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    Plenarprotokoll 11/23 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 23. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 Inhalt: Nachruf auf das frühere Mitglied des Deutschen Bundestages William Borm 1459 A Begrüßung des Vorsitzenden der Zweiten Kammer der Niederländischen Generalstaaten, Dr. Dirk Dolman 1459 B Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Jobst 1459 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/700) in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksache 11/701) Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF 1459D, 1510 B Dr. Apel SPD 1471 C Carstens (Emstek) CDU/CSU 1481 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 1487 B Dr. Weng (Gerlingen) FDP 1491 B Wedemeier, Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen 1494 D, 1517 C Neumann (Bremen) CDU/CSU 1499 D Dr. Struck SPD 1503 B Richter FDP 1506 D Roth (Gießen) CDU/CSU 1507 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 1519 C Sellin GRÜNE 1525 B Glos CDU/CSU 1528 B Roth SPD 1531 C Dr. Haussmann FDP 1536 C Wissmann CDU/CSU 1538 B Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 1540 C Hinsken CDU/CSU 1543 C Schäfer (Offenburg) SPD 1545 D Dr. Laufs CDU/CSU 1549 B Frau Garbe GRÜNE 1552 A Frau Dr. Segall FDP 1554 A Fellner CDU/CSU 1556 B Dr. Töpfer, Bundesminister BMU 1557 B Nächste Sitzung 1561 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 1562* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1987 1459 23. Sitzung Bonn, den 9. September 1987 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 10. 9. Antretter * 11. 9. Frau Beck-Oberdorf 11.9. Frau Beer 9. 9. Frau Blunck * 10. 9. Böhm (Melsungen) ** 11. 9. Büchner (Speyer) * 11.9. Catenhusen 11.9. Duve 9.9. Eigen 11.9. Dr. Feldmann * 11.9. Frau Fischer * 9.9. Großmann 11.9. Dr. Hoffacker 9.9. Hoss 11.9. Irmer 11.9. Jansen 11.9. Jung (Lörrach) 11.9. Lemmrich * 10.9. Maaß 9.9. Frau Matthäus-Maier 9.9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller * 10. 9. Niegel * 11. 9. Oostergetelo 11.9. Poß 9.9. Rawe 11.9. Reddemann ** 11.9. Schäfer (Mainz) 11.9. Dr. Scheer * 11.9. Schmidt (München) ** 11.9. Frau Schmidt (Nürnberg) 11.9. Schröer (Mülheim) 11.9. Dr. Sperling 11.9. Steiner * 9. 9. Tietjen 11.9. Volmer 11.9. Dr. Vondran 10. 9. Dr. von Wartenberg 9.9. Dr. Wieczorek 11. 9. Wieczorek (Duisburg) 11.9. Dr. Wulff * 9.9. Zierer * 9.9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von Dr. Gerhard Stoltenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie seit 1983 hat die Bundesregierung bereits im Juli den Entwurf des Bundeshaushalts für das nächste Jahr und die mittelfristige Finanzplanung beschlossen und dem Deutschen Bundestag im August zugeleitet. Der vorgelegte Haushalt ist Ausdruck der Kontinuität unserer Politik. Er gibt zugleich Antworten auf neue Herausforderungen und veränderte Bedingungen.



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    Wir setzen damit die im Herbst 1982 eingeschlagene Linie sparsamer öffentlicher Ausgaben konsequent und jetzt im sechsten Jahr hintereinander fort. Für uns bleibt die Begrenzung des Ausgabenanstiegs der entscheidende Maßstab für solide öffentliche Finanzen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Der Entwurf des Bundeshaushalts 1988 sieht eine Erhöhung der Ausgaben um 2,4 % vor. In der Finanzplanung haben wir den niedrigen Ausgabenzuwachs bis 1991 festgeschrieben. Damit sichern wir auch die Grundlagen für unsere Politik der Steuersenkung und der Steuerreform.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir können auf den finanzpolitischen Fortschritten und Erfolgen der vergangenen Legislaturperiode, in der die Fundamente unserer Volkswirtschaft gefestigt wurden, aufbauen. Der jährliche Anstieg der Bundesausgaben wurde in den Jahren 1983 bis 1986 auf durchschnittlich 1,7 % begrenzt.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    Der Vergleichswert für das vorhergehende Jahrzehnt betrug durchschnittlich jährlich rund 9 % Ausgabensteigerung.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Hört! Hört! Das ist der Unterschied!)

    Die Neuverschuldung des Bundes sank von 37,2 Milliarden DM im Jahre 1982 auf unter 23 Milliarden DM in den Jahren 1985 und 1986.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Solidität!)

    Der Anteil der öffentlichen Defizite, der Fehlbeträge, von Bund, Ländern und Gemeinden, gemessen am Bruttosozialprodukt, also an unserer volkswirtschaftlichen Leistung, der 1981 noch 4,9 % betrug, wurde bis 1986 auf 2,2 % zurückgeführt.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das ist solide!)

    Der Staatsanteil am Bruttosozialprodukt, an unserer volkswirtschaftlichen Leistung, ist in den Jahren 1982 bis 1986 von 49,8 % um 3 Prozentpunkte auf 46,8 % reduziert worden.
    Was noch wichtiger ist: Die schleichende Inflation der siebziger und frühen achtziger Jahre wurde gestoppt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ein hohes Maß an Preisstabilität sichert die Kaufkraft der Bürger, hilft vor allem den sozial Schwachen und bildet für die Investoren eine verläßlichere Kalkulationsgrundlage.
    Meine Damen und Herren, die Finanz- und Wirtschaftspolitik steht jetzt zu Beginn der neuen Wahlperiode vor zwei Hauptaufgaben: Im Inneren müssen wir die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft weiter stärken, weil wir nur so das Angebot an bezahlbarer Arbeit vergrößern,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es!)

    den erreichten Wohlstand halten und die Zukunft sichern und gestalten können.
    Nach außen geht es um den uns möglichen Beitrag zum Abbau der teilweise bedenklichen internationalen Ungleichgewichte, nicht nur im Wohlstand, sondern auch in Handelsbilanz- und Leistungsbilanzdaten. Wir haben daran ein vitales Interesse, weil wir wie kaum ein anderes Land mit der Weltwirtschaft verflochten sind.
    Einen besonders wichtigen Beitrag des Staates zur Lösung dieser beiden vorrangigen Zukunftsaufgaben sehen wir in einer Steuerpolitik, die berufliche Leistung wirksamer anerkennt und die volkswirtschaftlichen Wachstumskräfte stärkt. Weil wir auf die schöpferischen Kräfte der Menschen, auf Freiheit und Verantwortung setzen, wollen wir dem Bürger mehr von dem Ertrag seiner Arbeit belassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir werden die Steuerreform verwirklichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Unsere, wie die genannten Kern- und Eckdaten zeigen, erfolgreiche Finanz- und Wirtschaftspolitik in der vergangenen Legislaturperiode hat hierfür ein tragfähiges Fundament geschaffen.
    Meine Damen und Herren, in dem für 1988 vorgesehenen Haushaltsplan von 275 Milliarden DM, 6,5 Milliarden DM mehr als 1987, können die zusätzlichen Verpflichtungen des Bundes und wichtige politische Prioritäten angemessen finanziert werden. Dafür spricht übrigens auch die Entwicklung des Bundesetats im Jahresverlauf 1987. Bisher wuchsen die Ausgaben des Bundes nur verhalten um 2,2 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Auch wenn wir für die letzten Monate dieses Jahres mit einem etwas stärkeren Anstieg rechnen, bleiben wir auf Kurs. Durch das im ersten Halbjahr verhaltenere Wirtschaftswachstum und den starken Rückgang

    (Roth [SPD]: „Verhaltener" ist gut!)

    — 1,5 % ist verhalten, aber immerhin ein Anhalten des Wachstumprozesses —

    (Walther [SPD]: Aber viel weniger als erwartet!)

    der Importpreise sind bisher auch die Steuereinnahmen hinter dem Soll zurückgeblieben. Wir nehmen aber an, daß wir das Volumen der letzten Steuerschätzung vom Mai erreichen können.
    Wie vorsichtig man sein muß — ich sage das zu Ihrer zweifelnden Zwischenbemerkung — , zeigen die monatlichen Zahlen. Wir waren, was die Steuereinnahmen anbetrifft, in der Tat bis Juli mit 2,2 % plus noch deutlich hinter der letzten Steuerschätzung. Gestern habe ich die Zahlen für den August gesehen: Sie zeigen plötzlich einen Anstieg um 10,5 % gegenüber dem Vorjahresmonat. So haben wir in den acht Monaten fast das Einnahmensoll der letzten Steuerschätzung erreicht. — Ich sage das nur zu einigem, Herr Kollege Apel, was Sie und andere in den letzten Tagen von sich gegeben haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es hat keinen Sinn, auf Grund von Quartals- oder
    Monatsdaten, so wie Sie das in Rendsburg, dankenswerterweise noch in meinem Wahlkreis, veröffentlicht



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    haben, jetzt den Zusammenbruch der Finanzwirtschaft zu verkünden.

    (Dr. Vogel [SPD]: Sehr entgegenkommend! Da reisen wir weit!)

    — Ja, reisende Leute, Herr Vogel, das kann man sagen. Wir haben so viele Besucher in Schleswig-Holstein. Ich werde nachher noch auf zwei Besucher aus den letzten Tagen zu sprechen kommen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

    Im Sommer und Herbst 1986 hat die Opposition genauso Kritik an einer angeblich viel zu niedrigen Veranschlagung der Mittel im Budget dieses Jahres geübt, wie Sie es jetzt für 1988 wiederholen. Jedes Jahr, seitdem diese Koalition von CDU/CSU und FDP Verantwortung trägt, haben wir die Ausgaben unter Kontrolle halten können. Immer wieder haben sich die Schreckensmeldungen der SPD über eine angeblich drohende Ausgabenexplosion als irreführende Propaganda erwiesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich bin den Koalitionsfraktionen für ihre klare Aussage dankbar, den vom Kabinett für 1988 vorgesehenen Rahmen auf keinen Fall zu erweitern und — wenn möglich — noch zu reduzieren.
    Unsere Verwaltungseinnahmen werden 1988 weiter zurückgehen. So verringerte sich der Bundesbankgewinn bereits 1987 von 12,7 Milliarden DM auf 7,3 Milliarden DM — eine Folge der starken Aufwertung, des gewachsenen Vertrauens in die Deutsche Mark im Verhältnis zum Dollar und niedrigerer Zinsen. Für 1988 haben wir 6 Milliarden DM veranschlagt. Dies ist neben der Steuersenkung ein wesentlicher Grund für den Anstieg der Neuverschuldung 1987 auf rund 26 Milliarden DM und rund 29 Milliarden DM 1988.
    Meine Damen und Herren, in den sechs Jahren seit 1982 soll auf der Grundlage des Etatentwurfs 1988 der Ausgabenanstieg zusammengenommen 12,4 % betragen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Insgesamt!)

    Für die gleiche Zeit zeichnet sich eine Zunahme unseres Bruttosozialprodukts um etwa 33 % ab. So wird die Verringerung des Staatsanteils an unserer gesamtwirtschaftlichen Leistung von 49,8 % 1982 auf voraussichtlich 46,5 % im nächsten Jahr überwiegend — zu knapp zwei Dritteln — vom Bundeshaushalt erbracht. Ich sage das mit Blick auf unsere Partner in Ländern und Gemeinden und deren Ausgabeentwicklung.
    Ein Vergleich mit den 70er Jahren macht den Unterschied in der Grundrichtung der Finanzpolitik deutlich. Damals, Herr Kollege Apel, sind unter Ihrer maßgebenden Verantwortung mehrfach in einem einzigen Jahr die Bundesausgaben stärker angestiegen, als sich für den Zeitraum von 1982 bis 1988 abzeichnet. 1971 betrug die Steigerungsrate 13 %, 1972 12,8 % und 1975 12,7 %. Erinnern Sie sich einmal an diese Daten, wenn Sie Ihre Reden halten und Ihre Presseerklärungen abgeben, verehrter Herr Kollege!

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Damals wurden zudem den Menschen durch hohe Inflationsraten und steigende Steuerlasten die Ergebnisse einer zu großzügigen Umverteilung schnell wieder weggenommen. Der Staat wurde überfordert und schließlich in einer krisenhaften Zeit handlungsunfähig.
    Im Haushaltsentwurf 1988 haben wir überdurchschnittliche Zuwachsraten insbesondere für die Bereiche Wirtschaft, Landwirtschaft, Forschung und Umweltschutz vorgesehen. Besonders stark steigen die Mittel des Bundes für die Kohlehilfen an. Die ständig wachsende Differenz zwischen den inländischen Produktionskosten und den Weltmarktpreisen, die in letzter Zeit ja stark zurückgegangen sind, führt allein bei der Kokskohlenbeihilfe zu einer Erhöhung von einer halben Milliarde DM 1982 über 1 Milliarde DM 1985, 2,3 Milliarden DM 1987 auf 2,4 Milliarden DM 1988. Ich sage das nicht nur aus haushaltspolitischen Gründen. Ich will hier einmal deutlich machen, daß wir eine ganz ungewöhnliche Leistung für die deutsche Kohle und ihre Bergleute erbringen. Das muß hier auch einmal hervorgehoben werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Insgesamt rechnen wir für das nächste Jahr mit Mitteln des Bundes, der beiden beteiligten Bundesländer und der Stromverbraucher von zusammen rund 10,2 Milliarden DM für die deutsche Steinkohle. Wir wollen damit die Fundamente für den deutschen Bergbau und seine Mitarbeiter in einer ungewöhnlich verschlechterten Wettbewerbslage aus Gründen der langfristigen Versorgungssicherheit festigen.
    Aber der dramatisch angestiegene Subventionsbedarf macht es notwendig, die bisher gewährten Mittel für den Export von Kokskohle ab 1988 schrittweise aus der öffentlichen Förderung herauszunehmen. Damit wird die Versorgungssicherheit im Inland nicht gefährdet. Wir können aber — und das ist ein Problem für uns alle, meine Damen und Herren — mit der Zustimmung der revierfernen Bundesländer zu einer weiteren Erhöhung des Kohlepfennigs, also des Beitrags der Stromverbraucher, dauerhaft nur rechnen, wenn die sozialdemokratische Opposition endlich zum einseitig aufgekündigten Grundkonsens in der Energiepolitik zurückkehrt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Führende Vertreter der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie haben dies erkannt. Ich zitiere hier einmal aus dem Schreiben des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Ruhrkohle-Gesamtbetriebsräte, Hüls, an Ministerpräsident Rau. Hier heißt es:
    Mit dem Hinweis auf papierne Beschlüsse zur Energiepolitik, die zudem in der Wählerschaft bundesweit ohne Mehrheit geblieben sind, können die Arbeitsplätze der deutschen Bergleute, der Erhalt unserer natürlichen Energiequelle, der Kohle, nicht gesichert werden.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, entschieden zu verurteilen ist der Versuch der Regierung Rau, die seit Jahrzehnten verankerte Mitfinanzierung der Kohleförderung durch Nordrhein-Westfalen in der vereinbarten Form in Frage zu stellen. Man kann nicht im Ruhrge-



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    biet Proteste gegen die angeblich unzureichenden Hilfen des Bundes ermutigen und dann in Bonn im Bundesrat — am 10. Juli geschehen — erklären, daß Nordrhein-Westfalen seine Unterstützung abbauen will. Wenn die Regierung Rau diesen Weg wirklich beschreiten sollte, gefährdet sie die Existenzgrundlagen des deutschen Bergbaus, mit allen unabsehbaren Folgen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wie wir wissen, ist eine gewisse Rückführung der Kapazitäten bei Kohle und auch bei Stahl leider unvermeidbar geworden. Die Bundesregierung ist bereit, bei der sozialen Flankierung mitzuwirken. Aber man darf sie auch nicht in der öffentlichen Diskussion für Entscheidungen in Haftung nehmen wollen, die von privaten oder anderen Unternehmen getroffen worden sind, und man kann auch nicht versuchen, die gesamten Lasten dieses Prozesses auf den Steuerzahler abzuwälzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Bundesregierung ist bereit, bei der sozialen Flankierung mitzuwirken. Sie hat 1988 hierfür insgesamt 472 Millionen DM Hilfen eingeplant. Aber vor allem die gutverdienenden Konzerne als Gesellschafter der Stahlunternehmen müssen hierbei einen wesentlich größeren eigenen Beitrag leisten, als bisher in Aussicht genommen wurde.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

    Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur und durch eine zeitliche Verlängerung des steuerlichen Stahlstandorteprogramms werden wir zusätzliche regionale Hilfen für die Förderung von Ersatzarbeitsplätzen zur Verfügung stellen.
    Wir helfen auch der Werftindustrie und der Handelsschiffahrt bei ihren tiefgreifenden Strukturproblemen. Weltweite Überkapazitäten zwingen überall in den Industrieländern des Westens zu einschneidenden Anpassungen. Vor diesem Hintergrund haben wir nach internen Gesprächen mit den Küstenländern ein Konzept zur Neuordnung der Förderung beschlossen. Die Mittel sollen zielgenauer und wirksamer eingesetzt werden, um bruchartige Entwicklungen mit schweren sozialen Schäden zu vermeiden. Wir haben dafür finanzielle Vorsorge getroffen und begrüßen, daß nunmehr alle Küstenländer bereit sind, ihren finanziellen Beitrag zu leisten, auch wenn es dem einen oder anderen schwergefallen ist.
    Mit der Entscheidung aller beteiligten europäischen Staaten für die neuen Airbus-Projekte steht in absehbarer Zeit eine moderne und in sich abgerundete Modellfamilie zur Verfügung. Die internationale Wettbewerbsposition der europäischen Luftfahrtindustrie wird dadurch wesentlich verbessert. Auch hier sind die erforderlichen Mittel in den Haushaltsentwurf und in die Finanzplanung der nächsten Jahre eingestellt worden. Wir gehen dabei von einem stärkeren finanziellen Engagement der Industrie aus.
    Meine Damen und Herren, wir können neue Schwerpunkte nur finanzieren, wenn andere Förderungen beendet oder begrenzt werden. Das Denken in permanenten Besitzständen ist in der Finanzpolitik nicht akzeptabel, auch wenn es vielen naheliegt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir wollen also die Personalkostenzuschüsse an Unternehmen in den Einzelplänen der Bundesminister für Wirtschaft sowie Forschung und Technologie Ende dieses Jahres auslaufen lassen. So werden ab 1988 nur noch bereits eingegangene Verpflichtungen abgewickelt. Entsprechend der Koalitionsvereinbarung haben wir einen Gesetzentwurf eingebracht, in dem die bisher ständig steigenden Bundeszuschüsse für den kommunalen Straßenbau und den öffentlichen Personennahverkehr ab 1988 mit 2,5 Milliarden DM jährlich festgeschrieben werden. Seit 1967 hat der Bund für diese wichtige Aufgabe den Kommunen und den Bundesländern mehr als 40 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Jetzt geht es darum, diese Leistungen auf hohem Niveau zu stabilisieren, um andere wichtige Aufgaben der regionalen Strukturpolitik, die von den Ländern und Kommunen nachdrücklich gefördert werden, auch nachhaltiger unterstützen zu können.
    Nachdem die Regierungschefs der Bundesländer abweichend von ihrer ursprünglichen Haltung eine weitere befristete Mitfinanzierung durch den Bund für den Städtebau wünschen, haben wir den Ländern für 1988 bis 1990 angeboten, Verpflichtungsermächtigungen von jeweils 660 Millionen DM einzuplanen. Unter Einbeziehung der Zwei-Drittel-Beteiligung von Ländern und Gemeinden soll damit auch in den kommenden drei Jahren ein Fördervolumen von jeweils rund 2 Milliarden DM zur Städtebauförderung zur Verfügung stehen.

    (Seiters [CDU/CSU]: Das ist sehr gut!)

    Eine weit überdurchschnittliche Steigerungsrate haben wir auch beim Einzelplan des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorgesehen. Damit tragen wir der anhaltend bedrängten Lage unserer Bauern durch Einkommensrückgänge, Überschußprobleme und die veränderte Agrarpolitik der EG Rechnung. Zu einer erheblichen Entlastung für die Ausgaben der Gemeinschaft werden die Beschlüsse des Ministerrats zur Rückführung der Milchproduktion führen. In diesem wichtigsten und bisher kostspieligsten Teilmarkt kann eine in etwa ausgeglichene Situation von Angebot und Nachfrage erreicht werden. Dies eröffnet mittelfristig die Chance für wieder verbesserte Einkommen. Wir flankieren den Produktionsrückgang für die Milch erzeugenden Betriebe im nächsten Jahr mit mehr als 500 Millionen DM. Bei der jüngsten, ungewöhnlich schwierigen Preisrunde in Brüssel konnte die Bundesregierung die Vorschläge der Kommission im Interesse der deutschen Bauern erheblich verändern, aber die Neufestsetzung der Interventionspreise für Getreide und Ölsaaten führte gegen die deutsche Stimme zu einem Preisrückgang. Auch dies begründet die Verbesserung anderer nationaler Hilfen, von der Gemeinschaftsaufgabe bis zur Agrarsozialpolitik. Unser Ziel bleibt es, die Überschußproduktion auch in den anderen Bereichen durch Angebote der Gemeinschaft für freiwillige Extensivierung und Flächenstillegung sowie ein frühzeitigeres Ausscheiden aus dem Beruf



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    ohne permanenten politischen Preisdruck abzubauen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Für den Haushalt des Bundesministers für Forschung und Technologie ist 1988 ebenfalls ein überdurchschnittlicher Ausgabenanstieg auf insgesamt 7,6 Milliarden DM eingeplant. Wir setzen damit in dem erweiterten Mittelrahmen die erfolgreiche Neuorientierung unserer Forschungspolitik fort: Das Gewicht der wissenschaftlichen Grundlagenforschung wird weiter verstärkt, von 26 % der Mittel im Jahr 1982 auf 37 % im Jahr 1988. Dagegen wird die marktorientierte Projektförderung insgesamt verringert und auf die zukunftsträchtigen Schlüsseltechnologien konzentriert, denn Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft sind in erster Linie auch in der Finanzierung Aufgaben der Unternehmen selbst.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Auch nach einer beträchtlichen Steigerung bleibt der Einzelplan des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit einer der vergleichsweise kleineren Etats.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Ja, ja!)

    Vorrangig, Herr Kollege, müssen die auf Grund neuer Rechtsvorschriften und Normen stark anwachsenden Aufwendungen für den Umweltschutz weiterhin von den Verursachern der Umweltbelastungen, also vor allem der gewerblichen Wirtschaft, den Energieversorgungsunternehmen, aber zunehmend, etwa in Verbindung mit der Einführung des umweltfreundlichen Autos, auch den privaten Haushalten aufgebracht werden.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Eine erhebliche politische und finanzielle Verantwortung kommt natürlich auch den Ländern und Gemeinden zu. Umfangreiche Investitionen in den Bereichen des Naturschutzes, der Gewässerreinhaltung und des Lärmschutzes werden notwendig, wenn dauerhafte Schäden von der Natur und von den Menschen abgewendet werden sollen. Zunehmend stellt auch die Abfallbeseitigung viele Gemeinden vor große Auf gaben.
    Meine Damen und Herren, AIDS ist eine große Herausforderung für den Staat und die Gesellschaft geworden. Mit dem bereits 1987 angelaufenen Sofortprogramm zur Bekämpfung von AIDS haben wir schnell gehandelt. Nur ein verantwortliches Zusammenwirken aller kann die weitere Ausbreitung dieser schrecklichen Krankheit zum Stillstand bringen. An AIDS Erkrankte und Infizierte dürfen nicht ausgegrenzt werden;

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    sie verdienen menschliche Zuwendung, Unterstützung und Fürsorge, aber sie müssen auch ihrerseits verantwortungsbewußt mit ihrer Krankheit umgehen. 1988 stellen wir für Aufklärungsmaßnahmen, gesundheitliche Modellvorhaben sowie Forschung und Entwicklung zur Erkennung und Behandlung von AIDS 160 Millionen DM Bundesmittel zur Verfügung.
    Wir werden die Bundeshilfe an Berlin im Finanzplanungszeitraum von derzeit 12 auf über 13 Milliarden
    DM anheben. Damit tragen wir vom Bund, der Bundeshaushalt, nach wie vor mehr als die Hälfte der Ausgaben des Landes Berlin.
    Und schließlich: Die beiden größten Einzelpläne des Bundeshaushalts bleiben auch 1988 die Etats für Arbeit und Sozialordnung und für Verteidigung.
    Nahezu ein Fünftel der Bundesausgaben entfallen auf den Verteidigungsbereich. Die Erhaltung von Frieden und Freiheit bleibt oberstes Ziel unserer Sicherheitspolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die für 1988 vorgesehenen Mittel steigen gegenüber 1987 um 2,1 %. Das ist knapp bemessen, aber es ist ausreichend für die vorrangigen Aufgaben. Wir sichern damit den erreichten hohen Einsatzstand der Bundeswehr und leisten unseren Beitrag für die Verteidigungsfähigkeit des westlichen Bündnisses. Schwerpunkte sind die Entwicklung neuer defensiver Waffensysteme, Infrastrukturvorhaben, verbesserte Aufstiegschancen durch neue Stellen und Stellenhebungen, Verbesserungen bei der sozialen Sicherung der Soldaten sowie die Erhöhung des Wehrsoldes.
    Meine Damen und Herren, im Einzelplan des Ministers für Arbeit und Sozialordnung steigt der gesetzliche Zuschuß des Bundes zur Rentenversicherung von 35,5 Milliarden DM auf 36,7 Milliarden DM an.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Mies!)

    Die Rücklagen der Rentenversicherung steigen wieder. Diese Regierung, diese Regierungsmehrheit, Frau Kollegin, erfüllt pünktlich die gesetzlichen Verpflichtungen, während unsere sozialdemokratischen Vorgänger die gesetzlichen Verpflichtungen gekürzt haben. Das ist der Unterschied; das will ich Ihnen nur auf Ihren Zwischenruf hin sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Für eine aktive Arbeitsmarktpolitik sind die stark angewachsenen Mittel der Bundesanstalt für Arbeit hervorzuheben. Hierfür stehen im laufenden Jahr rund 12 Milliarden DM zur Verfügung — 80 % mehr als im Jahre 1982. Rund 530 000 Teilnehmer nahmen 1986 Angebote zur beruflichen Fortbildung und Qualifizierung in Anspruch. Rund 120 000 Arbeitnehmer sind durch ABM-Maßnahmen beschäftigt.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Und anschließend wieder arbeitslos!)

    Gezielt für die langfristig Arbeitslosen haben wir in mehreren Schritten die Bezugszeit für das Arbeitslosengeld verlängert.
    Herr Kollege Apel, weil Sie das öffentlich hart kritisiert haben, will ich Ihnen sagen: Nach unserer Einschätzung wird die Bundesanstalt für Arbeit ihre Aufgaben im nächsten Jahr mit den zur Verfügung stehenden Mitteln erfüllen können.

    (Dr. Apel [SPD]: Ich komme darauf zurück! Völlig richtig!)

    Ich sage das nur vorsorglich, weil ich vermute, daß Sie hier ein gewaltiges Defizit verkündigen.
    Wir sind davon überzeugt. Wir meinen allerdings auch, daß gegebenenfalls eine gewisse Flexibilität bei



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    den freiwilligen Leistungen notwendig ist, um die Grundlagen zu sichern.

    (Zurufe von der SPD: Aha!)

    — Ja, nachdem wir — anders als Sie — die freiwilligen Leistungen um 80 % erhöht haben, ist es doch wohl berechtigt, dies hier zu sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wie kommen Sie denn dazu, sich darüber aufzuregen?
    Darüber hinaus ist vorgesehen, bestimmte Aufgaben aus dem Bundeshaushalt, u. a. bei der Förderung benachteiligter Jugendlicher und der Arbeitsbeschaffung, auf die Bundesanstalt für Arbeit zu übertragen. Zugleich wird im Rahmen der Neubestimmung wichtiger Aufgaben der sozialen Sicherung den gewachsenen Verpflichtungen des Bundes in der Rentenversicherung durch die Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht Rechnung getragen.
    Meine Damen und Herren, trotz der beträchtlichen Mehraufwendungen für Kohle, Landwirtschaft und Luftfahrt haben wir im Etatentwurf 1988 den Umfang der Finanzhilfen, also der Subventionen, auf der Ausgabenseite etwas zurückführen können, nämlich von 15,1 Milliarden DM auf unter 15 Milliarden DM. Die investiven Mittel im Bundeshaushalt sollen nach dem Etatentwurf von 34,1 Milliarden DM auf 34,2 Milliarden DM im nächsten Jahr ansteigen.

    (Huonker [SPD]: Ein enormer Anstieg ist das!)

    Weil auch das ein Punkt der öffentlichen Kritik der Sozialdemokraten ist, will ich Sie, meine Damen und Herren der Opposition, daran erinnern

    (Zurufe von der SPD)

    — Herr Kollege Walther, Sie waren doch dabei — , daß der Anteil der investiven Ausgaben im Bundeshaushalt in Ihrer Regierungszeit

    (Walther [SPD]: Höher als bei Ihnen war!)

    von 17 % im Jahre 1969 auf 13,1 % im Jahre 1982 zurückging. Wir haben einen Anteil von 12,4 % eingeplant.

    (Huonker [SPD]: Also noch weniger! — Dr. Vogel [SPD]: Ein absoluter Tiefpunkt!)

    — Nur, Herr Kollege Vogel: Es ist, glaube ich, richtig für eine ernsthafte Debatte, wenn man über die investiven Leistungen des Bundes redet, den Blick auf die Sondervermögen des Bundes und auf die bundeseigenen Finanzinstitutionen zu richten. Da kann man sagen, daß in den letzten Jahren die Sondervermögen Post, Bahn, ERP und die bundeseigenen Kreditinstitute ihre Investitionen und Fördermittel ganz beträchtlich erhöht haben. Insgesamt erreichen sie mittlerweile ein Volumen, das den Investitionsmitteln des Bundeshaushalts nahezu entspricht. Allein die investiven Ausgaben der Bundespost konnten in den vier Jahren um 5,5 Milliarden DM auf nunmehr 18,2 Milliarden DM gesteigert werden.
    Wir schlagen dem Deutschen Bundestag keine Ausweitung des Personalbestandes der Bundesverwaltung vor. 470 neue Stellen sind für Schwerpunktaufwendungen wie Umweltschutz, Gesundheitswesen
    und auswärtige Vertretungen vorgesehen. Eine entsprechende Zahl soll in anderen Bereichen entfallen. Mit 303 000 Beamten, Angestellten und Arbeitern können wir die vielfältigen Aufgaben der Bundesverwaltung angemessen wahrnehmen. Ich möchte auch an dieser Stelle den Mitarbeitern des Bundes für ihren meistens unauffälligen, aber sachkundigen Dienst und ihre vorbildliche Pflichterfüllung sehr herzlich danken.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Die Finanzlage der Europäischen Gemeinschaft, meine Damen und Herren, ist angespannt.

    (Roth [SPD]: Ihnen wird bei diesem Thema noch das Lachen vergehen!)

    Nachdem wir bereits 1986 fast 4 Milliarden DM Steuereinnahmen des Bundes an die EG übertragen haben, empfiehlt die Kommission jetzt ein grundlegend neues Finanzsystem, das zu einem weiteren Transfer von Steuermitteln der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaft führen soll.
    Hierüber gibt es noch wesentliche Auffassungsunterschiede zwischen den zwölf Regierungen. Hier gibt es auch noch einen sachlichen Klärungsbedarf im Hinblick auf einige Vorstellungen der Kommission. Wir konnten bei der Aufstellung des Etats deshalb nicht veranschlagen, in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt die zweifellos erforderliche Neuregelung unsere Einnahmen berührt. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Koalitionsvereinbarung vom März 1987. Hier ist festgelegt und veröffentlicht, daß der Bund für weitere Transfers an die EG einen Ausgleich braucht. Falls — so heißt es dort — dieser nicht anders erreicht werden kann, ist demnach eine begrenzte Anhebung spezifischer Verbrauchsteuern möglich.

    (Dr. Vogel [SPD]: Aha! — Walther [SPD]: Da haben wir wieder den Trick!)

    — Ich komme noch auf das Thema zu sprechen, Herr Vogel. Machen Sie sich keine Sorgen.
    Meine Damen und Herren, wir setzen uns für den Ausbau der Gemeinschaft ein, vor allem im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Binnenmarktes und der Stärkung der Strukturfonds. Alle diese für unsere eigene Zukunft so wichtigen Ziele werden aber nicht ohne einen gewissen Preis zu erreichen sein.

    (Dr. Vogel [SPD]: Aha! Deswegen Steuersenkung!)

    Das muß in aller Klarheit gesagt werden. Wenn ich manche bewegten Festreden von engagierten Europapolitikern in diesem Hohen Hause und woanders höre, dann habe ich manchmal den Eindruck, daß es Europa zum Nulltarif gibt. Davon kann gar keine Rede sein. Wer Europa will, muß auch einen Preis dafür zahlen. Das ist die schlichte Wahrheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Immer wieder stellt sich die Frage, welche Wirkungen die Haushalts- und Finanzpolitik für die Entwicklung unserer Volkswirtschaft, den Arbeitsmarkt und die soziale Situation der Menschen hat, welche Ge-



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    staltungsmöglichkeiten wir nutzen können. Durch Ausgabenbegrenzung — ich habe es im einzelnen dargelegt — konnten wir die Neuverschuldung erheblich zurückführen. Damit haben wir die wichtigste Voraussetzung für eine Politik der Steuersenkung und Steuerreform geschaffen. Wir konnten die Kapitalmärkte entlasten, so maßgeblich zur Zinssenkung und vor allem zu einer in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispielhaften Preisstabilität beitragen. Unter diesem Vorzeichen steigen die Realeinkommen der arbeitenden Menschen, der Rentner, der ganz großen Mehrheit unserer Mitbürger spürbar an.
    Meine Damen und Herren, wir haben 1987 — im fünften Jahr — wirtschaftliches Wachstum ohne die Gefahr eines neuen Inflationsschubes. Die Zahl der Arbeitsplätze nahm seit Oktober 1983 um mehr als 660 000 zu. Allerdings verlangsamte sich seit Anfang dieses Jahres das Wachstumstempo bei uns und in zahlreichen anderen europäischen Industrieländern. Die kurzfristige sehr starke Aufwertung der Deutschen Mark gegenüber dem amerikanischen Dollar zwischen dem Frühjahr 1985 und 1987 hat die Wettbewerbssituation, vor allem unserer Exportwirtschaft, zunächst spürbar erschwert.
    Durch die erfolgreiche Zusammenarbeit der großen Industrieländer und veränderte Markterwartungen verzeichnen wir seit über sechs Monaten weitgehende Wechselkursstabilität und damit wieder bessere Voraussetzungen für höhere Investitionen und mehr Wachstum. In Übereinstimmung mit der Mehrzahl der wirtschaftswissenschaftlichen Institute halten wir für 1987 deshalb eine reale Wachstumsrate von 1,5 bis 2 % und für 1988 von etwa 2,5 % für erreichbar.
    Wachstum ist kein Selbstzweck. Aber seine Wirkungen für mehr Beschäftigung, für die arbeitenden Menschen, für die sozialen Sicherungssysteme, für die Staatseinnahmen und auch für andere, in Not und Bedrängnis lebende Völker, sind vor allem in der aktuellen Situation ganz besonders hoch einzuschätzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir müssen neben den begrenzten kurzfristigen Schwankungen in den Konjunkturdaten vor allem die tiefergehenden Veränderungen wesentlich ernster nehmen, die sich in längeren Zeiträumen für die Stellung Deutschlands in der Weltwirtschaft abzeichnen. Japan ist in weniger als zwei Jahrzehnten in die Spitzengruppe der Industrieländer aufgerückt und hat uns Europäern wie auch den Amerikanern erhebliche Marktanteile abgenommen, andererseits auch Impulse gegeben. Andere Staaten, von Südkorea über Taiwan bis Brasilien, folgen in einem sehr schnellen Tempo.
    Die um ihre Arbeitsplätze bangenden Werftarbeiter an unserer Küste wissen schon, daß die Koreaner und Taiwanesen und demnächst auch die Chinesen, also die Volksrepublik China, im Schiffbau uns Europäern heute mit 35, 40 oder 45 % unseres Lohnniveaus, der Lohnnebenkosten und der Steuerlasten härteste Konkurrenz machen.
    Meine Damen und Herren, andere Wirtschaftszweige und ihre Mitarbeiter werden zunehmend dieselbe Erfahrung machen. In der ersten Hälfte dieses Jahres wuchs beispielsweise die immer stärker exportorientierte Wirtschaft Südkoreas trotz aller politischer Erschütterungen mit einer Jahresrate von 15 %, verglichen mit 3 % in Japan und knapp 2 % in Westeuropa. In derselben Zeit stieg der Leistungsbilanzüberschuß Südkoreas auf 4,1 Milliarden Dollar und erhöhte sich damit gegenüber dem Vorjahreszeitraum um fast das Zehnf ache.
    Unsere Antwort kann nicht Abschottung, kann nicht ein defensives Verhalten sein, sondern das konstruktive Annehmen der Herausforderung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dazu gehören die Ermutigung der schöpferischen Kräfte zu hohem Leistungsstand, auch zu Spitzenleistungen in Wissenschaft, in Technik, am Arbeitsplatz und die stärkere Anerkennung solcher Leistung im Steuerrecht.
    Auch ein deutliches Abbremsen des Anstiegs der Lohnnebenkosten gehört zu jeder ernsthaften Strategie für Wettbewerb und mehr Arbeitsplätze. Natürlich kommt insbesondere den Tarifpartnern hierbei eine zentrale Verantwortung zu. Meine Damen und Herren, wer durch einen Streik vor zwei Jahren die Kosten in der bereits hart bedrängten deutschen Handelsschiffahrt massiv nach oben trieb, muß heute zur Kenntnis nehmen, daß die neue Welle der Ausflaggungen zahlreiche Arbeitsplätze für deutsche Seeleute vernichtet.
    Wir können krasses Fehlverhalten bestimmter Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände nicht durch immer höhere Subventionen des Staates ausgleichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Auch das gehört zu den ordnungspolitischen Grundlagen eines ernsthaften Dialogs zwischen gesellschaftlichen Gruppen einerseits, Regierungen und Parlamenten andererseits.
    An die Finanzpolitik werden heute im Hinblick auf Konjunktur, Wettbewerbsfähigkeit und Förderung der Beschäftigung sehr unterschiedliche, teilweise ganz entgegengesetzte Erwartungen und Forderungen gerichtet. Die vorherrschende Meinung der internationalen Wirtschaftswissenschaftler und der angesehenen wirtschaftspolitischen Institutionen wie auch der Regierungen zahlreicher Partnerländer ist, wir sollten unsere Steuersenkungen weiter beschleunigen und erheblich verstärken.
    Auch in der Bundesrepublik Deutschland wird diese Auffassung vertreten. So sprach sich z. B. der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt Anfang Juli in einem Interview in der „Financial Times" für nachhaltige Steuersenkungen als wichtigstes Mittel für eine ausgeglichenere Zahlungsbilanz, also auch zur Stimulierung der Konjunktur und Förderung der Beschäftigung, aus. Aber dessen Gedanken sind ja (zur SPD) in Ihren Reihen überhaupt nicht mehr präsent, meine Damen und Herren,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    in der Sicherheitspolitik ebensowenig wie in der Finanzpolitik. Deswegen können Sie fröhlich und unbe-



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    Schwert, allerdings auch mit vielen Verdrehungen, gegen die Steuersenkungspolitik polemisieren.

    (Zuruf des Abg. Walther [SPD])

    Auf der anderen Seite bekämpft nämlich die sozialdemokratische Opposition die Steuerreform und eine behutsame Rückführung der Steuerquote. Sie verlangt unverdrossen neue Ausgabenprogramme, jetzt unter der Überschrift „Arbeit und Umwelt". Es macht aber nach den Erfahrungen der 70er Jahre mit kurzfristig angelegten Programmen dieser Art keinen Sinn, neuen Wein in alte, verbrauchte Schläuche zu gießen.

    (Zurufe von der SPD)

    Meine Damen und Herren, Steuer- und Haushaltspolitik müssen in einem Gleichgewicht bleiben. Wir wollen die großen Erfolge unserer Konsolidierung einer wesentlichen Verbesserung der Haushaltssituation von Bund, Ländern und Gemeinden nicht wieder verlieren. Aber es ist schon erstaunlich, wenn die sozialdemokratische Opposition, die nicht nur die Kreditaufnahme des Bundes in ihrer Regierungszeit dramatisch ausweitete, sondern Anfang der 80er Jahre die kommunale Selbstverwaltung in die schwerste Finanzkrise der Nachkriegszeit trieb, heute mit falschem Pathos als Kronanwalt der Konsolidierung und der Kommunen auftreten will. Das ist schon sehr erstaunlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Orientieren wir uns einmal an Zahlen: 1982, im Jahre des Regierungswechsels, mußten Städte, Kreise und Gemeinden 6,4 Milliarden DM neue Kredite aufnehmen. Zugleich gingen ihre Investitionen seit 1980 drastisch zurück. 1986 betrug die Neuverschuldung der Kommunen demgegenüber nur noch 2 Milliarden DM,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    weniger als ein Drittel bei zugleich deutlich ansteigenden Investitionen. Dieser positive Trend unterstreicht: Auch bei den Kommunen sind prinzipiell die Voraussetzungen gegeben, daß wir die Steuern für die arbeitenden Menschen und die Betriebe weiter senken können.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Das ist notwendig, um bei härterem internationalen Wettbewerb das Angebot an bezahlbarer Arbeit vergrößern zu können und berufliche Leistung, ehrliche Arbeit wieder stärker anzuerkennen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Darauf kommt es an!)

    Die von uns bereits verabschiedeten Steuersenkungsvorlagen widerlegen eindeutig die Behauptung der SPD, unsere Steuerpolitik diene den Reichen oder schade den Arbeitnehmern. Ab 1986, vor allem ab 1988 entlasten wir die Berufstätigen mit der Senkung der Einkommen- und Lohnsteuer um 24,6 Milliarden DM. Einschließlich der vor zwei Jahren beschlossenen besseren Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsgebäude beträgt die Gesamtentlastung für Arbeitnehmer und Betriebe sogar fast 29 Milliarden DM. In diesen schon beschlossenen Maßnahmen wird
    die prozentual weitaus stärkste Steuersenkung bei den unteren Einkommensgruppen und den Berufstätigen mit Kindern wirksam.
    Meine Damen und Herren, der steuerfreie Bruttojahresverdienst wird beträchtlich erhöht: bei Verheirateten mit zwei Kindern von 13 956 DM im Jahre 1985 auf 20 273 DM im Jahre 1988. Die Steuerpflichtigen mit einem zu versteuernden Einkommen bis zu 18 000 DM bei Ledigen bzw. 36 000 DM bei Verheirateten bringen auf der Grundlage des Einkommensteuerrechts 1985 5,4 % der Lohn- und Einkommensteuer auf; bei der Entlastung 1986/88 entfallen auf sie dagegen 6,5 % der Steuersenkung.
    Um es anschaulicher zu machen: Ein Arbeitnehmer mit 20 273 DM Bruttolohn, verheiratet, mit zwei Kindern — also in der untersten Einkommensgruppe — mußte 1985 noch 1 140 DM Lohnsteuer zahlen.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Schlimm genug!)

    Im nächsten Jahr ist er von jeder Lohnsteuerpflicht befreit. Die Entlastung beträgt 100 %; mehr ist nicht möglich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Eine Arbeitnehmerin, verheiratet, zwei Kinder, in der Elektroindustrie tätig, mit einem Durchschnittseinkommen von 31 700 DM wird 1988 gegenüber 1985 um 40 % entlastet, konkret um 1 142 DM. Ein lediger Facharbeiter in der Automobilindustrie mit einem dort wesentlich höheren Durchschnittseinkommen von 52 300 DM wird im kommenden Jahr gegenüber 1985 um 1 404 DM entlastet; das sind fast 11 seiner Steuerschuld.
    Man muß, Herr Kollege Apel, schon sehr weit von der Lebenswelt der arbeitenden Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen entfernt sein, um ständig wahrheitswidrig zu behaupten, diese Steuerpolitik sei arbeitnehmerfeindlich und diene den Reichen. Das ist schon grotesk, was Sie hier seit Wochen aufführen! Grotesk!

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es ist noch schlimmer, wenn die sozialdemokratischen Spitzenfunktionäre des Deutschen Gewerkschaftsbundes ihre gesamten publizistischen und agitatorischen Mittel in den Dienst dieser arbeitnehmerfeindlichen und unehrlichen Propaganda der Sozialdemokratischen Partei stellen.

    (Erneuter lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Herr Fehrenbach sagt doch genau dasselbe! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Also, bei einigen, etwa dem soeben Genannten, unterstelle ich, daß sie das nicht so genau wissen. Aber die Verfasser dieser Artikel wissen genau, was sie da anrichten.
    Meine Damen und Herren, bei hohen Einkommen geht die prozentuale — —

    (Zurufe von der SPD)




    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    — Nein, nein, wir sind — damit Sie hier einen Begriff aus dem Bereich des Sportes nicht falsch verwenden — in der Offensive, voll in der Offensive.

    (Hoi-Rufe bei der SPD)

    Wir nutzen die erste Gelegenheit im Deutschen Bundestag, in der offenen Auseinandersetzung mit Ihnen einmal diese unehrliche Kampagne der Verdrehungen und Täuschungen zu nennen, so wie sie es verdient, Herr Kollege Huonker, — damit da kein Zweifel besteht.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    — Also, Herr Apel, Sie haben ja schreckliche Dinge für mich heute angekündigt. Deswegen muß ich die Auseinandersetzung auch gleich einmal richtig eröffnen.
    Bei hohen Einkommen geht die prozentuale Steuersenkung deutlich zurück. Im Ergebnis beträgt die Entlastung 1986 und 1988 für alle Steuerzahler im Durchschnitt 9,9 % der bisherigen Steuerschuld. Bei den Beziehern hoher Einkommen mit einem Steuersatz von 56 % sind es nur noch 3,3 %.
    Meine Damen und Herren, die Koalitionsparteien haben für 1990 eine weitergehende Steuerreform vereinbart. Niedrige Tarife für alle und weniger Ausnahmen für spezielle Gruppen sind das Ziel, um zu einem in sich schlüssigeren und gerechteren Steuersystem zu kommen. Viele haben sich in den letzten Jahrzehnten an diesem Ziel orientiert, auch eine Reihe meiner sozialdemokratischen Amtsvorgänger. Wenn ich an die prinzipielle Begründung etwa der von dem Kollegen Alex Möller einmal vorgeschlagenen Steuerreform, die dann keine Mehrheit fand, erinnere, dann stelle ich fest: Es waren dieselben Grundsätze, die wir heute vertreten.
    Im Ergebnis wollen wir die Belastung durch Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer noch einmal um 20 Milliarden DM verringern. Die vorgesehenen Maßnahmen aber, vor allem die Einführung des sanft ansteigenden linearen Progressionstarifs, die kräftige Erhöhung des Grundfreibetrages und die weitere Erhöhung der Kinderfreibeträge, kosten rund 39 Milliarden DM an Steuerausfällen.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Wie wird das finanziert?)

    Wir wollen also 19 Milliarden DM im Steuersystem umschichten.

    (Walther [SPD]: Und wie machen Sie das?)

    Meine Damen und Herren, das ist nicht nur aus Haushaltsgründen, sondern vor allem auch im Interesse einer Vereinfachung der soeben genannten Grundsätze notwendig. Mehr als 150 Einzelpunkte, Steuersubventionen, Sonderregelungen, Gestaltungsmöglichkeiten für Privilegierte, sind also zunächst fachlich und dann in den politischen Folgerungen auf ihre Berechtigung einer so nachhaltigen Absenkung des Tarifs der Normalbesteuerung sorgfältig zu prüfen. Ich bin heute davon überzeugt, daß wir durch eine solche Erweiterung der Bemessungsgrundlage den ganz überwiegenden Teil des genannten Umschichtungsbedarfs erreichen können. Und da Sie konkret fragen, Herr Kollege Walther, muß ich
    Ihnen zu diesem Teil wirklich einmal in aller Ruhe sagen: Sie haben in den 13 Jahren Ihrer Regierungsverantwortung — trotz der intensiven Bemühungen von Alex Möller und anderen — eine so weitgehende Steuerreform, vor allem mit den breiteren und gerechteren Grundlagen der Besteuerung, nicht erreicht.

    (Dr. Apel [SPD]: Das ist doch völlig unwahr, was Sie da sagen! Darauf kommen wir zurück!)

    Wir haben das in den Koalitionsverhandlungen vereinbart. Und Sie müssen uns schon erlauben, daß wir das erste Jahr dieser Wahlperiode benutzen, um zu den konkreten Folgerungen zu kommen. Wer in 13 Jahren keine Steuerreform erreicht hat, ist wirklich nicht berechtigt, den Terminplan der Koalition glaubwürdig zu kritisieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Je weiter wir auf diesem Weg kommen, desto weniger brauchen wir im Rahmen der Steuerreform spezifische Verbrauchsteuern anzulegen.

    (Roth [SPD]: Aha!)

    Diese Konzeption macht auch deutlich — ich bekräftige das, weil man ja vieles immer wiederholen muß — , daß wir nach meiner Überzeugung zu einem positiven Resultat ohne Erhöhung der Mehrwertsteuer kommen können.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Aber weil die Möglichkeit, die ich ja bereits vor der Bundestagswahl im Deutschen Bundestag öffentlich angesprochen habe, daß wir unter Umständen auch auf die eine oder andere spezifische Verbrauchsteuer als Restposten gleichsam zurückgreifen müssen,

    (Lachen bei Abgeordneten der SPD)

    nun in den öffentlichen Bekundungen der SPD als geradezu unglaublich und unsozial erscheint — auch ein Teil Ihrer Sommerkampagne — , will ich Sie, meine Damen und Herren der Opposition, einmal kurz daran erinnern, was Sie in Ihrer eigenen Regierungszeit beschlossen haben.

    (Walther [SPD]: Erzählen Sie, was Sie vorhaben!)

    In den Jahren 1970 bis 1982 haben Sie unter maßgebender Beteiligung der damaligen Bundesminister Apel und Vogel indirekte Steuern in der Größenordnung von insgesamt 25,6 Milliarden DM jährlich erhöht, ohne daß es zu einer wirklich durchgreifenden Steuerreform kam.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Frau Matthäus-Maier [SPD]: Aber ohne Senkung des Spitzensteuersatzes!)

    — Ich will Ihnen das hier noch mal vortragen, Frau Matthäus-Maier; es interessiert eine breite Öffentlichkeit, die von Ihnen vollkommen desinformiert wurde. — Die Mineralölsteuer auf Benzin stieg in Ihrer Regierungszeit um 16 Pfennig auf 51 Pfennig je Liter.

    (Walther [SPD]: Wir wollen von Ihnen hören, was Sie vorhaben!)




    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    — Daß Sie das nicht gerne hören, Herr Walther, ist klar.

    (Walther [SPD]: Nein; aber ich möchte wissen, was Sie vorhaben!)

    — Aber den Inhalt meiner Ausführungen bestimme ich immer noch selbst; das ist doch vollkommen klar.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie können ja die nächste Fragestunde benutzen, um das zu erörtern.

    (Walther [SPD]: Das war billig! Das war für Sie wirklich billig!)

    Beim Dieselkraftstoff wurde um 12 Pfennig erhöht. Die Mehrwertsteuer wurde um zwei Punkte angehoben. Die Steuer für Trinkbranntwein ging um 112 % nach oben. Die Heizölsteuer wurde verdoppelt.
    Ihr seid mir schöne Anwälte der Kampagne gegen Verbrauchsteuern; ihr seid wirklich prima, kann ich euch nur sagen!

    (Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Herr Kollege Apel, einen Großteil Ihrer Reden vom Sommer konnte jeder, der sich an die Finanzpolitik nach 1969 erinnert, nur noch mit schwarzem Humor zur Kenntnis nehmen. Das will ich Ihnen hier wirklich sagen.

    (Frau Ganseforth [SPD]: Dann senken Sie doch wieder!)

    Aber jetzt zu den zugrunde liegenden Sachfragen.
    Unser Steuersystem ist dringend reformbedürftig. Vor allem die zu stark steigende Progressionsbelastung nimmt den arbeitenden Menschen zu viel von den Ergebnissen beruflichen Aufstiegs, aber auch jeder Tarifrunde weg. Eine gefährliche Folge ist, daß die Schattenwirtschaft der am stärksten wachsende Sektor unserer Volkswirtschaft wurde. Das habe ich gemeint, Frau Kollegin, als ich vorhin von ehrlicher Arbeit sprach. Der scheidende Präsident des Deutschen Handwerks, Paul Schnitker, hat vor wenigen Wochen erklärt, jährlich gingen rund 100 000 Arbeitsplätze durch Schwarzarbeit verloren. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Heinrich Franke, schätzt in einer Stellungnahme im August den Anteil der Untergrundwirtschaft mittlerweile auf 10% unserer volkswirtschaftlichen Leistung. Es genügt nicht, diesen gefährlichen Trend,

    (Walther [SPD]: Das alles unter Herrn Stoltenberg!)

    der die Grundlagen unserer Sozialsysteme und natürlich auch unseres Staatseinkommens schwächt, zu beklagen.

    (Walther [SPD]: Das alles unter dem Regime des Herrn Stoltenberg!)

    Auch wünschenswerte administrative Maßnahmen
    gegen Schwarzarbeit werden allein nicht ausreichen.
    Notwendig ist vielmehr, daß ehrliche Arbeit im Steuerrecht nachhaltiger anerkannt wird. Das ist der entscheidende Zugang.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es hat ja auch einen Sinn, daß diese Koalition beabsichtigt, die noch anstehenden endgültigen Entscheidungen zur Steuerreform und die notwendigen Beschlüsse zur Kostenbegrenzung im Gesundheitswesen in einer engen zeitlichen Verbindung zu treffen,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    weil beides notwendig ist, wenn das Angebot an bezahlbarer Arbeit wirklich dauerhaft erhöht werden soll und wir die Arbeitslosigkeit nachhaltig zurückführen wollen; beides sind Schlüsselaufgaben.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Kollege Apel, die Vorschläge der SPD — ich beziehe mich da auf Ihr Wahlprogramm vor der Bundestagswahl — , Steuern nur im unteren Einkommensbereich etwas zu senken, um dann die Arbeitnehmer bei einem erfolgreichen Aufstieg mit einer zusätzlichen Ergänzungsabgabe zu bestrafen, sind wirklich unbrauchbar. Sie sind in ihren ökonomischen und sozialen Wirkungen schädlich. Und sie sind ja auch von den Bürgerinnen und Bürgern im Januar insoweit verworfen worden.
    Bund, Länder und Kommunen sollen ausgewogen an den Mindereinnahmen durch Steuersenkung und Steuerreform beteiligt werden. Ich sage das auch im Hinblick auf die Forderung kommunaler Spitzenverbände. In diesem Bereich ist in der Tat eine ausgewogene Lösung nötig. Aber die Sozialdemokraten sind ein schlechter Anwalt der Steuerzahler und der kommunalen Selbstverwaltung. Wo Sozialdemokraten regieren, werden die Städte, Gemeinden und Kreise am stärksten zur Ader gelassen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nordrhein-Westfalen!)

    In Nordrhein-Westfalen verschlechtert die Regierung Rau seit 1982 Jahr für Jahr den kommunalen Finanzausgleich in schlimmer Weise. 1987 führt das für die Städte, Gemeinden und Kreise an Rhein und Ruhr zu Mindereinnahmen von 2,7 Milliarden DM — in einem Jahr! —

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    im Vergleich zu 1981. Und zur selben Zeit beklagt Herr Rau auf Veranstaltungen in Schleswig-Holstein bewegt den angeblich drohenden Niedergang der Kommunen durch unsere Steuersenkungen. Auch das kann man nur noch mit schwarzem Humor zur Kenntnis nehmen.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Roter Humor!)

    Die schleswig-holsteinischen Städte, Kreise und Gemeinden haben übrigens im Vergleich zu allen anderen Bundesländern die niedrigste Verschuldung pro Einwohner: im Jahr 1986 aus Kreditmarktmitteln 928 DM gegenüber einem Bundesdurchschnitt von 1 846 DM und einem Schuldenstand für die Kommunen Nordrhein-Westfalens von 2 264 DM. Herr Rau sollte sich lieber um die Kommunen in NordrheinWestfalen kümmern, als bei uns zu Hause derartige



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    Reden zu halten. Das kann man ihm nur dringend empfehlen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich sagte, daß wir das Defizit von Bund, Ländern und Gemeinden auf 2,2 % zurückgeführt haben. Es wird durch die beschlossenen und zusätzlich geplanten Steuersenkungen 1990 voraussichtlich zeitweise auf knapp 3 % ansteigen. Voraussetzung ist natürlich bei allen Gebietskörperschaften ein sparsamer Ausgabenkurs, der durch das hohe Maß an erreichter Geldwertstabilität erleichtert wird.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es!)

    Steuersenkungen und Steuerreform stärken Wachstumskräfte. Finanzpolitiker müssen exakt rechnen. Das ist wahr; es ist im übrigen allen Politikern zu wünschen, das zu tun, nicht nur den Finanzpolitikern, Herr Kollege Glos. Aber wir dürfen die Wirkungen unserer Entscheidungen auf die Volkswirtschaft und den Arbeitsmarkt dabei nicht vernachlässigen. Ich bin wirklich davon überzeugt: Wenn wir auf Steuersenkungen und Steuerreform verzichten würden, wäre das Ergebnis längerfristig nicht weniger, sondern mehr Schulden.
    Die internationale Entwicklung in zahlreichen Industrieländern unterstreicht diese Einsicht. Gegenwärtig verwirklichen ja oder planen christlich-demokratische, liberale, konservative, aber vor allem auch sozialistisch geprägte Regierungen und Parlamentsmehrheiten weitgehende steuerpolitische Entscheidungen. Das Beispiel der Steuerreform in den Vereinigten Staaten von Amerika hat nachhaltige Wirkungen ausgeübt. Ob nun Schweden oder Österreich, ob Frankreich, die Niederlande und Belgien, Kanada und Japan — man kann die Liste verlängern — , es sind bei allen Differenzierungen dieselben Grundüberlegungen und Grundlinien, die ihre ernsthafte Steuerdiskussion und aktuelle Steuergesetzgebung bestimmen.
    Die zu hohe Tarifbelastung, also die Normalbesteuerung bei der Einkommen-, Lohn- und Körperschaftsteuer wird zurückgeführt. Zugleich soll die zu große Zahl von Ausnahmevorschriften verringert werden. Für erfahrene und aufgeklärte Sozialisten ist es dabei selbstverständlich, daß die Entlastung durchgehend sein muß und deshalb auch der für die Unternehmensbesteuerung besonders wichtige Spitzensteuersatz einbezogen wird.
    Diese Reformaufgabe wird in manchen Nachbarländern als so dringend angesehen, daß sie beispielsweise in Österreich, wo die weit überhöhte Staatsverschuldung nach Auffassung der Regierungsparteien kurzfristig eine Steuersenkung nicht erlaubt, ausschließlich durch Umschichtungen im Steuersystem finanziert wird. Ich sage es noch einmal: In Österreich — die Regierung besteht dort aus Sozialistischer Partei und Österreichischer Volkspartei — sieht man zwar nicht den Spielraum für Steuersenkungen, aber man finanziert die Tarifsenkung bis zum Spitzensteuersatz ausschließlich durch Umschichtungen im Steuersystem.
    Die Sozialdemokraten sollten die sozialistischen Finanzminister der anderen europäischen Länder einmal als Experten zu einem Fortbildungsseminar zu diesen zentralen Themen der Steuer- und Finanzpolitik einladen. Ich kann Ihnen das nur empfehlen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das käme Ihren Diskussionen und auch unseren Debatten in diesem Hohen Haus zugute.
    Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung — OECD — , in der internationalen Diskussion ja mit besonders hoher Autorität ausgestattet, schrieb in ihrem jüngsten Deutschlandbericht zu den angesprochenen zentralen Fragen
    — ich zitiere das — :
    Im finanzpolitischen Bereich müssen die beachtlichen Fortschritte im Auge behalten werden, die in den letzten vier Jahren bei der Konsolidierung des öffentlichen Gesamthaushalts erzielt worden sind, und es muß gleichzeitig auf eine Senkung der Ausgabenquote hingewirkt werden.
    — Das ist auch für Diskussionen in manchen Bereichen der Koalition wichtig. —
    Zwar müßte vielleicht einige Jahre lang eine höhere Staatsschuld im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt hingenommen werden, doch dürfte dies angesichts des Gewichts, das die Bundesregierung einem vorsichtigen Haushaltsgebaren beimißt, die Glaubwürdigkeit ihrer Politik kaum beeinträchtigen.
    Die OECD, der Internationale Währungsfonds und andere Institutionen mit großem Ansehen mahnen uns allerdings, auch in anderen Bereichen notwendige Reformen weiterzuführen und konsequent zu verwirklichen. Dazu gehören nach ihrer und meiner Auffassung die weitere Privatisierung von Unternehmen und bestimmten Dienstleistungen,

    (Zuruf von der SPD: Airbus!)

    nicht nur beim Bund, sondern vor allem auch in der Verantwortung der Kommunen, der Abbau zu starker bürokratischer Hemmnisse bei arbeitsplatzschaffenden Investitionen und eine beweglichere Tarifpolitik, die nachhaltiger beschäftigungsfördernd wirken sollte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich unterstreiche dies auch als eine Verpflichtung für die Koalition und die Regierung. Wir müssen weiter vorangehen. Ich bin der Überzeugung, daß insbesondere die Tarifpolitik stärker den sehr unterschiedlichen Strukturen und regionalen Gegebenheiten in der Bundesrepublik Deutschland Rechnung tragen soll.
    Meine Damen und Herren, ich habe zu Beginn meiner Ausführungen hervorgehoben, daß kaum ein anderes Land so nachhaltig mit der Weltwirtschaft verflochten ist wie wir. Deshalb setzen wir uns für eine wirksamere internationale Zusammenarbeit und für handlungsfähige weltweite oder regionale Organisationen der Währungs-, Finanz-, Handels- und Entwicklungshilfepolitik ein.
    Es gibt auf diesem schwierigen Weg einige wichtige Fortschritte. Die schon kurz erwähnte Pariser Erklä-



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    rung der Finanzminister und Notenbankpräsidenten der großen Industrieländer vom Februar beschränkte sich nicht auf das angekündigte Zusammenwirken zur Stabilisierung von Wechselkursen. Sie formulierte weiter gespannte gemeinsame Ziele, die in der Verantwortung der einzelnen Staaten oder in den internationalen Institutionen verwirklicht werden sollen. Ob dies erreicht werden kann, wird für die Zukunft der Weltwirtschaft, vor allem der von Krisen überschatteten Situation so vieler Schwellen- und Entwicklungsländer, aber auch für uns und für andere Industrieländer von sehr großer Bedeutung sein. Auch der Wirtschaftsgipfel der Staats- und Regierungschefs in Venedig hat im Gegensatz zu manchen voreiligen Ankündigungen über Krisen und Kontroversen diese Grundlinien der Zusammenarbeit verdeutlicht.
    Natürlich wiederholen sich manche Formeln und Forderungen in den Kommuniqués von Jahrestagungen und Wirtschaftsgipfeln, aber es wäre falsch, sie deshalb von vornherein gering einzuschätzen. Wir sehen auf Grund dieser internationalen Zusammenarbeit auch Bewegung und wichtige Wirkungen in zentralen Themen.
    In dem am 30. September zu Ende gehenden Haushaltsjahr wird erstmals das Etatdefizit der Vereinigten Staaten von Amerika um rund 30% verringert. Allerdings spielen auch einmalige Faktoren dort eine Rolle. Deshalb sind in Washington weitere gesetzgeberische Entscheidungen dringend erforderlich, damit dieser Kurs fortgesetzt werden kann. Die Trendwende beim Abbau des amerikanischen Handelsdefizits vollzieht sich in der Tat langsamer, ist aber in ersten wesentlichen Daten erkennbar. Japan hat weitere Einzelschritte zur Öffnung seiner Märkte getan. Auch hier wünschen wir eine schnellere und umfassendere Entwicklung, damit potentiell gefährliche Verwerfungen und internationale Konflikte abgewehrt werden können. Aber wir als Deutsche, meine Damen und Herren, können Forderungen an unsere wichtigsten Partner nur glaubwürdig vertreten, wenn wir unseren eigenen Beitrag leisten. Wenn wir sagen, daß wir uns abmelden aus einer abgestimmten Strategie für Wachstum und Beschäftigung, daß wir deswegen die Steuern nicht senken, sondern erhöhen, wie sollen denn der Bundeskanzler, der Bundesfinanzminister, der Bundeswirtschaftsminister mit Autorität in diesen internationalen Verhandlungen auftreten und unsere vitalen Belange dort vertreten können? Wie soll denn das überhaupt geschehen?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Mit der Autorität ist es sowieso nicht weit her!)

    Man muß die erheblich verbesserte Zusammenarbeit der Industrieländer, die auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu verzeichnen ist, allerdings auch vor Mißverständnissen bewahren. Sie hat nicht ein System von automatischen Handlungsverpflichtungen bei kurzfristigen konjunkturellen Schwankungen zum Ziel; sie beachtet vielmehr die spezifischen Bedingungen der Partner und die vorrangige Verantwortung ihrer Parlamente, Regierungen und Notenbanken. Dies ist auch nicht ein Kartell der Industrieländer.
    Unsere Mitverantwortung für die Weltwirtschaft und damit besonders für die von schweren Belastungen getroffenen ärmeren Entwicklungsländer muß jederzeit im Vordergrund der Beratungen und Entscheidungen stehen.
    Angesichts der Größenordnung und der Härte der Schuldenlast ist positiv zu bewerten, daß in den letzten fünf Jahren seit Ausbruch der Mexiko-Krise die Lage unter Kontrolle gehalten werden konnte. In einigen Ländern wurde durch nationale Initiativen und internationale Unterstützung eine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Daten erreicht. Mexiko, das in diesem Jahr eine eindrucksvolle Steigerung seiner Exporte und einen beträchtlichen Anstieg seiner Währungsreserven erreichen kann, ist ein Beispiel dafür, was durch eine entschlossene Wirtschaftspolitik auch bei ungünstigen Ausgangsbedingungen möglich ist.
    Auf der anderen Seite bleibt die Situation der meisten verschuldeten Länder sehr schwierig. Der Nettokapitalzufluß in viele Staaten ist praktisch zum Erliegen gekommen. Neue Kredite stehen in vielen Fällen eigentlich nur noch für Umschuldungen und Zinszahlungen zur Verfügung. In einer solchen Lage schwindet das Interesse mancher Länder an einer Kooperation mit den öffentlichen und den privaten Gläubigern, schwindet die Bereitschaft, knappe Devisen für Tilgung und Zinszahlungen zur Verfügung zu stellen. Das bereits acht Monate anhaltende Zahlungsmoratorium Brasiliens hat bei den übrigen großen Schuldnerländern keine Nachahmer gefunden; es ist jedoch ein Zeichen einer gewissen Verhärtung der Verhandlungsposition zwischen den Beteiligten.
    Allerdings, meine Damen und Herren, die Erfahrungen von Ländern, die diesen Weg zunächst mit großer innerer Unterstützung und auch mit manchen Sympathien gegangen sind und dann in eine schwere Krise geraten sind — ich denke an Peru — , zeigen auch, daß das nicht der richtige Weg ist, die Probleme der hochverschuldeten Länder zu lösen. Wir können diese Länder in ihrem eigenen Interesse nur auffordern, ihn nicht zu gehen.
    Auf der anderen Seite gibt es für uns Verpflichtungen. Private und öffentliche Gläubiger müssen im eigenen wie im Interesse der hochverschuldeten Entwicklungs- und Schwellenländer die Bereitschaft zeigen, das notwendige Kapital für deren wirtschaftliche Entwicklung bereitzustellen. Entschlossene Anpassungspolitik — der erkennbare Wille, die strukturellen Voraussetzungen im privaten wie im öffentlichen Bereich für mehr Wachstum zu schaffen — bleibt die Voraussetzung für eine dauerhafte Stabilisierung und Verbesserung der Lage.
    Die meisten europäischen privaten Banken haben die Zeit genutzt und in ihren Bilanzen in großem Umfange Vorsorge für mögliche Risiken im Auslandsgeschäft getroffen. Die großen Banken in den Vereinigten Staaten sind jetzt dabei, in diesem Bereich Versäumtes nachzuholen. Diese Entwicklung eröffnet Chancen wie auch gewisse Risiken. Zahlungseinstellungen einzelner Schuldner würden heute nicht mehr die noch vor wenigen Jahren befürchtete internationale Finanzkrise auslösen. Das ist das Positive. Darüber hinaus ist Raum geschaffen worden für neue Ver-



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    einbarungen mit den Schuldnerländern, die deren wirtschaftlichen Möglichkeiten besser Rechnung tragen.
    Aber die Abschreibung von Forderungen an in Schwierigkeiten befindliche Lander darf nicht als Signal zum Rückzug aus dem internationalen Engagement mißverstanden werden. Wir dürfen — das gilt für den Staat, das gilt für die Firmen, das gilt für die Banken — die Schuldnerländer mit ihren Problemen nicht alleinlassen;

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    sonst müßten wir auch schwerwiegende Rückwirkungen auf die eigene wirtschaftliche Situation befürchten.
    Zunehmende Bedeutung bei der Bewältigung der internationalen Verschuldenssituation kommt auch und vor allem den internationalen Finanzinstitutionen zu. Die Bundesrepublik setzt sich seit langem dafür ein, die Mittel bei der Weltbank und, sobald erforderlich, auch beim Internationalen Währungsfonds zu verstärken. Sie hat ja, wie Sie wissen, einen überdurchschnittlichen Anteil bei der Aufstockung der Mittel der Internationalen Entwicklungsagentur übernommen. Wir erweitern den Rahmen für die bilaterale Entwicklungshilfe.
    Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat in den letzten fünf Jahren gezeigt, daß sie auch im Rahmen eng begrenzter öffentlicher Mittel national wie international erfolgreich Politik gestalten kann. Wir haben in einer Gemeinschaftsleistung wieder ein verläßliches Fundament für Wirtschaft und Staat geschaffen und damit auch das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in der Welt gestärkt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Bürger unseres Landes haben die positiven Auswirkungen unserer Politik konkret erfahren können, manche allerdings bis heute sicher nur eingeschränkt.

    (Zurufe von der SPD)

    — Ja, ich denke an die Menschen, die von den schweren Strukturveränderungen betroffen sind.

    (Zuruf von der SPD: Neue Armut!)

    Stetiges Wachstum, zunehmende Beschäftigung, bessere Ausbildungschancen, stabile Preise, niedrigere Zinsen und steigende Realeinkommen sind Tatsachen, die zählen und die man nicht aus der Welt polemisieren kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Aber — auch das sollte ganz deutlich werden — vieles bleibt zu tun. Der Haushaltsentwurf 1988 und der Finanzplan bis 1991 beschreiben den Kurs einer weiterhin verläßlichen und vertrauensbildenden Finanzpolitik. Wir haben eine gute Grundlage geschaffen, auf der wir nach meiner Überzeugung vor den großen Herausforderungen der nächsten Jahre erfolgreich bestehen können.
    Schönen Dank.

    (Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Apel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Rede des Bundesministers der Finanzen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: War gut!)

    ebenso wie der vorliegende Haushaltsentwurf 1988 und der Finanzplan bis 1991 sind erkennbar davon bestimmt, bis zu den Wahlen am kommenden Sonntag über die Runden zu kommen.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ CSU und der FDP)

    Sie wollen — und darauf werde ich einzugehen haben — den Eindruck

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt hier Eindruck?)

    solider Finanzpolitik vorspielen. Der Bundesfinanzminister versucht auch heute wieder, die Illusion aufrechtzuerhalten, Ihre überzogenen Steuerpläne seien solide finanzierbar und gerecht,

    (Seiters [CDU/CSU]: Herr Apel, Ihre halbe Fraktion will Sie gar nicht hören! Sie ist gar nicht da! — Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Bei euch ist auch keiner da!)

    und Sie wollen den Eindruck erwecken, als könnten Sie Ihre Wahlversprechen halten.
    Tatsache ist dagegen, meine Damen und Herren von der Union, daß der Haushaltsentwurf, den Sie uns vorgelegt haben, ein Torso ist. Er verstößt — und darauf werde ich im einzelnen eingehen — in eklatanter Weise gegen die haushaltsrechtlichen Grundsätze von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, der mittelfristige Finanzplan bis 1991 war schon bei seiner Verabschiedung im Kabinett nichts weiter als Makulatur. Ihr Zahlenwerk ist unvollständig; Ihre Schätzansätze lassen die für eine solide Finanzpolitik notwendige Vorsicht vermissen. Dieses Zahlenwerk — und ich sage das in allem Ernst — ist keine solide Grundlage für die Haushaltsberatungen im Deutschen Bundestag.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU: Das glauben Sie doch selbst nicht, was Sie da reden! — Woher weiß der, was solide ist?)

    Meine Damen und Herren, ich möchte das gern im einzelnen begründen. Ich möchte dabei eine Vorbemerkung machen. Herr Stoltenberg hat Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, mit der Bemerkung abgespeist, wir hätten bei den letzten Haushaltsberatungen unnötig Alarm geschlagen, und die Fakten seien doch ganz anders. Wie sind die Fakten nun aber wirklich?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Gut!)

    Herr Stoltenberg hat am 22. Dezember 1986, also noch nach den Haushaltsberatungen, in der „Welt am



    Dr. Apel
    Sonntag" gesagt, er erwarte für 1987 ein Wirtschaftswachstum zwischen 2,5 % und etwas mehr als 3 %.

    (Zuruf von der SPD: Das erwartet er immer noch!)

    Tatsache ist, daß er inzwischen über 4 Milliarden DM Steuereinnahmen verloren hat. Dieses haben wir ihm prophezeit; damit haben wir recht gehabt. Hören Sie auf, so zu tun, als sei das, was Sie uns damals vorgelegt haben, und das, was Sie uns heute vorlegen, etwas, was der finanzpolitischen Realität unserer Zeit entspricht. Genau das Gegenteil ist richtig.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nun zu den Einzelheiten. Herr Kollege Stoltenberg, ich frage Sie, ob es richtig ist, daß Sie am 23. Juli 1986 folgendes erklärt haben — ich zitiere:
    Eine seriöse Finanzplanung muß die nötige Vorsorge für den Fall treffen, daß der Höchstsatz für die Abführung der Mehrwertsteuereigenmittel an die EG ab 1988 weiter erhöht wird.
    Ich frage Sie, ob es stimmt, daß Sie im letzten Finanzplan vor 12 Monaten deshalb, völlig zu Recht, 5,8 Mil-harden DM als zusätzliche EG-Abgaben für die Jahre 1988 bis 1990 eingesetzt haben. — Dieses war so. Sie können es nicht bestreiten. — Nun, bei der Vorlage des Bundeshaushalts 1988 gibt es plötzlich diese Risiken nicht mehr. Die 5,8 Milliarden DM, die Sie damals vorgesehen hatten, werden anderweitig verfrühstückt. Sie wissen bereits heute, daß Ihnen in Brüssel im nächsten Haushaltsjahr 2,2 Milliarden DM fehlen werden. Dafür haben Sie keine Vorsorge getroffen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Unsolide!)

    Wenn wir das sagen, dann ist das keine irreführende Propaganda, wie Sie sagen, sondern simple fiskalische Wahrheit.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Kollege Stoltenberg, Sie wissen doch wie wir ganz genau — die Unterlagen liegen doch in Ihrem Ministerium — , daß die Bundesanstalt für Arbeit Ihnen mitgeteilt hat, daß sie im nächsten Jahre, auch auf Grund des Verschiebebahnhofs, weil Sie Leistungen, die in den Bundeshaushalt gehören, auf kunstvolle Weise bei der Bundesanstalt abladen, 1,5 Milliarden DM Defizit haben wird.

    (Dr. Vogel [SPD]: Aha!)

    Sie haben heute immerhin eine interessante Feststellung getroffen. Sie haben gesagt: Wenn das passieren sollte, werden wir eben die freiwilligen Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit — in einer Situation, in der wir über 2,2 Millionen Arbeitslose haben — einschränken. Nur frage ich Sie: Was hat das dann eigentlich mit Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit zu tun? Sie lassen die Haushaltspolitiker beraten, Sie lassen den Deutschen Bundestag beraten, Sie lassen Etatansätze beschließen, und anschließend sagen Sie: April, April, ich werde die Leistungen kürzen. — Wir sagen Ihnen: Es fehlen dort 1,5 Milliarden DM. Auch dies, Herr Kollege Stoltenberg, ist keine irreführende Propaganda.

    (Beifall bei der SPD)

    Für weitere erhebliche Risiken im nächsten Jahre haben Sie doch gar keine Vorsorge getroffen. Sie rechnen sich doch erneut reich. Sie haben hier gesagt, wir würden im nächsten Jahre ein Wirtschaftswachstum von 2,5 % real haben.

    (Walther [SPD]: Das glaubt er selber nicht!)

    Ich kann mir das nicht vorstellen. — Im übrigen, Sie haben sich ja vor 12 Monaten schon einmal beträchtlich geirrt: 3 % mehr Wachstum — und 1,8 % waren es am Ende. Wo sollen diese 2,5 % reales Wachstum herkommen? Die Experten, die sich inzwischen geäußert haben, sagen: Wir werden im nächsten Jahre ein beträchtlich geringeres Wirtschaftswachstum haben. — Und dann werden Ihnen bei jedem Prozent Minus beim Wirtschaftswachstum 4 Milliarden DM auf der Einnahmenseite des Bundeshaushalts fehlen.
    Herr Kollege Stoltenberg, vielleicht klären Sie den Deutschen Bundestag einmal über folgenden Tatbestand auf: Für 1988 haben Sie im Bundeshaushalt Einnahmen in der Größenordnung von 1,8 Milliarden DM aus Privatisierungserlösen eingesetzt. Niemand, aber auch niemand, war bisher in der Lage, zu sagen, wo das Geld herkommen soll, es sei denn, Sie verschöben die Privatisierung von Volkswagen von diesem Jahr — die Einnahmen daraus sind ja für dieses Jahr vorgesehen — auf das nächste Jahr. Dann muß ich mich allerdings fragen: Wie kann eigentlich ein Finanzminister, der Anspruch aus Seriosität erhebt, Erlöse einer Privatisierung gleich zweimal etatisieren? Oder ist das Ihre Art von doppelter Buchführung?

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Feilcke [CDU/CSU]: Herr Apel aus Kalau!)

    Ergebnis: Der vorliegende Haushaltsentwurf mit einer von Ihnen angegebenen Neuverschuldung von 29,3 Milliarden DM spiegelt die Wirklichkeit der Bundesfinanzen nicht wider. Die Neuverschuldung des Bundes wird 1988 auf mindestens 33 Milliarden DM ansteigen. Das ist gegenüber dem Haushaltssoll des Jahres 1987 ein Anstieg um 10 Milliarden DM oder 50 %.
    Meine Damen und Herren, auch der mittelfristige Finanzplan bis 1991 war bereits in dem Augenblick überholt, in dem ihn das Kabinett verabschiedet hat. Denn das Kabinett hat gleichzeitig zum Finanzplan folgendes beschlossen: Im Herbst werden die Verteidigungsausgaben überprüft. Dem Verteidigungsminister wird ein Nachschlag in Aussicht gestellt. Im Herbst wird über die deutsche Beteiligung an den europäischen Raumfahrtprogrammen entschieden; da geht es dann um zusätzliche milliardenschwere Haushaltsbelastungen der nächsten Jahre. Auf den Herbst werden die Entscheidungen darüber vertagt, was Kohle, Stahl und Werften in den nächsten Jahren vom Bund zu erwarten haben; die jetzigen Ansätze müssen erhöht werden.
    Herr Kollege Stoltenberg, hier will ich einen Moment Pause machen

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist sehr schön!)

    und mich mit Ihnen über eine Bemerkung auseinandersetzen, die Sie hier gemacht haben. Wenn ich es



    Dr. Apel
    richtig verstanden habe, haben Sie gesagt — bitte korrigieren Sie mich andernfalls — , das Land Nordrhein-Westfalen wolle seine finanzielle Unterstützung für seine Kohle abbauen; damit würde Nordrhein-Westfalen die Existenzgrundlage des deutschen Kohlebergbaus gefährden. Das haben Sie gesagt.

    (Jahn [Marburg] [SPD]: Hat er gesagt!) Da muß ich sagen: Tatsache ist folgendes.

    Erstens. Nordrhein-Westfalen hat zu keinem Zeitpunkt erklärt, daß es sich aus seiner Verantwortung für den Bergbau zurückziehen will.

    (Dr. Vogel [SPD]: Im Gegenteil!)

    Nordrhein-Westfalen hat in der Vergangenheit alle Vereinbarungen mit dem Bund und der Kohlewirtschaft eingehalten und wird dies auch in Zukunft tun.

    (Beifall bei der SPD)

    Zweitens. Natürlich hat Nordrhein-Westfalen im Zusammenhang mit der Debatte um die Neuordnung des Finanzausgleichs im Bundesrat darauf hingewiesen, daß die Belastung von 1,5 Milliarden DM, die Nordrhein-Westfalen in seinem Haushalt mit auffangen muß, weil wir die Kohle sichern wollen und in Nordrhein-Westfalen damit auch eine nationale Aufgabe wahrzunehmen haben, bei der Neuordnung des Finanzausgleichs berücksichtigt werden müsse. Dazu hat es einen Antrag im Bundesrat gegeben. Es wurde einmütig beschlossen, daß das Land Nordrhein-Westfalen bei seinen Leistungen für die Kohlelasten, insbesondere bei der Kokskohlenhilfe, entlastet werden soll. Das ist der Tatbestand, und der ist Ihnen bekannt. Aber Sie verdrehen die Wahrheit hier in einer unglaublichen Art und Weise.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD — Feilcke [CDU/CSU]: Frech behauptet ist halb bewiesen!)

    Meine Damen und Herren, im Herbst wird auch über die Absicherung des Währungsrisikos beim Airbus und über zusätzliche Hilfen für die Landwirtschaft beschlossen werden. Meine Damen und Herren, das ist ein unglaublicher Vorgang.

    (Seiters [CDU/CSU]: Schon wieder unglaublich!)

    Hier wird ein Finanzplan beschlossen.

    (Jahn [Marburg] [SPD]: Da hört er wieder nicht zu!)

    Gleichzeitig werden milliardenschwere zusätzliche Ausgabenbelastungen in Aussicht gestellt. Im übrigen — das sei nur am Rande vermerkt — : Dieser finanzpolitische Verschiebebahnhof, der alles auf den Herbst verschiebt — wir wissen noch gar nicht, welcher Herbst gemeint ist; Jahreszahlen sind ja nicht angegeben —, macht deutlich, Herr Seiters, wie es um die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit dieser Koalition tatsächlich bestellt ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber auch für weitere Ansprüche an den Bundeshaushalt hat der Bundesfinanzminister in seiner Finanzplanung keine Vorsorge getroffen. Herr Kollege Stoltenberg, Sie wissen doch selbst, daß von der EG
    weitere Belastungen auf den Bundeshaushalt zukommen. Beim letzten Europagipfel hat die Bundesregierung selbst zusätzliche Zahlungen an die EG in Aussicht gestellt.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das macht der Herr Kiechle immer!)

    Allein der deutsche Anteil an den in Brüssel aufgelaufenen Verpflichtungen beläuft sich auf 16 Milliarden DM — keine Mark dafür im Finanzplan.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das ist Stoltenberg!)

    Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben in Ihrer Einbringungsrede darauf hingewiesen, daß Sie zusammen mit dem Bundeshaushalt 1988 dreimal 660 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen im Bereich der Städtebauförderung ausgebracht haben. Ich kann das nur begrüßen. Nur, Herr Kollege Stoltenberg: Wo sind denn die 2 Milliarden DM in die mittelfristige Finanzplanung eingesetzt, wenn diese Verpflichtungsermächtigungen benutzt worden sind und wenn die Rechnungen eingehen? Nicht eine müde Mark haben Sie in Ihren Finanzplan von den von Ihnen selbst gewährten Verpflichtungsermächtigungen eingesetzt. Da kann ich nur sagen: Das ist wirklich eine merkwürdige Finanzpolitik. Da wird der Finanzplan zum Lügenbüchlein der Nation.

    (Beifall bei der SPD — Glos [CDU/CSU] : Ausgerechnet Sie müssen das sagen!)

    Der Bundesfinanzminister hat auch über die finanziellen Nöte der Rentenversicherung gesprochen. Er hat darauf hingewiesen, daß wir mehr Geld zur Sicherung der Rentenversicherung brauchen. Das ist richtig. Aber wir alle wissen doch, der Arbeitsminister weiß doch, daß wir mit großer Wahrscheinlichkeit — nach meiner Überzeugung mit Sicherheit — bereits in dieser Legislaturperiode, in der nächsten Phase des Finanzplans, anfangen müssen, Herr Blüm, Mittel für die Rentenversicherung über das im Finanzplan vorgesehene Maß bis in die Größenordnung von 4 Milliarden DM bereitzustellen. Wo sind denn diese Beträge im Finanzplan eingesetzt? Nicht eine müde Mark. Und was heißt das dann für die Rentenversicherung?

    (Beifall bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: „Null-Lösung " !)

    Im übrigen, wenn ich dann die Kollegin Süssmuth und den Kollegen Blüm sehe, möchte ich auch daran erinnern, daß ihre Wahlversprechen, Verbesserung und Erhöhung des Kindergeldes, Verbesserung des Erziehungsgeldes, Absicherung des Pflegefalls, nicht mit einer einzigen Mark im Finanzplan des Finanzministers vorgesehen sind. Damit sind diese Wahlversprechen bereits heute als Seifenblasen zerplatzt. Sie, Herr Gattermann, haben ja auch bereits gestern deutlich gemacht, daß es dabei bleiben wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, bei den Steuereinnahmen hat Herr Stoltenberg durchgängig bis 1991 ein reales Wachstum von 2,5 % eingesetzt. Ich will mich jetzt gar nicht darüber unterhalten, wie das Wachstum wirklich sein wird. Ich glaube nicht, daß diese optimale Zahl erreichbar sein wird. Wir stützen uns auf das ab, was Sachverständige errechnet haben. Da hat



    Dr. Apel
    das Münchner Ifo-Institut die mittelfristigen Steuerschätzungen sehr detailliert untersucht. Das Ifo-Institut kommt zum Ergebnis — ich zitiere — : Mittelfristige Steuerschätzung — nur Makulatur. —

    (Dr. Vogel [SPD]: Ifo München!)

    Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes ist nach den Feststellungen aus dem Jahre 1968 — die Mifrifi ist ja in der Großen Koalition beschlossen worden — folgendermaßen definiert worden, und diese Definition stammt aus der Feder des damaligen Finanzministers Franz Josef Strauß — ich zitiere — :
    Die mittelfristige Finanzplanung ist ein in Zahlen gekleidetes Regierungsprogramm, in dem die zeitlichen Prioritäten und die politischen Schwerpunkte nach den Vorstellungen der Regierung sichtbar gemacht werden.

    (Dr. Vogel [SPD]: Aha!)

    Meine Damen und Herren, der vorliegende Finanzplan wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Er setzt weder zeitliche Prioritäten noch politische Schwerpunkte. Er sagt nicht die Wahrheit über die tatsächliche Lage der Staatsfinanzen. Er gleicht vielmehr einer Nebelwand auf einem Zahlenfriedhof, auf dem der Finanzminister hilflos umherirrt.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber gerade bei der gegenwärtig labilen Konjunktur — der Bundesfinanzminister hat über diese labile Konjunktur, was die internationalen Aspekte anbelangt, Bemerkungen gemacht, denen wir zustimmen können — kommt es doch darauf an, den wirtschaftlichen Entscheidungsträgern eine verläßliche Orientierung zu geben. Stetigkeit und Vorhersehbarkeit der Finanzpolitik sind heute wichtiger denn je. Deswegen fordern wir Sie in allem Ernste auf: Lassen Sie die Bürger und die Wirtschaft nicht weiter über die wahre Lage der Staatsfinanzen im unklaren! Den Kassensturz, den Sie in Ihrer Koalition für 1989 verabredet haben, brauchen wir jetzt, der ist jetzt fällig. Legen Sie endlich die Bücher offen, damit die deutsche Öffentlichkeit erfährt, was in der Finanzpolitik noch möglich ist!

    (Beifall bei der SPD)

    Angesichts dieser Risiken und der Manipulationen hat auch die im Finanzplan für 1990 vorgesehene Neuverschuldung von 30,9 Milliarden DM überhaupt nichts mit der Wahrheit zu tun. Oder wie wollen Sie eigentlich der Öffentlichkeit folgendes erklären: Der Bundesfinanzminister sagt, im Jahr 1988, also im nächsten Jahr, brauche ich 29,3 Milliarden DM neue Schulden, 1990 brauche ich nur 1,6 Milliarden DM mehr — obwohl er ein Steuerpaket von 40 Milliarden DM zu finanzieren haben wird?

    (Gattermann [FDP]: Weil die Steuereinnahmen um 25 Milliarden DM steigen, Herr Kollege! — Roth [SPD]: Reagan läßt grüßen! Der hat genauso argumentiert!)

    — Dann machen wir es doch lieber so, hochverehrter Herr Kollege, daß wir jemanden als Kronzeugen nehmen, der augenscheinlich besser rechnen kann als Sie, nämlich den Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, der gesagt hat: Diese Zahlen haben mit der Realität nichts zu tun. Es wird eine Neuverschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden — ohne Steuerpaket — von 80 bis 85 Milliarden DM im Jahr 1990 geben.

    (Dr. Vogel [SPD]: So ist es!)

    Dann möchte ich von Ihnen gern die Frage beantwortet haben, wie Sie dann noch die Staatsfinanzen in Ordnung halten wollen.

    (Zurufe von der SPD)

    Nun hat Herr Kollege Stoltenberg, wie immer, wenn man nicht mehr weiterweiß — dafür habe ich durchaus Verständnis —,

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Da haben Sie Erfahrung!)

    einen Ausflug in die Vergangenheit gestartet. Da wollen wir dann über die Vergangenheit reden, und zwar über Ihre Vergangenheit. Die Zahlen, die ich vortrage, können Sie gar nicht bestreiten. Der Bundesfinanzminister hat in den Jahren 1983 bis 1986 bereits Kredite von insgesamt 105 Milliarden DM aufgenommen.

    (Hört! Hört! bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Welche Zinsen haben wir für euch bezahlt?)

    Ohne die Bundesbankgewinne, die in diesem Zeitraum fast 50 Milliarden DM ausmachten, hätte seine Neuverschuldung nicht 105, sondern 155 Milliarden DM betragen.

    (Dr. Olderog [CDU/CSU]: Und die Zinsen für Ihre Schulden!)

    Und nach dem vorliegenden Finanzplan — ich nehme Ihre Zahlen — soll die Neuverschuldung bis 1991 um weitere 140 Milliarden DM steigen.

    (Walter [SPD]: Unglaublich!)

    Dabei haben Sie dann noch einmal fast 30 Milliarden DM Bundesbankgewinne eingestellt.

    (Zuruf von der SPD: Und die Veräußerung von Bundesvermögen!)

    Das heißt, meine sehr geehrten Damen und Herren, unter der Regierung Kohl entsteht in neun Jahren ein Finanzierungsdefizit aus Neuverschuldung und Bundesbankgewinn von insgesamt 322 Milliarden DM.

    (Dr. Vogel [SPD]: Eine Menge Geld!)

    Dieses Defizit ist um 59 Milliarden DM höher als das Gesamtdefizit von 13 Jahren sozialliberaler Koalition. Dem ist dann von uns aus nichts mehr hinzuzufügen.

    (Beifall bei der SPD — Uldall [CDU/CSU]: Wie hoch sind davon die Zinsen für die Schulden, die Sie gemacht haben?)

    Der Bundesfinanzminister, hochverehrter Herr Uldall, hat am 28. Oktober 1984 wörtlich folgenden Lehrsatz verkündet. Er sagte — Originalton Stoltenberg — : „Von einer wirklichen Konsolidierung kann man erst sprechen, wenn die jährliche Neuverschuldung des Bundes ohne Bundesbankgewinn spürbar unter 20 Milliarden DM liegt."

    (Walter [SPD]: Was sagt jetzt die FDP dazu?)




    Dr. Apel
    Die Neuverschuldung des Bundes lag während der Amtszeit des Finanzministers Stoltenberg ohne den Bundesbankgewinn bisher niemals unter 35 Milliarden DM, und sie wird in den nächsten Jahren stets über 35 Milliarden DM liegen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)

    Das heißt: Machen wir etwas, was Sie nicht beanstanden können, messen wir den Bundesfinanzminister mit seinen eigenen Maßstäben, dann hat in seiner Amtszeit zu keinem Zeitpunkt Konsolidierung stattgefunden, und sie wird in der Zukunft auch nicht stattfinden.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: So ist die Wahrheit!)

    Aber das Dramatische ist ja etwas ganz anderes und Zusätzliches.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Sagen Sie mal was zu den Zinsen!)

    Mit ihrer verfehlten Finanzpolitik treibt die Bundesregierung ja auch Länder und Gemeinden in die Verschuldung. Noch vor einem Jahr, meine Damen und Herren von der Koalition — noch vor einem Jahr! —, haben Sie in Ihrem Finanzplan folgendes ausgesagt: 1990 wird die Neuverschuldung von Ländern und Gemeinden zusammen 3,5 Milliarden DM sein. Ein Jahr später sagen Sie — und dies sind geschönte Zahlen — : Nein, die Neuverschuldung von Ländern und Gemeinden wird nicht mehr 3,5 Milliarden DM, sondern 33,6 Milliarden DM betragen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das ist ja unglaublich!)

    Das ist das Zehnfache. Und da sagt der Kollege Stoltenberg, er sehe überhaupt keine Probleme bei den Ländern, er sehe überhaupt keine Probleme bei den Gemeinden.
    Meine Damen und Herren, das Gesamtdefizit von Bund, Ländern und Gemeinden sollte nach der bisherigen Finanzplanung — das ist die Finanzplanung von vor zwölf Monaten — 1990 bei 24,5 Milliarden DM liegen. Nach Ihren neuesten Zahlen wird sie bei 64,5 Milliarden DM liegen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß Ministerpräsident Späth mit 80 bis 85 Milliarden DM rechnet. Wenn wir nur Ihre Zahlen nehmen, ist das innerhalb eines Jahres ein Anstieg der Nettokreditaufnahme für 1990 für Bund, Länder und Gemeinden um 150 %.

    (Zuruf von der SPD: Alles mit der FDP! — Dr. Vogel [SPD]: Lambsdorff immer dabei!)

    Noch eine letzte Zahl. 1990 wird die Staatsverschuldung — Bund, Länder und Gemeinden — nach Ihren Zahlen auf 1 Billion DM steigen.

    (Dr. Scheer [SPD]: Das ist die „Wende"!)

    Das ist gegenüber 1982 eine Zunahme um 400 Milliarden DM oder 65 %.
    Dieser sprunghafte Anstieg der Staatsverschuldung bringt — wir haben das ja heute erlebt — den Bundesfinanzminister nun in erhebliche Begründungszwänge.

    (Uldall [CDU/CSU]: Haben wir Kaputtsparen gemacht?)

    — Wir kommen darauf zurück, Herr Kollege Uldall. — Vor einem Jahr noch hatte der Bundesfinanzminister in Düsseldorf bei der evangelischen Akademie einen Grundsatzvortrag über Nettokreditaufnahme gehalten.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Den sollten Sie mal vollständig zitieren!)

    — O ja, den zitiere ich sehr gerne.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Aber vollständig!)

    Ich bin gerade dabei. Herr Kollege Stoltenberg hat vor einem Jahr folgendes ausgeführt — ich zitiere ihn mit großem Vergnügen — :

    (Dr. Vogel [SPD]: Langsam lesen! — Heiterkeit bei der SPD)

    Unter sozialethischen Gesichtspunkten war diese Politik
    — er meint die Nettokreditaufnahme der sozialliberalen Koalition —
    unverantwortlich geworden. (Beifall bei der CDU/CSU)

    — Klatschen Sie doch nicht zu früh! — Er fährt dann fort:
    Sie diente zu einer immer stärkeren Vorbelastung der Zukunft der Generation unserer Kinder,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Richtig!)

    der empfindlichen Einschränkung ihrer Lebens- und Gestaltungsmöglichkeit.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Alles richtig!)

    — Auch richtig.
    Sie war so eine schwere Verletzung der sittlichen Grundlagen des Generationenvertrages.
    Beifall! Beifall! — Aber, meine Damen und Herren, wie sieht es denn heute — zwölf Monate später — aus? Jetzt müssen Sie wesentlich höhere Finanzierungsdefizite rechtfertigen.

    (von der Wiesche [SPD]: Wo bleibt denn Ihr Klatschen?)

    Sind Ihre Finanzierungsdefizite dann ebenfalls eine schwerwiegende sittliche Verletzung des Generationenvertrages?

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE] — Abg. Glos [CDU/ CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)