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    Plenarprotokoll 11/23 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 23. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 Inhalt: Nachruf auf das frühere Mitglied des Deutschen Bundestages William Borm 1459 A Begrüßung des Vorsitzenden der Zweiten Kammer der Niederländischen Generalstaaten, Dr. Dirk Dolman 1459 B Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Jobst 1459 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/700) in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksache 11/701) Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF 1459D, 1510 B Dr. Apel SPD 1471 C Carstens (Emstek) CDU/CSU 1481 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 1487 B Dr. Weng (Gerlingen) FDP 1491 B Wedemeier, Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen 1494 D, 1517 C Neumann (Bremen) CDU/CSU 1499 D Dr. Struck SPD 1503 B Richter FDP 1506 D Roth (Gießen) CDU/CSU 1507 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 1519 C Sellin GRÜNE 1525 B Glos CDU/CSU 1528 B Roth SPD 1531 C Dr. Haussmann FDP 1536 C Wissmann CDU/CSU 1538 B Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 1540 C Hinsken CDU/CSU 1543 C Schäfer (Offenburg) SPD 1545 D Dr. Laufs CDU/CSU 1549 B Frau Garbe GRÜNE 1552 A Frau Dr. Segall FDP 1554 A Fellner CDU/CSU 1556 B Dr. Töpfer, Bundesminister BMU 1557 B Nächste Sitzung 1561 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 1562* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1459 23. Sitzung Bonn, den 9. September 1987 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 10. 9. Antretter * 11. 9. Frau Beck-Oberdorf 11.9. Frau Beer 9. 9. Frau Blunck * 10. 9. Böhm (Melsungen) ** 11. 9. Büchner (Speyer) * 11.9. Catenhusen 11.9. Duve 9.9. Eigen 11.9. Dr. Feldmann * 11.9. Frau Fischer * 9.9. Großmann 11.9. Dr. Hoffacker 9.9. Hoss 11.9. Irmer 11.9. Jansen 11.9. Jung (Lörrach) 11.9. Lemmrich * 10.9. Maaß 9.9. Frau Matthäus-Maier 9.9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller * 10. 9. Niegel * 11. 9. Oostergetelo 11.9. Poß 9.9. Rawe 11.9. Reddemann ** 11.9. Schäfer (Mainz) 11.9. Dr. Scheer * 11.9. Schmidt (München) ** 11.9. Frau Schmidt (Nürnberg) 11.9. Schröer (Mülheim) 11.9. Dr. Sperling 11.9. Steiner * 9. 9. Tietjen 11.9. Volmer 11.9. Dr. Vondran 10. 9. Dr. von Wartenberg 9.9. Dr. Wieczorek 11. 9. Wieczorek (Duisburg) 11.9. Dr. Wulff * 9.9. Zierer * 9.9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von Dr. Gerhard Stoltenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein zentrales Thema der ernsthaften Debatten in diesen Monaten in der deutschen Öffentlichkeit nicht nur bei Wirtschaftswissenschaftlern, Verbänden, Gewerkschaften, sondern auch bei vielen Bürgern ist ja, welchen Beitrag die Finanzpolitik für wieder verstärktes wirtschaftliches Wachstum, für mehr Wettbewerbsfähigkeit als Voraussetzung für einen anhaltenden und möglichst noch stärkeren Anstieg der Beschäftigung zu leisten vermag. Ich habe in meiner Einbringungsrede versucht, dies sehr ausführlich auch aus der Sicht der Bundesregierung darzustellen und damit auch zu einem Wettbewerb der Ideen, der Argumente, der Alternativen der Opposition einzuladen. Das ist mein Verständnis von parlamentarischer Auseinandersetzung in Verbindung mit einer großen Debatte bei der ersten Lesung des Bundeshaushalts.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es geht um die Frage: Welche nationalen Spielräume haben wir denn auch in der Abwägung der Gesichtspunkte zwischen einer jetzt vorwiegend an Steuersenkung und Steuerreform orientierten Politik oder, wie es die Opposition meint, höheren Ausgaben, konjunkturell stimulierenden Programmen, und was sind die Grenzen der Neuverschuldung in diesem Zusammenhang?
    Ich muß nun sagen, Herr Kollege Apel: Die SPD ist nicht in den Wettbewerb der Ideen, der Argumente und der Alternativen zu diesem zentralen Thema eingetreten; vielleicht wird das im wirtschaftspolitischen Teil der Diskussion noch nachgeholt. Nicht nur ich habe es als enttäuschend empfunden, mit mir viele, wie Sie sich hier dargestellt haben. Sie wiederholen die bekannten Verdrehungen, Verdächtigungen und Entstellungen, weil Sie Ihre Absage an eine Steuersenkung für die arbeitenden Menschen und die Betriebe irgendwo bemänteln und kaschieren müssen, und das alles ist sehr enttäuschend.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Deswegen will ich nach diesem ganzen Arsenal von Verdächtigungen und Unterstellungen noch einmal sagen: Wir sind davon überzeugt, daß wir die Zukunftsprobleme unserer Betriebe und Arbeitsplätze, die Erweiterung des Angebots an bezahlbarer Arbeit nur mit niedrigeren Steuern und einem Abbremsen des in der Vergangenheit zu starken Anstiegs der Lohnnebenkosten meistern können. Das ist eine zentrale These, mit der Sie sich wirklich ernsthafter auseinandersetzen müssen, als Sie das bisher in diesen vielen Stunden getan haben.

    (Roth [SPD]: Setzen Sie sich mal mit den Krankenkassenbeiträgen auseinander! — Dr. Apel [SPD]: Was heißt denn das konkret? Was heißt „Lohnnebenkosten"? Was wollen Sie in der Gesundheitspolitik machen?)

    Das heißt, daß Sie zu dieser Frage überhaupt nicht Stellung genommen haben, obwohl Sie hier eine Stunde lang dahergeredet haben, Herr Apel. Das heißt das in diesem Stand der Diskussion.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Apel [SPD]: Sie sind doch der Minister!)

    Wir haben nichts gehört von Ihnen, Herr Apel, und in einer besonders erstaunlichen Weise von dem Kollegen Struck, als die abgedroschenen Phrasen über angeblich einseitige Verteilung.
    Der Umgang mit der Wahrheit war dabei erneut recht leichtfertig und unbefriedigend. Ich will mich hier ganz höflich ausdrücken. Ich habe mir an Hand Ihrer vorbereiteten Rede, die ich ja im Text habe, Herr Apel, kurz einmal einige Notizen gemacht.

    (Waltemathe [SPD]: Sie sollen doch antworten! Sagen Sie doch mal die Wahrheit!)




    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    — Wissen Sie, Sie können nicht so mit mir verfahren, und so können wir in diesem Hohen Hause überhaupt nicht miteinander umgehen,

    (Waltemathe [SPD]: Fragen unerlaubt!)

    daß ein Redner dem anderen sagt: Nun kommen Sie mal hierher und sagen ja und nein! Das sind volksdemokratische Methoden und keine demokratischen Methoden im frei gewählten Parlament der Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Das ist Ihre Pflicht als Bundesregierung!)

    Ich rate Ihnen wirklich zu einem anderen Stil der politischen Auseinandersetzung.
    Aber ich will mich zur Zeit mit Herrn Apel auseinandersetzen. Herr Kollege Apel hat gesagt: Um 62 % wurden die Arbeitnehmer durch steigende Abgaben und Steuern belastet. Meine Fachleute halten dazu fest: Diese Aussage ist irreführend, denn in diese statistische Zahl sind auch die Arbeitgebersozialbeiträge einbezogen. Also bereiten Sie sich in Zukunft besser vor, Herr Kollege Apel, wenn Sie derartige Ausführungen hier machen wollen!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Apel [SPD]: Sind das Lohnnebenkosten oder nicht?)

    Der Herr Kollege Apel hat, was die Wirkungen der Steuerentlastung betrifft, die wir in Kraft gesetzt haben, erneut mit einem unsauberen Trick gearbeitet. Das ist um so bedauerlicher, als ich ihm dies bereits in der letzten finanzpolitischen Debatte vorhalten mußte. Wenn Sie Entlastungsbeispiele in ihren sozialen Wirkungen bringen, müssen Sie, wenn Sie ernstgenommen werden wollen, natürlich die in einem Konzept erarbeitete und in zwei Stufen in Kraft getretene Steuerreform oder Steuerentlastung, 1986 und 1988, fairerweise in beiden Teilen bewerten.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Auch finanziell!)

    Die Tatsache, daß wir die Entlastung bei den Berufstätigen mit Kindern auf 1986 vorgezogen haben, kann doch nicht, wie Sie das hier tun, unterschlagen werden, wenn wir über die Verteilungswirkung der bisher beschlossenen steuerlichen Maßnahmen ernsthaft und vernünftig miteinander reden wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Kollege Apel, Sie disqualifizieren sich wirklich durch derartige unsaubere Methoden, denn über diese Fragen ist ja nun seit 1985, seitdem wir immer wieder, zunächst in der Gesetzgebung, zuletzt in der Erweiterung der Gesetzgebung durch das Steuererweiterungsentlastungsgesetz 1988, hier debattieren, Stunden um Stunden im Deutschen Bundestag, zum Teil auch in Ihrer Anwesenheit, in Steuerdebatten geredet worden. Wenn Sie jetzt — kurz bevor die Steuerentlastung 1988 in Kraft tritt — wieder mit derartigen verfälschenden Darstellungen kommen, muß ich Ihnen sagen: Es ist eigentlich unter dem Standard, den Sie als langjähriges Mitglied der Bundesregierung auch in der Opposition bewahren sollten.
    Ich habe die Entlastungs-Beispiele hier korrekt vorgetragen. Sie zeigen übrigens, daß die von Ihnen und
    in besonders plumper Weise von Herrn Struck attakkierte Aussage, daß bei den typischen Einkommensbeziehern, im Schnitt eine Entlastung von 1 000 DM zu erwarten ist, zutrifft.

    (Abg. Dr. Apel [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

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    Rede von Dr. Gerhard Stoltenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Nein, Herr Kollege Apel, ich möchte jetzt auch im Zusammenhang reden. Sie haben vorhin auch Zwischenfragen abgelehnt. Ich will jetzt fortfahren.

    (Dr. Apel [SPD]: Wie wäre es denn, wenn Sie uns einmal sagen würden, welche Belastungen auf die Bürger zukommen?)

    — Ich will jetzt fortfahren und Ihnen folgendes sagen: Wir haben über diese Aussage in der von Ihnen, Herr Kollege Struck, kritisierten Wahlzeitung vorher geredet.

    (Dr. Vogel [SPD]: Ist das die vom Gericht verbotene?)

    Der Generalsekretär und seine Mitarbeiter haben mich gefragt: Was ist vertretbar? Ich habe ihnen gesagt: Es ist vertretbar zu schreiben: Im Schnitt erfolgt eine Entlastung um 1 000 DM.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das ist eine Verhöhnung!)

    So stand es, und wenn Sie das Gegenteil behaupten, dann sagen Sie die Unwahrheit, Herr Kollege Struck. Das will ich Ihnen auch einmal sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Im übrigen dürfen Sie anderen nicht plumpe Fälschung vorwerfen, wenn der Text das Gegenteil beweist. Ich habe mir nach Ihrer Attacke noch einmal Seite 18 meiner Rede angesehen: Da ist keine plumpe Fälschung. Ich habe in dem vorliegenden Text, der ja auch zu Protokoll gegeben ist, die Entwicklung der investiven Ausgaben im Bundeshaushalt von 1980 bis 1982 und dann die weitere Entwicklung bis 1988 ganz sauber verglichen. Diese Zahlen sind unbestreitbar. Der Vorwurf der Fälschung richtet sich — —

    (Dr. Vogel [SPD]: Dann haben Sie Bahn und Post nur für sich erwähnt? Das ist der Punkt!)

    — Herr Kollege Vogel, ich habe mich dann in einem zweiten Teil mit Bahn und Post und ihrer Entwicklung auseinandergesetzt. Wenn Sie sagen: Auch schon in unserer Zeit haben diese Investitionen zugenommen, dann ist das eine Ergänzung, die ich akzeptiere,

    (Dr. Vogel [SPD]: Danke schön! Das ist dann die Wahrheit!)

    aber es ist eine schlimme Entgleisung, den korrekten Text als eine plumpe Fälschung zu bezeichnen. Sie sollten nicht so mit uns umgehen, wenn man Sie so schnell widerlegen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    Im übrigen, Herr Kollege Apel, wenn wir schon von plumpen Fälschungen reden, muß ich natürlich auf Ihre Ausführungen auf Seite 13 Ihres Manuskripts zurückkommen. Ich habe nach allem, was Sie im Sommer an Verdächtigungen und falschen Behauptungen über die angeblichen Pläne des Bundesfinanzministers in die Welt gesetzt haben, gedacht: Was trägt der heute davon vor? Nicht vorgetragen haben Sie die unsinnige und wahrheitswidrige Behauptung, ich beabsichtige die Mineralölsteuer um 20 Pfennig zu erhöhen. Das schien Ihnen so absurd, daß Sie das im Deutschen Bundestag nicht gesagt haben, obwohl das in Bremen und Schleswig-Holstein in jedem Flugblatt und in jedem Ortsblatt Ihrer Genossen zur Zeit behauptet wird.

    (Seiters [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    Dies ist unwahr, um das in aller Klarheit zu sagen.

    (Dr. Apel [SPD]: Was ist denn die Wahrheit? Was tun Sie denn nun wirklich, Herr Kollege Stoltenberg? Sagen Sie nun endlich doch die Wahrheit!)

    Eine derartige Erhöhung der Steuer wäre unerträglich. Wir werden sie auch nicht um die 16 Pfennig erhöhen, um die Sie sie erhöht haben, um das auch noch einmal klarzustellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Um wieviel denn?)

    — Nein, ich betreibe zur Zeit Textkritik. Lenken Sie nicht ab!

    (Lachen bei der SPD)

    Sie haben eine Rede gehalten, die im Text vorliegt, und ich setze mich zur Zeit mit Ihren wahrheitswidrigen Behauptungen auseinander.

    (Dr. Apel [SPD]: Wir würden ganz gerne wissen, was Sie wirklich tun! — Dr. Vogel [SPD]: Wieviel denn?)

    — Sie können laut dazwischenrufen, aber ich bleibe bei Ihrem Text, und ich werde darauf antworten, wie das einer guten parlamentarischen Auseinandersetzung entspricht.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Herr Apel, in Ihren Wahlkampfflugblättern — nicht Ihren, sondern in denen Ihrer Partei; Sie sind in Schleswig-Holstein und Bremen sicher nicht dafür verantwortlich, bei Ihnen macht das die Bundesgeschäftsstelle; als heute morgen so pathetisch von der Erneuerung der historischen Baudenkmäler gesprochen wurde, habe ich gedacht, damit sei die Erneuerung Ihrer Baracke gemeint, die, wenn man diese Pamphlete, die bundesweit verteilt werden, sieht, vor allem eine geistige Erneuerung, eine Erziehung zur Wahrheit dringend nötig hat, meine Damen und Herren — ,

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    in diesen Pamphleten, die in den Ländern verteilt werden, in denen Wahlen stattfinden, wird behauptet, der Bundesfinanzminister wolle den Arbeitnehmerfreibetrag abschaffen. Sie sind heute etwas vorsichtiger
    und sprechen von einer Beschneidung. Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Natürlich wissen Sie — —

    (Dr. Apel [SPD]: Was denn nun?)

    — Hören Sie doch zu! Regen Sie sich doch nicht so auf !

    (Dr. Apel [SPD]: Wir regen uns gar nicht auf! Wir wollen die Wahrheit hören, feiner Herr!)

    — Die Hysterie nimmt zu. — „Feiner Herr", wissen Sie, diese Anrede sollten Sie sich nach Ihrer Rede sparen, Herr Kollege Apel; Sie sollten sie sich wirklich sparen — gucken Sie einmal in den Spiegel — nach allem, was Sie hier an Unwahrheiten verbreitet haben.
    Aber lassen Sie mich zur Sache kommen. Sie wissen ganz genau — so gut wie ich — , daß der Arbeitnehmerfreibetrag — ich sage hier: — aus gutem Grund wegen der unterschiedlichen Form der Veranlagung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geschützt ist. Da ich dies weiß, werde ich dem natürlich bei meinen Vorschlägen bei der Bewertung der Bemessungsgrundlage Rechnung tragen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Apel [SPD]: „Rechnung tragen", was heißt denn das?)

    — Ja, selbstverständlich. — Unwahr ist auch, daß ich den Weihnachtsfreibetrag abschaffen will. Unwahr ist, daß ich die volle Besteuerung der Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit empfehlen werde. Damit ist ja — wie ich glaube — einiges Wichtige klargestellt. Vor allem ist klargestellt, daß Sie ohne jeden Anhaltspunkt seit Monaten die deutsche Öffentlichkeit beschwindeln, um aus der Steuersenkungs- eine Steuererhöhungsdiskussion zu machen. Das ist der ganze Sachverhalt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, nun will ich noch einmal die vollkommene Unglaubwürdigkeit Ihrer Darstellung über die soziale Verteilung und die sozialen Wirkungen von Steuersenkungen an einem Beispiel der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland darstellen. Man muß ja das, was Sie hier über angeblich ungerechte soziale Auswirkungen auf die verschiedenen Einkommensgruppen ständig erzählen, einmal mit dem vergleichen, was Sie in Ihrer Steuergesetzgebung selbst gemacht haben. Deswegen habe ich die sachkundigen Mitarbeiter einmal gebeten, mir die Verteilungswirkung der letzten bei einem sozialdemokratischen Bundeskanzler und Finanzminister eingebrachten und vom Bundestag und Bundesrat beschlossenen Steuerentlastung vorzulegen.
    Diese Berechnung ergibt folgendes. Die unter Federführung von Herrn Bundeskanzler Schmidt und Herrn Bundesfinanzminister Matthöfer von der Mehrheit der SPD — damals noch in der alten Koalition mit der FDP — verabschiedete Steuersenkung, 1981 in Kraft getreten, hatte folgende Wirkung: In der Splittingtabelle bei Verheirateten wurde der Arbeitnehmer mit einem zu versteuernden Einkommen von 20 000 DM um 4 DM entlastet und der Steuerbürger mit einem Einkommen von 100 000 DM um 1 844 DM. Das heißt, die Entlastung des Verheirateten mit



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    100 000 DM betrug das 460fache dessen, was derjenige mit einem Einkommen von 20 000 DM an Entlastungswirkung bekam.

    (Stratmann [GRÜNE]: Deswegen sollten Sie doch nicht das gleiche machen!)

    Nun kann man darüber eine fachlich sehr interessante Debatte führen. Es gibt auch ein paar Hinweise, Herr Kollege Apel, wie das gekommen ist. Das ist ganz lohnend; denn dort ist ein Freibetrag von 510 DM/ 1 020 DM mit einbezogen, der 1978 schon einmal als Übergangslösung eingeführt worden war. Aus der Verlängerung der Proportionalzone und einigen anderen Maßnahmen ergibt sich dies. Ich konstatiere das nur. Ich sage Ihnen nur: Wer in seiner eigenen Regierungszeit — Sie waren ja ein jedenfalls damals noch sachkundiges Mitglied der Bundesregierung als langjähriger Finanzminister — im Hinblick auf die massive Progressionsmehrbelastung der mittleren und oberen Einkommensgruppen eine solche Steuergesetzgebung verabschiedet hat, muß doch schamrot werden, wenn er so redet, wie Sie das heute hier wieder im Deutschen Bundestag getan haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es ist doch ein unsagbar peinlicher Sachverhalt. So lange ist das nicht her. Wir reden von dem letzten Gesetz vor dem Regierungswechsel. Natürlich spiegelt sich in solchen Verteilungsrelationen — bei den Ledigen war es nicht das 460fache, aber immerhin das 12fache — wider, daß wir in unserem Steuersystem eine Progressionsbelastung haben, die die mittleren und oberen Einkommensgruppen allmählich wirklich in unerträglicher Weise belastet.

    (Zuruf des Abg. Kleinert [Marburg] [GRÜNE])

    — Wir müssen noch einmal darüber reden, Herr Kollege Kleinert, wer die sogenannten gehobenen Einkommensgruppen eigentlich sind.

    (Waltemathe [SPD]: Aber auch, wie es finanziert wird!)

    Ich bekomme — es ist sicher meinen Vorgängern genauso gegangen — eine Fülle an Briefen von Steuerzahlern, von berufstätigen Menschen aus allen Berufsgruppen, die sich bitter über die Wirkungen der Progression bei steigenden Einkommen beklagen, der Steuerprogression und natürlich der steigenden Sozialversicherungsbeiträge. Ich habe vor einigen Tagen nach der fachlichen Bewertung durch die Mitarbeiter den Brief einer berufstätigen Frau aus Niedersachsen sehr aufmerksam gelesen. Sie schreibt folgendes: Nachdem sie drei Kinder erzogen hat, ist sie mit Ende 40 wieder in den Beruf zurückgekehrt. Wir wünschen ja alle miteinander, daß Frauen die Chance haben, nach einer Zeit der Kindererziehung, in der sie berufliche Dinge zurückstellen mußten, wieder in den Beruf zurückzukehren.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Richtig!)

    Sie verdient jetzt nach dem Wiedereinstieg in den Beruf rund 35 000 DM im Jahr. Sie hat einen Ehemann mit einem Einkommen von 65 000 DM. Das kann man als gehobenes Einkommen bezeichnen, aber nicht als ein sehr hohes Einkommen.
    Wenn man heute von Arbeitnehmern redet, muß man einmal zur Kenntnis nehmen, daß heutzutage das Durchschnittseinkommen eines Facharbeiters in der Mineralölindustrie bei 65 000 DM liegt.

    (Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

    — Ich sage Ihnen das an Hand der Steuerstatistik. Bevor Sie lachen, machen Sie sich mal mit den konkreten Einkommen bestimmter Arbeitnehmergruppen nach der Steuerstatistik vertraut. Es ist doch lächerlich, über eine statistische Zahl zu streiten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das Durchschnittseinkommen der Angestellten im Bergbau liegt bei 64 000 DM. Ich beziehe mich auf die amtlichen Unterlagen der Steuerverwaltungen der Länder. Ich sage hier doch nichts in den blauen Dunst hinein.

    (Zuruf des Abg. Stratmann [GRÜNE])

    Die beiden erwähnten Personen zusammen verdienen mit dem einen unterdurchschnittlichen Einkommen — das Durchschnittseinkommen liegt über 35 000 DM — und dem anderen überdurchschnittlichen Einkommen rund 100 000 DM. Sind es damit die Besserverdienenden und Reichen, die stärker zur Ader gelassen werden müssen? Nach meiner Überzeugung nicht, meine Damen und Herren. Ein Angestellter im Bergbau mit einem Durchschnittseinkommen, der verheiratet ist mit einer Facharbeiterin in der Chemieindustrie, hat ein steuerpflichtiges Familieneinkommen von über 100 000 DM. Ich sage Ihnen das, um Ihnen nach Ihrem absurden Gelächter hier eine Auskunft zu geben. Sie reden fernab der Wirklichkeit,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    als ob wir bei Arbeitnehmereinkommen heute nur noch von armen Leuten reden. Das war die Wirklichkeit des 19. Jahrhunderts, aber es ist nicht die Wirklichkeit des Jahres 1984 oder des Jahres 1987.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Der Durchschnittslohn liegt bei 2 800 DM im Monat!)

    Meine Damen und Herren, ich habe heute morgen schon gesagt: Wir müssen diejenigen sehen, die arbeiten und 20 000 DM oder 25 000 DM verdienen, wir müssen aber auch, wenn wir über Arbeitnehmer und Berufstätige reden, diejenigen sehen, die sich in den eben genannten Einkommensgruppen befinden.
    Wenn sich durch die zunehmende Berufstätigkeit der Frau, die ja von der Sozialdemokratischen Partei verbal immer wieder besonders gewünscht und gefördert wird, Familieneinkommen in dieser Größenordnung ergeben, dann ist das kein Grund, sie als Reiche zu diffamieren, die stärker belastet werden müssen, wie das einige von Ihnen tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Diese erwähnte Frau schrieb mir folgendes. Durch eine Neubewertung des Arbeitsplatzes verdient sie im Jahr 1 200 DM mehr. Bei der Auszahlung des ersten Monatslohns stellte sie fest, daß sich bei diesen zusätzlichen 100 DM im Monat Abzüge für die Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 107 DM ergaben. Das ergab sich durch das Splitting mit dem Ehegatten, der ein höheres Einkommen hat.



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    Da sie die Unterlagen beigefügt hat, konnte sie das beweisen. Ich habe das einmal prüfen lassen. Die Prüfung ergab: Das ist im Prinzip richtig und entspricht der Anwendung des Gesetzes, aber sie wird sicher im Rahmen des Lohnsteuerjahresausgleichs eine gewisse Summe der zusätzlichen 65 DM Lohnsteuer — das andere waren Sozialversicherungsbeiträge — zurückbekommen.
    Ich schildere Ihnen das als Beispiel aus der Praxis. Ich sage noch einmal: Das sind keine Beispiele von Mitbürgern, die man als die Reichen bezeichnen kann. Es handelt sich um typische arbeitende Menschen, um ein Ehepaar in qualifizierten Tätigkeiten, wie viele, viele Millionen unseres Volkes.
    Wenn wir einmal von der Polemik Abstand nehmen, müssen Sie erkennen, daß solche Erfahrungen und Beispiele für uns ein entscheidender Grund für die Aussage sind: Wir müssen die Menschen, die mit ihrer Arbeitsleistung die wirtschaftliche Zukunft, die Staatseinnahmen und auch die sozialen Leistungen für die Alten und Behinderten sichern, besser behandeln. Wir können sie nicht weiter so behandeln, wie das in solchen Beispielen sichtbar wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das ist der Punkt, sehr geehrter Herr Kollege Apel. Ich sage das, damit Sie einmal die Motive verstehen, aus denen heraus wir zu unterschiedlichen Folgerungen kommen.
    Von meinem familiären Hintergrund und meinem persönlichen Werdegang her bin ich eigentlich vollkommen unverdächtig, ein besonderer Anwalt der sogenannten Reichen hier zu sein. Aber das kann ja ein Klassenkampfvorurteil sein, von dem einige nicht herunterkommen.
    Herr Kollege Apel, Sie haben auch die Unwahrheit gesagt bei dem Versuch, meine Aussagen zu der Auseinandersetzung mit der Regierung von Nordrhein-Westfalen über die Kohleförderung richtigzustellen. Ich habe nach Ihren Ausführungen zum zweiten Mal im Protokoll des Bundesrates vom 10. Juli nachgelesen. Da Sie wenig Zeit hatten, hatten Sie offenbar keine Gelegenheit, dies selbst zu tun. Das Protokoll der Bundesratssitzung vom 10. Juli — ich zitiere aus den Ausführungen von Minister Diether Posser — zeigt, daß es ihm nicht darum ging — wie Sie unterstellt haben — , daß die Kohlelasten beim Länderfinanzausgleich berücksichtigt werden. Ich zitiere einmal einen Satz aus der Rede von Herrn Posser mit Genehmigung des Präsidenten. Herr Posser hat gesagt:
    Es geht ja nun wirklich nicht an, daß, wie in der Vergangenheit geschehen, die Bundesregierung das Land Nordrhein-Westfalen darauf verweist, seine Kohlelasten im Länderfinanzausgleich refinanzieren zu lassen.
    Es geht nicht an, hat er gesagt. Sie haben das Gegenteil unterstellt. Nein, er hat gesagt: Eine solche Sonderlast, wie wir sie haben, trägt kein Land. Er hat die Forderung vertreten, daß die Last Nordrhein-Westfalens für die Kohle drastisch verringert wird und der Bund einspringt.
    Daß das keine einmalige Haltung ist, hat uns der Herr Bürgermeister Wedemeier eine Stunde später demonstriert. Er erklärt hier schlicht und ergreifend: Ihr tut nicht genug für die Küste, ihr tut nicht genug für den Schiffbau. Dann sagt er aber: Jede Form der Mitfinanzierung, wie der Bund sie verlangt hat — also daß wir, das Land Bremen, uns beteiligen — , ist unzumutbar. — Das sind mir schöne souveräne Bundesländer, meine Damen und Herren. Das ist wirklich schon fabelhaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich komme auf Herrn Wedemeier noch einmal in einem anderen Zusammenhang zu sprechen.
    Ich will aber zunächst einmal auf die mittelfristige Finanzplanung und Ihre Kritik, Herr Apel, eingehen. Wir können nicht — lassen Sie mich das allgemein sagen — in die mittelfristige Finanzplanung konkrete Beträge einsetzen für Bereiche, in denen nicht konkret politisch entschieden wurde. Die Koalition beabsichtigt zur Halbzeit, den Spielraum für Leistungsgesetze auszumessen. Sie hat mit meiner ausdrücklichen Zustimmung gesagt, daß es dann in erster Linie um einen Spielraum für Familienpolitik, Kindergeld, und Erziehungsgeld geht. Aber solange wir das nicht konkretisiert haben, setzen wir dafür keine Mittel ein.
    Genauso klar sage ich, daß es bei der Position der Bundesregierung bleibt, daß der Bund nicht für die notwendige Verbesserung von finanziellen Leistungen, die wir für den Bereich der häuslichen Pflege in Aussicht genommen haben, in Anspruch genommen werden kann. Ich sage das nur, weil Sie uns da auch einen Vorwurf gemacht haben. Dies wird anders geregelt werden müssen.
    Wir müssen, wie ich das eben am Beispiel von Werften, Kohle und Strukturpolitik gesagt habe, auch im Bereich der Sozialpolitik zu einer sachgerechten Zuordnung verschiedener sozialer Leistungsbereiche auf Bund, Länder, Gemeinden und in diesem Falle gegebenenfalls auch auf das Versicherungssystem kommen. Insofern ist Ihre Kritik an der mittelfristigen Finanzplanung — ich will es kurz machen — im Kern unberechtigt.
    Nun, Herr Kollege Apel, haben Sie eine, wie ich glaube, nicht zulässige Rechnung hier zu der Frage der Finanzierungssalden des öffentlichen Haushalts vorgetragen. Sie addieren Zahlen von 1970 bis 1982 — wir haben das gehört — , und leiten daraus Folgerungen, Vermutungen her, daß wir in neun Jahren mehr Schulden machen würden als Sie in der vergleichbaren Zeit. Sie wissen doch ganz genau, daß solche Rechnungen zutiefst fragwürdig sind. Sie dürfen nicht außer acht lassen, wie sich das Bruttosozialprodukt, die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes entwickelt hat. 1970, das war das Ausgangsjahr unserer beiden Beiträge, hatten wir ein Bruttosozialprodukt, also eine volkswirtschaftliche Leistung von 675 Milliarden DM. Zur Zeit des Regierungswechsels waren das 1 597 Milliarden DM als jährliche volkswirtschaftliche Leistung unseres Landes. Wir kommen nach unserer Vermutung im nächsten Jahr auf 2 116 Milliarden DM. Wir brauchen uns jetzt nicht über einen Grenzbetrag zu streiten, die Größenordnungen sind klar, auch in der Prognose für 1988. Das heißt doch: Unsere volkswirtschaftliche Leistung, un-



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    ser Bruttosozialprodukt wird 1988 deutlich mehr als dreimal so hoch sein wie 1970.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Das sind doch fiktive Rechnungen!)

    Bei allem Verständnis für kritische Hinweise, daß die Verschuldung nicht wieder zu stark ansteigen darf — das ist ein Punkt, über den wir sachlich diskutieren können — , ist es unzulässig, jetzt in dieser Art mit Verschuldenssummen umzugehen.
    Ich will Ihnen einmal die dazu gehörenden Zahlen nennen: 1970 gab es im öffentlichen Gesamthaushalt von Bund, Ländern und Gemeinden einen Fehlbetrag — kreditfinanziert — von 1,2 % des Bruttosozialprodukts. 1974 waren es 2,8 %, 1975 6,2 %. Er ist dann in der Tat — auch durch einige Kürzungen, die damals beschlossen wurde, und durch eine vorübergehend wieder verbesserte Wirtschaftslage — 1977 auf 2,6 To zurückgegangen. Er stieg aber schon vor der Rezession 1980 wieder auf 3,7 % und erreichte 1981 seinen Höhepunkt mit 4,9 %. Jetzt sind wir — ich habe das in meiner Haushaltsrede gesagt — bei 2,2 %. Diesen Prozentsatz legen wir in unserer Prognose für Bund, Länder und Gemeinden auch für 1988 zugrunde. Und in der Tat: Die Steuerreform bedeutet, daß wir noch einmal an knapp 3 % herankommen. Aber diese Zahlenreihe zeigt doch auch, daß Sie, gemessen an der Bilanz Ihrer eigenen Regierungszeit, überhaupt nicht das Recht haben, sich hier hinsichtlich eines „Zusammenbruchs" der Finanzpolitik derart dramatisch aufzuführen, wie Sie das heute morgen versucht haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Zahlen geben das überhaupt nicht her. Wenn wir einmal — und das sollten wir auch vor wichtigen Landtagswahlen tun — ernsthaft reden, dann kann man eine Güterabwägung vornehmen. Ich bin mir der Probleme eines vorübergehenden Anstiegs der Neuverschuldung sehr wohl bewußt. Da gibt's eine Menge, was zu bedenken ist. Nur paßt das natürlich auch nicht — Herr Kollege Roth hat das ja mit einem Satz gesagt — in Ihr jahrelanges Warnen vorm „Kaputtsparen" . Ja, wenn wir den Anstieg der Ausgaben in diesen vier Jahren nicht bei 1,7 % gehalten hätten, dann hätten wir nicht die Zurückführung der Neuverschuldung. Und Sie haben uns doch Jahr für Jahr wegen einer überzogenen Spar-, Einsparpolitik kritisiert.

    (Roth [SPD]: Bei Investitionen!)

    Und jetzt wechseln Sie die Kleider und erklären, wir seien die großen Schuldenmacher, weil wir die Steuersenkung durchführen wollen. Das ist doch nicht ernst zu nehmen. Sie müssen diesen Wechsel doch zumindest begründen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Wer wechselt denn die Kleider?)

    Meine Damen und Herren, nun will ich nur noch etwas zu den von Ihnen bezweifelten oder grundlegend kritisierten wirtschaftlichen Annahmen für die kommenden Jahre sagen. Das wird jetzt in der wirtschaftspolitischen Debatte ja auch sicher eine erhebliche Rolle spielen. Unsere Einschätzung, daß die genannten Zahlen realisierbar sind — mit einigen Unwägbarkeiten wie in jeder wirtschaftlichen Projektion; ich habe ja auf internationale Probleme hingewiesen — , wird durch sehr eindrucksvolle Ausführungen bedeutender, unabhängiger Autoritäten immer wieder bestärkt. Ich habe gerade heute morgen noch einmal ein bedeutendes, interessantes Interview des hoch angesehenen Vizepräsidenten der Bundesbank, Helmut Schlesinger, gelesen.

    (Zurufe von der SPD)

    — Helmut Schlesinger ist ein Mann, den Sie ernst nehmen sollten, Herr Roth.

    (Roth [SPD]: Ich weiß nur, wo er politisch steht!)

    — Nein, der ist genau wie der Präsident der Bundesbank, Karl Otto Pöhl, ein unabhängiger Mann.

    (Roth [SPD]: Den zitieren Sie leider nicht!)

    Ich habe ja bei meinem Vorschlag, den Präsidenten der Bundesbank, Karl Otto Pöhl, wieder zu berufen, im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler und der Bundesregierung auch klargemacht, daß wir hier keine parteipolitischen Blickverengungen haben,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    sondern daß wir auch namhafte, in ihrer Unabhängigkeit erprobte Persönlichkeiten, die nun einmal das Mitgliedsbuch der SPD haben, für solche Spitzenaufgaben wieder vorschlagen, wenn sie sich bewährt haben. Also, dieselbe Fairneß sollten Sie gegenüber dem
    — übrigens parteilosen — Vizepräsidenten der Bundesbank auch walten lassen. Dies sage ich hier, weil ja Ihr Zwischenruf in das Protokoll, in das amtliche Protokoll kommt. —

    (Beifall bei der CDU/CSU) Helmut Schlesinger sagt:

    Wir können heute sagen, daß wir uns in einer moderaten, aber im Prinzip befriedigenden Aufwärtsentwicklung befinden, also in einer Aufwärtsentwicklung ohne Boom-Charakter, aber durchaus in dem Sinne befriedigend, daß es eigentlich in den meisten Bereichen der Wirtschaft weiterhin nach oben geht.
    Und zu unserer Streitfrage hier, dem wirklich sachlichen Streitthema, wenn wir den ganzen polemischen Rankenbereich einmal ausklammern, sagt er dann:
    1988 haben wir eine zweite Steuersenkung. Damit ist zwar eine Ausweitung des Defizits verbunden, aber wie schon angedeutet paßt das nach meinem Dafürhalten durchaus in die Landschaft: binnenwirtschaftlich, kapitalmarktpolitisch und insbesondere im Hinblick auf unsere außenwirtschaftlichen Überschüsse.
    Er spricht dann in Verbindung mit 1990 davon, daß dann einige Probleme entstehen, die ernster genommen werden müssen. Aber dieser Kernsatz ist wichtig. Und in diesem Hinweis auf die außenwirtschaftlichen Überschüsse stimmt er mit Helmut Schmidt überein, den ich ja mit seinem Interview in der „Financial Times" als einen Befürworter deutlicher Steuersenkungen zitiert habe. Es ist interessant, daß keiner von



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    Ihren Rednern darauf eingegangen ist. Der wird hier allmählich so zur Unfigur, wenn wir im Bundestag ernsthaft miteinander reden.
    Ich will Herrn Kollegen Wedemeier abschließend noch einmal sagen, daß er — ich stimme Herrn Kollegen Neumann da zu — dem Land Bremen und seinem Senat durch die Art, wie er gegen uns polemisiert hat, nach meiner Überzeugung hier keinen guten Dienst erwiesen hat.

    (Waltemathe [SPD]: Das entscheiden Sie? — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Ach, wissen Sie, wenn wir hier so heftig angegriffen wurden, auch von Herrn Wedemeier, dann dürfen wir doch wohl in gemessener Form unsere Beurteilung über diese Rede abgeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wo kommen wir denn sonst hin?


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Unruh [GRÜNE]: Wir leben in der Demokratie und nicht in der Diktatur! So etwas sollten Sie nicht sagen! So geht es doch nicht!)

    „Vernachlässigung Norddeutschlands" ist nicht eine zutreffende Beschreibung unserer Politik. Es ist auch nicht richtig, daß wir seit 1982 im Gesamttrend die Mittel gekürzt haben. Mein Kollege und Freund Bernd Neumann hat das anhand einiger Zahlen korrigiert.
    Wissen Sie: Wir sind ja nicht empfindlich.

    (Lachen bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

    Aber der Kollege Bangemann und ich haben uns mit großem Nachdruck dafür eingesetzt, daß Bremen zum ersten Mal in die Gemeinschaftsaufgabe kam — gegen manche Widerstände. Das haben unsere sozialdemokratischen Vorgänger nie getan. Herr Koschnick hat sich oft bemüht. Er hat immer eine Abfuhr bei den Genossen in Bonn bekommen.

    (Koschnick [SPD]: Oh Gott! — Dr. Vogel [SPD]: Mir kommen die Tränen!)

    Ich habe den Gesetzesvorschlag eingebracht und auch in Gesprächen mit vielen Ministerpräsidenten vorbereitet und unterstützt, daß Bremen zum ersten Mal in die Bundesergänzungszuweisung gekommen ist.

    (Dr. Apel [SPD]: Karlsruhe hat Sie dazu zwingen müssen!)

    Wir haben in anderen Bereichen von der regionalen Wirtschaftsförderung bis zum Hochschulbau die von den Sozialdemokraten vor 1982 drastisch gekürzten Mittel wieder erhöht. Wir erwarten ja gar keine Dankadressen. Aber Sie müssen in der Art, wie Sie uns wenige Tage vor Ihrer Wahl hier massiv kritisch ansprechen, überlegen, ob das wirklich überzeugend ist und künftigen Perspektiven dient.

    (Zurufe von der SPD: Aha!)

    Ich will natürlich auch sagen — das hat ja Herr Neumann hier schon erwähnt — : Die ersten Reaktionen auf meine Vorschläge zum Länderfinanzausgleich für
    Bremen waren ja trotz einiger offener Wünsche — natürlich haben Sie einige offene Wünsche und Forderungen — viel positiver als das, was Sie hier im Deutschen Bundestag gesagt haben.
    Mich stimmt das alles sehr nachdenklich, was Sie da machen. Man kann ja darüber streiten, ob die Abgeltung der Hafenlasten verdreifacht oder vervierfacht werden soll. Nur, dies ist die erste Bundesregierung, die mit einer Initiative des Bundesfinanzministers nach Jahrzehnten vorschlägt, daß der Betrag immerhin verdreifacht wird.

    (Zurufe von der SPD: Karlsruhe!)

    Da können Sie ja sagen: Wir möchten ihn gern vervierfachen oder verfünffachen. Aber nach diesen Leistungen für Bremen uns hier anzugreifen, wir würden das Land vernachlässigen, ist wirklich absurd und nach meiner Meinung auch nicht eine kluge Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Ihr habt den Prozeß in Karlsruhe verloren!)

    Herr Kollege Wedemeier, ich muß es auch zurückweisen, wenn Sie es für richtig halten, meine Gespräche mit der schleswig-holsteinischen Landesregierung hier falsch darzustellen. Ich finde das eigentlich sehr erstaunlich.

    (Zurufe der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Ich habe noch einmal in meinem Kalender auch die Termine nachgeguckt. Bevor ich auf einer Pressekonferenz Anfang August bekanntgab, daß jetzt die neuen Richtlinien für eine zielgerechtere und wirksamere Schiffbau- und Schiffahrtsförderung in Kraft gesetzt werden können, weil ein Bundesland — Schleswig-Holstein — mitmacht, habe ich dies natürlich mit meinen Freunden in der schleswig-holsteinischen Landesregierung abgestimmt. Wie kommen Sie eigentlich dazu, das Gegenteil zu behaupten? Sie sind doch nicht dabei, wenn ich mit Herrn Barschel oder den anderen Freunden in Kiel spreche. Sie gehen hier Gerüchten nach und benutzen den Deutschen Bundestag als Forum, eine wahrheitswidrige Behauptung über meine Gespräche mit meinen Freunden in Kiel aufzustellen. Ich bitte Sie, das wirklich zu unterlassen. Das ist ein ungewöhnlich schlechter Stil. Das muß ich hier sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Ganz schlechter Stil! — Frau Unruh [GRÜNE]: Warum steht das denn in der Zeitung?)

    Ich will auch hinzufügen, daß es Gründe gab, das damals zu tun. Und die lagen nicht im Landtagswahltermin. Die Gründe, dies zu tun, lagen darin:

    (Zuruf der Abg. Frau Unruh [GRÜNE] und Zuruf des Abg. Dr. Struck [SPD])

    — Sie können ja gar nicht, Herr Struck, solchen Gründen sehr gut folgen. — Die Gründe will ich Ihnen sagen. Sie lagen darin, daß auch mir sehr wohl bekannt war, daß einige große deutsche Reedereien wichtige Aufträge — es gibt nicht mehr viele; das ist wahr — in den nächsten Wochen vergeben würden. Und wenn wir nicht in einem gewissen Wettbewerb gegen die Zeit und natürlich gegen Ihr Widerstreben



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    dies Anfang August bekanntgegeben hätten, wären die Aufträge, die jetzt an deutsche Werften — in diesem Fall nach Kiel und Lübeck — gegangen sind — es hätten ja auch Bremer Werften sein können — , nach Asien gegangen. Ich könnte Ihnen, weil ich mich dieser Dinge sehr ernsthaft annehme, sagen, wie die Konkurrenzangebote aus Asien waren. Ich habe heute morgen hervorgehoben: Wir — auch die SPD — müssen nun einmal ernst nehmen, daß heute die Schiffbauer aus der Volksrepublik China, aus Südkorea, Taiwan und Brasilien zu 35, 40, 45 % der Kosten unserer deutschen Werften in Hamburg, Bremen, Kiel und Emden anbieten. Da kann man sich vorstellen, wie leicht die Aufträge in diese Länder gegangen wären. Das war der entscheidende Grund.

    (Uldall [CDU/CSU] : Das war ein Befreiungsschlag für die Küste!)

    Auf Grund der im letzten Jahr erteilten Aufträge — wo der Bundeskanzler selbst, ich und andere sich eingesetzt haben — aus Amerika hat ja schließlich auch Bremen im Anschluß an die ersten AKP-Aufträge seine Weilten erfreulicherweise — mit Hilfe des Landes — auch noch beschäftigen können. Ich bin aber der Meinung, daß eine abgestimmte Schiffbauförderung viel vernünftiger ist.
    Ich will jetzt aus Zeitgründen keine kritischen Bemerkungen über die Bremer Politik und die Finanzpolitik der 70er Jahre machen. Herr Neumann hat das getan. Sie haben eben, Herr Kollege Koschnick — ich sage das vollkommen unpolemisch — —

    (Lachen bei der SPD)

    — Ja, vollkommen unpolemisch, auch im Hinblick auf eine persönlich immer ordentliche Zusammenarbeit während vieler Jahre im Kreis der Regierungschefs. — Sie haben in Bremen bestimmte Entscheidungen getroffen, deren Folgen Sie tragen müssen. Ich habe immer einen Zweifel daran gehabt, ob sich Bremen mit dieser Universitätsgründung nicht übernommen hat. Ich rede jetzt gar nicht über die innere Entwicklung der Universität, ich rede nur über die gewaltigen Kosten. Sie können einen anderen Standpunkt vertreten. Nur, wenn ein Bundesland mit 650 000 Einwohnern ein so ehrgeiziges und kostspieliges Universitätsprojekt verwirklicht hat — aus Gründen, die Sie vertreten — , darf man nachher nicht nach Bonn gehen und den Bund anklagen, wenn man mit seinen Finanzen in Schwierigkeiten kommt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Föderalismus ist ein entscheidendes Stück Eigenverantwortung. Diese Bundesregierung hat die Leistungen im Rahmen ihrer Ausgleichsfunktion zugunsten der strukturschwächeren und finanzschwächeren Regionen gegenüber den vorhergehenden Jahren erheblich gesteigert. Wir können hier den sachlichen Wettbewerb der Ideen bestehen — vor und nach Wahlzeiten. Ich bin überzeugt, daß die Argumente, die wir für unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik vortragen, von den meisten Menschen verstanden werden.
    Schönen Dank.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)