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    Plenarprotokoll 11/23 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 23. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 Inhalt: Nachruf auf das frühere Mitglied des Deutschen Bundestages William Borm 1459 A Begrüßung des Vorsitzenden der Zweiten Kammer der Niederländischen Generalstaaten, Dr. Dirk Dolman 1459 B Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Jobst 1459 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/700) in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksache 11/701) Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF 1459D, 1510 B Dr. Apel SPD 1471 C Carstens (Emstek) CDU/CSU 1481 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 1487 B Dr. Weng (Gerlingen) FDP 1491 B Wedemeier, Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen 1494 D, 1517 C Neumann (Bremen) CDU/CSU 1499 D Dr. Struck SPD 1503 B Richter FDP 1506 D Roth (Gießen) CDU/CSU 1507 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 1519 C Sellin GRÜNE 1525 B Glos CDU/CSU 1528 B Roth SPD 1531 C Dr. Haussmann FDP 1536 C Wissmann CDU/CSU 1538 B Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 1540 C Hinsken CDU/CSU 1543 C Schäfer (Offenburg) SPD 1545 D Dr. Laufs CDU/CSU 1549 B Frau Garbe GRÜNE 1552 A Frau Dr. Segall FDP 1554 A Fellner CDU/CSU 1556 B Dr. Töpfer, Bundesminister BMU 1557 B Nächste Sitzung 1561 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 1562* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1459 23. Sitzung Bonn, den 9. September 1987 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 10. 9. Antretter * 11. 9. Frau Beck-Oberdorf 11.9. Frau Beer 9. 9. Frau Blunck * 10. 9. Böhm (Melsungen) ** 11. 9. Büchner (Speyer) * 11.9. Catenhusen 11.9. Duve 9.9. Eigen 11.9. Dr. Feldmann * 11.9. Frau Fischer * 9.9. Großmann 11.9. Dr. Hoffacker 9.9. Hoss 11.9. Irmer 11.9. Jansen 11.9. Jung (Lörrach) 11.9. Lemmrich * 10.9. Maaß 9.9. Frau Matthäus-Maier 9.9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller * 10. 9. Niegel * 11. 9. Oostergetelo 11.9. Poß 9.9. Rawe 11.9. Reddemann ** 11.9. Schäfer (Mainz) 11.9. Dr. Scheer * 11.9. Schmidt (München) ** 11.9. Frau Schmidt (Nürnberg) 11.9. Schröer (Mülheim) 11.9. Dr. Sperling 11.9. Steiner * 9. 9. Tietjen 11.9. Volmer 11.9. Dr. Vondran 10. 9. Dr. von Wartenberg 9.9. Dr. Wieczorek 11. 9. Wieczorek (Duisburg) 11.9. Dr. Wulff * 9.9. Zierer * 9.9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von Dr. Hans Apel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Rede des Bundesministers der Finanzen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: War gut!)

    ebenso wie der vorliegende Haushaltsentwurf 1988 und der Finanzplan bis 1991 sind erkennbar davon bestimmt, bis zu den Wahlen am kommenden Sonntag über die Runden zu kommen.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ CSU und der FDP)

    Sie wollen — und darauf werde ich einzugehen haben — den Eindruck

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt hier Eindruck?)

    solider Finanzpolitik vorspielen. Der Bundesfinanzminister versucht auch heute wieder, die Illusion aufrechtzuerhalten, Ihre überzogenen Steuerpläne seien solide finanzierbar und gerecht,

    (Seiters [CDU/CSU]: Herr Apel, Ihre halbe Fraktion will Sie gar nicht hören! Sie ist gar nicht da! — Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Bei euch ist auch keiner da!)

    und Sie wollen den Eindruck erwecken, als könnten Sie Ihre Wahlversprechen halten.
    Tatsache ist dagegen, meine Damen und Herren von der Union, daß der Haushaltsentwurf, den Sie uns vorgelegt haben, ein Torso ist. Er verstößt — und darauf werde ich im einzelnen eingehen — in eklatanter Weise gegen die haushaltsrechtlichen Grundsätze von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, der mittelfristige Finanzplan bis 1991 war schon bei seiner Verabschiedung im Kabinett nichts weiter als Makulatur. Ihr Zahlenwerk ist unvollständig; Ihre Schätzansätze lassen die für eine solide Finanzpolitik notwendige Vorsicht vermissen. Dieses Zahlenwerk — und ich sage das in allem Ernst — ist keine solide Grundlage für die Haushaltsberatungen im Deutschen Bundestag.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU: Das glauben Sie doch selbst nicht, was Sie da reden! — Woher weiß der, was solide ist?)

    Meine Damen und Herren, ich möchte das gern im einzelnen begründen. Ich möchte dabei eine Vorbemerkung machen. Herr Stoltenberg hat Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, mit der Bemerkung abgespeist, wir hätten bei den letzten Haushaltsberatungen unnötig Alarm geschlagen, und die Fakten seien doch ganz anders. Wie sind die Fakten nun aber wirklich?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Gut!)

    Herr Stoltenberg hat am 22. Dezember 1986, also noch nach den Haushaltsberatungen, in der „Welt am



    Dr. Apel
    Sonntag" gesagt, er erwarte für 1987 ein Wirtschaftswachstum zwischen 2,5 % und etwas mehr als 3 %.

    (Zuruf von der SPD: Das erwartet er immer noch!)

    Tatsache ist, daß er inzwischen über 4 Milliarden DM Steuereinnahmen verloren hat. Dieses haben wir ihm prophezeit; damit haben wir recht gehabt. Hören Sie auf, so zu tun, als sei das, was Sie uns damals vorgelegt haben, und das, was Sie uns heute vorlegen, etwas, was der finanzpolitischen Realität unserer Zeit entspricht. Genau das Gegenteil ist richtig.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nun zu den Einzelheiten. Herr Kollege Stoltenberg, ich frage Sie, ob es richtig ist, daß Sie am 23. Juli 1986 folgendes erklärt haben — ich zitiere:
    Eine seriöse Finanzplanung muß die nötige Vorsorge für den Fall treffen, daß der Höchstsatz für die Abführung der Mehrwertsteuereigenmittel an die EG ab 1988 weiter erhöht wird.
    Ich frage Sie, ob es stimmt, daß Sie im letzten Finanzplan vor 12 Monaten deshalb, völlig zu Recht, 5,8 Mil-harden DM als zusätzliche EG-Abgaben für die Jahre 1988 bis 1990 eingesetzt haben. — Dieses war so. Sie können es nicht bestreiten. — Nun, bei der Vorlage des Bundeshaushalts 1988 gibt es plötzlich diese Risiken nicht mehr. Die 5,8 Milliarden DM, die Sie damals vorgesehen hatten, werden anderweitig verfrühstückt. Sie wissen bereits heute, daß Ihnen in Brüssel im nächsten Haushaltsjahr 2,2 Milliarden DM fehlen werden. Dafür haben Sie keine Vorsorge getroffen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Unsolide!)

    Wenn wir das sagen, dann ist das keine irreführende Propaganda, wie Sie sagen, sondern simple fiskalische Wahrheit.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Kollege Stoltenberg, Sie wissen doch wie wir ganz genau — die Unterlagen liegen doch in Ihrem Ministerium — , daß die Bundesanstalt für Arbeit Ihnen mitgeteilt hat, daß sie im nächsten Jahre, auch auf Grund des Verschiebebahnhofs, weil Sie Leistungen, die in den Bundeshaushalt gehören, auf kunstvolle Weise bei der Bundesanstalt abladen, 1,5 Milliarden DM Defizit haben wird.

    (Dr. Vogel [SPD]: Aha!)

    Sie haben heute immerhin eine interessante Feststellung getroffen. Sie haben gesagt: Wenn das passieren sollte, werden wir eben die freiwilligen Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit — in einer Situation, in der wir über 2,2 Millionen Arbeitslose haben — einschränken. Nur frage ich Sie: Was hat das dann eigentlich mit Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit zu tun? Sie lassen die Haushaltspolitiker beraten, Sie lassen den Deutschen Bundestag beraten, Sie lassen Etatansätze beschließen, und anschließend sagen Sie: April, April, ich werde die Leistungen kürzen. — Wir sagen Ihnen: Es fehlen dort 1,5 Milliarden DM. Auch dies, Herr Kollege Stoltenberg, ist keine irreführende Propaganda.

    (Beifall bei der SPD)

    Für weitere erhebliche Risiken im nächsten Jahre haben Sie doch gar keine Vorsorge getroffen. Sie rechnen sich doch erneut reich. Sie haben hier gesagt, wir würden im nächsten Jahre ein Wirtschaftswachstum von 2,5 % real haben.

    (Walther [SPD]: Das glaubt er selber nicht!)

    Ich kann mir das nicht vorstellen. — Im übrigen, Sie haben sich ja vor 12 Monaten schon einmal beträchtlich geirrt: 3 % mehr Wachstum — und 1,8 % waren es am Ende. Wo sollen diese 2,5 % reales Wachstum herkommen? Die Experten, die sich inzwischen geäußert haben, sagen: Wir werden im nächsten Jahre ein beträchtlich geringeres Wirtschaftswachstum haben. — Und dann werden Ihnen bei jedem Prozent Minus beim Wirtschaftswachstum 4 Milliarden DM auf der Einnahmenseite des Bundeshaushalts fehlen.
    Herr Kollege Stoltenberg, vielleicht klären Sie den Deutschen Bundestag einmal über folgenden Tatbestand auf: Für 1988 haben Sie im Bundeshaushalt Einnahmen in der Größenordnung von 1,8 Milliarden DM aus Privatisierungserlösen eingesetzt. Niemand, aber auch niemand, war bisher in der Lage, zu sagen, wo das Geld herkommen soll, es sei denn, Sie verschöben die Privatisierung von Volkswagen von diesem Jahr — die Einnahmen daraus sind ja für dieses Jahr vorgesehen — auf das nächste Jahr. Dann muß ich mich allerdings fragen: Wie kann eigentlich ein Finanzminister, der Anspruch aus Seriosität erhebt, Erlöse einer Privatisierung gleich zweimal etatisieren? Oder ist das Ihre Art von doppelter Buchführung?

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Feilcke [CDU/CSU]: Herr Apel aus Kalau!)

    Ergebnis: Der vorliegende Haushaltsentwurf mit einer von Ihnen angegebenen Neuverschuldung von 29,3 Milliarden DM spiegelt die Wirklichkeit der Bundesfinanzen nicht wider. Die Neuverschuldung des Bundes wird 1988 auf mindestens 33 Milliarden DM ansteigen. Das ist gegenüber dem Haushaltssoll des Jahres 1987 ein Anstieg um 10 Milliarden DM oder 50 %.
    Meine Damen und Herren, auch der mittelfristige Finanzplan bis 1991 war bereits in dem Augenblick überholt, in dem ihn das Kabinett verabschiedet hat. Denn das Kabinett hat gleichzeitig zum Finanzplan folgendes beschlossen: Im Herbst werden die Verteidigungsausgaben überprüft. Dem Verteidigungsminister wird ein Nachschlag in Aussicht gestellt. Im Herbst wird über die deutsche Beteiligung an den europäischen Raumfahrtprogrammen entschieden; da geht es dann um zusätzliche milliardenschwere Haushaltsbelastungen der nächsten Jahre. Auf den Herbst werden die Entscheidungen darüber vertagt, was Kohle, Stahl und Werften in den nächsten Jahren vom Bund zu erwarten haben; die jetzigen Ansätze müssen erhöht werden.
    Herr Kollege Stoltenberg, hier will ich einen Moment Pause machen

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist sehr schön!)

    und mich mit Ihnen über eine Bemerkung auseinandersetzen, die Sie hier gemacht haben. Wenn ich es



    Dr. Apel
    richtig verstanden habe, haben Sie gesagt — bitte korrigieren Sie mich andernfalls — , das Land Nordrhein-Westfalen wolle seine finanzielle Unterstützung für seine Kohle abbauen; damit würde Nordrhein-Westfalen die Existenzgrundlage des deutschen Kohlebergbaus gefährden. Das haben Sie gesagt.

    (Jahn [Marburg] [SPD]: Hat er gesagt!) Da muß ich sagen: Tatsache ist folgendes.

    Erstens. Nordrhein-Westfalen hat zu keinem Zeitpunkt erklärt, daß es sich aus seiner Verantwortung für den Bergbau zurückziehen will.

    (Dr. Vogel [SPD]: Im Gegenteil!)

    Nordrhein-Westfalen hat in der Vergangenheit alle Vereinbarungen mit dem Bund und der Kohlewirtschaft eingehalten und wird dies auch in Zukunft tun.

    (Beifall bei der SPD)

    Zweitens. Natürlich hat Nordrhein-Westfalen im Zusammenhang mit der Debatte um die Neuordnung des Finanzausgleichs im Bundesrat darauf hingewiesen, daß die Belastung von 1,5 Milliarden DM, die Nordrhein-Westfalen in seinem Haushalt mit auffangen muß, weil wir die Kohle sichern wollen und in Nordrhein-Westfalen damit auch eine nationale Aufgabe wahrzunehmen haben, bei der Neuordnung des Finanzausgleichs berücksichtigt werden müsse. Dazu hat es einen Antrag im Bundesrat gegeben. Es wurde einmütig beschlossen, daß das Land Nordrhein-Westfalen bei seinen Leistungen für die Kohlelasten, insbesondere bei der Kokskohlenhilfe, entlastet werden soll. Das ist der Tatbestand, und der ist Ihnen bekannt. Aber Sie verdrehen die Wahrheit hier in einer unglaublichen Art und Weise.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD — Feilcke [CDU/CSU]: Frech behauptet ist halb bewiesen!)

    Meine Damen und Herren, im Herbst wird auch über die Absicherung des Währungsrisikos beim Airbus und über zusätzliche Hilfen für die Landwirtschaft beschlossen werden. Meine Damen und Herren, das ist ein unglaublicher Vorgang.

    (Seiters [CDU/CSU]: Schon wieder unglaublich!)

    Hier wird ein Finanzplan beschlossen.

    (Jahn [Marburg] [SPD]: Da hört er wieder nicht zu!)

    Gleichzeitig werden milliardenschwere zusätzliche Ausgabenbelastungen in Aussicht gestellt. Im übrigen — das sei nur am Rande vermerkt — : Dieser finanzpolitische Verschiebebahnhof, der alles auf den Herbst verschiebt — wir wissen noch gar nicht, welcher Herbst gemeint ist; Jahreszahlen sind ja nicht angegeben —, macht deutlich, Herr Seiters, wie es um die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit dieser Koalition tatsächlich bestellt ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber auch für weitere Ansprüche an den Bundeshaushalt hat der Bundesfinanzminister in seiner Finanzplanung keine Vorsorge getroffen. Herr Kollege Stoltenberg, Sie wissen doch selbst, daß von der EG
    weitere Belastungen auf den Bundeshaushalt zukommen. Beim letzten Europagipfel hat die Bundesregierung selbst zusätzliche Zahlungen an die EG in Aussicht gestellt.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das macht der Herr Kiechle immer!)

    Allein der deutsche Anteil an den in Brüssel aufgelaufenen Verpflichtungen beläuft sich auf 16 Milliarden DM — keine Mark dafür im Finanzplan.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das ist Stoltenberg!)

    Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben in Ihrer Einbringungsrede darauf hingewiesen, daß Sie zusammen mit dem Bundeshaushalt 1988 dreimal 660 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen im Bereich der Städtebauförderung ausgebracht haben. Ich kann das nur begrüßen. Nur, Herr Kollege Stoltenberg: Wo sind denn die 2 Milliarden DM in die mittelfristige Finanzplanung eingesetzt, wenn diese Verpflichtungsermächtigungen benutzt worden sind und wenn die Rechnungen eingehen? Nicht eine müde Mark haben Sie in Ihren Finanzplan von den von Ihnen selbst gewährten Verpflichtungsermächtigungen eingesetzt. Da kann ich nur sagen: Das ist wirklich eine merkwürdige Finanzpolitik. Da wird der Finanzplan zum Lügenbüchlein der Nation.

    (Beifall bei der SPD — Glos [CDU/CSU] : Ausgerechnet Sie müssen das sagen!)

    Der Bundesfinanzminister hat auch über die finanziellen Nöte der Rentenversicherung gesprochen. Er hat darauf hingewiesen, daß wir mehr Geld zur Sicherung der Rentenversicherung brauchen. Das ist richtig. Aber wir alle wissen doch, der Arbeitsminister weiß doch, daß wir mit großer Wahrscheinlichkeit — nach meiner Überzeugung mit Sicherheit — bereits in dieser Legislaturperiode, in der nächsten Phase des Finanzplans, anfangen müssen, Herr Blüm, Mittel für die Rentenversicherung über das im Finanzplan vorgesehene Maß bis in die Größenordnung von 4 Milliarden DM bereitzustellen. Wo sind denn diese Beträge im Finanzplan eingesetzt? Nicht eine müde Mark. Und was heißt das dann für die Rentenversicherung?

    (Beifall bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: „Null-Lösung " !)

    Im übrigen, wenn ich dann die Kollegin Süssmuth und den Kollegen Blüm sehe, möchte ich auch daran erinnern, daß ihre Wahlversprechen, Verbesserung und Erhöhung des Kindergeldes, Verbesserung des Erziehungsgeldes, Absicherung des Pflegefalls, nicht mit einer einzigen Mark im Finanzplan des Finanzministers vorgesehen sind. Damit sind diese Wahlversprechen bereits heute als Seifenblasen zerplatzt. Sie, Herr Gattermann, haben ja auch bereits gestern deutlich gemacht, daß es dabei bleiben wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, bei den Steuereinnahmen hat Herr Stoltenberg durchgängig bis 1991 ein reales Wachstum von 2,5 % eingesetzt. Ich will mich jetzt gar nicht darüber unterhalten, wie das Wachstum wirklich sein wird. Ich glaube nicht, daß diese optimale Zahl erreichbar sein wird. Wir stützen uns auf das ab, was Sachverständige errechnet haben. Da hat



    Dr. Apel
    das Münchner Ifo-Institut die mittelfristigen Steuerschätzungen sehr detailliert untersucht. Das Ifo-Institut kommt zum Ergebnis — ich zitiere — : Mittelfristige Steuerschätzung — nur Makulatur. —

    (Dr. Vogel [SPD]: Ifo München!)

    Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes ist nach den Feststellungen aus dem Jahre 1968 — die Mifrifi ist ja in der Großen Koalition beschlossen worden — folgendermaßen definiert worden, und diese Definition stammt aus der Feder des damaligen Finanzministers Franz Josef Strauß — ich zitiere — :
    Die mittelfristige Finanzplanung ist ein in Zahlen gekleidetes Regierungsprogramm, in dem die zeitlichen Prioritäten und die politischen Schwerpunkte nach den Vorstellungen der Regierung sichtbar gemacht werden.

    (Dr. Vogel [SPD]: Aha!)

    Meine Damen und Herren, der vorliegende Finanzplan wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Er setzt weder zeitliche Prioritäten noch politische Schwerpunkte. Er sagt nicht die Wahrheit über die tatsächliche Lage der Staatsfinanzen. Er gleicht vielmehr einer Nebelwand auf einem Zahlenfriedhof, auf dem der Finanzminister hilflos umherirrt.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber gerade bei der gegenwärtig labilen Konjunktur — der Bundesfinanzminister hat über diese labile Konjunktur, was die internationalen Aspekte anbelangt, Bemerkungen gemacht, denen wir zustimmen können — kommt es doch darauf an, den wirtschaftlichen Entscheidungsträgern eine verläßliche Orientierung zu geben. Stetigkeit und Vorhersehbarkeit der Finanzpolitik sind heute wichtiger denn je. Deswegen fordern wir Sie in allem Ernste auf: Lassen Sie die Bürger und die Wirtschaft nicht weiter über die wahre Lage der Staatsfinanzen im unklaren! Den Kassensturz, den Sie in Ihrer Koalition für 1989 verabredet haben, brauchen wir jetzt, der ist jetzt fällig. Legen Sie endlich die Bücher offen, damit die deutsche Öffentlichkeit erfährt, was in der Finanzpolitik noch möglich ist!

    (Beifall bei der SPD)

    Angesichts dieser Risiken und der Manipulationen hat auch die im Finanzplan für 1990 vorgesehene Neuverschuldung von 30,9 Milliarden DM überhaupt nichts mit der Wahrheit zu tun. Oder wie wollen Sie eigentlich der Öffentlichkeit folgendes erklären: Der Bundesfinanzminister sagt, im Jahr 1988, also im nächsten Jahr, brauche ich 29,3 Milliarden DM neue Schulden, 1990 brauche ich nur 1,6 Milliarden DM mehr — obwohl er ein Steuerpaket von 40 Milliarden DM zu finanzieren haben wird?

    (Gattermann [FDP]: Weil die Steuereinnahmen um 25 Milliarden DM steigen, Herr Kollege! — Roth [SPD]: Reagan läßt grüßen! Der hat genauso argumentiert!)

    — Dann machen wir es doch lieber so, hochverehrter Herr Kollege, daß wir jemanden als Kronzeugen nehmen, der augenscheinlich besser rechnen kann als Sie, nämlich den Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, der gesagt hat: Diese Zahlen haben mit der Realität nichts zu tun. Es wird eine Neuverschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden — ohne Steuerpaket — von 80 bis 85 Milliarden DM im Jahr 1990 geben.

    (Dr. Vogel [SPD]: So ist es!)

    Dann möchte ich von Ihnen gern die Frage beantwortet haben, wie Sie dann noch die Staatsfinanzen in Ordnung halten wollen.

    (Zurufe von der SPD)

    Nun hat Herr Kollege Stoltenberg, wie immer, wenn man nicht mehr weiterweiß — dafür habe ich durchaus Verständnis —,

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Da haben Sie Erfahrung!)

    einen Ausflug in die Vergangenheit gestartet. Da wollen wir dann über die Vergangenheit reden, und zwar über Ihre Vergangenheit. Die Zahlen, die ich vortrage, können Sie gar nicht bestreiten. Der Bundesfinanzminister hat in den Jahren 1983 bis 1986 bereits Kredite von insgesamt 105 Milliarden DM aufgenommen.

    (Hört! Hört! bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Welche Zinsen haben wir für euch bezahlt?)

    Ohne die Bundesbankgewinne, die in diesem Zeitraum fast 50 Milliarden DM ausmachten, hätte seine Neuverschuldung nicht 105, sondern 155 Milliarden DM betragen.

    (Dr. Olderog [CDU/CSU]: Und die Zinsen für Ihre Schulden!)

    Und nach dem vorliegenden Finanzplan — ich nehme Ihre Zahlen — soll die Neuverschuldung bis 1991 um weitere 140 Milliarden DM steigen.

    (Walter [SPD]: Unglaublich!)

    Dabei haben Sie dann noch einmal fast 30 Milliarden DM Bundesbankgewinne eingestellt.

    (Zuruf von der SPD: Und die Veräußerung von Bundesvermögen!)

    Das heißt, meine sehr geehrten Damen und Herren, unter der Regierung Kohl entsteht in neun Jahren ein Finanzierungsdefizit aus Neuverschuldung und Bundesbankgewinn von insgesamt 322 Milliarden DM.

    (Dr. Vogel [SPD]: Eine Menge Geld!)

    Dieses Defizit ist um 59 Milliarden DM höher als das Gesamtdefizit von 13 Jahren sozialliberaler Koalition. Dem ist dann von uns aus nichts mehr hinzuzufügen.

    (Beifall bei der SPD — Uldall [CDU/CSU]: Wie hoch sind davon die Zinsen für die Schulden, die Sie gemacht haben?)

    Der Bundesfinanzminister, hochverehrter Herr Uldall, hat am 28. Oktober 1984 wörtlich folgenden Lehrsatz verkündet. Er sagte — Originalton Stoltenberg — : „Von einer wirklichen Konsolidierung kann man erst sprechen, wenn die jährliche Neuverschuldung des Bundes ohne Bundesbankgewinn spürbar unter 20 Milliarden DM liegt."

    (Walter [SPD]: Was sagt jetzt die FDP dazu?)




    Dr. Apel
    Die Neuverschuldung des Bundes lag während der Amtszeit des Finanzministers Stoltenberg ohne den Bundesbankgewinn bisher niemals unter 35 Milliarden DM, und sie wird in den nächsten Jahren stets über 35 Milliarden DM liegen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)

    Das heißt: Machen wir etwas, was Sie nicht beanstanden können, messen wir den Bundesfinanzminister mit seinen eigenen Maßstäben, dann hat in seiner Amtszeit zu keinem Zeitpunkt Konsolidierung stattgefunden, und sie wird in der Zukunft auch nicht stattfinden.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: So ist die Wahrheit!)

    Aber das Dramatische ist ja etwas ganz anderes und Zusätzliches.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Sagen Sie mal was zu den Zinsen!)

    Mit ihrer verfehlten Finanzpolitik treibt die Bundesregierung ja auch Länder und Gemeinden in die Verschuldung. Noch vor einem Jahr, meine Damen und Herren von der Koalition — noch vor einem Jahr! —, haben Sie in Ihrem Finanzplan folgendes ausgesagt: 1990 wird die Neuverschuldung von Ländern und Gemeinden zusammen 3,5 Milliarden DM sein. Ein Jahr später sagen Sie — und dies sind geschönte Zahlen — : Nein, die Neuverschuldung von Ländern und Gemeinden wird nicht mehr 3,5 Milliarden DM, sondern 33,6 Milliarden DM betragen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das ist ja unglaublich!)

    Das ist das Zehnfache. Und da sagt der Kollege Stoltenberg, er sehe überhaupt keine Probleme bei den Ländern, er sehe überhaupt keine Probleme bei den Gemeinden.
    Meine Damen und Herren, das Gesamtdefizit von Bund, Ländern und Gemeinden sollte nach der bisherigen Finanzplanung — das ist die Finanzplanung von vor zwölf Monaten — 1990 bei 24,5 Milliarden DM liegen. Nach Ihren neuesten Zahlen wird sie bei 64,5 Milliarden DM liegen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß Ministerpräsident Späth mit 80 bis 85 Milliarden DM rechnet. Wenn wir nur Ihre Zahlen nehmen, ist das innerhalb eines Jahres ein Anstieg der Nettokreditaufnahme für 1990 für Bund, Länder und Gemeinden um 150 %.

    (Zuruf von der SPD: Alles mit der FDP! — Dr. Vogel [SPD]: Lambsdorff immer dabei!)

    Noch eine letzte Zahl. 1990 wird die Staatsverschuldung — Bund, Länder und Gemeinden — nach Ihren Zahlen auf 1 Billion DM steigen.

    (Dr. Scheer [SPD]: Das ist die „Wende"!)

    Das ist gegenüber 1982 eine Zunahme um 400 Milliarden DM oder 65 %.
    Dieser sprunghafte Anstieg der Staatsverschuldung bringt — wir haben das ja heute erlebt — den Bundesfinanzminister nun in erhebliche Begründungszwänge.

    (Uldall [CDU/CSU]: Haben wir Kaputtsparen gemacht?)

    — Wir kommen darauf zurück, Herr Kollege Uldall. — Vor einem Jahr noch hatte der Bundesfinanzminister in Düsseldorf bei der evangelischen Akademie einen Grundsatzvortrag über Nettokreditaufnahme gehalten.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Den sollten Sie mal vollständig zitieren!)

    — O ja, den zitiere ich sehr gerne.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Aber vollständig!)

    Ich bin gerade dabei. Herr Kollege Stoltenberg hat vor einem Jahr folgendes ausgeführt — ich zitiere ihn mit großem Vergnügen — :

    (Dr. Vogel [SPD]: Langsam lesen! — Heiterkeit bei der SPD)

    Unter sozialethischen Gesichtspunkten war diese Politik
    — er meint die Nettokreditaufnahme der sozialliberalen Koalition —
    unverantwortlich geworden. (Beifall bei der CDU/CSU)

    — Klatschen Sie doch nicht zu früh! — Er fährt dann fort:
    Sie diente zu einer immer stärkeren Vorbelastung der Zukunft der Generation unserer Kinder,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Richtig!)

    der empfindlichen Einschränkung ihrer Lebens- und Gestaltungsmöglichkeit.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Alles richtig!)

    — Auch richtig.
    Sie war so eine schwere Verletzung der sittlichen Grundlagen des Generationenvertrages.
    Beifall! Beifall! — Aber, meine Damen und Herren, wie sieht es denn heute — zwölf Monate später — aus? Jetzt müssen Sie wesentlich höhere Finanzierungsdefizite rechtfertigen.

    (von der Wiesche [SPD]: Wo bleibt denn Ihr Klatschen?)

    Sind Ihre Finanzierungsdefizite dann ebenfalls eine schwerwiegende sittliche Verletzung des Generationenvertrages?

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE] — Abg. Glos [CDU/ CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Apel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Nein, danke schön.