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    Plenarprotokoll 11/23 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 23. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 Inhalt: Nachruf auf das frühere Mitglied des Deutschen Bundestages William Borm 1459 A Begrüßung des Vorsitzenden der Zweiten Kammer der Niederländischen Generalstaaten, Dr. Dirk Dolman 1459 B Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Jobst 1459 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/700) in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksache 11/701) Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF 1459D, 1510 B Dr. Apel SPD 1471 C Carstens (Emstek) CDU/CSU 1481 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 1487 B Dr. Weng (Gerlingen) FDP 1491 B Wedemeier, Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen 1494 D, 1517 C Neumann (Bremen) CDU/CSU 1499 D Dr. Struck SPD 1503 B Richter FDP 1506 D Roth (Gießen) CDU/CSU 1507 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 1519 C Sellin GRÜNE 1525 B Glos CDU/CSU 1528 B Roth SPD 1531 C Dr. Haussmann FDP 1536 C Wissmann CDU/CSU 1538 B Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 1540 C Hinsken CDU/CSU 1543 C Schäfer (Offenburg) SPD 1545 D Dr. Laufs CDU/CSU 1549 B Frau Garbe GRÜNE 1552 A Frau Dr. Segall FDP 1554 A Fellner CDU/CSU 1556 B Dr. Töpfer, Bundesminister BMU 1557 B Nächste Sitzung 1561 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 1562* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1459 23. Sitzung Bonn, den 9. September 1987 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 10. 9. Antretter * 11. 9. Frau Beck-Oberdorf 11.9. Frau Beer 9. 9. Frau Blunck * 10. 9. Böhm (Melsungen) ** 11. 9. Büchner (Speyer) * 11.9. Catenhusen 11.9. Duve 9.9. Eigen 11.9. Dr. Feldmann * 11.9. Frau Fischer * 9.9. Großmann 11.9. Dr. Hoffacker 9.9. Hoss 11.9. Irmer 11.9. Jansen 11.9. Jung (Lörrach) 11.9. Lemmrich * 10.9. Maaß 9.9. Frau Matthäus-Maier 9.9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller * 10. 9. Niegel * 11. 9. Oostergetelo 11.9. Poß 9.9. Rawe 11.9. Reddemann ** 11.9. Schäfer (Mainz) 11.9. Dr. Scheer * 11.9. Schmidt (München) ** 11.9. Frau Schmidt (Nürnberg) 11.9. Schröer (Mülheim) 11.9. Dr. Sperling 11.9. Steiner * 9. 9. Tietjen 11.9. Volmer 11.9. Dr. Vondran 10. 9. Dr. von Wartenberg 9.9. Dr. Wieczorek 11. 9. Wieczorek (Duisburg) 11.9. Dr. Wulff * 9.9. Zierer * 9.9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von Michael Glos


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Ich bin überzeugt, er braucht sie nicht.

    (Roth [SPD]: Warum machen Sie sie denn?)

    Aber gerade der von mir aufgeführte Personenkreis, ohne den Herr Dr. Vogel nicht so wirken kann, wie er es tut, braucht diese Steuerentlastung ganz dringend.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Roth [SPD]: Warum konzentrieren Sie sie denn nicht auf diesen Kreis?)

    Selbstverständlich kann man sich nur ein objektives Bild von der Steuersenkung machen, wenn man einmal die individuelle Steuersenkung mit der bisher zu tragenden und der noch verbleibenden Steuerlast vergleicht, also auch die prozentuale Entlastung in Betracht zieht. So ergibt sich z. B. allein auf Grund der für 1986 und 1988 vorgenommenen bzw. beschlossenen Steuerentlastungen folgendes Bild, wenn man den Vergleich mit dem bis dahin im Kern gültigen SPD-Tarif zieht. Ein Verheirateter mit zwei Kindern, der monatlich 1 500 DM verdient, zahlte 1985 dafür 71 DM Steuern. Er wird um diese 71 DM entlastet, also um 100 %. Er wird endgültig von der Steuerbelastung freigestellt und kann damit für die weitere Entlastungsstufe, für die 90er Stufe, seriöserweise nicht mehr herangezogen werden. Dies ist natürlich die Antwort auf die Frage, die auch von Herrn Struck in den Raum gestellt worden ist. Jemand, der 3 500 DM verdient, hat im Jahr 1985 447 DM Lohnsteuer gezahlt. Er wird um 85 DM oder 19 % entlastet. Verdient er 15 000 DM, so liegt seine Entlastung bei 699 DM oder 12,8 %. Die 1985 einbehaltene Steuerschuld betrug 5 460 DM. Er wird zwar gegenüber dem zweiten Fall um mehr als das Achtfache entlastet, dafür liegt seine Steuerschuld aber um mehr als das Zwölffache höher. All diese Entlastungen hat der Haushaltsentwurf 1988, der heute diskutiert wird, bereits verkraftet. Das müssen wir sehen, und das ist eine große Leistung.
    Die politische Redlichkeit gebietet natürlich, die Aspekte der unterschiedlichen Entlastung darzustellen, sie nicht zu verschweigen oder gar zu beschönigen. Die für 1990 angekündigte Steuerreform ist in diesem gerade gebrachten Beispiel noch nicht berücksichtigt. Bezieht man die für 1990 geplante Steuerreform in die Betrachtungen ein, so zeigt sich, daß sich für diejenigen, die keine der abzubauenden steuerlichen Ausnahmetatbestände in Anspruch nehmen, folgende Entlastungen ergeben. Ein Beispiel: Ein Alleinstehender — das kann ein Ingenieur, ein Facharbeiter in der Automobilindustrie, das kann auch ein Monteur sein, der viele Stunden arbeitet — , der 55 000 DM jährlich zu versteuern hat, wird gegenüber 1985 um 4 735 DM entlastet. Das sind 8,72 % seines zu versteuernden Einkommens oder rund 27,4 % seiner Steuerlast von 1985. Ein doppelverdienendes Ehepaar mit einem Einkommen von 80 000 DM wird nach der Splittingtabelle im Vergleich 1985/1990 um 4 878 DM entlastet und zahlt statt 21 012 DM Steuer künftig nur noch 16 134 DM an Steuern. Das macht rund 23,2 % der Steuerlast von 1985 bzw. 6,1 % des zu versteuernden Einkommens aus.
    Für diejenigen, die zuvor bereits in starkem Maße steuerliche Sonderregelungen ausgenutzt haben,
    wird sich natürlich, wenn die 19,4 Milliarden DM finanziert werden, diese Entlastung entsprechend reduzieren. Hohe absolute Entlastungen können nicht als sozial ungerecht bewertet werden, wenn man auch die zu tragende Steuerschuld mit in die Überlegungen einbezieht. Es ist einfach so: Wer keine Steuern zahlt, kann nicht entlastet werden. Deswegen kann logischerweise die Zahl von 1 000 DM nur durchschnittlich gemeint sein. Ich hoffe, daß dies auch auf seiten der SPD verstanden wird und nicht weiter mit falschen Behauptungen gearbeitet wird, daß jeder um 1 000 DM Steuern entlastet wird. Das gilt selbstverständlich nur für die, die man auch entlasten kann. Ich hoffe, daß das verstanden worden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Unruh [GRÜNE]: Die Verbrauchsteuern müssen Sie aber wieder abziehen!)

    In den kommenden Wochen und Monaten — ich gehe auf Ihre Frage ein — wird sich, steuerpolitisch gesehen, das Hauptaugenmerk der Koalitionsfraktionen auf die 1990 zu finanzierende Steuerreform konzentrieren.

    (Zander [SPD]: Das wird ein großes Schauspiel werden!)

    Ich bin der Meinung, daß wir gute Chancen haben, diese Steuerreform dadurch zu finanzieren, daß wir die Tabelle der Ausnahmetatbestände hernehmen, sie durchforsten, daß wir die Steuergesetze zur Hand nehmen, die inzwischen sowieso viel zu kompliziert geworden sind, und sehen, was wir an ungerechtfertigten Ausnahmetatbeständen abbauen können. Ich weiß gar nicht, ob das den Steuerberatern am Schluß recht ist. Wir möchten auch die Steuerberater ein Stück überflüssig machen;

    (Zustimmung des Abg. Roth [SPD])

    wir möchten eigentlich dahin kommen, daß die Leute wieder etwas stärker in die Lage versetzt werden, ihre Steuererklärung selbst auszufüllen. Auch Vereinfachung gehört also unserer Meinung nach dazu.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, die Frage ist: Wollen Sie überhaupt Steuerentlastung?

    (Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Nein! Das haben sie schon gesagt!)

    Wenn man sieht, daß Sie in Ihrer Verantwortungszeit den staatlichen Korridor eigentlich immer stärker verbreitert haben, daß Sie die Staatsquote und die Steuerlast immer stärker erhöht haben, merkt man, daß Sie hier ideologische Barrieren haben. Sie glauben nach wie vor, das Geld sei bei den Funktionären, bei den staatlichen Wirtschaftsplanern besser aufgehoben als in den Taschen der Bürger. Wir sind der Meinung, zig Millionen Einzelentscheidungen von mündigen Bürgern können die Wirtschaft viel besser steuern als staatliche Funktionäre.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir möchten auch, daß diejenigen, die arbeiten, die sich plagen, die Leistung bringen, einen größeren Teil des Ergebnisses dieser Leistung in ihrer eigenen Tasche behalten können. Das wollen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, von der SPD nicht; Sie



    Glos
    wollen bereits mittlere Einkommen mit Sonderabgaben belegen.
    Ich bin der Meinung, daß wir es schaffen werden, den allergrößten Teil dieser 19,4 Milliarden durch die besagte Einschränkung von Subventionen, zu finanzieren. Ich bin auch davon überzeugt, daß die Beteiligten den Mut dazu mitbringen. Da richte ich einen Appell an die Koalitionsfraktionen, aber auch an die Herren auf der Regierungsbank und an unsere Vormänner. Wenn wir ausreichend Mut mitbringen — die Finanzpolitiker der Union, für die ich reden kann, haben diesen Mut, und ich glaube, auch die der Koalition insgesamt haben ihn — , müßten diese 19,4 Milliarden möglicherweise sogar ohne einen Pfennig Verbrauchsteuererhöhung zu finanzieren sein. Da wird es natürlich erst einmal einen Aufschrei im Lande geben, aber ich bin der Meinung, entweder es müssen sehr viele schreien, oder es müssen sich sehr viele freuen. Das heißt, wir wollen dies gerecht verteilen, so gerecht, wie es überhaupt möglich ist. Weder wollen wir es beim sogenannten kleinen Mann — oder, wie die GRÜNEN sagen, bei der kleinen Frau — holen, noch wollen wir die Wirtschaft schonen. Wir wollen ganz unvoreingenommen an diese Dinge herangehen, und wir sind dabei, sie zu prüfen.
    Wir sind nach wie vor im Fahrplan.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Im Fahrplan der Massenarbeitslosigkeit! )

    Es ist ja vom Bundesminister der Finanzen immer angekündigt worden, daß wir von ihm im Oktober den Vorschlag bekommen. Wir brauchen natürlich die Vorarbeit des Bundesfinanzministeriums. Es muß ja auch eine Abstimmung mit den Ländern geben, denn die Länder müssen letztendlich im Bundesrat zustimmen; sonst ergibt sich keine Mehrheit. Danach werden wir als Parlament uns damit befassen. Wir haben uns natürlich in der Zwischenzeit unsere Gedanken gemacht,

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Das sieht man!)

    und ich bin überzeugt: Da gehen viele Listen um. Es ist ja auch die Pflicht der Finanzpolitiker, daß sie sich einmal überlegen, wo man einsparen könnte.
    Wenn der Vorschlag des Bundesfinanzministers da ist, werden wir uns zusammensetzen, und dann werden wir sehen, was vernünftig ist und was realisierbar ist. Wir werden dies rechtzeitig auf den öffentlichen Prüfstand stellen, und dann kommt ja das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag, in dem die Reform Punkt für Punkt abgeklopft werden kann. Ich bin davon überzeugt, daß wir von Bundesfinanzminister Stoltenberg einen Vorschlag bekommen, der in den Grundzügen konsensfähig ist, und den werden wir dann in die Tat umsetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Eines aber möchte ich zum Schluß sagen: Wir werden — darauf können Sie sich verlassen — die Steuerreform so, wie sie in den Koalitionsvereinbarungen vorgesehen ist, durchziehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir werden unseren Beitrag dazu leisten,

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Sie ziehen alles durch! Gnadenlos!)

    daß wieder mehr Leistungsanreize bei Arbeitnehmern und Unternehmen vorhanden sind. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, daß sich die Risikobereitschaft wieder erhöht. Wir wollen mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in der Wirtschaft. Wir wollen Kapitalbildung und damit Investitionsfähigkeit erreichen. Wir möchten in der Bundesrepublik Deutschland auch im internationalen Wettbewerb der Steuersysteme bestehen können. Dazu brauchen wir eine möglichst breite Unterstützung, und auch die Opposition wäre gut beraten, wenn sie an diesem Reformwerk konstruktiv mitarbeiten würde.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Roth.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die etwas seltsam zwischen Finanz- und Wirtschaftspolitik verflochtene Debatte doch nutzen, um ein paar Bemerkungen aus meiner Sicht zur Steuerpolitik zu machen. Herr Stoltenberg und andere haben uns vorgeworfen — gerade hat es auch Herr Glos getan — , wir würden die Unsicherheit auf diesem Gebiet nähren,

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Richtig!)

    wir würden Schwierigkeiten provozieren. Meine Meinung ist: Die Tatsache, daß nur 10 % der Bürger der Bundesrepublik Deutschland — und zwar unabhängig davon, ob Frau Noelle-Neumann vom Institut Allensbach oder Herr Ernst von Infratest oder Infas befragen — sagen, aus dieser Steuerreform komme etwas Gutes heraus, weist auf einen Krebsschaden Ihrer politischen Diskussion hin.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie haben den Leuten etwas versprochen, ohne die Finanzierung darzustellen;

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Richtig!)

    das ist der eigentliche Punkt. Das große Mißtrauen, das Sie in der Bundesrepublik Deutschland erzeugt haben, geht darauf zurück.
    Nun wäre eine gute Chance gewesen, meine Damen und Herren, in der heutigen Debatte zu sagen: Wir haben inzwischen in den letzten sechs, sieben Monaten diskutiert; wir sind ein Stück weiter gekommen. — Dann hätte ein Bundesfinanzminister Vertrauen geschaffen. Vielleicht wäre aus den 10 % etwas mehr Zustimmung zu der Steuerreform geworden. Aber die Feigheit vor dem Feinde, nämlich den Subventionsstreichungen und den Veränderungen im Steuersystem, schafft dieses Mißtrauen. Was wir hier sagen, ist ja nur eine Wiedergabe der Diskussion in der Bevölkerung selbst.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich erinnere mich an viele Debatten über Stetigkeit und Vertrauen in bezug auf das Steuersystem im letzten Jahrzehnt. Herr Stoltenberg, ich erinnere mich an viele Debattenbeiträge von Ihnen in einer Zeit, als Sie so etwas wie der finanz-



    Roth
    politische Sprecher der Opposition waren, allerdings nicht im Deutschen Bundestag, sondern als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Wie oft haben Sie den Vertrauensnachteil für die Bevölkerung und insbesondere die Wirtschaft, der durch unstetige Finanzpolitik da sei, beschworen.

    (Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Damals war genug Anlaß da!)

    Herr Stoltenberg, versetzten Sie sich einen Moment in die Lage der Opposition, und überlegen Sie, was Sie zu dem sagen würden, was Sie und Ihre Koalition an Unklarheit, an Ungewißheit, an Unsicherheit in bezug auf Planung in der Wirtschaft geschaffen haben, das ist die Wahrheit.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist ein Investitionshemmnis allererster Ordnung, daß niemand weiß, wo Subventionen gestrichen werden, wo das Steuerrecht verändert wird; das ist der eigentliche Punkt in diesem Zusammenhang.

    (Zuruf von der SPD: Das gilt ja auch für Länder und Gemeinden!)

    Dann gibt es einen zweiten Punkt. Ein Steuersystem und jede Steuerveränderung haben ja zwei Hauptkriterien, und diese kommen nicht immer zusammen. Ich als Oppositionsredner will da auch nicht ungerecht und pharisäerhaft argumentieren. Es geht erstens um die Frage der Gerechtigkeit — sind Steuerveränderungen und Steuersystem gerecht? — und zweitens um die Wirksamkeit im Hinblick auf die Investitionstätigkeit in der Wirtschaft. Da gibt es Konflikte.
    Ein extrem gerechtes Steuersystem kann negative Rückwirkungen auf die Investitionstätigkeit der Wirtschaft haben. Ein für die Investitionstätigkeit extrem wirksames und effektives Steuersystem kann in einer Demokratie unakzeptabel und untolerierbar für die Menschen sein, weil die Gerechtigkeit verletzt wird.
    Was ich bei Ihnen beobachte, ist nun folgendes: Die Vorschläge sind weder gerecht noch wirksam, was die Investitionstätigkeit in der Wirtschaft betrifft. Ich will das in zwei, drei Punkten begründen.
    Wir wissen, daß Menschen beim Existenzminimum besteuert werden, auch nach Ihrer Reform. Warum dann nicht das Geld, das man für die Senkung des Spitzensteuersatzes braucht, auf die Erhöhung des Freibetrags für die kleinen Leute konzentrieren, damit sie endlich aus der Besteuerung herauskommen? Das ist doch wohl das Wesentlichste bei der Gerechtigkeit.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Jetzt zur Effektivität: Herr Stoltenberg, Sie haben heute früh gesagt, unser Steuersystem sei, bezogen auf die Unternehmen, zu rigide. So rigide kann es angesichts bestimmter Großkonzerne mit einem Spitzensteuersatz von 53 % wohl nicht sein, wenn ich bedenke, daß Daimler-Benz 15 Milliarden DM Kriegskasse hat, die nicht für Investitionen verwendet werden. Daimler-Benz — ungeachtet der Führung des Unternehmens — braucht keine Spitzensteuersatzsenkung zur Investitionsfähigkeit. Aber wir wissen ganz genau, daß viele kleine und mittlere Unternehmen zur Zeit auf Grund hoher Fremdfinanzierung nicht in der Lage sind, die Investitionen vorzunehmen, die sie für die Zukunft für notwendig halten. Da frage ich Sie nun: Ist die globale Körperschaftssteuersenkung an der Spitze eine höchst wirksame Investitionsmaßnahme, oder ist es unser Vorschlag einer steuerfreien Investitionsrücklage von 50 000 DM für die kleinen und kleinsten Firmen? Was ist die bessere Alternative? Ich weiß es. Herr Hinsken, wir sind uns einig. Sie wissen es auch. Es ist die steuerfreie Investitionsrücklage.

    (Hinsken [CDU/CSU]: Es ist noch Besseres gekommen!)

    — Ja, Ihren Verband und Ihre Reden zu diesem Thema kenne ich seit Jahren.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich will mich ein paar Minuten auch mit dem zugegeben schwierigen Thema auseinandersetzen: Was sage ich zu den wirtschaftspolitischen Bemerkungen des Wirtschaftsministers? Schwierig ist das deshalb, weil sie so unkonkret, so unpräzise, so wenig genährt von wirtschaftspolitischer Sachkenntnis sind, daß eine Antwort darauf sehr schwer fällt.

    (Zurufe von der SPD: Wo ist er eigentlich?)

    Ein Beispiel: Da sagt der Herr Bangemann, die Unternehmen hätten viel rationalisiert, automatisiert, Roboter, Anlagen mit hohem Kapitaleinsatz angeschafft, und deshalb sei es notwendig, daß die Menschen wieder länger arbeiten und keinen Sonntag mehr haben sollten. Ist das eine Logik?

    (Dr. Haussmann [FDP]: Hat er gar nicht gesagt!)

    Er hat hier gesagt: Die Menschen müssen flexibler werden; sie müssen auch wieder am Sonntag arbeiten. Ist das richtig oder falsch? Vor Tische hörte ich es immer anders: Wir bräuchten Kapitaleinsatz, wir bräuchten Automatisierung, wir bräuchten Rationalisierung, damit der Mensch mehr Freiheit durch die moderne Technik gewönne. Was ist nun wahr?
    Ich bin der Meinung, eine staatliche Gesetzgebung hat die Verantwortung, die Chancen auszunutzen, die aus Rationalisierung und Automatisierung zu gewinnen sind, auch im Hinblick auf mehr Freiheit. Für uns, zusammen mit den Kirchen, ist der Sonntag tabu. Die modernen Roboter schaffen doch erst die Möglichkeit einer Verlängerung der Freizeit. Mehr Arbeitszeitverkürzung ist richtig und nicht weniger.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Oder der andere Fall: Er hat in Antwort auf Herrn Wedemeier gesagt, man müsse auch über die Löhne im Werftbereich diskutieren. Ich verstehe das so: Er will die Löhne senken. Er hat das im Hinblick auf Korea und andere Wettbewerber gesagt. — Meine Damen und Herren, in Korea verdient ein Werftarbeiter etwa ein Drittel dessen, was sein Kollege in Bremen oder Hamburg verdient. Wollen Sie wirklich in eine Lohnkonkurrenz mit derartigen Wettbewerbern eintreten?

    (Dr. Haussmann [FDP]: Nein, Herr Roth!)




    Roth
    Die Frage ist ja schon grotesk. Was wollen Sie überhaupt auf diesem Gebiet? Der Minister sagt, er wolle Strukturwandel. Wenn es richtig ist, daß in bestimmten Bereichen Konkurrenten in der Welt billiger ein Schiff bauen, ist es doch nicht die Aufgabe, in unseren Werften die Löhne zu senken, sondern die Aufgabe ist, in diesen Werften bessere, modernere, intelligentere Produkte herzustellen. Das müssen in der Zukunft doch nicht unbedingt Schiffe sein. Das heißt, wir müssen investieren und nicht Löhne senken.
    Meine Damen und Herren, die gesamte Diskussion auf der liberalen Seite — die CDU nehme ich einen Moment aus, weil sie noch ein bißchen Rücksicht auf Fehrenbach und andere nimmt — ist doch ganz verquer. Die Bundesrepublik ist ein Land mit über 2 Millionen Arbeitslosen. Kann man diese 2 Millionen Arbeitslosen dadurch beschäftigen, daß man die Löhne strukturell oder global absenkt? — Doch wohl nicht. Denn eine Lohnabsenkung oder auch eine Strukturveränderung in einzelnen Sektoren würde einen Lohnschnitt bedeuten und damit automatisch eine Vernachlässigung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage.

    (Dr. Haussmann [FDP]: Deshalb Steuern senken!)

    Diese Antwort kennen wir ja. Ich erinnere nur an Ihre Vorgänger. Bangemann will „Deutsche Volkspartei" nicht mehr hören. Das hat er in Kiel gesagt. „Volkspartei" sei ein schreckliches Wort. Das hätte einen zu großen Machtanspruch. Wenn ich vergleiche, verstehe ich, daß er nicht mehr denselben Anspruch wie die damaligen Liberalen hat. In den Reden der Liberalen in der Weimarer Republik tauchten Lohnkürzungen und Lohnschnitte als Kampfmittel gegen die Massenarbeitslosigkeit auf. Das sind die Instrumente, die damals zur Vernichtung der Weimarer Republik geführt haben.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Widerspruch bei der FDP)

    — Meine Damen und Herren, das ist der Sachverhalt. Ich bin ja selbst erstaunt, daß die liberale Partei nach 50 Jahren erneut den Lohnschnitt als Antwort auf die Massenarbeitslosigkeit anbietet. Ich halte das für falsch. Ich hoffe, daß die meisten in der CDU das auch für falsch halten.

    (Zuruf von der FDP: Bauen Sie keine Potemkinschen Dörfer auf!)

    Denn die Chance in der Krise, in der Arbeitslosigkeit ist nicht die Benachteiligung der breiten Schichten, sondern die Investition im Unternehmen einerseits und die Besserstellung der benachteiligten Gruppen andererseits. Denn beides schafft Nachfrage.
    Meine Damen und Herren, ich will nicht ungerecht sein. Als Bangemann sein Amt antrat — — Er ist jetzt leider weggegangen. Auch das ist eine Art, miteinander eine Wirtschaftsdebatte zu führen.

    (Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Die meisten Ihrer Kollegen sind aber auch weggegangen!)

    — Die meisten meiner Kollegen hatten genausowenig
    wie Sie oder andere das Privileg zu reden. Für mich ist
    es ein Privileg, im Deutschen Bundestag zu reden. Für
    mich ist es gleichzeitig eine Verpflichtung, die Redner, die nach mir reden, anzuhören, damit ich weiß, was sie zu mir zu sagen haben.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Es kann nicht der Sinn von Debatten sein —


    (Grünbeck [FDP]: Wo ist der Herr Wedemeier?)

    das hat Herr Bangemann ganz präzise eingeplant —, gerade noch in die Fernsehzeit zu kommen und dann zu verschwinden;

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    das ist unparlamentarisches Verhalten. Der Präsident braucht es nicht zu rügen. Aber ich darf es wenigstens sagen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist der Apel? — Abg. Glos [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    Meine Damen und Herren, ich will zu Herrn Bangemann eines sagen.