ich Ihnen auch einmal sagen.
Im übrigen dürfen Sie anderen nicht plumpe Fälschung vorwerfen, wenn der Text das Gegenteil beweist. Ich habe mir nach Ihrer Attacke noch einmal Seite 18 meiner Rede angesehen: Da ist keine plumpe Fälschung. Ich habe in dem vorliegenden Text, der ja auch zu Protokoll gegeben ist, die Entwicklung der investiven Ausgaben im Bundeshaushalt von 1980 bis 1982 und dann die weitere Entwicklung bis 1988 ganz sauber verglichen. Diese Zahlen sind unbestreitbar. Der Vorwurf der Fälschung richtet sich — —
— Herr Kollege Vogel, ich habe mich dann in einem zweiten Teil mit Bahn und Post und ihrer Entwicklung auseinandergesetzt. Wenn Sie sagen: Auch schon in unserer Zeit haben diese Investitionen zugenommen, dann ist das eine Ergänzung, die ich akzeptiere,
aber es ist eine schlimme Entgleisung, den korrekten Text als eine plumpe Fälschung zu bezeichnen. Sie sollten nicht so mit uns umgehen, wenn man Sie so schnell widerlegen kann.
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1512 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Bundesminister Dr. StoltenbergIm übrigen, Herr Kollege Apel, wenn wir schon von plumpen Fälschungen reden, muß ich natürlich auf Ihre Ausführungen auf Seite 13 Ihres Manuskripts zurückkommen. Ich habe nach allem, was Sie im Sommer an Verdächtigungen und falschen Behauptungen über die angeblichen Pläne des Bundesfinanzministers in die Welt gesetzt haben, gedacht: Was trägt der heute davon vor? Nicht vorgetragen haben Sie die unsinnige und wahrheitswidrige Behauptung, ich beabsichtige die Mineralölsteuer um 20 Pfennig zu erhöhen. Das schien Ihnen so absurd, daß Sie das im Deutschen Bundestag nicht gesagt haben, obwohl das in Bremen und Schleswig-Holstein in jedem Flugblatt und in jedem Ortsblatt Ihrer Genossen zur Zeit behauptet wird.
Dies ist unwahr, um das in aller Klarheit zu sagen.
Eine derartige Erhöhung der Steuer wäre unerträglich. Wir werden sie auch nicht um die 16 Pfennig erhöhen, um die Sie sie erhöht haben, um das auch noch einmal klarzustellen.
— Nein, ich betreibe zur Zeit Textkritik. Lenken Sie nicht ab!
Sie haben eine Rede gehalten, die im Text vorliegt, und ich setze mich zur Zeit mit Ihren wahrheitswidrigen Behauptungen auseinander.
— Sie können laut dazwischenrufen, aber ich bleibe bei Ihrem Text, und ich werde darauf antworten, wie das einer guten parlamentarischen Auseinandersetzung entspricht.
Herr Apel, in Ihren Wahlkampfflugblättern — nicht Ihren, sondern in denen Ihrer Partei; Sie sind in Schleswig-Holstein und Bremen sicher nicht dafür verantwortlich, bei Ihnen macht das die Bundesgeschäftsstelle; als heute morgen so pathetisch von der Erneuerung der historischen Baudenkmäler gesprochen wurde, habe ich gedacht, damit sei die Erneuerung Ihrer Baracke gemeint, die, wenn man diese Pamphlete, die bundesweit verteilt werden, sieht, vor allem eine geistige Erneuerung, eine Erziehung zur Wahrheit dringend nötig hat, meine Damen und Herren — ,
in diesen Pamphleten, die in den Ländern verteilt werden, in denen Wahlen stattfinden, wird behauptet, der Bundesfinanzminister wolle den Arbeitnehmerfreibetrag abschaffen. Sie sind heute etwas vorsichtigerund sprechen von einer Beschneidung. Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Natürlich wissen Sie — —
— Hören Sie doch zu! Regen Sie sich doch nicht so auf !
— Die Hysterie nimmt zu. — „Feiner Herr", wissen Sie, diese Anrede sollten Sie sich nach Ihrer Rede sparen, Herr Kollege Apel; Sie sollten sie sich wirklich sparen — gucken Sie einmal in den Spiegel — nach allem, was Sie hier an Unwahrheiten verbreitet haben.Aber lassen Sie mich zur Sache kommen. Sie wissen ganz genau — so gut wie ich — , daß der Arbeitnehmerfreibetrag — ich sage hier: — aus gutem Grund wegen der unterschiedlichen Form der Veranlagung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geschützt ist. Da ich dies weiß, werde ich dem natürlich bei meinen Vorschlägen bei der Bewertung der Bemessungsgrundlage Rechnung tragen.
— Ja, selbstverständlich. — Unwahr ist auch, daß ich den Weihnachtsfreibetrag abschaffen will. Unwahr ist, daß ich die volle Besteuerung der Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit empfehlen werde. Damit ist ja — wie ich glaube — einiges Wichtige klargestellt. Vor allem ist klargestellt, daß Sie ohne jeden Anhaltspunkt seit Monaten die deutsche Öffentlichkeit beschwindeln, um aus der Steuersenkungs- eine Steuererhöhungsdiskussion zu machen. Das ist der ganze Sachverhalt.
Meine Damen und Herren, nun will ich noch einmal die vollkommene Unglaubwürdigkeit Ihrer Darstellung über die soziale Verteilung und die sozialen Wirkungen von Steuersenkungen an einem Beispiel der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland darstellen. Man muß ja das, was Sie hier über angeblich ungerechte soziale Auswirkungen auf die verschiedenen Einkommensgruppen ständig erzählen, einmal mit dem vergleichen, was Sie in Ihrer Steuergesetzgebung selbst gemacht haben. Deswegen habe ich die sachkundigen Mitarbeiter einmal gebeten, mir die Verteilungswirkung der letzten bei einem sozialdemokratischen Bundeskanzler und Finanzminister eingebrachten und vom Bundestag und Bundesrat beschlossenen Steuerentlastung vorzulegen.Diese Berechnung ergibt folgendes. Die unter Federführung von Herrn Bundeskanzler Schmidt und Herrn Bundesfinanzminister Matthöfer von der Mehrheit der SPD — damals noch in der alten Koalition mit der FDP — verabschiedete Steuersenkung, 1981 in Kraft getreten, hatte folgende Wirkung: In der Splittingtabelle bei Verheirateten wurde der Arbeitnehmer mit einem zu versteuernden Einkommen von 20 000 DM um 4 DM entlastet und der Steuerbürger mit einem Einkommen von 100 000 DM um 1 844 DM. Das heißt, die Entlastung des Verheirateten mit
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1513
Bundesminister Dr. Stoltenberg100 000 DM betrug das 460fache dessen, was derjenige mit einem Einkommen von 20 000 DM an Entlastungswirkung bekam.
Nun kann man darüber eine fachlich sehr interessante Debatte führen. Es gibt auch ein paar Hinweise, Herr Kollege Apel, wie das gekommen ist. Das ist ganz lohnend; denn dort ist ein Freibetrag von 510 DM/ 1 020 DM mit einbezogen, der 1978 schon einmal als Übergangslösung eingeführt worden war. Aus der Verlängerung der Proportionalzone und einigen anderen Maßnahmen ergibt sich dies. Ich konstatiere das nur. Ich sage Ihnen nur: Wer in seiner eigenen Regierungszeit — Sie waren ja ein jedenfalls damals noch sachkundiges Mitglied der Bundesregierung als langjähriger Finanzminister — im Hinblick auf die massive Progressionsmehrbelastung der mittleren und oberen Einkommensgruppen eine solche Steuergesetzgebung verabschiedet hat, muß doch schamrot werden, wenn er so redet, wie Sie das heute hier wieder im Deutschen Bundestag getan haben.
Es ist doch ein unsagbar peinlicher Sachverhalt. So lange ist das nicht her. Wir reden von dem letzten Gesetz vor dem Regierungswechsel. Natürlich spiegelt sich in solchen Verteilungsrelationen — bei den Ledigen war es nicht das 460fache, aber immerhin das 12fache — wider, daß wir in unserem Steuersystem eine Progressionsbelastung haben, die die mittleren und oberen Einkommensgruppen allmählich wirklich in unerträglicher Weise belastet.
— Wir müssen noch einmal darüber reden, Herr Kollege Kleinert, wer die sogenannten gehobenen Einkommensgruppen eigentlich sind.
Ich bekomme — es ist sicher meinen Vorgängern genauso gegangen — eine Fülle an Briefen von Steuerzahlern, von berufstätigen Menschen aus allen Berufsgruppen, die sich bitter über die Wirkungen der Progression bei steigenden Einkommen beklagen, der Steuerprogression und natürlich der steigenden Sozialversicherungsbeiträge. Ich habe vor einigen Tagen nach der fachlichen Bewertung durch die Mitarbeiter den Brief einer berufstätigen Frau aus Niedersachsen sehr aufmerksam gelesen. Sie schreibt folgendes: Nachdem sie drei Kinder erzogen hat, ist sie mit Ende 40 wieder in den Beruf zurückgekehrt. Wir wünschen ja alle miteinander, daß Frauen die Chance haben, nach einer Zeit der Kindererziehung, in der sie berufliche Dinge zurückstellen mußten, wieder in den Beruf zurückzukehren.
Sie verdient jetzt nach dem Wiedereinstieg in den Beruf rund 35 000 DM im Jahr. Sie hat einen Ehemann mit einem Einkommen von 65 000 DM. Das kann man als gehobenes Einkommen bezeichnen, aber nicht als ein sehr hohes Einkommen.Wenn man heute von Arbeitnehmern redet, muß man einmal zur Kenntnis nehmen, daß heutzutage das Durchschnittseinkommen eines Facharbeiters in der Mineralölindustrie bei 65 000 DM liegt.
— Ich sage Ihnen das an Hand der Steuerstatistik. Bevor Sie lachen, machen Sie sich mal mit den konkreten Einkommen bestimmter Arbeitnehmergruppen nach der Steuerstatistik vertraut. Es ist doch lächerlich, über eine statistische Zahl zu streiten.
Das Durchschnittseinkommen der Angestellten im Bergbau liegt bei 64 000 DM. Ich beziehe mich auf die amtlichen Unterlagen der Steuerverwaltungen der Länder. Ich sage hier doch nichts in den blauen Dunst hinein.
Die beiden erwähnten Personen zusammen verdienen mit dem einen unterdurchschnittlichen Einkommen — das Durchschnittseinkommen liegt über 35 000 DM — und dem anderen überdurchschnittlichen Einkommen rund 100 000 DM. Sind es damit die Besserverdienenden und Reichen, die stärker zur Ader gelassen werden müssen? Nach meiner Überzeugung nicht, meine Damen und Herren. Ein Angestellter im Bergbau mit einem Durchschnittseinkommen, der verheiratet ist mit einer Facharbeiterin in der Chemieindustrie, hat ein steuerpflichtiges Familieneinkommen von über 100 000 DM. Ich sage Ihnen das, um Ihnen nach Ihrem absurden Gelächter hier eine Auskunft zu geben. Sie reden fernab der Wirklichkeit,
als ob wir bei Arbeitnehmereinkommen heute nur noch von armen Leuten reden. Das war die Wirklichkeit des 19. Jahrhunderts, aber es ist nicht die Wirklichkeit des Jahres 1984 oder des Jahres 1987.
Meine Damen und Herren, ich habe heute morgen schon gesagt: Wir müssen diejenigen sehen, die arbeiten und 20 000 DM oder 25 000 DM verdienen, wir müssen aber auch, wenn wir über Arbeitnehmer und Berufstätige reden, diejenigen sehen, die sich in den eben genannten Einkommensgruppen befinden.Wenn sich durch die zunehmende Berufstätigkeit der Frau, die ja von der Sozialdemokratischen Partei verbal immer wieder besonders gewünscht und gefördert wird, Familieneinkommen in dieser Größenordnung ergeben, dann ist das kein Grund, sie als Reiche zu diffamieren, die stärker belastet werden müssen, wie das einige von Ihnen tun.
Diese erwähnte Frau schrieb mir folgendes. Durch eine Neubewertung des Arbeitsplatzes verdient sie im Jahr 1 200 DM mehr. Bei der Auszahlung des ersten Monatslohns stellte sie fest, daß sich bei diesen zusätzlichen 100 DM im Monat Abzüge für die Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 107 DM ergaben. Das ergab sich durch das Splitting mit dem Ehegatten, der ein höheres Einkommen hat.
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1514 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Bundesminister Dr. StoltenbergDa sie die Unterlagen beigefügt hat, konnte sie das beweisen. Ich habe das einmal prüfen lassen. Die Prüfung ergab: Das ist im Prinzip richtig und entspricht der Anwendung des Gesetzes, aber sie wird sicher im Rahmen des Lohnsteuerjahresausgleichs eine gewisse Summe der zusätzlichen 65 DM Lohnsteuer — das andere waren Sozialversicherungsbeiträge — zurückbekommen.Ich schildere Ihnen das als Beispiel aus der Praxis. Ich sage noch einmal: Das sind keine Beispiele von Mitbürgern, die man als die Reichen bezeichnen kann. Es handelt sich um typische arbeitende Menschen, um ein Ehepaar in qualifizierten Tätigkeiten, wie viele, viele Millionen unseres Volkes.Wenn wir einmal von der Polemik Abstand nehmen, müssen Sie erkennen, daß solche Erfahrungen und Beispiele für uns ein entscheidender Grund für die Aussage sind: Wir müssen die Menschen, die mit ihrer Arbeitsleistung die wirtschaftliche Zukunft, die Staatseinnahmen und auch die sozialen Leistungen für die Alten und Behinderten sichern, besser behandeln. Wir können sie nicht weiter so behandeln, wie das in solchen Beispielen sichtbar wird.
Das ist der Punkt, sehr geehrter Herr Kollege Apel. Ich sage das, damit Sie einmal die Motive verstehen, aus denen heraus wir zu unterschiedlichen Folgerungen kommen.Von meinem familiären Hintergrund und meinem persönlichen Werdegang her bin ich eigentlich vollkommen unverdächtig, ein besonderer Anwalt der sogenannten Reichen hier zu sein. Aber das kann ja ein Klassenkampfvorurteil sein, von dem einige nicht herunterkommen.Herr Kollege Apel, Sie haben auch die Unwahrheit gesagt bei dem Versuch, meine Aussagen zu der Auseinandersetzung mit der Regierung von Nordrhein-Westfalen über die Kohleförderung richtigzustellen. Ich habe nach Ihren Ausführungen zum zweiten Mal im Protokoll des Bundesrates vom 10. Juli nachgelesen. Da Sie wenig Zeit hatten, hatten Sie offenbar keine Gelegenheit, dies selbst zu tun. Das Protokoll der Bundesratssitzung vom 10. Juli — ich zitiere aus den Ausführungen von Minister Diether Posser — zeigt, daß es ihm nicht darum ging — wie Sie unterstellt haben — , daß die Kohlelasten beim Länderfinanzausgleich berücksichtigt werden. Ich zitiere einmal einen Satz aus der Rede von Herrn Posser mit Genehmigung des Präsidenten. Herr Posser hat gesagt:Es geht ja nun wirklich nicht an, daß, wie in der Vergangenheit geschehen, die Bundesregierung das Land Nordrhein-Westfalen darauf verweist, seine Kohlelasten im Länderfinanzausgleich refinanzieren zu lassen.Es geht nicht an, hat er gesagt. Sie haben das Gegenteil unterstellt. Nein, er hat gesagt: Eine solche Sonderlast, wie wir sie haben, trägt kein Land. Er hat die Forderung vertreten, daß die Last Nordrhein-Westfalens für die Kohle drastisch verringert wird und der Bund einspringt.Daß das keine einmalige Haltung ist, hat uns der Herr Bürgermeister Wedemeier eine Stunde später demonstriert. Er erklärt hier schlicht und ergreifend: Ihr tut nicht genug für die Küste, ihr tut nicht genug für den Schiffbau. Dann sagt er aber: Jede Form der Mitfinanzierung, wie der Bund sie verlangt hat — also daß wir, das Land Bremen, uns beteiligen — , ist unzumutbar. — Das sind mir schöne souveräne Bundesländer, meine Damen und Herren. Das ist wirklich schon fabelhaft.
Ich komme auf Herrn Wedemeier noch einmal in einem anderen Zusammenhang zu sprechen.Ich will aber zunächst einmal auf die mittelfristige Finanzplanung und Ihre Kritik, Herr Apel, eingehen. Wir können nicht — lassen Sie mich das allgemein sagen — in die mittelfristige Finanzplanung konkrete Beträge einsetzen für Bereiche, in denen nicht konkret politisch entschieden wurde. Die Koalition beabsichtigt zur Halbzeit, den Spielraum für Leistungsgesetze auszumessen. Sie hat mit meiner ausdrücklichen Zustimmung gesagt, daß es dann in erster Linie um einen Spielraum für Familienpolitik, Kindergeld, und Erziehungsgeld geht. Aber solange wir das nicht konkretisiert haben, setzen wir dafür keine Mittel ein.Genauso klar sage ich, daß es bei der Position der Bundesregierung bleibt, daß der Bund nicht für die notwendige Verbesserung von finanziellen Leistungen, die wir für den Bereich der häuslichen Pflege in Aussicht genommen haben, in Anspruch genommen werden kann. Ich sage das nur, weil Sie uns da auch einen Vorwurf gemacht haben. Dies wird anders geregelt werden müssen.Wir müssen, wie ich das eben am Beispiel von Werften, Kohle und Strukturpolitik gesagt habe, auch im Bereich der Sozialpolitik zu einer sachgerechten Zuordnung verschiedener sozialer Leistungsbereiche auf Bund, Länder, Gemeinden und in diesem Falle gegebenenfalls auch auf das Versicherungssystem kommen. Insofern ist Ihre Kritik an der mittelfristigen Finanzplanung — ich will es kurz machen — im Kern unberechtigt.Nun, Herr Kollege Apel, haben Sie eine, wie ich glaube, nicht zulässige Rechnung hier zu der Frage der Finanzierungssalden des öffentlichen Haushalts vorgetragen. Sie addieren Zahlen von 1970 bis 1982 — wir haben das gehört — , und leiten daraus Folgerungen, Vermutungen her, daß wir in neun Jahren mehr Schulden machen würden als Sie in der vergleichbaren Zeit. Sie wissen doch ganz genau, daß solche Rechnungen zutiefst fragwürdig sind. Sie dürfen nicht außer acht lassen, wie sich das Bruttosozialprodukt, die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes entwickelt hat. 1970, das war das Ausgangsjahr unserer beiden Beiträge, hatten wir ein Bruttosozialprodukt, also eine volkswirtschaftliche Leistung von 675 Milliarden DM. Zur Zeit des Regierungswechsels waren das 1 597 Milliarden DM als jährliche volkswirtschaftliche Leistung unseres Landes. Wir kommen nach unserer Vermutung im nächsten Jahr auf 2 116 Milliarden DM. Wir brauchen uns jetzt nicht über einen Grenzbetrag zu streiten, die Größenordnungen sind klar, auch in der Prognose für 1988. Das heißt doch: Unsere volkswirtschaftliche Leistung, un-
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Bundesminister Dr. Stoltenbergser Bruttosozialprodukt wird 1988 deutlich mehr als dreimal so hoch sein wie 1970.
Bei allem Verständnis für kritische Hinweise, daß die Verschuldung nicht wieder zu stark ansteigen darf — das ist ein Punkt, über den wir sachlich diskutieren können — , ist es unzulässig, jetzt in dieser Art mit Verschuldenssummen umzugehen.Ich will Ihnen einmal die dazu gehörenden Zahlen nennen: 1970 gab es im öffentlichen Gesamthaushalt von Bund, Ländern und Gemeinden einen Fehlbetrag — kreditfinanziert — von 1,2 % des Bruttosozialprodukts. 1974 waren es 2,8 %, 1975 6,2 %. Er ist dann in der Tat — auch durch einige Kürzungen, die damals beschlossen wurde, und durch eine vorübergehend wieder verbesserte Wirtschaftslage — 1977 auf 2,6 To zurückgegangen. Er stieg aber schon vor der Rezession 1980 wieder auf 3,7 % und erreichte 1981 seinen Höhepunkt mit 4,9 %. Jetzt sind wir — ich habe das in meiner Haushaltsrede gesagt — bei 2,2 %. Diesen Prozentsatz legen wir in unserer Prognose für Bund, Länder und Gemeinden auch für 1988 zugrunde. Und in der Tat: Die Steuerreform bedeutet, daß wir noch einmal an knapp 3 % herankommen. Aber diese Zahlenreihe zeigt doch auch, daß Sie, gemessen an der Bilanz Ihrer eigenen Regierungszeit, überhaupt nicht das Recht haben, sich hier hinsichtlich eines „Zusammenbruchs" der Finanzpolitik derart dramatisch aufzuführen, wie Sie das heute morgen versucht haben.
Die Zahlen geben das überhaupt nicht her. Wenn wir einmal — und das sollten wir auch vor wichtigen Landtagswahlen tun — ernsthaft reden, dann kann man eine Güterabwägung vornehmen. Ich bin mir der Probleme eines vorübergehenden Anstiegs der Neuverschuldung sehr wohl bewußt. Da gibt's eine Menge, was zu bedenken ist. Nur paßt das natürlich auch nicht — Herr Kollege Roth hat das ja mit einem Satz gesagt — in Ihr jahrelanges Warnen vorm „Kaputtsparen" . Ja, wenn wir den Anstieg der Ausgaben in diesen vier Jahren nicht bei 1,7 % gehalten hätten, dann hätten wir nicht die Zurückführung der Neuverschuldung. Und Sie haben uns doch Jahr für Jahr wegen einer überzogenen Spar-, Einsparpolitik kritisiert.
Und jetzt wechseln Sie die Kleider und erklären, wir seien die großen Schuldenmacher, weil wir die Steuersenkung durchführen wollen. Das ist doch nicht ernst zu nehmen. Sie müssen diesen Wechsel doch zumindest begründen.
Meine Damen und Herren, nun will ich nur noch etwas zu den von Ihnen bezweifelten oder grundlegend kritisierten wirtschaftlichen Annahmen für die kommenden Jahre sagen. Das wird jetzt in der wirtschaftspolitischen Debatte ja auch sicher eine erhebliche Rolle spielen. Unsere Einschätzung, daß die genannten Zahlen realisierbar sind — mit einigen Unwägbarkeiten wie in jeder wirtschaftlichen Projektion; ich habe ja auf internationale Probleme hingewiesen — , wird durch sehr eindrucksvolle Ausführungen bedeutender, unabhängiger Autoritäten immer wieder bestärkt. Ich habe gerade heute morgen noch einmal ein bedeutendes, interessantes Interview des hoch angesehenen Vizepräsidenten der Bundesbank, Helmut Schlesinger, gelesen.
— Helmut Schlesinger ist ein Mann, den Sie ernst nehmen sollten, Herr Roth.
— Nein, der ist genau wie der Präsident der Bundesbank, Karl Otto Pöhl, ein unabhängiger Mann.
Ich habe ja bei meinem Vorschlag, den Präsidenten der Bundesbank, Karl Otto Pöhl, wieder zu berufen, im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler und der Bundesregierung auch klargemacht, daß wir hier keine parteipolitischen Blickverengungen haben,
sondern daß wir auch namhafte, in ihrer Unabhängigkeit erprobte Persönlichkeiten, die nun einmal das Mitgliedsbuch der SPD haben, für solche Spitzenaufgaben wieder vorschlagen, wenn sie sich bewährt haben. Also, dieselbe Fairneß sollten Sie gegenüber dem— übrigens parteilosen — Vizepräsidenten der Bundesbank auch walten lassen. Dies sage ich hier, weil ja Ihr Zwischenruf in das Protokoll, in das amtliche Protokoll kommt. —
Helmut Schlesinger sagt:
Wir können heute sagen, daß wir uns in einer moderaten, aber im Prinzip befriedigenden Aufwärtsentwicklung befinden, also in einer Aufwärtsentwicklung ohne Boom-Charakter, aber durchaus in dem Sinne befriedigend, daß es eigentlich in den meisten Bereichen der Wirtschaft weiterhin nach oben geht.Und zu unserer Streitfrage hier, dem wirklich sachlichen Streitthema, wenn wir den ganzen polemischen Rankenbereich einmal ausklammern, sagt er dann:1988 haben wir eine zweite Steuersenkung. Damit ist zwar eine Ausweitung des Defizits verbunden, aber wie schon angedeutet paßt das nach meinem Dafürhalten durchaus in die Landschaft: binnenwirtschaftlich, kapitalmarktpolitisch und insbesondere im Hinblick auf unsere außenwirtschaftlichen Überschüsse.Er spricht dann in Verbindung mit 1990 davon, daß dann einige Probleme entstehen, die ernster genommen werden müssen. Aber dieser Kernsatz ist wichtig. Und in diesem Hinweis auf die außenwirtschaftlichen Überschüsse stimmt er mit Helmut Schmidt überein, den ich ja mit seinem Interview in der „Financial Times" als einen Befürworter deutlicher Steuersenkungen zitiert habe. Es ist interessant, daß keiner von
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1516 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Bundesminister Dr. StoltenbergIhren Rednern darauf eingegangen ist. Der wird hier allmählich so zur Unfigur, wenn wir im Bundestag ernsthaft miteinander reden.Ich will Herrn Kollegen Wedemeier abschließend noch einmal sagen, daß er — ich stimme Herrn Kollegen Neumann da zu — dem Land Bremen und seinem Senat durch die Art, wie er gegen uns polemisiert hat, nach meiner Überzeugung hier keinen guten Dienst erwiesen hat.
— Ach, wissen Sie, wenn wir hier so heftig angegriffen wurden, auch von Herrn Wedemeier, dann dürfen wir doch wohl in gemessener Form unsere Beurteilung über diese Rede abgeben.
Wo kommen wir denn sonst hin?
„Vernachlässigung Norddeutschlands" ist nicht eine zutreffende Beschreibung unserer Politik. Es ist auch nicht richtig, daß wir seit 1982 im Gesamttrend die Mittel gekürzt haben. Mein Kollege und Freund Bernd Neumann hat das anhand einiger Zahlen korrigiert.Wissen Sie: Wir sind ja nicht empfindlich.
Aber der Kollege Bangemann und ich haben uns mit großem Nachdruck dafür eingesetzt, daß Bremen zum ersten Mal in die Gemeinschaftsaufgabe kam — gegen manche Widerstände. Das haben unsere sozialdemokratischen Vorgänger nie getan. Herr Koschnick hat sich oft bemüht. Er hat immer eine Abfuhr bei den Genossen in Bonn bekommen.
Ich habe den Gesetzesvorschlag eingebracht und auch in Gesprächen mit vielen Ministerpräsidenten vorbereitet und unterstützt, daß Bremen zum ersten Mal in die Bundesergänzungszuweisung gekommen ist.
Wir haben in anderen Bereichen von der regionalen Wirtschaftsförderung bis zum Hochschulbau die von den Sozialdemokraten vor 1982 drastisch gekürzten Mittel wieder erhöht. Wir erwarten ja gar keine Dankadressen. Aber Sie müssen in der Art, wie Sie uns wenige Tage vor Ihrer Wahl hier massiv kritisch ansprechen, überlegen, ob das wirklich überzeugend ist und künftigen Perspektiven dient.
Ich will natürlich auch sagen — das hat ja Herr Neumann hier schon erwähnt — : Die ersten Reaktionen auf meine Vorschläge zum Länderfinanzausgleich fürBremen waren ja trotz einiger offener Wünsche — natürlich haben Sie einige offene Wünsche und Forderungen — viel positiver als das, was Sie hier im Deutschen Bundestag gesagt haben.Mich stimmt das alles sehr nachdenklich, was Sie da machen. Man kann ja darüber streiten, ob die Abgeltung der Hafenlasten verdreifacht oder vervierfacht werden soll. Nur, dies ist die erste Bundesregierung, die mit einer Initiative des Bundesfinanzministers nach Jahrzehnten vorschlägt, daß der Betrag immerhin verdreifacht wird.
Da können Sie ja sagen: Wir möchten ihn gern vervierfachen oder verfünffachen. Aber nach diesen Leistungen für Bremen uns hier anzugreifen, wir würden das Land vernachlässigen, ist wirklich absurd und nach meiner Meinung auch nicht eine kluge Politik.
Herr Kollege Wedemeier, ich muß es auch zurückweisen, wenn Sie es für richtig halten, meine Gespräche mit der schleswig-holsteinischen Landesregierung hier falsch darzustellen. Ich finde das eigentlich sehr erstaunlich.
Ich habe noch einmal in meinem Kalender auch die Termine nachgeguckt. Bevor ich auf einer Pressekonferenz Anfang August bekanntgab, daß jetzt die neuen Richtlinien für eine zielgerechtere und wirksamere Schiffbau- und Schiffahrtsförderung in Kraft gesetzt werden können, weil ein Bundesland — Schleswig-Holstein — mitmacht, habe ich dies natürlich mit meinen Freunden in der schleswig-holsteinischen Landesregierung abgestimmt. Wie kommen Sie eigentlich dazu, das Gegenteil zu behaupten? Sie sind doch nicht dabei, wenn ich mit Herrn Barschel oder den anderen Freunden in Kiel spreche. Sie gehen hier Gerüchten nach und benutzen den Deutschen Bundestag als Forum, eine wahrheitswidrige Behauptung über meine Gespräche mit meinen Freunden in Kiel aufzustellen. Ich bitte Sie, das wirklich zu unterlassen. Das ist ein ungewöhnlich schlechter Stil. Das muß ich hier sagen.
Ich will auch hinzufügen, daß es Gründe gab, das damals zu tun. Und die lagen nicht im Landtagswahltermin. Die Gründe, dies zu tun, lagen darin:
— Sie können ja gar nicht, Herr Struck, solchen Gründen sehr gut folgen. — Die Gründe will ich Ihnen sagen. Sie lagen darin, daß auch mir sehr wohl bekannt war, daß einige große deutsche Reedereien wichtige Aufträge — es gibt nicht mehr viele; das ist wahr — in den nächsten Wochen vergeben würden. Und wenn wir nicht in einem gewissen Wettbewerb gegen die Zeit und natürlich gegen Ihr Widerstreben
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1517
Bundesminister Dr. Stoltenbergdies Anfang August bekanntgegeben hätten, wären die Aufträge, die jetzt an deutsche Werften — in diesem Fall nach Kiel und Lübeck — gegangen sind — es hätten ja auch Bremer Werften sein können — , nach Asien gegangen. Ich könnte Ihnen, weil ich mich dieser Dinge sehr ernsthaft annehme, sagen, wie die Konkurrenzangebote aus Asien waren. Ich habe heute morgen hervorgehoben: Wir — auch die SPD — müssen nun einmal ernst nehmen, daß heute die Schiffbauer aus der Volksrepublik China, aus Südkorea, Taiwan und Brasilien zu 35, 40, 45 % der Kosten unserer deutschen Werften in Hamburg, Bremen, Kiel und Emden anbieten. Da kann man sich vorstellen, wie leicht die Aufträge in diese Länder gegangen wären. Das war der entscheidende Grund.
Auf Grund der im letzten Jahr erteilten Aufträge — wo der Bundeskanzler selbst, ich und andere sich eingesetzt haben — aus Amerika hat ja schließlich auch Bremen im Anschluß an die ersten AKP-Aufträge seine Weilten erfreulicherweise — mit Hilfe des Landes — auch noch beschäftigen können. Ich bin aber der Meinung, daß eine abgestimmte Schiffbauförderung viel vernünftiger ist.Ich will jetzt aus Zeitgründen keine kritischen Bemerkungen über die Bremer Politik und die Finanzpolitik der 70er Jahre machen. Herr Neumann hat das getan. Sie haben eben, Herr Kollege Koschnick — ich sage das vollkommen unpolemisch — —
— Ja, vollkommen unpolemisch, auch im Hinblick auf eine persönlich immer ordentliche Zusammenarbeit während vieler Jahre im Kreis der Regierungschefs. — Sie haben in Bremen bestimmte Entscheidungen getroffen, deren Folgen Sie tragen müssen. Ich habe immer einen Zweifel daran gehabt, ob sich Bremen mit dieser Universitätsgründung nicht übernommen hat. Ich rede jetzt gar nicht über die innere Entwicklung der Universität, ich rede nur über die gewaltigen Kosten. Sie können einen anderen Standpunkt vertreten. Nur, wenn ein Bundesland mit 650 000 Einwohnern ein so ehrgeiziges und kostspieliges Universitätsprojekt verwirklicht hat — aus Gründen, die Sie vertreten — , darf man nachher nicht nach Bonn gehen und den Bund anklagen, wenn man mit seinen Finanzen in Schwierigkeiten kommt.
Föderalismus ist ein entscheidendes Stück Eigenverantwortung. Diese Bundesregierung hat die Leistungen im Rahmen ihrer Ausgleichsfunktion zugunsten der strukturschwächeren und finanzschwächeren Regionen gegenüber den vorhergehenden Jahren erheblich gesteigert. Wir können hier den sachlichen Wettbewerb der Ideen bestehen — vor und nach Wahlzeiten. Ich bin überzeugt, daß die Argumente, die wir für unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik vortragen, von den meisten Menschen verstanden werden.Schönen Dank.
Das Wort hat der Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen, Herr Wedemeier.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, zunächst zum Ton: Ich dachte eigentlich, eine engagierte Auseinandersetzung im Parlament kann nicht schaden.
Sie haben ja soeben selbst bewiesen, daß Sie auch nicht ganz zimperlich sind.Mir ist aufgefallen, daß Sie Argumente — egal, ob nun von der SPD oder von den GRÜNEN — nicht dadurch entkräftet haben, daß Sie gesagt haben, wie denn die Steuerpläne nun wirklich finanziert werden.
Vielmehr haben Sie immer mit Vokabeln wie „unwahr", „Unwahrheit", „Verdrehungen" und „Fälschungen" gearbeitet. Sie hätten, glaube ich, alles vom Tisch wischen können, wenn Sie sich hier hingestellt und gesagt hätten: So wird die Steuerreform finanziert. Ich glaube, das wäre es gewesen.
Damit das nun nicht wieder als Angriff auf den Bundesfinanzminister betrachtet wird, sage ich deutlich dazu: Diese Kritik müssen Sie sich auch vom Spitzenkandidaten der CDU in Bremen gefallen lassen. Er greift Sie heftig an, weil Sie das nicht vor dem 13. September 1987 sagen. Ich denke, der Mann hat recht.
Nun kann man natürlich auch — ich komme gleich noch einmal auf Bremen zurück — Beispiele bringen. Aber den Facharbeiter, der 65 000 DM im Jahresdurchschnitt verdient, zeigen Sie mir bitte einmal. Den möchte ich einmal sehen.
— Er hat gesagt: aus der Mineralölwirtschaft. Aber nun frage ich: Ist es richtig, so zu tun, als würde der Facharbeiter in der Bundesrepublik Deutschland im Durchschnitt 65 000 DM verdienen, wenn es da einen Facharbeiter mit diesem Verdienst gibt? Das kann man doch nur sagen, wenn man die anderen nicht erwähnt.
— Nein, er hat aber so getan.Nun zu dem, was Sie zu mir gesagt haben, zu Bremen. Ich habe das soeben beinahe wie eine Drohung verstanden:
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1518 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Präsident des Senats Wedemeier
„Junge, wenn du jetzt nicht ganz lieb bist, dann passiert nichts mehr! " Ich denke, der Grundgesetzauftrag ist anders.
Sie können doch nicht an Politikern aus den Ländern interessiert sein, die vor der Bundesregierung kuschen. Das kann nicht Ihr Interesse sein. Sie haben mich bisher auch nicht als jemanden erlebt, der gegen die Bundesregierung nur polemisiert. Ich sage übrigens in Bremen hin und wieder auch — besonders im Parlament; das kann Herr Neumann bestätigen —, welche Fehler die sozialliberale Koalition gemacht hat. Nur, Sie wollten doch alles besser machen. Erlauben Sie mir bitte, daß ich auch sage, was ich an der Politik der Bundesregierung falsch finde.Natürlich ist es richtig, daß Herr Bangemann durch seinen Einsatz und durch Gespräche erreicht hat, daß Bremen in die Gemeinschaftsaufgabe „Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur" aufgenommen ist. Das ist richtig. Aber, meine Herren Minister, da gibt es auch Kriterien, nach denen man aufgenommen werden muß.
— Da sind wir doch drin. Das wissen Sie doch ganz genau. Das war doch auch eine Kompensation für eine andere Hilfe, die nicht zustande gekommen ist.Zu den Bundesergänzungszuweisungen. Es ist richtig, daß Sie dafür gesorgt haben, daß wir da 1985 hineinkamen. Das Bundesverfassungsgericht hat doch nun wirklich ganz deutlich festgestellt, daß Bremen gerade bei den Bundesergänzungszuweisungen in verfassungswidriger Weise von beiden Koalitionen benachteiligt worden ist. Das war doch auch kein Gnadenakt, Herr Minister, sondern das war etwas, was uns zusteht, und Sie haben dafür gesorgt, daß wir bekommen, was uns zusteht.Ich bin allerdings ganz anderer Meinung, was Ihren Gesetzentwurf angeht. Sie wollen doch in Ihrem Gesetzentwurf das, was Bremen auf Ihre Initiative hin 1985 an Bundesergänzungszuweisungen bekommen hat, nämlich 93 Millionen DM, auf 73 Millionen DM zurückschrauben, und zwar trotz des Stadtstaatenurteils des Bundesverfassungsgerichts. Das finde ich nicht gerecht. Sie kommen insgesamt auf 170 Millionen DM, die Bremen mehr bekommen soll.Noch einmal zu den Hafenlasten. Ich habe vorhin gesagt, die sind verdreifacht worden. Sie sagen, es sei egal, ob verdreifacht oder vervierfacht. Das Bundesverfassungsgericht hat das auch nicht gesagt, sondern hat gesagt, es müsse nachvollziehbar sein. Ich habe das Verfassungsgericht ja vorhin zitiert. Wenn wir zugrunde legen, was seit 1958 bei den Hafenlasten gilt — jetzt rede ich auch für Emden und Hamburg und nicht nur für Bremen — , dann können wir nachweisen, daß wir 200 Millionen DM Hafenlasten in Bremen haben. Da kann man doch nicht sagen: Ihr kriegt jetzt das Dreifache oder Vierfache. Nach der 58er Regelung müßten wir eigentlich 160 Millionen DM ersetzt bekommen. Das ist ja nicht das Geld der Bundesregierung, sondern es ist durch den Vorabausgleich von den Ländern aufzubringen.Man kann fragen, warum wir das jetzt erst machen. Ich denke, es ist Aufgabe der Politiker — wir haben das jahrelang versucht — , politische Probleme zunächst politisch zu lösen und nicht zum Bundesverfassungsgericht zu gehen. Wir sind erst hingegangen, als es wirklich nicht mehr anders ging. Ich habe doch bei der Einwohnerwertung im Bundesrat ein Kompromißangebot gemacht; das lag zwischen 140 und 145. Das ist der springende Punkt für Bremen. Wenn wir all das tun sollen, was wir für Niedersachsen tun — das kann ich auch für Hamburg sagen — , dann müssen wir da einen Ausgleich bekommen. Was Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorgeschlagen haben, ist nicht ausreichend, weil es dem Verfassungsgerichtsurteil nicht entspricht.Noch ein Wort zum Schiffbau. Herr Minister, ich glaube, man muß das einmal auflisten: Am 19. Juni gab es eine Ministerpräsidentenkonferenz Norddeutschland. Herr Barschel konnte daran aus verständlichen Gründen nicht teilnehmen, wurde aber vertreten. Ich habe die beiden Kollegen von der CDU gefragt, was denn nun mit der Beteiligung der Länder sein solle. Es war doch klar, daß ich nicht der einzige bin, der nachher sagt, wir wollen uns nicht beteiligen. Herr Albrecht hat gesagt: Das kommt überhaupt nicht in Frage, dies ist eine Aufgabe der Bundesregierung, und ich finanziere hier nicht mit. Etwas ähnliches hat der Vertreter von Herrn Barschel gesagt. Wir haben dann einstimmig eine Resolution verfaßt, in der zu lesen ist, daß wir der Auffassung sind, daß die Bundesregierung dies allein tragen muß. Ich habe die Gründe vorhin genannt.
Das war nicht nur die SPD, sondern das war SPD/ CDU.Dann hat es eine norddeutsche Wirtschaftsministerkonferenz gegeben. Zusammen mit Schleswig-Holstein — Sie können das nachprüfen — haben die Wirtschaftsminister der norddeutschen Länder eine Resolution vorbereitet. Da stand das gleiche drin — allerdings mit anderem Wortlaut — , nämlich daß die Wirtschaftsminister der norddeutschen Länder der Meinung seien, daß die Bundesregierung das zu übernehmen habe. Einen Tag bevor diese Sitzung stattfand, gab es Ihre berühmte Wahlveranstaltung in Schleswig-Holstein. Nun nehme ich Ihnen ja ab, daß Sie das mit der Landesregierung abgestimmt haben; nur hat die Landesregierung mit uns das Gegenteil in eine Resolution geschrieben,
und die wurde vorher verteilt. Das ist wirklich so gewesen! Dann kam der Wirtschaftsminister und hat gesagt: Wir finanzieren mit. Dann haben natürlich auch wir mitfinanziert; es ist doch selbstverständlich, daß wir unsere Werften nicht im Stich lassen.Zu den Aufträgen ist zu sagen: Ich finde es sehr nobel, daß HDW Kiel Aufträge hereinnehmen kann und daß Verluste über ein bundeseigenes Unternehmen abgedeckt werden.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1519
Präsident des Senats Wedemeier
Aber, Herr Bundesfinanzminister, das ist eine doppelte Förderung
einer einzigen Werft. Ich finde, das, was Sie da machen, ist richtig, weil Sie damit Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein sichern; nur, wenn Sie den Norden gleichbehandeln wollen, müssen Sie doch etwas ähnliches auch in Hamburg, Niedersachsen und Bremen tun. Herr Bangemann, Sie können doch nicht nur über Ihr bundeseigenes Unternehmen HDW Kiel Verluste abdecken und die anderen hängenlassen. Was für eine Politik für Norddeutschland ist das denn? Das geht doch nicht!
Ich biete Ihnen an — Sie wollen ja diese Werft offenbar nicht privatisieren — , daß Sie sich auch an den Weilten im Lande Bremen beteiligen. Der Preis ist nicht allzu hoch, aber die Verlustübernahme kommt natürlich noch hinzu.Ein letztes Wort, Herr Bundesfinanzminister, zur Universität, denn ich finde, dazu muß noch ein Satz gesagt werden, weil ja die Bremer die Universität nicht deshalb gegründet haben, weil sie unbedingt eine Universität gründen wollten. Auch die Große Koalition
hat das Land Bremen aufgefordert, eine Universität zu gründen.
Wir haben ja viele Debatten darüber geführt. Dann gab es hier eine denkwürdige Sitzung. Es gab nämlich eine Vereinbarung Bremens mit einigen anderen Ländern, die die Bremer Universität mitfinanzieren wollten. Der Finanzminister Strauß, der dann hier einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, hat — das können Sie in den Unterlagen zum Prozeß in Karlsruhe nachlesen — hier im Bundestag gesagt, er hielte es für verfassungswidrig, wenn einige Länder die Bremer Umversität mitfinanzierten; dies sei eine Aufgabe der Gemeinschaft, des Bundes und der Länder, und die hätten gemeinsam die Bremer Universität zu finanzieren. Jetzt werfen Sie als Finanzminister uns heute vor, daß wir diese Universität gegründet haben! Die Lasten sind in der Tat sehr hoch und drücken uns sehr; da gebe ich Ihnen recht.Sehr geehrter Herr Minister, ich habe nicht die Absicht, jemanden persönlich anzugreifen, aber ich habe die Absicht, engagiert die Interessen Bremens auch auf Bundesebene zu vertreten;
und ich denke, da gibt es einen Unterschied. Ich denke auch, daß die Steuergelder, die auf Bundesebene zu verteilen sind, gleichmäßig und gerecht zu verteilen sind, und manchem Zwischenrufer sage ich: Sie haben es nicht mit der Parteikasse der CDU zu tun,
sondern mit den Geldern der Steuerzahler in der Bundesrepublik.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Niemand wird Herrn Wedemeier verübeln, wenn er engagiert die Interessen seiner Stadt vertritt. Nur, das, was Sie hier heute wenige Tage vor der Wahl in Ihrem Lande gemacht haben, riecht doch sehr nach Wahlkampf,
und das ist nicht eine Vertretung der Interessen Ihres Landes.Ich will Ihnen sagen, wo Sie die Interessen Ihres Landes geschädigt haben: in der Frage der Werften. Was haben wir denn zusammen mit den Küstenländern, also auch mit Ihnen, gemacht?
— Ich werde jetzt wie jeder Redner vor mir im Zusammenhang reden und darf Sie bitten, dafür Verständnis zu haben.Wir haben nach einer Beratung, die Sie im Kreise der Küstenländer gemacht haben, mit Blick auf die schwierige Lage des Schiffbaus 420 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung gestellt, und zwar unter der Annahme — die damals auch von Ihnen gemacht worden war — , daß die Zahl der Arbeitsplätze in der Werftindustrie wegen des Kapazitätsüberhangs um 10 000 auf 30 000 zurückgehen würde und müßte. Wir haben die 420 Millionen DM ohne Rücksicht darauf zur Verfügung gestellt, ob das nun tatsächlich in diesem Umfang eintritt oder nicht, denn weder die Werften noch die Küstenländer noch der Verband konnten uns sagen, wo, wann und bei wem diese Arbeitsplätze abgebaut werden müßten. Wir haben das gemacht. Wir haben zunächst einmal 420 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Dann hat sich der Kollege Stoltenberg zusammen mit anderen darum bemüht, daß einige der Werften — übrigens nicht allein HDW, sondern auch andere Werften, wie Sie wissen, die heute Containerschiffe haben ordern können — mit einer zusätzlichen Hilfe des Bundes zunächst einmal — im Falle von HDW in der Tat mit besonderen Zuschüssen, in den anderen Fällen mit der neuen Wettbewerbshilfe, die wir geschaffen haben — Aufträge bekommen haben. Wenn HDW heute Aufträge bis ins Jahr 1989 hat und die Kapazität da ausgelastet ist, dann sollten Sie das nicht kritisieren.
Denn das erspart einen Wettbewerbsdruck bei anderen Werften.Wenn Sie dann von Bremen reden und die Schuld für die Situation Bremens überall suchen — sogar inzwischen bei der Großen Koalition; das habe ich noch
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1520 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Bundesminister Dr. Bangemannnie gehört; das war nun neu in dieser Diskussion —, dann muß ich Ihnen eines sagen: Als damals die erste Diskussion über die Frage der Zuweisungen nach Art. 104 a begann, da habe ich Ihren damals noch im Amt befindlichen Vorgänger, Herrn Koschnick, besucht. Wir haben uns damals unterhalten, weil Bremen verlangt hat, dieselbe Hilfe zu bekommen, wie wir sie damals dem Saarland gewährt haben. Ich habe mich auf dieses Gespräch vorbereitet. Da habe ich mir nicht die Protokolle der Großen Koalition angesehen, sondern die Protokolle der Haushaltsberatungen in der Bürgerschaft in Bremen. Die Aussagen der SPD, die da zu finden waren, sind der eigentliche Grund für die Finanzkrise Bremens. Da haben Sie natürlich wunderschöne populistische Aussagen gemacht. Zum Beispiel hat Herr Koschnick gesagt: Jede Kindergärtnerin, die in Bremen ausgebildet worden ist, wird in Bremen auch beschäftigt.
Das können Sie nachlesen, Herr Koschnick.Das ist der eigentliche Grund für die Situation in Bremen. Sie haben jahrzehntelang Investitionen in Bremen vernachlässigt.Die Universität in Bremen ist nicht wegen der Finanzkosten für den Ruf von Bremen so schwierig geworden, sondern schwierig geworden für den Ruf von Bremen war die mangelnde Reputation dieser Universität.
Schwierig geworden für Bremen ist die Situation, weil die SPD nicht in der Lage ist, eine vernünftige Wirtschaftspolitik zu machen, und weil Unternehmer sich von dieser Wirtschafts- und Finanzpolitik abschrekken lassen. Das ist Ihr Problem.Wenn Sie sich die Verschuldung von Bremen ansehen — ich will das hier nicht im einzelnen darlegen
jetzt schreien Sie nicht so — , dann müssen Sie zugeben, daß das ja nun wohl nicht ein Ergebnis der Großen Koalition ist, sondern das ist Ergebnis Ihrer eigenen verfehlten Politik in Bremen. Sie haben Bremen zugrunde gewirtschaftet, und jetzt stellen Sie sich hierhin und jammern andere an. Das ist die Wahrheit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, an diesem Beispiel kann man sehr deutlich zeigen, wie man Wirtschaftspolitik nicht machen darf. Deswegen haben wir mit der Wirtschaftspolitik, die wir machen, in der Tat einen anderen Weg beschritten. So wichtig Wachstum ist, so wichtig ist auch, daß man sich den Wandlungen in der Struktur einer Wirtschaft stellt. Als diese Koalition die Regierung übernahm, haben wir diesen Strukturwandel nicht einfach zur Kenntnis genommen, sondern wir haben ihn aktiv begleitet. Wir haben ihn aufgenommen, wir haben ihn ergriffen, umdarin eine neue Chance für die Wirtschaft zu sehen. Ich glaube, daß das der eigentliche Grund ist, warum wir uns inzwischen im fünften Jahr in einem Prozeß des Wachstums befinden. Das wird übrigens inzwischen sogar von einigen SPD-Leuten in ihren öffentlichen Äußerungen anerkannt.Allerdings, wir hätten diesen Strukturprozeß noch besser bewältigt, wenn wir nicht ständig mit den Ewiggestrigen zu tun hätten, die uns immer wieder einreden wollen, es sei sozialer, an alten Strukturen festzuhalten, und es sei menschlicher, Menschen Hoffnungen zu machen. Diesen Menschen sollte man lieber etwas anderes anbieten, weil man auch auf Ihrer Seite genau wissen müßte, daß in alten Strukturen Arbeitsplätze eben nicht mehr garantiert werden können.
Das ist die tiefe Auseinandersetzung, und das ist im Grunde genommen die Unmenschlichkeit, die sie in Ihren Äußerungen zeigen: daß Sie immer wieder Menschen, die beim Steinkohlebergbau, die im Stahl, die in den Werften, die in der Textilindustrie früher Arbeitsplätze hatten, sagen: Es kann alles so bleiben, wenn nur der Bund ein wenig mehr Geld zur Verfügung stellt. Das ist nicht so.Der Kollege Stoltenberg hat mit Recht gefragt: Warum ist denn die Werftindustrie bei uns in Schwierigkeiten gekommen? Weil neben vielen anderen Umständen, die ich schon häufig hier genannt habe — Überkapazität in der Schiffstonnage, sinkende Frachtraten, Berechnung der Frachtraten in Dollar, Dollarverfall — , die große Differenz bei den Lohnkosten, insbesondere bei den Schiffen, die mit wenig technischem Aufwand hergestellt werden können, dazu geführt hat, daß die deutschen Werften in manchen Bereichen des Schiffsbaus eben nicht mehr konkurrenzfähig sind. Das dürfte doch niemandem verborgen geblieben sein.
— Herr Roth, „Glauben Sie"? Wenn Sie das nicht mal erkennen! — Aber mit Ihnen will ich mich nicht befassen. Ihr Fall ist hoffnungslos. — Setzen Sie sich wieder hin.
Wenn man das nicht erkennt, meine Damen und Herren, wenn man diesen Unterschied in den Lohnkosten einfach wegdiskutieren will, tut man den Menschen unrecht, die in diesen Betrieben beschäftigt sind und sehr wohl andere Beschäftigungsmöglichkeiten auch in den Küstenländern hätten.
Herr Bundesminister, lehnen Sie auch die Zwischenfrage ab?
Ja, Frau Präsidentin. Ich möchte gern im Zusammenhang reden, wenn Sie damit einverstanden sind.Meine Damen und Herren, wenn man sich mal in Schleswig-Holstein, in Bremen und in Hamburg Betriebe ansieht, die sich nicht an diese konservative,
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1521
Bundesminister Dr. Bangemannerstarrte Position gehalten, sondern aus den Chancen, die sie hatten, etwas gemacht haben — ich habe eine Menge dieser Betriebe besucht, unter anderem vor kurzem einen, der Europas führender Hersteller von Motorcaravans und Campingwagen ist — , sieht man, daß da neue Chancen sind. Das gilt auch für die Stahlindustrie, das gilt auch für den Steinkohlebergbau. Aber eine Partei und Regierungen, die diese Partei stellt, die diese Chancen deswegen nicht wahrnehmen wollen, weil sie am Alten kleben und glauben, daß das sozial gerechter sei, machen Arbeitsplätze kaputt, machen Wirtschaftswachstum kaputt und zerstören Lebenschancen von Menschen. Das ist das Drama, in dem wir leben.
Es sind diese Starrheiten, es sind Marktregulierungen, es sind Vorschriften, tarifliche Vereinbarungen, die uns das Leben schwer machen.
Meine Damen und Herren, wir sind in der Spitzengruppe der Länder mit den höchsten Löhnen: Schweiz, Luxemburg, Bundesrepublik, Amerika, Schweden, das sind die fünf Länder mit den höchsten Löhnen. Wir sind das Land mit der geringsten Arbeitszeit auf der ganzen Welt.
Vor Japan und allen unseren Konkurrenten haben wir die geringste Arbeitszeit auf der ganzen Welt. Und wir sind, nach Schweden, ein Land, das mit einem guten Sozialsystem ausgestattet ist, das allerdings auch etwas kostet. Wir wollen das bewahren, wir wollen dieses hohe Lohnniveau bewahren; denn es ist Einkommen für jedermann. Wir wollen ein vernünftiges soziales Sicherungssystem; denn das bedeutet in der Krankheit oder im Alter Schutz für den einzelnen. Und natürlich kann sich auch niemand darüber beklagen, daß eine zurückgehende Arbeitszeit neue Lebenschancen eröffnet. Aber wenn wir das alles wollen, dann müssen wir eben auch leisten können, dann dürfen wir den Strukturwandel nicht verhindern, sondern dann müssen wir ihn bejahen. Wir müssen ihn unterstützen. Wir müssen etwas dafür tun.
Das ist eine Frage der Flexibilität. Wenn schon Arbeitsplätze bei uns sehr viel kosten, wenn schon die Arbeitszeitverkürzung immer mehr ein sozialer Fortschritt ist, müssen wir dafür sorgen, daß wenigstens Maschinen länger laufen können, wenn Menschen weniger arbeiten müssen. Und dazu sind Sie nicht in der Lage. Das haben Sie überhaupt noch nicht erkannt.
Wir brauchen diese Wettbewerbsfähigkeit, weil wir eben mehr als andere Länder auf den Export angewiesen sind. Wir haben im vergangenen Jahr einen Rekord erreicht, über den man nur jubeln könnte — ich tue das gar nicht —: Wir sind vor Japan, vor den USA der Exporteur Nr. 1 geworden. Da könnte man sagen: Unsere Industrie ist wettbewerbsfähig. Wir setzen uns auf den ausländischen Märkten durch. — Und das ist auch nicht falsch.
Man muß aber auch sagen, meine Damen und Herren: Wenn wir in diesem Maße vom Weltmarkt abhängig sind, brauchen wir Wettbewerbsfähigkeit. Dann brauchen wir auch den Willen der Gewerkschaften, an dieser Wettbewerbsfähigkeit weiter zu arbeiten. Dann können wir uns nicht in starre Denkschemata flüchten. Dann können wir einfach nicht an den überkommenen Lösungen kleben bleiben, sondern wir müssen neue Flexibilitäten durchsetzen.Natürlich muß auch das gesagt werden: Hier unterscheiden sich die Gewerkschaften. Es gibt Gewerkschaften, die diese modernen Anforderungen erkannt haben: die IG Bergbau und Energie, die IG Chemie. Das sind Gewerkschaften, die sich — übrigens im Interesse ihrer Mitglieder — solchen neuen Anforderungen stellen und deswegen auch bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit, der Teilzeitarbeit und bei weiteren Lohndifferenzierungen Beiträge zur Lösung der Arbeitsmarktprobleme leisten.Meine Damen und Herren, wer verkennt, daß bei den hohen Löhnen und bei den Anforderungen, die wir an die Qualifikation stellen, das eigentliche Strukturproblem der Arbeitslosigkeit darin liegt, daß wir vor drei Jahren 50 % Arbeitslose hatten, die keinen Hauptschulabschluß oder keine berufliche Ausbildung hatten, und heute zwei Drittel, die keinen Hauptschulabschluß oder keine berufliche Ausbildung haben, der geht an den Wirklichkeiten des Lebens vorüber. Hier wird niemand beschimpft, der unverschuldet und mit Qualifikation und mit Willen zur Arbeitsaufnahme arbeitslos ist.
Aber wir müssen genauso sagen, Herr Vogel, ob Sie das hören wollen oder nicht: In einer Volkswirtschaft, die auf einem so hohen Lohnniveau arbeitet, mit so hohen Lohnnebenkosten, mit einem so hohen Exportanteil,
müssen wir erwarten können, daß der einzelne Anstrengungen macht, um eine Qualifikation zu erwerben, um in dieser Wirtschaft eine Lebenschance zu haben.
Wer das nicht macht, der soll die Verantwortung nicht hier abladen. Das müssen wir zurückweisen.
Wir haben, auf unserer Wirtschaftspolitik fußend, seit 1983 650 000 Arbeitsplätze neu geschaffen. Die Zahl der Beschäftigten ist heute mit fast 26 Millionen so hoch, wie sie 1981 war. Die Zahl der Arbeitslosen war damals um rund 800 000 niedriger. Das ist richtig. Aber die Arbeitslosigkeit ist eben nicht nur ein Problem der Konjunktur, des Wachstums, sondern ist heute, wie ich gesagt habe, ein Problem der Struktur geworden.
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1522 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Bundesminister Dr. BangemannSo sehr wir uns bemühen müssen, dieses Problem zu lösen — und wir tun eine Menge in den Mitteln der Anstalt und in dem, was wir zur Verbesserung der Möglichkeiten der Anstalt noch beschließen werden — , so sehr müssen wir an die Verantwortung der Tarifparteien erinnern, der Arbeitgeber wie auch der Gewerkschaften. Denn ohne diese beiden wird man auch hier nicht vorankommen können. Wir brauchen Einstiegstarife, um den Schwächeren eine Chance zu geben. Es genügt nicht, bei Lohnabschlüssen oder Arbeitszeitverkürzungen darauf zu achten, daß die bestehenden Arbeitsplätze nicht gefährdet werden: Neue Arbeitsplätze müssen durch solche Vereinbarungen geschaffen werden.
Deswegen, meine Damen und Herren, ist es wichtig, daß wir in den Strukturfragen, wo einzelne industriepolitische Probleme gekennzeichnet werden, versuchen, eine Einigkeit herzustellen. Aber das ist das eigentlich Dramatische in dieser Situation. Dort, wo wir früher unter viel besseren Bedingungen Einigkeit hatten — bei der Energiepolitik — , ist sie heute nicht mehr vorhanden. Die SPD hat den Konsens in der Energiepolitik, der der Kohle eine Chance geben würde, aufgekündigt. Seit dem Nürnberger Parteitag, wo sie von sich aus beschlossen hat,
alles zu tun, damit innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren eine Energieversorgung ohne Atomkraft für die Bundesrepublik Deutschland verwirklicht wird, ist dieser Konsens aufgekündigt.
Seitdem sorgen sich auch die Gewerkschaften um die Zukunft der Arbeitsplätze bei der Steinkohle. Denn, meine Damen und Herren, es ist richtig, was die IG Bergbau und Energie gesagt hat:
Ohne den Verbund zwischen Kernenergie und Steinkohle hat die deutsche Steinkohle überhaupt keine Zukunft mehr.
Daß das inzwischen sogar in den Reihen der SPD langsam erkannt wird, haben eine Reihe von Äußerungen bewiesen. — Daß Ihnen das nicht gefällt, Herr Vogel, ist ja klar.
Denn alle richten sich nicht nach den Anweisungen, die Sie Ihren Dirigenten geben. So hat Herr Matthiesen erklärt, daß die beschlossene Zehnjahresfrist nicht mehr realistisch ist — „Handelsblatt" vom 27. August dieses Jahres. Selbst der Herr Ministerpräsident Rau sieht plötzlich ein — so in der NRZ — : Atomausstieg in zehn Jahren ist unmöglich.Ja, meine Damen und Herren, was gilt denn nun?
Wenn in einem Politikbereich Konstanz, Kontinuität und Verläßlichkeit wichtig sind, dann in der Energiepolitik. Dieser Zickzackkurs der SPD ist der Tod des deutschen Steinkohlenbergbaus, nichts anderes.
Wir haben unsere Energieversorgung sicherer gemacht. Der Ölanteil ist von 55 % 1973 auf 42 % gesunken. Übrigens, die Ölversorgung wird auch nicht mehr in dem Umfang wie 1973 aus den OPEC-Ländem sichergestellt, sondern, wie Sie alle wissen, zu einem hohen Prozentsatz aus der Nordsee. Allerdings sind die Kosten für die Kohlepolitik in einem Maße angestiegen, das volkswirtschaftlich Sorgen verursacht. Das ist nicht Schuld der Kohle. Wir haben erhebliche Rationalisierungsfortschritte bei der Kohle erreicht, aber im Weltmarkt für Energiepreise ist der Energiepreis, der für uns bei der Frage öffentlicher Hilfen das Grunddatum ist, gefallen. Wir haben inzwischen, alles zusammengerechnet — nicht nur das, was in meinem Haushalt steht — , eine Subventionierung des Steinkohlenbergbaus von fast 10 Milliarden DM erreicht. Das bedeutet 10 Milliarden DM Kosten nicht nur für den Haushalt, sondern auch für den Verbraucher. Der Verbraucher ist aber nicht nur der private Verbraucher, sondern auch die gewerbliche Wirtschaft, kleine, mittlere Betriebe bis hin zu großen Unternehmungen. Wenn wir an einen Punkt gekommen sind, an dem bei den Energiepreisen, die wir heute haben, nicht allein die Aluminiumerzeugung in der Bundesrepublik in Zukunft unmöglich sein wird, son-dem die Energiekosten zunehmend auch in der verarbeitenden Wirtschaft zu einem Wettbewerbsnachteil werden, so müssen wir das ändern. Wir müssen diese hohen Kosten senken, damit Unternehmen nicht belastet, ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt und Arbeitsplätze gefährdet werden.Wir wollen das in der Kohle-Runde so tun, daß das Mengengerüst in der Verstromung möglichst wenig angetastet wird. Das bedeutet zunächst einmal sehr harte Verhandlungen mit den Energieversorgungsunternehmen. Wenn auch dort die Opposition fragt: Wie soll es denn nun aussehen, dann muß ich Ihnen auch hier wieder sagen: Wir haben zur Vorbereitung auf die Kohle-Runde Anfang Oktober, auf die wir uns verständigt haben, bereits gute Ergebnisse erzielt. Wir werden in dieser Kohle-Runde dafür sorgen, daß im Mengengerüst so wenig Einbrüche wie möglich auftreten.Ich denke, daß wir uns da mit der IGBE einig sind. Sie schätzt die Lage nüchtern ein, viel nüchterner als die Opposition, übrigens im Interesse ihrer Mitglieder. Denn in dieser Situation ein Krisengeschrei zu beginnen, in dieser Situation gerade auch die Bemühungen der Bundesregierung zu diskreditieren, das ist nun in der Tat ein Bärendienst für den deutschen Steinkohlenbergbau.Ich habe dafür gesorgt, daß wir bei dieser Politik europäisch abgesichert sind. Wir brauchen da keine Befürchtungen hinsichtlich der Europäischen Gemeinschaft zu haben. Wir haben den Kohlepfennig auf 7,5 % erhöht, den Verstromungsfonds mit einem
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1523
Bundesminister Dr. BangemannKreditvolumen von 2 Milliarden DM neu ausgestattet. Wir haben alles getan, was nötig ist, um in Ruhe diese Probleme des Steinkohlenbergbaus zu lösen. Wenn Sie das jetzt zu einem aufgeregten Thema machen wollen, so werden sich die Kumpel dafür bei Ihnen nicht bedanken können, denn das erschwert jede Lösung. Das sage ich übrigens auch im Verhältnis zu einigen Bundesländern, denn Sie wissen, daß dieses Thema zwischen den Bundesländern durchaus nicht unumstritten ist.Jetzt höre ich: Nordrhein-Westfalen ähnlich wie Bremen. Das ist komisch. Überall dort, wo die SPD an der Regierung ist und schlechte Ergebnisse zustande bringt, sind wir schuld daran. Diese Verteilung der Verantwortung kann doch wohl nicht richtig sein. Lassen Sie uns lieber auch dort noch an die Regierung kommen, damit wir es besser machen können, und hören Sie mit Ihrem Gejammer auf!
In Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren, haben das Land und der Bund für den Steinkohlenbergbau seit 1983 rund 10 Milliarden DM aufgebracht. Wir haben die zeitliche Verlängerung des Stahlstandorteprogramms beschlossen. Wir haben zusätzliche Mittel, die im Rahmen der Regionalpolitik für die Montanregionen bereitstehen, beschlossen. Deswegen, meine ich, sollten wir hier, wenn das möglich ist, nun wirklich gemeinsam an dieser Aufgabe arbeiten, aber nicht, auch nicht in einer solchen Debatte, der Bundesregierung Verantwortung zuschieben, die sie erstens nicht hat und die sie zweitens in der Vergangenheit zusammen mit den Ländern sehr wohl wahrgenommen hat.Das Dilemma für die Opposition besteht einfach darin, daß sie nicht weiß, wie ihr Konzept aussehen soll. Da sind immer wieder die Meldungen von Herren Ehrenberg, den man ernst nehmen muß, oder von Herrn Roth, wo gesagt wird: Nun bricht die Konjunktur zusammen und: „Konjunkturlüge". Ich habe das alles im Manuskript, Herr Roth. Ich kann Ihnen das gern geben. Wenn Sie diese Fehleinschätzungen der letzten Jahre mit dem vergleichen, was wir wirklich erreicht haben, dann muß Ihnen eigentlich der Mut fehlen, hier die Regierung überhaupt noch zu kritisieren: Alles war falsch. Was in den letzten fünf Jahren zur Entwicklung der Konjunktur von der Opposition gesagt worden ist, hat sich immer als falsch herausgestellt. Wir sind im fünften Jahr des Wachstums, und vernünftige Leute, wie der Herr Ehrenberg, erkennen das auch an. Er hat vor kurzem sogar öffentlich gesagt, daß wir im fünften Jahr des Wachstums sind.Deswegen brauchen wir keinen Zweckpessimismus, sondern wir müssen diesen Kurs auch bei der Steuerreform unbeirrt fortsetzen. Da gibt es nun in der Tat eine Front von Nebelbomben,
die die Opposition gelegt hat. Wir haben von Anfang an gesagt: Zur Finanzierung der Steuerreform wird es keine Erhöhung der Mehrwertsteuer geben. Der Finanzminister hat sich dem angeschlossen.
Was Herr Apel hier heute gesagt hat, ist ein typisches Beispiel für diese Vernebelungstaktik.
Jedermann weiß: Der Wegfall der Gewerbesteuer gehört nicht zur Steuerreform, sondern ist ein Programm für die nächste Legislaturperiode, allenfalls für die Zeit, in der wir in der Europäischen Gemeinschaft zu einer Steuerharmonisierung kommen. Jeder weiß, daß die Gewerbesteuer in der Tat bei einer europäischen Steuerharmonisierung wegfallen und dann durch eine gemeindefreundliche Alternativfinanzierung ersetzt werden kann. Natürlich kann dafür auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer in Frage kommen.
— Du lieber Himmel, sind Sie denn nicht in der Lage, den Unterschied zu erkennen zwischen der europäischen Steuerharmonisierung, die vielleicht in vier oder fünf Jahren eintritt, und dem Wegfall der Gewerbesteuer dann und der Finanzierung der Steuerreform heute?
Daß Sie das immer noch nicht verstanden haben, erklärt solche Äußerungen wie die von Herrn Apel. Wir werden diese Steuerreform ohne Erhöhung der Mehrwertsteuer finanzieren.
— Meine Damen und Herren, Sie mögen das nicht, das ist klar, weil eine Opposition das, was eine Regierung leistet, runtermachen muß, damit sie wenigstens in etwa Bestand haben kann.Der Effekt, der bei der Steuerreform eintritt, wird netto 25 Milliarden DM Entlastung bedeuten.
— Bei wem, haben wir auch bereits durch die Eckwerte gesagt. Der Eingangssteuersatz wird von 22 auf 19 % gesenkt, der Kinderfreibetrag und der Grundfreibetrag werden erhöht. Das bedeutet im unteren Bereich allein schon eine Steuerminderung von 7 Milliarden DM. Dann wird die Kurve gesenkt und zu einer Linie begradigt. Das erfordert einen Betrag von 23 Milliarden DM. Der große Teil der Steuererleichterung wird im unteren und mittleren Bereich stattfinden.
Deswegen ist es absolut unsinnig, zu sagen, das sei sozial ungerecht.
Mit welchen Tricks Sie da arbeiten, merkt man ja Herrn Apel an, der sagt, wir hätten jedem Steuerzahler eine Minderung seiner Steuerlast von 1 000 DM im Jahr versprochen. Das ist natürlich vollkommener Unsinn; denn das kann niemand versprechen.
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1524 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Bundesminister Dr. Bangemann— Da sieht man, auf Grund welcher Informationen Sie arbeiten; denn es kann durchaus sein, daß jemand weniger Steuern als 1 000 DM im Jahr zahlt. In der Tat werden fast 1 Million Steuerzahler, die heute noch Steuern zahlen, gänzlich aus der Steuerpflicht entlassen. 1 Million bisheriger Steuerzahler werden überhaupt keine Steuern mehr zahlen.
Wir haben gesagt — aber das wollen Sie nicht wahrnehmen, weil es nicht in Ihr Weltbild paßt — , daß die durchschnittliche Entlastung 1 000 DM pro Steuerzahler im Jahr betragen wird. Aber Sie nehmen das nicht wahr, weil Sie Ihre falschen Argumente vortragen und die Bürger verunsichern wollen. Das ist Ihre Absicht, nichts sonst. Sie haben nichts zur Erleichterung der Steuerlast beigetragen, Sie tragen auch jetzt nichts bei. Sie machen sogar etwas, was in der Demokratie hochgefährlich ist: Sie verbreiten falsche Nachrichten und tragen damit nicht mal zu einer echten Auseinandersetzung bei. Das ist Ihr Beitrag dazu.
Diese Reform ist sozial ausgewogen. Sie erhöht die Steuergerechtigkeit, und sie wirkt leistungssteigernd. Wir werden sie durchsetzen, übrigens auch aus wirtschaftspolitischen Gründen, denn um Wachstum und Beschäftigung zu erhalten und zu verbessern und den Produktionsstandort Bundesrepublik wettbewerbsfähig zu erhalten — im übrigen auch um die öffentlichen Hände zur Sparsamkeit zu zwingen — , ist die Steuerreform auch notwendig.Meine Damen und Herren, es gibt Unternehmen, die den Produktionsstandort Bundesrepublik wegen der hohen Steuerlasten inzwischen nicht mehr als besonders günstig ansehen. Deswegen ist es wichtig, daß wir die Steuerreform auch aus wirtschaftspolitischen Gründen hier nicht zerreden. Wer sie nicht will, stellt sich gegen Strukturwandel, gegen Korrektur von Fehlentwicklungen, gegen die Reformfähigkeit unserer Wirtschaft und gegen die marktwirtschaftliche Erneuerung.Deswegen glaube ich, daß wir hier auch sehen müssen, daß wir mit der Steuerreform einen wesentlichen Beitrag zur weiteren wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik leisten, übrigens einen Beitrag, den wir international versprochen haben. Wir haben in der Tat bei allen internationalen Konferenzen, wo uns angeraten worden ist, mehr wirtschaftliches Wachstum zu produzieren, gesagt: Wir werden die Steuerreform durchführen, und das wird einen Anreiz von netto 25 Milliarden DM bedeuten. Mehr als 5 Milliarden DM haben wir ja auch schon vorgezogen.Wir werden also diese Steuerreform als ein Stück unseres marktwirtschaftlichen Konzepts durchsetzen. Wir sind sicher, daß wir damit auch einen Beitrag dazu leisten, daß wir unser soziales Netz finanzieren können. Denn, meine Damen und Herren, was passiert, wenn ein Staat glaubt, nur Ausgaben beschließen zu müssen, ohne für die Einnahmen zu sorgen, kann man bei unseren Nachbarländern sehr gut beobachten. Es gibt ein Nachbarland, dessen neue Regierung vieles von dem, was die frühere Regierung an sozialen Leistungen versprochen hat, wieder einkassieren mußte, weil es diese Leistungen nicht mehr finanzieren kann.Wer Sozialpolitik machen will, die den Menschen nützt, muß auch dafür sorgen, daß diese Sozialpolitik bezahlt werden kann.
Die Wirtschaft ist kein Selbstzweck, die Wirtschaft ist eine Grundlage dafür, daß sich ein Staat vernünftig verhalten kann. Deswegen ist auch die Kritik an dieser Wirtschaftspolitik und an der Bedeutung, die wir ihr zumessen, im Grunde genommen ein fehlangelegter Angriff, der, wenn wir ihm nachgeben würden, in Wahrheit die Sozialpolitik der Bundesregierung und der Bundesrepublik viel stärker beschädigen würde als die Wirtschaft selber. Wirtschaft überlebt häufig auch unter ungünstigen Bedingungen. Das kann man ja in Bremen ein bißchen studieren.
Aber, meine Damen und Herren, die Sozialpolitik läßt sich nicht aufrechterhalten, wenn man keine funktionierende Wirtschaft hat. Deswegen ist Wirtschaftspolitik für uns in erster Linie die Schaffung eines Fundaments für eine gerechte Sozialpolitik in diesem Land.
Dazu gehört auch, daß man den Staat auf seine Kernaufgaben zurückführt. Das ist keine dogmatische, ideologische Politik, die aus der Verbohrtheit irgendwelcher Glaubenssätze stammt. Den Staat auf seinen Kernbereich zurückzuführen, heißt vielmehr, die Kosten für den Bürger zu minimieren, heißt, die Wirtschaft effizienter zu machen. Es gibt keinen einzigen staatlichen Betrieb auf der ganzen Welt, meine Damen und Herren, der seine Aufgaben besser erledigen kann als ein privat organisierter. Es gibt aber eine Menge staatlicher Betriebe, die ihre Aufgaben durch Schluderei und Schlamperei schlechter erledigt haben, als es jeder private Betrieb kann.Deswegen wollen wir die Privatisierung. Wir wollen die Privatisierung, weil wir damit mehr Freiheit auch für wirtschaftliche Abläufe schaffen. Wir setzen deswegen die Politik der Privatisierung und Deregulierung fort. Das bedeutet Deregulierung von Unternehmen, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist, Privatisierung und Öffnung staatlicher Dienstleistungen für Private, Abbau von Regulierungen, wo sie die Schaffung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze, Innovation und Wettbewerb behindern. Das wird, wie wir das in der Regierungserklärung angekündigt haben, ein Hauptgegenstand der Arbeit der Deregulierungskommission sein.
Meine Damen und Herren, natürlich wollen wir all das sozial flankieren. Strukturwandel braucht soziale Flankierung. Aber wir müssen sehen, daß dieser Strukturwandel notwendig ist. Ihn zu verpassen würde uns insgesamt in die Situation derjenigen Länder führen, die sich jahrelang, jahrzehntelang auf einer alten Industriestruktur ausgeruht und geglaubt haben, das könne ihnen Zukunft garantieren. Das ist nämlich der wahre Grund, warum bestimmte Regionen unseres Landes zurückgeblieben und andere besser vorangekommen sind. Wer den Strukturwandel bejaht hat, hat in der Tat mehr Zukunft gewonnen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1525
Bundesminister Dr. BangemannWer das nicht getan hat, wird heute mit größeren Problemen zu kämpfen haben. Daß wir das aber sozial absichern wollen, zeigen unsere verschiedenen Programme und werden auch unsere weiteren Maßnahmen zeigen.Meine Damen und Herren, deswegen gibt es überhaupt keinen Grund, warum wir diese Politik ändern sollten. Sie ist erfolgreich. Sie hat übrigens bei den Menschen auch ein neues Gefühl für ihre eigenen Möglichkeiten eröffnet. Wer sich nämlich in allem und jedem auf den Staat verläßt, verliert eine menschliche Grundeigenschaft, die man gerade in einer modernen Zeit braucht: Selbstbewußtsein, die Fähigkeit, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, etwas für sich selbst zu tun und nicht allein auf andere zu warten.
Meine Damen und Herren, die Haltung, die Herr Wedemeier hier dokumentiert hat, zeigt, wie sehr diese falsche Einstellung von sozialistischen und anderen Strömungen, die auf den Staat rechnen, sogar schon bei den Menschen Eingang gefunden hat, die Politik eigentlich verantwortlich bestimmen und führen sollten. Wenn sich der Senatspräsident eines Stadtstaates hier hinstellt und die gesamte Verantwortung für die Fehlentwicklungen seines Landes beim Bund ablädt, dann ist das nichts anderes als die Einstellung der Menschen in Staaten, die daran gewöhnt sind, daß der Staat ihre Probleme löst. Von der Wiege bis zur Bahre erwarten sie alles vom Staat. Wenn es nicht so kommt, wie sie es wünschen, ist der Staat schuld daran. Diese Gesellschaft wollen wir nicht. Es ist eine unfreie, eine ineffiziente Gesellschaft, eine Gesellschaft, die keine Zukunft hat.
Meine Damen und Herren, deswegen werden wir auf den Bürger in unserem Lande setzen, der sein Schicksal in die eigene Hand nehmen will und weiß, daß er dieses Schicksal mit Optimismus, Sachverstand, Ausbildung und einer vernünftigen Regierung meistern kann. Eine vernünftige Regierung haben wir schon. Eine Mehrheit solcher Bürger haben wir auch schon. Daß diese Mehrheit noch größer wird, dafür werden wir sorgen.
Das Wort hat der Abgeordnete Sellin.
Herr Präsident! Ich möchte vorab die Redeliste kritisieren. Es ist zwar das Recht der Bundesregierung und auch der Länderbank, die Redeliste zu bestimmen, es gibt aber einige, die sich mit dem Bundeshaushalt in der ersten Lesung auseinandersetzen wollen. Das will das Parlament, also die vier Fraktionen, die hier sitzen, mit der Regierung. So ist das Modell zumindest gedacht. Wenn die Redezeit so manipuliert wird — das sage ich jetzt einmal übertrieben —, daß Sie von der Regierungsbank bzw. von der Länderbank zweieinhalb Stunden ununterbrochen
reden, dann verkehren Sie das Verhältnis von Parlament und Regierung.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie für einen Moment unterbrechen. Ich bin von meiner Vorgängerin auf dem Präsidentenstuhl, Frau Renger, unterrichtet worden, daß der Versuch gemacht worden ist, im Sinne des Parlaments zu verfahren. Aber nach unserer Geschäftsordnung und der Verfassung haben Minister das Recht, den Vorrang einzunehmen.
Es ist schlichtweg bekannt, . . .
Ich wollte Ihnen nur mitteilen, wie der Vorgang war.
... daß sie diese Rechte haben. Aber wie die hier in dieser Dominanz angewendet werden! Da können sie gleich in den Bundesrat gehen.
Ich möchte mich jetzt mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung auseinandersetzen. Herr Stoltenberg sitzt ja hier in den Reihen der CDU/CSU-Fraktion. Ihr Haushaltsentwurf für das Haushaltsjahr 1988 muß als Startschuß in eine wieder steigende Verschuldung bezeichnet werden.
Herr Stoltenberg verzichtet auf Einnahmen und spekuliert auf zukünftige Einnahmen. Herr Finanzminister, ich frage Sie: Sind Sie ein Spieler? Ich meine, die Konjunkturprognose, die Ihrer Finanzplanung zugrunde liegt, die Konsolidierung der Staatsfinanzen, das heißt die Senkung der Nettoneuverschuldung, ist mit diesem Haushalt von Ihnen aufgegeben worden. Erstes Kennzeichen für die Solidität der Finanzpolitik ist der Schnee von gestern. Die Steuerreform und die verschiedenen Subventionserhöhungen erzwingen den Abschied vom Image des soliden Haushälters. Die wirtschaftliche Entwicklung des Jahres 1987 brachte nicht 2,5 % reales Wachstum, wie Herr Bangemann dies noch im Jahreswirtschaftsbericht prognostiziert hat, sondern es wird allenfalls eine Zunahme von 1,5 % des realen Bruttosozialprodukts eintreten.Die Steuermindereinnahmen gegenüber der Steuerschätzung führen zu Finanzierungslücken, die ebenfalls das strahlende Image des Haushälters Stoltenberg zerstören.Herr Stoltenberg will die Entwicklung nicht wahrhaben, wenn er an dem Volumen der Steuerschätzung auch in seiner Rede von heute morgen festgehalten hat.Mit der Steuerreform hat die Bundesregierung ihren Wahlsieg im Januar 1987 verbunden. Die Steuerreform bewirkt im Haushalt des Jahres 1988 und erst recht ab 1990 Steuermindereinnahmen in Höhe von 44 Milliarden DM jährlich.
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1526 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
SellinDie Steuermindereinnahmen des Staates sollen — so Ihr wirtschaftspolitisches Konzept — zu Investitions- und Konsummehrausgaben der privaten Haushalte führen. Die schlichte Philosophie lautet: Die Bürger kaufen mehr, wenn der Staat weniger Steuern kassiert.
Die Unternehmen können mehr investieren, weil die Bürger durch geringere Steuerbelastung höhere Einkommen haben und mehr kaufen wollen.
— Sie stimmen zu. Das ist genau das, was ich hier vortrage: Konjunkturankurbelung durch Steuersenkungen; so ist Ihre Parole.
Man kann auch sagen — das ist die finanzpolitische Schizophrenie Ihres Ansatzes — : erst verteilen — das haben Sie heute toll verkündet — , später vielleicht kassieren können.Herr Stoltenberg, sind Sie ein Spekulant?Meines Erachtens wird Ihr Konzept aus folgenden Gründen scheitern. Die bereinigte Lohnquote ist heute auf dem niedrigsten Niveau seit Anfang der 60er Jahre. Die bereinigte Gewinnquote ist dementsprechend auf einem Niveau, wie es aus der Sicht der Unternehmen nicht besser sein könnte. Reale Investitionen der Unternehmen finden nicht in dem Maße statt, wie es der finanzpolitischen Grundannahme Ihres Konzepts entspricht.Die Unternehmen machen kräftige Gewinne, investieren teilweise verstärkt im Ausland — siehe USA — und legen ihre Gewinne in Wertpapieren an.Die reale Verzinsung von festverzinslichen Wertpapieren ist hoch und so attraktiv, daß das Risiko der realen Investitionen in Maschinen und Anlagen von den Unternehmen als viel zu hoch eingeschätzt wird, so daß es nicht zu beschäftigungswirksamen Erweiterungsinvestitionen kommt, sondern im Kern zu Rationalisierungs- und Umstrukturierungsinvestitionen.
Herr Stoltenberg, fehlende Gewinnerwartungen der Unternehmen lassen sich nicht durch zusätzliche Steuergeschenke an diese Unternehmen manipulieren. Das sollten Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben.Die Steuerreform zugunsten der Lohn- und Einkommensempfänger hat einen schweren Fehler: Sie verletzt die Erkenntnisse der keynesianischen Konsumfunktion. Mit anderen Worten: Steuernachlässe an kleine Einkommen führen zu sofortigem höherem Konsum, Steuergeschenke an höhere Einkommen führen zu einer höheren Sparquote.Die Steigerung der mittleren und höheren Einkommen — dazu zählt auch Ihr Beispiel von dem Facharbeiter in der Mineralölindustrie — sowie der Gewinneinkommen durch Steuergeschenke im Rahmen derSteuerreform wird überproportional in Finanzanlagen versickern und nicht der von der Bundesregierung gewollten Konjunkturankurbelung dienen.
Lothar Späth hat deshalb letzte Woche in einem „Zeit"-Interview seine Bedenken geäußert —: „Meine Bedenken sind, daß wir einen Rekord in der Verschuldung aufstellen werden. " Dieser These brauche ich nichts hinzuzufügen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Uldall?
Bitte.
Bitte schön.
Herr Kollege, könnten Sie einmal definieren, bei welcher Einkommenshöhe nach Ihrer Auffassung die höheren Einkommen beginnen?
Ich möchte ganz klar entgegnen: Wenn Sie sich das durchschnittliche Einkommen im Einzelhandel angucken, dann sind Sie ungefähr bei der Zahl, bei der ich das Durchschnittseinkommen ansiedeln würde, aber nicht in der Mineralölindustrie, weil dort das höchste durchschnittliche Einkommen in der Industrie erzielt wird. Von daher kann ich nur klipp und klar sagen: Sie wählen das falsche Extrem.
Erst recht wählen Sie das falsche Extrem in dem Beispiel von vorhin, daß Sie in unserer Gesellschaft von Doppelverdienern ausgehen, wo sich jeder in einem hohen Einkommenssektor bewegt. Auch das trifft nicht zu.
Wir haben heute über zwei Millionen Arbeitslose, und sehr viele Haushalte müssen mit einem Einkommensempfänger auskommen. Von daher sind alle Beispiele, die vorhin genannt sind, schlichtweg weit von der Realität entfernt.
Zwischenrufe längerer Art müßte ich unterbrechen, aber wenn der Redner zuhört, geht das natürlich.
Ich möchte jetzt fortfahren in meinem Redetext.Die Koalition sitzt jetzt bereits in der finanzpolitischen Klemme, weil sie nicht weiß, wie sie letztend-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1527
Sellinlich ihre Steuergeschenke finanzieren soll. Erst nach den letzten beiden Wahlterminen am nächsten Sonntag werden die Subventionsstreichungen zur Finanzierung der Steuernachlässe ans Licht der Öffentlichkeit gelassen. Dies ist politische Falschspielerei, Herr Stoltenberg! Wer plant, Steuernachlässe im Einkommensteuertarif durch die Streichung von Steuerfreibeträgen zugunsten von Arbeitnehmern und durch die Erhöhung von Verbrauchssteuern zu finanzieren, der sollte hier und heute Farbe bekennen und nicht dem Bürger seine Absichten vorenthalten.
Aktive Wirtschaftspolitik soll nach den Zielen des Stabilitätsgesetzes einen Beitrag dazu leisten, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Die Arbeitsmarktbilanz von August 1987 zeigt, daß die Zahl der registrierten Arbeitslosen gegenüber 1986 um 44 400 zugenommen hat. Mit Ignoranz belegt die CDU/FDP-Koalition den Anstieg der Arbeitslosigkeit durch den Verweis auf zunehmende Beschäftigtenzahlen. Herr Bangemann hat das wieder vorgeführt. Dabei ist off ensichtlich, daß sich die herrschende Politik mit einem Niveau von mehr als zwei Millionen Arbeitslosen bis weit in die 90er Jahre eingerichtet hat. Dazu kann man sogar sämtliche sogenannten unabhängigen Experten, die Sie so gerne zitieren, heranziehen.
Es ist kein Konzept, was Sie hier vortragen. Es ist ein Skandal, daß Sie sich hier auf eine Perspektive von mehr als fünf Jahren mit mehr als zwei Millionen Arbeitslosen eingerichtet haben.
Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, CDU-Mitglied Heinrich Franke, hat vor Sozialpolitikern der CDU/CSU-Fraktion laut Presseberichten vom 9. September eine düstere Arbeitsmarktprognose für die Regierung abgegeben. Dem kann ich nicht widersprechen, so leid es mir tut. Wer die Wochenarbeitszeitverkürzung bekämpft, wer die Vorruhestandsregelung voraussichtlich auslaufen läßt, wer befristete Arbeitsverhältnisse als Beschäftigungspolitik verkauft, wer ungeschützte Teilzeitarbeitsverhältnisse als steigende Beschäftigtenzahlen propagandistisch mißbraucht, wer der zunehmenden Anzahl von Langzeitarbeitslosen keine Perspektive im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik eröffnet, wer die finanzielle und soziale Verarmung größerer Bevölkerungsgruppen in sein Wirtschafts- und Finanzkonzept einbezogen hat, dem sollte der Wähler und Bürger schnellstens den Laufpaß geben.
Schleswig-Holstein hat eine Arbeitslosenquote von 9,5 %. Sie liegt weit über dem Bundesdurchschnitt von 8,6%.Die GRÜNEN stellen diesem Konzept und der Hinnahme dieser Massenarbeitslosigkeit ihr Konzept der Wirtschaftspolitik entgegen. Es besteht, so wie ich es hier vortrage, aus drei Grundpfeilern zum ökologischen und sozialen Umbau der Industriegesellschaft.Erstens: Arbeitsumverteilung durch Arbeitszeitverkürzung und Arbeitsfreistellungen. Dazu gehört, daß die Verkürzung der Wochenarbeitszeit fortgesetzt werden muß. Hierzu gehört auch, daß der Staat in seiner Rolle als öffentlicher Arbeitgeber auf die Forderung der ÖTV nach Verkürzung der Wochenarbeitszeit positiv reagiert und im kommenden Jahr, also 1988, Vereinbarungen über kürzere Arbeitszeiten und Neueinstellungen im öffentlichen Dienst trifft. Daher muß das Ziel im öffentlichen Dienst sein, zumindest die im IG-Metall-Bereich getroffene Regelung einer 37-Stunden-Woche zu vereinbaren.Die riesige Zahl der Überstunden, insbesondere auch im öffentlichen Dienst bzw. den angegliederten staatlichen Unternehmen — nehmen Sie beispielsweise die Eisenbahn — , muß durch ein Gesetz zum Abbau der Überstunden vermindert werden.
Wir schlagen vor, daß im Rahmen der wöchentlichen Regelarbeitszeit nur bis zu zwei Überstunden zugelassen werden.
Die Überstunden müssen durch Freizeitausgleich entlohnt werden. Der Abbau an Überstunden kann bis zu 300 000 Arbeitsplätze bringen.Die GRÜNEN haben außerdem einen Arbeitszeitgesetzentwurf erarbeitet, der die 40-Stunden-Woche mit 8 Stunden täglich, verteilt auf fünf Werktage, vorsieht.Das arbeitsmarktpolitische Konzept enthält verschiedene Rechte zur Freistellung von der Erwerbsarbeit. Zu diesen Freistellungsrechten gehören: Freistellungsrechte für die Kinderbetreuung, private Krankenpflege, gesellschaftspolitische Tätigkeiten, Bildungszwecke, monatliche Verfügungstage und die Langzeitfreistellung. Auf diese Weise erhoffen wir uns, daß weitere 300 000 Arbeitsplätze geschaffen werden können.Zweitens: Überwindung der herrschenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Die GRÜNEN fordern in ihrem Antidiskriminierungsgesetzentwurf die Quotierung der Arbeits- und Ausbildungsplätze zwischen Männern und Frauen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken?
Zur Zeit nicht. — Durch diese Forderung wird ein Arbeitsbegriff in die politische Debatte eingeführt, der neben der Erwerbsarbeit die gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten außerhalb der Erwerbssphäre einbezieht. Frauen sind häufiger als Männer erwerbslos. Zur Zeit steht eine Erwerbslosenquote von 10,4 % bei den Frauen einer Erwerbslosenquote von 7,4 % bei den Männern gegenüber. Das Ziel der Arbeitsumverteilung muß also — das ist unser Konzept — Tätigkeiten wie Kinderbetreuung, Hausarbeit, gemeinnützige, kulturelle und politische Aufgaben, Weiterbildung und die individuellen Interessen des Menschen einschließen.
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1528 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
SellinDie Quotierung der Erwerbs- und Ausbildungsplätze schließt den politischen Willen zur Umverteilung aller Tätigkeiten zwischen den Geschlechtern ein.
Drittens: Exemplarische Vorschläge zum Umbau der Industriegesellschaft nach ökologischen und sozialen Kriterien. Beispiel: Werften. Der Krise der Werften ist durch etwas erhöhte Subventionen, wie Herr Bangemann sie hier vorgetragen hat, nicht zu begegnen. Gerade zwei Monate vor der schleswigholsteinischen Landtagswahl wurden noch schnell Mittel bewilligt, um dem Vorwurf der Untätigkeit zu entgehen, ohne an das grundlegende Problem heranzugehen. Hier im Werftenbereich wie im Stahlbereich ist es so, daß sich die großen Konzerne auf dem Sektor Werften zurückziehen und sich diesen Rückzug noch mit staatlichen Subventionen versüßen möchten.
Solange sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, wird der deutsche Schiffbau in der Regel auch nicht wettbewerbsfähig sein können. Rahmenbedingungen heißt aber z. B.: Wieviel Tankerunfälle, wieviel Karambolagen können wir uns noch leisten? Wieviel gefährliche Fracht wollen Sie in Küstennähe noch an den Strand schwemmen lassen? Wieviel mehr oder weniger defekte Schiffe mit unzureichenden Sicherheitsvorschriften wollen Sie noch über die Nordsee fahren lassen? Solange also bedingungslos auf Verbilligung der Transportkosten gesetzt wird, wird auf die Gefährdung von Mensch und Umwelt und damit des Wattenmeeres nicht reagiert.
Ich kann nur klipp und klar sagen: Sie sollten sich die ökologischen Folgekosten, beispielsweise von Schiffsunfällen, von Chemieunfällen, die ja zu Lasten des Steuerzahlers gehen, ansehen.Es sollte also klar sein: Wir können unmöglich ein industrielles Wachstum weiter fördern, das mehr oder weniger dazu führt, daß wir Erlebnisse haben, wie wir sie in der Sommerpause hatten: Sintflutartige Regenfälle führen dazu, daß die Alpen einstürzen und politische Kosten für die Beseitigung der Folgeschäden entstehen.
Herr Abgeordneter!
Ich sehe: Die Redezeit ist zu Ende. Es tut mir leid. Ich muß hier abbrechen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glos.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeshaushalt hat zwei Seiten: eine Einnahmenseite und eine Ausgabenseite.Ich komme auf die Einnahmen zurück. Die Einnahmen des Bundes haben ja auch den Sommer lang die Öffentlichkeit mehr oder weniger heftig bewegt. Die SPD hat versucht, eine Hetzkampagne gegen die Steuerreform zu starten, wie sie eigentlich bei einem Gesetzgebungsvorhaben im Finanzbereich ohne Beispiel ist. Gottlob ist die Öffentlichkeit nicht aufgesprungen. Die Geschichte hat keinen Erfolg gehabt.Wir haben heute eine peinliche Fortsetzung, einen peinlichen, rüpelhaften — würde ich fast sagen — Auftritt des Herrn Kollegen Struck hier erlebt.
Das war eine konsequente Fortsetzung aller falschen Anschuldigungen, die zur Steuerpolitik während des Sommers erhoben worden sind.
Nachdem die Versuche erfolglos geblieben sind, die Steuerreform mit von vornherein falschen Behauptungen in Mißkredit zu bringen, z. B. die Bundesrepublik Deutschland gleite in eine Rezession und könne sich Steuerentlastungen in der vorgesehenen Höhe nicht erlauben, hat die SPD eine maßlose Desinformations- und Verwirrungskampagne gestartet, die durch Verdrehungen, Verkürzungen, Verfälschungen und Verzerrungen gekennzeichnet war.
Was ist da nicht alles behauptet worden: Von einer Erhöhung der Mehrwertsteuer bis zu vier Prozentpunkten war die Rede.
Von einer Mineralölsteuererhöhung um 20 Pfennig pro Liter war die Rede, gar von der Einführung einer Weinsteuer und einer Anhebung der Versicherungssteuer usw. usw. usw.
Es wurde uns unterstellt, wir wollten den Weihnachtsfreibetrag abschaffen. Es hieß, wir wollten den Arbeitnehmerfreibetrag halbieren, wir wollten die Steuerfreiheit für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit streichen, ebenso die Übungsleiterpauschale. Und lauter solche Horrormärchen.Wenn man alles addiert, was uns die SPD unterstellt hat, was wir streichen wollten,
kommt man auf 120 Milliarden DM; wir haben das einmal nachgerechnet. Aber wir brauchen keine 120 Milliarden DM, um unsere Steuerreform 1990 wie versprochen, zu finanzieren; wir brauchen dafür lediglich 19,4 Milliarden DM. Ich komme dann dazu, wie wir uns die Lösung in groben Zügen vorstellen.Ich bin der Meinung — das gilt auch für die heutige Debatte — : Auseinandersetzung gehört zur Politik. Politische Gegnerschaft ist dadurch gekennzeichnet, daß man im allgemeinen anderer Auffassung ist. Argumente müssen anders gewichtet werden. Sie müssen ordentlich ausgetauscht werden. Fakten können anders interpretiert werden. Auch das Weltbild kann sich unterscheiden. Aber ich bin der festen Überzeugung, daß dies alles nicht dazu berechtigt, daß man ständig wider besseres Wissen die blanke Unwahr-
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Glosheit sagt und den politischen Gegner damit diffamiert.
Die SPD wirft der Koalition vor, unsere Steuerpolitik sei unseriös. Diese Bewertung kennzeichnet allerdings eher das Vorgehen der SPD selbst.Ich habe gesagt: Wenn man alles addiert, was man uns unterstellt, merkt man, daß eine große Verwirrung irgendwo in den Köpfen führender SPD-Finanzpolitiker vorhanden sein muß. Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Entweder die sogenannten führenden finanzpolitischen Köpfe der SPD — der Herr Spöri will sich ja als sogenannter Spitzenkandidat in Baden-Württemberg profilieren — sind mit einfachen Berechnungen überfordert.
— Durch Zeitablauf möglicherweise. Herr Roth, auch Sie sind aus Baden-Württemberg, wenn ich richtig unterrichtet bin. Ich weiß nicht, ob es Ihnen wehtut, daß Sie vom Herrn Spöri überholt worden sind. Aber es wird sich letztendlich zeigen, wer von euch beiden das Rennen innerhalb der Opposition gewinnt; denn an die Regierung kommt ihr dort nie.
Jedenfalls: Ihr Unvermögen, richtig zu rechnen, ist gemeinhin bekannt. Wir haben schon erlebt — ich bin seit 1976 in diesem Haus — , daß durch das Unvermögen der SPD, richtig zu rechnen, der Bundeshaushalt Jahr für Jahr stärker ins Schleudern gekommen ist und wir diese Schuldenlawine, an der wir jetzt zu kauen haben, von Ihnen serviert bekommen haben.Es gibt auch eine andere Möglichkeit. Es geht der SPD nicht um sachliche Information der Bürgerinnen und Bürger, sondern es geht einzig und allein darum, Angst zu schüren und persönliche Verunsicherung zu treiben, um daraus bei den anstehenden Landtagswahlen möglicherweise Kapital zu schlagen.Es gibt vielleicht noch eine dritte Möglichkeit. Herr Apel, der ja Ihr führender finanzpolitischer Kopf ist, hat möglicherweise noch Schmerzen von seiner Steuerreform; denn er hat damals zwar gesagt, daß ihn ein Pferd getreten habe, er hat aber bis heute nicht verraten, wohin ihn das Pferd getreten hat. Möglicherweise rührt die Verwirrung auch daher.Zur Unterstützung des Feldzuges gegen die Steuerreform hat die SPD auch den Deutschen Gewerkschaftsbund mobilisiert. Ich bedaure, daß sich der DGB wieder einmal parteipolitisch einseitig vor den Karren hat spannen lassen. Auch ansonsten seriöse Meinungsforschungsinstitute sind bemüht worden und waren sich nicht zu schade, sich ebenfalls vor diesen Karren spannen zu lassen. Wissen Sie, bei den Meinungsforschern ist das so eine Geschichte. Die Antwort hängt irgendwie immer mit der Frage zusammen. Wenn Sie Leute, die ohnedies keine Steuern zahlen, befragen, ob sie für Steuersenkungen sind, werden Sie von ihnen natürlich ein Nein hören. Wenn Sie hingegen Leute befrage, die unter der Steuerlastleiden, deren steigendes Einkommen mit noch höheren Steuern belastet wird, werden sie natürlich anders antworten.
— Frau Noelle-Neumann war nicht beauftragt. Ich glaube auch nicht, daß sie sich so billige Fragen hätte unterstellen lassen.Jedenfalls müssen sich die Bürger ganz schön dumm vorkommen, die Ihnen geglaubt haben, wenn wir am Ende — ich bin überzeugt, daß das schätzungsweise im November soweit sein wird, nach den entsprechenden Diskussionen auch in der Koalitionsfraktion - unsere Finanzierungsvorschläge für die 19,4 Milliarden DM vorlegen.
Nach der ersten Stufe des Steuersenkungsgesetzes im Jahr 1986 wird 1988 eine erweiterte Stufe, nämlich eine zweite Stufe in Kraft treten. Dann werden Steuersenkungen im Umfang von netto über 24 Milliarden DM bereits wirksam geworden sein — auch als ein Beitrag zur Stützung der Konjunktur.1990 — ich habe eben davon gesprochen — werden weitere Steuerentlastungen im Umfang von 39 Milliarden DM brutto in Kraft treten. Ich nehme mit Zufriedenheit zur Kenntnis, daß selbst unter Ihren zahlreichen Verlautbarungen eine zu finden war, in der es hieß, das sei ein gigantisches Volumen. In der Tat ist das ein gigantisches Volumen. Dieses Volumen wird auch bei den steuerzahlenden Bürgern ankommen.Wer wird entlastet? Sie bringen das Stichwort Großverdiener. Ich sehe keinen der ehemaligen SPD-Minister hier. Herr Vogel ist ja Ihr neuer Parteivorsitzender und Fraktionsführer. Vielleicht verstehen Sie, wer entlastet wird, wenn ich es Ihnen einmal an dem Beispiel von Herrn Vogel erläutere. Nicht nur der Exminister, Exoberbürgermeister und Bundestagsabgeordnete — denn das addiert sich ja beim Gehalt — Vogel wird entlastet, auch seine persönlichen Referenten werden entlastet, seine Fahrer werden entlastet, seine Sekretärinnen werden steuerlich entlastet, seine Leibwächter werden entlastet, seine Putzfrau wird, wenn er sie nicht nach der 410-DM-Regelung entlohnt, sicher auch entlastet werden. So verstehen wir Steuerentlastung für alle Schichten der Bevölkerung, nicht nur für die sogenannten Besserverdienenden, die Sie immer wieder von neuem bemühen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?
Aber gerne.
Herr Glos, spricht es eigentlich nicht für Herrn Dr. Vogel, unseren Fraktionsvorsitzenden, daß er die Ansicht vertritt, er brauche keine Steuerentlastung?
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1530 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Ich bin überzeugt, er braucht sie nicht.
Aber gerade der von mir aufgeführte Personenkreis, ohne den Herr Dr. Vogel nicht so wirken kann, wie er es tut, braucht diese Steuerentlastung ganz dringend.
Selbstverständlich kann man sich nur ein objektives Bild von der Steuersenkung machen, wenn man einmal die individuelle Steuersenkung mit der bisher zu tragenden und der noch verbleibenden Steuerlast vergleicht, also auch die prozentuale Entlastung in Betracht zieht. So ergibt sich z. B. allein auf Grund der für 1986 und 1988 vorgenommenen bzw. beschlossenen Steuerentlastungen folgendes Bild, wenn man den Vergleich mit dem bis dahin im Kern gültigen SPD-Tarif zieht. Ein Verheirateter mit zwei Kindern, der monatlich 1 500 DM verdient, zahlte 1985 dafür 71 DM Steuern. Er wird um diese 71 DM entlastet, also um 100 %. Er wird endgültig von der Steuerbelastung freigestellt und kann damit für die weitere Entlastungsstufe, für die 90er Stufe, seriöserweise nicht mehr herangezogen werden. Dies ist natürlich die Antwort auf die Frage, die auch von Herrn Struck in den Raum gestellt worden ist. Jemand, der 3 500 DM verdient, hat im Jahr 1985 447 DM Lohnsteuer gezahlt. Er wird um 85 DM oder 19 % entlastet. Verdient er 15 000 DM, so liegt seine Entlastung bei 699 DM oder 12,8 %. Die 1985 einbehaltene Steuerschuld betrug 5 460 DM. Er wird zwar gegenüber dem zweiten Fall um mehr als das Achtfache entlastet, dafür liegt seine Steuerschuld aber um mehr als das Zwölffache höher. All diese Entlastungen hat der Haushaltsentwurf 1988, der heute diskutiert wird, bereits verkraftet. Das müssen wir sehen, und das ist eine große Leistung.Die politische Redlichkeit gebietet natürlich, die Aspekte der unterschiedlichen Entlastung darzustellen, sie nicht zu verschweigen oder gar zu beschönigen. Die für 1990 angekündigte Steuerreform ist in diesem gerade gebrachten Beispiel noch nicht berücksichtigt. Bezieht man die für 1990 geplante Steuerreform in die Betrachtungen ein, so zeigt sich, daß sich für diejenigen, die keine der abzubauenden steuerlichen Ausnahmetatbestände in Anspruch nehmen, folgende Entlastungen ergeben. Ein Beispiel: Ein Alleinstehender — das kann ein Ingenieur, ein Facharbeiter in der Automobilindustrie, das kann auch ein Monteur sein, der viele Stunden arbeitet — , der 55 000 DM jährlich zu versteuern hat, wird gegenüber 1985 um 4 735 DM entlastet. Das sind 8,72 % seines zu versteuernden Einkommens oder rund 27,4 % seiner Steuerlast von 1985. Ein doppelverdienendes Ehepaar mit einem Einkommen von 80 000 DM wird nach der Splittingtabelle im Vergleich 1985/1990 um 4 878 DM entlastet und zahlt statt 21 012 DM Steuer künftig nur noch 16 134 DM an Steuern. Das macht rund 23,2 % der Steuerlast von 1985 bzw. 6,1 % des zu versteuernden Einkommens aus.Für diejenigen, die zuvor bereits in starkem Maße steuerliche Sonderregelungen ausgenutzt haben,wird sich natürlich, wenn die 19,4 Milliarden DM finanziert werden, diese Entlastung entsprechend reduzieren. Hohe absolute Entlastungen können nicht als sozial ungerecht bewertet werden, wenn man auch die zu tragende Steuerschuld mit in die Überlegungen einbezieht. Es ist einfach so: Wer keine Steuern zahlt, kann nicht entlastet werden. Deswegen kann logischerweise die Zahl von 1 000 DM nur durchschnittlich gemeint sein. Ich hoffe, daß dies auch auf seiten der SPD verstanden wird und nicht weiter mit falschen Behauptungen gearbeitet wird, daß jeder um 1 000 DM Steuern entlastet wird. Das gilt selbstverständlich nur für die, die man auch entlasten kann. Ich hoffe, daß das verstanden worden ist.
In den kommenden Wochen und Monaten — ich gehe auf Ihre Frage ein — wird sich, steuerpolitisch gesehen, das Hauptaugenmerk der Koalitionsfraktionen auf die 1990 zu finanzierende Steuerreform konzentrieren.
Ich bin der Meinung, daß wir gute Chancen haben, diese Steuerreform dadurch zu finanzieren, daß wir die Tabelle der Ausnahmetatbestände hernehmen, sie durchforsten, daß wir die Steuergesetze zur Hand nehmen, die inzwischen sowieso viel zu kompliziert geworden sind, und sehen, was wir an ungerechtfertigten Ausnahmetatbeständen abbauen können. Ich weiß gar nicht, ob das den Steuerberatern am Schluß recht ist. Wir möchten auch die Steuerberater ein Stück überflüssig machen;
wir möchten eigentlich dahin kommen, daß die Leute wieder etwas stärker in die Lage versetzt werden, ihre Steuererklärung selbst auszufüllen. Auch Vereinfachung gehört also unserer Meinung nach dazu.Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, die Frage ist: Wollen Sie überhaupt Steuerentlastung?
Wenn man sieht, daß Sie in Ihrer Verantwortungszeit den staatlichen Korridor eigentlich immer stärker verbreitert haben, daß Sie die Staatsquote und die Steuerlast immer stärker erhöht haben, merkt man, daß Sie hier ideologische Barrieren haben. Sie glauben nach wie vor, das Geld sei bei den Funktionären, bei den staatlichen Wirtschaftsplanern besser aufgehoben als in den Taschen der Bürger. Wir sind der Meinung, zig Millionen Einzelentscheidungen von mündigen Bürgern können die Wirtschaft viel besser steuern als staatliche Funktionäre.
Wir möchten auch, daß diejenigen, die arbeiten, die sich plagen, die Leistung bringen, einen größeren Teil des Ergebnisses dieser Leistung in ihrer eigenen Tasche behalten können. Das wollen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, von der SPD nicht; Sie
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1531
Gloswollen bereits mittlere Einkommen mit Sonderabgaben belegen.Ich bin der Meinung, daß wir es schaffen werden, den allergrößten Teil dieser 19,4 Milliarden durch die besagte Einschränkung von Subventionen, zu finanzieren. Ich bin auch davon überzeugt, daß die Beteiligten den Mut dazu mitbringen. Da richte ich einen Appell an die Koalitionsfraktionen, aber auch an die Herren auf der Regierungsbank und an unsere Vormänner. Wenn wir ausreichend Mut mitbringen — die Finanzpolitiker der Union, für die ich reden kann, haben diesen Mut, und ich glaube, auch die der Koalition insgesamt haben ihn — , müßten diese 19,4 Milliarden möglicherweise sogar ohne einen Pfennig Verbrauchsteuererhöhung zu finanzieren sein. Da wird es natürlich erst einmal einen Aufschrei im Lande geben, aber ich bin der Meinung, entweder es müssen sehr viele schreien, oder es müssen sich sehr viele freuen. Das heißt, wir wollen dies gerecht verteilen, so gerecht, wie es überhaupt möglich ist. Weder wollen wir es beim sogenannten kleinen Mann — oder, wie die GRÜNEN sagen, bei der kleinen Frau — holen, noch wollen wir die Wirtschaft schonen. Wir wollen ganz unvoreingenommen an diese Dinge herangehen, und wir sind dabei, sie zu prüfen.Wir sind nach wie vor im Fahrplan.
Es ist ja vom Bundesminister der Finanzen immer angekündigt worden, daß wir von ihm im Oktober den Vorschlag bekommen. Wir brauchen natürlich die Vorarbeit des Bundesfinanzministeriums. Es muß ja auch eine Abstimmung mit den Ländern geben, denn die Länder müssen letztendlich im Bundesrat zustimmen; sonst ergibt sich keine Mehrheit. Danach werden wir als Parlament uns damit befassen. Wir haben uns natürlich in der Zwischenzeit unsere Gedanken gemacht,
und ich bin überzeugt: Da gehen viele Listen um. Es ist ja auch die Pflicht der Finanzpolitiker, daß sie sich einmal überlegen, wo man einsparen könnte.Wenn der Vorschlag des Bundesfinanzministers da ist, werden wir uns zusammensetzen, und dann werden wir sehen, was vernünftig ist und was realisierbar ist. Wir werden dies rechtzeitig auf den öffentlichen Prüfstand stellen, und dann kommt ja das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag, in dem die Reform Punkt für Punkt abgeklopft werden kann. Ich bin davon überzeugt, daß wir von Bundesfinanzminister Stoltenberg einen Vorschlag bekommen, der in den Grundzügen konsensfähig ist, und den werden wir dann in die Tat umsetzen.
Eines aber möchte ich zum Schluß sagen: Wir werden — darauf können Sie sich verlassen — die Steuerreform so, wie sie in den Koalitionsvereinbarungen vorgesehen ist, durchziehen.
Wir werden unseren Beitrag dazu leisten,
daß wieder mehr Leistungsanreize bei Arbeitnehmern und Unternehmen vorhanden sind. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, daß sich die Risikobereitschaft wieder erhöht. Wir wollen mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in der Wirtschaft. Wir wollen Kapitalbildung und damit Investitionsfähigkeit erreichen. Wir möchten in der Bundesrepublik Deutschland auch im internationalen Wettbewerb der Steuersysteme bestehen können. Dazu brauchen wir eine möglichst breite Unterstützung, und auch die Opposition wäre gut beraten, wenn sie an diesem Reformwerk konstruktiv mitarbeiten würde.
Das Wort hat der Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die etwas seltsam zwischen Finanz- und Wirtschaftspolitik verflochtene Debatte doch nutzen, um ein paar Bemerkungen aus meiner Sicht zur Steuerpolitik zu machen. Herr Stoltenberg und andere haben uns vorgeworfen — gerade hat es auch Herr Glos getan — , wir würden die Unsicherheit auf diesem Gebiet nähren,
wir würden Schwierigkeiten provozieren. Meine Meinung ist: Die Tatsache, daß nur 10 % der Bürger der Bundesrepublik Deutschland — und zwar unabhängig davon, ob Frau Noelle-Neumann vom Institut Allensbach oder Herr Ernst von Infratest oder Infas befragen — sagen, aus dieser Steuerreform komme etwas Gutes heraus, weist auf einen Krebsschaden Ihrer politischen Diskussion hin.
Sie haben den Leuten etwas versprochen, ohne die Finanzierung darzustellen;
das ist der eigentliche Punkt. Das große Mißtrauen, das Sie in der Bundesrepublik Deutschland erzeugt haben, geht darauf zurück.Nun wäre eine gute Chance gewesen, meine Damen und Herren, in der heutigen Debatte zu sagen: Wir haben inzwischen in den letzten sechs, sieben Monaten diskutiert; wir sind ein Stück weiter gekommen. — Dann hätte ein Bundesfinanzminister Vertrauen geschaffen. Vielleicht wäre aus den 10 % etwas mehr Zustimmung zu der Steuerreform geworden. Aber die Feigheit vor dem Feinde, nämlich den Subventionsstreichungen und den Veränderungen im Steuersystem, schafft dieses Mißtrauen. Was wir hier sagen, ist ja nur eine Wiedergabe der Diskussion in der Bevölkerung selbst.
Meine Damen und Herren, ich erinnere mich an viele Debatten über Stetigkeit und Vertrauen in bezug auf das Steuersystem im letzten Jahrzehnt. Herr Stoltenberg, ich erinnere mich an viele Debattenbeiträge von Ihnen in einer Zeit, als Sie so etwas wie der finanz-
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1532 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Rothpolitische Sprecher der Opposition waren, allerdings nicht im Deutschen Bundestag, sondern als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Wie oft haben Sie den Vertrauensnachteil für die Bevölkerung und insbesondere die Wirtschaft, der durch unstetige Finanzpolitik da sei, beschworen.
Herr Stoltenberg, versetzten Sie sich einen Moment in die Lage der Opposition, und überlegen Sie, was Sie zu dem sagen würden, was Sie und Ihre Koalition an Unklarheit, an Ungewißheit, an Unsicherheit in bezug auf Planung in der Wirtschaft geschaffen haben, das ist die Wahrheit.
Es ist ein Investitionshemmnis allererster Ordnung, daß niemand weiß, wo Subventionen gestrichen werden, wo das Steuerrecht verändert wird; das ist der eigentliche Punkt in diesem Zusammenhang.
Dann gibt es einen zweiten Punkt. Ein Steuersystem und jede Steuerveränderung haben ja zwei Hauptkriterien, und diese kommen nicht immer zusammen. Ich als Oppositionsredner will da auch nicht ungerecht und pharisäerhaft argumentieren. Es geht erstens um die Frage der Gerechtigkeit — sind Steuerveränderungen und Steuersystem gerecht? — und zweitens um die Wirksamkeit im Hinblick auf die Investitionstätigkeit in der Wirtschaft. Da gibt es Konflikte.Ein extrem gerechtes Steuersystem kann negative Rückwirkungen auf die Investitionstätigkeit der Wirtschaft haben. Ein für die Investitionstätigkeit extrem wirksames und effektives Steuersystem kann in einer Demokratie unakzeptabel und untolerierbar für die Menschen sein, weil die Gerechtigkeit verletzt wird.Was ich bei Ihnen beobachte, ist nun folgendes: Die Vorschläge sind weder gerecht noch wirksam, was die Investitionstätigkeit in der Wirtschaft betrifft. Ich will das in zwei, drei Punkten begründen.Wir wissen, daß Menschen beim Existenzminimum besteuert werden, auch nach Ihrer Reform. Warum dann nicht das Geld, das man für die Senkung des Spitzensteuersatzes braucht, auf die Erhöhung des Freibetrags für die kleinen Leute konzentrieren, damit sie endlich aus der Besteuerung herauskommen? Das ist doch wohl das Wesentlichste bei der Gerechtigkeit.
Jetzt zur Effektivität: Herr Stoltenberg, Sie haben heute früh gesagt, unser Steuersystem sei, bezogen auf die Unternehmen, zu rigide. So rigide kann es angesichts bestimmter Großkonzerne mit einem Spitzensteuersatz von 53 % wohl nicht sein, wenn ich bedenke, daß Daimler-Benz 15 Milliarden DM Kriegskasse hat, die nicht für Investitionen verwendet werden. Daimler-Benz — ungeachtet der Führung des Unternehmens — braucht keine Spitzensteuersatzsenkung zur Investitionsfähigkeit. Aber wir wissen ganz genau, daß viele kleine und mittlere Unternehmen zur Zeit auf Grund hoher Fremdfinanzierung nicht in der Lage sind, die Investitionen vorzunehmen, die sie für die Zukunft für notwendig halten. Da frage ich Sie nun: Ist die globale Körperschaftssteuersenkung an der Spitze eine höchst wirksame Investitionsmaßnahme, oder ist es unser Vorschlag einer steuerfreien Investitionsrücklage von 50 000 DM für die kleinen und kleinsten Firmen? Was ist die bessere Alternative? Ich weiß es. Herr Hinsken, wir sind uns einig. Sie wissen es auch. Es ist die steuerfreie Investitionsrücklage.
— Ja, Ihren Verband und Ihre Reden zu diesem Thema kenne ich seit Jahren.
Meine Damen und Herren, ich will mich ein paar Minuten auch mit dem zugegeben schwierigen Thema auseinandersetzen: Was sage ich zu den wirtschaftspolitischen Bemerkungen des Wirtschaftsministers? Schwierig ist das deshalb, weil sie so unkonkret, so unpräzise, so wenig genährt von wirtschaftspolitischer Sachkenntnis sind, daß eine Antwort darauf sehr schwer fällt.
Ein Beispiel: Da sagt der Herr Bangemann, die Unternehmen hätten viel rationalisiert, automatisiert, Roboter, Anlagen mit hohem Kapitaleinsatz angeschafft, und deshalb sei es notwendig, daß die Menschen wieder länger arbeiten und keinen Sonntag mehr haben sollten. Ist das eine Logik?
Er hat hier gesagt: Die Menschen müssen flexibler werden; sie müssen auch wieder am Sonntag arbeiten. Ist das richtig oder falsch? Vor Tische hörte ich es immer anders: Wir bräuchten Kapitaleinsatz, wir bräuchten Automatisierung, wir bräuchten Rationalisierung, damit der Mensch mehr Freiheit durch die moderne Technik gewönne. Was ist nun wahr?Ich bin der Meinung, eine staatliche Gesetzgebung hat die Verantwortung, die Chancen auszunutzen, die aus Rationalisierung und Automatisierung zu gewinnen sind, auch im Hinblick auf mehr Freiheit. Für uns, zusammen mit den Kirchen, ist der Sonntag tabu. Die modernen Roboter schaffen doch erst die Möglichkeit einer Verlängerung der Freizeit. Mehr Arbeitszeitverkürzung ist richtig und nicht weniger.
Oder der andere Fall: Er hat in Antwort auf Herrn Wedemeier gesagt, man müsse auch über die Löhne im Werftbereich diskutieren. Ich verstehe das so: Er will die Löhne senken. Er hat das im Hinblick auf Korea und andere Wettbewerber gesagt. — Meine Damen und Herren, in Korea verdient ein Werftarbeiter etwa ein Drittel dessen, was sein Kollege in Bremen oder Hamburg verdient. Wollen Sie wirklich in eine Lohnkonkurrenz mit derartigen Wettbewerbern eintreten?
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1533
RothDie Frage ist ja schon grotesk. Was wollen Sie überhaupt auf diesem Gebiet? Der Minister sagt, er wolle Strukturwandel. Wenn es richtig ist, daß in bestimmten Bereichen Konkurrenten in der Welt billiger ein Schiff bauen, ist es doch nicht die Aufgabe, in unseren Werften die Löhne zu senken, sondern die Aufgabe ist, in diesen Werften bessere, modernere, intelligentere Produkte herzustellen. Das müssen in der Zukunft doch nicht unbedingt Schiffe sein. Das heißt, wir müssen investieren und nicht Löhne senken.Meine Damen und Herren, die gesamte Diskussion auf der liberalen Seite — die CDU nehme ich einen Moment aus, weil sie noch ein bißchen Rücksicht auf Fehrenbach und andere nimmt — ist doch ganz verquer. Die Bundesrepublik ist ein Land mit über 2 Millionen Arbeitslosen. Kann man diese 2 Millionen Arbeitslosen dadurch beschäftigen, daß man die Löhne strukturell oder global absenkt? — Doch wohl nicht. Denn eine Lohnabsenkung oder auch eine Strukturveränderung in einzelnen Sektoren würde einen Lohnschnitt bedeuten und damit automatisch eine Vernachlässigung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage.
Diese Antwort kennen wir ja. Ich erinnere nur an Ihre Vorgänger. Bangemann will „Deutsche Volkspartei" nicht mehr hören. Das hat er in Kiel gesagt. „Volkspartei" sei ein schreckliches Wort. Das hätte einen zu großen Machtanspruch. Wenn ich vergleiche, verstehe ich, daß er nicht mehr denselben Anspruch wie die damaligen Liberalen hat. In den Reden der Liberalen in der Weimarer Republik tauchten Lohnkürzungen und Lohnschnitte als Kampfmittel gegen die Massenarbeitslosigkeit auf. Das sind die Instrumente, die damals zur Vernichtung der Weimarer Republik geführt haben.
— Meine Damen und Herren, das ist der Sachverhalt. Ich bin ja selbst erstaunt, daß die liberale Partei nach 50 Jahren erneut den Lohnschnitt als Antwort auf die Massenarbeitslosigkeit anbietet. Ich halte das für falsch. Ich hoffe, daß die meisten in der CDU das auch für falsch halten.
Denn die Chance in der Krise, in der Arbeitslosigkeit ist nicht die Benachteiligung der breiten Schichten, sondern die Investition im Unternehmen einerseits und die Besserstellung der benachteiligten Gruppen andererseits. Denn beides schafft Nachfrage.Meine Damen und Herren, ich will nicht ungerecht sein. Als Bangemann sein Amt antrat — — Er ist jetzt leider weggegangen. Auch das ist eine Art, miteinander eine Wirtschaftsdebatte zu führen.
— Die meisten meiner Kollegen hatten genausowenigwie Sie oder andere das Privileg zu reden. Für mich istes ein Privileg, im Deutschen Bundestag zu reden. Fürmich ist es gleichzeitig eine Verpflichtung, die Redner, die nach mir reden, anzuhören, damit ich weiß, was sie zu mir zu sagen haben.
Es kann nicht der Sinn von Debatten sein —
das hat Herr Bangemann ganz präzise eingeplant —, gerade noch in die Fernsehzeit zu kommen und dann zu verschwinden;
das ist unparlamentarisches Verhalten. Der Präsident braucht es nicht zu rügen. Aber ich darf es wenigstens sagen.
Meine Damen und Herren, ich will zu Herrn Bangemann eines sagen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Im Moment nicht. — Als er 1984 sein Amt antrat, war keine Situation gegeben, die einen verlocken müßte, Wirtschaftsminister zu werden. Das Erbe von Graf Lambsdorff und den anderen FDP-Ministern, die seit 1974 dieses Amt ja innegehabt haben — was inzwischen verdrängt wird — , war nicht ganz einfach. Die Massenarbeitslosigkeit betraf schon über zwei Millionen Menschen. Die Stahlkrise schwelte. Wir haben damals darauf hingewiesen: Sie bricht bei der ersten leichten Rezession wieder aus. Die Absatzprobleme im Steinkohlebergbau waren vorhersehbar. Die Bauwirtschaft war 1984 in einer tiefen Krise. Sie hat sich heute noch nicht herausbewegt. Die Werftindustrie stand vor dem Ruin; inzwischen ist er zum Teil eingetreten. Die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik zwischen solchen Regionen, denen es gutging, und anderen, denen es schlechtgegangen ist, hatten sich dramatisch auseinanderentwickelt. Es gab in der Bundesrepublik Deutschland erneut einen Konzentrations- und Zentralisationsprozeß, der viele Bereiche in der Wirtschaft mit weniger Wettbewerb ausstattete. Es gab auch zuviel Einfluß der Großbanken. Meine Damen und Herren, das alles war nicht einfach.Aber lassen Sie jetzt noch einmal diese Aufgabenstellung an sich vorbei passieren. Jetzt fragen Sie sich, zu was und mit welchen Argumenten Bangemann heute hier geredet hat. Hat er zu diesen Problemen irgendeine präzise Auskunft gegeben oder eine Antwort formuliert?
Massenarbeitslosigkeit? Wie geht es mit der Kohle weiter? Was ist mit der Stahlindustrie? Was ist mit den Werften? Wie bekommen wir das Auseinanderlaufen der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik in den Griff? Hat er dazu einen neuen Gedanken vorgetragen?
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1534 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
RothIch habe nichts gehört.Meine Damen und Herren, der derzeitige Wirtschaftsminister ist nicht in der Lage, dieses Amt in der Tradition weiterzuführen, in der es geführt worden ist. Da schließe ich nun auf der anderen Seite Lambsdorff mit ein. Man könnte über Lambsdorff vieles reden. Ich habe mich vielleicht mehr als alle anderen hier im Hause über ihn geärgert, aber eine Fachkompetenz konnte man ihm nicht ganz abstreiten.
— Herr Grünbeck, das empfinde ich nicht nur so.Ich gehe einmal her und zitiere ein ausländisches Organ zu diesem Thema: „Wall Street Journal". Das ist ein Lieblingsorgan gerade vom Herrn Haussmann. Er rührt sich.
— Ich übersetze für Sie, Herr Haussmann. — Die Journalisten des „Wall Street Journal" schreiben, sie würden mit Verwunderung konstatieren, daß Bonn seine ökonomische Führungsrolle in Europa leugne, obwohl die Bundesrepublik doch die führende Wirtschaftsmacht in Europa sei.
Die Voraussetzungen sind also nicht so schlecht, aber es wird nicht wahrgenommen.Der Bundeskanzler hat dieses rosa Finanzblatt, „Financial Times", London, hier hin und wieder zitiert; er dachte: zustimmend für sich. Zitat vom 20. Juli dieses Jahres:Schlaffes Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit, hohe Steuern, schwache Geschäftsinvestitionen, rigide Märkte und hohe öffentliche Subventionen, das sind die Hauptmerkmale der westdeutschen Wirtschaft in den späten 80er Jahren und einige der Gründe, warum das einstige Wirtschaftswunderland nicht länger wert ist, als Modell zu gelten für den Rest Europas.
Der Herr Haussmann hat gerade „Richtig" dazwischengerufen: 14 Jahre Wirtschaftsminister aus der FDP und dann dieses Urteil im wichtigsten Wirtschaftsblatt Europas; das findet er richtig. Das ist seine Sache.Das heißt, die Wirtschaftspolitik ist orientierungslos geworden. Das gilt übrigens, Herr Haussmann, gerade in dem Bereich, den Sie und Herr Grünbeck immer beschworen haben, nämlich im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen.
Die kleinen und mittleren Selbständigen sollen ebenso wie die Masse der Arbeitnehmer die Zeche für die Steuerpläne, die vorher ausgeführt wurden, zahlen. Konkret bedeutet das für die Selbständigen: Erstens. Personalkostenzuschußprogramm für die Forschung mit bisher 400 Millionen DM jährlich wird ab 1987 gestrichen. Wahr oder nicht wahr? Zweitens. Das Eigenkapitalhilfeprogramm zur Förderung von Existenzgründungen — Haussmann, das haben wir in den Grundideen 1977/78 sogar zusammen ausgedacht — wird 1988 gestrichen.
Dies ist noch nicht alles. Weitere Förderprogramme für den Mittelstand werden ebenso zusammengestrichen. Die Finanzplanung, Herr Haussmann, sieht bis 1991 vor, daß die Förderung für kleine und mittlere Unternehmen im Bundeshaushalt von 1,1 Milliarden DM auf nur noch 485 Millionen DM zusammengestrichen wird. Das ist eine Kürzung für diesen Bereich der Wirtschaft um 55 %. Das Geld wird gleichzeitig dazu genutzt, um die Spitzensteuersätze bei der Einkommensteuer und bei der Körperschaftsteuer zu senken. Das ist Ihre Wirtschaftspolitik für kleine und mittlere Unternehmen.
Herr Grünbeck und Herr Haussmann, Sie kommen uns nicht mehr so durch mit allgemeinen Sprüchen zur Mittelstandspolitik und konkreten Maßnahmen, die genau dort hineinschneiden, wo Förderung notwendig wäre.Meine Damen und Herren, in der internationalen Politik ist das nicht anders. Wir Sozialdemokraten haben uns in den letzten zwei, drei Jahren intensiv mit der Agrarpolitik beschäftigt; zugegebenermaßen kein Traditionsgebiet für die Sozialdemokraten. Aber wir haben ein Konzept entwickelt. Es bedeutet vorsichtige Preispolitik mit einer Orientierung an den Weltmarktpreisen und direkte Einkommensübertragungen für die kleinen und kleinsten Landwirte;
also soziale Sicherung und Effektivität auch in diesem Bereich. Nun hat die EG-Kommission vorgeschlagen: vorsichtige Preispolitik, direkte Einkommensübertragungen. Statt daß der Wirtschaftsminister als Ordnungsminister froh wäre, wenn durch die EG-Kommission Preissubventionen endlich beseitigt würden, ist der Wirtschaftsminister nach allgemeinen Sprüchen bei der OECD — in dem Dokument, das Sie, Herr von Wartenberg, kennen — zurückgekommen und hat kein Wort gegen den Dauerprotest unserer Bundesregierung gegen die EG-Kommission formuliert. Das ist die Wahrheit.
Das heißt, die Wirtschaftspolitik zieht sich aus vielen Bereichen zurück. Übrigens ist das ein Monitum, eine Kritik, die gerade auch im Wirtschaftsministerium unter Beamten, unter Mitarbeitern selbst zu hören ist. Es ist eine Tatsache, daß das Wirtschaftsministerium nicht so viel unmittelbare Ressourcen hat wie das Finanzministerium. Das hat nicht den großen Etat, das hat auch nicht die durchgreifenden Gesetze, wie z. B. die Sozialgesetze, die gesellschaftliche Wirklichkeit bilden. Das Wirtschaftsministerium war immer ein Ordnungsministerium, das bemüht war, Signale für alle Ressorts auf wirtschaftspolitischem Gebiet zu formulieren, den Wettbewerb zu erhalten und die Marktwirtschaft zu sichern.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1535
RothDas derzeitige Wirtschaftsministerium verkümmert in dieser Rolle permanent. Es gibt keine geistig-politische Ausstrahlung mehr.
Wer dies bezweifelt, möge nur mal die Namen Karl Schiller oder Ludwig Erhard passieren lassen. Auch die heutige Rede des Herrn Wirtschaftsministers möge man einen Moment mit den Reden von Ludwig Erhard und Karl Schiller oder Helmut Schmidt in diesem Hause vergleichen, als sie Wirtschaftsminister gewesen sind.
Hier sieht man den politischen Funktionsverlust dieses Hauses. Meine Damen und Herren, auch Sie von der FDP, Sie mögen über diese Sätze grinsen, sie stehen einer breiten Diskussion über die Funktionsverluste dieses Hauses gegenüber. Auch Herr von Wartenberg wird da aus der zweiten Reihe keine prinzipiellen Änderungen bringen.
Ich komme für einen Moment auf die Frage der Gerechtigkeit zurück. Sie haben die gesamte Wirtschaftspolitik in den letzten Jahren damit begründet, daß Sie gesagt haben: Die Lohnquote war zu hoch, durch die zu hohe Lohnquote ist der Einsatz des Faktors Arbeit zu teuer geworden, und dadurch ist die Arbeitslosigkeit entstanden. Sie haben gesagt: Wir korrigieren das; wenn wir das korrigieren, wenn die Lohnquote wieder stimmt, dann werden die Leute mehr investieren. — Ich will Ihnen die Zahlen dieser Politik nennen: Der Anteil der Arbeitnehmereinkommen am gesamten Volkseinkommen fiel von 73,7 im Jahre 1982 auf nur noch 68 % im Jahre 1986 zurück.
Das ist schon ungewöhnlich. Doch was diese Umverteilung geradezu zu einem gesellschaftspolitischen Skandal macht, ist die Tatsache, daß die Umverteilung durch die Steuer- und Abgabenpolitik noch deutlich verschärft wurde. Gemessen an den Nettoeinkommen, also dem Einkommen nach Steuern und Abgaben, hatten die Arbeitnehmer 1986 nur noch einen Anteil von gerade 58 % gegenüber 42 % der Unternehmer und der Bezieher von Einkommen aus Vermögen.
Das waren über 8 % weniger als 1982. Die Kohl/Bangemann-Regierung hat es wirklich geschafft, auf die Einkommensverteilung der 50er Jahre zurückzukommen, aber sie hat es nicht geschafft, Investitionen und Arbeitsplätze für unsere Bevölkerung zu schaffen, was die Begründung dieser Politik war.
Trotz dieser gigantischen Umverteilung sind keine Arbeitsplätze dabei herausgekommen.Ein Wort zu den Konjunkturprognosen. Der Herr Bundesfinanzminister und auch der Wirtschaftsminister haben uns vorgeworfen, wir hätten zu pessimistische Prognosen gemacht. Herr Finanzminister, ich habe da unten ein Interview mit Ihnen aus der „BildZeitung" vom Februar 1986 über das Wirtschaftswachstum des Jahres 1986 liegen. Da sagen Sie: Das Wachstum wird 3 bis 4 % betragen, und darauf baue ich die Finanzplanung auf. Das Ergebnis waren 2,4 %, also 50 % weniger. Im Hinblick auf dieses Jahr sage ich Ihnen: Ifo wird mit seiner Schätzung von 1,25 % recht behalten und nicht Ihr Haus mit Schätzungen von 2 bis 3 %, und Sie werden dies wirtschaftspolitisch und steuerpolitisch noch bezahlen müssen.Aber das ist gar nicht so entscheidend, sondern entscheidend ist, daß wir wissen, daß wir von außen abschwächende Einwirkungen haben, daß wir wissen, daß die Führungsmacht, was die Wirtschaft in der ganzen Welt anbetrifft, die USA, nicht in der Lage ist, in diese Lücke zu treten, weil sie ohnehin überschuldet ist. Was wir jetzt von Ihnen verlangen, ist, daß die Bundesrepublik Deutschland die Führungsrolle in der EG übernimmt, damit in der EG mehr Arbeitsplätze geschaffen werden.
19 Millionen Menschen in der EG sind arbeitslos, und diese Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf im Ökonomischen, im Konjunkturpolitischen. Das ist die Wahrheit.Und jetzt kommen Sie nicht mit Steuersenkungen im Jahre 1990
und mit diesen Wirkungen des Jahres 1990, meine Damen und Herren. Im Jahre 1990 werden mehr als diese 19 Millionen da sein und nach Arbeit suchen. Handeln Sie jetzt! Der Vorschlag liegt auf dem Tisch.Die Bundesrepublik Deutschland ist das Land mit der gefährdetsten Umwelt, und wir sind das Land mit einem der besten Know-how-Grundlagen auf dem Gebiet der Umwelttechnologie. Warum nicht beide Gedanken zusammenführen? Warum nicht eine Umweltinvestitionsoffensive wie eine Aufbauoffensive nach dem Zweiten Weltkrieg? Das Kapital ist da. Mir jedenfalls ist lieber, daß Kapital im Umweltsektor gebunden wird, als daß Kapital in andere Regionen der Welt, zumal in die Rüstungsinvestitionen transferiert wird.
Hier wende ich mich an die CDU und die CSU; vielleicht kann man sie in dieser Frage doch einmal als Koalitionsgemeinschaft betrachten. Glauben Sie, daß Sie mit dieser Politik des Nicht-Handelns gegen die Massenarbeitslosigkeit über eine weitere Legislaturperiode hinwegkommen, ohne das soziale System auf Dauer zu beschädigen? Denn diese dauerhafte Massenarbeitslosigkeit hat ja nicht nur Rückwirkungen auf das Wirtschaftssystem, sondern ebenso auf das Rentensystem, auf das Gesundheitssystem und auf viele andere Teilsysteme unserer öffentlichen und unserer privaten Lebensweise.Übrigens, das muß ich doch einschieben: Man muß sich einmal klarmachen, was Sie als CDU und CSU in den letzten vier, fünf Jahren der FDP nachgegeben
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1536 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Rothhaben, und am Ende dieses Kompromißprozesses, wo Sie so viel nachgegeben haben — auf Kosten auch Ihrer Wähler aus dem Arbeitnehmerbereich — an diese Klientelpartei, werden Sie auf dem Kieler Parteitag noch als Volkspartei beschimpft, die einen zu hohen Machtanspruch habe. Das ist eine eigenartige Behandlung. Ich wundere mich gar nicht, ich kenne das nämlich aus unserer Zeit.Sie sollten sich einmal überlegen, wie lange Sie diese Trittbrettfahrerei eigentlich dulden — auf Kosten der sozial Benachteiligten,
auf Kosten der Beschäftigten, die keine gesicherten Arbeitsplätze haben, auf Kosten derjenigen, die von der Kohle- und Stahlkrise betroffen sind. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir diese Strukturkrisen nur lösen können — das sage ich auch drei Tage vor einer Wahl in Bremen und Schleswig-Holstein —, wenn die beiden großen Parteien
— keine Koalition; Sie träumen davon, daß Sie damit Propaganda machen können, Herr Haussmann — bereit sind, in wichtigen Strukturfragen unserer Gesellschaft wieder einen Grundkonsens zu entwickeln und diesen Grundkonsens auch in die Bevölkerung hineinzutragen.
Die Rentenfrage ist nicht ohne schmerzhafte und schwierige Eingriffe zu lösen. Die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit ist nicht ohne handfeste neue Finanzierungsformen für Beschäftigungsmaßnahmen zu finanzieren. Das muß zusammenkommen. Meine Meinung ist, die CDU/CSU sollte sich recht gut überlegen, ob sie diese Demontage der Sozialen Marktwirtschaft — die von verschiedenen Kräften ausgedacht wurde — , die derzeit durch die Klientelpartei FDP betrieben wird, hinnehmen kann. Das sollte sie ganz genau überlegen.
Die Mehrheit unserer Bevölkerung hat nicht das Zahnärzteeinkommen. Die Mehrheit unserer Bevölkerung wird nicht vom Spitzensteuersatz getroffen. Die Mehrheit unserer Bevölkerung besteht aus Leuten mit durchschnittlichem Einkommen, und das ist nicht der Facharbeiter mit 65 000 DM. Das Beispiel ist ja auch schön.
— „65 000" hat er gesagt. Ich habe sehr genau zugehört. Der Facharbeiter mit einem Einkommen von 65 000 DM ist eine absolute Ausnahmeerscheinung. Wer Ihnen aber suggeriert, er sei das Ziel der Politik, auf das er achten muß, der führt sie weg von der Interessenvertretung für die breiten Schichten unserer Bevölkerung.
Über diese Frage sollten Sie viel nachdenken, vorallem ab 18 Uhr am nächsten Sonntag: Vertreten indieser Koalition die CDU und die CSU noch die Interessen der breiten Schichten unserer Bevölkerung? Ich bin der Meinung: Nein, und die Steuerkonzeption des Herrn Stoltenberg tut das erst recht nicht. Das ist die Wahrheit. Davon werden Sie von der CDU/CSU geplagt. Die freuen sich noch, wenn sie Ihnen 1 oder 2 % bei den Begüterten abnehmen. Das ist die Lage.Vielen Dank fürs Zuhören.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hausmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Roth kommt ja aus meinem Bundesland. Ich will ihn an dem messen, wie ich ihn sehe. Ich will ihn jetzt nicht in eine Reihe mit Arndt, Schiller, Alex Möller oder Helmut Schmidt stellen.
Aber so viel will ich schon sagen: Das erste Zitat aus der „Financial Times" ist ja einer der besten Belege für die Regierungspolitik von CDU, CSU und FDP. Dort wird kritisiert — wörtlich — :daß eine zu hohe Steuerlast, zu schwache Geschäftsinvestitionen, zu rigide Märkte, zu hohe öffentliche Investitionen dafür schuld sind, daß das Beschäftigungspotential in der Bundesrepublik nicht voll ausgeschöpft wird.Wenn das nicht ein Zitat für unsere Politik ist, Herr Roth! Also: vergriffen.Die FDP und ihr Vorsitzender lassen sich von Herrn Roth nicht beleidigen.
Die 3,5 Millionen Wähler bei der Bundestagswahl— die gesamte Wahlbevölkerung der Schweiz — , die FDP gewählt haben, werden sich diese Worte— Klientelpartei, Interessenpartei — merken.
Daß diese Politik bei allen Landtagswahlen der letzten Jahre Zustimmung gefunden hat, daß diese Politik bei der Bundestagswahl dazu geführt hat, daß die FDP als einzige Partei in großem Umfang zugenommen hat, das ist eine Tatsache. Die FDP stellt sich eher dem Wählervotum als dieser billigen, auch persönlich verletzenden Polemik von Herrn Roth kurz vor einer Wahl.
Meine Damen und Herren, trotz dieser Worte ist entscheidend, daß sich diese Koalition auf ihrem eingeschlagenen wirtschaftspolitischen Weg nicht irremachen läßt. Steuern, zu viel Bürokratie, zu viel Belastungen müssen gesenkt werden. Dieser Herbst wird zeigen, daß diese Koalition aus CSU, CDU und FDP einig und handlungsfähig ist.
Ich finde ganz wichtig, was Michael Glos gesagt hat. Dies findet die volle Unterstützung meiner Partei.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1537
Dr. HaussmannWir werden in der Lage sein, diese Steuerreform durch Subventionsabbau so zu finanzieren, daß keine Erhöhung von Verbrauchsteuern oder der Mehrwertsteuer notwendig ist.
Meine Damen und Herren, dieser Subventionsabbau ist nicht nur eine Fachfrage. Dieser Subventionsabbau ist auch nicht nur notwendig, um die Steuerreform zu finanzieren,
sondern auch, um jungen Leuten eine Chance zu geben. Wer nur bereit ist, am Alten festzuhalten, wer nicht bereit ist, dem Neuen eine Chance zu geben,
wer die Subventionen an Großkonzerne nicht kürzen will,
wer dem Mittelstand weiter wie bisher zu hohe Steuern und Abgaben aufbrummen will, der ist an einer beruflichen Perspektive der jungen Generation nicht interessiert.
— Ich habe nur zehn Minuten Redezeit. Ich habe wenig Zeit. Im Interesse einer parlamentarischen Debatte muß ich darauf Wert legen, daß ich im Zusammenhang reden kann.
Meine Damen und Herren, diese Steuersenkungen solide durch einen Subventionsabbau zu finanzieren, ist nicht nur ein Fachthema für Finanzpolitiker, sondern das ist die einzige und richtige Antwort, mehr Arbeitsplätze in der Bundesrepublik aufzubauen, Herr Roth. An dieser Frage kommen die SPD und die Gewerkschaften nicht vorbei.Am 1. Januar 1988 werden die Arbeitnehmer in der Bundesrepublik ja sehen, daß ihre Steuern erneut gesenkt wurden und daß ihr Weihnachtsfreibetrag trotzdem wie bisher geblieben ist. Dann wird diese böse Diffamierung durch die Gewerkschaften und die SPD in sich zusammenfallen, meine Damen und Herren. Dazu ist es auch höchste Zeit.
Aus dieser bösartigen Diffamierung der Steuerreform spricht Neid. Im Grunde wäre es doch Aufgabe der SPD, eine Steuersenkung zu konzipieren, die zunächst einmal über 500 000 Kleinverdiener steuerfrei macht. Es wäre doch Aufgabe der SPD, dafür zu sorgen, daß der Eingangssteuersatz in der Bundesrepublik von bisher 22 % auf 19 % gesenkt wird. Es wäre doch Aufgabe der deutschen Gewerkschaften, dafür zu sorgen, daß die Familien steuerlich entlastet werden. Es wäre doch Aufgabe der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften, dafür zu sorgen, daß der Progressionsbereich abgeflacht wird.Meine Damen und Herren, wir betreiben durch diese Steuerpolitik eine soziale Politik, und die Arbeitnehmer werden auf ihrem Steuerzettel sehen, daß diese Diffamierung durch die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften nicht zieht.Meine Damen und Herren, wenn ich jetzt höre, wie den Menschen in den Kommunen Angst gemacht wird, wenn in einzelnen Gemeinden behauptet wird, es müßten wegen der Steuerreform dieser Regierung Kindergärten geschlossen werden, dann kann ich nur sagen: Welch statisches und altmodisches Denken hat sich inzwischen bei der SPD — von den GRÜNEN brauchen wir jetzt einmal nicht zu reden — eingeschlichen!
Es ist doch ein Grundsatz der Finanzpolitik: Wenn Steuern und Abgaben beim Bürger und bei den Unternehmen als zu hoch empfunden werden, wenn sich die Menschen durch Schwarzarbeit entziehen, wenn die Leute im Ausland investieren, wenn auf die direkte Bezahlung verzichtet wird, dann steigen auch die absoluten Steuereinnahmen nicht mehr, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie. Es kann doch richtig sein, daß eine Steuersenkung am richtigen Ort, daß eine Steuerreform, die als gerecht empfunden wird, dazu führt, daß mehr geleistet wird, daß mehr investiert wird, daß die Schwarzarbeit zurückgeht und damit die absoluten Steuereinnahmen wieder zunehmen, meine Herren von der SPD.
Es ist doch ein irrsinnig statisches Denken: Die Steuereinnahmen stagnieren, also muß folgerichtig der nächste Schritt sein, daß die Steuersätze erhöht werden, meine Damen und Herren von der SPD. Das wäre der nächste Schritt.
Wir werden diese sozial angelegte Steuerreform zusammen mit CSU und CDU solide durchführen, solide finanzieren.
Das ist der Hauptbeitrag dieser Regierung zur Schaffung von mehr Nachfrage, zur Schaffung von mehr Investitionen in kleinen und mittleren Betrieben.Die FDP braucht von Herrn Roth auch keine Nachhilfestunde in Sachen Mittelstandspolitik.Erstens. Wer zuzugeben bereit ist, Herr Roth, daß über 90 % aller Unternehmen in der Bundesrepublik Personengesellschaften sind, wer weiß, daß der Betriebssteuersatz dieser Personengesellschaften der Einkommensteuersatz ist, kommt an einer Reform der Einkommensteuer nicht vorbei.Zweitens. Diese Regierung hat sich entschieden, die Sonderabschreibungsmöglichkeiten für kleine und mittlere Betriebe zu verbessern, und zwar bereits zum 1. Januar 1988.
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1538 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Dr. HaussmannDrittens. Diese Koalition hat entschieden, daß der Vorwegabzug für Mittelständler endlich angehoben wird.Das sind ganz konkrete und wichtige mittelstandspolitische Maßnahmen.Man kann der SPD in dieser Debatte eigentlich nur das Wort eines großen amerikanischen Präsidenten ins Stammbuch schreiben, der einmal gesagt hat: „Ihr helft den Schwachen nicht, wenn ihr die Starken schwächt." Oder Theodor Heuss hat einmal gesagt: „Die beste Sozialpolitik ist immer noch eine gute und funktionierende Wirtschaftspolitik. "
Ich kann nur unterstreichen, was Herr Stoltenberg heute morgen gesagt hat: Unternehmerisches Fehlverhalten und gewerkschaftliches Besitzstandsdenken können nicht durch Staatssubventionen ausgeglichen werden.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß meines kurzen Beitrags. Ich glaube, wenn sich diese Koalition in ihrem eingeschlagenen wirtschafts- und steuerpolitischen Kurs nicht beirren läßt, wird es zunächst Wehklagen geben, aber in kurzer Zeit wird klar sein, daß Arbeitnehmer, Meine und mittlere Betriebe davon profitieren, es wird zum Aufbau von zusätzlichen Arbeitsplätzen kommen, der Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit wird zunehmen, und wir werden solide finanzierte und wettbewerbsfähige Arbeitsplätze in der Bundesrepublik schaffen. Die FDP wird ihren Beitrag in dieser Koalition leisten, damit diese Politik sich durchsetzt.
Das Wort hat der Abgeordnete Wissmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! CDU/CSU und FDP werden bei dem wirtschafts- und steuerpolitischen Kurs bleiben, der heute vom Finanzminister umschrieben wurde und der bei allen Problemen, die wir nicht verschweigen, dazu geführt hat, daß es in der zweiten Hälfte des Jahres 1987 Grund gibt, in die kommenden Monate und in das kommende Jahr mit Optimismus hineinzugehen.
Der Präsident der Bundesbank, der wohl ein unverdächtiger Zeuge auch für Sozialdemokraten ist, hat im „Spiegel" am 31. August 1987 gesagt, daß die Stagnationsphase, die wir im vierten Quartal des vorigen und im ersten Quartal dieses Jahres hatten, offenbar überwunden ist und daß wir uns jetzt wieder auf einem Wachstumspfad befinden. Die Zahlen sprechen ja auch eine deutliche Sprache, meine Damen und Herren.Die übereinstimmende Meinung der Mehrheit der Wirtschaftsforschungsinstitute ist, daß wir ein reales Wachstum im Jahre 1987 von etwa 1,5 % bis 2 % haben werden und daß die Chancen gut sind, daß im Jahre 1988, im sechsten Jahr eines maßvollen Aufschwungs, die Wachstumschancen eher größer sind als 1987. Wichtig ist: Dieses moderate Wachstum vollzieht sich bei stabilen Preisen. Wir hatten in der ersten Hälfte 1987 in der Bundesrepublik eine Inflationsrate von minus 0,1 %. Ich nenne als Vergleichszahlen: Frankreich: 3,3 %, Großbritannien: 4 %, Italien: 4,3 %, selbst die Schweiz: 1%, USA: 2,9 %.Meine Damen und Herren, wir können uns auch im internationalen Vergleich sehen lassen. Ein Gegenstück zu dem Zitat, das Herr Roth aus der „Financial Times" gebracht hat, ist ein Zitat des „Economist" vom Anfang dieses Jahres. Die bedeutende britische wöchentlich erscheinende Wirtschaftszeitung sagt: In Deutschland sind die Verhältnisse besser als in anderen europäischen Ländern, bei allen Problemen, die bleiben.
Sie fragt dann — Herr Roth, wenn ich Sie manchmal sehe, könnte ich das eigentlich auch auf Sie münzen — : Warum sind die Deutschen eigentlich so mürrisch und so pessimistisch? Ihre Lage ist besser, als sie es selbst glauben.
Meine Damen und Herren, wir sollten die Probleme nicht leugnen, aber wir sollten auch die Chancen sehen, die wir haben. Herr Kollege Roth, es gibt durchaus Themen, in denen wir gemeinsam, CDU/CSU, FDP und SPD, im Interesse der Mehrheit der Bürger ohne kleinkarierte Parteilichkeit etwas bewegen sollten. Ich nehme das naheliegendste wirtschaftspolitische Thema, das sich für diesen Konsens anbietet, im Interesse der Menschen an der Ruhr, im Interesse der Menschen an der Saar, im Interesse der Bergleute. Lassen Sie uns doch endlich wieder den Konsens in der Energiepolitik, Kohle und Kernenergie, zusammen entwickeln, den wir im Interesse dieser Menschen brauchen!
Wenn wir von Konsens reden, wäre das ein gutes Beispiel, wenn Sie hier den Ratschlägen Ihrer Genossen in der IG Bergbau folgen würden.Meine Damen und Herren, der Kollege Roth hat davon gesprochen, die Einkommensentwicklung und -verteilung sei heute so wie Anfang der 50er Jahre. Herr Kollege Roth, ich hoffe nur eines nicht: daß Sie Ihre Rechenkunststücke jetzt auch noch auf den Aufsichtsrat der Öko-Bank übertragen. Das täte dieser zarten Pflanze in der Bankentwicklung sicher nicht gut. Denn die Zahlen sprechen ja eine andere Sprache: Das Jahr 1986 war das Jahr mit dem höchsten Zuwachs an realer Kaufkraft, an Volkseinkommen seit 1973. Den Haushalten standen zusätzlich 52 Milliarden DM zur Verfügung. Um eine Vergleichszahl zu nehmen: Im letzten Jahr Ihrer Regierung, 1982, hatten wir dagegen einen Kaufkraftrückgang von 28 Milliarden DM, da die Inflationsrate von 5,3 % alle Einkommenszuwächse überstieg. Für Arbeitnehmer und Rentner bedeutet diese Entwicklung 1986 und
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1539
Wissmannauch 1987 die größte Steigerung ihrer Realeinkommen seit 1973, meine Damen und Herren.
Das heißt — ich nehme jetzt einen Arbeitnehmer mit einem eher unterdurchschnittlichen Einkommen — : Für einen Arbeitnehmerhaushalt, der 1985 monatlich 2 865 DM zur Verfügung hatte, bedeutete das schon im folgenden Jahr 1986 monatlich eine Kaufkraftsteigerung von 120 DM. Meine Damen und Herren, Kaufkraftzuwächse in diesen Größenordnungen sind das beste Wachstums- und Beschäftigungsprogramm, und sie sind ein Erfolg dieser Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Meine Damen und Herren, es ist auch nicht richtig, zu behaupten, die Investitionen — davon hat Herr Roth auch noch gesprochen — würden sich nicht günstig entwickeln. Seit Anfang 1983 sind die Ausrüstungsinvestitionen um 26 % gestiegen.
Sie waren zwischen 1980 und 1982 unter der SPD-geführten Regierung um 11 % gesunken.
Das heißt: Die Modernisierung der Produktionsanlagen ist im größten Teil der deutschen Wirtschaft voll im Gang. Die Entwicklung zeigt hier deutlich nach oben. Und, Herr Roth: Wir als CDU/CSU sind die letzten, die bestreiten, daß es hier — natürlich — zwischen verschiedenen Branchen und Größenordnungen von Unternehmen ein Gefälle gibt.
Natürlich sieht es bei Daimler-Benz, Bosch und anderen besser aus als bei vielen kleinen und mittleren Betrieben. Natürlich sieht es im verarbeitenden Gewerbe meistens besser aus als in großen Teilen des Handels oder gar der Bauindustrie. Deswegen dürfen wir uns nicht von allgemeinen statistischen Zahlen täuschen lassen.
Wir wissen, daß die Eigenkapitalquote in vielen kleinen und mittleren Betrieben noch viel zu niedrig ist und daß wir deswegen eine Steuerpolitik und eine Politik der Begrenzung des Zuwachses der Lohnnebenkosten — übrigens mit den Tarifparteien — leisten müssen, die hilft, die Eigenkapitalquote gerade in mittelständischen Betrieben wieder zu verbessern. Das bleibt die Aufgabe der gemeinsamen Wirtschaftspolitik in der Koalition.Lassen Sie es mich an Zahlen sagen, meine Damen und Herren: Die Ertragslage der Unternehmen der deutschen Wirtschaft hat sich — auch das gehört zur Wahrheit — seit 1983 im Schnitt verbessert. Lag die Umsatzrendite 1981 bei 1,6 % und 1982 bei 1,5 %, so konnte sie in den Jahren 1983 und 1984 jeweils auf 1,8 % und 1985 und 1986 auf 2 % erhöht werden. Auf das gesamte Mittelaufkommen bezogen, machten die eigenen Finanzierungsmittel in der deutschen Wirtschaft in den Jahren seit 1983 etwa 68 % aus, wasdeutlich über dem durchschnittlichen Stand in den 70er Jahren von 56 % liegt. Damit war im Schnitt der deutschen Wirtschaft auch eine Aufstockung des Eigenkapitals verbunden.Aber Schnittzahlen sagen nichts über Strukturen in Bereichen aus, in denen es immer noch erheblichen Nachholbedarf gibt. Im Einzelhandel ist die Eigenkapitalquote in den letzten Jahren kontinuierlich auf etwa 7 % gesunken. Im Bausektor beträgt der Anteil der Eigenmittel nur noch 2 %. Welche Probleme ein derartiges Sinken der Eigenkapitalausstattung langfristig für die Unternehmen hat, wird die Opposition doch wohl auch daran erkennen, daß gerade in diesen Bereichen Handel und Bau die Insolvenzanfälligkeit besonders hoch ist. Insolvenzanfälligkeit bedeutet immer auch die Gefahr des Arbeitsplatzverlustes.Deswegen: Wenn die SPD fragt, wie sieht denn euer Konzept aus, dann zaubern wir nicht ein ohnehin unwirksames staatliches Beschäftigungsprogramm aus dem Hut, sondern dann sagen wir: Die Aufgabe für Beschäftigung wird nur dadurch erfüllt, daß wir langfristig und Schritt für Schritt an der Verbesserung der Rahmenbedingungen der Wirtschaft, vor allem der mittelständischen Betriebe, arbeiten.
Das heißt Steuersenkung, Zuwachs der Lohnnebenkosten begrenzen, Deregulierung, Privatisierung, Entbürokratisierung. Das sind die Mittel, auf die es für die Zukunft ankommt.Und, meine Damen und Herren von der Opposition, weil wir dies so sehen und weil wir die unbefriedigende Eigenkapitalausstattung in Teilbereichen der deutschen Wirtschaft kennen, haben wir seit 1984 mit dem damaligen Steuerentlastungsgesetz schon erste Maßnahmen zur Entlastung bei den Unternehmenssteuern eingeleitet. Und weil wir sie kennen, bestehen wir auf der Begradigung des Tarifs und der Senkung des Spitzensteuersatzes. Und weil wir wissen, daß neun von zehn Unternehmen Personengesellschaften sind, bestehen wir auf der Einkommensteuersenkung und darauf, daß die verdoppelte Sonderabschreibung für kleine und mittlere Unternehmen in der Steuerreform durchgesetzt wird, sowie darauf, daß der verbesserte Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen von Selbständigen als Teil der Steuerreform umgesetzt wird.Da geht es nicht um Geschenke für die Reichen, sondern um Strukturverbesserungen für diejenigen, die unsere volkswirtschaftlichen Ressourcen nutzen und für Beschäftigung umsetzen.
Ich will immer wieder an die Kollegen der SPD gerichtet sagen, auch lieber Kollege Wolfgang Roth: Ein Karl Schiller hätte die neidbeladene Diskussion nicht mitgemacht, die die Apels und Spöris bei jedem Plan zur Steuersenkung in jedem Wahlkampf mitschwingen lassen. Es geht doch nicht um Neidparolen oder darum, neue Verteilungsprozesse in Gang zu setzen. Es geht darum, daß wir den volkswirtschaftlichen Investitionsprozeß verstärken und verstetigen und den mittelständischen Betrieben die Chance geben, neue
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1540 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
WissmannArbeitsplätze zu schaffen und damit Zukunft für Millionen Menschen zu ermöglichen.
Wie sehr das notwendig ist, zeigt eine jüngere Studie des Instituts für Mittelstandsforschung. Von den seit 1977 neu entstandenen insgesamt 2,5 Millionen Arbeitsplätzen — das sollten wir uns alle in allen Parteien merken — entfielen 2,14 Millionen, also 84 %,
auf mittelständische Betriebe. Dabei kommt die Besonderheit hinzu, daß die kleinsten der mittelständischen Betriebe, die mit 1 bis 10 Beschäftigten, den Löwenanteil dieser neuen Arbeitsplätze geschaffen haben.Wer die Rahmenbedingungen für die Unternehmen im Mittelstand verbessert, leistet also keine enge, kleinkarierte Mittelstandspolitik, sondern Politik für Millionen Arbeitsplätze und die Sicherung vorhandener und die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Das sollten auch Sie endlich begreifen, Herr Roth, und in Ihrer Politik verwirklichen.
Daher bleiben wir dabei: Die Steuerentlastungen, die in den Jahren 1986 und 1988 20 Milliarden DM und 1990 bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer 44 Milliarden DM, zusammen also 64 Milliarden DM betragen und die Millionen Arbeitnehmern und Millionen Mittelständlern nützen, werden durchgesetzt.Deswegen bleiben wir zweitens dabei: Der Prozeß der Entbürokratisierung und der Deregulierung wird fortgesetzt. Wir werden ihn im Bauplanungsrecht und der Verwaltungsvereinfachung in vielen Bereichen umsetzen. Allein in der vorigen Wahlperiode wurden 30 Verordnungen vollständig aufgehoben, zwölf Gesetze beseitigt und 358 Einzelvorschriften gestrichen. Wir haben noch einen Berg an Arbeit — in diesem Punkt hoffentlich wenigstens einmal gemeinsam — vor uns.Drittens. Die Privatisierungspolitik wird fortgesetzt, und sie wird bei jedem einzelnen Schritt mit der Ausgabe von Belegschaftsaktien verbunden, weil wir wollen, daß Hunderttausende von Arbeitnehmern Eigentum erwerben können.
Viertens und letztens. Wir werden durch flexiblere Strukturen auf den Arbeitsmärkten — und hoffentlich die Tarifparteien auch durch eine beweglichere Lohnpolitik mit größeren Bandbreiten in den Tarifverträgen; nicht durch Lohnsenkung, sondern durch mehr Flexibilität kommen auch neue Arbeitsplätze zustande — den Prozeß der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft fortsetzen.Ich bin überzeugt davon, daß dieser Prozeß nur mit dieser Koalition vorangetrieben werden kann. Die Koalition tut immer wieder gut daran, diese Gemeinsamkeiten neu zu beleben und in praktisches Handeln umzusetzen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Martiny.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor etlichen Jahren begann ich eine Rede zum Bundeshaushalt mit einem Zitat der Kabarettistin Elke Heidenreich in ihrer Rolle als Else Stratmann, deutsche Metzgersgattin,
die sich als deutsche Hausfrau mit der Haushaltssanierung beschäftigt hatte. Herr von Wartenberg fand das damals unsachlich und war stolz darauf, bald nach meinem Beitrag wieder zur „richtigen" Haushaltspolitik übergehen zu können. Er brachte Bürokratensprache, Amtsdeutsch auf konservativ, absolut unverständlich für den normalen Menschen. Dafür ist er nun Parlamentarischer Staatssekretär geworden.Ich halte an meinem damaligen Ansatz fest: Mehr als die Hälfte des Bruttosozialprodukts wird vom Privatkonsum bestimmt und nicht von den Investitionen der Industrie. Natürlich spielt es für die Wirtschaft eine Rolle, wenn durch die ungerechte Steuerpolitik dieser Bundesregierung gerade jene Haushalte nicht genug zu beißen haben, die konsumieren könnten, wenn sie das Geld hätten. Insofern sind weiß Gott auch aus der Hausfrauenperspektive Massenarbeitslosigkeit und Anstieg der Sozialhilfezahlen Daten, von denen geredet werden muß.Wenn die deutsche Hausfrau, die doch in den meisten Haushalten das Geld verwaltet, wirklich wüßte, wie unsolide Herr Stoltenberg seinen Haushalt aufgebaut hat, sie würde ihm das arrogante Männergewäsch von der Milch m ädchen rechnung rechts und links um die Ohren hauen. Die zahlreichen Haushaltsrisiken stempeln Herrn Stoltenberg zum obersten Milchmann der Nation. Trotzdem — sie haben recht damit — mögen ihn die Bauern nicht.
Es geht bereits recht munter los mit den Ausgabentiteln des Wirtschaftshaushaltes. Einer der ersten Titel bei den Ausgaben heißt „Einzelmaßnahmen im Film- und Literaturbereich". Das ist ein Titel, den Herr Bangemann im vergangenen Jahr neu eingeführt hat und der ihm 1,15 Millionen DM wert ist. Das ist gewissermaßen die Bangemannsche Wirtschaftslyrik, bebildert; denn ein großer Teil dieser Gelder dient dem Absatz des Films. Ich bin ja sehr dafür. Aber man kann natürlich fragen, ob auch der Innenminister, der sich so gern mit „Gespenstern" anlegt, das genauso sieht.Deutscher Bundestag — 1 1. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1541Frau Dr. Martiny-GlotzAber ernster gesprochen : Wieviel Kulturwirtschaft will Herr Bangemann denn schaffen, um auszugleichen, daß 20 000 Stahlarbeiter und vermutlich in den nächsten Jahren 16 000 Bergarbeiter — oder noch mehr — auf den deutschen Arbeitsmarkt drängen, von den Bauern ganz zu schweigen?
— Das weiß ich doch nicht.
Der unmittelbar anschließende Haushaltstitel ist auch sehr komisch, geschätzte Kollegen von der Union: „Zuschuß für Projekte der Ludwig-ErhardStiftung". Das ist dann gewissermaßen die CDU-Wirtschaftslyrik, unbebildert, dafür aber ideologischer; denn es geht um den Zweck — ich zitiere —, „freiheitliche Grundsätze in Politik und Wirtschaft durch staatsbürgerliche Erziehungs- und Bildungsarbeit im In- und Ausland zu fördern" .
Das ist ein vergleichsweise billiges Vergnügen, aber dennoch um 20 000 DM teurer als im Vorjahr. Es kostet jetzt 350 000 DM. Mich wundert's nicht, Herr Glos, daß die ideologische Aufrüstung im Preis steigt. Angesichts der realen Wirtschaftssituation muß sie ja teurer werden; denn die Widersprüche zwischen freiheitlichen Grundsätzen und der Praxis der regulierten Wirtschaft dieser Regierung werden immer eklatanter.
Pikanterweise mußten nun diese 350 000 DM bei einem Chefgespräch durch Herrn Bangemann dem Finanzminister entbunden werden, der hinhaltenden Widerstand leistete. Insofern ist Herr Bangemann der Erbe Ludwig Erhards, was deshalb pikant ist, weil Herr Stoiber ihn für kleinkariert und den Totengräber der Landwirtschaft hält, während der Wirtschaftsminister Baden-Württembergs ihn für den Totengräber der regionalen Strukturpolitik hält. Das sind so Koalitionsliebenswürdigkeiten, deren Autoren einfach nicht sehen wollen: Herr Bangemann ist wirklich der Erbe Ludwigs Erhards, und das hat er sich für 350 000 DM gekauft.
Aber auch Herr Stoltenberg tut natürlich nichts umsonst. Gewissermaßen als Kompensationsgeschäft hat er Herrn Bangemann, der so tapfer erklärt, neue Subventionen gebe es bloß über seine Leiche, einen neuen Titel entrungen: 100 Millionen DM für „Wettbewerbshilfen für die deutschen Schiffswerften", um — ich zitiere den Haushaltsentwurf auf Seite 73 erneut — „Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten deutscher Werften durch höhere Beihilfen anderer Staaten künftig gezielter entgegenwirken und der sich seit 1986 ständig verschlechternden Lage der Schiffbauindustrie besser begegnen zu können". Ich würde die deutsche Hausfrau beleidigen, wenn ich sagte: Da merkt selbst Lieschen Müller, daß es sich hier um eine wunderhübsche verbalerotische semantische Umschreibung einer neuen Subvention handelt.Ich habe überhaupt nichts gegen das Heruntersubventionieren der Kosten im Schiffbau. Den deutschen Werften muß im Interesse der dort arbeitenden Menschen geholfen werden. Ich habe aber etwas dagegen, wenn sich Leute wie Herr Bangemann imponierend aufplustern — sofern das angesichts der quasi natürlich vorhandenen Körperfülle überhaupt noch möglich ist — und von Subventionskürzung reden, aber das genaue Gegenteil tun. Dies ist Wählertäuschung, Wählerinnentäuschung natürlich auch.Da hat der Herr Bangemann — und das ist besonders köstlich — am 2. September der Zeitschrift „Quick" ein Interview gegeben und darin auf die Frage nach der Subventionskürzung markig folgendes erklärt:In meinem Haushalt sind bereits weggefallen: Erdöl-Exploration und Investitionszulagen für den Bergbau. Wir werden auch bei der Forschungsförderung kürzen — allein bei meinem Haushalt rechnet sich das alles zusammen auf drei bis vier Milliarden. Damit bin ich aber nur einverstanden, wenn das auch in anderen Ressorts geschieht.Drei bis vier Milliarden!Die Hauptbrocken der Subventionen, sieht man von Landwirtschaft und Berlin und den Steuervergünstigungen, von denen hier heute schon die Rede war, einmal ab, stecken im Wirtschaftshaushalt: Kohle, Stahl, Werften, Airbus. Wo will denn der Herr Bangemann diese drei bis vier Milliarden hernehmen? Vielleicht wirklich bei der Kohle? Herr Blüm wird nicht müde, in Nordrhein-Westfalen herumzuturnen, und jedem der es hören will, zu versichern, daß kein Bergmann auf den Arbeitsmarkt entlassen wird. Nun macht uns hier die mittelfristige Finanzplanung schon erheblich schlauer. Denn ab 1991 soll es keine Kokskohlenbeihilfe mehr geben. Besteht darüber wirklich Einigkeit in der Regierung? Rund acht Millionen Tonnen Kokskohle werden exportiert. Eine Million Tonnen bedeutet 2 000 Arbeitsplätze, rund gerechnet. Ohne die Kokskohlenbeihilfe kein Export von Kohle, und das heißt: Will die Regierung wirklich, natürlich nach der nächsten Wahl in Nordrhein-Westfalen und im Saarland, 16 000 Bergleute arbeitslos machen. Was sagt denn der Herr Blüm dazu?
Von den riesigen Titeln der Kohlesubvention einmal abgesehen, zeichnet sich der Haushalt wieder einmal dadurch aus, daß er die Zukunftsperspektiven für die Kohlenutzung gar nicht sehen will. So werden die Zuschüsse zum Bau großtechnischer Kohleveredelungsanlagen von einem Ist von ungefähr 34 Millionen DM im Jahre 1986 auf ein Soll von 10 Millionen DM im Jahre 1988 heruntergekürzt. Auch für den Ausbau der Fernwärme gibt es 10 Millionen DM weniger.Es gibt ein paar Gründe, die es schwierig machen, diese Ansätze so wie früher weiterzuverfolgen. Ich weiß das. Aber es ist doch der politische Wille, der zählt, meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Wir brauchen eine Bundesregierung, die sagt, wo es lang gehen soll, die einen politi-
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Frau Dr. Martiny-Glotzschen Willen artikuliert und die zukunftsorientiert arbeitet.
Das Geschwafel vom freien Markt kann man sich bei der Kohle genauso sparen wie beim Agrarmarkt.Ich buchstabiere weiter: Stichwort „Stahl". Da weist der Titel für die Gemeinschaftsaufgaben 60 Millionen DM mehr aus, und das sind 60 Millionen für ein Montan-Sonderprogramm, drolligerweise angereichert durch Subventionen für die Schuhindustrie im Raume Pirmasens. Da haben die Herren Kohl und Geißler dem Finanzminister wohl rechtzeitig in die Hacken getreten. 60 Millionen also für 1988, als Verpflichtungsermächtigungen auch für die Jahre 1989 und 1990; geknüpft sind sie an die Auflage, daß sich die Bundesländer mit der gleichen Summe beteiligen. Das ergibt insgesamt ein Sonderprogramm von 360 Millionen DM, um in den nächsten drei Jahren die 20 000 Arbeitsplätze, die in der Stahlindustrie überflüssig werden, zu subventionieren, die Schuhe aus Pirmasens nicht zu vergessen. Das reicht beileibe nicht! Allein der bayerische Staatsminister für Wirtschaft, Herr Jaumann, fordert von der Bundesregierung eine Verdoppelung des Betrages, und dabei hat die bayerische Staatsregierung nur das vergleichsweise kleine Problem der Maxhütte zu lösen. Was sagen denn Nordrhein-Westfalen und das Saarland, und was sagen denn die Kollegen von der CDU aus diesen Ländern? Die sind doch ihren Bürgerinnen und Bürgern ganz genauso verpflichtet wie die sozialdemokratischen Abgeordneten und die sozialdemokratisch geführten Regierungen dort!
Wie wird es denn mit Arbed weitergehen? Was ist mit den Stahlstandorten an Rhein und Ruhr? Aussitzen bis nach den nächsten Landtagswahlen? Diese 60 Millionen DM sind ein beschäftigungspolitisches Alibi. Auch dies könnte die deutsche Hausfrau übrigens leicht ausrechnen, denn selbst sie weiß, was es kostet, einen Industriearbeitsplatz neu zu schaffen: weit über 100 000 DM.
2 bis 3 Milliarden DM wären also nötig, um allein der Stahlindustrie zu helfen. Und da stellt Herr Bangemann sich hin und sagt in „Quick" , er könnte 3 bis 4 Milliarden DM an Subventionen kürzen. Wo will er das denn machen?
Streicht er 3 Milliarden DM, können wir Werften, Kohle und Stahl ganz abschreiben, und das Geld reicht nur noch für den Airbus.Damit bin ich beim letzten dicken Brocken, den dieser Wirtschaftshaushalt als Risikofaktor enthält. Darlehen für die Airbus-Finanzierung von 165 Millionen DM sind ausgewiesen. Das Ist von 1986 betrug 364 Millionen, das Soll für 1988 liegt bei 940 Millionen. Reicht das überhaupt? Wenn sich die DM-DollarRelation im Laufe des nächsten Jahres vermutlich jadoch ändert, müssen hier weitere Millionen nachgeschoben werden.Macht diese Subvention aber überhaupt Sinn? Selbst Herr Grünbeck hat da ja Zweifel.
— Natürlich, Herr Glos, Franz Josef Strauß ist da Aufsichtsratsvorsitzender, und das erschwert die Verhandlungen, aber diesem bayerischen Ministerpräsidenten könnte ein FDP-Minister Bangemann so viele Milliarden, wie er könnte oder wollte oder hätte, in den Rachen schieben; der wird die FDP dann immer noch nicht lieben. Das sollte die FDP doch endlich begreifen.Ich bleibe dabei: „Widersprüchlich" ist eine der freundlichsten Umschreibungen, die man für den Etat dieses Wirtschaftsministers finden kann, eines Wirtschaftsministers, der auf der einen Seite markig erklärt, 3 bis 4 Milliarden DM an Subventionen streichen zu können, der tatsächlich bei Haushaltstiteln mit Zukunftsdimension auch streicht und der auf der anderen Seite ein 180-Millionen-Programm für die Krisenregionen, das man bestenfalls als Sterbehilfe bezeichnen kann, als großartige Hilfeleistung anpreist. Dieses Geld reicht wirklich nicht aus, um das immer stärkere Auseinanderfallen der wirtschaftlichen Bedingungen zwischen den Bundesländern und innerhalb der Bundesländer aufzuhalten. Es reicht überhaupt nicht aus, um zu verhindern, daß die reichsten Regionen reicher, die armen Regionen dagegen immer ärmer werden. Aber das scheint ja überhaupt das Prinzip der Regierung zu sein: Wer hat, dem wird gegeben; wer nichts hat, der ist selbst daran schuld.Ich komme zu meinem letzten Punkt und komme damit auf einige Bemerkungen zurück, die mein Kollege Roth bereits in die Debatte eingeführt hat. Ich spreche vom Zickzackkurs beider Mittelstandsförderung. Im letzten Jahr hieß es noch, daß eine Verstetigung der „Zuschüsse zu Personalaufwendungen im Forschungs- und Entwicklungsbereich kleiner und mittlerer Unternehmen" angestrebt werde und daß hinfort kontinuierlich 400 Millionen DM jährlich auf diese Zuschüsse entfallen sollten. Man schleppte nämlich einen Rattenschwanz von Anträgen von Jahr zu Jahr mit und konnte längst nicht alle Anforderungen befriedigen.Was ist nun in diesem Jahr? Der Titel ist auf 150 Millionen DM gekürzt, und es heißt lapidar: Der Ansatz dient der Abwicklung. Künftig soll das also ganz wegfallen. Ist das die Verläßlichkeit gegenüber dem Mittelstand, auf die die Regierung sich so viel zugute hält?Graf Lambsdorff war damals sehr stolz, diesen Titel eingeführt zu haben, weil er seinem sozialdemokratischen Forschungsministerkollegen damit eins auswischen wollte. Glaubt die FDP wirklich, die Mittelständler bemerkten die permanenten Wendemanöver nicht? Ich habe mich immer darüber geärgert, daß der Riesenbrocken Mittelstandsförderung im Wirtschaftsetat bei vielen Haushaltstiteln unter der Devise „Förderung der Leistungssteigerung" erfolgt. Nun ist diese Förderung der Leistungssteigerung auf einmal
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Frau Dr. Martiny-Glotzgar nichts mehr wert, denn all diese Titel sind heruntergekürzt worden.Die 20 Millionen DM — auch eine Subvention natürlich, eine, die neu in den Haushalt eingestellt ist und jetzt „Ansparzuschüsse zur Gründung selbständiger Existenzen" heißt —
sind doch gegenüber den Fördermaßnahmen, wie sie ehemals waren, die schiere Verbalerotik, ein Trokkenskikurs für Leute, die Tiefschneefahren gewohnt sind. Glaubt wirklich irgend jemand im Ernst, daß ein Höchstbetrag von 10 000 DM als Sparzuschuß über mehrere Jahre Existenzgründer ermutigt,
zumal es mit der Gründung einer Existenz ja nicht sein Bewenden haben kann? Durchhalten ist doch viel schwieriger als anfangen. Genau dabei läßt die Bundesregierung die Selbständigen dann im Stich.Eine 55prozentige Kürzung der Finanzmittel zur Förderung kleiner und mittlerer selbständiger Unternehmer ist von 1987 bis 1991 vorgesehen, und dies, obwohl man weiß, daß der Mittelstand die meisten Lehrstellen bereitstellt und insgesamt die größte Zahl an Arbeitsplätzen sichert.
Weit über 100 000 DM kostet also die Schaffung eines Industriearbeitsplatzes; mit 50 000 DM muß man bei einer ABM-Stelle im Handwerk rechnen. Die Deutsche Ausgleichsbank hat demgegenüber ausgerechnet — und alle Mitglieder des Wirtschaftsausschusses wissen das, denn in der Drucksache 6/11 vom 5. Mai 1987 ist das zitiert — , was das Eigenkapitalhilfeprogramm, das nur auf massiven Druck damals verlängert wurde und von dem jetzt zu befürchten ist, daß es ausläuft, für Beschäftigungseffekte hatte. Mit jeder neuen durch das Programm geförderten Gründung oder Betriebsübernahme wurden fünf Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert. Rechnet man diesen Beschäftigungseffekt auf die vier Jahre seit 1983 um, sind mit Hilfe von Bundesmitteln damals für 308 Millionen DM 175 000 Dauerarbeitsplätze geschaffen oder erhalten worden. Auf lächerliche 440 DM pro Jahr und pro Arbeitsplatz beläuft sich hier der Bundeszuschuß. Rechnet man die Folgen für die kommenden Jahre hoch, erhöht sich dieser Betrag zwar etwas, nämlich auf 600 DM, aber 600 DM verglichen mit 50 000 DM für eine AB-Maßnahme oder mit weit über 100 000 DM für die Schaffung eines neuen Industriearbeitsplatzes, das sollte doch wirklich zu denken geben. Ausgerechnet hier will Herr Bangemann streichen.
Es bleibt zu hoffen, meine Damen und Herren, daß alle Bürgerinnen und Bürger, Hausfauen, Arbeiter, Angestellte und Selbständige die Ansicht des „Bayernkurier" teilen, der die prinzipielle und programmatische Dürftigkeit der FDP beklagt. Ich hoffe, daß daraus auch die Konsequenzen gezogen werden.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hinsken.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst ganz kurz auf das eingehen, was der GRÜNEN-Sprecher Sellin vorhin gesagt hat. Er hatte gefordert, daß die Arbeitszeit verkürzt werden solle. Deshalb gleich vorweg die Frage an Sie, Herr Sellin: Wie sieht es denn mit der Arbeitszeit Ihrer Fraktionsmitarbeiter aus? Haben die bereits die 35-StundenWoche? Sind Sie bestrebt, hier zumindest eine gewisse Vorreiterrolle einzunehmen, bevor Sie anderen dies abverlangen?
— Berührt mich angenehm. Ich meine nur: Auch dieses ist scheinbar zuviel für Sie, sonst wäre heute nicht einer Meldung zu entnehmen gewesen, daß bei Ihrer Fraktionssitzung nur ein Drittel der Kollegen zugegen war und sie deshalb frühzeitig abgebrochen werden mußte.
Also sind Ihnen auch 30 Wochenstunden Arbeitszeit zuviel.Zum zweiten möchte ich mir erlauben, ganz kurz auf das einzugehen, was die Vorrednerin, Frau Dr. Martiny, einerseits und der Vorredner, Herr Roth, andererseits zum besten gegeben haben. Meine Damen und Herren, ich meine hier sagen zu müssen: Ich bin tief gerührt von diesem großen mitleidvollen Denken, das Sie speziell in Sachen Mittelstand hier an den Tag bringen. Nur bei Ihnen, Frau Martiny war es — und es tut mir leid, daß ich das Ihnen als Frau sagen muß — von wenig Sachverstand geprägt.
Hier muß ich wissen lassen, daß Herr Roth das eine oder andere doch zutreffender angesprochen hat. Von beiden Rednern wurde noch und nöcher angeprangert, aber auf Alternativen mehr oder weniger nicht hingewiesen.Herr Roth, wir haben uns vor einem Jahr — das bestreite ich nicht — darüber auseinandergesetzt, ob es eine steuerstundende Investitionsrücklage geben solle oder nicht. Ich meine, daß es gerade wegen dieser Forderung gelungen ist, hier eine sogenannte Mittelstandskomponente einzuführen. Diese Mittelstandskomponente ist mit dem Ziel gestaltet worden, Abschreibungsbedingungen zu verbessern.
In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob das ein gleichwertiger Ersatz ist. Wenn nicht, kann diese Regelung auch in eine Investitionsrücklage münden.Auch möchte ich, Herr Roth, darauf verweisen, daß Sie im vergangenen Jahr immer, gerade während der Haushaltsdebatte, nach Alternativen und nach der Bilanz dieser Bundesregierung gefragt haben. Ich meine, daß gerade das, was ich jetzt vorgetragen möchte, zeigt, wie die Bilanz dieser Bundesregierung,
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1544 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Hinskendie in den letzten fünf Jahren hervorragend gearbeitet hat, aussieht:Erstens. Wir haben in den letzten fünf Jahren über 650 000 Arbeitsplätze geschaffen.Zweitens. Die Bundesrepublik ist weiterhin Weltspitze bei der Preisstabilität.Drittens. Der Handelsbilanzüberschuß beträgt in den ersten sieben Monaten 65,4 Milliarden DM. Das ist eine Steigerung von 3,8 % gegenüber dem Vorjahr.Viertens. Der Leistungsbilanzüberschuß beläuft sich für die ersten sieben Monate 1987 auf 44,2 Milliarden DM. Das ist eine Steigerung von 3,1 %.Fünftens. Der Umsatz beim Einzelhandel, ein Barometer für die Kaufkraft, stieg 1986 um 3,1 %, auf fast 520 Milliarden DM. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres hatten wir eine weitere Steigerung von 1,5 %.Sechstens. Ende Juli 1987 gab es noch 95 800 Ausbildungsplätze. Das ist gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 34 %.Siebentens. Das Eigenkapitalhilfeprogramm hat— weil es eben, Frau Kollegin Martiny, angenommen wird — eine Steigerung von 133 Millionen DM 1986 auf 144 Millionen DM 1987 erfahren.Achtens. Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist im ersten Halbjahr 1987 gegenüber 6 445 im ersten Halbjahr 1986 um 7 % gesunken.Neuntens. Die Zinsbelastung wurde im Vergleich zur Regierungszeit der SPD halbiert.
— Hören Sie mal gut zu, damit Sie mitbekommen, was uns von dem unterscheidet, was Sie damals an Regierungs-, Wirtschafts- und Mittelstandspolitik geleistet haben.Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, daß 1 % Zinssenkung allein 6 Milliarden DM an Investitionen nach sich zieht.Zehntens. Bei der Zahl der Liquidation von Betrieben ist ein Rückgang von 264 969 auf 252 341 im Jahre 1986 zu verzeichnen.Diese positive Bilanz, meine Damen und Herren, könnte noch durch viele Punkte ergänzt werden. Ich will es aber damit bewenden lassen, denn ich sehe schon, wie sich die Haare der roten und grünen Fraktionsmitglieder angesichts dieser herausragenden Bilanz sträuben.
— Liebe Frau Trude, gönnen Sie sich ein bißchen mehr Ruhe. Denn Ihre Schauermärchen nimmt Ihnen niemand mehr ab.Ich darf an dieser Stelle an ein Zitat vom Rudi Schöfberger erinnern, der am 6. Dezember vor dem Landesausschuß der bayerischen SPD folgendes sagte — jetzt bitte ich Sie genau zuzuhören.
— Der Landesvorsitzende der bayerischen SPD:Was passiert eigentlich— so sagt er —,wenn wir rund um das Münchner Oktoberfest auf unseren Plakaten vor der neuen Armut warnen, und drinnen in den Bierzelten saufen und fressen sieben Millionen Durchschnittsverdiener, daß ihnen das Fett und der Bierschaum über die Lefzen herunterrinnt?
Diese Aussage, meine Damen und Herren, ist zwar pietätlos, aber sie enthält den wahren Kernsatz, daß das Gerede von der neuen Armut unbegründet ist.
— Ich war nicht dabei. Ich gehe gerne hin, wenn Sie bereit sind, mir das notwendige finanzielle Etwas mitzugeben, damit ich auf Sie trinken kann.
In unserem Land ist neben wenigen anderen Ländern ein sehr hoher Wohlstand verbreitet. Jeder hat sein Einkommen, und jeder hat sein Auskommen.Meine Damen und Herren, ich muß schon noch einiges hinzufügen. Zum Beispiel bin ich am frühen Morgen immer dann beeindruckt, wenn ich beim Kaffeetrinken den einen oder anderen SPD-Kollegen sehe, der dabei ist, die Börsenzeitung zu studieren. Was hat das wohl für Hintergründe?
Meine Damen und Herren, das stimmt also nicht mehr ganz zusammen.
Im fünften Jahr des Aufschwungs des längsten Konjunkturzyklus im Nachkriegsdeutschland, dessen Beginn nicht zufällig mit unserer Regierungsübernahme zusammenfiel, ist es schon fast belustigend zu sehen, wie Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, versuchen, die Erfolge unserer Wirtschaftspolitik zu leugnen. Das nimmt allmählich krampfhafte Züge an. Angesichts Ihrer heutigen Angstparolen hinsichtlich Steuererhöhungen und Verschuldungspolitik darf ich Ihnen ins Gedächtnis rufen, was Sie anscheinend vergessen haben. Zwischen 1970 und 1982, in Ihrer Regierungsverantwortung, haben Sie 17mal Erhöhungen bei verschiedenen Verbrauchsteuern vorgenommen und damit den Bürgern jährlich 25,6 Milliarden DM aus der Tasche gezogen, und zwar nur unter dem Vorzeichen der nachhaltigen Ausdehnung des Staatssektors und eines überhöhten Wachstums der Ausgaben. Darüber hinaus haben Sie eine unverantwortliche Schuldenpolitik betrieben. Heute ist die Neuverschuldung ausschließlich notwendig, um die Zinsen und Zinseszinsen
auf die 1982 übernommenen Schulden zu bezahlen.— Herr Schäfer, ich gehe davon aus, daß Sie in die Schule gegangen sind, daß Sie rechnen können und
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Hinskendieses auch nachzulesen bereit und in der Lage sind. Ich bin gerne bereit, Ihnen das Notwendige an Unterlagen zur Verfügung zu stellen.
Ohne diese Zinsbelastungen ergäben sich für den Bundeshaushalt seit 1985 Überschüsse. Betrug der Anteil der gesamten öffentlichen Neuverschuldung am Sozialprodukt 1982 noch fast 5 %, so liegt dieser Wert heute bei nur mehr 2,3 %. Bis 1990 wird er allerdings auf ca. 3 % ansteigen. Daher ist es geradezu dreist und der Gipfel der Heuchelei, daß die für den Schuldenberg und die heutige hohe Zinslast Verantwortlichen der jetzigen Bundesregierung Schuldenmacherei vorzuwerfen versuchen. Die herausragenden Konsolidierungserfolge, durch den hervorragenden Bundesfinanzminister Dr. Stoltenberg initiiert, ermöglichen uns in der Bundesrepublik Deutschland Gott sei Dank die größte Steuersenkung in der Geschichte, und zwar in drei Stufen: 1986, 1988 und 1990.
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben den Bürgern das Geld aus der Tasche gezogen. Wir — das unterscheidet uns von Ihnen — geben es dem Bürger zurück. Das ist der Unterschied.
Die Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft sind wieder in Ordnung. Der Aufschwung basiert auf den Kräften des Marktes, nicht auf künstlichen Konjunkturspritzen. Es ist wieder eingewisser finanzieller Handlungsspielraum vorhanden. Für 1987 sieht der Bundeshaushalt z. B. beim Eigenkapitalhilfeprogramm 133 Millionen DM und für 1988 144 Millionen DM an Zinszuschüssen vor, d. h. siebenmal mehr als im Jahre 1980. Nach Jahren der Mutlosigkeit und Resignation gibt es nach der Wende wieder so etwas wie eine Existenzgründungswelle.Meine Damen und Herren, wer dauerhaft Arbeitsplätze schaffen will, muß die Unternehmerlücke schließen. Das heißt, er muß helfen, neue Existenzen zu gründen. 1986 übertraf nicht nur die Zahl der Neugründungen die der Liquidationen um 34 646, sondern erstmals seit 1980 war auch die Zahl der Betriebsstillegungen rückläufig. Ziel der Gründungspolitik muß es sein, leistungsfähige und stabile Unternehmen zu schaffen. Bereits 1985 war jeder dritte Arbeitnehmer auf einem Arbeitsplatz tätig, der ab 1977 durch Neugründungen und expandierende ältere Betriebe neu geschaffen wurde. Die Vorreiterrolle haben die kleinen und mittleren Betriebe inne.Ausdrücklich hervorheben möchte ich an dieser Stelle die Fortsetzung des Städtebauförderungsprogramms, für das der Bund in den kommenden drei Jahren jeweils 660 Millionen DM zur Verfügung stellt. Auch dies, meine Damen und Herren, ist wirksame Mittelstandspolitik.
Insgesamt wird die Mittelstandsförderung im Finanzplanungszeitraum von 1984 bis 1988 von rund750 Millionen DM auf 1,225 Milliarden DM, also um mehr als 50 %, erhöht.Besorgniserregend — es ist bedauernswert, daß das festgestellt werden muß — ist nach wie vor die Konzentrationsentwicklung im Handel, insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel. Hier erzielt zum Beispiel Aldi mit 19 Milliarden DM Umsatz mehr als das gesamte deutsche Bäckerhandwek.
Trotz einer Ausdehnung der Verkaufsfläche von 15 ist die Zahl der kleinen Lebensmittelgeschäfte seit 1979 um 16 % geschrumpft. 0,1 % der Unternehmen tätigen über ein Drittel des Umsatzes, und 10 % erhöhen ihren Umsatzanteil auf über 70 %. Hier appelliere ich auch an den Koalitionspartner, die FDP, und den Bundeswirtschaftsminister, sich nicht weiter der dringend erforderlichen Kartellgesetznovellierung zu verschließen.
Daher müssen die Fusionskontrollen im Handel verschärft und leistungswidrige Praktiken im Verdrängungswettbewerb verhindert werden.Unsere Politik, meine Damen und Herren, für den Mittelstand umfaßt ein weites Feld. Es kommt darauf an, daß er auch künftig im Wettbewerb besteht. Dieser braucht keine Schutzzaunpolitik, aber verläßliche und mittelstandsgerechte Rahmenbedingungen.
Herr Abgeordneter, mit Rücksicht darauf, daß nicht wenige Kollegen heute abend noch nicht uninteressante Planungen haben, bitte ich, Ihre Redezeit einzuhalten und jetzt zum Ende zu kommen.
Ich nehme das gerne zur Kenntnis, Herr Präsident, und fasse mich ganz, ganz kurz.
Angesichts des Strukturwandels genügt es ferner nicht, schicksalsergeben auf gewachsene Strukturen zu verweisen. Die entscheidende Frage muß doch richtigerweise lauten, wie man letztlich auf Branchenkrisen reagiert, ob mit einer am Ende immer noch vergeblichen Strukturerhaltungspolitik oder mit zukunftsweisender Politik zur Förderung des Strukturwandels. Hier gehört vor allen Dingen ein unternehmensfreundliches Klima dazu. Dieses Klima, meine Damen und Herren, ist in Baden-Württemberg, in Bayern und in den CDU-regierten Ländern Gott sei Dank vorhanden. Das ist aber z. B. in Bremen so nicht da. Das ist die Ursache dafür, daß SPD-regierte Länder bei der wirtschaftlichen Entwicklung leider Gottes abgehängt werden und daß die anderen Länder Gott sei Dank mehr und mehr aufblühen.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren jetzt über den Haushalt des Bundesministers für Um-
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Schäfer
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich hätte eigentlich ganz gerne nach Ihnen gesprochen, Herr Töpfer, aber das machen wir dann im Wechsel.Einer Ihrer Vorgänger, Herr Töpfer, hat noch gesagt: Die Erhaltung unserer Umwelt ist nach der Erhaltung des Friedens das Wichtigste überhaupt. — Diese Einschätzung teilen wir. Daraus ergeben sich hohe Maßstäbe für die Politik. Im Interesse unserer Umwelt wünschten wir, auch Sie, Herr Bundesumweltminister, könnten diesen Maßstäben gerecht werden.Leider ist die Realität eine andere. Das zeigt bereits ein Blick in den Haushalt des Bundesumweltministers. Ihnen steht in Ihrem Haushalt nicht einmal eine halbe Milliarde DM zur Verfügung, ganze 0,18 % des Gesamthaushalts oder knapp 1 % des Verteidigungshaushaltes.
Die Zahlen allein machen deutlich: Der Umweltschutz führt bei dieser Bundesregierung leider ein Stiefmütterchendasein. Umweltpolitischer Anspruch und umweltpolitische Wirklichkeit klaffen, Herr Minister, leider auch bei Ihnen auseinander. Ich will dazu nur drei Beispiele nennen und mich darauf beschränken.Erstes Beispiel: Luftverschmutzung im Straßenverkehr. Hier stehen Sie von der Koalition vor einem Scherbenhaufen. Ihr Vorgänger, Bundesminister Zimmermann, konnte sich noch 1985 die Luft im Straßenverkehr bis 1995 sauberrechnen lassen. Sie, Herr Bundesumweltminister, müssen nun leider die traurige Erfahrung machen, daß sich heute mit dieser Prognose des TÜV Rheinland nicht mehr so bequem leben läßt wie noch damals. Die Luft im Straßenverkehr — das wissen Sie alle, meine Damen und Herren — ist nämlich seit 1985 nicht sauberer, sondern immer schmutziger geworden. Jährlich steigt die Stickoxidbelastung um 40 000 Tonnen an. Sie wissen warum, aber Sie handeln nicht.Was sind die Gründe? Es wird wieder mehr gerast. Es wird mit noch mehr Autos noch mehr gefahren. Es sind heute noch mehr Güter auf der Straße, und das Einführungskonzept zum sogenannten schadstoffarmen Auto ist weit hinter den gesteckten Erwartungen zurückgeblieben. Ganze 702 000 Pkw fahren heute, zwei Jahre nach den damals so hochgejubelten EG-Beschlüssen, auf unseren Straßen mit einem geregelten Dreiwegekatalysator. Sie, Herr Bundesumweltminister, hätten die Instrumente in der Hand, um endlich auch die Luftverschmutzung im Straßenverkehr zu senken. Dafür hätten Sie auch unsere Unterstützung, aber Sie handeln nicht. Sie könnten beispielsweise endlich ein Tempolimit auf unseren Straßen beschließen. Das Umweltbundesamt hat erst kürzlich in seinem Jahresbericht 1986 noch einmal nachdrücklich auf den engen Zusammenhang zwischen hoher Geschwindigkeit und sehr hohem Stickoxidausschuß belegt. Stickoxide sind, wie Sie wissen, einer der Verursacher für das weiter voranschreitende Waldsterben.Sie könnten ein Konzept vorlegen, das endlich die schweren Güter auf langer Strecke von der Straße auf die Schiene bringt.
Dies wäre ein Beitrag, der der Umwelt hilft, dies wäre ein Beitrag, der der Bundesbahn hilft, dies wäre ein Beitrag, der volkswirtschaftlich sinnvoll und notwendig wäre. Sie können endlich dafür sorgen, Herr Bundesumweltminister, daß die Nutzfahrzeuge auch nach dem Stand der Technik entgiftet werden. Für die leichten Nutzfahrzeuge fehlt bislang, wie Sie wissen, noch jede verbindliche Regelung zur Schadstoffarmut. Sorgen Sie bitte endlich dafür, daß Diesel-Pkw mit hohem Partikelausstoß nicht auch noch steuerlich begünstigt werden!Für ein solches Konzept, Herr Bundesumweltminister, hätten Sie — ich wiederhole es — unsere Unterstützung. Belassen Sie es bitte nicht, auch wenn Sie es ganz gut können, bei Ihren publikumswirksam vorgetragenen Sorgen! Seien Sie endlich ein Umweltminister, der für unsere Umwelt auch den Konflikt aufnimmt, der handelt, der sich durchsetzt!
Auf der Internationalen Automobilausstellung im Blitzlichtgewitter ein Katalysatorauto auszulosen, mag ein schöner Gag sein, dem Wald, Herr Umweltminister, hilft das herzlich wenig.
Sorgen Sie bitte dafür, daß sich das Auto mit geregeltem Dreiwegekatalysator endlich am Markt durchsetzt!Der Wald kann nicht mehr lange warten. Auch hier wieder ein Blick in den Jahresbericht des Umweltbundesamtes: Die Waldschäden haben auch im letzten Jahr wieder um 2 % zugenommen. Heute sind rund 54 % der Waldfläche — das sind 4 Millionen Hektar — geschädigt. In Teilen des Schwarzwaldes gibt es bereits Schadflächen mit 71 % kranker Bäume. Was nützen dem Wald Prognosen, 1995 werde die Luft schon sauberer sein als heute? Wir müssen heute tun, was heute möglich und notwendig ist, auch wenn es nicht immer populär sein sollte. Herr Bundesumweltminister, wenn Ihnen, wie Sie in Reden oft beschwören, der Schutz der Umwelt, der Schutz der Natur tatsächlich so am Herzen liegen würde, dann müßten Sie an der Spitze derer stehen, die ein Tempolimit fordern, weil diese Maßnahme dem kranken Wald schnell hilft.
Ich will ein zweites Beispiel nennen. Ich spreche das Problem der Altlasten an, meine Damen und Herren. Sie wissen es noch, Herr Mischnick, auch Sie — Zwischenrufe sind übrigens zulässig — : Als 1983 41 Dioxinfässer gesucht wurden, stand ganz Europa Kopf. Mit einem Schlag waren die Probleme der Umweltgifte in aller Munde. Heute setzt die Bundesregierung auf das kurze Gedächtnis der Menschen. Sie weigert sich, ein Problem ähnlichen Ursprungs anzupacken, das Altlastenproblem.
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Schäfer
Wir wissen alle: In unseren Böden liegen tickende ökologische Zeitbomben; die Rückstände der 50er und 60er Jahre aus Böden und Müllkippen, aus alten Industriestandorten. Gifte, die heute noch in Fässern oder an der Erdoberfläche lagern, können austreten, können in tiefere Bodenschichten sinken und das Grundwasser vergif ten.Die Bewältigung dieses Problems ist, wie Sie alle wissen, ein Wettlauf mit der Zeit. Je länger wir warten, meine Damen und Herren, desto größer wird die Gefahr mit unabsehbaren Folgen für die nach uns Geborenen. Das Tempo, ob wir schnell oder langsam oder überhaupt nicht mit dem Altlastenproblem fertig werden, bestimmt fast ausschließlich die Finanzfrage. Ein bundeseinheitliches Vorgehenskonzept ist dringend geboten. Ich zitiere noch einmal das Umweltbundesamt, das in seinem Jahresbericht genau auf diesen Punkt hinweist, auch die zunehmende Brisanz des Altlastenproblems beschreibt, ja nachgerade beschwört.Wir fragen: Wann endlich ist die Bundesregierung bereit, hier ihre finanzielle Verantwortung anzuerkennen, und zwar nicht nur was Forschungsvorhaben angeht? Oder beläßt sie es einmal mehr bei Appellen?Zugegeben, Herr Umweltminister: Die Finanzierungsfrage birgt Konflikte. So verwundert es auch nicht, daß Sie, Herr Töpfer, das Problem der Altlasten verdrängen und die Länder, vor allem die Industriestandorte bei der finanziellen Bewältigung dieses Problems alleinlassen. Die Kostenlawine rollt nun in erster Linie auf die Gemeinden zu. Statt ihnen finanziell zu helfen, plündert diese Bundesregierung mit ihren Steuerplänen die Kassen der Gemeinden und Städte. Herr Bundesminister, Sie irren, wenn Sie meinen, diese tickende Zeitbombe ginge Sie nichts an. Hier sind Sie gefordert mit einem finanziellen Beitrag des Bundes.Ein drittes Beispiel, das beweist, wie der Anspruch Ihrer Umweltpolitik und die Wirklichkeit nicht zueinander passen: Die Chemiepolitik. Wir erinnern uns — es ist noch kein Jahr her — : Nach der Chemiekatastrophe von Sandoz und nach anderen Störfällen in der chemischen Industrie im Herbst letzten Jahres gab sich die Bundesregierung nach einigem Zögern handlungsentschlossen. Ihr Vorgänger, Bundesminister Wallmann, legte am 2. Dezember 1986 einen Handlungskatalog vor. Noch in der vorigen Legislaturperiode sollte beispielsweise die Störfallverordnung novelliert, verabschiedet werden, sollte beispielsweise die Änderung des Chemiekaliengesetzes vorangetrieben werden, sollte ein neues Haftungsrecht entwickelt werden. Was ist bis heute aus Ihren Ankündigungen geworden?Dabei haben Ihnen, Herr Minister, Ihre eigenen Experten die Notwendigkeit der Eilbedürftigkeit des Handelns ins Stammbuch geschrieben. Ich zitiere:Die zahlreichen Chemieanlagen in der Bundesrepublik haben ein beträchtliches Restrisiko, das weiter verringert werden muß, denn— so schreiben Ihnen die Experten —der nächste Störfall kommt bestimmt.Das Regierungskonzept steht bis zur Stunde aus. Meine Damen und Herren, seit März 1986, also lange vor den Chemiekatastrophen am Rhein, liegt unser Konzept für eine umwelt- und gesundheitsverträgliche Chemiepolitik vor. Wir haben es gemeinsam mit der Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik entwickelt.Sie vertrösten die Öffentlichkeit mit der Verabschiedung der Störfallverordnung auf Anfang nächsten Jahres. Sie kommen nicht einmal dem Wunsch einer so wichtigen Organisation wie dem Deutschen Feuerwehrverband nach, vor der Verabschiedung der Störfallverordnung ein Gespräch zu führen, damit endlich der Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr stärker berücksichtigt wird. Sie vertrösten und verweisen statt dessen auf die Verabschiedung der Verwaltungsrichtlinie. Die Novellierung des Chemikaliengesetzes steht aus. Von einer neuen vorsorgenden Chemiepolitik sind bei Ihnen noch nicht einmal Ansätze erkennbar.Meine Damen und Herren, dabei ist doch gerade die Chemiepolitik der Testfall der Umweltpolitik. Eine Chemiepolitik kann und muß nämlich zweierlei leisten: Sie muß die Altstoffproblematik bewältigen, und sie muß zweitens die nach unserem Verständnis unverzichtbare chemische Industrie umwelt- und gesundheitsverträglich machen und gleichzeitig damit die Arbeitsplätze in der chemischen Industrie sicher machen, weil nur — wie wir alle wissen — umwelt- und gesundheitsverträgliche Arbeitsplätze auf Dauer sichere Arbeitsplätze sind. Darin sind wir uns doch einig, auch Sie in Ihren Reden. Warum, Herr Minister, handeln Sie nicht? Überhaupt gilt, meine Damen und Herren — ich wäre froh, wenn darüber auch bei dem, was an Beschlußvorlagen in dieses Haus geht, und nicht nur verbal, Übereinstimmung bestehen könnte — : Wer unsere Volkswirtschaft zukunftssicher machen will, der muß sie ökologisch modernisieren, nicht nur aus umweltpolitischen Gesichtspunkten. Nein, dies ist auch ein Gebot der wirtschaftspolitischen Vernunft.
Meine Damen und Herren, Sie alle wissen — die volkswirtschaftlichen Verluste der Umweltzerstörung belegen dies — : die Kosten der Umweltzerstörung allein in der Bundesrepublik Deutschland belaufen sich jährlich auf 100 Milliarden DM. Dies entspricht etwa der Summe des Verteidigungshaushaltes, des Verkehrshaushaltes — einschließlich Ausgaben für die Bundesbahn — und des Haushaltes für Bildung und Wissenschaft zusammengenommen. Übrigens, viele Manager, viele Unternehmer haben die Notwendigkeit der ökologischen Erneuerung unserer Volkswirtschaft erkannt.
Stellvertretend für viele nenne ich beispielsweise Edzard Reuter, der sagt:Die Umstellung unserer Wirtschaftsweise auf umweltverträgliche Strukturen ist eine Lebensnotwendigkeit unserer gesamten Volkswirtschaft.
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1548 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Schäfer
Wir alle wissen — auch Sie, Herr Töpfer, in Ihren Reden zumindest — : Das freie Spiel der Marktkräfte reicht nicht aus, die Herausforderungen zu bewältigen, die sich uns stellen — zwei große Herausforderungen — : die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, die Umwelt zu sanieren und dauerhaft zu erhalten. Die Politik muß sich ihrer Verantwortung stellen. Nicht in jedem Fall mehr Staat, wie Sie uns von der Koalition unterstellen. Nein, die Politik muß sich ihrer Verantwortung stellen, wenn ihr nicht Massenarbeitslosigkeit und Umweltzerstörung gleichgültig sind.Vor drei Jahren haben wir Sozialdemokraten — ich werde Ihnen das noch oft in diesem Hause vortragen — den Vorschlag — von Grün und Schwarz abgelehnt — eines Sonderprogramms „Arbeit und Umwelt" gemacht. Schon der Titel zeigt: Arbeit und Umwelt gehören zusammen.
Umweltschutz zerstört keine Arbeitsplätze. Umweltschutz schafft Arbeitsplätze. Mit einem Zuschlag auf den Energieverbrauch wollen wir rund 20 Milliarden DM jährlich für Umweltinvestitionen mobilisieren. Vor uns allen — Sie wissen es — steht ein riesiger Investitionsbedarf beim Gewässerschutz, beim Naturschutz, beim Energieeinsparen, Stadtsanierungen und vielen anderen Bereichen mehr.
Wir brauchen dieses Programm, auch als Förderinstrument für diejenigen Unternehmen, die beim Umweltschutz vorangehen wollen, die heute mehr tun wollen, die bei der Umweltentlastung über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinausgehen wollen.Sie alle wissen, daß sich nach Einschätzung führender Wirtschaftsforschungsinstitute damit 400 000 Arbeitsplätze schaffen lassen. Unser Programm hilft der Umwelt, schafft Arbeitsplätze, bringt die notwendige ökologische Erneuerung unserer Volkswirtschaft ein gut Stück voran. Unser Programm hat auch heute nichts von seiner Dringlichkeit und Notwendigkeit eingebüßt.Die Bundesregierung lehnt unseren Vorschlag ab. Auch Sie, Herr Minister Töpfer, verfahren nach der Devise: Weiter so! Ich vermute übrigens, daß Sie das manchmal wider besseres Wissen tun. Es fehlt Ihnen, Herr Minister, offenkundig an Konfliktbereitschaft, an Konflikt- und Durchsetzungsfähigkeit. Ihr Einstieg in Bonn mit ihrem berühmten „Raucherpfennig" und der Beerdigung 1. Klasse durch Sie selbst spricht in diesem Zusammenhang Bände. Unsere Natur braucht aber einen Umweltminister, der nicht nur die Umweltnot erklärt, sondern der auch bereit ist, wenn es sein muß, Konflikte durchzustehen, um die Umweltnot zu beheben. Daran, Herr Minister, fehlt es Ihnen.
Vor uns steht eine neue Aufgabe, die auch ein neues Denken erfordert: Wir müssen die Interessenvertretung der Umwelt stärken. Wir müssen der Umwelt, der Natur zu ihrem Recht verhelfen.
Nur wenn wir die Natur um ihrer selbst willen zu schützen lernen, nur dann wird die Natur auf Dauer uns Menschen erlauben, weiterzuleben.Dieses Zitat des Bundespräsidenten zeigt, meine Damen und Herren: Ein neues Denken, ein neues Bewußtsein im Verhältnis Mensch—Natur ist Voraussetzung für das Überleben der Menschheit. Die Natur muß um ihrer selbst willen geschützt werden. Der Umwelt muß zu ihrem Recht verholfen werden.Dazu ist eine Änderung des Grundgesetzes unabdingbar. Seit vier Jahren fordern wir Sozialdemokraten, daß in unsere Verfassung der einfache und klare Satz aufgenommen wird: „Die natürlichen Lebensgrundlagen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates. " Wir wollen, daß der Umweltschutz ohne weitere Relativierung als Staatsziel in unsere Verfassung aufgenommen wird.Die Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz setzt Maßstäbe, die von allen beachtet werden müssen. Der Schutz der Natur als Staatsziel, das Naturstaatsprinzip, gilt über die Tagespolitik hinaus. Es ist heute unbestritten — jedenfalls in diesem Hause, denke ich — , daß das Sozialstaatsprinzip als Staatsziel Verfassungsrang hat, weil wir wissen, meine Damen und Herren: Wo wirtschaftliche Macht und Ausbeutung zur Bedrohung für den Menschen werden, muß der Staat handeln.Genau das gleiche gilt auch für die Natur: Wo wirtschaftliche Macht und Raubbau zur Bedrohung unserer natürlichen Lebensgrundlagen werden, muß der Staat eingreifen, um die Natur, die natürlichen Lebensgrundlagen um ihrer selbst willen zu schützen.
Unsere Initiative haben FDP und CDU/CSU in der vergangenen Legislaturperiode abgelehnt. In der Regierungserklärung hat dann der Bundeskanzler eine Änderung des Grundgesetzes angekündigt. Bis heute fehlt indes ein Gesetzentwurf, der diese Änderung im einzelnen konkretisiert.
Was, meine Damen und Herren, die Mehrheit des Bundesrats vorlegt, trägt reinen Alibicharakter. Es stellt nämlich den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen unter einen Gesetzesvorbehalt, wodurch Sie mit Ihrer jeweiligen Mehrheit oder die jeweilige Parlamentsmehrheit dieses Naturstaatsziel relativieren können. Einer solchen Änderung des Grundgesetzes wird und kann die SPD-Bundestagsfraktion nicht zustimmen.Meine Damen und Herren, neben der Verankerung des Umweltschutzes als Staatsziel in unserer Verfassung muß die Interessenvertretung der Umwelt durch bessere Rechtsstellung und größere Transparenz verbessert werden. Dazu wären ein großer Schritt vorwärts — ich nenne jetzt einfach einige Punkte, weil mir die Zeit davonläuft — : die Einführung der Verbandsklage für anerkannte Umweltschutzverbände — bislang von der Bundesregierung abgelehnt —; die Einführung eines Akteneinsichtsrechts für anerkannte Umweltschutzverbände, denn Umweltschutz
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Schäfer
und Kontrolle brauchen Transparenz — bislang von der Bundesregierung abgelehnt —;
eine Umweltverträglichkeitsprüfung, die diesen Namen verdient — bislang ist nichts zur Umsetzung der EG-Richtlinie erkennbar —; stärkere Stellung des Umweltschutzbeauftragten in den Betrieben; Verpflichtung zur Umweltberichterstattung in den Geschäftsberichten der großen Unternehmen; Offenlegungspflichten für emittierende Unternehmen über Schadstoffe und Abfälle sowie über den Verbleib der Emissionen und Abfälle.Schließlich, meine Damen und Herren, brauchen wir — belassen wir es bei dem Stichwort — eine Politik der „gläsernen Abflußrohre".Zu allen diesen Punkten gibt es bei der Bundesregierung bislang nur Fehlanzeigen. Nirgendwo sind Initiativen zu erkennen. Wer die Umwelt schützen will, muß auch die notwendigen Instrumente durchsetzen.Wahr ist, Herr Professor Töpfer: Sie haben schon manche schönen und guten Reden zur Notwendigkeit des Umweltschutzes gehalten. Wahr ist leider auch die Tatsache: Den Ansprüchen dieser Reden werden Sie mit Ihrer Politik nicht gerecht. Der von der Bundesregierung vorgelegte Haushaltsentwurf gibt davon ein beredtes Zeugnis. Nur aus einer übergroßen zurückhaltenden Toleranz habe ich es Ihnen erspart, noch einmal das Problem der Molke anzusprechen. Auch dies ist kein Meisterstück Ihrer Regierungskunst.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die umweltpolitische Arbeitslast wird in den kommenden Jahren außergewöhnlich groß sein. Dies trifft gewiß zu, Herr Kollege Schäfer.
Wir sind in der Phase der schwierigen Umsetzung des neugeschaffenen Rechts bei der Luftreinhaltung, dem Gewässerschutz, der Abfallentsorgung, des Naturschutzes und der Strahlenschutzvorsorge. Neue Gesetzgebungsvorhaben stehen an und dulden keinen Aufschub wie die Umsetzung der EG-Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung.Die Novellierung des Chemikaliengesetzes, die Verbesserung der Störfallsicherheit und die Weiterentwicklung des Haftungsrechts, die Überarbeitung des Bundesnaturschutzgesetzes und die Verstärkung des Bodenschutzes sind wichtige weitere Vorhaben.Die Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz kann nur im großen Konsens geschehen. Die heftigen Angriffe der Opposition auf den Vorschlag des Bundesrats sind deshalb nicht hilfreich. Ich sehe in diesem Vorschlag eine ausgezeichneteGrundlage für unsere Erörterungen im Bundestag. Wer auf Extrempositionen beharrt, verhindert die von allen Seiten gewünschte Grundgesetzänderung.Der Regierungsentwurf des Einzelplans 16 enthält für den Ausbau des Umweltministeriums zusätzliche Planstellen, die den dringendsten Bedarf abdecken. Das Umweltbundesamt soll weiter, wenn auch nur ganz marginal, aufgestockt werden. Wir werden im einzelnen noch zu erörtern haben, wie dieses Amt die großen neuen Aufgaben in den Bereichen Abfall, Wasser und insbesondere Chemie bewältigen soll.Nach den unfreundlichen Pressekampagnen der letzten Wochen und der sehr pessimistischen Rede unseres Kollegen Schäfer heute muß man doch sagen: Wer die grüne Alles-und-sofort-Brille ablegt, sieht eine ganze Reihe außergewöhnlicher Erfolge in den ersten Monaten des Wirkens von Bundesumweltminister Professor Töpfer. Ich möchte mir nicht ausmalen, wie Sie von der SPD hier auftreten würden, wenn Sie diese Erfolge in Ihrer Regierungszeit aufzuweisen hätten.
Ich erinnere an die Umweltvereinbarung sowie das Abkommen auf dem Gebiet des Strahlenschutzes mit der DDR. Die Luxemburger Beschlüsse zur Einführung des schadstoffarmen Pkw werden endlich rechtsverbindlich. Das Verbot verbleiten Normalbenzins ist möglich geworden. Die Industrie hat sich zum Verzicht auf leichtflüchtige chlorierte Kohlenwasserstoffe in Wasch- und Reinigungsmitteln sowie der FluorChlorkohlenwasserstoffe im Aerosolbereich verpflichtet. Die Verwendung der Chemikalie Pentachlorphenol wurde verboten, die Neuregelung der Altölentsorgung in Kraft gesetzt, die Herabsetzung des Schwefelgehalts in leichtem Heizöl und Dieselkraftstoff beschlossen.Nun hat die SPD in ihrer Regierungszeit nicht wenig versäumt und verschlafen, was selbst der Herr Kollege Hauff bisweilen hier zugegeben hat. Da der Kollege Schäfer heute so kritisch war, muß ich doch feststellen: In der SPD-Regierungszeit ist kein einziger Katalysatorwagen zugelassen worden. Heute kommt bereits jedes zweite Benzinfahrzeug mit Katalysator neu in den Verkehr. Und was machen Sie von der Opposition? Sie entfachen in der Sommerpause eine Kampagne gegen das Katalysatorauto, sprechen von Betrug, fordern harte Strafen und erklären, der Umweltschutz sei dem Tempowahn geopfert worden, weil eine heimlich eingebaute Vorrichtung das Abgasreinigungsgerät abschalte und die giftigen Schwaden ungehindert in die Luft entweichen lasse. Nichts davon ist wahr. Sie sollten sich erst einmal sachkundig machen, bevor Sie verantwortungslos mit Falschbehauptungen die Menschen verunsichern und vom Kauf der umweltfreundlichen Autos abhalten.
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Dr. LaufsSie haben dem Umweltschutz schweren Schaden zugefügt.
Soll Umweltpolitik zuerst Emotionen befriedigen, oder sollen tatsächliche Probleme gelöst werden? Das Wichtige findet so gut wie keine Aufmerksamkeit.
Sie gestatten eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Wenn sie kurz ist, bitte. Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr.
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir nicht behauptet haben, der Katalysator werde außer Funktion gesetzt? Nur, die Regelung wird durch den Vollastschalter natürlich außer Funktion gesetzt und dadurch seine Wirkung wesentlich herabgesetzt, weil die Lambda-Sonde ausgeschaltet wird.
Herr Abgeordneter, würden Sie die Güte haben, die Formen des Hauses zu wahren.
Erstens habe ich nur wörtlich zitiert, was hier von der Opposition behauptet wurde. Und zweitens wird die Wirkung nicht wesentlich, sondern sehr geringfügig herabgesetzt. Insgesamt bleibt der Katalysator die ganz entscheidende Hilfe zur Reduktion der Autoabgase.
Es fällt allmählich schwer, über die Molke keine Satire zu schreiben. Dieses verhältnismäßig harmlose Pulver ist zum Inbegriff irrationaler Ängste geworden,
nachdem nordrhein-westfälische und bremische Behörden, begleitet von hysterischer Berichterstattung in der Öffentlichkeit, das Verladen und Verwerten polizeilich verboten hatten. Zu keiner Zeit bestand oder besteht eine Gefährdung von Mensch und Umwelt durch das Molkepulver. Es ist mit 2 000 bis 7 000 Becquerel pro Kilogramm radioaktiv belastet. Im Vergleich hierzu strahlt der menschliche Körper durch seine natürlichen radioaktiven Stoffe — allerdings insgesamt — mit rund 10 000 Becquerel. Eines steht fest: Das verunreinigte Molkepulver ist kein radiaktiver Abfall und schon gar kein Sondermüll, den man in eine Hochsicherheitsdeponie unter Tage verbringen müßte.
— Minister Dick hat es vor der Presse genossen. Es war nicht gut, aber gefährlich war es mit Sicherheit nicht. —
Der Bundesumweltminister hat einen vernünftigen Plan zur Entsorgung ausgearbeitet. Andere Entsorgungswege sind vorstellbar. Jetzt sind Länder und Gemeinden gefordert, an der Lösung mitzuwirken. Von der SPD und von Ihnen, den GRÜNEN, ist allerdings außer schadenfroher Stimmungsmache kein Beitrag zu erwarten.
Soeben hat der Bundesumweltminister eine Zwischenbilanz der Umsetzung des neuen, nun gerade ein Jahr alten Abfallgesetzes gezogen. Die Altölentsorgung hat bereits konkrete Gestalt angenommen. Bei der angestrebten drastischen Verminderung der Schadstoffe im Abfall sowie der zu deponierenden Abfallmengen erwarten wir den Durchbruch noch in diesem Jahr, indem nach Anhörung der beteiligten Wirtschaftskreise befriedigende Ziele festgelegt werden.Glas z. B. ist kein Abfall, der auf die Deponie muß. Es kann als Verpackungsmaterial beliebig oft wiederverwendet werden, als Mehrweg- oder RecyclingGlas. Gegenwärtig liegt die Recycling-Quote bei 40 % oder 1,1 Millionen Tonnen jährlich. Diese Menge kann in wenigen Jahren um die Hälfte auf mehr als 1,7 Millionen Tonnen gesteigert werden, wenn das Altglas farbgetrennt eingesammelt wird. Es ist an der Zeit, daß das Altglas überall nach gutem bayerischen Vorbild sortenrein — weiß, grün und braun — in getrennten Behältern der Wiederverwertung zugeführt wird. So entsteht ein geschlossener Kreislauf, der unsere Deponien nicht belastet.
Ähnlich günstig sind die Voraussetzungen bei der stofflichen oder thermischen Altpapierverwertung oder beim Recycling von Kunststoffen.Quer durch die Fraktionen sind wir uns alle darin einig, die regenerativen, umweltverträglichen Energien zu erforschen, zu fördern und zu nutzen. Dem solaren Wasserstoff gehört gegenwärtig große Aufmerksamkeit. Wasserstoff besitzt als Energieträger faszinierende Perspektiven. Seine solarenergetische Erzeugung erfordert jedoch wegen der geringen Energiedichte der Sonneneinstrahlung einen großen Aufwand, so daß der solare Wasserstoff wirtschaftlich noch nicht eingesetzt werden kann.Der solare Kohlenstoff dagegen kann bereits heute in der Form von Biobrennstoffen auch wirtschaftlich interessant werden. Geeignete Energiepflanzen können ohne intensive Düngung und Pflanzenbehandlung angebaut und bei der Ernte zu handlichen Briketts oder Pellets verarbeitet werden. Die Energieausbeute pro Hektar liegt für Gerste bei ungefähr 5 000 Liter Heizöl. Elefantengras verspricht eine wesentlich höhere Ausbeute. Bio-Heizanlagen, die eine vollständige Verbrennung und gute Abgaswerte ga-
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Dr. Laufsrantieren, sind in der Erprobung. Die erzeugte Energie ist Solarenergie. Die beteiligten Stoffe werden absolut umweltneutral im Kreislauf geführt. Die Bio-Energieerzeugung bietet im übrigen noch den Vorteil, der Landwirtschaft einen neuen großen Markt zu erschließen. Es ist das Verdienst des Kollegen Hermann Fellner, die Erprobung dieser interessanten Möglichkeiten in der Praxis angestoßen zu haben und weiter voranzutreiben.
Die Erprobung der Schnelle-Brüter-Technik ist sachlich gerechtfertigt, weil die friedliche Nutzung der Kernspaltungsenergie noch für einige Jahrzehnte unverzichtbar ist.
Das ist die Auffassung aller in den Vereinten Nationen vertretenen Staaten, die dies im Dezember 1986 einstimmig zum Ausdruck gebracht haben. Die UNO bezieht ihre Position aus der nüchternen Betrachtung
der Entwicklung des Weltenergiebedarfs, der Umweltprobleme und der Verfügbarkeit anderer Energien.Die Nutzung der Kerntechnik in unserem Land ist durch den Nürnberger Ausstiegsbeschluß der SPD zum Gegenstand parteipolitischer Polarisierung geworden.
Die tatsächlichen energiepolitischen Zwänge werden langfristig stärker sein als parteipolitische Anpassung an Zeitgeist und Stimmungen. Die SPD wird ihren Ausstiegsbeschluß auf Dauer nicht aufrechterhalten können. Erste Stimmen der Vernunft haben sich bereits vernehmen lassen.Die SPD versucht aber — wie gestern wieder in Düsseldorf verkündet — als e i n Exempel auf Nürnberg das nahezu fertiggestellte Kernkraftwerk SNR 300 in Kalkar noch in letzter Minute zu verhindern. Ich warne die SPD, in dieser Sache rechtsstaatliche Grundsätze zu mißachten. Das Atomrecht unterliegt nicht der Disposition von Parteitagen.Selbstverständliche Voraussetzungen für die abschließende Genehmigung und Inbetriebnahme des SNR 300 ist, daB alle offenen Sicherheitsfragen geklärt und die erhobenen Bedenken schlüssig ausgeräumt sind.
Diese Prüfungen können bald abgeschlossen sein. Sie sind in die Hände der besten Sachverständigen gegeben.
Die nordrhein-westfälische SPD-Landesregierung verbreitet ungeachtet der laufenden Untersuchungen seit Monaten ihre negativen Vorurteile. Eine neutrale, an Recht und Gesetz und an naturwissenschaftlicher Erkenntnis orientierte Entscheidung ist also von der SPD-Landesregierung nicht mehr zu erwarten.Aus Grundgesetz und Atomgesetz folgt, daß die Betriebsgenehmigung des SNR 300 aus politischen Gründen nicht versagt werden kann. Die Bundesaufsicht darf nicht untätig zusehen, wenn die in Bundesauftragsverwaltung tätige Landesgenehmigungsbehörde in Nordrhein-Westfalen aus sachfremden Gründen eine Genehmigung verzögert oder verweigert. Der Bundesminister wird in diesem Fall Weisungen erteilen und Fristen setzen müssen.
Da die Bundesbehörde nicht das Recht der Ersatzvornahme hat, könnte die Landesbehörde versucht sein, Obstruktion zu betreiben. Es gehört wenig Phantasie zur Prognose, daß unser Rechtsstaat hier auf schwere Proben gestellt werden könnte.
Die Unionsfraktion unterstützt den Bundesumweltminister nach Kräften, das Genehmigungsverfahren in Kalkar nach Recht und Gesetz voranzubringen.
Die zunehmende Belastung der Umwelt mit Chemikalien führt dazu, daß der Mensch über die Atemluft, das Trinkwasser und die Nahrung potentiellen Schadstoffen in äußerst starker Verdünnung zwar, aber über lange Zeiträume ausgesetzt ist.
Unser Sicherheitsbedürfnis gegen Erbschäden und Krebserkrankungen ist heute äußerst sensibilisiert. Die Erfassung und die Prüfung von Altstoffen stecken immer noch in den Anfängen.
Sie müssen beschleunigt werden. Das geltende Chemikaliengesetz norminiert ein zu starres, unzureichendes Prüfmuster. Wir brauchen eine rechtlich abgesicherte Prüfstrategie, die ein problembezogenes flexibles Vorgehen erlaubt und den besten wissenschaftlichen Sachverstand zum Einsatz bringt.Die von der Opposition propagierte sogenannte sanfte, naturnahe Chemie und der Ausstieg aus Chemiebereichen wie der Chlorchemie sind keine Alternative.
Die Vorstellung von einer heilen Natur ist falsch. Die pflanzliche Natur hält die weitaus giftigsten und am stärksten erbgutschädigenden und krebserzeugenden Stoffe bereit.
Deshalb müssen auch die pflanzlichen Arznei- und Wirkstoffe in die Prüfstrategie der Altstoffe einbezogen werden.
Wer heute chlororganische Stoffe als naturfremd verteufelt, scheint nicht zu wissen, daß bereits mehr als 700 halogenierte organische Verbindungen natürlichen Ursprungs bekannt sind. Sie sind in der Na-
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1552 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Dr. Laufstur allgegenwärtig, von der Meeresalge bis zum Menschen, auch wenn Sie es nicht glauben wollen.
Unsere politische Aufgabe ist nicht, die chemische Industrie stillzulegen, sondern sie besteht darin, die chronisch toxischen Stoffe zu ermitteln, ihre Verwendung entsprechend ihren Risikoprofilen zu beschränken und, falls erforderlich, zu verbieten.Die umweltpolitischen Zielsetzungen der Koalition in dieser Wahlperiode sind hoch. Wir wissen: Die Herausforderung ist groß. Wir nehmen sie an. Unsere umweltpolitische Bilanz 1990 wird sich sehen lassen können.Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Garbe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Der Bundeskanzler hat sich dieses Mal einen in der Sache nicht inkompetenten Umweltminister nach Bonn geholt.
Der Minister hat zwar einige umweltpolitische Leichen in seinem Land zurückgelassen — z. B. die Kläranlagen der BASF mit ihrem Verdünnungsschwindel — , aber dennoch: Er besitzt einige Qualifikationen für sein Amt, und wenn es nur das publikumswirksame Staksen im Wattenmeer ist.
Aber die verbale Kompetenz des Ministers hat bedauerlicherweise im Bundeshaushalt 1988 nicht den nötigen sachlichen Niederschlag gefunden. Die Haushaltsansätze für die Maßnahmen des Umweltschutzes und der Umweltvorsorgepolitik bleiben zugeschnitten auf das umweltpolitische Format ihres Vorgängers, Herrn Wallmanns. Der Bundeskanzler hält sein professorales Aushängeschild viel zu kurz. Sie, Herr Töpfer, haben es nicht vermocht, im Haushalt entsprechende Akzente für die Zukunftsaufgabe Ökologie zu setzen.Lächerlich 483 Millionen DM für die originären Aufgaben des Umweltministers stehen in dem Etat zur Verfügung. Natürlich registrieren wir, daß in den Etats anderer Ressorts Beträge für Umweltschutzmaßnahmen mit umweltverbessernder Wirkung — wie es heißt — enthalten sind, sogar im Verteidigungshaushalt, und zwar stattliche 600 Millionen DM. Da darf ein Panzer erst alles umwälzen, und dann kommt die Bäumchen- und Blumenpflanzaktions-Kolonne. Oder da wird das Hydrauliköl in einen Fischteich abgelassen, und wenn das Öl dann entfernt wird, heißt das Umweltschutzmaßnahme.
Wenn man sich im Vergleich zum Umweltschutzetat den Verteidigungshaushalt anschaut, dann muß man zwangsläufig zu der Frage kommen: Ist denn fürSie, meine Herren und Damen von der Bundesregierung, die Bedrohung durch den „bösen Russen" mehr als hundertmal größer als die Bedrohung unserer natürlichen Lebensgrundlagen? Auch ich frage: Haben Sie denn immer noch nicht begriffen, in welch gefährlicher Lage wir uns befinden?Nirgendwo sterben Tier- und Pflanzenarten in der Geschwindigkeit aus wie in Mitteleuropa. Säuglinge dürfen wegen der Schadstoffbelastung der Muttermilch nur noch vier Monate gestillt werden. Mehr als 40 % der Menschen in der Bundesrepublik weisen Allergien auf. Die Kontamination unseres Lebensmittels Nr. 1, des Trink- und Grundwassers, ist inzwischen ein flächenhaftes Problem geworden. Der Berg ruft nicht mehr, sondern er kommt gleich selber.
Man forscht noch immer nach der Ursache des Waldsterbens, während nun ganz neuartige Waldschäden beklagt werden und die Laubwälder schlagartig und flächenhaft absterben.Anstatt die 51,6 Milliarden DM des Verteidigungshaushalts plus 17 Milliarden DM, versteckt in anderen Haushaltsplänen, gegen den Feind im Osten auszugeben, wäre es da nicht an der Zeit, hier im eigenen Land endlich einmal mit Glasnost und Perestrojka zu beginnen? Statt Horchposten im All sollte diese Regierung lieber Posten im Grundwasser stationieren.
Hatten Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, bei den Koalitionsvereinbarungen nicht von gläsernen Abflußrohren gesprochen? Mir ist es so. Nun hat die Hansestadt Hamburg im Bundesrat einen Antrag auf Offenlegung der Umweltdaten eingebracht. Dieser wurde von den CDU-Ländern abgelehnt. Im Bundeshaushalt ist das Programm „gläserne Abflußrohre" auch nicht verankert. Soviel ist demnach von all den Versprechungen dieser Bundesregierung zu halten.Wo hat der Minister Stoltenberg das Sofortprogramm haushaltsmäßig abgesichert, um z. B. den Hauptverschmutzern der Nordsee endlich das Handwerk zu legen? Fast die Hälfte der Nordseeverschmutzung kommt über die Flüsse aus der Bundesrepublik. Sie haben es heute sicherlich in der Zeitung gelesen: Schwermetalle im Rhein stark angestiegen. Wann gibt es endlich die dritte Reinigungsstufe für Kläranlagen an den Flüssen, wie es am Bodensee längst realisiert ist? Wie sieht es mit einem Elbsanierungsprogramm aus? Fehlanzeige. Müßte es nicht das Ziel dieser Bundesregierung sein, schleunigst die krebserregenden Altstoffe ausfindig zu machen und dazu die schon bekannten krebserregenden Stoffe endlich zu verbieten?
Bereits jetzt finden sich überall die giftigen Pestizide im Grundwasser wieder. 7 Milliarden DM müßten für ein Sofortprogramm zum Schutze des Grundwassers nach Aussagen der Fachverbände eingesetzt werden. Wo ist der Ansatz im Bundeshaushalt? Wie wäre es mit einem Qualifizierungsprogramm für die Gewerbeaufsicht? Wie wäre es mit einem einheitlichen Giftmüllprogramm mit soliden sicheren Zwi-
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Frau Garbeschenlagern, um den Giftmüllnotstand erst einmal etwas abzumildern? Die Altlastensanierung — das wurde schon angesprochen — wird nach Schätzung des Umweltbundesamtes ca. 17 Milliarden DM kosten. Wer wird das bezahlen: die Kommunen, der Bund, die Länder? Natürlich werden Sie sagen: Alles keine Bundesaufgabe! Aber, meine Herren und Damen von der Bundesregierung, wie heute schon mehrfach gesagt, mit Ihren Finanz- und Steuerbeschlüssen nehmen Sie den Ländern und Gemeinden die Mittel weg, die dort für die Altlastensanierung und noch für andere drängende Umweltschutzaufgaben eingesetzt werden müßten.
Was aber tut die Bundesregierung? Herr Schäfer hat darauf hingewiesen: Die Bundesregierung hat noch nicht einmal die nötigen Mittel im Haushalt eingesetzt, um die militärischen Altlasten, die Umweltsünden der Kampfstoffproduktion des Zweiten Weltkrieges zu beseitigen. Die Sanierungsmaßnahmen für einen einzigen Standort, zum Beispiel Hessisch Lichtenau, lassen allein zwei- bis dreistellige Millionenbeträge erwarten. Die in diesem Zusammenhang notwendig gewordene Umstellung der Trinkwasserversorgung kostete mehr als 10 Millionen DM.Meine Herren und Damen, Sie haben sicher mitgerechnet: Da liegen wir mit dem Etatansatz für das Beseitigen des Umweltschmutzes für das Jahr 1988 schon weit im Minus.Nun zu einem anderen Thema. Jede Pommesbude hat einen Entsorgungsnachweis für ihre Abfallstoffe vorzulegen, ehe sie ihre Frittenproduktion in Gang setzen darf; die Bude würde sonst ganz schnell wieder dichtgemacht. Nach dieser Rechtslage arbeiten alle Atomkraftwerke in der Bundesrepublik illegal.
Es gibt keine sogenannte Entsorgung für Atomkraftwerke, und der gesetzlich vorgeschriebene Entsorgungsnachweis wird schon lange nicht mehr eingehalten.
Wer dennoch Genehmigungen für Atomkraftwerke erteilt und die bestehenden weiter in Betrieb läßt, handelt gegenüber uns und nachfolgenden Generationen in einer verantwortungslosen Art und Weise, die ihresgleichen sucht.
An den Entsorgungsruinen wird weitergebastelt. Ungefähr 500 Millionen DM sind im Haushalt für sogenannte Endlagerkapazitäten veranschlagt worden. Wider bessere Vernunft wird in Gorleben weiter ausgeschachtet, obwohl keine Chance mehr besteht, einen Eignungsnachweis für den Standort zu liefern. Trotz dieser Erkenntnis werden weiterhin Mittel vergeudet, und damit wird der Weg in die Nutzbarmachung von Zukunftsenergien verbaut. Meine Herren und Damen, Ihr Engagement für die intelligente Nutzung von Sonne und Wasser, von Wasserstoff, der Energie der Zukunft, ist noch nicht zu erkennen.Vielleicht entsinnen Sie sich noch: Die GRÜNEN haben Ende 1986 eine Studie für den Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft vorgelegt, und die GRÜNEN haben im Rahmen der letzten Haushaltsberatungen in verschiedenen Anträgen für einen ökologischen Nachtragshaushalt, für eine ökologische Wirtschaftsordnung, für die Förderung des ökologischen Landbaus und für ein Notprogramm zur Schutzwaldsanierung der Alpen — um nur einiges zu nennen — aufgezeigt, wie eine ökologische Wende in Gang gesetzt werden könnte. Eine Umweltschutzoffensive — der Herr Kollege Roth hat es angesprochen — wie die Aufbauoffensive nach dem Zweiten Weltkrieg wäre hier völlig richtig.Sie, meine Herren und Damen von der Bundesregierung, haben die Herausforderung, unser Überleben zu sichern, noch nicht begriffen. Dafür werden Sie sich eines Tages rechtfertigen und verantworten müssen.
Mit Herrn Töpfer an der Spitze versuchen Sie, den Bürgerinnen und Bürgern weiszumachen, Sie täten genügend für den Umweltschutz und betrieben Umweltschutzvorsorgepolitik. Kunstvoll wird die Untätigkeit kaschiert. Herr Töpfer, Sie machen damit dem Verpackungskünstler Christo alle Ehre, aber im negativen Sinne: Keiner kann so richtig hinter die Kulissen schauen.Es wird erst einmal geglaubt, wenn Herr Töpfer sagt: 1990 hören wir mit der Seeverbrennung von Giftstoffen auf. Wer weiß denn schon, daß der Umweltminister Ende August mit den Leuten vom Ocean Combustion Service — das sind die Leute, die das Verbrennungsgeschäft betreiben — abgemacht hat, daß die Nordseeverschmutzung durch den Betrieb der Verbrennungsschiffe bis 1995 weitergehen wird?
Wer hätte denn je erfahren, daß hochtoxischer Giftmüll mittels Personenfähren nach England transportiert wird, wenn nicht der beklagenswerte Umstand des Untergangs der „Herald of Free Enterprise" eingetreten wäre? Es gehen große Teile des Giftmülls u. a. nach England, sicherlich weil die Briten den Sondermüll billiger beseitigen als andere. Nun wissen wir aber, daß die Engländer vom Umweltschutz nicht so sehr viel halten. So werden nicht nur radioaktive Stoffe ins Meer geleitet, sondern auch chemische Abfälle. Das ist die Umweltvorsorgepolitik à la Töpfer! Das ist Giftverschiebepolitik!
Meine Herren und Damen, der ganze Giftmüllbereich stinkt zum Himmel, und es ist im Haushalt für diesen Bereich keine Wende zu erkennen. Und dann spricht diese Regierung von „Schöpfung bewahren" und „Umweltvorsorgepolitik" !
Was bleibt, ist die Tatsache, daß die Bundesregierung offensichtlich nicht wahrhaben will, daß Umweltschutz eine globale Herausforderung ist, die — Hans-Peter Dürr, Direktor am Max-Planck-Institut für Physik, charakterisierte es so — ähnlicher An-
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Frau Garbestrengungen bedürfte wie ein SDI-Programm. Nun hat diese Regierung mit der Beteiligung an SDI den Anfangsbuchstaben zusätzlich noch die Forderung entnommen: Schützt die Industrie — SDI. Das bedeutet leider aber immer noch eine Kampfansage an Natur und Menschen — was allerdings nicht so sein müßte.
Meine Herren und Damen, wir GRÜNEN wollen ein SDN-Programm, ein „Schützt die Natur"-Programm, und fordern alle Kräfte guten Willens auf, im Interesse der Überlebensmöglichkeiten für uns, unsere Kinder und Kindeskinder bei der Verwirklichung dieses Programms mitzuhelfen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die Vorschläge für den Haushalt des Bundesumweltministeriums, insbesondere die vorgesehene Personalaufstockung, machen deutlich, daß es sich hier um ein noch sehr junges Ministerium handelt, das für einen außerordentlich wichtigen und immer bedeutender werdenden Aufgabenbereich zuständig ist. Mit der Einrichtung des Bundesumweltministeriums hat die Koalition schlüssig und schnell auf die Ereignisse nach Tschernobyl reagiert. Eine alte FDP-Forderung, nämlich ein Bundesumweltministerium und einen eigenen Bundesumweltausschuß zu schaffen, ist nun seit länger als einem Jahr verwirklicht.Die FDP hat dabei immer betont, daß sie sich für ein starkes Umweltministerium einsetzt. Das bedeutet insbesondere auch, daß dieses Umweltministerium die notwendigen personellen und sachlichen Mittel erhalten muß, um so erfolgreich wie nur irgend möglich im Interesse der Umwelt zu arbeiten.Das neue Umweltministerium war die folgerichtige Konsequenz der Umweltpolitik, die wir zu Beginn der siebziger Jahre eingeleitet haben und die zunächst zur Einrichtung einer Abteilung Umwelt im Bundesinnenministerium und zur Errichtung des Umweltbundesamtes geführt hat.Für die FDP begrüße ich ausdrücklich, daß die personelle Situation im Umweltministerium durch insgesamt 40 neue Stellen erheblich verbessert wird. Die Belastung gerade dieses Ressorts war bisher sehr groß. Auch mit den neuen Stellen werden die Mitarbeiter in diesem Haus weiterhin besonders gefordert sein, zumal sie auch mit einer Flut von vielen, zum Teil leider nicht immer besonders sinnvollen Anfragen seitens der Opposition überschüttet werden.
Die Aufstockung des Umweltbundesamtes um insgesamt sechs neue Stellen erscheint jedoch im Hinblick auf die Fülle von Aufgaben, die das Umweltbundesamt wahrnimmt,
zu gering.
Der Jahresbericht des Umweltbundesamtes 1986, vor wenigen Wochen vorgelegt, hat erneut in eindrucksvoller Weise belegt, wie wichtig die dort geleistete Arbeit für Gesetzgeber, Ministerien, aber auch für Industrie, Länder, Kommunen und Privatpersonen ist. Ebenso wie dem Umweltministerium werden auch dem Umweltbundesamt immer wieder neue Aufgaben im Bereich des Umweltschutzes zugewiesen, für die es Lösungen oder Hilfestellungen leisten soll.Nicht zuletzt werden Umweltministerium und Umweltbundesamt, insbesondere durch die äußerst anspruchsvollen und außerordentlich detaillierten Koalitionsvereinbarungen zum Umweltbereich, erheblich gefordert. Zudem sind im Vergleich zu anderen Ressorts, auch im Vergleich zu nachgeordneten Bundesbehörden, die hier angesprochenen Ressorts bzw. Behörden personell bei weitem nicht so stark ausgestattet, wie dies angesichts der Bedeutung der Materie wünschenswert wäre.Die Erläuterungen zu dem Einzelplan 16 machen deutlich, welche fachlichen Arbeitsschwerpunkte für 1987 und 1988 von der Regierung gesetzt werden und welche weitere Fülle von Arbeit auf Exekutive und Legislative zukommt.Wie der Präsident des Umweltbundesamtes, Dr. von Lersner, in seinem Vorwort zum Jahresbericht 1986 ausführt, ist die Bundesrepublik Deutschland im Umweltschutz auf Grund ihrer Lage in der hochindustrialisierten Zone Mitteleuropas und an der Grenze zwischen West und Ost besonders stark gefordert. Stärker denn je müssen wir Umweltthemen nicht nur national, sondern in ihrer ganzen internationalen Dimension behandeln und betreiben.Der neue Jahresbericht ist in der Tat eine Fundgrube für alle Beteiligten. Er gibt ungemein wichtige Informationen, Anregungen und Hinweise für Politiker und Verwaltung, für Industrie und Bürger. Aber wenn man diesen Jahresbericht liest, so darf man nicht nur einseitig das lesen, was noch an Defiziten in der Umweltpolitik beschrieben wird. Natürlich zeigt er wichtigen Handlungsbedarf in vielen Bereichen auf. Er zeigt aber auch auf, daß wir in unserer Umweltpolitik auf dem richtigen Wege sind. Wie auch der Präsident des Umweltbundesamtes ausdrücklich feststellt, war das vergangene Jahr ein Jahr erfreulicher Fortentwicklung des Umweltrechts, da nahezu alle wichtigen Umweltgesetze novelliert und damit aktualisiert wurden.Die Hinweise des Umweltbundesamtes bezüglich der Emissionsentwicklung bis 1995 sind beachtlich. Dabei ergibt sich bis 1995 eine deutliche Senkung der betrachteten Schadstoffemissionen, insbesondere von Schwefeldioxid und Stickoxid im Kraftwerksbereich, eine Reduzierung, die — so das Umweltbundesamt wörtlich — zwischen 1984 und 1995 jeweils 70 %, bezogen auf das Jahr 1984, betragen dürfte. Zudem hat das Bundesamt berechnet, daß die ermittelten Emis-
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Frau Dr. Segallsionsreduzierungen bei stationären Quellen nahezu ausschließlich auf die getroffenen Regelungen für Altanlagen zurückgehen. Dies ist gerade im Hinblick auf die internationale Diskussion von besonderer Bedeutung, weil andere Staaten strenge Umweltanforderungen oft nur für neue Anlagen fordern oder durchsetzen.Im Zusammenhang mit der Emissionsentwicklung noch ein Wort an SPD und GRÜNE: Der Jahresbericht des Umweltbundesamtes bestätigt die Auffassung der FDP eindeutig. Die insbesondere aus der Großfeuerungsanlagen-Verordnung erwartete Emissionsminderung würde durch einen Verzicht auf Kernenergie teilweise wieder rückgängig gemacht. Eine Abschaltung der zur Zeit weltweit betriebenen Kernkraftwerke würde die Kohlendioxidemission aus der dann zu erwartenden verstärkten Verfeuerung fossiler Brennstoffe weltweit um zirka 5 % erhöhen. Ein weltweiter Verzicht auf Kernenergie, so das Umweltbundesamt, würde zu einem deutlich höheren Anstieg und zu einer wesentlich beschleunigten Ausschöpfung der Ressourcen an fossilen Energieträgern führen. Die Forderung nach einem sofortigen Ausstieg oder nach einem Ausstieg nach zehn Jahren aus der Kernenergie ist also in Wahrheit eine umweltfeindliche Forderung.
Naturschutz und Bodenschutz werden ein weiterer wichtiger Schwerpunkt in dieser Legislaturperiode sein. Die verstärkte Ausweitung von Schutzgebieten im Interesse des Naturschutzes findet ihren Niederschlag auch in dem entsprechenden Haushaltsansatz, nämlich 10 Millionen DM in 1988. Stärker als bisher müssen wir zur Renaturisierung der Landschaft die ökologische Komponente in der Agrarwirtschaft verstärken. Landwirtschaft und Umweltschutz müssen Partner werden.Nach diesen Haushaltsspezifika erlaube ich mir ein paar Worte zu umweltpolitischen Grundsatzfragen; das dürfte im Rahmen einer Haushaltsrede erlaubt sein.Wer die Umwelt schützen will, muß die Marktwirtschaft bejahen. Die Richtigkeit dieser These werde ich im folgenden in verschiedenen Bereichen der Umweltpolitik nachweisen.Ein erster Nachweis ist geführt, wenn man sich verdeutlicht, wer die ökonomische Hauptlast des Umweltschutzes trägt und — damit wir uns nicht falsch verstehen, meine Damen und Herren — auch tragen soll: die private Wirtschaft. Bund, Länder und Gemeinden sollen finanziell nur insoweit belastet werden, als die konkret zu regelnde Umweltproblematik eine öffentliche Aufgabe darstellt. In erster Linie aber müssen die Verursacher für die Kosten von Umweltbelastungen aufkommen. Wenn jetzt die Kolleginnen und Kollegen der Opposition eine einseitige Verteufelung der Großindustrie erwarten, wie das die SPD und die neue grüne Linke zu tun pflegen, so muß ich diese Erwartung enttäuschen. Nicht nur die Industrie, sondern ebenso der private Endverbraucher belasten die Umwelt.Wie bereits gesagt, muß der Verursacher die Kosten tragen. Adressat umweltpolitischer Maßnahmen ist daher auch die gewerbliche Wirtschaft. Sie reagiert sofort und uneingeschränkt auf Marktveränderungen, schon um zu überleben. So sind die Umweltschutzausgaben des produzierenden Gewerbes im letzten Jahrzehnt stärker gestiegen als das Wirtschaftswachstum, ein erster Nachweis dafür, daß die Umwelt nur marktwirtschaftlich geschützt werden kann. Betrachtet man nun etwas detaillierter anstehende umweltpolitische Fragestellungen, so wird noch klarer, daß die Marktwirtschaft den Umweltschutz am besten sichert.In den Koalitionsvereinbarungen heben wir hervor, daß freiwillige Verpflichtungen der Industrie ein Mittel des Umweltschutzes sind. Inzwischen ist diese Vorgehensweise vom Markt akzeptiert worden, und die Industrie ist eine Vielzahl solcher Verpflichtungen eingegangen. Zu nennen sind: Verpflichtungen der Asbestindustrie, der Wasserverbände zu gewässerschützenden Maßnahmen, der Lackindustrie und der chemischen Industrie für den Bereich der Fluorchlorkohlenwasserstoffe. Auf Drängen der FDP konnte die Industrie bewegt werden, bis 1990 die Fluorchlorkohlenwasserstoffe in Spraydosen zu ersetzen. Daß die Industrie so schnell reagiert, beweist einmal mehr, daß bei entsprechender Rahmendatensetzung durch den Gesetzgeber die Marktwirtschaft effektiver ist als staatsdirigistische Maßnahmen.
Folglich, Herr Schäfer, ist der Etat des Bundesministeriums für Umwelt auch kein Maßstab für unseren Erfolg im Umweltschutz. Auf die Rahmendatensetzung kommt es an, d. h. auf die Gesetze, nicht auf die Finanzmasse.
Ein weiterer schlagender Nachweis für die Überlegenheit der Marktwirtschaft ist leicht erbracht,
wenn man prüft, welche Länder im Bereich der Umweltforschung und der Technologie führend sind. Die USA, Japan, Schweden, die Schweiz, die Niederlande und die Bundesrepublik sind zu nennen. Vergeblich sucht man Ostblockstaaten. Der Grund ist klar. Ist man im Gegensatz zu den marktwirtschaftlich organisierten Staaten noch nicht einmal in der Lage, uneingeschränkt die Bevölkerung zu versorgen, so bleibt für den Umweltschutz kein Geld mehr übrig.Wie katastrophal sich Staatswirtschaft auswirkt und wie nötig daher die Bejahung der Marktwirtschaft ist, möchte ich darstellen.In der DDR enthalten nur noch 17 % der Flüsse Trinkwasser. In Polen sind 80 % der Flüsse und Seen irreversibel verschmutzt. Noch erschreckender ist die Belastung der Bevölkerung durch Schwefel.
In der DDR entwichen 251 Tonnen Schwefel pro tausend Einwohner, d. h. pro Person ein halbes Kilo am Tag. In der Bundesrepublik Deutschland hingegen sind es — wobei ich auch diesen Emissionsumfang
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Frau Dr. Segallweiter reduziert wissen möchte — 66 Tonnen Schwefel pro tausend Einwohner, und das, obwohl die DDR eine geringere Industrieproduktion hat. Dieses ökologische Schreckensszenario macht die verheerenden ökologischen Folgen unökonomischer Wirtschaftssysteme deutlich und belegt, daß trotz einiger Mängel unseres Wirtschaftssystems, die ich nicht in Abrede stelle, dennoch allein die Marktwirtschaft ökologische Probleme lösen kann.
Die ökologischen Probleme machen vor Grenzen nicht halt: eine Binsenwahrheit. Anläßlich des in diesen Tagen stattfindenden Besuchs des Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, konnten zwei umweltpolitische Abkommen unterzeichnet werden. Das begrüße ich als einen Schritt in die richtige Richtung, muß aber dennoch kritisch anmerken, daß ich diese Abkommen noch für viel zuwenig halte. Solche Kooperationsabkommen, die allenfalls Know-how-Transfer erlauben, sind nicht geeignet, ostblockspezifische Umweltprobleme zu lösen. Diese sind nur durch das Wirtschaftssystem bedingt und lassen sich daher durch politische Abkommen nur eingeschränkt lösen.Nein, meine Damen und Herren, hier ist eine Perestroika der Staatswirtschaft gefordert, von dieser Stelle aus appelliere ich an den Staatsratsvorsitzenden der DDR und an die anderen Ostblockstaaten, eine Perestroika einzuleiten.
Sie ist das einzige Mittel, Umweltprobleme effektiv zu lösen.Ich denke, es ist deutlich geworden, daß sowohl national als auch international nur die Marktwirtschaft geeignet ist, Umweltprobleme zu lösen. Dabei sei hier nur am Rande auch auf die ungleich höhere technische Leistungskraft westlicher Wirtschaften verwiesen. Diese Kraft müssen wir nutzen. Wie keine Generation zuvor haben wir viel Verantwortung für die Zukunft, also insbesondere auch für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Umweltpolitik wird daher auch weiterhin für uns alle eine große Aufgabe und Herausforderung sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schäfer, man kann umweltpolitische Leistungen und die Fähigkeit, die umweltpolitischen Herausforderungen zu lösen, sicherlich nicht danach bemessen, wie die Prozentanteile des Haushalts des Umweltministeriums am Gesamthaushalt ausschauen — unabhängig davon, daß ich bezweifle, ob Sie richtig gerechnet haben.
Aussagekräftiger, Herr Kollege Schäfer, wenn mandie Umweltpolitik schon gewichten will, wäre dannschon die Ausweitung der Planstellen beim Umweltministerium und beim Umweltbundesamt. Man kann dem Minister Töpfer dazu nur gratulieren, daß er das trotz der Verschlossenheit von Herrn Stoltenberg bei Fragen der Ausweitung von Planstellen geschafft hat.Ich meine, daß die Haushaltsdebatten für jedes Ressort Anlaß zu Standortbestimmungen — natürlich auch für uns selber — und für einen Blick auf den zukünftigen Weg sein sollten.Es kann meines Erachtens keinen Zweifel darüber geben, daß wir in den vergangenen Jahren auf jedem Feld der Umweltpolitik das vernünftigerweise Machbare getan haben. Wir haben dabei ordnungsrechtliche Instrumentarien genutzt, mit Ge- und Verboten, mit Grenzwerten und dem Stand der Technik gearbeitet und haben versucht, dem Gedanken der Umweltvorsorge Rechnung zu tragen. Ich will auch gar keinen Zweifel daran lassen, daß wir mit diesen Instrumentarien auch künftig arbeiten müssen. Aber ich meine, daß gerade die Fülle von Arbeit und Problemen bei der Umsetzung all dieser Vorschriften für den Vollzug in der Verwaltung zeigt, daß dies nicht der alleinige Weg zur Durchsetzung unseres umweltpolitischen Willens sein kann. Wir wollen deshalb künftig noch stärker als bisher die marktwirtschaftlichen Instrumentarien nutzen, die auch zur Durchsetzung umweltpolitischer Ziele zur Verfügung stehen. Wir wollen Produktionsweisen unserer Wirtschaft durchsetzen, die Schadstoffe noch weniger als bisher überhaupt erst entstehen lassen. Dabei werden wir uns mit mehr oder weniger Begeisterung Themen widmen wie Kompensationsregelungen, Zertifikatslösungen, Abgabenregelungen und anderem mehr. All das können, richtig angewandt, marktkonforme finanzielle Innovations- und Investitionsanreize darstellen.Ein Beispiel dafür ist sicherlich die Bemühung auch im steuerrechtlichen Bereich, Maßnahmen des Umweltschutzes in unserer Wirtschaft weiter voranzubringen. Ich nehme beispielhaft ein Thema heraus: die Initiative des Freistaates Bayern im Bundesrat. Diese Initiative deckt sich erfreulicherweise auch mit unserer Koalitionsvereinbarung und den umweltpolitischen Vorhaben des Umweltministers. Diese Initiative dient dem Ziel, durch erweiterte Abschreibungsmöglichkeiten schneller dafür zu sorgen, daß der Produktionsapparat unserer Betriebe auf sogenannte integrierte Umweltschutztechnologien umgestellt wird. Es geht hier um eine Änderung des § 7 d des Einkommensteuergesetzes, der vorsieht, daß künftig auch Produktionsanlagen steuerlich begünstigt werden, wenn sie von sich aus umweltfreundlich arbeiten und damit schädliche Abfälle erst gar nicht entstehen lassen.
— Wenn Sie so begeistert zustimmen, Herr Kollege Schäfer, bekomme ich allerdings wieder Bedenken, ob das richtig ist. Es wird ohnehin eine schwere Aufgabe werden, weil das natürlich Geld kostet und Einbußen bei den Steuereinnahmen in Höhe von Hunderten von Millionen DM verursacht. Aber daß wir uns das vornehmen, zeigt, daß wir neue zusätzliche Wege gehen wollen, daß wir uns also nicht allein auf
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1557
Fellnerdas Instrumentarium, Herr Kollege Schäfer, verlassen wollen, das bei Ihnen das einzige ist.Ich bin heute gar nicht so richtig motiviert. Sie haben in Ihrer Rede auch wirklich nichts Neues gebracht. Sie haben nur das Instrumentarium, mit der großen Keule des Staates zu drohen und notfalls auch zuzuschlagen, ohne Rücksicht darauf, ob die Wirtschaft selber in guter Zusammenarbeit mit der Politik diese Probleme nicht besser lösen könnte.Ich wollte ergänzend zu diesem Weg, in Kooperation mit der Wirtschaft und mit Anreizen für die Wirtschaft, von sich aus umweltfreundlich zu produzieren, an sich noch einen anderen Gedanken vertiefen, nämlich den, daß das in ähnlicher Form auch mit unserer Landwirtschaft geschehen muß. Das bedeutet eine verstärkte Versöhnung der landwirtschaftlichen Produktionsweisen mit unseren umweltpolitischen Interessen und Zielsetzungen. Ich tue das angesichts der Zeit nicht mehr.Ich bin sicher, daß der Haushalt des Umweltministeriums zeigt, welch großen Stellenwert diese Regierung dem Umweltschutz beimißt. Die Gesetzgebungsinitiativen, die wir innerhalb der Koalition beschlossen haben und die wir auf den Weg bringen werden, zeigen sicherlich, daß wir auch in den nächsten Jahren beim Umweltschutz tüchtig vorankommen wollen.Danke schön.
Nun hat das Wort der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Qualität und Nachdruck der Umweltpolitik sind in erster Linie an der Durchsetzung des Verursacher- und Vorsorgeprinzips, nicht an den Ziffern und den Prozentsätzen des Haushalts abzulesen.
Wer die Vorsorge- und Verursacherproblematik sieht, muß sich dann auf solche Zahlen beziehen wie die, daß alleine die Umsetzung der Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung bis zu 50 Milliarden DM in Bewegung setzt — das sind verursacher- und vorsorgepolitische Maßnahmen —, der muß darauf hinweisen, daß wir darüber hinaus, etwa bei der Umsetzung des Wasserhaushaltsgesetzes — in der letzten Legislaturperiode beschlossen — ebenfalls gewaltige Investitionen der Verursacher auslösen. Das ist marktwirtschaftliche Umweltpolitik, so wie wir sie verstehen.Ich möchte es nicht überziehen, aber ganz sicherlich wäre es ein negatives Beispiel, wenn wir viel mehr über das Gemeinlastprinzip in unseren Haushalt hineinschreiben müßten, weil wir des Verursachers nicht mehr habhaft werden können. Dies, meine ich, sollte man als erstes dazu sagen.
Meine Damen und Herren, wer schon über Haushaltsfragen spricht — Frau Abgeordnete Garbe war sofreundlich, zumindest darauf hinzuweisen, daß es umweltbezogene Maßnahmen natürlich auch in anderen Ressorts in großem Maße gibt — , der muß natürlich auch darauf hinweisen, daß es materielle Anreizwirkungen gibt, die nicht im Haushalt ihren Niederschlag finden. Ich nenne z. B. die Tatsache, daß wir aus dem ERP-Vermögen für über eine Milliarde DM zinsgünstige Kredite geben können, um entsprechende Investitionen gerade mittelständischer Unternehmen zu erleichtern, um diesen Zielen gerecht zu werden. Man muß darauf hinweisen, daß wir durch § 7 d des Einkommensteuergesetzes abschreibungsfähige Umweltschutzinvestitionen der gewerblichen Wirtschaft fördern. Das waren im Jahre 1981 ca. 1,1 Milliarden DM, und das sind 1985 — das ist der neueste Wert
3,8 Milliarden DM. — Sehen Sie, der Herr Abgeordnete Schäfer wußte, auf welche Zahl ich hinauswollte.Dies sind Instrumente, die ich für genauso bedeutsam halte wie direkte Zuschüsse, die nicht wegfallen dürfen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Man muß sich sogar überlegen, ob man nicht die auch in meinem Haushalt vorgesehenen etwa 115 Millionen DM für Zuschüsse multiplizieren kann, indem man Teile davon in die Verbilligung von Krediten hineinnimmt und damit auf breiterer Front vorankommt. Haushaltspolitik ist nicht nur dann interessant, wenn man mehr fordert und in guten Zeiten durchsetzen kann, sondern auch wenn man mit etwas Phantasie aus dem, was einem der Steuerzahler geben kann, möglichst viel macht. Das ist meine Aufgabe.
Ein Zweites als Vorbemerkung, meine Damen und Herren, weil es der Opposition an mir offenbar in besonderer Weise mißfällt, daß ich offenbar zuviel in der Öffentlichkeit sichtbar werde. Dazu will ich nichts Ergänzendes sagen. Ich bin eigentlich immer noch der Meinung, wir seien darin einig, daß wir möglichst vielen Bürgern deutlich machen müssen, daß sie umweltpolitisch mithandeln. Wie könnten wir das in einer medienbezogenen Gesellschaft besser machen als auch durch den Beleg der Tat des Umweltministers?Das andere, was Ihnen auch in besonderer Weise Sorgen macht, ist mein angeblich konfliktscheues Verhalten. Ich muß Ihnen nun wirklich sehr ernst meine Meinung dazu sagen. Für mich sind Konflikt und Konfliktbereitschaft nicht ein Wert als solcher. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Jedes Problem, das ich ohne Konflikte, aus der Kooperation heraus, unter Mitwirken aller lösen kann, erscheint mit ungleich besser gelöst, als wenn ich den Konflikt suchen muß. Sie können mir doch die Konfliktproblematik nur vorhalten, wenn Sie sagen: Auf Grund dieser Tatsache sind Dinge, die notwendigerweise zu tun sind, nicht gemacht worden, die auf anderem Wege hätten besser gemacht werden können. Zu dem bloßen Hinweis, daß es da einen gibt, der keine Bereitschaft zum Konflikt hat, würde ich sagen: Da wollen wir mal ein bißchen weitergehen. Ich bin der festen Überzeugung, daß es richtig war, daß etwa der Herr Abgeordnete
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1558 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987
Bundesminister Dr. TöpferBaum auf freiwilliger Basis ein Asbest-Abkommen gemacht hat, das jetzt exekutiert, durchgeführt wird, wirklich abhakbar durch Herrn Hartkopf kontrolliert wird und zeigt: Jawohl, wir kommen von dieser Faser weg. Warum ist denn eine Lösung, die uns etwa bei den FCKW bis zum Ende 1989 immerhin 25 000 Tonnen erspart — —
— Das ist ja richtig, das habe ich sogar gelesen. Aber Sie dürfen ganz sicher davon ausgehen, daß wir dieses Abkommen nicht als ein wie auch immer unverbindliches Angebot, sondern als ein genauso wie das Asbest-Abkommen umzusetzendes und durchzuführendes Vorhaben sehen. Wir wissen doch ganz genau, daß wir diese Probleme dann etwa elf Jahre schneller angehen, als wir das international können. In der nächsten Woche wird der Herr Parlamentarische Staatssekretär Gröbl in Montreal eine FCKW-Vereinbarung international mit unterzeichnen, die, in der Wirkung ein Minus von 50 % , im Jahre 2 000 das Ziel erreicht. Dies ist uns in der Tat zuwenig, und hier wollen wir wirklich mehr machen.Wie attraktiv die Umweltpolitik der Bundesregierung ist, können Sie an der Bereitschaft, ja geradezu an dem unmittelbaren Interesse vor allem auch unserer östlichen Nachbarn ablesen, mit uns zu Abschlüssen zu kommen. Man frage sich immer: Woran liegt das? Natürlich auch daran, daß wir darüber Normalität weiterführen wollen. Aber es liegt zu einem guten Teil auch daran, daß bei uns auf Grund unseres umweltpolitischen Kurses umweltentlastende Techniken entwickelt worden sind, die man gerne übernehmen will. Meine Damen und Herren, ich war gestern — ich konnte es nicht verhindern: Es war Fernsehen dabei, man staune — in Niederaussem. Ich habe mir dort mit meinem Kollegen Dr. Reichelt, dem Umweltminister der DDR, die Entschwefelungstechniken angesehen, mit denen wir unsere Braunkohlekraftwerke mit sehr viel Geld entschwefeln. Fragen wir uns doch einmal, erinnern wir uns doch einmal zurück: Wann eigentlich ist die Großfeuerungsanlagen-Verordnung verabschiedet worden? Wenn ich mich recht erinnere, ist sie mit Wirkung ab Juni 1983 verabschiedet worden. Dann frage ich mich schlicht und einfach: Wer hat denn Verantwortung dafür zu tragen gehabt, und wer ist derjenige gewesen, der damals gesagt hat: Fünf Jahre Nachrüstungszeit sind zu lange? Meine Damen und Herren, wir wissen heute, daß in den letzten fünf Jahren eine wahnsinnige Anstrengung unternommen worden ist, um Braunkohlekraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland mit einer Leistung von 9 600 MW zu entschwefeln, und zwar mit einem Kostenaufwand von 5 Milliarden DM.Meine Damen und Herren, auch und gerade meine Damen und Herren von der Opposition, der SPD, wenn Sie mir nicht glauben, dann lesen Sie bitte nach, was mein Kollege Matthiesen vor wenigen Stunden bei der Einweihung der ersten Rauchgasentschwefelungsanlage der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke, RWE, gesagt hat. Der Mann hat recht: Dies ist — so Matthiesen — weltweit einmalig bei der Durchsetzung umweltentlastender Technologie. Deswegen sind wir in dieser Hinsicht attraktiv. Deswegenhaben wir nicht nur mit der DDR ein Abkommen unterzeichnet, sondern wir werden in sehr kurzer Zeit auch mit der Tschechoslowakei und mit der UdSSR ein solches Abkommen treffen. Die Diskussionen und Gespräche mit anderen Ländern im Osten sind ja angelaufen.Das heißt also, meine Damen und Herren — —
— Wenn Sie zu diesem Ergebnis kommen, will ich das nicht dementieren. — Meine Damen und Herren, von daher begeben wir uns in die weitere Diskussion in der Umweltpolitik nicht konfliktscheu, sondern — ganz im Gegenteil — in der festen Überzeugung, daß die Umweltpolitik Markt und Paragraphen braucht. Ich will es sogar umgekehrt sagen: Sie braucht Paragraphen und Markt. Wenn denn bisher einer dieser beiden Sektoren zu kurz gekommen sein sollte, dann wohl eher die Möglichkeit, die Kreativität vieler Leute durch marktwirtschaftliche Anreize dafür zu nutzen, daß die Umwelt entlastet wird. Deswegen war es ganz gut, daß wir in der letzten Legislaturperiode praktisch alle umweltbezogenen Gesetze novelliert haben, so daß wir jetzt darangehen können mit der Mitwirkung möglichst vieler zu weiteren Ergebnissen, zu weiteren Entlastungen zu kommen.Meine Damen und Herren, natürlich sind wir bei der Gewässersanierung noch längst nicht am Ziel. Welcher Umweltminister kann sich hinstellen und sagen: Wir haben alles erreicht? Das ist doch mit Sicherheit nicht der Punkt. Ich habe mich vor wenigen Tagen mit meiner Kollegin aus den Niederlanden getroffen. Wir sind uns bei unserem Gespräch völlig einig gewesen. Sie ist mit mir der Überzeugung, daß wir uns als Zielsetzung vornehmen sollten, die noch vorhandenen, jedoch schon wesentlich abgebauten Belastungen des Rheins um 50 % zu reduzieren, und zwar — Ausgangsbasis ist das Jahr 1985 — bis 1995. Wir werden dies auf der internationalen Rheinkonferenz, die am 1. Oktober stattfinden wird, mit einbringen, und ich hoffe, daß die beiden anderen Partner, also die Schweiz und Frankreich, dort weiter mitgehen.Ich glaube, daß in diesem Zusammenhang natürlich auch die Frage der Störfallverordnung eine wichtige Rolle spielt. Aber, meine Damen und Herren, wir haben unseren Entwurf vorgelegt; wir haben ihn mit den Ländern diskutiert. Die Länder haben mit Blick auf die Vollzugsnotwendigkeiten Wünsche gehabt: Die Verwaltungsvorschrift sollte mit vorgelegt werden. All dies ist keine Verzögerung oder zu langsames Handeln, sondern der Hinweis darauf, daß es eine wirklich falschverstandene Zusammenarbeit von Bund und Ländern wäre, wenn wir nur hingehen und sagen würden: Wir machen unsere Verordnung; seht ihr zu, wie sie hinterher umgesetzt werden kann.Lassen Sie mich einige Worte, weil ich gerade bei der Entlastung von Gewässern bin, zur NordseeschutzKonferenz sagen. Zunächst einmal: Ich halte es für bemerkenswert, daß ich völlig abgestimmt mit meinen Kollegen der norddeutschen Bundesländer nach London fahre.
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Bundesminister Dr. TöpferWir haben in der letzten Woche eine Umweltministerkonferenz mit den norddeutschen Ländern durchgeführt. Wir haben uns in allen Punkten — in allen, ich unterstreiche das nachhaltig — mit den Kollegen aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Bremen geeinigt, welche Ziele wir in London in Angriff nehmen und was wir erreichen sollen.
Das gilt für den Gesamtbereich der Beendigung der Abfallbeseitigung auf hoher See. Frau Abgeordnete Garbe, um das ganz deutlich zu sagen: In diesem Papier — ich schicke es Ihnen gerne zu — steht, daß die Abfallbeseitigung bis 1990 auf hoher See zu beenden ist. Dazu stehe ich ohne Wenn und Aber. Es steht genauso darin, daß die Abfallverbrennung auf hoher See bis 1991 drastisch zu verringern und bis 1995 zu beenden ist. „Bis Mitte der 90er Jahre" steht dort. Das ist nicht eine Aussage des Bundesumweltministers, sondern die gemeinsame Aussage aller Umweltsenatoren und Umweltminister der norddeutschen Länder.Mir liegt sehr daran. Wissen Sie auch, warum? Mir geht es natürlich auch darum, daß wir unsere Abfallexporte ersetzen. Die Voraussetzungen dafür liegen aber auf zwei Ebenen: Sie liegen einmal auf der Ebene, daß wir — wo immer möglich — Abfälle vermeiden und wiederverwerten, auch bei Sonderabfällen. Sie liegen aber vornehmlich auf der Ebene, daß wir umweltverträgliche Abfallbeseitigungsanlagen in der Bundesrepublik Deutschland selbst errichten müssen. Dabei bitte ich auch um die Unterstützung der Kollegen aus den Ländern vor Ort.
Um es auch hier ganz klar zu sagen: Bis zur Stunde gibt es keine Zuständigkeit der Bundesregierung für die Erstellung von Abfallbeseitigungsanlagen.
Ich kann nur dazu beitragen, daß die Länder diesen Aufgaben möglichst nachkommen können. Um auch das ganz klar zu sagen: Hier gibt es überhaupt keine unterschiedliche Wertung zwischen allen Umweltministern und -senatoren der Bundesländer und dem Bundesumweltminister. Wir sind uns völlig einig darüber, daß wir innerhalb möglichst kurzer Zeit 10 neue Sondermüllverbrennungsanlagen brauchen.
— Einverstanden, ich komme gern darauf zurück. — Ich wollte nur ergänzen: Diese Meinung, daß wir diese Sondermüllverbrennungsanlagen brauchen, hat bis zu seinem Abschied aus der Regierungsverantwortung auch der Umweltminister Joschka Fischer in Hessen deutlich vertreten.Wenn wir uns darüber einig sind, daß wir Sonderabfallverbrennungsanlagen brauchen und daß wir sie vor Ort auch wirklich mit tragen, dann werden wir dasZiel, nämlich die Vermeidung von Verbrennungen auf hoher See, vor 1995 erreichen. Dann werden wir vorher die Möglichkeit haben, Abfalltransporte nach Schönberg nicht mehr vorzunehmen. Meine Damen und Herren, die uns auf diesem Gebiet so hart ins Gericht nehmen, gehen Sie bitte zunächst einmal nach Hamburg und fragen dort nach, wie die Situation der Abfallbeseitigung ist. Dann kommen Sie hierher und sagen, was die Bundesregierung etwa mit Blick auf Schönberg zu tun hat. Auch das muß zusammen gesehen werden.Ich meine also: Wir werden keine „Giftmüllverschiebepolitik" machen, sondern wir werden mit allem Nachdruck darauf hinarbeiten, daß umweltverträgliche Abfallbeseitigungsanlagen errichtet werden. Denn es sind Krokodilstränen, wenn jemand darüber klagt, wir sollten die Altlastensanierung vornehmen, und dann von Finanzierungsfragen spricht, aber nicht gleich auch etwas dazu sagt, wo wir die so sanierten Stoffe lagern sollen, wenn wir keine Abfallbeseitigungsanlagen entsprechender Art haben.Ich muß Ihnen dazu noch einmal sagen: Die Bundesregierung nimmt diese Verantwortung auch finanziell sehr ernst. Wenn Sie die gesamte Diskussion darüber nachvollziehen, wissen Sie, daß wir erstens im gesamten Bereich von Forschung und Entwicklung die Bemühungen der Bundesländer, zu einer Sanierung von Altlasten zu kommen, massiv und nachhaltig fördern. Dem Kollegen Riesenhuber sei für diese Bereitschaft gedankt. Ich habe als Landesminister selbst davon profitieren können. Zweitens haben wir unsere Bereitschaft erklärt, auch bei der Finanzierung von Modellanlagen der Sondermüllbeseitigung unseren finanziellen Anteil zu leisten. Ich habe mit Dank festzustellen, daß etwa das Land Schleswig-Holstein in Brunsbüttel nach einstimmigem Stadtratsbeschluß eine solche Anlage bauen wird. Es gibt die Diskussion in Emden. Wir haben die Diskussion in Kaisersesch in Rheinland-Pfalz.Wir wollen nicht eine Politik betreiben, die den Kopf in den Sand steckt, um die Probleme zu übersehen. Wir werden vielmehr mit der Förderung und der einstimmigen Unterstützung der Bundesländer diesen Weg beschreiten.Ich freue mich auch — lassen Sie mich das ergänzend dazu sagen — , daß ich heute in den Zeitungen lesen konnte, daß der Kollege Jo Leinen im Saarland jetzt eine Sondermülldeponie errichten wird. Gut so. Dies brauchen wir als Infrastruktur für ein Industrieland wie die Bundesrepublik Deutschland. Wir können uns nicht darauf verlassen, daß auf Dauer andere unsere schlechten Risiken des Wohlstands übernehmen und sie zu schlechteren Konditionen — auch schlechteren ökologischen Konditionen — beseitigen, als wir das bei uns tun könnten.
Ich weiß, meine Damen und Herren, daß ich dringlich auf die Uhr zu blicken habe. Lassen Sie mich dennoch einige Sätze zur Frage der Luftreinhaltung sagen. Ich fange dabei gern beim Verkehr an. Ich habe zunächst einmal mit Freude festgestellt, daß auch der Abgeordnete Schäfer seine Kritik an der Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung nur noch auf den Be-
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Bundesminister Dr. Töpferreich des Verkehrs erstreckt. Wir sind uns wohl einig, daß in den anderen Bereichen Bedeutsames geschehen ist.Kommen wir auf den Verkehr zu sprechen. Meine Damen und Herren, ich nehme die Sache mit dem Tempolimit natürlich sehr, sehr ernst.
Deswegen muß ich zunächst einmal darauf hinweisen: Es ist doch wohl nicht so, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland kein Tempolimit hätten. Wir wollen zunächst einmal festhalten, daß ein ganz erheblicher Teil der deutschen Straßen — ich glaube, es sind 94 % — mit einem Tempolimit versehen sind. Über den Rest haben wir uns zu unterhalten.Es ist die Frage, welche Auswirkungen das in der Diskussion über die Luftreinhaltung haben kann, die uns beide — Herr Abgeordneter Schäfer, das sage ich deutlich — genauso ernsthaft und genauso nachdrücklich bewegt. Ich kann es eben nicht hinnehmen, wenn jemand kommt und sagt: Wenn ihr die Frage dieses Tempolimits auch noch klärt, dann ist der Wald wieder gesund.
— Lesen Sie es bitte nach. Ich habe es gerade von dem Abgeordneten Schäfer so gehört.
Deswegen muß ich noch einmal darauf hinweisen: Wir haben das Problem des Tempolimits nicht ungeprüft weggelegt, sondern es gab eine breite Diskussion des Umweltbundesamts mit Fakten und Zahlen. Auf Grund dieser Unterlagen ist entschieden worden.
Zum zweiten frage ich mich wirklich, wie Sie folgendes zusammenbekommen: Auf der einen Seite beklagen Sie, daß es bei uns nur 702 000 Autos mit dem geregelten Dreiwegekatalysator gibt. Jedes vierte Auto mit einem Ottomotor, das jetzt zugelassen wird, ist mit einem solchen Dreiwegekatalysator ausgestattet. Das ist doch schon einmal ein ganz vernünftiger Ansatz nach den drei Jahren, die wir daran arbeiten.Auf der anderen Seite sahen Sie sich gezwungen oder veranlaßt, das Sommerloch auch damit zu füllen, daß Sie sich ungeprüft — der Abgeordnete Laufs hat das deutlich gesagt — einer vordergründigen Kampagne gegen den Katalysator angeschlossen haben.Meine Damen und Herren, wem will ich es übelnehmen, wenn er hinterher sagt: Die sollen sich erst einmal klarwerden, bevor ich zusätzliche Kosten für den Katalysator übernehme! — Das ist doch menschlich nachvollziehbar und verständlich.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
— Herr Abgeordneter Probst, das sollte der Minister selber entscheiden. Herr Minister, gestatten Sie die Zwischenfrage oder nicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich gestatte die Zwischenfrage gern.
Bitte sehr.
Herr Minister, könnten Sie mir vielleicht erklären, warum die EG-Kommission zu einer ganz anderen Bewertung der Effektivität eines Tempolimits kommt, und zwar bei Auswertung derselben Untersuchungen, wieso Sie also mit Ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis kommen, ein Tempolimit lohne sich nicht zur Effektivierung der Luftreinhaltung, während die EG-Kommission in ihrer Vorlage genau das Gegenteil sagt und mit ihrem Vorschlag für ein EG-weites Tempolimit deutlich macht, daß dies auch ein wirksames Mittel zur Luftreinhaltung ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wenn Sie die Unfehlbarkeit und die hohe Qualität der Urteile der EG-Behörde immer über das setzen, was wir sagen, dann gehe ich gern darauf ein. Ich bitte Sie dann aber, dasselbe auch zu behaupten, wenn wir— etwa bei der Neufestsetzung der Grenzwerte für die Belastung von Lebensmitteln mit Strahlen — das nicht mittragen, was die EG-Kommission gesagt hat.
Ich sage Ihnen nur als Antwort: Dies sind Ergebnisse, die sich in der Öffentlichkeit darstellen und diskutieren lassen. Ich glaube, daß von daher gesehen nach wie vor — darin sind wir uns, glaube ich, auch einig — der geregelte Dreiwegekatalysator die beste technische Antwort auf die Luftbelastung durch Verkehr ist und daß wir alles, aber auch wirklich alles tun sollten, um hier Fortschritte zu erzielen.Herr Abgeordneter Schäfer, wenn Sie meinen Auftritt bei der Internationalen Automobilausstellung als Problem ansehen: Ich lade Sie herzlich gerne ein, wie auch jeden, der mitkommen will. Am Freitagmorgen werden wir dort am Stand des Umweltministeriums mit dem Umweltbundesamt sein.
— Herr Abgeordneter Vogel, Sie werden es einem Nur-Mitglied der Regierung nachsehen, daß er sich dieses nicht sofort vergegenwärtigt hat.
Ich wiederhole diese Einladung auch gerne für einen Tag nach dem Freitag, denn die Automobilausstellung dauert etwas länger.Meine Damen und Herren, natürlich ist das Thema Abfall für uns von ganz zentraler Bedeutung. Ich danke dem Abgeordneten Laufs, daß er auf dieses Problem besonders nachdrücklich hingewiesen hat. Wir sehen uns hier in der Bringschuld, um das ganz
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Bundesminister Dr. Töpferdeutlich zu sagen. Ich nehme das also gerne auf, bitte aber auch, die Diskussion darüber auf die Diskussion unseres Berichtes mit beziehen zu dürfen.Lassen Sie mich auch einen Hinweis darauf geben, daß wir im gesamten Bereich des Bodenschutzes und der Wasserwirtschaft unsere Aufgaben weiterführen müssen und auch hier ein ganzes Stück vorangekommen sind.Meine Damen und Herren, mit Blick auf die Zeit möchte ich abschließend noch einige Worte zu dem Bereich der Reaktorsicherheit und des Strahlenschutzes sagen. Ich möchte deutlich machen: Sicherheit hat Vorrang vor wirtschaftlichen Erwägungen. Meine Vorgänger Baum, Zimmermann und Wallmann haben dies stets zur Maxime ihres Handelns für die kerntechnische Sicherheit gemacht. Ich glaube, genau dies ist es, was ich aufgreife. Ich möchte deutlich sagen: Die Maxime „Sicherheit geht vor allen anderen Überlegungen" ist die Grundlage, auf der ein energiepolitischer Konsens entstehen kann, wie er einmal bestanden hat. Ich bitte, dies zur Grundlage der Beurteilung zu machen und zu diesem energiepolitischen Konsens auch zurückzukehren.
Meine Damen und Herren, Sicherheit ist bei uns ein dynamischer Prozeß. Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren sind daher, mag es sich uni kommerzielle Großanlagen oder mag es sich um Prototypanlagen handeln, mit äußerster Sicherheit zu handhaben. Lassen Sie mich einen Satz hinzufügen: Unnötige, politisch motivierte Verzögerungen können und werden wir nicht hinnehmen,
nicht, weil wir sie nicht hinnehmen wollen, sondern weil wir sie auf Grund der Rechtslage nicht hinnehmen können. Ich habe nicht gesagt, daß sie da sind; ich habe gesagt: Wenn solche da sind, werden wir sie nicht hinnehmen. Ich glaube, dies und nichts anderes ist sinnvoll zu unterscheiden.Ich möchte noch einmal aufgreifen, was der Abgeordnete Laufs gesagt hat. An der ersten Stelle steht Sicherheit, und wir werden mit absoluter Klarheit immer wieder unterstreichen können, daß wir weder Zeitzwänge noch sonst etwas kennen, wenn Sicherheit zur Debatte steht. Alle deutschen Kernkraftwerke sind nach Tschernobyl überprüft.
— Es gibt heute eine Vorsorge des Abgeordneten Schäfer, die mich geradezu begeistert. Alle deutschen Kernkraftwerke werden nach Tschernobyl überprüft bzw. sind in der Überprüfung.
Wir wollen der Reaktorsicherheitskommission den Rücken stärken, wenn sie auch in dem Bereich, der jenseits des Auslegungsrisikos steht, noch weitere sicherheitsgeneigte Maßnahmen vorschlägt. Vented containment ist ein solches Beispiel.
Wir werden die Fragen des Strahlenschutzes im Zusammenhang mit der Ausfüllung des StrahlenschutzVorsorgegesetzes ebenfalls in dieser Stringenz mit Nachdruck behandeln.Meine Damen und Herren, insgesamt bin ich darüber erfreut, daß wir hier eine im Kern sehr sachliche und zweckbezogene Debatte geführt haben. Ich habe nicht erwartet, daß die Opposition nach viermonatiger Tätigkeit des neuen Umweltministers sagt, dies sei alles schon eine gute Arbeit. Sie wird es nach vier Jahren auch nicht sagen; das ist kaum zu erwarten. Ich bin aber immer noch der Meinung: Wir sollten uns bemühen, bei dieser wichtigen Frage der Umweltpolitik, die wirklich eine Überlebensfrage für alle Menschen ist, wo immer möglich, auch Parteigrenzen zu überschreiten.Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich kann die Sitzung also schließen, möchte aber nicht versäumen, mich bei denjenigen, die so lange ausgehalten haben, herzlich zu bedanken und Ihnen, soweit Sie das vorhaben, einen vergnüglichen Abend zu wünschen.
Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Donnerstag, den 10. September, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.