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    Plenarprotokoll 11/23 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 23. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 Inhalt: Nachruf auf das frühere Mitglied des Deutschen Bundestages William Borm 1459 A Begrüßung des Vorsitzenden der Zweiten Kammer der Niederländischen Generalstaaten, Dr. Dirk Dolman 1459 B Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Jobst 1459 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/700) in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksache 11/701) Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF 1459D, 1510 B Dr. Apel SPD 1471 C Carstens (Emstek) CDU/CSU 1481 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 1487 B Dr. Weng (Gerlingen) FDP 1491 B Wedemeier, Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen 1494 D, 1517 C Neumann (Bremen) CDU/CSU 1499 D Dr. Struck SPD 1503 B Richter FDP 1506 D Roth (Gießen) CDU/CSU 1507 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 1519 C Sellin GRÜNE 1525 B Glos CDU/CSU 1528 B Roth SPD 1531 C Dr. Haussmann FDP 1536 C Wissmann CDU/CSU 1538 B Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 1540 C Hinsken CDU/CSU 1543 C Schäfer (Offenburg) SPD 1545 D Dr. Laufs CDU/CSU 1549 B Frau Garbe GRÜNE 1552 A Frau Dr. Segall FDP 1554 A Fellner CDU/CSU 1556 B Dr. Töpfer, Bundesminister BMU 1557 B Nächste Sitzung 1561 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 1562* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1459 23. Sitzung Bonn, den 9. September 1987 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 10. 9. Antretter * 11. 9. Frau Beck-Oberdorf 11.9. Frau Beer 9. 9. Frau Blunck * 10. 9. Böhm (Melsungen) ** 11. 9. Büchner (Speyer) * 11.9. Catenhusen 11.9. Duve 9.9. Eigen 11.9. Dr. Feldmann * 11.9. Frau Fischer * 9.9. Großmann 11.9. Dr. Hoffacker 9.9. Hoss 11.9. Irmer 11.9. Jansen 11.9. Jung (Lörrach) 11.9. Lemmrich * 10.9. Maaß 9.9. Frau Matthäus-Maier 9.9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller * 10. 9. Niegel * 11. 9. Oostergetelo 11.9. Poß 9.9. Rawe 11.9. Reddemann ** 11.9. Schäfer (Mainz) 11.9. Dr. Scheer * 11.9. Schmidt (München) ** 11.9. Frau Schmidt (Nürnberg) 11.9. Schröer (Mülheim) 11.9. Dr. Sperling 11.9. Steiner * 9. 9. Tietjen 11.9. Volmer 11.9. Dr. Vondran 10. 9. Dr. von Wartenberg 9.9. Dr. Wieczorek 11. 9. Wieczorek (Duisburg) 11.9. Dr. Wulff * 9.9. Zierer * 9.9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von Wolfgang Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Im Moment nicht. — Als er 1984 sein Amt antrat, war keine Situation gegeben, die einen verlocken müßte, Wirtschaftsminister zu werden. Das Erbe von Graf Lambsdorff und den anderen FDP-Ministern, die seit 1974 dieses Amt ja innegehabt haben — was inzwischen verdrängt wird — , war nicht ganz einfach. Die Massenarbeitslosigkeit betraf schon über zwei Millionen Menschen. Die Stahlkrise schwelte. Wir haben damals darauf hingewiesen: Sie bricht bei der ersten leichten Rezession wieder aus. Die Absatzprobleme im Steinkohlebergbau waren vorhersehbar. Die Bauwirtschaft war 1984 in einer tiefen Krise. Sie hat sich heute noch nicht herausbewegt. Die Werftindustrie stand vor dem Ruin; inzwischen ist er zum Teil eingetreten. Die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik zwischen solchen Regionen, denen es gutging, und anderen, denen es schlechtgegangen ist, hatten sich dramatisch auseinanderentwickelt. Es gab in der Bundesrepublik Deutschland erneut einen Konzentrations- und Zentralisationsprozeß, der viele Bereiche in der Wirtschaft mit weniger Wettbewerb ausstattete. Es gab auch zuviel Einfluß der Großbanken. Meine Damen und Herren, das alles war nicht einfach.
    Aber lassen Sie jetzt noch einmal diese Aufgabenstellung an sich vorbei passieren. Jetzt fragen Sie sich, zu was und mit welchen Argumenten Bangemann heute hier geredet hat. Hat er zu diesen Problemen irgendeine präzise Auskunft gegeben oder eine Antwort formuliert?

    (Dr. Haussmann [FDP]: Ja!)

    Massenarbeitslosigkeit? Wie geht es mit der Kohle weiter? Was ist mit der Stahlindustrie? Was ist mit den Werften? Wie bekommen wir das Auseinanderlaufen der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik in den Griff? Hat er dazu einen neuen Gedanken vorgetragen?

    (Zander [SPD]: Er hat nur gesagt: Löhne runter!)




    Roth
    Ich habe nichts gehört.
    Meine Damen und Herren, der derzeitige Wirtschaftsminister ist nicht in der Lage, dieses Amt in der Tradition weiterzuführen, in der es geführt worden ist. Da schließe ich nun auf der anderen Seite Lambsdorff mit ein. Man könnte über Lambsdorff vieles reden. Ich habe mich vielleicht mehr als alle anderen hier im Hause über ihn geärgert, aber eine Fachkompetenz konnte man ihm nicht ganz abstreiten.

    (Grünbeck [FDP]: Herr Oberlehrer, vielen Dank!)

    — Herr Grünbeck, das empfinde ich nicht nur so.
    Ich gehe einmal her und zitiere ein ausländisches Organ zu diesem Thema: „Wall Street Journal". Das ist ein Lieblingsorgan gerade vom Herrn Haussmann. Er rührt sich.

    (Dr. Haussmann [FDP]: Dann auf englisch!)

    — Ich übersetze für Sie, Herr Haussmann. — Die Journalisten des „Wall Street Journal" schreiben, sie würden mit Verwunderung konstatieren, daß Bonn seine ökonomische Führungsrolle in Europa leugne, obwohl die Bundesrepublik doch die führende Wirtschaftsmacht in Europa sei.

    (Zuruf von der FDP: Dank der Wende!)

    Die Voraussetzungen sind also nicht so schlecht, aber es wird nicht wahrgenommen.
    Der Bundeskanzler hat dieses rosa Finanzblatt, „Financial Times", London, hier hin und wieder zitiert; er dachte: zustimmend für sich. Zitat vom 20. Juli dieses Jahres:
    Schlaffes Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit, hohe Steuern, schwache Geschäftsinvestitionen, rigide Märkte und hohe öffentliche Subventionen, das sind die Hauptmerkmale der westdeutschen Wirtschaft in den späten 80er Jahren und einige der Gründe, warum das einstige Wirtschaftswunderland nicht länger wert ist, als Modell zu gelten für den Rest Europas.

    (Dr. Haussmann [FDP]: Richtig! Deshalb Steuersenkungen!)

    Der Herr Haussmann hat gerade „Richtig" dazwischengerufen: 14 Jahre Wirtschaftsminister aus der FDP und dann dieses Urteil im wichtigsten Wirtschaftsblatt Europas; das findet er richtig. Das ist seine Sache.
    Das heißt, die Wirtschaftspolitik ist orientierungslos geworden. Das gilt übrigens, Herr Haussmann, gerade in dem Bereich, den Sie und Herr Grünbeck immer beschworen haben, nämlich im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen.

    (Beckmann [FDP]: Da kommen einem aber die Tränen!)

    Die kleinen und mittleren Selbständigen sollen ebenso wie die Masse der Arbeitnehmer die Zeche für die Steuerpläne, die vorher ausgeführt wurden, zahlen. Konkret bedeutet das für die Selbständigen: Erstens. Personalkostenzuschußprogramm für die Forschung mit bisher 400 Millionen DM jährlich wird ab 1987 gestrichen. Wahr oder nicht wahr? Zweitens. Das Eigenkapitalhilfeprogramm zur Förderung von Existenzgründungen — Haussmann, das haben wir in den Grundideen 1977/78 sogar zusammen ausgedacht — wird 1988 gestrichen.

    (Dr. Haussmann [FDP]: Nein, verbessert!)

    Dies ist noch nicht alles. Weitere Förderprogramme für den Mittelstand werden ebenso zusammengestrichen. Die Finanzplanung, Herr Haussmann, sieht bis 1991 vor, daß die Förderung für kleine und mittlere Unternehmen im Bundeshaushalt von 1,1 Milliarden DM auf nur noch 485 Millionen DM zusammengestrichen wird. Das ist eine Kürzung für diesen Bereich der Wirtschaft um 55 %. Das Geld wird gleichzeitig dazu genutzt, um die Spitzensteuersätze bei der Einkommensteuer und bei der Körperschaftsteuer zu senken. Das ist Ihre Wirtschaftspolitik für kleine und mittlere Unternehmen.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Grünbeck und Herr Haussmann, Sie kommen uns nicht mehr so durch mit allgemeinen Sprüchen zur Mittelstandspolitik und konkreten Maßnahmen, die genau dort hineinschneiden, wo Förderung notwendig wäre.
    Meine Damen und Herren, in der internationalen Politik ist das nicht anders. Wir Sozialdemokraten haben uns in den letzten zwei, drei Jahren intensiv mit der Agrarpolitik beschäftigt; zugegebenermaßen kein Traditionsgebiet für die Sozialdemokraten. Aber wir haben ein Konzept entwickelt. Es bedeutet vorsichtige Preispolitik mit einer Orientierung an den Weltmarktpreisen und direkte Einkommensübertragungen für die kleinen und kleinsten Landwirte;

    (Beifall bei der SPD)

    also soziale Sicherung und Effektivität auch in diesem Bereich. Nun hat die EG-Kommission vorgeschlagen: vorsichtige Preispolitik, direkte Einkommensübertragungen. Statt daß der Wirtschaftsminister als Ordnungsminister froh wäre, wenn durch die EG-Kommission Preissubventionen endlich beseitigt würden, ist der Wirtschaftsminister nach allgemeinen Sprüchen bei der OECD — in dem Dokument, das Sie, Herr von Wartenberg, kennen — zurückgekommen und hat kein Wort gegen den Dauerprotest unserer Bundesregierung gegen die EG-Kommission formuliert. Das ist die Wahrheit.

    (Beifall bei der SPD)

    Das heißt, die Wirtschaftspolitik zieht sich aus vielen Bereichen zurück. Übrigens ist das ein Monitum, eine Kritik, die gerade auch im Wirtschaftsministerium unter Beamten, unter Mitarbeitern selbst zu hören ist. Es ist eine Tatsache, daß das Wirtschaftsministerium nicht so viel unmittelbare Ressourcen hat wie das Finanzministerium. Das hat nicht den großen Etat, das hat auch nicht die durchgreifenden Gesetze, wie z. B. die Sozialgesetze, die gesellschaftliche Wirklichkeit bilden. Das Wirtschaftsministerium war immer ein Ordnungsministerium, das bemüht war, Signale für alle Ressorts auf wirtschaftspolitischem Gebiet zu formulieren, den Wettbewerb zu erhalten und die Marktwirtschaft zu sichern.



    Roth
    Das derzeitige Wirtschaftsministerium verkümmert in dieser Rolle permanent. Es gibt keine geistig-politische Ausstrahlung mehr.

    (Dr. Penner [SPD]: Sehr richtig! — Zuruf von den GRÜNEN: Dafür mehr Masse!)

    Wer dies bezweifelt, möge nur mal die Namen Karl Schiller oder Ludwig Erhard passieren lassen. Auch die heutige Rede des Herrn Wirtschaftsministers möge man einen Moment mit den Reden von Ludwig Erhard und Karl Schiller oder Helmut Schmidt in diesem Hause vergleichen, als sie Wirtschaftsminister gewesen sind.

    (Stratmann [GRÜNE]: Stammtisch, Herr Haussmann!)

    Hier sieht man den politischen Funktionsverlust dieses Hauses. Meine Damen und Herren, auch Sie von der FDP, Sie mögen über diese Sätze grinsen, sie stehen einer breiten Diskussion über die Funktionsverluste dieses Hauses gegenüber. Auch Herr von Wartenberg wird da aus der zweiten Reihe keine prinzipiellen Änderungen bringen.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Er sitzt doch vorn!)

    Ich komme für einen Moment auf die Frage der Gerechtigkeit zurück. Sie haben die gesamte Wirtschaftspolitik in den letzten Jahren damit begründet, daß Sie gesagt haben: Die Lohnquote war zu hoch, durch die zu hohe Lohnquote ist der Einsatz des Faktors Arbeit zu teuer geworden, und dadurch ist die Arbeitslosigkeit entstanden. Sie haben gesagt: Wir korrigieren das; wenn wir das korrigieren, wenn die Lohnquote wieder stimmt, dann werden die Leute mehr investieren. — Ich will Ihnen die Zahlen dieser Politik nennen: Der Anteil der Arbeitnehmereinkommen am gesamten Volkseinkommen fiel von 73,7 im Jahre 1982 auf nur noch 68 % im Jahre 1986 zurück.

    (Kolb [CDU/CSU]: Nennen Sie das in realen Zahlen!)

    Das ist schon ungewöhnlich. Doch was diese Umverteilung geradezu zu einem gesellschaftspolitischen Skandal macht, ist die Tatsache, daß die Umverteilung durch die Steuer- und Abgabenpolitik noch deutlich verschärft wurde. Gemessen an den Nettoeinkommen, also dem Einkommen nach Steuern und Abgaben, hatten die Arbeitnehmer 1986 nur noch einen Anteil von gerade 58 % gegenüber 42 % der Unternehmer und der Bezieher von Einkommen aus Vermögen.

    (Kuhlwein [SPD]: Hört! Hört!)

    Das waren über 8 % weniger als 1982. Die Kohl/Bangemann-Regierung hat es wirklich geschafft, auf die Einkommensverteilung der 50er Jahre zurückzukommen, aber sie hat es nicht geschafft, Investitionen und Arbeitsplätze für unsere Bevölkerung zu schaffen, was die Begründung dieser Politik war.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Trotz dieser gigantischen Umverteilung sind keine Arbeitsplätze dabei herausgekommen.
    Ein Wort zu den Konjunkturprognosen. Der Herr Bundesfinanzminister und auch der Wirtschaftsminister haben uns vorgeworfen, wir hätten zu pessimistische Prognosen gemacht. Herr Finanzminister, ich habe da unten ein Interview mit Ihnen aus der „BildZeitung" vom Februar 1986 über das Wirtschaftswachstum des Jahres 1986 liegen. Da sagen Sie: Das Wachstum wird 3 bis 4 % betragen, und darauf baue ich die Finanzplanung auf. Das Ergebnis waren 2,4 %, also 50 % weniger. Im Hinblick auf dieses Jahr sage ich Ihnen: Ifo wird mit seiner Schätzung von 1,25 % recht behalten und nicht Ihr Haus mit Schätzungen von 2 bis 3 %, und Sie werden dies wirtschaftspolitisch und steuerpolitisch noch bezahlen müssen.
    Aber das ist gar nicht so entscheidend, sondern entscheidend ist, daß wir wissen, daß wir von außen abschwächende Einwirkungen haben, daß wir wissen, daß die Führungsmacht, was die Wirtschaft in der ganzen Welt anbetrifft, die USA, nicht in der Lage ist, in diese Lücke zu treten, weil sie ohnehin überschuldet ist. Was wir jetzt von Ihnen verlangen, ist, daß die Bundesrepublik Deutschland die Führungsrolle in der EG übernimmt, damit in der EG mehr Arbeitsplätze geschaffen werden.

    (Beifall bei der SPD)

    19 Millionen Menschen in der EG sind arbeitslos, und diese Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf im Ökonomischen, im Konjunkturpolitischen. Das ist die Wahrheit.
    Und jetzt kommen Sie nicht mit Steuersenkungen im Jahre 1990

    (Dr. Haussmann [FDP]: Aber natürlich!)

    und mit diesen Wirkungen des Jahres 1990, meine Damen und Herren. Im Jahre 1990 werden mehr als diese 19 Millionen da sein und nach Arbeit suchen. Handeln Sie jetzt! Der Vorschlag liegt auf dem Tisch.
    Die Bundesrepublik Deutschland ist das Land mit der gefährdetsten Umwelt, und wir sind das Land mit einem der besten Know-how-Grundlagen auf dem Gebiet der Umwelttechnologie. Warum nicht beide Gedanken zusammenführen? Warum nicht eine Umweltinvestitionsoffensive wie eine Aufbauoffensive nach dem Zweiten Weltkrieg? Das Kapital ist da. Mir jedenfalls ist lieber, daß Kapital im Umweltsektor gebunden wird, als daß Kapital in andere Regionen der Welt, zumal in die Rüstungsinvestitionen transferiert wird.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Hier wende ich mich an die CDU und die CSU; vielleicht kann man sie in dieser Frage doch einmal als Koalitionsgemeinschaft betrachten. Glauben Sie, daß Sie mit dieser Politik des Nicht-Handelns gegen die Massenarbeitslosigkeit über eine weitere Legislaturperiode hinwegkommen, ohne das soziale System auf Dauer zu beschädigen? Denn diese dauerhafte Massenarbeitslosigkeit hat ja nicht nur Rückwirkungen auf das Wirtschaftssystem, sondern ebenso auf das Rentensystem, auf das Gesundheitssystem und auf viele andere Teilsysteme unserer öffentlichen und unserer privaten Lebensweise.
    Übrigens, das muß ich doch einschieben: Man muß sich einmal klarmachen, was Sie als CDU und CSU in den letzten vier, fünf Jahren der FDP nachgegeben



    Roth
    haben, und am Ende dieses Kompromißprozesses, wo Sie so viel nachgegeben haben — auf Kosten auch Ihrer Wähler aus dem Arbeitnehmerbereich — an diese Klientelpartei, werden Sie auf dem Kieler Parteitag noch als Volkspartei beschimpft, die einen zu hohen Machtanspruch habe. Das ist eine eigenartige Behandlung. Ich wundere mich gar nicht, ich kenne das nämlich aus unserer Zeit.
    Sie sollten sich einmal überlegen, wie lange Sie diese Trittbrettfahrerei eigentlich dulden — auf Kosten der sozial Benachteiligten,

    (Zustimmung bei der SPD)

    auf Kosten der Beschäftigten, die keine gesicherten Arbeitsplätze haben, auf Kosten derjenigen, die von der Kohle- und Stahlkrise betroffen sind. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir diese Strukturkrisen nur lösen können — das sage ich auch drei Tage vor einer Wahl in Bremen und Schleswig-Holstein —, wenn die beiden großen Parteien

    (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

    — keine Koalition; Sie träumen davon, daß Sie damit Propaganda machen können, Herr Haussmann — bereit sind, in wichtigen Strukturfragen unserer Gesellschaft wieder einen Grundkonsens zu entwickeln und diesen Grundkonsens auch in die Bevölkerung hineinzutragen.

    (Stratmann [GRÜNE]: Also Kohle und Kernenergie!)

    Die Rentenfrage ist nicht ohne schmerzhafte und schwierige Eingriffe zu lösen. Die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit ist nicht ohne handfeste neue Finanzierungsformen für Beschäftigungsmaßnahmen zu finanzieren. Das muß zusammenkommen. Meine Meinung ist, die CDU/CSU sollte sich recht gut überlegen, ob sie diese Demontage der Sozialen Marktwirtschaft — die von verschiedenen Kräften ausgedacht wurde — , die derzeit durch die Klientelpartei FDP betrieben wird, hinnehmen kann. Das sollte sie ganz genau überlegen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Die Mehrheit unserer Bevölkerung hat nicht das Zahnärzteeinkommen. Die Mehrheit unserer Bevölkerung wird nicht vom Spitzensteuersatz getroffen. Die Mehrheit unserer Bevölkerung besteht aus Leuten mit durchschnittlichem Einkommen, und das ist nicht der Facharbeiter mit 65 000 DM. Das Beispiel ist ja auch schön.

    (Dr. Penner [SPD]: 120 000 DM! — Zuruf von der CDU/CSU: „52 000" hat er gesagt!)

    — „65 000" hat er gesagt. Ich habe sehr genau zugehört. Der Facharbeiter mit einem Einkommen von 65 000 DM ist eine absolute Ausnahmeerscheinung. Wer Ihnen aber suggeriert, er sei das Ziel der Politik, auf das er achten muß, der führt sie weg von der Interessenvertretung für die breiten Schichten unserer Bevölkerung.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Über diese Frage sollten Sie viel nachdenken, vor
    allem ab 18 Uhr am nächsten Sonntag: Vertreten in
    dieser Koalition die CDU und die CSU noch die Interessen der breiten Schichten unserer Bevölkerung? Ich bin der Meinung: Nein, und die Steuerkonzeption des Herrn Stoltenberg tut das erst recht nicht. Das ist die Wahrheit. Davon werden Sie von der CDU/CSU geplagt. Die freuen sich noch, wenn sie Ihnen 1 oder 2 % bei den Begüterten abnehmen. Das ist die Lage.
    Vielen Dank fürs Zuhören.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hausmann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Helmut Haussmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Roth kommt ja aus meinem Bundesland. Ich will ihn an dem messen, wie ich ihn sehe. Ich will ihn jetzt nicht in eine Reihe mit Arndt, Schiller, Alex Möller oder Helmut Schmidt stellen.

    (Frau Dr. Martiny-Glotz [SPD]: Schade!)

    Aber so viel will ich schon sagen: Das erste Zitat aus der „Financial Times" ist ja einer der besten Belege für die Regierungspolitik von CDU, CSU und FDP. Dort wird kritisiert — wörtlich — :
    daß eine zu hohe Steuerlast, zu schwache Geschäftsinvestitionen, zu rigide Märkte, zu hohe öffentliche Investitionen dafür schuld sind, daß das Beschäftigungspotential in der Bundesrepublik nicht voll ausgeschöpft wird.
    Wenn das nicht ein Zitat für unsere Politik ist, Herr Roth! Also: vergriffen.
    Die FDP und ihr Vorsitzender lassen sich von Herrn Roth nicht beleidigen.

    (Roth [SPD]: Oh!)

    Die 3,5 Millionen Wähler bei der Bundestagswahl
    — die gesamte Wahlbevölkerung der Schweiz — , die FDP gewählt haben, werden sich diese Worte
    — Klientelpartei, Interessenpartei — merken.

    (Beifall bei der FDP — Grünbeck [FDP]: Stillos!)

    Daß diese Politik bei allen Landtagswahlen der letzten Jahre Zustimmung gefunden hat, daß diese Politik bei der Bundestagswahl dazu geführt hat, daß die FDP als einzige Partei in großem Umfang zugenommen hat, das ist eine Tatsache. Die FDP stellt sich eher dem Wählervotum als dieser billigen, auch persönlich verletzenden Polemik von Herrn Roth kurz vor einer Wahl.

    (Beifall bei der FDP — Kuhlwein [SPD]: „Piratenpartei" ist richtig!)

    Meine Damen und Herren, trotz dieser Worte ist entscheidend, daß sich diese Koalition auf ihrem eingeschlagenen wirtschaftspolitischen Weg nicht irremachen läßt. Steuern, zu viel Bürokratie, zu viel Belastungen müssen gesenkt werden. Dieser Herbst wird zeigen, daß diese Koalition aus CSU, CDU und FDP einig und handlungsfähig ist.

    (Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Ich finde ganz wichtig, was Michael Glos gesagt hat. Dies findet die volle Unterstützung meiner Partei.



    Dr. Haussmann
    Wir werden in der Lage sein, diese Steuerreform durch Subventionsabbau so zu finanzieren, daß keine Erhöhung von Verbrauchsteuern oder der Mehrwertsteuer notwendig ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, dieser Subventionsabbau ist nicht nur eine Fachfrage. Dieser Subventionsabbau ist auch nicht nur notwendig, um die Steuerreform zu finanzieren,

    (Roth [SPD]: Welche denn?)

    sondern auch, um jungen Leuten eine Chance zu geben. Wer nur bereit ist, am Alten festzuhalten, wer nicht bereit ist, dem Neuen eine Chance zu geben,

    (Roth [SPD]: Konkret!)

    wer die Subventionen an Großkonzerne nicht kürzen will,

    (Stratmann [GRÜNE]: Reden Sie doch einmal vom Airbus!)

    wer dem Mittelstand weiter wie bisher zu hohe Steuern und Abgaben aufbrummen will, der ist an einer beruflichen Perspektive der jungen Generation nicht interessiert.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Abg. Kuhlwein [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Ich habe nur zehn Minuten Redezeit. Ich habe wenig Zeit. Im Interesse einer parlamentarischen Debatte muß ich darauf Wert legen, daß ich im Zusammenhang reden kann.

    (Kuhlwein [SPD]: Trifft es zu, daß Sie auch die Agrarsubventionen streichen wollen?)

    Meine Damen und Herren, diese Steuersenkungen solide durch einen Subventionsabbau zu finanzieren, ist nicht nur ein Fachthema für Finanzpolitiker, sondern das ist die einzige und richtige Antwort, mehr Arbeitsplätze in der Bundesrepublik aufzubauen, Herr Roth. An dieser Frage kommen die SPD und die Gewerkschaften nicht vorbei.
    Am 1. Januar 1988 werden die Arbeitnehmer in der Bundesrepublik ja sehen, daß ihre Steuern erneut gesenkt wurden und daß ihr Weihnachtsfreibetrag trotzdem wie bisher geblieben ist. Dann wird diese böse Diffamierung durch die Gewerkschaften und die SPD in sich zusammenfallen, meine Damen und Herren. Dazu ist es auch höchste Zeit.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Aus dieser bösartigen Diffamierung der Steuerreform spricht Neid. Im Grunde wäre es doch Aufgabe der SPD, eine Steuersenkung zu konzipieren, die zunächst einmal über 500 000 Kleinverdiener steuerfrei macht. Es wäre doch Aufgabe der SPD, dafür zu sorgen, daß der Eingangssteuersatz in der Bundesrepublik von bisher 22 % auf 19 % gesenkt wird. Es wäre doch Aufgabe der deutschen Gewerkschaften, dafür zu sorgen, daß die Familien steuerlich entlastet werden. Es wäre doch Aufgabe der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften, dafür zu sorgen, daß der Progressionsbereich abgeflacht wird.
    Meine Damen und Herren, wir betreiben durch diese Steuerpolitik eine soziale Politik, und die Arbeitnehmer werden auf ihrem Steuerzettel sehen, daß diese Diffamierung durch die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften nicht zieht.
    Meine Damen und Herren, wenn ich jetzt höre, wie den Menschen in den Kommunen Angst gemacht wird, wenn in einzelnen Gemeinden behauptet wird, es müßten wegen der Steuerreform dieser Regierung Kindergärten geschlossen werden, dann kann ich nur sagen: Welch statisches und altmodisches Denken hat sich inzwischen bei der SPD — von den GRÜNEN brauchen wir jetzt einmal nicht zu reden — eingeschlichen!

    (Dr. Penner [SPD]: Wieso denn?)

    Es ist doch ein Grundsatz der Finanzpolitik: Wenn Steuern und Abgaben beim Bürger und bei den Unternehmen als zu hoch empfunden werden, wenn sich die Menschen durch Schwarzarbeit entziehen, wenn die Leute im Ausland investieren, wenn auf die direkte Bezahlung verzichtet wird, dann steigen auch die absoluten Steuereinnahmen nicht mehr, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie. Es kann doch richtig sein, daß eine Steuersenkung am richtigen Ort, daß eine Steuerreform, die als gerecht empfunden wird, dazu führt, daß mehr geleistet wird, daß mehr investiert wird, daß die Schwarzarbeit zurückgeht und damit die absoluten Steuereinnahmen wieder zunehmen, meine Herren von der SPD.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Roth [SPD]: Reagan läßt grüßen! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Es ist doch ein irrsinnig statisches Denken: Die Steuereinnahmen stagnieren, also muß folgerichtig der nächste Schritt sein, daß die Steuersätze erhöht werden, meine Damen und Herren von der SPD. Das wäre der nächste Schritt.

    (Kuhlwein [SPD]: Sehen Sie sich die Schulden von Herrn Reagan an! Der hat es vorgemacht!)

    Wir werden diese sozial angelegte Steuerreform zusammen mit CSU und CDU solide durchführen, solide finanzieren.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Ohne Deckung!)

    Das ist der Hauptbeitrag dieser Regierung zur Schaffung von mehr Nachfrage, zur Schaffung von mehr Investitionen in kleinen und mittleren Betrieben.
    Die FDP braucht von Herrn Roth auch keine Nachhilfestunde in Sachen Mittelstandspolitik.
    Erstens. Wer zuzugeben bereit ist, Herr Roth, daß über 90 % aller Unternehmen in der Bundesrepublik Personengesellschaften sind, wer weiß, daß der Betriebssteuersatz dieser Personengesellschaften der Einkommensteuersatz ist, kommt an einer Reform der Einkommensteuer nicht vorbei.
    Zweitens. Diese Regierung hat sich entschieden, die Sonderabschreibungsmöglichkeiten für kleine und mittlere Betriebe zu verbessern, und zwar bereits zum 1. Januar 1988.



    Dr. Haussmann
    Drittens. Diese Koalition hat entschieden, daß der Vorwegabzug für Mittelständler endlich angehoben wird.
    Das sind ganz konkrete und wichtige mittelstandspolitische Maßnahmen.
    Man kann der SPD in dieser Debatte eigentlich nur das Wort eines großen amerikanischen Präsidenten ins Stammbuch schreiben, der einmal gesagt hat: „Ihr helft den Schwachen nicht, wenn ihr die Starken schwächt." Oder Theodor Heuss hat einmal gesagt: „Die beste Sozialpolitik ist immer noch eine gute und funktionierende Wirtschaftspolitik. "

    (Stratmann [GRÜNE]: Sie sind ein Pferdeappeltheoretiker!)

    Ich kann nur unterstreichen, was Herr Stoltenberg heute morgen gesagt hat: Unternehmerisches Fehlverhalten und gewerkschaftliches Besitzstandsdenken können nicht durch Staatssubventionen ausgeglichen werden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß meines kurzen Beitrags. Ich glaube, wenn sich diese Koalition in ihrem eingeschlagenen wirtschafts- und steuerpolitischen Kurs nicht beirren läßt, wird es zunächst Wehklagen geben, aber in kurzer Zeit wird klar sein, daß Arbeitnehmer, Meine und mittlere Betriebe davon profitieren, es wird zum Aufbau von zusätzlichen Arbeitsplätzen kommen, der Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit wird zunehmen, und wir werden solide finanzierte und wettbewerbsfähige Arbeitsplätze in der Bundesrepublik schaffen. Die FDP wird ihren Beitrag in dieser Koalition leisten, damit diese Politik sich durchsetzt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)