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ID1102301400

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/23 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 23. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 Inhalt: Nachruf auf das frühere Mitglied des Deutschen Bundestages William Borm 1459 A Begrüßung des Vorsitzenden der Zweiten Kammer der Niederländischen Generalstaaten, Dr. Dirk Dolman 1459 B Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Jobst 1459 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/700) in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksache 11/701) Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF 1459D, 1510 B Dr. Apel SPD 1471 C Carstens (Emstek) CDU/CSU 1481 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 1487 B Dr. Weng (Gerlingen) FDP 1491 B Wedemeier, Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen 1494 D, 1517 C Neumann (Bremen) CDU/CSU 1499 D Dr. Struck SPD 1503 B Richter FDP 1506 D Roth (Gießen) CDU/CSU 1507 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 1519 C Sellin GRÜNE 1525 B Glos CDU/CSU 1528 B Roth SPD 1531 C Dr. Haussmann FDP 1536 C Wissmann CDU/CSU 1538 B Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 1540 C Hinsken CDU/CSU 1543 C Schäfer (Offenburg) SPD 1545 D Dr. Laufs CDU/CSU 1549 B Frau Garbe GRÜNE 1552 A Frau Dr. Segall FDP 1554 A Fellner CDU/CSU 1556 B Dr. Töpfer, Bundesminister BMU 1557 B Nächste Sitzung 1561 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 1562* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1459 23. Sitzung Bonn, den 9. September 1987 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 10. 9. Antretter * 11. 9. Frau Beck-Oberdorf 11.9. Frau Beer 9. 9. Frau Blunck * 10. 9. Böhm (Melsungen) ** 11. 9. Büchner (Speyer) * 11.9. Catenhusen 11.9. Duve 9.9. Eigen 11.9. Dr. Feldmann * 11.9. Frau Fischer * 9.9. Großmann 11.9. Dr. Hoffacker 9.9. Hoss 11.9. Irmer 11.9. Jansen 11.9. Jung (Lörrach) 11.9. Lemmrich * 10.9. Maaß 9.9. Frau Matthäus-Maier 9.9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller * 10. 9. Niegel * 11. 9. Oostergetelo 11.9. Poß 9.9. Rawe 11.9. Reddemann ** 11.9. Schäfer (Mainz) 11.9. Dr. Scheer * 11.9. Schmidt (München) ** 11.9. Frau Schmidt (Nürnberg) 11.9. Schröer (Mülheim) 11.9. Dr. Sperling 11.9. Steiner * 9. 9. Tietjen 11.9. Volmer 11.9. Dr. Vondran 10. 9. Dr. von Wartenberg 9.9. Dr. Wieczorek 11. 9. Wieczorek (Duisburg) 11.9. Dr. Wulff * 9.9. Zierer * 9.9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von Hubert Kleinert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gab einmal eine Zeit, da waren wir GRÜNE in diesem Hause noch nicht vertreten.

    (Rossmanith [CDU/CSU]: Das war schön! — Lachen bei der CDU/CSU)

    — Das war eine schreckliche Zeit. (Heiterkeit bei den GRÜNEN)

    — Seinerzeit tobte die Schlacht um die Staatsverschuldung. Da gab es auf der einen Seite des Hauses die „Schurken" und „Inflationstreiber" von der SPD. Sie hatten dieses Land bereits an den Rand des Ruins gebracht.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

    Dagegen kämpfte eine mutige Schar der Opposition, die dann mit knapper Not verhindern konnte, daß Schmidt und seine bösen Kumpane

    (Dr. Vogel [SPD]: Lambsdorff z. B.!)

    durch sozialistische Schuldenmacherei die Zukunft ganzer Generationen ruinieren konnten.

    (Bohl [CDU/CSU]: Bis jetzt hört sich das ganz gut an!)

    Und als die Not am größten war, da bot sich ein Recke aus dem Norden an, dieses Land vorm sozialistischen Staatsbankrott zu retten. Sein Name war Gerhard Stoltenberg.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    So oder ähnlich muß es damals gewesen sein. Jedenfalls habe ich dieses Märchen so oder ähnlich wenigstens ein Dutzendmal in diesem Hohen Haus in den letzten Jahren gehört. Heute nun kommt der Erretter vorm sozialistischen Staatsbankrott daher und legt einen Haushaltsentwurf für 1988 vor, dessen Nettokreditaufnahme mit 29,3 Milliarden DM nicht weniger als 7 Milliarden DM über dem liegt, was in der mittelfristigen Finanzplanung noch im letzten Jahr für 1988 vorgesehen war.
    Das ist längst nicht alles: Gar nicht berücksichtigt in diesem Haushaltsentwurf sind die zusätzlichen Finanzlücken, die sich aus der Erhöhung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage ergeben. Hinzugerechnet werden muß noch die Tatsache, daß die Eckdaten für die Wirtschaftsentwicklung und Steuereinnahmen, die in diesen Entwurf eingegangen sind, mit Sicherheit nicht haltbar sein werden. Noch größer wird sie also sein, die Schuldenmacherei. Da hilft auch nicht die Gesundbeterei, die Sie vorhin hier einmal mehr demonstriert haben, Herr Stoltenberg.
    Wenn man sich das anschaut, dann ist man versucht, sich zunächst erstaunt die Augen zu reiben. Was ist da passiert? Was ist aus ihm geworden, aus dem großen Sanierer der Staatsfinanzen? Es drängt sich die Frage auf: Ist nun auch er zu den Bankrotteuren übergelaufen, hat nun auch er sich in diese sozialistische Front der Staatsbankrotteure eingereiht? Nein, hören wir gleich, es ist gar nicht so, wie wir es über die Jahre hinweg ein ums andere Mal von Herrn Stoltenberg gehört haben, daß der Abbau der Staatsverschuldung selbst die große finanzpolitische Hauptaufgabe sei. Heute hören wir plötzlich etwas ganz anderes. Heute hören wir, daß Staatsverschuldung nicht gleich Staatsverschuldung sei. Heute hören wir, daß Schulden nicht gleich Schulden seien.
    Heute hören wir, daß es zwei ganz unterschiedliche Arten von Staatsverschuldung geben soll, nämlich eine bösartige Staatsverschuldung und eine gutartige Staatsverschuldung.

    (Lachen bei der SPD)

    Die bösartige Staatsverschuldung war die, mit der das finanziert wurde, was Sie seinerzeit als „soziale Hängematte" denunziert haben. Die gutartige Staatsverschuldung dagegen, soll dann vorliegen, wenn über die Steuerreform die Konsumbedürfnisse der besser Verdienenden gefördert werden sollen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Das ist Ihre Art von Haushaltspolitik. Das ist Ihre Art
    von Aufteilung der Haushaltswelt: Es gibt eine gute
    Staatsverschuldung, die machen Sie, und es gibt eine



    Kleinert (Marburg)

    böse Staatsverschuldung, die machen die, die für Sozialpolitik eintreten.
    Vergessen sind die alten Argumente aus den Haushaltsdebatten der vergangenen Jahre. Vergessen ist das Argument, die Staatsverschuldung verdränge die Investoren vom Kapitalmarkt, die Staatsverschuldung treibe die Zinsen in die Höhe. Vergessen sind die alten Reden, die wir hier über die Jahre hören mußten, in denen gerade diese Staatsverschuldung zur Wurzel allen wirtschafts- und finanzpolitischen Übels stilisiert wurde.
    Nun stellt sich die Frage: Wozu das Ganze? Die Antwort: Das alles muß jetzt sein, damit die große Steuerreform, jene finanzpolitische Wundertat dieser Regierung, die Sie seit Monaten abfeiern, finanziert werden kann. 13 Milliarden DM Verluste an Steuereinnahmen sind schon für 1988 zu erwarten. 1990 ist mit Einnahmeverlusten von 44 Milliarden DM zu rechnen. Dabei entpuppt sich das, was Sie hier als grandiose Großtat abfeiern wollen, diese Steuerreform, bei näherem Hinsehen rasch als Mogelpackung.
    Diese Steuerreform, so wie Sie sie durchziehen wollen, ist nicht die sozialpolitische Wohltat, als die Sie sie anpreisen. Sie ist kein Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit. Im Gegenteil: Sie zielt darauf ab und sie wird darauf hinwirken, Steuergeschenke an diejenigen zu verteilen, die ohnehin schon auf der Sonnenseite sitzen.
    Das kann man unschwer belegen; denn es kann wohl kaum eine soziale Wohltat sein, wenn der Durchschnittsverdiener mit 40 000 DM Jahreseinkommen 950 DM Steuern spart, die ihm dann gleich wieder abgenommen werden, weil zur Finanzierung der Steuerreform Verbrauchsteuern in ungefähr dem gleichen Umfang erhöht werden sollen, während auf der anderen Seite der Spitzenverdiener mit 160 000 DM Jahreseinkommen 15 000 DM Steuern sparen kann. Das kann doch keine soziale Wohltat sein; denn der Spitzenverdiener ist gleich zweimal im Vorteil: einmal spart er bedeutend mehr Steuern, und zum zweiten wird ihm auch verhältnismäßig weniger über die Verbrauchsteuern wieder weggenommen.
    Die Steuerreform wird noch fragwürdiger, wenn man an die Rückwirkungen für die Haushalte von Ländern und Gemeinden denkt. 10 Milliarden DM Einnahmeverluste bei den Gemeinden für 1990 — so ungefähr lauten die Prognosen. Gerade da, wo die finanziellen Handlungsspielräume ohnehin schon am geringsten sind, gerade da, wo die Belastung durch wachsende Sozialhaushalte dramatisch angestiegen ist, werden die Auswirkungen dieser grandiosen Reform besonders negativ zu Buche schlagen. So werden die Gemeindefinanzen zur Reservekasse des Finanzministers umfunktioniert.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Was das ganze Werk wirtschaftspolitisch eigentlich bringen soll, weiß die Bundesregierung selbst nicht. Ich zitiere die Bundesregierung aus einer Antwort auf eine SPD-Anfrage:
    Welche quantitativen Auswirkungen die Steuersenkungen letztlich auf Wachstum, Beschäftigung und Investitionstätigkeit haben, hängt von den Entscheidungen der Verbraucher und Investoren ab, die zahlenmäßig nicht im voraus abgeschätzt werden können.
    Das hindert Herrn Stoltenberg aber keineswegs daran, hier heute morgen das Ganze auch noch als Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit darzustellen. Sie wissen zwar nicht, was die Folge sein wird, aber Sie stellen sich jetzt hier hin und wollen uns weismachen, das sei ein entscheidender Beitrag zur Bekämpfung der Massenerwerbslosigkeit. Ich nenne das, was Sie hier vorführen, einfach Betrug.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich sage: Das Gegenteil wird eintreten. Die stolz herausgestellte Verringerung der Staatsquote und die enger gewordenen finanzpolitischen Spielräume der Kommunen werden zu einer weiteren Verminderung der Möglichkeiten der öffentlichen Hand in diesem Bereich führen. Der längst schon laufende Trend zur Verminderung der investiven Ausgaben des Bundes geht ja bereits in diese Richtung. Real muß schon für diesen Haushaltsentwurf von einer Rückläufigkeit der investiven Ausgaben ausgegangen werden. Ökologisch und sozial notwendige Investitionen werden noch stärker ausbleiben als bisher schon. Das Ganze führt im Ergebnis zum Rückzug der öffentlichen Hand aus ihrer ökologischen und sozialen Verantwortung.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Für diese Art der Steuerreform nehmen Sie in Kauf, daß sämtliche Finanzplanungen der letzten Jahre über den Haufen geworfen sind. Sie nehmen in Kauf, daß Haushaltsrisiken entstehen, deren Ausmaß heute gar nicht kalkulierbar ist. Sie nehmen in Kauf, daß Sie heute hier mit einer mittelfristigen Finanzplanung antreten, deren Zahlenwerk völlig ungesichert ist. Die 30,9 Milliarden DM für 1990 sind schlicht und einfach grotesk. Wenn Sie noch 15 Milliarden DM hinzutun, werden Sie vermutlich eher richtig liegen.
    Wenn man das zum Maßstab nimmt, was Sie in Ihrer eigenen mittelfristigen Finanzplanung mit den Ansätzen für dieses Jahr in kurzer Zeit über den Haufen geworfen haben, dann kann man Ihnen eigentlich nur noch empfehlen: Lassen Sie es in Zukunft mit der mittelfristigen Finanzplanung doch ganz bleiben; denn diese mittelfristige Finanzplanung sagt sowieso nicht mehr aus als die optimistischen Prognosen der Wetterkarte in diesem ausgefallenen Sommer.

    (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Daß Sie das alles zugunsten einer Steuerreform in Kauf nehmen, über deren Finanzierung Sie auch heute wieder kein einziges Wort verloren haben, habe ich schon erwähnt. Warum wir heute dazu wieder nichts gehört haben, wissen wir natürlich alle: Am Samstag wird in Bremen und in Kiel gewählt.

    (Zurufe: Am Sonntag! — Roth [SPD]: Er kann es kaum erwarten!)

    — Am Sonntag. Sie, Herr Stoltenberg, haben diesmal dort besonders viel zu verlieren; nicht nur deshalb, weil Sie als Landesvorsitzender der CDU in Schleswig-Holstein fürchten müssen, in Schwierigkeiten zu kommen, sondern auch deshalb, weil Sie ja ohnehin in



    Kleinert (Marburg)

    dieser Koalition als Absteiger des Jahres gehandelt werden,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    und zwar nicht nur wegen der Steuerreform. Im Februar durften Sie erfahren, daß der Bundeskanzler hinter Ihrem Rücken Franz Josef Strauß Ihren Posten angeboten hat. Sie konnten von Glück sagen, daß Sie ihn behalten haben, weil Herr Strauß in München geblieben ist. Jetzt kommt noch das Debakel mit der Steuerreform hinzu.
    Für Sie steht in Schleswig-Holstein in der Tat viel auf dem Spiel, wenn Sie aus diesem Geruch des Absteigertums herauskommen wollen. Weil das so ist, deshalb wollen Sie den Wählern möglichst nicht vor der Wahl die Wahrheit sagen. Sie wollen den Wählern nicht sagen, was auf sie zukommt. Sie wollen, daß die Katze im Sack gekauft wird. Das ist ein unmögliches Verhalten.
    Es ist ein Unding, daß hier heute eine Finanzplanung für die kommenden Jahre diskutiert werden soll, ohne daß wir die entscheidenden Eckpunkte dafür nur einigermaßen kennen können.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Noch schlimmer und einfach unredlich ist, daß Sie hier aus wahltaktischen Gründen die Entscheidung über die Finanzierung dieser Steuerreform bis auf den Tag nach der Wahl zurückstellen wollen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Unredlich ist, daß Sie den Wählern nicht vorher sagen wollen, was Sie vorhaben. Die Wähler hätten ein Recht, vor der Wahl zu erfahren, womit sie hinterher zu rechnen haben.
    Das ganze Regierungschaos in der Frage der Finanzierung der Steuerreform ist sowieso ein Kapitel für sich. Da wird mit Begriffen hantiert, die in Wahrheit überhaupt nicht angebracht sind; semantischer Betrug würde ich dazu sagen. Da geistert die Vokabel vom „Subventionsabbau" herum. Subventionsabbau klingt nicht schlecht; es erweckt den Anschein, als ginge es um ungerechtfertigte Steuerprivilegien, als ginge es um allerlei verdeckte Zuwendungen oder vielleicht sogar darum, daß irgendwelchen Großunternehmen ein bißchen am Zeug geflickt werden sollte. Doch wenn man sich einmal die Debatte anschaut, wird man schnell feststellen: Darum geht es gar nicht, darum geht es in Wirklichkeit zuallerletzt. Dem Airbus sind längst die Milliarden-Subventionen sicher, da steht schon Herr Strauß vor. Darum geht es gar nicht.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wenn man sich genauer ansieht, worum es geht und was alles zum Thema „Subventionsabbau" verhandelt wird, kommen Dinge zutage, die mit Subventionsabbau fast nichts zu tun haben. Ernsthaftes Thema bei der Debatte „Subventionsabbau" sind Arbeitnehmerfreibeträge, ernsthaftes Thema sind die Zuschläge für Sonn- und Feiertags- und Nachtarbeit, ernsthaftes Thema ist das Weihnachtsgeld für Arbeitnehmer. Dazu kann ich nur sagen: In diesem Zusammenhang ist schon das Wort vom Subventionsabbau
    bloßer Etikettenschwindel und Irreführung der Öffentlichkeit.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Was Sie vorhaben, das müßte man im Grunde unter dem Stichwort „Fortsetzung des Sozialabbaus mit anderen Mitteln" diskutieren und nicht unter dem Stichwort „Subventionsabbau".

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Meine Damen und Herren, daß diese Steuerreform, die um nahezu jeden Preis durchgezogen werden soll, Steuergeschenke für die Unternehmen in einem Ausmaß bereitstellt, wie es nicht einmal Frau Thatcher in England gewagt hat und mit der verglichen Herr Reagan mit seiner Steuerreform fast als sozialpolitischer Wohltäter gelten müßte, wenn man sich die Verteilungswirkungen anschaut, mag Ihnen vielleicht nicht bekannt sein, dürfte aber in diesem Zusammenhang schon von Interesse sein.
    Wenn die Pläne zur Steuerreform so weit führen, daß sich die ganze finanzpolitische Prioritätensetzung dieser Regierung verschiebt und Herr Stoltenberg sogar das Risiko eingeht, als „Schuldenberg" tituliert zu werden, muß man sich fragen: Welches Konzept steckt eigentlich dahinter? Es ist ganz offensichtlich so, daß man nun nach fünf Jahren in dieser Regierungskoalition dazu übergehen will, daß das, was sich manche unter „Wende" seinerzeit vorgestellt hatten, stärker zum Durchbruch kommen soll. Nach fünf Jahren dieser Bundesregierung sind die Ideologen radikaler Entstaatlichung offensichtlich auf dem Vormarsch. „Privatisierung" und „Deregulierung" lauten hier die Zauberworte, hübsch verbrämt in den bekannten Formeln: Man setze auf Freiheit und Verantwortlichkeit der Burger. Als wenn das irgend jemand nicht wollte! Freiheit der Bürger ist ein wunderschönes Ziel.

    (Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Ihr laßt ihnen die Chance nicht!)

    Darauf setzen alle, Herr Cronenberg. Was aber in diesen Formeln so schön eingepackt wird und was gewiß nicht schlecht in freidemokratischen Zeitgeist paßt, ist im Grunde nichts anderes als der Rückzug der öffentlichen Hände aus ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung, und dieser Rückzug wird katastrophale Folgen haben.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Wir sind als GRÜNE gewiß nicht die geborenen Verteidiger der Staatsquote. Wir sind weit davon entfernt, alles Heil der Welt von staatlichen Maßnahmen und staatlichen Programmen zu erwarten. Aber eines sehen wir ganz klar: Diese Strategie kann nur Umverteilung verschärfen. Es wird durch diese Strategie kein einziger neuer Arbeitsplatz entstehen. Sicher wird manchen dabei die Tasche gefüllt, Leuten, die die Tasche ohnehin schon voll haben. Aber der Rückzug des Staates aus seiner ökologischen und sozialen Verantwortung ist angesichts der wachsenden Folgeprobleme des Industriesystems und angesichts des sozialen Problemdrucks, mit dem wir heute zu tun haben, einfach nicht verantwortbar.

    (Beifall bei den GRÜNEN)




    Kleinert (Marburg)

    Eine solche Politik kann am Ende nur dazu führen, daß zur Verwirklichung notwendiger investiver Ausgaben im Umweltbereich schlicht das Geld fehlt.
    Dieses Privatisierungskonzept, das die öffentliche Hand nur noch als Reparaturbetrieb begreift, wird in Ihren bevorzugten Klientelen sicher viel Beifall finden. Die FDP muß sich fragen, wo es da noch Unterschiede zur CDU/CSU gibt. Herr Stoltenberg erledigt mit dieser Art von Finanzpolitik das Geschäft Ihrer bevorzugten Klientel doch mindestens so gut wie Herr Bangemann. Also, da bin ich einmal gespannt, wo Sie da noch einsteigen wollen. Wie gesagt, in Ihren bevorzugten Klientelen wird dieses Konzept sicher viel Beifall finden, zur Lösung der dringendsten gesellschaftlichen Probleme aber taugt es nicht, im Gegenteil!
    Das ist der Hintergrund, der zur Sprache kommen muß, wenn hier in diesem Jahr über den Haushalt 1988 debattiert wird. Aber das ist natürlich nicht alles, was mit diesem Haushalt zu tun hat, was mit diesem Haushalt verbunden ist. Es geht ja nicht nur um Steuerreform, um falsche Grundannahmen und Perspektiven der Finanzpolitik, sondern es geht auch um das Gesamtkonzept von Politik; das in diesem Haushaltsentwurf zum Ausdruck kommt.
    Der Finanzminister hat zu Beginn seiner Einbringungsrede heute morgen festgestellt — ich zitiere — :
    Der vorgelegte Haushalt ist Ausdruck der Kontinuität unserer Politik. Er gibt zugleich Antworten auf neue Herausforderungen und veränderte Bedingungen.
    Ein großer Anspruch, wohl wahr, der dort formuliert worden ist. Die Wirklichkeit freilich, Herr Stoltenberg, sieht um einiges anders aus. Die Kontinuität, von der Sie gesprochen haben, ist eine schlechte Kontinuität, und von den überzeugenden Antworten auf neue Herausforderungen, von denen Sie gesprochen haben, habe ich in Ihrem Beitrag nichts, aber auch gar nichts gehört.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die schlechte Kontinuität ist schnell belegt: Die investiven Ausgaben in diesem Bundeshaushalt gehen real weiter zurück. Für die Verbesserung der Beschäftigungssituation, für die Schaffung sinnvoller Arbeitsplätze tun Sie praktisch gar nichts. Das gehört in Ihrer Philosophie ja nicht einmal mehr zu Ihren Aufgaben. Trotz nachlassender Konjunktur und erneuter Zunahme der Erwerbslosigkeit bleibt jede wirksame Initiative auf diesem Gebiet aus. Im Gegenteil: Sie versprechen sich alles Heil der Welt von der Privatinitiative der Bürger. Für die Kumpels in den Zechen und für die Arbeiter in der Stahlindustrie haben Sie, Herr Finanzminister, nicht mehr parat als die Auskunft, eine Rückführung von Kapazitäten bei Kohle und Stahl sei leider unvermeidbar geworden. Ein Konzept zur Lösung der Strukturkrisen, ein Konzept zur Lösung der Fragen in den alten Schlüsselindustrien haben Sie nicht anzubieten. Kein Wort habe ich in dem Beitrag heute morgen davon gehört.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Glos [CDU/ CSU]: Wo haben Sie denn Ihr Konzept für Kohle und Stahl?)

    Aber das gehört wahrscheinlich auch zu Ihrer Form von Privatisierungsstrategie.
    Bei den ökologischen Perspektiven stellt man in diesem Haushalt ebenfalls Fehlanzeige fest. Die minimalen Zuwachsraten für den Umweltschutz können nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich — außer ein bißchen Umweltkosmetik hier und ein bißchen Reparaturbetrieb da — praktisch gar nichts bewegt hat. Die Möglichkeiten des Bundes, durch investive Ausgaben in diesem Bereich wirksame, präventive Umweltpolitik zu betreiben, bleiben weiter ungenutzt. In wichtigen Bereichen wie der Energiepolitik oder der Chemiepolitik schreiben Sie einen schlechten Stillstand fest. Möglichkeiten werden ungenutzt bleiben. Altlastensanierung zu betreiben, beschleunigte Kraftwerksentschwefelung vorzunehmen, verstärkte Forschungsanstrengungen, etwa im Bereich der Umwelttechnologie, voranzutreiben — all das bleibt ungenutzt. Weiterwurschteln heißt da die Devise. Tschernobyl hat Sie nicht aus den Ämtern gebracht — so sehen Sie das — , also wird Tschernobyl schleunigst vergessen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Sie haben Ihren Minister ernannt, jetzt wird er mit
    Kleckerbeträgen abgespeist. Das ist die haushaltswirksame Umweltpolitik, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

    Statt präventive Umweltpolitik zu betreiben, werden Milliardenbeträge nach wie vor in unproduktiven Großprojekten und Risikotechnologien verschleudert. Die Finanzierung solcher Projekte, wie etwa die WAA-Finanzierung, verschlingt Milliardensummen, Hunderte von Millionen sollen im Weltraum verpulvert werden, und für den Airbus — ich sagte es schon — stehen Milliardenbeträge bereit. Meine Damen und Herren, das ist die Grundrichtung dieser Finanzpolitik.
    Und wieder einmal sollen die Rüstungsausgaben steigen; nicht ganz so stark wie in den Jahren vorher — das ist wahr — , aber eben doch wieder um gut 1,4 Milliarden DM. Das muß man sich jetzt einmal genauer ansehen. 1,4 Milliarden DM, das ist ungefähr dreimal so viel wie der gesamte Etat des Umweltministers überhaupt ausmacht. Das ist die Steigerungsrate im Rüstungshaushalt, bei der Sie sich sogar damit brüsten, daß sie weniger stark als in den Jahren davor ist.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das sind die Relationen in der Politik dieser Bundesregierung: Statt die abrüstungspolitischen Chancen, die sich zur Zeit ergeben, dazu zu nutzen, um auch bei uns deutliche Zeichen für ein Herunterfahren der Rüstungsausgaben zu machen, wird weiter aufgestockt, geht es weiter in Richtung Aufrüstung.
    Die finanzpolitische Gesamtstrategie, die unter den veränderten Vorzeichen radikaler Privastisierungsabsichten steht, wird den gesellschaftlichen Problemdruck weiter verschärfen. Das öffentliche Dienstleistungsangebot wird sich verschlechtern. Die sozialen Sicherungssysteme werden ausgedünnt. Dringend



    Kleinert (Marburg)

    notwendige Impulse zu ökologischen Investitionen werden stranguliert.
    Der ganze Ansatz ist das Werk ideologisch verbohrter Entstaatlicher, die damit zugleich das finanzpolitische Desaster für die kommenden Jahre programmiert haben.
    Ich kann nur sagen: Der Lack ist ab, Herr Stoltenberg; nichts ist geblieben vom großen Zampano der Staatsfinanzen; nichts ist geblieben. Ich sagte es bereits: Sie sind der Absteiger des Jahres. Und das wird auch den Wählern deutlich werden, Herr Stoltenberg.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

    Das ist die Wahrheit.
    Ein paar Anmerkungen zum Schluß zu den Alternativen der GRÜNEN. Wir werden in dieser Haushaltsdebatte an den einzelnen Punkten verbunden mit konkreten Finanzierungsvorschlägen, unsere Alternativen vorstellen. Notwendig wäre ein ganzes Bündel ökologischer Sofortmaßnahmen. Notwendig wären Kraftwerksentschwefelung und Abwasserentgiftung, Altlastensanierung und Energieeinsparung. Notwendig wäre die Förderung rationeller Energienutzung und alternativer Energieformen. Notwendig ist der gezielte Einsatz von Forschungsmitteln zur Erforschung umweltverträglicher Produkte. Notwendig ist die Steigerung investiver Ausgaben der öffentlichen Hand in der Landwirtschafts- und Ernährungspolitik, im Bauwesen und beim Städtebau, in der Verkehrspolitik, im Etat der Frau Süssmuth. Notwendig sind Schritte zur konventionellen Abrüstung in der Bundesrepublik. Notwendig ist ein Existenzsicherungsprogramm für alle, die unter das fallen, was „Neue soziale Armut" heißt. Notwendig ist eine Umstellung der Forschungspolitik. Notwendig ist, daß die öffentliche Hand ihre Möglichkeiten wahrnimmt, um in der Beschäftigungspolitik Initiativen setzen zu können.
    Das ist die Grundrichtung von Politik, um die es gehen muß, nicht die Grundrichtung, die Sie hier vorgeschlagen haben.
    Sie werden uns ins Desaster führen. Das Desaster ist programmiert. Deshalb kommt es darauf an, daß wir die Weichen in eine ganz andere Richtung stellen können. Das sind die Alternativen, um die es in der Debatte in den nächsten Wochen gehen wird.
    Ihr Konzept ist perspektivlos und weist in eine Zukunft, die wir nicht wollen.
    Danke schön.

    (Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Weng (Gerlingen).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Weng


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat mit einer beeindruckenden Einbringungsrede dem Parlament den Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 1988 übergeben und damit das weitere Verfahren in die Hände des Parlaments
    und zunächst, nach der zu erwartenden Überweisung, in die Hände des Haushaltsausschusses gelegt.
    Einige Stichworte mögen verdeutlichen, welch konsequenter Unterschied im Haushaltsverfahren und Haushaltsgebaren seit 1982 Eingang gefunden hat.
    Erstens frühzeitige Vorlagen durch die Regierung, um hierdurch uns, dem Parlament, die erforderliche Beratungszeit derart einzuräumen, daß der Haushalt vor Beginn des Haushaltsjahres Gesetzeskraft erlangen kann.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Zweitens Offenlegung der Ansätze wie auch der Risiken, und Bereitschaft, im Lauf des Verfahrens notwendige Änderungen auch politisch aufzugreifen und durchzusetzen — was nicht immer einfach ist, wie wir aus den vergangenen Jahren wissen.
    Drittens restriktive, d. h. eben sparsame Haushaltsführung in Ansätzen, die für das kommende Jahr nur eine Erhöhung um 2,4 %, auf das Soll des Vorjahres bezogen, bedeuten.
    Ich weiß nicht, ob die Opposition — hier insbesondere die SPD — im vergangenen Jahr gut beraten war, die Arbeit des Haushaltsausschusses pauschal als quasi ergebnislos, als quasi unsinnig zu bezeichnen; denn sie stellt damit ja ihre eigene Arbeit im Ausschuß ebenso in Frage wie die der Kollegen der Koalition. Es spielen — ich meine, das muß auch deutlich gemacht werden — ja nicht nur die tatsächlichen Veränderungen der Vorlage durch den Ausschuß, durch das Parlament eine Rolle, sondern es spielt auch die politische Grundhaltung der Parlamentsmehrheit eine Rolle, die wir artikulieren; denn diese Grundhaltung versetzt den Finanzminister in die Lage, in den Spitzengesprächen mit den ja immer ausgabefreudigen Fachministern konsequent zu bleiben.
    Ich halte es auch nicht für besonders nützlich, wenn an den Dingen massiv herumkritisiert wird, die bei einem derart geordneten Verfahren zwangsläufig sind. Wenn die Regierung in der ersten Jahreshälfte einen Haushaltsentwurf erstellt, dessen Einnahme- und Ausgabeseite auf vielen Unwägbarkeiten und Schätzungen beruhen, dann ist es zwangsläufig, daß auf Grund der in der zweiten Jahreshälfte bekanntwerdenden Änderungen noch Korrekturen erfolgen müssen.

    (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: So ist es!)

    Das hat, Herr Kollege Apel, überhaupt nichts mit mangelnder Wahrheit zu tun.
    Wenn ich bei Ihnen bin, Herr Kollege Apel: Sie haben in Ihrer Rede mit dem Hinweis darauf, die FDP habe doch alles mitgemacht, erneut versucht, sich aus der eigenen Verantwortung zu stehlen.

    (Dr. Apel [SPD]: Überhaupt nicht!)

    Die FDP hat zu keinem Zeitpunkt die gemeinsame Politik in Frage gestellt, sich distanziert. Sie hat aber im richtigen Moment erkannt, wo die Fehler lagen, und hat eine entsprechende politische Wende herbeigeführt. Das unterscheidet uns ja in vielen Politikbe-



    Dr. Weng (Gerlingen)

    reichen von Ihnen, die Sie auf alten Fehlern beharren, die Sie diese alten Fehler fortsetzen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das glaubt er doch selbst nicht!)

    Man muß sich — ich komme auf die Haushaltsgegebenheiten zurück — eben vorstellen — erlauben Sie mir einen Vergleich aus meinem Apothekerberuf —, daß auf einer Balkenwaage auf beiden Schalen eine Vielzahl unterschiedlicher Gewichte liegt und daß sich diese Waage im Gleichgewicht befindet. Zunahme oder Wegnahme eines Gewichts auf einer Seite zieht automatisch Änderungen auf der anderen Seite nach sich.
    Daß im laufenden Haushalt Spielräume noch enger werden als in den vergangenen, ist doch unser politischer Wille; denn parallel zu der niedrigen Steigerungsrate von nur 2,4 % haben wir zusätzliche Steuererleichterungen beschlossen, die allein 1988 rund 15 Milliarden DM Entlastung für die Bürger bedeuten, 15 Milliarden DM, die nur ein weiterer Teil des geplanten Gesamtvolumens von 50 Milliarden DM sind, die wir durch Senkung der Steuern bei unseren Bürgern belassen wollen. Es ist unser Wunsch— ich sage das auch im Vorausblick auf die geplante Steuerreform — , daß möglichst viel Geld beim Bürger bleibt, daß der Staatsanteil Zug um Zug gesenkt wird.
    Das ist natürlich die Angelegenheit der Kollegen der CDU/CSU und der FDP. Die Aufgabe der Abgeordneten der Koalition ist eine doppelte und damit nicht leichter: Wir können von der Opposition — deren Sprecher haben das ja heute vormittag verdeutlicht — keinerlei konstruktive Beiträge für unsere Arbeit erwarten, sondern nur Kritik um der Kritik willen.

    (Zuruf von der SPD: Sie haben nicht zugehört!)

    Das, was Sie, Herr Kollege Kleinert, gerade dargelegt haben, war ja ein Gesamtabriß alles Wünschenswerten innerhalb von zwei Minuten.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Geben Sie mir mehr Redezeit!)

    Sicher eine besondere Meisterleistung hinsichtlich der Geschwindigkeit, aber natürlich keine realistischen Ansätze politischer Handlungsfähigkeit.
    Einerseits tragen wir die von uns gewünschte Haushaltspolitik der Regierung im Grundsatz, verteidigen also deren Entwurf. Wir wollen ihn aber trotzdem verbessern und auch konstruktiv-kritische Anmerkungen zur Regierungspolitik machen.
    Meine Damen und Herren, da ja fast alle Mitglieder der Regierung auch Abgeordnete dieses Hauses sind, gehe ich davon aus, daß die zahlreichen Minister, die heute und an den kommenden Tagen das Wort ergreifen werden, uns genau in diesem Ziel unterstützen werden, denn das Haushaltsrecht ist das Königsrecht des Parlaments, und auch diese Debatte in erster Lesung soll an sich eine Parlamentsdebatte und kein Vorstellungswettbewerb des Bundeskabinetts und wahlkämpfender Bundesratsmitglieder sein.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Kritische Anmerkungen zu dem Kabinettsbeschluß zum Haushalt 1988 betreffen auch die Parlamentarier selbst, denn wir haben die ausgabewirksamen Beschlüsse für das laufende Jahr und im vergangenen Jahr abgesegnet; sie müssen jetzt haushaltsmäßig ihren Niederschlag finden. Aber der Gesamtzusammenhang einzelner Beschlüsse und Gesetze muß eben vom Finanzminister erkannt und verantwortet werden. Die Mark kann nur einmal ausgegeben werden. Freie Spielräume sind bei nach wie vor zu hoher Nettoneuverschuldung nicht gegeben.
    Wir gehen deshalb mit dem Ziel in die Beratung, die Verschuldung abzusenken. Diesmal wird es ganz besonders schwer werden. Ich sage dies auch mit Blick auf den Verhandlungszeitraum und den Zeitpunkt der abschließenden Beratung hier im Hause. Wir haben im letzten Jahr gesehen, daß wir vor der zweiten und dritten Beratung noch einmal mit neuen Zahlen konfrontiert worden sind. Wir haben diesen Zahlen in Kenntnis all der Schwierigkeiten, die uns daraus in der öffentlichen Debatte entstehen könnten, Rechnung getragen.

    (Zuruf von der SPD)

    Dennoch — das sage ich Ihnen, lieber Kollege von der SPD mit Ihrem Zwischenruf — , natürlich ist uns auch bewußt, daß es bei einer großen Zahl von Bürgern als wesentlich angenehmer empfunden wird, wenn man aus öffentlichen Haushalten in irgendeiner Weise bedient wird, statt durch Einsparungen nachteilig betroffen zu sein.
    Es wird also diesmal ganz besonders schwer werden, denn die Tatsache, daß das Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr bei nur ca. 1,8 % landen wird — ohne mich mit dieser Zahl abschließend festlegen zu können — sorgt natürlich auch im kommenden Jahr im Vergleich zur mittelfristigen Finanzplanung für Mindereinnahmen. Daß aber der Kurs richtig ist, zeigt sowohl die nach wie vor klare Unterstützung der unabhängigen Bundesbank, als auch die ständige Verbesserung der Situation auf dem Arbeitsmarkt, die anhaltende Vermehrung der Zahl der Arbeitsplätze seit 1983. Dies ist durch unsere Haushaltspolitik wesentlich mitverursacht.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Struktur des Haushalts ist allerdings etwas weniger befriedigend als in den vergangenen Jahren, denn der Investitionsanteil geht zurück, Subventionen steigen an. Wenn auch einiges hiervon durch frühere gesetzliche Verpflichtungen entsteht, anderes durch den von uns nicht zu beeinflussenden Kursrückgang des US-Dollars in der Vergangenheit — Gott sei Dank hat er sich jetzt stabilisiert, unter anderem auch durch Engagement unserer Regierung; das sollte an der Stelle auch gesagt werden — , so hat es doch auf der anderen Seite auch Gefälligkeiten der Bundesregierung gegeben, die aus heutiger Sicht die Strukturprobleme verschärfen.
    Es muß als weiteres gesagt werden, daß der Abschluß der Tarifpartner im öffentlichen Dienst deutlich über der Steigerungsrate des Gesamthaushalts liegt und damit natürlich auch zu einer Verschiebung innerhalb der großen Ausgabenblöcke beiträgt. Ich wünsche mir unbedingt, daß die öffentlich Bedienste-



    Dr. Weng (Gerlingen)

    ten eine im Vergleich zu anderen Berufsgruppen angemessene und leistungsgerechte Bezahlung erwarten dürfen, und sie müssen auch angemessene Aufstiegschancen behalten — dies in Kenntnis unserer Restriktionen der vergangenen Jahre — , aber gerade bei restriktiver Haushaltsführung kann das nur die Konsequenz haben, daß die Zahl der öffentlich Bediensteten verringert wird. Hier wäre uns ein Ansatz für Stellenreduzierungen im Regierungsentwurf 1988 und nicht nur in der weiteren Planung liebgewesen.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Bei den Staatssekretären! )

    Hierbei wäre — ich sage dies, ohne daß es des Zurufs von der SPD bedurfte — auch Selbstdisziplin der Regierung wünschenswert, denn die Spitze dieses Eisbergs bei der Schaffung neuer Personalstellen ist die Regierungsforderung nach zwei neuen beamteten Staatssekretären, über die wir im Haushaltsausschuß noch werden beraten müssen.

    (Sehr gut! bei der SPD)

    Eines muß klar sein: Wenn der Regierungswechsel von 1969 — da kann man der jeweiligen Schuldzuweisung ja ein wenig vorbeugen — eine Ausweitung der Zahl aller Staatssekretäre um 25 % nach sich zog, so mußte nicht zwangsläufig die jetzige Koalition nochmals um 20 % aufstocken. Und bei aller Ehrfurcht vor der Organisationsgewalt der Bundesregierung sage ich: Irgendwo muß auch einmal Schluß sein.

    (Becker [Nienberge] [SPD]: Aha!)

    Noch ein weiteres Wort zu dem Ausgabenkomplex Personalkosten. Bei allem Verständnis für die Wünsche aus dem Innenministerium, meine Damen und Herren, dann, wenn wir den 1982 begonnenen Kurs jetzt total ändern wollten, indem wir den haushaltsmäßig nicht abgesicherten Strukturbericht des Innenministers umsetzen, wäre damit der Weg soliden Haushaltens verlassen.
    In den Bereich kritischer Anmerkungen gehört auch der Stand der Privatisierung, denn andere Länder wie England oder Frankreich machen uns ja vor, wie konsequent man hier verfahren kann. Natürlich ist es mir auch recht, daß, wie ich gesehen habe, gerade die GRÜNEN unserer politischen Zielgebung hier besonders vehement Paroli zu bieten versuchen. Das macht der Öffentlichkeit eben deutlich, wo welche politischen Vorstellungen sind: dort Marsch in die Staatswirtschaft, bei uns mehr Vertrauen auf den Bürger,

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Sie haben ja gar nicht hingehört!)

    mehr Rückgabe von wirtschaftlichen Möglichkeiten an die Bürger.

    (Bohl [CDU/CSU]: Sehr gut! Weiter so! — Frau Vennegerts [GRÜNE]: Das ist Wirtschaftsdarwinismus!)

    Hatte die Bundesregierung nach der Wende in allen Regierungserklärungen das Ziel Privatisierung ausdrücklich artikuliert, so bleibt das Ergebnis doch sehr deutlich hinter den Erwartungen zurück. Das groß angekündigte Gesamtkonzept betraf nach seiner Verabschiedung nur einen sehr bescheidenen Teil von
    Beteiligungen und Dienstleistungen der öffentlichen Hand, und selbst diese wenigen Projekte kommen aus unterschiedlichen Gründen nur sehr zögerlich voran.
    Die versprochenen Privatisierungen hängen offensichtlich genau an der Bürokratie fest, die — vielleicht sind in den jeweiligen Ministerien Sozialdemokraten dabei —

    (Dr. Apel [SPD]: Mein Gott!)

    unserem erklärten politischen Ziel von Anfang an hinhaltenden Widerstand entgegengesetzt hat.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU — Weitere Zurufe von der SPD)

    Meine Damen und Herren, sei es wegen des Börsenkurses, sei es, weil betriebliche Untersuchungen urplötzlich andere Zustände ergaben, als sonst über irgendeinen Betrieb immer geäußert worden war, es rührt sich in diesem ordnungspolitisch so wichtigen Bereich fast nichts mehr.
    Während wir z. B. nach wie vor die Auffassung vertreten, daß zumindest eine Verringerung des Anteils der öffentlichen Hände an der Lufthansa sinnvoll und vertretbar ist, sollen jetzt weitere öffentliche Körperschaften beteiligt werden. Und daß in diesem Zusammenhang — auch wenn ich hier mit Franz Josef Strauß überraschenderweise einmal einer Meinung war, nämlich in der Angelegenheit der Hilton-Hotels; Herr Kollege Glos, auch Sie haben es sicher in der Zeitung gelesen — der Versuch der Geschäftsführung der deutschen Lufthansa, sich zu einem Mischkonzern zu entwickeln, ein Schlag ins Gesicht unseres politischen Willens ist, bleibt trauriges Fazit.
    Der Vorstand der Deutschen Lufthansa muß sich fragen lassen, warum er nicht in vernünftiger Kooperation mit Hoteleignern — auch unter Einbeziehung mittelständischer Unternehmen — seinen Angebotsbedarf decken kann, sondern versucht hat, mit Milliardenaufwand eine Hotelkette zu erwerben.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Daß dieser Versuch gescheitert ist, lag ja nun nicht an der Deutschen Lufthansa, sondern am schnellen Zugriff eines anderen Anbieters.

    (Glos [CDU/CSU]: Zu kurz gesprungen!)

    — Ja, da ist der Herr Ruhnau zu kurz gesprungen. — Meine Damen und Herren, ist es denn wirklich wünschenswert, daß letztendlich der deutsche Steuerzahler das Risiko der Ausbuchung von Hotels in aller Welt trägt? Das kann nicht sein!
    Herr Finanzminister, Sie werden entsprechend der Bundeshaushaltsordnung in diesem Jahr stärker gefordert sein als seither, über den Fortbestand der Notwendigkeit öffentlicher Beteiligungen zu berichten, denn bei einer ganzen Zahl solcher Bundesbeteiligungen glauben wir nicht, daß es hoheitliche oder sonstige unabweisbare Gründe für den Besitz des Bundes gibt. Hier wird in der 11. Wahlperiode wieder neuer Schwung erwartet.
    Anläßlich dieser Haushaltsdebatte muß das Parlament seinen Blick auch auf die längerfristigen Aufga-



    Dr. Weng (Gerlingen)

    ben und Zielsetzungen richten, bei denen die Bundesregierung im Sinne politischer Führung Prioritäten setzen sollte. Ich meine z. B. den Bereich der Luft- und Raumfahrt. Wir werden in künftigen Haushalten nicht all die Projekte finanzieren können, die im Augenblick in Definition oder Entwicklung sind. Wir wissen auch, daß in diesen Bereichen viel Geld ausgegeben werden kann, egal, ob es Raketen, Weltraumstationen und Raumgleiter im Forschungsbereich, ob es Jäger 90 und Panzerabwehrhubschrauber im Verteidigungsressort oder der Airbus beim Bundeswirtschaftsminister sind.
    Es wird nicht alles gehen, und Entscheidungen sind gefordert. Unsere Fraktion wird sich diesen Entscheidungen stellen. Die Regierung sollte das gleiche tun.
    Ich will allerdings beim Airbus einschränkend darauf hinweisen, daß hier nach unserer Überzeugung die Komplettierung der Flugzeugfamilie erforderlich ist. Kurz-, Mittel- und Langstreckenflugzeug müssen angeboten werden können. Wir müssen aber — und das sage ich im Blick auch auf die Berichterstattergespräche — sehr sorgfältig prüfen, ob der hohe Subventionsbedarf nicht auch durch innerbetriebliche Einsparungsmaßnahmen verringert werden kann. Es darf auch nicht durch ein einziges Projekt jede andere Förderungsmöglichkeit bei der zivilen Luftfahrt ausgeschlossen werden.
    Ich habe kürzlich mit Blick auf Luft- und Raumfahrt scherzhaft gesagt: Das ganze Geflügel frißt uns Haushältern die Haare vom Kopf. Der Hintergrund ist ernst genug.

    (Kuhlwein [SPD]: Da haben aber alle gelacht!)

    — Es haben alle gelacht, die dabei waren; das ist richtig. Das waren vielleicht Leute, die etwas mehr Humor hatten als Sie gerade, Herr Kollege; aber das soll es ja geben.

    (Dr. Apel [SPD]: Wir haben sehr viel Humor!)

    Meine Damen und Herren, eine Erwähnung zur geplanten großen Steuerreform darf in einer Haushaltsrede nicht fehlen, nicht zuletzt deshalb, weil die Opposition und hier insbesondere die Sprecher der SPD während der Sommerpause eine ganz üble Kampagne gefahren sind. Ich hoffe, daß sich der baden-württembergische Kollege Spöri den Artikel in der „Zeit" vom 24. Juli sehr genau durchgelesen hat, in dem Gerd Bucerius unter der Überschrift „Steuern und Redlichkeit" mit seinen Verhaltensweisen hart aber korrekt ins Gericht ging.

    (Zuruf von der SPD: Das ist auch ein Schwarzer!)

    Wie unsauber die Diskussion von der SPD geführt wird, wird ja schon daran deutlich, daß man nicht das große Entlastungsvolumen begrüßt, sondern an den noch offenen, aber nach Aussage des Finanzministers bis Oktober zu klärenden Fragen der Finanzierung eines Teilbetrags herummäkelt.

    (Kuhlwein [SPD]: Dem glauben Sie noch?)

    Wer das geplante Entlastungsvolumen von 25 Milliarden DM, wer die Senkung des Eingangssteuersatzes, wer die Erhöhung von Grundfreibeträgen und von Kinderfreibeträgen verschweigt, ist nicht aufrichtig. Daß durch den Wegfall der überzogenen Progression im Bereich mittlerer Einkommen eine durchgreifende Strukturverbesserung geplant ist, paßt natürlich nicht in das Konzept von Miesmachern.

    (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    — Die Miesmacher haben sich sofort gemeldet. Es gibt, meine Damen und Herren, einen alten Volksspruch, der heißt: Getroffener Hund bellt. Wir haben das erleben dürfen, auch wenn es ein sehr müdes Bellen gewesen ist.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Also, das anhören zu müssen ist eine Qual! Machen Sie mal ein bißchen Pfeffer da rein, Mensch!)

    Die große Steuerreform ist ein notwendiges und wichtiges Vorhaben dieser Wahlperiode. Das Datum der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Bremen am kommenden Sonntag verdeutlicht, warum bei der Opposition nicht Sachlichkeit, sondern Polemik stattfindet.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Ein 30jähriger Greis, der da redet! Furchtbar!)

    — Wahrscheinlich können Sie einer ruhigen Rede einfach nicht ruhig zuhören. Sie müssen wohl Schreihälse hier vorne stehen haben, um dem überhaupt folgen zu können. Es geht hier um Worte, die gesprochen, nicht um Worte, die geschrieen werden, Frau Collega. Hier findet von Ihrer Seite Polemik statt in der Überzeugung, es handle sich hier um Wahlspeck für diese Landtagswahlen.
    Meine Damen und Herren, ich bin sicher, die Bürger der genannten Bundesländer werden dies durchschauen.

    (Dr. Struck [SPD]: Da haben Sie ganz recht!)

    Meine Damen und Herren Kollegen, der Haushaltsausschuß wird sich nach der Debatte dieser Woche des Entwurfs der Regierung annehmen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Sie kriegen die rechten Stimmen der CDU!)

    Ich bin mir der weiteren kollegialen Zusammenarbeit in der Koalition sicher; denn, lieber Kollege Carstens, wir, die Koalitionsabgeordneten des Haushaltsausschusses tragen zunächst einmal die Verantwortung dafür, daß unsere Mehrheit im Deutschen Bundestag einen richtigen und notwendigen Kurs in der Haushaltspolitik fortführt.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)