Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 35. Sitzung des Deutschen Bundestags und bitte den Schriftführer Herrn Abgeordneten von Aretin, zunächst die Namen der abwesenden Mitglieder des Hauses bekanntzugeben.
Wegen Erkrankung fehlen die Abgeordneten Albers, Schütz, Weiß, Dr. Baade, Schönauer, Dr. Gülich, Wittmann, Schuster, Determann, Fisch. Weiter fehlen entschuldigt die Abgeordneten Dr. Henle, Gockeln, Dr. Orth, Dr. Weber II, Dr. Greve, v. Knoeringen, Zinn, Neumann, Dr. Suhr, Dr. Middelhauve, Freudenberg, Margulies, Blücher, Dr. Baumgartner, Goetzendorff, Frau Thiele, Reimann, Oskar Müller, Kurt Müller, Niebergall, Parzinger, Jahn und Clausen.
Meine Damen und Herren! Ich habe weiter bekanntzugeben: Mit Schreiben vom 30. Januar 1950 hat der Bundesrat mitgeteilt, daß er in seiner Sitzung vom 27. Januar beschlossen hat, dem Entwurf eines Notgesetzes für die deutsche Hochseefischerei seine Zustimmung gemäß Artikel 77 des Grundgesetzes zu geben.
Der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen hat mit Schreiben vom 3. Februar — Drucksache Nr. 513 — die Anfrage Nr. 40 der Abgeordneten Goetzendorff und Genossen betreffend deutsche Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie beantwortet.
Der Herr Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen hat mit Schreiben vom 6. Februar — • Drucksache Nr. 516 — die Anfrage Nr. 33 der Abgeordneten Goetzendorff und Genossen betreffend Flüchtlingsgesetz beantwortet. •
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vorn 8. Februar — Drucksache Nr. 521 — die Anfrage Nr. 39 der Abgeordneten Dr. Becker und Genossen betreffend gekürzte Benzinzuteilung beantwortet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
unter Drucksache Nr. 517 die Anfrage Nr. 35 der Abgeordneten Strauss, Dr. Solleder, Dr. Jaeger und Genossen betreffend Lokomotiven für die Deutsche Bundesbahn; unter Drucksache Nr. 518 die Anfrage Nr. 37 der Abgeordneten Winkelheide, Hoppe und Genossen betreffend Auftragsvergebung der Bundesbahn an die Privatwirtschaft; unter Drucksache Nr. 519 die Anfrage Nr. 37 der Fraktion der SPD betreffend Überbrückungsauftrag für die Lokomotivindustrie unter Drucksache N. 520 die Anfrage Nr. 38 der Fraktion der SPD betreffend Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für 1950 und Jahresabschluß 1948.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 3. Februar 1950 die Anfrage Nr. 36 der Abgeordneten Strauss, D. Solleder, Dr. Jaeger und Genossen betreffend Welt -Weizenkonvention beantwortet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
annehmen, daß ich diese Akte, wie üblich, dem zuständigen Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität überweise. — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist demgemäß beschlossen.
Was die heutige Tagesordnung anlangt, meine Damen und Herren, so habe ich folgendes mitzateilen. Punkt 2 der Tagesordnung soll gemäß einem Antrage der SPD-Fraktion nach vorangegangener interfraktioneller Zustimmung heute abgesetzt werden. Ebenso soll Punkt 3 gemäß einem Antrag der Fraktion des Zentrums nach vorangegangener interfraktioneller Zustimmung von der heutigen Tagesordnung abgesetzt werden, natürlich mit der Maßgabe, daß beide Punkte auf die Tagesordnung einer der in der nächsten Woche stattfindenden Plenarsitzungen gesetzt werden. Darf ich das Einverständnis des Hauses mit der Absetzung der Punkte 2 und 3 annehmen? — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist demgemäß beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Hilfsmaßnahmen zur Förderung der Wirtschaft von Groß-Berlin (Drucksache Nr. 496).
— Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Dr. Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, Punkt 1 von der Tagesordnung abzusetzen. Der Gesetzentwurf ist uns erst gestern nachmittag um 1/24 Uhr zugegangen. Im Ältestenrat hatten wir zwar die Tagesordnung so festgestezt, allerdings in der selbstverständlichen Annahme, daß uns die Drucksachen rechtzeitig, also Montag früh, zugehen würden. Es ist mir nicht möglich, diesen in seiner präjudiziellen Wirkung doch sehr entscheidenden Entwurf so gründlich zu prüfen, daß ich selbst schon in der ersten Lesung dazu Stellung nehmen könnte. Ich könnte mich mit diesem Einspruch begnügen. Aber damit Sie verstehen, warum ich das tue, bitte ich, mir zu erlauben, einige Sätze zur Erklärung anzufügen.
Das Gesetz wird bereits seit Oktober behandelt. Der Bundesrat hat das Gesetz wie wir ungefähr ein bis zwei Stunden vorher — gedruckt zugestellt bekommen, und zwar am 27. Januar. Er wurde sich über den sachlichen Inhalt in keiner Weise klar, sondern hat nur zugestimmt, um dieses Gesetz möglichst rasch zur Verabschiedung zu bringen, ohne daß es überhaupt im Wirtschaftsausschuß behandelt
worden wäre. Einigen Ländern hat diese Durchtreibung eines Gesetzes ohne wirkliche Beratung nicht gepaßt, und sie haben sich der Stimme enthalten.
Es handelt sich nämlich um eine sehr grundsätzliche Frage, das ist der Artikel III: die Umsatzsteuervergünstigungen. Ohne auf den materiellen Inhalt einzugehen, möchte ich darauf hinweisen, daß es eben sehr gefährlich ist, eine solche allgemeine Steuerermäßigung zu gewähren. Das kann ganz große Folgen für später haben. Im Bundesrat ist diese Methode auch als sehr gefährlich charakterisiert worden. Jedenfalls muß ich mir hierüber noch weitere Informationen einholen, und wenn sich der Bundesrat schon in dieser Weise unter Druck setzen und überfahren läßt, die Bayernpartei tut das nicht!
Meine Damen und Herren! Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Seelos zur Geschäftsordnung auf Absetzung von Punkt 1 der Tagesordnung gehört. Wird das Wort dazu gewünscht? — Herr Abgeordneter Ollenhauer, bitte!
Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Seelos abzulehnen. Die Materie, die heute hier zur Debatte steht, ist uns allen bekannt. Es handelt sich nur darum, die vorgesehenen Maßnahmen hier in eine gesetzliche Form zu bringen. Der Hinweis auf die überstürzte Beratung im Bundesrat ist ebenfalls nicht stichhaltig. Der Präsident des Bundesrats hat mit Zustimmung aller Bundesratsmitglieder mit Ausnahme der bayerischen Vertreter
festgestellt, daß der Bundesrat mit der beschleunigten Erledigung der Angelegenheit und auch mit der Erledigung dieses Gesetzentwurfs durch den Bundestag zu dem von uns in Aussicht genommenen Termin einverstanden ist.
Ich möchte außerdem noch darauf aufmerksam machen, daß der Beschluß, die erste Lesung dieses Gesetzes heute und am Freitagmorgen die zweite und dritte Lesung vorzunehmen, im Ältestenrat einstimmig gefaßt worden ist.
Ich bitte das Hohe Haas, angesichts dieser Umstände den Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Seelos abzulehnen.
Wird das Wort weiter gewünscht?
— Verzeihung! Wir sind also noch nicht bei der Abstimmung, sondern zunächst hat der Herr Abgeordnete Dr. Bucerius zur Geschäftsordnung das Wort zu dem Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Seelos.
Meine Damen und Herren! Es gibt Dinge, die so vordringlich sind, daß man hin und wieder einmal auf das an sich in einem Parlament gebotene ruhige Tempo bei der Bearbeitung einmal verzichten muß. Der Bundesrat ist diesem Hause mit einem besonderen Beispiel vorangegangen. Er hat auf sein ihm nach der Verfassung zustehendes Recht der Kenntnisnahme und Zustimmung verzichtet, bevor ihm das offizielle Anschreiben der Bundesregierung vorgelegen hat. Ich möchte ganz dringend empfehlen, daß das Haus dieses Beispiel befolgt und nicht die gute Absicht des Bundesrats damit zunichte macht, daß die Angelegenheit wieder einmal vertagt wird.
Meine Damen und Herren, das Wort zur Geschäftsordnung wird nicht welter gewünscht.
— Verzeihung, nein! Lesen Sie sich bitte die Abschnitte der Geschäftsordnung durch, Herr Kollege.
Das Wort zur Abstimmung hat der Herr Abgeordnete Dr. Seelos. Nur zur Abstimmung, Herr Kollege!
Nach meiner Auffassung ist es unmöglich, hierüber abzustimmen, denn in § 36 der Geschäftsordnung heißt es: „Die Beratungen beginnen frühestens am dritten Tage nach Verteilung der Drucksache". Der Beschluß des Ältestenrats ist am Donnerstag unter der selbstverständlichen Annahme erfolgt, daß diese Frist
— also Montag vormittag — gewahrt wird. Wenn ich nach § 114 eine Abweichung von den Vorschriften der Geschäftsordnung nicht zulasse
— und das kann ich —, wenn nur ein Abgeordneter dagegen ist, dann muß die Vorlage automatisch abgesetzt werden, ohne daß hierüber abgestimmt wird.
. Meine Damen und Herren, die Aussprache zur Geschäftsordnung Ist beendet. Wer für den Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Seelos ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. —
Danke! Wer gegen den Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Damit ist der Antrag erledigt. •
Wir treten in die Beratung ein. Zur Einführung der Gesetzesvorlage erteile ich dem Herrn Bundesfinanzminister das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierungsvorlage, die die grundsätzliche Zustimmung des Bundesrats gefunden hat, behandelt Fragen, die dem Hause nicht neu sind, sondern die in diesem Hause schon vor Wochen und Monaten ernsthaft behandelt worden sind. Es ist nur eine Gesetzesvorlage, die bisher schon beschlossene, dem Hause bekannt gegebene Maßnahmen in Gesetzesform nachholt, insbesondere soweit es sich um Kredite handelt, um deren Ermächtigung gebeten werden muß.
Der Bundesrat hat mit Entschließung vom 28. Januar 1950 zu dem Gesetzentwurf Stellung genommen und dabei zwei Wünsche ausgesprochen. Der eine Wunsch ist der, daß künftig in den Haushalten sowohl des Bundes wie der Stadt Berlin die Subventionen und Unterstützungsmaßnahmen, die vom Westdeutschen Bund der Stadt Berlin gewährt werden, ausdrücklich ausgewiesen werden. Das ist eine Frage, die bei der nächsten Aufstellung des Haushalts zu prüfen ist und der man wohl wird entsprechen können. - Die zweite Frage ist eine Anregung, zu überlegen, ob die gewährten Umsatzsteuerbefreiungen auch in anderer Form gewährt werden können, nämlich in der Form, daß die Umsatzsteuerbefreiung bereits bei der Lieferung der Ware aus Berlin und nicht erst beim Empfang der Ware und bei der Zahlung des Entgelts in Berlin gezahlt wird. Darüber kann im einzelnen noch im Ausschuß gesprochen werden. Die Bundesregierung hält den Weg, den sie vorgeschlagen hat, für zweckmäßig und richtig.
Meine Damen und Herren! Ich darf aus diesem Anlaß hier eine zusammenfassende Darstellung über die gesamten Hilfsmaßnahmen geben, die der Stadt Berlin bisher gewährt worden sind und künftig weiter gewährt werden sollen.
Ich unterscheide zunächst einmal die Zeit der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes. In der Zeit der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes wurden aus Haushaltsmitteln vom Beginn der Blockade bis 31. März 1949 215 Millionen D-Mark zur Verfügung gestellt. 45 Millionen D-Mark hiervon wurden für den Magistrat von Groß-Berlin zum Einkauf von Waren in der Westzone bereit gestellt. Der Erlös aus 1 dem Verkauf dieser Waren ist vom Magistrat gleichfalls zur Deckung des Haushaltsdefizits verwendet worden. Im Haushaltsplan der Verwaltung des ehemaligen Vereinigten Wirtschaftsgebiets für das Rechnungsjahr 1949/50 wurde weiter ein Betrag von 250 Millionen D-Mark, monatlich 22 Millionen D-Mark festgesetzt. Nachdem es in den Monaten August, September notwendig war, der sich steigernden Notlage in Berlin durch Vorgriffe auf diese Zuschüsse abzuhelfen, waren diese Mittel bereits im Oktober 1949, also in der Zeit, als die Bundesregierung entstanden war, vergeben. Berlin hatte damals auch von den Ländern der französischen Zone aus Erträgnissen des Notopfers weiterhin Zuschüsse im Betrage von 5 Millionen D-Mark erhalten. Als die Bundesregierung den Haushaltsplan aufstellte, hat sie für die Zeit vom Oktober 1949 bis zum 31. März 1950 zunächst einen weiteren Betrag von 184,5 Millionen D-Mark, also monatlich 37 Millionen D-Mark in Aussicht genommen. Der frühere monatliche Zuschuß von 22 Millionen D-Mark ist mit Zustimmung der Länder auch auf 37 Millionen D-Mark heraufgesetzt worden.
Ich bemerke, daß später, als von der Stadt Berlin der Wunsch nach einer weiteren Erhöhung dieses Haushaltszuschusses ausgesprochen wurde, die Länder erklären mußten, daß sie bei ihrer Finanzlage nicht mehr in der Lage seien, einer weiteren Erhöhung der Zuschüsse zuzustimmen. Daraufhin hat das Bundesministerium der Finanzen eine Überbrückung in folgender Form vorgeschlagen: Es schloß einen Kreditvertrag mit der Stadt Berlin über insgesamt 77 Millionen D-Mark. Dieser weitere Betrag war zur
Überbrückung der Zeit bis zum 31. März 1950 bestimmt. Er teilt sich auf in einen Betrag von 62 Millionen D-Mark, der dazu diente, daß der Haushaltszuschuß an die Stadt Berlin im Monat Dezember auf 60 Millionen D-Mark, im Monat Januar auf 55, im Monat Februar auf 50 und im Monat März auf 45 Millionen D-Mark erhöht worden ist. Ein Betrag von 15 Millionen D-Mark ist noch für den Fall zurückgestellt, daß infolge unvorhergesehener Ereignisse die Stadt Berlin in eine Notlage kommen und eine besondere Hilfe notwendig werden sollte.
Neben diesen Haushaltszuschüssen werden mittelbar in der Form der Überlassung von unversteuertem Tabak, Zucker, Branntwein und Zündwaren Zuschüsse gewährt, die von den Ländern der Westzonen bis zum 31. Juli 1949 getragen worden sind und für diese einen Ausfall von 35 Millionen D-Mark bedeuten. Daneben wurde in der gleichen Zeit von der Zweizonenverwaltung, später vom Bund, verbilligter Treibstoff überlassen, was für die Stadt Berlin eine Entlastung von weiteren 6 Millionen D-Mark bedeutet hat und bei den heutigen Verhältnissen eine Erleichterung um 13 Millionen D-Mark bedeuten wird.
Die wirtschaftlichen Maßnahmen für die Stadt Berlin haben darin bestanden, daß um die Jahreswende die Kreditanstalt für Wiederaufbau mit Unterstützung des Bundes, der hierzu eine Bürgschaft von 11 Millionen D-Mark gegeben hat, einen Betrag von 55 Millionen D-Mark zum Ausbau des Kraftwerkes West der Berliner Elektrizitätswerke erhalten hat. Zur Abdeckung der Verpflichtungen Berlins aus Kohlelieferungen der Westzonen ist eine Kreditzusage des Bundes erforderlich gewesen, durch deren Erfüllung der Bundeshaushalt mit rund 37 Millionen D-Mark belastet wird.
Zur Finanzierung der Wohnungsbauvorhaben und zur Durchführung von Investitionen in Industrie, Handwerk und Handel ist Berlin aus ERP-Mitteln ein Betrag von 95 Millionen D-Mark zugewiesen worden. Weitere 70 Millionen D-Mark aus ERP-Mitteln, die gleichfalls noch in diesem Jahre zur Ausschüttung gelangen sollen, sind von dem Leiter der ERP-Mission in Deutschland bereits zugesagt.
Die Umsatzsteuervergünstigungen für den Erwerb von Berliner Waren werden für den Haushalt Steuerausfälle bzw. -vergütungen und damit Belastungen im Schätzungsbetrage von etwa 50 Millionen D-Mark jährlich bedeuten.
Für die Sicherung des Warenbezugs von Berlin gegen Risiken, die sich aus der politischen Situation ergeben können, ist eine Garantie des Bundes bis zum Betrag von 50 Millionen D-Mark vorgesehen. Darüber hinaus können Berliner Firmen das den Ausfuhrgeschäften anhaftende wirtschaftliche und politische Risiko im Rahmen des für die Wirtschaft des Bundesgebietes geschaffenen Garantie- und Bürgschaftsrahmens zu Lasten der Bundesrepublik abdecken.
Durch die Aufwertung der Berliner Uraltkonten unter Mitwirkung der Bank deutscher Länder werden in diesem, Jahre und in den kommenden Jahren weitere rund 250 Millionen D-Mark für die Berliner Wirtschaft verfügbar werden.
Die von der Bundesregierung veranlaßte Abänderung von Artikel 13 des Gesetzes Nr. 60 durch Gesetz Nr. 15 vom 15. Dezember 1949 ermöglicht es
der Bank deutscher Länder, die Ausgleichsforderungen der Berliner Zentralbank zu beleihen. Bisher hat der Zentralbankrat einer Beleihung von Ausgleichsforderungen der Berliner Zentralbank bis zum Betrage von 100 Millionen D-Mark zugestimmt. Hierdurch wurde der der Berliner Wirtschaft zur Verfügung stehende Kreditspielraum wesentlich erweitert und damit die Ausdehnung der Wirtschaftstätigkeit Berlins von der Geldseite her erleichtert.
Die bevorzugte Vergebung von Aufträgen der öffentlichen Hand und von großen Bedarfsträgern nach Berlin, deren Auswirkung auf Wirtschaft und Haushalt Berlins zahlenmäßig nur schwer angegeben werden kann, wird die Entwicklung Berlins zusätzlich günstig beeinflussen. Es ist unter anderem vorgesehen, daß allein Aufträge für die Besatzungsmacht in Höhe von 200 Millionen D-Mark nach Berlin vergeben werden sollen. Nach dem Abkommen über den Interzonenhandel 1949/50, dem sogenannten Frankfurter Abkommen, das einen beiderseitigen Warenverkehr mit der Ostzone in Höhe von je 300 Millionen D-Mark vorsieht, soll die Wirtschaft Berlins an den Umsätzen aus diesem Abkommen zu etwa einem Drittel, also mit rund 100 Millionen D-Mark beteiligt werden.
Weiterhin wurden Berlin vom Beginn der Blockade bis Herbst 1949 aus Mitteln der Außenhandelskasse -- Gegenwerte aus GARIOALieferungen -- rund 700 Millionen D-Mark zur Verfügung gestellt. Die Bereitstellung dieser Mittel für Berlin verhinderte ihre sonst mögliche Verwendung für Investitionen in den Westzonen.
Zu erwähnen sind auch die Leistungen, die vor 1 allem die Länder Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein durch die Übernahme von mittelbaren und unmittelbaren Luftbrückenkosten auf deren Haushalte erbracht haben. Diese Leistungen betragen schätzungsweise 100 Millionen D-Mark.
In Auswirkung der von der Bundesregierung über die Haushaltshilfe hinaus eingeleiteten Maßnahmen beginnt sich erfreulicherweise eine Besserung der Berliner Wirtschaftslage abzuzeichnen. Eine Fortsetzung dieser Belebung der Berliner Wirtschaft und damit auch eine Besserung der Haushaltslage Berlins kann nach dem gegebenen Stand der Dinge sicher erwartet werden. Dies zeigt sich einmal in einer Steigerung des Warenverkehrs nach der Westzone, der wertmäßig von rund 36 Millionen DMark im Monat Juli auf rund 82 Millionen D-Mark im Monat Dezember gestiegen ist. Die Besserung der Berliner Verhältnisse spiegelt sich auch in den Steuereinnahmen wider. Diese haben sich seit der zweiten Berliner Währungsreform ständig erhöht. Die günstige Entwicklung der Haushaltslage Berlins hat sich im letzten Quartal 1949 erheblich verstärkt. Die Steuereinnahmen steigerten sich z. B. im November um rund 10 Millionen D-Mark, obwohl im gleichen Zeitraum den unteren Einkommensbeziehern in Berlin vom Magistrat fühlbare Steuererleichterungen gewährt worden sind. Diese Steuersenkung wurde ohne Wissen des Bundesministeriums der Finanzen vorgenommen, obwohl eine Vereinbarung vorlag, daß ohne Wissen des Bundesfinanzministeriums in der Zeit der Subventionsgewährung Steuerermäßigungen nicht vorgenommen werden sollen.
Nach neuesten Untersuchungen darf diese Tendenz der wirtschaftlichen Besserungen als für die _nächsten Monate anhaltend vorausgesetzt werden.
Infolge vorgenannter Umstände ist es dem Berliner Magistrat auch gelungen, Ende letzten Jahres unbezahlte Rechnungen, Verbindlichkeiten in Höhe von rund 30 Millionen D-Mark abzudecken.
Weitere Anhaltspunkte für die Richtigkeit der oben erwähnten Annahme bietet die Entwicklung des Berliner Arbeitsmarkts. Im Gegensatz zur Entwicklung im Bundesgebiet hat sich nämlich die Zunahme der Arbeitslosigkeit in Berlin trotz Ungunst der Jahreszeit bedeutend verlangsamt. Zwar hat die Zahl der Arbeitslosen absolut etwas zugenommen. Diese Steigerung ist aber zu einem nicht unerheblichen Teil darauf zurückzuführen, daß neben Heimkehrern und Flüchtlingen aus dem Ostsektor Berlins und der Ostzone sich bei den Arbeitsämtern auch Personen melden, die bisher nicht erwerbstätig waren. Die Erhöhung der Arbeitslosenzahl beruht nachgewiesenermaßen nur zu einem kleinen Teil auf Entlassungen. Diese Entwicklung läßt sich auch teilweise aus der Zahl der Kurzarbeiter ersehen, die von 63 200 im Oktober auf 55 900 im Dezember zurückgegangen ist.
Die günstige Entwicklung der Wirtschafts- und Haushaltslage Berlins war bereits Ende Oktober, Anfang November vorigen Jahres zu erkennen. In den damals mit Vertretern des Magistrats über die Höhe der künftigen Hilfeleistung des Bundes geführten Besprechungen wurde auch diesem Gesichtspunkt Rechnung getragen und schon damals in Aussicht genommen, a die Zuschüsse des Bundes im Hinblick auf die Besserung der Kassen- und Haushaltslage des Magistrats in den Monaten Dezember 1949 bis März 1950 zu bemessen. Gegenüber den in Pressemeldungen vorgebrachten Behauptungen, daß die für Berlin vorgesehene Hilfe nachträglich und ohne vorherige Fühlungnahme mit dem Berliner Magistrat festgelegt und die Zuschüsse gekürzt worden seien muß auf diesen Punkt verwiesen werden. Es ergibt sich auch aus dem nachfolgenden Schreiben, das das Bundesministerium der Finanzen an den Magistrat von Groß-Berlin bereits am 5. Dezember 1949 gerichtet hat und dessen Kenntnisnahme mit Schreiben des Berliner Oberbürgermeisters vom 21. Dezember bestätigt worden ist. Es hieß dort:
Ob für Berlin über den bisher fest zugesagten monatlichen Zuschuß von rund 37 Millionen D-Mark hinaus weitere Mittel bereitgestellt werden können, ist nach wie vor davon abhängig, ob der Bund einen zusätzlichen Kredit erhalten kann und ob die Länder sich zur haushaltsmäßigen Deckung dieser Ausgaben bereitfinden. Auch wenn diese Voraussetzungen erfüllt werden, muß ich daran festhalten, daß in Erwartung der Auswirkung der eingeleiteten wirtschaft-. lichen Hilfsmaßnahmen auf die dortige Haushaltslage ab Beginn des nächsten Jahres ein stetiger Abbau der Zuschüsse erfolgt. Berlin wird deshalb im Monat Januar äußerstenfalls mit einem Betrag von 55 Millionen D-Mark, im Februar mit 50 Millionen D-Mark und im März mit 45 Millionen D-Mark rechnen können, wobei die jeweilige Über-
prüfung des laufenden Bedarfs vorbehalten bleiben muß.
Die von der Bundesregierung für die Monate Januar bis März beabsichtigte allmähliche Senkung der Hilfeleistungen kann somit nach Lage der Dinge als gerechtfertigt und keineswegs als unvorhergesehen bezeichnet werden. Die Subventionen sind ab Dezember 1949 nicht gekürzt worden, sondern wurden von 37 Millionen DMark auf bedeutend höhere Beträge hinaufgesetzt.
Ich darf bemerken, daß nach den letzten Mitteilungen sich die Haushaltslage Berlins wieder gebessert hat, und auch im Januar über die Schätzungen des Berliner Magistrats hinaus eine Steuermehreinnahme von 7 Millionen D-Mark bei einem Gesamtbetrag von 57 Millionen D-Mark eingetreten ist.
Ich glaube, zusammenfassend sagen zu können: die westdeutsche Bundesrepublik hat angesichts der eigenen finanziellen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten für die Stadt Berlin getan, was sie nach ihren Kräften tun konnte. Sie hat es deshalb getan, weil die Stadt Berlin eine Bedeutung besitzt, die weit über die eines Landes, die weit über die der westdeutschen Bundesrepublik hinausgeht. Die Stadt Berlin hat heute eine europäische Bedeutung.
Ob es gelingt, die Stadt Berlin in ihrem Widerstand zu erhalten, ob es gelingt, die moralische Widerstandskraft von Berlin trotz Arbeitslosigkeit, trotz Wirtschaftsnot, obwohl die Stadt eine Insel im fremden Meer ist, zu erhalten, kann für das Schicksal Europas bestimmend sein.
Meine Damen und Herren; darf ich zunächst eine geschäftliche Berichtigung vornehmen. Ich werde aus dem Hause darauf aufmerksam gemacht, daß unter den Mitgliedern des Hauses, die als entschuldigt fehlend genannt worden sind, der Herr Abgeordnete Goetzendorff angegeben worden ist. Ich übernehme die Verantwortung für diesen Fehler meines Büros und brauche ihn nicht dem Sinn nach zu berichtigen.
Meine Damen und Herren, was die Aussprache anlangt, so möchte ich folgendes sagen. Der Ältestenrat hat einstimmig beschlossen, für die Aussprache in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs unter Punkt 1 der Tagesordnung 60 Minuten vorzuschlagen. Gemäß § 88 der Geschäftsordnung bitte ich das Haus um Zustimmung zu dieser Festsetzung der Redezeit. Ich höre keinen Widerspruch.
-- Entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter Seelos, Sie bekommen das Wort! — Ich stelle zunächst fest, daß das Haus mit dieser Festsetzung der Redezeit einverstanden ist.
Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Seelos.
Meine Damen und Herren! Die Bayernpartei kann die Nichtberücksichtigung Ihres Einspruchs nicht unwidersprochen hinnehmen. Nach § 114 der Geschäftsordnung können Abweichungen von den Vorschriften der Geschäftsordnung durch Beschluß des Bundestags nur zugelassen werden, wenn keines der in der
Sitzung anwesenden Mitglieder widerspricht. Nach § 36 Absatz 1 können die Beratungen frühestens am dritten Tage nach Verteilung der Drucksache erfolgen. Wir haben die Drucksache gestern nachmittag erhalten. Wenn also trotzdem in die Beratung eingetreten wird und hierüber auch schon eine Abstimmung erfolgt, so ist dies ein klarer Bruch der Geschäftsordnung. Wir möchten ausdrücklich erklären, daß es sich bei uns nicht etwa uni eine Demonstration gegen Berlin handelt,
sondern wir wollen nicht, daß Gesetze in dieser saloppen Art behandelt werden und daß man uns die Gesetzestexte wie beim Bundesrat ungefähr zwei Stunden vor der Beratung — bei uns sind es einige Stunden eher — hinwirft und uns zumutet, darüber zu urteilen und abzustimmen.
Herr Abgeordneter Dr. Seelos, darf ich Sie unterbrechen! Ich muß Ihnen das Recht absprechen, die Art der gesetzgeberischen Arbeit des Bundestags als salopp zu bezeichnen. Ich weise diesen Ausdruck zurück.
Bitte, fahren Sie fort!
Demgegenüber muß ich sagen, daß darüber hinaus ein Gesetz, das in dieser Weise zustande kommt, von uns nicht anerkannt wird. Wenn schon ein Verfassungsgericht bestände, dann würde dieses, wenn Sie dieses Gesetz trotzdem beschließen und wenn in dieser Weise hier Gesetze gemacht werden, die Ungültigkeit wohl nicht bestreiten können. Jedenfalls werde ich heute zu dem Gesetz materiell nicht Stellung nehmen, und die Bayern -Partei wird sich an den Beratungen dieses Gesetzes in der ersten Lesung nicht beteiligen, sondern wir werden das Haus während dieser Beratung verlassen.
Meine Damen und Herren, ich möchte nur in tatsächlicher Beziehung feststellen, daß sämtlichen Fraktionen des Hauses ohne Ausnahme gleichmäßig die Gesetzesvorlage aus den bekannten technischen Gründen genau zu der gleichen Zeit wie der Fraktion der Bayern-Partei zugegangen ist.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat zunächst Frau Abgeordnete Schroeder.
Ich möchte zunächst dem Herrn Finanzminister meinen Dank für die Anerkennung aussprechen, die er in seinen letzten Worten dem Kampf der Berliner Bevölkerung um die Demokratie gewidmet hat. Ich möchte ferner auch dankend anerkennen, daß, seitdem ich am 30. September 1949 im Auftrage meiner Fraktion den Antrag begründet habe, der unter anderem politische und auch wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen für Berlin forderte, eine Reihe dieser Hilfsmaßnahmen erfolgt ist. Allerdings — das weiß auch der Herr Finanzminister — haben Berlin und auch meine Fraktion es nicht ganz verstanden, daß ausgerechnet in den schlimmsten Monaten des Winters, in denen sich die saisonbedingte Arbeitslosigkeit am meisten auswirken mußte, die Etathilfe reduziert worden ist.
Bei der gegenwärtigen Vorlage handelt es sich aber um den Wiederaufbau unserer Wirtschaft, und so bedeutungsvoll die Hilfe ist, die Berlin durch den ERP-Fonds in Gestalt von Krediten für die Berliner Wirtschaft erhalten hat, so notwendig sind doch auch die in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen. Der Herr Minister hat sie im einzelnen gekennzeichnet, und ich darf nur hinzufügen, daß wir hoffen, daß die Bürgschaft von 50 Millionen, die der westdeutschen Wirtschaft den Mut geben soll, wenn ich mich so ausdrücken darf, von der Berliner Industrie zu kaufen, nicht in Anspruch genommen zu werden braucht und daß die Bürgschaft für den Kredit zum Zwecke des Ausbaus des Berliner Kraftwerks West wohl von mir hier nicht weiter begründet zu werden braucht. Wer weiß, was die Berliner Bevölkerung in der Finsternis der elf Blockademonate durchgemacht hat, wer sich die labile politische Lage ansieht, der wird ohne weiteres anerkennen, wie notwendig diese Hilfe ist.
Ich darf noch wenige Worte zu der Reduzierung der Umsatzsteuer im Westen für alle die Waren sagen, die aus Berlin gekauft werden. Gegenüber der hier und da aufgetretenen Befürchtung, daß dadurch Berlin eine zu starke Konkurrenz für die westdeutsche Wirtschaft werden würde, brauche ich wohl nur darauf hinzuweisen, daß leider das Berliner Preisniveau auch heute noch 8 bis 10 Prozent höher liegt als das westdeutsche. Infolge Fehlens von Maschinen, infolge der Verkehrserschwerungen und infolge des Mangels an Kapital haben wir diese Tatsache bisher nicht überwinden können. Aber schon sie zeigt ohne weiteres, daß Berlin für Westdeutschland, wie es teilweise befürchtet worden ist, eine Konkurrenz nicht darstellen wird. Im Jahre 1936 sind noch industrielle Lieferungen von Berlin nach auswärts in Höhe von 2 Milliarden erfolgt. Im Jahre 1949 hat aber dieser Betrag leider nur 0,4 Milliarden ausgemacht. Die Berliner Wirtschaft ist also bei weitem noch nicht so weit, daß sie wirklich die Schwierigkeiten überwunden hätte.
Im übrigen hat uns der Herr Finanzminister zwei Versprechungen gemacht, die bis heute nicht erfüllt worden sind. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich trotz der Aufzählung der verschiedenen Hilfsmaßnahmen für Berlin auf die Rede des Herrn Finanzministers vom 21. Oktober 1949 hinweise. In dieser Rede hat der Herr Finanzminister die Vergebung öffentlicher Aufträge nach Berlin und die Erklärung Berlins zum Notstandsgebiet im Sinne des § 24 Absatz 3 Satz 3 der Verdingungsordnung für Leistungen versprochen. Das letztere ist bisher nicht erfolgt.
Aber auch die Vergebung öffentlicher Aufträge
ist nur in einem ganz minimalen Betrage erfolgt.
Der Herr Minister hat darauf hingewiesen — und ich freue mich, es bestätigen zu können —, daß auf der einen Seite der Produktionswert der Berliner Industrie und dadurch auch das Finanzeinkommen sich erhöht hat. Der Produktionswert hat sich bis auf 113 Millionen monatlich erhöht. Demgegenüber aber ist ein zusätzlicher Auftragswert von Waren von Berlin nach Westdeutschland in Höhe von kaum 2 Prozent erfolgt. Ich wäre also sehr dankbar, wenn der Herr Finanzminister alles tun würde, um diese beiden uns gegebenen Versprechungen, die ja kein Geld erfordern, in Zukunft so schnell wie möglich zu erfüllen. Ich wäre um so dankbarer dafür, als ein anderes Versprechen bis heute nicht erfüllt worden ist, nämlich Bundesinstanzen nach Berlin zu überführen. Erst wenn unsere Industrie voll arbeiten kann, erst wenn wir den Absatzmarkt des Westens haben und wenn die Dienstleistungen, die immer rund 45 Prozent des Berliner Arbeitsaufkommens ausgemacht haben, erreicht sind, kann Berlin wieder auf eigenen Füßen stehen. Niemand wünscht das mehr als wir Berliner, damit wir endlich davon befreit werden, immer wieder um Hilfe bitten zu müssen.
Indem ich Ihnen, Herr Minister, noch einmal den Dank für Ihre Arbeit ausspreche, möchte ich das wiederholen, was ich am 30. September gesagt habe und was seitdem Berliner Kollegen hier ausgesprochen haben: schnelle Hilfe ist doppelte Hilfe für Berlin. Wir brauchen diese Hilfe so schnell wie möglich. Das zeigen Ihnen die Arbeitslosenzahlen, die heute bei einer Gesamtberliner Bevölkerung von 2,1 Millionen 300 000 ausmachen und die auch in der zweiten Hälfte Januar noch um rund 10 000 gestiegen sind. Der Herr Minister hat gesagt, daß dazu die Kurzarbeiter kommen. Nehmen Sie diese Zahlen zusammen, dann erkennen Sie, daß im Verhältnis zu der erwerbstätigen Bevölkerung 43 Prozent in Berlin unbeschäftigt sind. Darunter befinden sich — das gebe ich sehr gern zu — auch solche Personen, die bisher nicht als Arbeitnehmer tätig waren, sondern die von Vermögen oder von selbstständiger Arbeit gelebt haben. Aber das zeigt doch nur die außerordentlich schwierige Lage, in der sich fast die gesamte Berliner Bevölkerung befindet. Ich darf aber sagen: das A und O des Lebens Berlins ist die Hebung unserer Wirtschaft und die Beschäftigung all derjenigen, die arbeitswillig sind. Erst dann wird der Berliner Magistrat in der Lage sein, den Gewerbetreibenden, den Künstlern, den Währungsgeschädigten, den Alten und Hilfsbedürftigen die Hilfe zugute kommen zu lassen, auf die sie selbstverständlich Anspruch haben.
Ich füge für die westdeutsche Bevölkerung noch etwas hinzu. Diese Tatsache ist auch die Voraussetzung für die Erfüllung der mir immer zahlreicher zugehenden Wünsche alter Berliner, die nach dem Westen evakuiert sind, wieder in ihre Heimatstadt zurückkehren zu können. Erst wenn unsere Wirtschaft arbeitet, wenn unsere Finanzen saniert sind, können wir den Berlinern, die zurückkehren wollen und denen wir mehr als gern unsere Toren öffnen wollen, wieder Wohnung und Brot geben.
Zu diesen wirtschaftlichen, sozialen und finanziellen Notwendigkeiten tritt aber das große psychologische und politische Moment. Die. Menschen, deren Tätigkeit der Herr Minister anerkannt hat, die nun seit über vier Jahren darum ringen, in Berlin und damit für Deutschland die Demokratie zu retten, haben einen Anspruch darauf, die Sicherheit zu haben, daß ihre wirtschaftliche Lage in absehbarer Zeit erträglich gestaltet wird. Wenn ich ein Wort zu der politischen Notwendigkeit sagen soll, so brauche ich nur auf die Tagespresse zu verweisen. Ich möchte nur darauf verweisen, daß der sogenannte Marsch der Jugend nach Berlin das äußere Zeichen dafür ist, daß, obwohl die Blockade nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat, von den Gegnern der Demokratie immer wieder etwas ver-
1 sucht wird, um zu einem Totalitarismus nicht nur in Berlin, sondern in Deutschland zu kommen. Dabei habe ich volles Verständnis für die Situation Oder westdeutschen Bevölkerung. Ich brauche ja nur meinen Wahlkreis Schleswig-Holstein anzusehen, den ich vierzehn Jahre lang im Reichstag vertreten habe und dessen außerordentlich schwierige Lage ich auch heute noch mit dem größten Interesse verfolge. Ich brauche nur an die Arbeitnehmer mit geringem Einkommen in Westdeutschland zu denken, die das Notopfer für Berlin selbstverständlich sehr hart empfinden.
Aber ich möchte etwas sagen. Wenn ich vorhin von der psychologischen und politischen Beeinflussung der Berliner Bevölkerung gesprochen habe -- es gibt auch eine psychologische und politische Beeinflussung der westdeutschen Bevölkerung, eine Beeinflussung, die zum Teil in verantwortungsloser Weise erfolgt. Aus diesem Grunde bitte ich, mir noch wenige Minuten Gehör zu schenken, wenn ich Sie auf den Artikel in der letzten Nummer des „Rheinischen Merkur" unter der Überschrift „Was geschieht mit unserem Geld?" hinweise. Hier wird die Tatsache ausgenutzt, daß mancher, wenn er die 2 Pfennig auf den Brief klebt, sich nicht überlegt, daß er sie auf den Brief kleben muß, weil die Menschen drüben in Berlin sich in der größten Not befinden, und daß mancher, wenn ihm seine 50 Pfennig oder seine 1 D-Mark als Nothilfe für Berlin abgezogen werden, vielleicht nicht daran denkt, mit welchem oft geradezu phantastisch geringen Einkommen in Westberlin der Währungsgeschädigte, der Arbeitslose leben muß. Hier wird eine gewisse Unzufriedenheit ausgenutzt, die menschlich absolut verständlich ist.
Wir haben ja in diesem Kampf gegen die Hilfe für Berlin hier schon verschiedene Momente erlebt. Wir haben von den sozialpolitischen Voraussetzungen dafür gehört. Aber es ist mir außerordentlich interessant, daß man hier kulturelle Fragen zum Anlaß nimmt, nicht um kulturelle Dinge zu erreichen, sondern um den Kampf gegen Berlin, gegen seinen Magistrat, gegen die Mehrheit seiner Stadtverordnetenversammlung zu führen.
Was ist es anders, wenn in diesem Artikel behauptet wird, daß in Berlin offiziell aufgefordert worden sei, alle religiösen Bilder und Bücher aus der Schule zu entfernen, nebenbei: Bilder und Bücher, die den Kulturgemeinden gehörten, denen man sie nicht zurückgegeben hätte. Ich habe mich sofort mit dem Stadtschulrat und mit der Abteilung Volksbildung in Berlin in. Verbindung gesetzt. Ich darf Ihnen sagen. es ist mir amtlich bestätigt worden, daß in dieser Hinsicht auch nicht das geringste geschehen ist, daß weder eine Verfügung noch eine Anordnung noch eine Anweisung in diesem Sinne erlassen worden ist. Ich weiß nicht, ob es sich hier um eine oberflächliche Verwechslung mit der Ostzone handelt oder um was es sich da sonst handelt. Ich muß dasselbe sagen, wenn in diesem Artikel uns, die wir in diesen Jahren darum gerungen haben, daß die Berliner Bevölkerung nicht unterging, der Vorwurf gemacht worden ist, daß wir kein Verständnis für die großen Kulturaufgaben gezeigt hätten, die Berlin einst erfüllt hätte, und daß
wir kein Verständnis gefunden hätten für die großen Künstler, die wir hätten aus Berlin fortgehen lassen. Wenn in diesem Artikel Namen wie Wegener, wie Kortner, wie Bassermann genannt werden, dann kann ich darauf hinweisen, wie Wegener als todkranker Mann bei den Zentenarfeiern des 18. März im Jahre 1948 den Nathan gespielt hat. Ich weiß nicht, ob der Herr Kollege Dr. Pünder, der damals Präsident des Deutschen Städtetages war, sich im Saal befindet.
— Herr Kollege Pünder, ich weise Sie darauf hin, wie wir in tiefer Erschütterung dieses Spiel des todgeweihten Mannes erlebt haben. Ich kann Sie darauf hinweisen, wie gerade in diesen Tagen Fritz Kortner, der seinen „Ruf" bereits zur Uraufführung nach Berlin gebracht hatte, im „Vater" von Strindberg in Berlin auf der Bühne steht, wie der alte Bassermann in Berlin auf der Bühne steht, nachdem er in diese Stadt zurückgekommen ist. Wenn diese Zeitung — wir kennen sie ja wohl alle aus dem Beleidigungsprozeß, den der Herr Ministerpräsident Arnold gegen die Zeitung geführt hat — nun uns, die wir stolz waren — und nicht nur wir, sondern auch unsere westdeutschen Besucher — auf die wundervolle Goethe-Ausstellung, die wir in Berlin veranstaltet haben, den Vorwurf macht, daß wir für die Goethe-Ausstellung Geld verplempert hätten, wenn weiter gesagt wird, wir hätten diese Dinge in rein marxistischem Geist und, was weiß ich, welchem Geist gemacht, dann weise ich darauf hin, wie der Herr Bundespräsident bei seiner Anwesenheit in Berlin aufs tiefste erschüttert war von der wunderbaren „Fidelio"-Aufführung, die wir ihm geboten haben. Aber ich weise auch darauf hin, daß wir noch andere kulturelle Aufgaben hatten, daß wir die Freie Universität schaffen mußten, damit die Studenten nicht dem totalitären Geist der Humboldt-Universität ausgesetzt waren, daß wir für unsere Erwachsenen die Hochschulen wieder ins Leben gerufen haben, die notwendig waren für die Menschen, die in den zwölf Nazi-Jahren jede politische Ausbildung hatten entbehren müssen. Und daß das keine marxistischen Institutionen sind, kann ich schon allein dadurch beweisen, daß der Herr Bundespräsident vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten bereits in der Hochschule für Politik, die einst mit seine Gründung war, einen Vortrag gehalten hat, daß er anläßlich seiner Anwesenheit als Bundespräsident zu den Studenten der Freien Universität gesprochen hat und daß die verschiedenen Herren Minister ebenfalls in der Hochschule für Politik zu Worte gekommen sind.
Ich bedaure deshalb, daß man diese Dinge zum politischen Kampf benutzt, und wenn dafür anscheinend — was mir gar nicht vorstellen kann — Frau Hilde Körber als Kronzeugin benutzt wird, so möchte ich darauf hinweisen, daß mir Frau Hilde Körber als Schauspielerin und als Kollegin in der Berliner Stadtverordnetenversammlung, als Mitglied der CDU-Fraktion außerordentlich wertvoll ist. Sie weiß es so gut wie ich, und ich glaube wie Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, daß es im Magistrat von Berlin nicht nur einen Bürgermeister namens Schroeder, sondern daß es auch einen Bürgermeister namens Dr. Friedensburg gibt, daß der Kämmerer Dr. Haas und daß der Leiter der Abteilung Rechtswesen Dr. Kielinger heißen. Das
heißt, daß dies drei Mitglieder der CDU-Fraktion sind, zu denen noch drei Mitglieder der FDP kommen. In dieser Zusammensetzung arbeitet also der Berliner Magistrat. Und wenn in dem Artikel gefragt wird, „was mit unserem Gelde geschieht", so wird seine Verwendung durch diese Zusammensetzung des Magistrats bestimmt.
Aber ich möchte noch auf eines hinweisen. Wenn am 5. Dezember 1948 fast zwei Drittel der Berliner Bevölkerung der SPD das Vertrauen ausgesprochen hatten, so sind wir stolz darauf gewesen. Und wenn ich hier als Hauptschuldige an diesem „Unglück" gekennzeichnet werde, so glaube ich, das geht über mein Verdienst. Aber auch wenn es so wäre, wäre ich stolz darauf.
Aber wenn wir diese Tatsache nicht ausgenutzt haben, um die bürgerlichen Parteien beiseite zu stellen, sondern wenn wir erklärt haben, wie wir in der Blockade und vor der Blockade mit unseren bürgerlichen Kailegen um .die Demokratie gekämpft haben und es weiter so tun wollen, dann dürfte das doch schon ein Zeichen dafür sein, daß wir nicht eine Macht der SPD, wie es hier geschildert wurde, in unlauterer Weise ausnutzen.
Aber was will denn der Schreiber dieses Artikels? Das sagt er im letzten Absatz, in dem er schreibt, es sei von Hannover ein kürzerer Weg nach Karlshorst als von Hannover nach Bonn.
Meine verehrten Herren und Damen, wir sind in Berlin stolz darauf, daß die demokratischen Parteien, wenn sie auch 1n der einen oder anderen Frage verschiedener Ansicht sind — das ist ganz selbstverständlich —, in der Frage der Demokratie geschlossen dastehen. Wir Sozialdemokraten sind allerdings stolz darauf, daß wir dabei die Hilfe unserer Partei in Hannover gehabt haben. Niemals hat unser Parteivorstand uns einen Vorwurf daraus gemacht, daß wir diesen Kampf gemeinsam mit der CDU und FDP geführt haben.
Aber es wird ja noch schlimmer! In dem Artikel steht, daß die intensive Berlinhilfe von der Auflage einer beschleunigten Neuwahl abhängig gemacht werden soll.
Frau Abgeordnete, ich bitte, zum Schluß zu kommen; sonst kommen die anderen Redner zu kurz.
Ich komme zum Schluß. Meine Herren und Damen, ich möchte noch das eine fragen: Wer kämpft denn in Berlin um die Neuwahlen? Vor einer Woche habe ich in einer großen öffentlichen Versammlung am Rande des Ostsektors selber gesprochen, und alle meine Berliner Kollegen hier im Parlament haben solche Versammlungen abgehalten oder sie halten sie noch ab. Am heutigen Abend spricht der Oberbürgermeister von Berlin in der größten dieser Kundgebungen unter der Parole: „Freie Wahlen für Groß-Berlin!"
Wer kämpft also für die Wahlen in Groß-Berlin? Das gilt nicht nur gegenüber unseren Gegnern von der SED, das gilt auch gegenüber unseren Kritikern von der Seite der bürgerlichen Parteien. Immer wieder haben wir ihnen gesagt: „Wir stehen für Wahlen zur Verfügung", und wenn die Bevölkerung Berlins anders als am 5.
Dezember 1948 entscheidet, — wir sind Demokraten und werden daraus die Konsequenzen ziehen! Vorläufig aber gilt das Wahlresultat vom 5. Dezember 1948, und vorläufig haben wir den Eindruck, daß die Berliner Bevölkerung zu uns steht.
Eine Bedingung aber für die Berlinhilfe, deren Erfüllung die Hilfe hinauszögern würde — wohin das führt, hat uns ja eben die Bayernpartei gezeigt —, lehnen wir ab; denn, meine verehrten Kollegen und Kolleginnen: wenn wir Sie immer wieder haben um Hilfe bitten messen, wenn wir der Regierung dankbar sind, daß sie uns diese Hilfe gewährt hat, dann muß es erlaubt sein — und ich glaube, das wird uns weder der Herr Minister Kaiser noch der Herr Minister Schäffer übelnehmen —, daß wir auf das hinweisen, was bisher nicht erfüllt worden ist. Das geschieht nicht etwa deswegen, weil wir in Berlin diese Hilfe haben wollen, um besser leben zu können, sondern weil wir sie brauchen; wir müssen sie haben, um den Kampf führen zu können, den Kampf dort im Vorfeld für die deutsche Demokratie. Wenn Sie sich vergegenwärtigen, wie totalitäre Strömungen, die alten und neue, immer wieder in der Bundesrepublik in Erscheinung treten, dann werden Sie mir zustimmen, wenn ich sage: Berlins Kampf ist ein deutscher Kampf, ist ein Kampf für Deutschlands Demokratie, für den Frieden Europas!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rische.
Meine Damen und Herren! Wir I Kommunisten sind keinesfalls erstaunt, daß die Bundesregierung - sicherlich auf allerhöchsten Druck — sich erneut mit der katastrophalen Lage der Westberliner Wirtschaft beschäftigen muß. Das vorliegende Gesetz nennt sich bombastisch „Gesetz über Hilfsmaßnahmen zur Förderung der Wirtschaft von Groß-Berlin". Bei einem genauen Studium der Vorlage kommt man jedoch zu dem Schluß, daß die Bundesregierung nach Annahme dieses Gesetzes lediglich eine Bürgschaft für die seit langem bankrotte Wirtschaftspolitik des West-Berliner Magistrats übernimmt, und zwar auf Kosten der westdeutschen Steuerzahler.
Ich halte mich bei der Beurteilung des Gesetzentwurfs an die sehr aufschlußreiche Begründung, in der es unter I heißt, daß die West-Berliner Wirtschaft durch die vorgesehene Hilfsaktion befähigt werden soll, ihren Rückstand gegenüber der Wirtschaft der Westzonen aufzuholen. Dies soll im Rahmen einer Sicherung des Warenbezugs aus West-Berlin durch die Übernahme einer Garantie in Höhe von 50 Millionen D-Mark geschehen.
In der Begründung zu Artikel I sind auch die näheren Gründe für die Übernahme einer solchen Garantie angegeben. Es heißt dort, daß die Garantie zur Abdeckung des politischen Risikos gegeben werden soll. Ich stelle die Frage: Hat die westdeutsche Wirtschaft und hat die westdeutsche Bundesregierung so wenig Vertrauen zur Stabilität der politischen Situation in West-Berlin, daß die Bundesregierung den Warenverkehr durch eine Garantie gegen eventuelle Verluste abdecken muß? West-Berlin ist heute leider ein
Eldorado für Schieber und Wirtschaftssaboteure,
die alles aufbieten, um die Berliner Wirtschaft zu schädigen.
Ich stelle die Frage: Sollen die Schieber für ihre Verluste durch die Bundesregierung auf dem Wege über diese Vorlage entschädigt werden?
Nicht anders verhält es sich auch mit Artikel II der Vorlage. Die Bewag ist ein ausgesprochenes Verlustgeschäft, ein Kind der Spalterpolitik. Die Gewährung einer Bürgschaft würde nicht der West-Berliner Bevölkerung und der West-Berliner Wirtschaft, sondern einzig und allein den amerikanischen Kreditgebern zugute kommen. Die Amerikaner sind bei der Hergabe von Krediten sehr vorsichtig und wollen ihr Geld
durch eine Bundesbürgschaft gesichert haben. Sie hetzen zwar zum Kalten Krieg, Aber die Verluste im Kalten Krieg sollen die westdeutschen Steuerzahler aufbringen. Ich zweifle auch daran, ob der West-Berliner Wirtschaft durch die vorgesehenen Umsatzsteuervergünstigungen eine wirklich echte Hilfe geboten wird. Wir protestieren aber auf das energischste dagegen, daß auch solche Großkonzerne an den Steuervergünstigungen teilnehmen sollen, die ihre Geschäftsleitungen nach Westdeutschland verlegten.
Das ist eine öffentliche Belohnung der aus Berlin feige geflüchteten Großfirmen und eine direkte
Benachteiligung der westdeutschen Wirtschaft.
Zu der Vorlage, meine Damen und Herren, kann ich darum nur sagen, daß sie den Bankrott einer Firma decken soll, die sich „Großberliner Magistrat" und ganz bescheiden in Klammern „West" nennt.
In Westberlin hat die Zahl der Arbeitlosen, wie die Kollegin Schroeder selbst soeben in bewegten Worten darlegte, die Grenze von 300 000 überschritten. Gemessen an der Einwohnerzahl ist damit der Höchststand des Krisenjahres 1932 übertroffen. Die Gründe dieser Katastrophe, werte Kollegin Schroeder, haben Sie uns allerdings nicht dargelegt.
Die Gründe dieser Katastrophe sind wirtschaftspolitischer und politischer Natur,
wie Sie aus dem Beispiel des Aufbaus im wirklich demokratischen Berlin ersehen können.
Für das laufende Jahr werden in diesem Teil Berlins 400 Millionen D-Mark für den, Aufbau ausgegeben.
Die Industrieproduktion wird den Stand des Jahres 1936 überschreiten. Arbeitslose sind nicht vorhanden; im Gegenteil: es fehlt an Arbeitskräften.
Wir Kommunisten wünschen, daß es in ganz Ber- I lin so zügig aufwärts geht.
Berlin und Deutschland haben darum die Aufgabe, alle Bemühungen zu verstärken, um diese wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Ost-Berlin und West-Berlin und der Deutschen Demokratischen Republik auszuweiten.
Nur so, meine Damen und Herren, gibt es eine
wirklich echte Hilfe.
In diesem Zusammenhang erinnere ich Sie an die vom wirklich demokratischen Berlin vorgeschlagene Gesamt-Berliner Wirtschaftskommission. Durch die Schaffung einer derartigen Gesamt- Berliner Wirtschaftskommission könnten alle in West-Berlin bestehenden Schwierigkeiten überwunden werden. Ausweitung des Handels mit Ost-Berlin, mit der Deutschen Demokratischen Republik und mit den Oststaaten, das Ist die sicherste Garantie, die es für die Berliner Wirtschaft letzten Endes geben kann.
Dies ist auch der einzige Weg, der der West-Berliner Wirtschaft bleibt, um aus diesem Chaos, aus dem Währungs- und aus dem Wirtschaftschaos, einen gesicherten Ausweg zu finden.
Ich weiß, daß unsere Ausführungen von der Mehrheit des Hauses nie verstanden werden.
Sie kämpfen um. Berlin, wie der Herr Finanzminister es hier dargelegt hat. Sie kämpfen um Berlin, um die Zitadelle im Kalten Krieg, und weil Sie diese Zitadelle mit Millionen und aber Millionen D-M ark ausrüsten müssen, unterbreiten Sie heute dem Hohen Hause diese Vorlage. Ich sage Ihnen aber jetzt schon: Sie werden nicht erreichen, daß Berlin durch derartige Finanztransaktionen eine wirklich wirksame Wirtschaftshilfe erhält, und Sie erreichen erst recht nicht, daß Berlin weiterhin die verhängnisvolle Rolle im Kalten Krieg spielen wird. Die West -Berliner Bevölkerung und die Ost-Berliner Bevölkerung streben zur Einheit, sie wollen einen einheitlichen demokratischen Berliner Magistrat,
und sie werden diesen demokratischen Magistrat bekommen.
Dabei wird sich dann herausstellen, werte Kollegin Schroeder, daß dieses Berlin, das dann entsteht,
wirklich für Freiheit und Demokratie kämpft gegen jene, die hier in Westdeutschland Freiheit und Demokratie knebeln.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bucerius.
Meine Damen und Herren! Ich fürchte fast, die Vorlage ist in den Bereich jenes Teils der Diskussion hineingeraten, der so polemisch ist, daß er einer Vorlage nicht mehr
zuträglich ist und ihr jedenfalls schaden könnte. Ich meine damit nicht die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Rische, obwohl dem Hohen Hause von dieser Seite her in letzter Zeit in wachsendem Maße Dinge zugemutet werden, die auf die Dauer nicht mehr erträglich sind.
Es ist sehr interessant zu hören, daß sich am meisten diejenigen auf die Demokratie berufen, die ihre erbittertsten Gegner sind!
Meine Damen und Herren! Ich möchte daher kurz auf den Zwischenfall mit der Bayernpartei zurückkommen. Es ist richtig, § 114 der Geschäftsordnung bestimmt, daß Abweichungen von den Vorschriften der Geschäftsordnung durch Beschluß des Bundestags auch nur dann zugelassen werden, wenn keines der in der Sitzung anwesenden Mitglieder widerspricht. Die Bayernpartei hat widersprochen, aber dieser Widerspruch war aus folgendem Grunde unbeachtlich.
Obwohl die Vorlage nicht vorlag, ist im Ältestenrat die Besprechung der ersten Lesung des Gesetzentwurfs ausdrücklich für heute angesetzt worden.
Die Bayernpartei hat dem zugestimmt, obwohl ich im Ältestenrat mitgeteilt habe, daß die Vorlage frühestens am Montag dem Hause zugehen würde.
Aus diesem Grunde war die Berufung auf § 114 der Geschäftsordnung unbegründet.
Ich habe es auch ein ganz klein wenig bedauert, daß die Erörterung dieses ernsten, der Berliner Sache so förderlichen Gesetzentwurfs mit einer Auseinandersetzung mit einer der vielen in Deutschland erscheinenden Zeitungen verbunden worden ist. Es ist sicher: wir stehen nun einmal im Kampf um Berlin alle gemeinsam auf einer Seite, und Entgleisungen irgendeiner Zeitung brauchen nicht so ernst genommen zu werden, wie es hier der Fall gewesen ist. Aber immerhin müssen wir es dem verwundeten Gemüt der hier angegriffenen, warmherzigen Berliner Frau, die so viel für die Berliner Interessen getan hat, zugute halten, wenn sie es für notwendig gefunden hat, einige Worte zu dieser Angelegenheit zu sagen. Ich möchte aber empfehlen, diese im Grund doch sehr unerfreundliche Diskussion damit abzuschließen.
Meine Damen und Herren, zu dem Gesetzentwurf einige, ganz wenige Worte! Wir haben vielleicht keinen Anlaß, diese Vorlage besonders zu begrüßen; denn dieses Gesetz wird nur in Erfüllung der Zusagen vorgelegt, die der Stadt Berlin schon im Herbst vorigen Jahres von dem Herrn Finanzminister ausdrücklich gemacht worden sind. Aber es empfiehlt sich doch, den besonderen Charakter der hier vorgeschlagenen Maßnahmen ganz kurz zu betonen. Sie haben vom Herrn Finanzminister gehört, welche finanziellen Leistungen von Westdeutschland der Stadt Berlin in der Vergangenheit gewährt wurden und laufend gewährt werden. Es ist außer der Haushaltshilfe von 37 Millionen D-Mark zu Lasten der Länder ein Betrag, der laufend als Zuschuß zu dieser Haushaltshilfe aus einem Darlehen in einer komplizierten Transaktion gegeben wird, deren Erfüllung und materielle Belastung uns im nächsten Haushaltsjahr noch treffen wird und bei der wir heute noch nicht übersehen können, wie wir sie finanziell verdauen werden.
Insgesamt sind die Zahlen, die wir von dem Herrn Finanzminister gehört haben, wirklich fast erschreckend. Nicht weniger als etwa 5 Prozent des gesamten Steueraufkommens in Deutschland — Vermögen-, Einkommen- und Verkehrssteuer — geht als zusätzlicher Betrag nach Berlin. Um eine andere Zahl zu nennen: ungefähr ein Viertel des Betrags, der uns in Form. der Marshallplanhilfe zugewendet wird, müssen wir für Berlin. aufwenden. Wir erwähnen diese Zahlen nicht, um sie der Berliner Bevölkerung vorzuhalten, sondern um immer wieder in aller Bescheidenheit, aber doch ganz deutlich festzustellen, welchen Beitrag Westdeutschland in dieser wichtigen europäischen Frage ständig leistet.
Meine Damen und Herren, das waren Haushaltszuschüsse, von denen wir eben gesprochen haben. Der neue Weg, der hier beschritten werden soll, besteht darin, daß der Berliner Wirtschaft unter Umgehung des öffentlichen Haushalts unmittelbar mit dem Ziele geholfen werden soll, die öffentlichen Lasten, zu denen wir Zuschüsse leisten, in Zukunft möglichst zu vermindern. Dieses Ziel wird niemals — in absehbarer Zeit jedenfalls nicht — erreicht werden können: daß der Berliner Haushalt sich selbst trägt. Berlin wird immer die schützende Hand der Bundesrepublik brauchen und sie — davon bin ich überzeugt — niemals entbehren müssen! Aber wir müssen alles tun, was in unseren Kräften steht, um die Haushaltszuschüsse zu vermindern, indem wir den eigentlichen Träger des öffentlichen Haushalts der Stadt Berlin, nämlich die Berliner Wirtschaft, in allen ihren Teilen tatkräftig zu fördern suchen. Nur wenn wir das tun, wenn wir diesen unmittelbaren Weg gehen, können wir das Elend und das Leid der Hunderttausenden von Erwerbslosen, von Alten und Kranken lindern, die mehr oder minder, mittelbar oder unmittelbar von öffentlicher Hilfe und von der Wirtschaft Berlins abhängen. Wir sind deshalb sehr dankbar dafür, daß diese Kreditgarantie von 50 Millionen D-Mark, von der wir wissen, daß das Fehlen der Erteilung großer Aufträge von Westdeutschland nach Berlin sie bisher verhindert hat, endlich über die Bühne geht. Wir begrüßen auch, daß die Bundesregierung nachträglich die Zustimmung für die bereits ausgeführte Kreditgewährung an die BEWAG einholt. Die Erhaltung dieses Werkes — daß muß einmal Herrn Rische gesagt werden — hat es den Berlinern während der Zeit der-Blockade mitunter ermöglicht, von 4 bis 1/2 5 Uhr morgens oder von 11 bis 1/212 Uhr mittags ein wenig Strom zu haben, und so den Schikanen zu entgehen, denen sie vom Osten ausgesetzt waren.
Die Umsatzsteuervergünstigung von 3 Prozent ist vielleicht nur ein bescheidener sachlicher Beitrag zu dem, was die Berliner Wirtschaft zu leisten hat. Ich weiß, daß trotzdem vorn Westen her manche Industriezweige, die sich der Berliner Konkurrenz besonders ausgesetzt fühlen, gegen diese Steuervergünstigung gewisse Bedenken- haben; sie werden diese Bedenken im Zuge der allgemeinen Auseinandersetzung um Groß-Berlin zurückstellen müssen. Im Grunde müssen wir
dankbar sein, daß die Wirtschaftskapazität Berlins der Kapazität Westdeutschlands hinzugefügt wird, und unser ganzes Ringen gilt doch eben dem Ziele, zu verhindern, daß diese Kapazität in die Hände des Ostens fällt, der davon einen Gebrauch machen wird, von dem wir wissen, wie er für uns eines Tages aussehen würde.
Es sind im Bundesrat gegen technische Einzelheiten Bedenken geäußert worden, zum Beispiel dahin, daß das Gesetz von einzelnen Berliner Firmen mißbraucht werden könnte, etwa so, daß unter Vergabe von Aufträgen in der Ostzone oder in dem Ostsektor billig eingekauft und daß dann mit Hilfe der Umsatzsteuervergünstigung zu Unterpreisen nach dem Westen geliefert wird. Es ist richtig, die Existenz eines Hungerstandards in der Ostzone neben dem relativen Wohlstand Berlins ermöglicht es, unter Umständen billiger Waren aus der Ostzone zu beziehen. Das ist das natürliche Gefälle, das sich zwischen dem guten Lebensstandard und dem Hungerstandard in der Ostzone einmal ergeben hat. Wir wissen aber, daß der Berliner Magistrat selbst auf das äußerste bemüht ist, das sich daraus ergebende Dumping nach Möglichkeit zu bekämpfen. Ich habe mich davon überzeugt, daß die Möglichkeiten der Ausnutzung dieses Dumpings infolge des tatkräftigen Einschreitens des Berliner Magistrats außerordentlich gering geworden sind. Im übrigen wird es Angelegenheit der Ausschußarbeit sein, hier die letzten Bedenken zu beseitigen.
Frau Abgeordnete Schroeder hat auf einige Unterlassungen der Bundesregierung hingewiesen; da wäre vielleicht noch etwas nachzuholen. Es ist richtig, daß wir beschleunigt darangehen müssen, Berlin die Vergünstigungen eines Notstandsgebietes in der Form von Gewährung öffentlicher Aufträge zu verschaffen. Auch diese Maßnahme ist bisher an technischen Einzelheiten gescheitert, wobei das Dumping eine gewisse Rolle spielt. Ich habe mich davon überzeugt, daß die unmittelbare Zusammenarbeit zwischen dem Wirtschaftsministerium und der Abteilung Wirtschaft im Magistrat Berlin die Angelegenheit so gefördert hat, daß sie in Zukunft erledigt werden kann.
Frau Abgeordnete Schroeder hat die Kürzung der Berlin-Zuschüsse aus dem Darlehensfonds für die Stadt Berlin zusätzlich zu den 37 Millionen D-Mark Haushaltshilfe kurz gestreift. Sie hat das mit einer bemerkenswerten Zurückhaltung getan, für die wir dankbar sein können. Eines wird man in diesem Zusammenhange sagen müssen: unsere Hilfe gilt in erster Linie der Stadt Berlin in ihrer Gesamtheit, und wir müssen natürlich dafür sorgen, daß die Hilfe, die dem Magistrat Berlin gewährt wird, in dem Rahmen bleibt, der unbedingt erforderlich ist, um den Betrieb der öffentlichen Verwaltung aufrechtzuerhalten. Wenn wir von dem Herrn Finanzminister hören, daß die öffentliche Verschuldung in Berlin gegenüber seinen Auftraggebern um 30 Millionen D-Mark vermindert worden ist, so ist das ein namhafter Fortschritt, der die Kürzung der der Verwaltung der Stadt Berlin gewährten Zuschüsse wohl rechtfertigt. Im übrigen hat der Herr Finanzminister erklärt — das ist bekanntgemacht worden, an dieser Zusage werden wir festhalten —, daß, wenn sich die Kassenlage der Stadt Berlin verschlechtern sollte, er nicht anstehen wird, die Zuschüsse in der alten Form wieder aufzunehmen.
Die nächste Frage, ' mit der sich, die Bundesregierung zu befassen haben wird, ist die der Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin. Ich habe festgestellt, daß diese Frage im Schoße der Bundesregierung eingehend erörtert wird und man in Kürze mit der Vorlage entsprechender Vorschläge durch die Bundesregierung rechnen kann. Wir werden diese Vorschläge entgegennehmen und prüfen, in welchem Umfange sie sich erweitern oder jedenfalls ausführen lassen.
Meine Damen und Herren! Alle diese Maßnahmen zusammen — nicht eine einzelne — werden dazu dienen, der Stadt Berlin den Schutz zu geben, auf den sie Anspruch hat. Das außenpolitische Ziel Deutschlands ist, möglichst bald als gleichberechtigtes Mitglied in eine europäische Föderation aufgenommen zu werden. Einen moralischen Anspruch, auf diese Aufnahme Deutschlands in die Gemeinschaft der europäischen Völker haben wir nur in einem Falle: wenn es uns gelungen ist, den Bestand der westlichen Welt ungeschmälert zu erhalten, soweit das in unseren Kräften steht. Zu dieser westlichen Welt gehört untrennbar Berlin. Die Bundesregierung wird daher der Unterstützung dieses Hauses immer sicher sein, wenn es sich um den Schutz unserer Stadt Berlin handelt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reismann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann Herrn Kollegen Bucerius nicht folgen, wenn er eben den Wunsch ausgesprochen hat, über die geschäftsordnungsmäßige Frage sollte nunmehr, nachdem er dazu gesprochen hat, geschwiegen werden. Dazu ist nämlich sein Argument zu schwach gewesen. Es ist gefährlich, wenn man von einer klaren Bestimmung der Geschäftsordnung zum ersten Mal gegenüber einer klaren Minderheit abweicht, ohne dafür eine ausreichende rechtliche Begründung finden zu können. Was heute in dieser Sache den Bayern passiert, kann jeder anderen Fraktion oder einem Teil einer Fraktion morgen aus einem anderen Anlaß geschehen.
Ich glaube, das Zentrum ist gegen den Verdacht gesichert, Berlin-Komplexe zu haben, wie Sie vielleicht eben geglaubt haben, daß das bei den Bayern der Anlaß sein könnte. Man muß diese Frage einmal grundsätzlich sehen. Die Geschäftsordnung sieht einen Minderheitsschutz vor, und wenn ein solcher Schutz einen Sinn haben soll, dann darf er nicht von der Mehrheit weggestimmt werden können. Wenn man also sagt: Der Ältestenrat hat gestern beschlossen, und der Vertreter der Bayernfraktion war dabei dafür, in diesem Falle von der Innehaltung der geschäftsordnungsmäßigen Vorschriften abzusehen, so hat das zur stillschweigenden Voraussetzung, daß im Plenum keiner widersprechen werde; erhebt sich aber Widerspruch, so kann auch die Zustimmung des Ältestenrates einen solchen Beschluß nicht zulässig machen. Wir haben uns durch diese Beschlußfassung auf den Boden des Illegalen begeben; denn es ist ein autonomes Statut, gegen das wir verstoßen, das für dieses Haus Gesetzes-
1 kraft und -bedeutung hat. Wir sollten in einer Demokratie solche Dinge unter gar keinen Umständen zulassen.
Das rechtsstaatliche Prinzip, der Rechtsstaat als solcher sowohl wie die Freiheit finden ihre Probe gerade darin, daß man diese Prinzipien auch denen zugesteht, denen gegenüber man selber eine andere Meiung hat.
Ich bedaure also, daß dieser Beschluß überhaupt gefaßt werden konnte. Nach, meiner Meinung hätte eine Abstimmung darüber überhaupt nicht stattfinden dürfen,
und ich bekenne, daß unsere Fraktion mit den Bayern eben gegen die Mehrheit des Hauses gestimmt hat, obwohl wir damit nichts über diese Berlin-Vorlage selber zum Ausdruck bringen wollen. Ich möchte unseren Protest gegen diese Art des Vorgehens aus rein grundsätzlichen Erwägungen hier ausdrücklich ausgesprochen haben, damit man sich in späteren Fällen nicht hierauf beruft. Ich persönlich bin der Ansicht, daß es sich hier um einen Lapsus des Hauses gehandelt hat, das sich mangels ausreichender Diskussion die Tragweite der Entscheidung offenbar nicht klargemacht hat. Aber präjudizielle Bedeutung darf dieser Beschluß auf gar keinen Fall gewinnen, sondern er muß schon jetzt als das klargestellt werden, was er ist: als ein Versehen dieses Hohen Hauses.
Meine Damen und Herren, nun zu der Angelegenheit selbst. Ich habe aber für diese wichtige Vorfrage nach meiner Stoppuhr schon anderthalb Minuten verschwendet, und bei der geringfügigen Redezeit, die meiner Fraktion zur Verfügung steht, müßte ich jetzt im Telegrammstil reden. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß die Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung der Redezeit auch eine problematische Angelegenheit ist.
Ich gehöre zu einer Fraktion, die sich bisher nicht
durch die Länge ihrer Reden ausgezeichnet hat.
Sie wollen bitte einmal zur Kenntnis nehmen, daß wir uns sowohl bei der Begründung von Anträgen als auch bei den Debatten die größten Beschränkungen hinsichtlich der Redezeit auferlegt haben, wie sie irgendeiner Fraktion überhaupt zugemutet werden können. Aber im Prinzip muß ich gegen diese Redezeitbeschränkungen meine Bedenken anmelden, und ich werde das wiederholt tun.
— Das hat mit den Wählern nichts zu tun. Die Wähler würden ihrer Verwunderung Ausdruck geben, wenn sie Gelegenheit hätten festzustellen, wie man gegen kleinere Fraktionen in der Beschränkung der Freiheit gelegentlich vorzugehen beliebt.
Im übrigen hoffe ich, daß das Präsidium in der bekannten Loyalität meinen langen Anmarschweg zur Tribüne nicht auch noch auf die Redezeit anrechnet.
Herr Abgeordneter, habe ich das jemals getan?
Nein; ich, sagte: bei der bekannten Loyalität rechnete ich damit, daß Sie das nicht täten, Herr Präsident.
Aber nun zu dem Thema selbst. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß nach meiner Meinung das Berlin-Thema, das wir hier nun verschiedentlich erörtert haben, bisher etwas zu kasuistisch angefaßt worden ist. Man hat heute vom Herrn Finanzminister eine Zusammenfassung verschiedener Hilfsmaßnahmen gehört, allerdings nicht so erschöpfend — oder sollte es mir entgangen sein? —, daß man von allem, auch zum Beispiel von der Portoabgabe ein zahlenmäßiges Ergebnis hätte hören können. Das ist aber nur die eine Seite. Das betrifft nämlich die Maßnahmen, die zum Schutz und zur Unterstützung der kämpfenden Berliner Bevölkerung beschlossen worden sind. Es bedürfte einmal einer systematischen Zusammenstellung, damit wir übersehen, was bisher insgesamt, wie auch was eus den einzelnen Quellen nach Berlin geflossen ist.
Wichtiger scheint mir die andere Seite zu sein. Wir leiden -- so scheint es mir -- ein wenig daran, daß wir die ganze Anlegenheit Berlin am Symptom kurieren wollen, ohne daß ein einheitlicher, großzügiger Plan vorliegt, nach welchem man vorgehen kann und in Zukunft auch vorgehen will. Man muß eimal die Notwendigkeiten von Berlin und ebenso demgegenüber die eigenen Bedürfnisse feststellen und dann abwägen; denn schließlich gibt es nicht nur in Berlin Arbeitslose, sondern leider Gottes ist die Arbeitslosigkeit eine Angelegenheit, die auch im Westen bei den bekanntermaßen 1,8 Millionen direkt Betroffenen die schwersten Sorgen hervorruft. Bekanntlich gibt es nicht bloß in Berlin, sondern auch im Westen Ausgebombte. Dazu haben wir noch Flüchtlinge und außerdem die, die alltäglich über die Zonengrenze von der russisch besetzten Zone her durchsickern. Es muß doch einmal ein Gesamtbild gegeben und ein Plan aufgestellt werden, um bei/ des miteinander abzustimmen.
Auch für die Reorganisation der Berliner Wirtschaft und für die Abstimmung ihrer Leistungen mit den Bedürfnissen des Westens muß ein Plan gemacht werden. Wenn wir nur Geld dahin leiten, besteht die Gefahr, daß dieses dort durchaus fehl investiert wird, so daß es weder der Berliner noch unserer Wirtschaft nutzt, sondern daß womöglich hinterher die beiden Wirtschaften, die aufeinander angewiesen sind und sich gegenseitig unterstützen sollen, noch gegeneinanderarbeiten. Unsere Fraktion vermißt einen solchen grundlegenden und weitsichtigen Plan, der es uns ermöglicht, festzustellen, ob und in welcher Weise das dahin geschickte Geld auch produktiv wirkt und den größten Nutzeffekt für beide Teile, für den gebenden und den nehmenden Teil, gewährleistet.
Nebenbei bemerkt würde ein solcher Plan sowohl über die Ausgaben wie über die Einnahmen geeignet sein, die Augen der Welt einmal darauf zu lenken, daß die Unterstützung von Berlin nicht allein Sache Westdeutschlands sein darf. In erster Linie ist es natürlich unsere Angelegenheit, da die Berliner Brüder unseres Volkes sind, die wegen ihrer und unserer Freiheit leiden. Zum andern ist es aber nicht allein unsere Schuld, daß diese Situation besteht. An den Reibungen unter
den Alliierten sind die Deutschen nicht schuld. Deswegen müssen wir durch die Darlegung der Vernünftigkeit unserer Maßnahmen und durch den Hinweis darauf, daß wir bis an das Äußerste unserer Leistungsfähigkeit gegangen sind und uns hinsichtlich unserer Leistungen auch nicht selber überziehen dürfen, die Welt für den Gedanken erwärmen, daß die Unterstützung von Berlin eine Angelegenheit der Weltöffentlichkeit und nicht nur eine deutsche Angelegenheit ist.
Meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete Seelos hatte sich zum Wort gemeldet; er hat verzichtet.
Ich erteile nunmehr das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Reif.
Meine Damen und Herren! Ich möchte nur ein paar ganz nüchterne Worte zu diesem Problem, sagen, nicht nur deshalb, weil ich glaube, daß man das Problem an sich so behandeln sollte, sondern auch deshalb, weil ich weiß, daß die Berliner, die vielleicht, da es urn Berlin geht, am Rundfunk mithören, gar nicht das Bedürfnis haben, daß man über ihre Angelegenheiten mit großem Pathos spricht.
Wenn es bei dieser Aussprache zu einer politischen Auseinandersetzung gekommen ist, so Ist das gar nicht verwunderlich und auch gar nicht schädlich. Denn selbstverständlich ist das Berlin-Problem ein politisches Problem, und bei solchen Problemen gilt es, zu einer bestimmten Politik Stellung zu nehmen, und man muß dabei in Kauf nehmen, daß andere anderer Meinung sind und das nicht billigen. Für die Berliner und für die Welt genügt es aber zu wissen, daß eine große Mehrheit des Deutschen Bundestages bereit ist, die bisherige Berlin-Politik Westdeutschlands fortzusetzen.
In diesem Zusammenhang war es sehr wichtig und nützlich, daß der Herr Bundesfinanzminister die Leistungen dargestellt hat, die bisher für Berlin gebracht worden sind. Das ist notwendig zunächst deshalb, damit die Welt draußen weiß, daß wir nicht immer nur auf ihre Hilfe warten, sondern auch selbst etwas tun und auch schon sehr viel getan haben. Ferner ist aber auch wichtig, daß unsere Landsleute in der sowjetischen Besatzungszone wissen und auch immer wieder hören, in welchem Umfang Westdeutschland zu Berlin und damit auch zu den Bewohnern der sowjetischen Zone steht. Denn alles, was Sie für Berlin tun, meine Damen und Herren, tun Sie auch für die Menschen in der Ostzone, die ängstlich darauf warten, was für Berlin geschieht, und für die es die entsetzlichste Enttäuschung sein würde, wenn Berlin nicht geholfen würde.
Es ist wiederum. kein Fehler, wenn in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen wird, daß es uns Berlinern auch heute wirtschaftlich noch schlecht geht; denn es gehört einfach zur Wahrheit in diesen Dingen, daß die Berliner Wirtschaft auch schon vor der Blockade ganz enorme Opfer gebracht hat. Sie wissen alle um das Berliner Demontage-Problem. Es ist ein ganz anderes Problem als hier in Westdeutschland, weil sie durch eine andere Besatzungsmacht durchgeführt wurde. Sie wissen um das Uraltkonten -Problem, das erst jetzt für uns praktisch einer Lösung entgegengeht, aber schließlich far die ersten Anfange einer Rationalisierung der Produktionsbetriebe im Westen eine so große Bedeutung gehabt hat. All diese Dinge haben die Berliner Wirtschaft belastet.
Dazu kommt, daß Berlin während der Blokkade um des sozialen Friedens, oder sagen wir besser, um der sozialen Sicherheit willen sehr große Opfer gebracht hat. Denn einen solchen Kampf kann man nicht mit Hunderttausenden von Erwerbslosen in der Stadt führen. Das ist unmöglich. Jetzt aber haben wir 300 000 Erwerbslose. Min wird gesagt, auch im Bereich der Bundesrepublik stelle das Erwerbslosenproblem ein sehr ernstes Problem dar -- und das ist es sicher —, aber, meine Damen und Herren, wenn Sie unsere Sorgen hätten, so würde das bedeuten, daß Sie mindestens 7 bis 8 Millionen Erwerbslose haben müßten. Denn diese Quote käme auf Westdeutschland, wenn man die West-Berliner Verhältnisse zum Vergleich heranzieht. Natürlich wünschen wir Ihnen das nicht; um Gottes willen! Aber wir wollen auch nicht aus der Tatsache, daß sich bei dieser ungeheuren Summe, uni die es sich für West-Berlin handelt, in der letzten Zeit der Zuwachs etwas verlangsamt hat, nun schon Schlüsse auf eine Besserung der Berliner Wirtschaftslage ziehen. Es ist genau so, wie man vielleicht davon sprechen kann, daß es in jeder Wirtschaftsorganisation irgendwie eine bestimmte Quote dauernder Erwerbslosigkeit gibt, die sich kaum irgendwie reduzieren läßt, weil eben ein gewisser Platzwechsel in der Wirtschaft immer stattfindet und stattfinden muß. So gibt es vielleicht auch irgendeine Quote der Erwerbstätigen, unter die man kaum kommen kann, es sei denn bei ganz großen Katastrophen. Wenn man sich dieser Quote nähert, dann muß sich natürlich der o Zugang an Arbeitslosen verlangsamen. Vergessen Sie nicht, was wir in Berlin leider beobachten müssen, daß eine große Menge bisheriger Kurzarbeiter nunmehr Vollerwerbslose wurde, daß also hier eine Umschichtung, und zwar nicht zum Guten, sondern zum Schlechten stattgefunden hat. Auch das müssen wir beachten. Es ist sicher, daß eine wirkliche Besserung der Berliner Wirtschaftslage nur erzielt werden kann, wenn die Zuwendungen, die der Bund erfreulicherweise der Stadt Berlin gegeben hat, durch wirtschaftspolitische Maßnahmen unterstützt werden, und es ist sicher, daß nur diese wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die eine Besserung der Wirtschaftslage herbeiführen, mit dazu helfen, den finanziellen Notstand allmählich zu überwinden.
Bei der Beurteilung der Frage des Termins der Kürzungen möchte ich bitten, daran zu denken, daß die finanziellen Unterstützungen zwar sofort, die Kürzungen nunmehr auch eingesetzt haben, daß aber die wirtschaftlichen Hilfsmaßnahmen, die ja eigentlich für das Ganze die Voraussetzung bilden sollten, erst jetzt anfangen, ja zum Teil erst jetzt beschlossen werden. Deshalb freuen wir uns, daß wir nun heute Gelegenheit haben, in erster Lesung und am Freitag in zweiter und dritter Lesung über einen Teil dieser Hilfsmaßnahmen zu beschließen.
Ich darf im Auftrage meiner Fraktion sagen, daß wir die uns von der Regierung vorgelegten Maßnahmen bejahen und ihnen zustimmen werden. Dem im Bundesrat gemachten Vorschlag für die Verlagerung der Umsatzsteuersenkung nach Berlin selbst werden wir nicht zustimmen, denn seine Annahme würde ja den Sinn der Maßnahme
verkehren. Die Maßnahme war als ein Anreiz für westdeutsche Käufer gedacht, Berliner Waren zu kaufen. Deshalb sollte die Umsatzsteuersenkung in Westdeutschland stattfinden. Die Maßnahme war von vornherein nicht als eine Möglichkeit des Berliner Dumpings gegenüber Westdeutschland gedacht. Das würde sie nämlich werden, wenn wir die Umsatzsteuersenkung nach Berlin veriegten. Infolgedessen halten wir den im Bundesrat gemachten Vorschlag, dem sich ja auch die Mehrheit des Bundesrats nicht angeschlossen hat, nicht für praktisch und auch nicht im. Sinne dieser Maßnahme liegend, und wir werden ihn ablehnen.
- Im übrigen aber begrüßen wir die Regierungsvorlage als einen Schritt zur wirksamen wirtschaftlichen Hilfe und damit als einen weiteren Beweis für unsere Landsleute in der sowjetischen Zone, die dauernd auf Berlin blicken, daß sie nicht enttäuscht zu sein brauchen. Wenn ich mir die kleine Allegorie erlauben darf, so möchte ich an den Kredit für die Bewag anknüpfen und sagen, daß es Aufgabe Westdeutschlands ist, in diese Stadt, die im Schatten des Kremls kämpft, etwas Licht hineinzutragen, vielleicht sogar so viel Licht wie möglich, weil von dort und nur von dort ein Schein dieses Lichts in die entfernteste und dunkelste Zone unseres Vaterlandes hinausstrahlt.
Meine Damen und Herren, da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, erkläre ich die Aussprache über Drucksache Nr. 496 in erster Beratung für geschlossen. Ich nehme das Einverständnis des Hauses dazu an, daß damit Drucksache Nr. 496 als an den zuständigen Ausschuß überwiesen gilt. — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist demgemäß beschlossen.
Meine Damen und Herren! Die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung fallen aus.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses gemäß Artikel 15 des Grundgesetzes über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Neuordnung des Kohlenbergbaues .
Ich darf dem Herrn Abgeordneten Dr. Blank das Wort als Berichterstatter erteilen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Ausschuß gemäß Artikel 15 des Grundgesetzes hat in seiner Sitzung vom 26. Januar den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Neuordnung des Kohlenbergbaues, Drucksache Nr. 109, behandelt. Es . ist im Ausschuß erwogen worden, ob es richtig sei, den Antrag gemäß Drucksache Nr. 109 zu erweitern und gewissermaßen der Bundesregierung in einem erweiterten Antrag schon Richtlinien für die Art und Weise mit auf den Weg zu geben, wie etwa der Gesetzentwurf gestaltet sein sollte. Andere Mitglieder des Ausschusses standen auf dem Standpunkt, es sei richtiger, den Antrag gemäß Drucksache Nr. 109 in der vorliegenden Form anzunehmen, da ja schon in dem Antrag zum Ausdruck komme, daß Wert auf eine beschleunigte Vorlegung des Entwurfs durch die Bundesregierung gelegt werde. Die letztere Ansicht hat sich durchgesetzt, und ich habe daher im Auftrage des Ausschusses das Hohe Haus zu bitten, entsprechend der Ihnen vorliegenden Drucksache mit dem Mündlichen Bericht den Antrag der CDU/CSU im Wortlaut der Drucksache Nr. 109 anzunehmen.
Ich habe außerdem noch zu berichten, daß der Ausschuß gemäß Artikel 15 des Grundgesetzes in der Zeit, in der die Regierung mit der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs beschäftigt ist, seinerseits Studien über die tatsächlich gegebenen Verhältnisse, insbesondere über die derzeit vorliegende Verteilung der Besitzverhältnisse im Steinkohlenbergbau, namentlich im Ruhrgebiet, unternehmen wird. Es kann dabei auf das umfassende Material zurückgegriffen werden, das in Nordrhein-Westfalen erarbeitet worden ist. Das Mitglied des Ausschusses Herr Kollege Professor Dr. Nölting hat sich bereit erklärt, dem Ausschuß demnächst das Material vorzulegen. Es wird auch
erwogen werden, aus anderen Ländern, in denen die Frage der Vergesellschaftung schon weitergetrieben worden ist, Material für den Ausschuß heranzuziehen.
— Aus anderen Ländern des Bundesgebiets!
Ich bitte, entsprechend dem Antrag des Ausschusses zu beschließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Blank.
Meine Damen und Herren! Der 0 Ausschuß gemäß Artikel 15 des Grundgesetzes hat dem Hohen Hause soeben die Annahme des Antrages der CDU/CSU-Fraktion gemäß Drucksache Nr. 109 empfohlen. Dieser Antrag ersucht die Regierung um Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Neuordnung der Eigentumsverhältnisse im Kohlenbergbau. Als Sprecher meiner Fraktion möchte ich einige Ausführungen über die Beweggründe zu unserem Antrag machen.
Die CDU hat im Ahlener Wirtschafts- und Sozialprogramm verkündet: „Wir fordern die Vergesellschaftung der Bergwerke". Diese Forderung wurde mit dem monopolartigen Charakter der Bergwerke und mit der entscheidenden volkswirtschaftlichen Bedeutung des Urprodukts Kohle begründet. In den Düsseldorfer Leitsätzen bejaht die CDU das Privateigentum. Damit ist, wie aus dem Zusammenhang der Sätze hervorgeht, auch das Eigentum an Produktionsmitteln gemeint. Daneben aber steht noch einmal ausdrücklich: Wir bejahen im industriellen Raum Unternehmungsformen in Gemeineigentum dann, wenn sie wirtschaftlich zweckmäßig, betriebstechnisch möglich und politisch notwendig sind.
In seiner Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler gesagt: Die sozial- und gesellschaftspolitische Anerkennung der Arbeitnehmerschaft macht eine Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundstoffindustrien notwendig.
Um diese programmatischen Forderungen und Zielsetzungen zu verwirklichen, hat die CDU/ CSU-Fraktion ihren Antrag gestellt. Sie hat zur Bundesregierung zwar das Vertrauen, daß diese in Ausführung ihres Regierungsprogramms die erforderlichen Gesetzentwürfe vorlegen wird,
Dennoch hat die Fraktion diesen Antrag eingebracht, weil sie .damit fördernd die zeitliche Rangfolge der geplanten Regierungsentwürfe beeinflussen möchte. Und das auch noch aus einem anderen Grunde als aus dem der programmatischen Zielsetzung. Meine Damen und Herren, Sie alle kennen die gegenwärtig ungeklärte Lage der Besitzverhältnisse im deutschen Kohlenbergbau. Sie `wissen, daß das Eigentum durch die Militärregierung beschlagnahmt ist und daß seit 1947 die Deutsche Kohlenbergbauleitung für den leistungsfähigen Betrieb und die Leistung des Stein-und Braunkohlenbergbaus der Militärregierung verantwortlich ist. Seit dem 6. 7. 1949 ist der Generaldirektor der Deutschen Kohlenbergbauleitung mit den vorbereitenden Aufgaben für die Neuordnung des Bergbaus gemäß Militärregierungsgesetz Nr. 75 beauftragt. Dieses Gesetz, mit dessen Einzelheiten und dessen Stand seiner Durchführung ich mich jetzt nicht beschäftigen möchte, enthält in seiner Präambel einen bedeutsamen Satz, den ich Ihnen wörtlich zitieren muß. Es heißt dort:
Die Militärregierung hat beschlossen, die endgültige Entscheidung über die Eigentumsverhältnisse im Kohlenbergbau und in der
Eisen- und Stahlindustrie einer aus freien
Wahlen hervorgegangenen, den politischen
Willen der Bevölkerung zum Ausdruck bringenden deutschen Regierung zu überlassen. Wir glauben, daß die in diesem Satz stehenden Voraussetzungen nun gegeben sind. Wir haben eine aus freien Wahlen hervorgegangene deutsche Regierung. Deshalb unsere Aufforderung an die Regierung, den Gesetzentwurf zur Neuordnung der Eigentumsverhältnisse vorzulegen.
I Meine Damen und Herren! Mit voller Absicht unterlasse ich den Versuch einer Darstellung, wie dieser Entwurf die Neuordnung der Eigentumsverhältnisse verwirklichen soll, weil wir der Meinung sind, daß ein solches Gesetz, welches die Grundlagen der Kohlewirtschaft entscheidend ändert und tief in die gesamte Volkswirtschaft eingreift, diese nur dann vor Erschütterungen bewahren kann, wenn es den Wünschen und Vorstellungen einer großen Mehrheit des Volkes entspricht. Die Regierung wird bei der Ausarbeitung ihres Entwurfs auch genötigt sein — wir wünschen das —, die Meinung der Sozialpartner, die Meinung der Gewerkschaften und auch der Unternehmerverbände zu dieser Frage einzuholen und sie entsprechend zu berücksichtigen. Wir möchten diesem notwendigen klärenden Gespräch ebenfalls nicht vorgreifen.
Zuletzt ist es unser Wille, daß dieses Gesetz der sozialen Befriedung dienen soll. Es soll zu seinem Teil die sozial- und gesellschaftspolitische Anerkennung der Arbeitnehmer verwirklichen. Deshalb bedarf es einer breiten Vertrauensbasis. Wir möchten bewußt — und das sage ich betont nach allen Seiten dieses Hauses — diese Möglichkeit nicht durch eine enge Festlegung auf Details verhindern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Henßler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde bedauern, daß die Mehrheit des Ausschusses sich nicht bereit gefunden hat, diesen Antrag auch mit einigen klaren
Richtlinien zu versehen, um der Regierung gegenüber zum Ausdruck zu bringen, wie man sich diese Neuordnung denkt. Ich kann leider nicht wie der Herr Kollege Blank die Versicherung aussprechen, daß ich zum Herrn Bundeskanzler das Vertrauen habe, daß er eine Vorlage auch nur gemäß dem Ahlener Programm bringen wird. Der Herr Bundeskanzler ist auf diesem Gebiet kein unbeschriebenes Blatt;
das weiß Herr Kollege Blank selber sehr gut. Ich will jetzt in diesem Zusammenhang gar nicht anführen, was der Herr Bundeskanzler jeweilig, zum Teil widersprechend, als Parteiführer geäußert hat, sondern ich möchte nur darauf hinweisen, daß seine Ausführungen in der Regierungserklärung nicht die einzige Erklärung darstellen, die er in dieser Hinsicht als Bundeskanzler abgegeben hat. Ich denke daran, daß er das Angebot der Beteiligung ausländischen Kapitals an deutschen Werken nach Paris gerichtet hat. Ich denke daran, daß er dieses Angebot noch durch die befürwortende Übermittlung eines Finanzierungsvorschlages der Vereinigten Stahlwerke unter Heranziehung ausländischer Kapitalbeteiligung bekräftigt hat.
Meine Damen und Herren, das ist zu diesem Kapitel nicht nur geredet, es ist vielmehr dazu gehandelt,
und zwar in einer Form, daß man sagen könnte, es wird versucht, vollzogene Tatsachen zu schaffen, die eine umfassende Neuordnung im Rahmen der deutschen Wirtschaft und in deutscher Zuständigkeit ausschließen, insbesondere vollzogene Tatsachen zu schaffen, die der Vergesellschaftung der deutschen Grundstoffindustrie entgegenstehen.
Meine Damen und Herren! Ich kann mich für die heutige Debatte mit einer ganz kurzen Feststellung begnügen: Wir wollen, daß die deutsche Grundstoffindustrie Volksbesitz wird. Wir wollen, daß in keiner Beziehung eine Rekapitalisierung erfolgt, sondern daß eine Sozialisierung erfolgt. Wir wollen, daß keine Besitz- und damit Verfügungsrechte an inländische und ausländische Kapitalinteressenten gegeben werden. Wir bestreiten nicht, daß die Ruhrwirtschaft europäische Funktionen hat. Aber wir betonen nicht losgelöst von der deutschen Wirtschaft selbst, sondern nur in Verbindung mit ihr. Ich möchte zu diesem Kapitel nur eine Feststellung treffen: die Ruhr gehört zu Deutschland, und Deutschland ist ein Bestandteil Europas. Wir stellen uns nicht dagegen, daß die deutsche Grundstoffindustrie in eine übergeordnete europäische Konstruktion eingegliedert wird. Aber es erscheint uns viel wichtiger, daß das mit nationalisierten Industrien geschieht. Dann ist die Sicherheit einer echten europäischen Konstruktion viel größer. Die Frage ist nur, welche Form der Nationalisierung durchgeführt werden soll.
Ich freue mich, von Herrn Kollegen Blank nicht wieder das Schreckgespenst der Verstaatlichung vorgeführt bekommen zu haben. Darin liegt viel Übertreibung. Der staatliche Bergbau vor 1914 war in seiner reaktionären Kraft stärker als der von Krupp und Stinnes. Der nach 1918 konnte einen Vergleich mit dem privaten Bergbau durchaus aushalten. Aber für uns ist ja
bei dieser Frage gar nicht entscheidend, ob an der Spitze des Bergbaues ein kapitalistischer Generaldirektor oder ein bürokratischer Staatsbeamter steht. Wir verstehen unter Sozialisierung etwas mehr. Wir wollen das Verhältnis des Menschen zum Betrieb ändern. Wir wollen die Menschen, die in diesen Betrieben arbeiten, verantwortlich einschalten. Wir wollen ihnen nicht nur Rechte geben, sondern wir wollen ihnen entsprechend diesen Rechten Mitverantwortung geben. Ich hoffe, daß wir insbesondere nach den Worten des Herrn Kollegen Blank Aussicht haben, hier zu einer konstruktiven Arbeit zu kommen. Ich brauche nur daran zu erinnern, daß einmütige gewerkschaftliche Kundgebungen vorliegen und hier in diesem Hause Männer sind, die den Gewerkschaften angehören und hier sowohl der Opposition, wie der Regierungskoalition angehören. Es ist nur notwendig, meine Damen und Herren — verzeihen Sie —, daß Sie sich etwas an die Formulierungen erinnern, die Sie 1945, 1946 und 1947 gefunden haben.
Ich denke an ein Wort, das damals von Herrn Minister Kaiser ausgesprochen wurde: Die bürgerliche Gesellschaftsordnung gehört einem versunkenen Zeitalter an
und wird durch ein Zeitalter des werktätigen Volkes,
durch das Zeitalter der sozialistischen Lebenshaltung abgelöst.
Ich könnte noch eine Reihe solcher Hinweise bringen. Ich bringe sie in Erinnerung daran, was uns damals in der größten Not bewegte, und zur Mahnung, daß die Gedanken, die dort ausgesprochen wurden, doch endlich auch realisiert werden möchten.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, die Regierung wird bei ihrer Aufgabe nicht an den Verhandlungen vorbeigehen können, die, als es keinen Bundestag gab, schon im Lande NordrheinWestfalen in dieser Frage stattgefunden haben; sie wird an den Ergebnissen dieser Verhandlungen nicht vorbeigehen können. In Nordrhein-Westfalen haben wir ein Sozialisierungsgesetz beschlossen.
— Richtig, mit einer geringen relativen Mehrheit, aber immerhin hatte die Opposition sich vom starren Nein zur verlegenen Stimmenthaltung zurückentwickelt. Die englische Militärregierung hat dieses Gesetz nicht bestätigt. Auf die Gründe brauche ich nicht mehr hinzuweisen; sie sind von meinem Vorredner vorgebracht worden. Deshalb ist es Aufgabe des Bundes, nun bald aktiv zu werden.
Aber noch mehr als auf dieses Sozialisierungsgesetz lege ich Wert darauf, daß eine fast einmütige Zustimmung des Landtages Nordrhein-Westfalen zu einer Regierungserklärung des Herrn Ministerpräsidenten Arnold vorliegt, der sie seit dieser Zeit wiederholt erneut bestätigte. In dieser Regierungserklärung — ich bitte. einige Sätze daraus zitieren zu dürfen — heißt es:
Für die Neuordnung der Grundstoffindustrie
scheidet sowohl das System der bisherigen
großkapitalistischen Wirtschaftsweise wie
auch eine einseitig bürokratische Staatswirtschaft aus. Ziel muß vielmehr eine echte Gemeinschaft sein.
Dann heißt es weiter:
Eine Beteiligung des privaten Großkapitals in den vorgenannten Betriebs- und Industriezweigen wird ausgeschlossen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, noch einmal feststellen zu dürfen: der Landtag faßte diesen Beschluß einstimmig, allerdings ohne die wenigen Stimmen der FDP.
-- Aber bitte, die FDP ist wenige Wochen später auch schuldig geworden!
Wir haben dann am 2. August 1947 im Landtag eine Entschließung angenommen, die von der Militärregierung die Rückgabe des beschlagnahmten Eigentums forderte. Es heißt in dieser Encschließung:
Um sichere rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse in der Kohlenwirtschaft herzustellen, ersucht der Landtag die Militärregierung, die Beschlagnahme des Eigentums an der Kohlenwirtschaft aufzuheben und das Eigentum an eine von der Landesregierung zu benennende und vom Landtag zu bestätigende deutsche Treuhandverwaltung zu übertragen,
--- und nun kommt der entscheidende Satz — damit für die Kohlenwirtschaft eine gemeinwirtschaftliche Ordnung im Sinne der Regierungserklärung vom 17. Juni eingeführt werden kann.
Dieser Antrag ist auch von der FDP unterschrieben.
— Entscheidend ist, daß er mit unterschrieben worden ist!
Meine Damen und Herren, ich brachte diese Erinnerungen, weil ich glaube, daß sie es wert sind, aufgefrischt zu werden.
Wenn im Geiste dieser Manifestationen an die Aufgabe der Neuordnung herangegangen würde, dann könnte dieser Bundestag ein Beispiel fruchtbarer Zusammenarbeit zwischen wesentlichen Teilen der Opposition und der Regierungskoalition geben. Unser guter Wille dazu steht fest, und diesen guten Willen unterstreichen wir dadurch, daß wir unbeirrt an unserer Forderung festhalten. Vergesellschaftung ist das Gegenteil von Privatisierung. Wir wollen eine echte Vergesellschaftung, wir wollen, daß die Grundstoffindustrie Besitz des deutschen Volkes wird!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Agatz.
Meine Damen und Herren, Sie wollen mir gestatten, im Namen meiner Fraktion zu
I der hier anstehenden Frage einiges zu sagen. Wir Kommunisten betrachten die mit der Sozialisierung zusammenhängende Aufgabe als geschichtlich notwendig. Wir wissen, daß unser Volk an der Lösung .dieser Aufgabe nicht vorbeikommen wird. Schon nach dem ersten Krieg, nach 1918, gab es in Deutschland eine große Sozialisierungsbewegung. Damals wurde von der Arbeiterklasse und von den Werktätigen sehr ernsthaft um die Durchführung der Sozialisierung gerungen; sie wurden um ihre Forderung betrogen. Die Forderung wurde damals in einem Sozialisierungsausschuß begraben. Wenn ich recht unterrichtet bin, ist dieser seinerzeitige Sozialisierungsausschuß bis heute noch nicht einmal aufgelöst worden. Er ist sanft und selig entschlummert. Selbst die Nazis haben ihn nicht mehr wiedergefunden, sonst hätten sie ihn wahrscheinlich doch noch aufgelöst.
Von 1945 an wurde die Forderung erneut und diesmal stark und konzentriert erhoben. Eindeutige Willenskundgebungen für diese Forderung gibt es in großer Zahl. Ich darf daran erinnern, daß vor allem die Bergarbeiter nach dem Zusammenbruch ihre von den Direktoren verlassenen Gruben wieder in Ordnung und Gang gebracht haben in dem Bewußtsein, daß diese Gruben niemals wieder Eidentum privater Kapitalisten, sondern nur noch Eigentum des Volkes sern dürften.
Die Bergarbeiter haben in diesem Bewußtsein Großes geleistet. Wenn unser Bergbau heute schon wieder bei diesem Stand der Leistung angelangt ist, so ist das in erster Linie den Bergarbeitern und ihrer Auffassung von ihrer Aufgabe, eben der Sozialisierung zu verdanken. Auch der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat dann, wie mein Herr Vorredner schon sagte, das Gesetz zur Überführung des Bergbaus in Gemeineigentum beschlossen.
Dennoch haben war erleben müssen, daß auch die Bewegung nach 1945 sich wieder totgelaufen hat. Heute, im Jahr 1950, sind wir wieder dabei, über diese Frage nur noch zu diskutieren. Statt Sozialisierung haben wir den Marshallplan bekommen, und ich muß hier darauf aufmerksam machen, daß die Verhinderung der Sozialisierung mit dem Marshallplan in engstem Zusammenhang steht.
Es muß in die Erinnerung zurückgerufen werden, daß der Einpeitscher des Marshallplans, der Herr General Clay, damals ausdrücklich erklärte, die amerikanische Regierung werde keine Experimente, wie sie es nannte, auf wirtschaftlichem Gebiet dui-den. Diesem Gebot hat man sich gebeugt, und diejenigen, die es besonders betraf, die Besitzer, die enteignet werden sollten, haben sich dieses Gebot dann besonders zu eigen gemacht. Sie sind es, die heute auf Zeitgewinn 'arbeiten. Auch im Bergbau sind sie es, die heute das Gesetz Nr. 75 mit dem ich mich keineswegs identifizieren möchte, hintertreiben. Sie arbeiten auf Zeitgewinn in dem Bestreben, die alten Eigentumsverhältnisse im Bergbau wiederherzustellen. Wir werden noch erleben, inwieweit sie es fertigbringen, dieses ihr Ziel durchzusetzen.
Mit dem Marshallplan haben wir dann auch die Adenauer -Regierung gekriegt, und ausgerechnet die Adenauer-Regierung, daß heißt die Regierung, die die freie Marktwirtschaft vertritt, soll uns jetzt gemäß hier vorliegendem Antrag einen Gesetzentwurf zur Überführung der Grundstoffindustrien in Gemeineigentum vorlegen. Was kann schon dabei herauskommen?!
Das wird die Geschichte noch beweisen, wer das
besser kann!
Ich bitte, der Versicherung gegenseitiger Wertschätzung nicht allzustark Ausdruck zu geben.
Wir wissen nur eines: daß Deutschland und vor allen Dingen auch wir hier an einer Überführung der Grundstoffindustrien in den Besitz des Volkes nicht vorbeikommen werden. Wir fordern darum, daß die Adenauer-Regierung möglichst schnell ihren Standpunkt klarstellen möge, damit wir, die Bergarbeiter, die Arbeitermassen und die Werktätigen sehen, was nun mit ihrer Forderung nach der Sozialisierung los ist. Wir wünschen als Kommunisten, daß die Regierung dabei vor allen Dingen die Forderung der Gewerkschaften berücksichtigen möge. Es kann unserer Meinung nach unter diesen Forderungen nicht gehen. Diese Forderungen, die von den Gewerkschaften schon immer verkündet worden sind und die allgemein bekannt sein dürften und die auch die Regierung kennen dürfte, müssen mindestens zum In. halt der hier vorzulegenden Gesetzesvorlagen genommen werden. Wir werden dann, wenn diese Gesetzesvorlage vorliegt, weiter darüber sprechen. Eines möchte ich aber sagen: Die deutschen Bergarbeiter vor allem, und die deutschen Werktätigen werden sich um diese Forderungen der Sozialisierung, der Enteignung der Schwerindustrie, der Überführung der Grundstoffindustrie in den Besitz des Volkes nicht betrügen lassen. Mögen die gegnerischen Kräfte versuchen, diese Forderung zu hintertreiben, eines Tages wird sie dennoch durchgesetzt werden!
:
Das Wort hat Herr Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Freunde haben dem Antrag ihre Zustimmung gegeben, weil sie der Auffassung sind, daß die deutsche Regierung sich der Aufgabe annehmen muß, die dadurch gestellt ist, daß im Ruhrbergbau Verhältnisse eingetreten sind, die in ihrer rechtlichen Wirrnis und der Schwere, die Verantwortung 7u klären, nicht länger andauern können. Daß diese Aufgabe eine 'deutsche ist und nicht eine solche der Besatzungsmächte, sollte nicht mehr bestritten werden, nachdem die deutsche Bundesrepublik auf demokratischer Grundlage entstanden ist. Allerdings fühlen wir uns genötigt, ohne jetzt schon in die Diskussion intensiv hineinzusteigen, zum Ausdruck zu bringen, daß meine Freunde mit diesem Antrag wesentlich andere Vorstellungen verbinden, als sie hier bisher zur Sprache gebracht worden sind.
Wir haben allen Anlaß, darüber aber auch nicht den geringsten Zweifel zu lassen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit der Verkündung des Ahlener Programms ist eine recht erhebliche Zeit verstrichen, und es haben sich inzwischen Entwicklungen durchgesetzt, die zu begrüßen wir allen Anlaß haben. Ich darf Sie daran erinnern, daß die Politik der Mehrheit des Wirtschaftsrats und die Opposition im Wirtschaftsrat, wie sie von den sozialistischen Parteien ausgeübt wurde, geradezu mit Notwendigkeit zur Folge haben mußte, daß im Mittelpunkt des Wahlkampfes, aus dem dieser Bundestag hervorging, die Frage stand: Sozialistische Planwirtschaft mit all dem, was dazu gehört, insbesondere dem Requisit der Sozialisierung, oder aber soziale Leistungswirtschaft auf der Grundlage des privaten Eigentums an Produktionsmitteln und auf der Grundlage des Wettbewerbs. Das deutsche Volk hat in diesem Wahlkampf ganz eindeutig Stellung bezogen.
Es ist aus diesem Wahlkampf ein Bundestag hervorgegangen, dessen Mehrheit nicht sozialistisch ist, und wir sind der Auffassung, daß gerade der Inhalt dieses Gesetzes, das die Regierung vorlegen wird, der klaren Entscheidung des Volkes entsprechen muß. Soziale Leistungswirtschaft ist nur auf der Grundlage des Privateigentums auch an den Produktionsmitteln denkbar, sie ist nur auf der Grundlage eines Höchstmaßes an Wettbewerb denkbar. Eine Wirtschaft auf diesen Grundlagen wird zu Erträgen führen, die die beste Voraussetzung für die soziale Befriedung darstellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird von Gemeineigentum, von Vergesellschaftung gesprochen. Nun, wir haben noch keine Konstruktion des sogenannten vergesellschafteten Eigentums erlebt, von der nicht zu sagen wäre, daß sie eine schlecht verhüllte, indirekte Verstaatlichung darstellt.
Wir haben ja in Hessen das hervorragende Experiment der Überführung der hessischen Braunkohlenbetriebe in Gemeineigentum, und der Erfinder der Konstruktionen, die in Hessen zum Zuge kommen sollten, sitzt heute als Bundestagsabgeordneter unter uns. Es ist von diesen Ideen nur zu sagen, daß sie zu einer Gestaltung der Betriebe führen, die dahin zu charakterisieren ist: die Organe arbeiten schwerfällig, sie bestehen in ihrer Zusammensetzung aus Mitgliedern, die betriebsfern sind, die von allen möglichen Kommunen, vom Staat, vom Landtag in die leitenden Organe, in den Vorstand, in den Aufsichtsrat entsandt werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine derartige Vergesellschaftung wäre nichts als ein hervorragendes Mittel der Ertragsminderung unserer Wirtschaft, wenn sie nach dem hessischen Beispiel in irgendwelchen anderen Teilen Deutschlands — und sei es nur in der Beschränkung auf bestimmte Industriezweige —durchgeführt würde.
Wir wollten den heutigen Anlaß nur benutzen, um hier unzweideutig zum Ausdruck zu bringen, daß wir allen dahingehenden Versuchen mit äußerster Entschiedenheit entgegentreten werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Leuchtgens.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Ich habe seinerzeit schon die Äußerung des Herrn Bundeskanzlers zur Regierungserklärung bedauert, als er von der Änderung der Besitzverhältnisse gesprochen hat. Damals hat man sich nicht recht denken können, was er darunter meint; denn Eigentums- und Besitzverhältnisse sind ja nicht nur juristisch, sondern auch tatsächlich etwas Verschiedenes. Nun hat aber heute der Herr Abgeordnete Blank merkwürdigerweise die Katze aus dem Sack gelassen; er hat ausdrücklich davon gesprochen, daß sich die CDU/ CSU für die Vergesellschaftung der Kohlenbergwerke ausspricht.
Das ist natürlich ein Standpunkt, der auf das allerheftigste bekämpft werden muß.
-- Ich werde Ihnen zeigen, daß es auch in diesem Jahrhundert so ist und daß Sie mit ganz leeren, zurechtgemachten Begriffen arbeiten, die in der Wirklichkeit gar keine Entsprechung finden.Das Entscheidende ist das: es gibt für jeden ruhigen und sachlichen Volkswirt nur zwei Möglichkeiten, entweder Privateigentum oder Staatseigentum. Etwas anderes gibt es nicht.
Gehen Sie zu den nüchternen Engländern und lassen Sie sich dort sagen, daß diese Ansicht richtig ist. Im übrigen hat mein Vorredner, Herr Kollege Euler, schon darauf aufmerksam gemacht, daß bei uns in Hessen derartige Konstruktionen einer Vergesellschaftung, Nationalisierung usw. versucht worden sind, die aber zu nichts führen. Sie können sich nur für das Privateigentum oder für das Staatseigentum erklären. Für das Privateigentum sich zu erklären, ist für einen Deutschen eine Selbstverständlichkeit;
denn wenn Sie unter der Kultur des Abendlandes irgend etwas verstehen, so müssen Sie mit mir der Meinung sein, daß die Grundlage dieser Kultur das Privateigentum ist.
Ich mache Sie ausdrücklich auf einen Hirtenbriefdes Bischofs Albert Stohr von Mainz aufmerksam,
den er im, letzten Kriegsjahr herausgegeben hat, und den ich Wort für Wort unterschreiben kann. Vielleicht haben die Herren von der CDU nun auch die Muße, einmal einen Hirtenbrief zu lesen,
und nicht allein die Muße, sich in die Erklärungen der Gewerkschaften zu vertiefen.
Nun ist entscheidend, meine Damen und Herren, daß sich Bischof Stohr auf Grund seiner religiösen und ethischen Erwägungen mit allem Nachdruck unbedingt auf den Standpunkt des Privateigentums stellt.
Metadaten/Kopzeile:
1124 Deutscher Bundestag — 85. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1950
— Nun, meine Herren von der CDU, setzen Sie sich mit den Sozialdemokraten über die Hirtenbriefe und derartige Dinge auseinander! Das überlasse ich Ihnen.
Das Entscheidende bleibt für uns, daß die Kultur des Abendlandes auf dem Privateigentum beruht, und da dürfen Sie auch bei den Kohlenbergwerken keinen Unterschied machen. Wenn das Privateigentum einmal beseitigt worden ist, wirkt diese Tatsache mit innerer Schwerkraft immer weiter. Zunächst fängt man bei den Großbetrieben an, und dann kommt man auf die mittleren und kleineren Betriebe.
Das ist eine volkswirtschaftliche Tatsache, an der Sie nicht vorbeigehen können. Ich möchte das ausdrücklich feststellen.Sehen Sie doch nur nach dem Osten! Sie von der Sozialdemokratie haben ja selbst gesagt, daß Sie die Vergesellschaftung des Ostens, wenn die Russen einmal abziehen, aufrechterhalten.
Das ist von Ihnen aus gesehen ganz konsequent; aber von der CDU und CSU aus gesehen ist es nach meiner Ansicht eine große Ketzerei.
--4 Sie haben ja für die Ketzerei eine sehr feine Empfindung gehabt!
Ich möchte Sie bitten, daß Sie diese feine Empfindung nun auch hier anwenden, wo es sich umdie Grundlage der europäischen Kultur dreht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Aumer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte hier kurz zu dem Antrag der CDU/CSU Stellung nehmen. Meiner Ansicht nach wird hier ein Weg beschritten, vor dessen Begehen gewarnt werden muß.
Meine politischen Freunde und ich haben Prinzipien, von denen wir nicht abgehen wollen.
-- Bitte, lassen Sie auch mich in aller Ruhe meine Ansichten aussprechen. Ich hoffe, daß Sie in dem Wort „Sozialdemokrat" das Wort „Demokrat" genau so groß schreiben wie das Wort „Sozial".
Ich habe Herrn Kollegen Henßler seine Ansichten auch in Ruhe vortragen lassen.
Wir verkennen nicht, daß es Lebensbedingungen und Wirtschaftsverhältnisse gibt, die einer Neuordnung bedürfen; wir haben jedoch Angst vor der Auslegung des Begriffes Neuordnung, denn wir glauben sagen zu dürfen: innerhalb der Regierungskoalition und bei den Oppositionsparteien — das zeigt die bisherige Diskussion bereits -- versteht man sehr Verschiedenes, wenn das Wort „Neuordnung" fällt. Hier wird der Anfang zu einer Entwicklung gemacht, deren Ende noch keineswegs abzusehen ist,
die aber den Intentionen meiner politischen Freunde und auch meinen eigenen keinesfalls entspricht. Sie sagen — dies wurde auch im Ausschuß für ,Wirtschaftspolitik und im Ausschuß gemäß Artikel 15 des Grundgesetzes kurz gestreift es handle sich hier ja nur um die Neuordnung des Kohlenbergbaus und dessen Eigentumsverhältnisse. Sollte es Ihnen gelingen, hier Änderungen durchzuführen, von denen ich schon heute mit Sicherheit sagen kann, daß sie sicherlich nicht zugunsten der Besitzer der Kohlengruben,
sondern zu ihrem Nachteil sind, — —
Ich bitte, den Redner aussprechen zu lassen.
-- dann wird in absehbarer Zeit ein anderer Wirtschaftssektor von Ihnen in die gleiche Zange genommen; und so geht das in das Endlose weiter. Ich gehe daher so weit, zu erklären: es erscheint mir erträglicher, daß die Besitzverhältnisse des Kohlenbergbaus für manche nicht nach ihrem Geschmack sind, als daß hier ein Schneeball ins Rollen gebracht wird, der letztlich, alle Eigentumsverhältnisse vernichtend, wie eine Lawine ins Tal donnert.
Die Mehrheit der Wähler hat am 14. August 1949 ihre Stimme für die freie Marktwirtschaft, für das Privateigentum und gegen die Sozialisierung abgegeben.
Das müssen sich auch einmal die Herren des linken Flügels der CDU überlegen.
Sie sagen: Wir wollen ja eine Neuordnung, wir wollen ja gar nicht sozialisieren! Aber ich frage: wo ist da die genaue Trennungslinie? Die Regierung Adenauer hat ihren Wählern gegenüber eine Verpflichtung. Ich kann mich auch nicht erinnern, daß z. B. die Christlich-Soziale-Union in Bayern während des Wahlkampfes irgendetwas von Sozialisierung oder „Neuordnung", wie Sie es nennen wollen, hätte verlauten lassen.
Ich weiß ganz genau, wem die oberbayerischen Kohlenbergwerke gehören. Aber ich sage: Das Anfangen mit Sozialisierungsmethoden wird. es mit sich bringen, daß zum Schluß auch der kleinste Unternehmer geschluckt werden wird.
Melden Sie sich bitte zum Wort, wenn Sie Ausführungen dazu machen wollen!
Meine Herren, ich bin persönlich der Meinung, daß man einen Neuaufbau der deutschen Wirtschaft ohne ein entsprechendes Auslandskapital nicht durchführen kann. Glauben Sie denn wirklich, daß Sie es einem. Ausländer zumuten können, sein Geld hier hereinzugeben, wenn solche Experimente in Angriff genommen werden?
Ich habe die Hoffnung, daß hier doch noch eine Lösung gefunden wird, und zwar deshalb, weil ich genau weiß, daß die Führer der großen Oppositionsparteien die tatsächlichen Gegebenheiten durchaus real beurteilen. Meine Herren, ich bitte Sie, sich zu überlegen und nicht zu vergessen, daß das deutsche Volk nicht nur aus Gewerkschaftsmitgliedern besteht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bertram.
Meine Damen und Herren! Der grundsätzliche Standpunkt der Zentrumspartei ist wohl zu bekannt, als daß ich ihn näher darzulegen brauche. Wir wollen nicht, daß im Ruhrgebiet wieder Machtpositionen aufgebaut werden, die nur wirtschaftlich getarnt sind und durch die unser deutsches Volk wieder der Macht einiger weniger Männer ausgeliefert werden könnte.
Wir stimmen deshalb dem Antrag der CDU in vollem Umfang zu; nur fragen wir uns — und das ist die große Frage —: Wie kann man für eine Erklärung, wie sie von der CDU auf der
B) einen Seite, und für eine Erklärung, wie sie auf der andern Seite von der FDP abgegeben worden ist, einen gemeinschaftlichen Nenner finden? Ich kann diesen gemeinschaftlichen Nenner nicht entdecken und sehe doch, daß beide Parteien in einer Regierungskoalition sitzen. Wir erwarten das Gesetz im einzelnen und werden einmal sehen, ob es der CDU mit ihrem Ahlener Programm tatsächlich ernst ist, und nehmen nicht an, daß diese Koalition dann weiterhin Bestand haben wird. Oder aber es wird sich zeigen, daß — wie wir schon oft behauptet haben — das Ahlener Programm nicht in der Weise, wie es immer hier verkündet worden ist, ernsthaft durchgeführt werden soll. Wir warten auf den Gesetzentwurf.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Blank.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich n uß hier mit aller Deutlichkeit erklären, daß Grundlage der Regierungskoalition das Ahlener Programm ist.
Meine Herren, Sie können sich zum Wort melden; aber lassen Sie doch bitte den Redner ausreden!
Das werde ich Ihnen gleich sagen, Herr von Rechenberg, was der Kanzler in seiner Regierungserklärung festgelegt hat.
— Soll ich es Ihnen schriftlich zeigen? Das Protokoll? — Einen Augenblick!
Es ist im allgemeinen nicht üblich, die Rednertribüne zu verlassen, solange man das Wort hat.
In der Regierungserklärung heißt es unter anderem:
Die soziale und gesellschaftliche Anerkennung der Arbeitnehmerschaft macht eine Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundstoffindustrien nötig.
Lesen Sie das bitte einmal nach!
In Ausführung dieses Programms der Koalitionsregierung ersuchen wir diese um Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Neuordnung der Eigentumsverhältnisse im Bergbau. Ob und wann das Ahlener Programm nicht mehr zeitbedingt oder durch die Entwicklung überholt ist, bitte ich denen zur Beurteilung zu überlassen, die auf dem Boden des Programms stehen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gegenüber der Erklärung des Herrn Kollegen Blank muß ich als einer der Unterhändler, die an den engsten Koalitionsbesprechungen fast ausnahmslos teilgenommen haben, hier mit aller Bestimmtheit feststellen, daß niemals über das Ahlener Programm und die Düsseldorfer Leitsätze als Grundlage der Koalition gesprochen worden ist.
Wir haben den Satz der Regierungserklärung in
einem Sinne interpretiert, der mit unseren Auffassungen übereinstimmt und mit den gedanklichen Grundlagen der Koalition vereinbar ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen Partei — —
Ich bitte, diesen Bruderzwist nicht hier auszutragen!
Meine Fraktion hat nicht die Absicht, diese überflüssige Debatte fortzusetzen. Von Anbeginn unserer politischen Tätigkeit haben wir erklärt — und davon lassen wir uns nicht abbringen —, daß wir jede, ich betone: jede Form der Sozialisierung ablehnen. Das erkläre ich auch heute ausdrücklich namens meiner Fraktion.
Ich bitte, aber noch folgendes hinzufügen zu dürfen: Was sich hier in der Debatte abspielt, ist ein reiner Nominalistenstreit. Auf diesem Wege kommen wir in Deutschland einer Lösung dieser großen, dringenden Wirtschaftprobleme nicht näher.
Meine Fraktion beschränkt sich daher darauf, ihr Programm und ihre ganz konkrete Auffassung dann darzulegen, wenn sie einer derartigen Neuordnungsmaßnahme gegenübersteht.
Ich möchte es mir ersparen, zu dem, Inhalt der Koalitionsverhandlungen vor diesem Hause zu sprechen. Die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers ist klar und unzweideutig. Wir wollen konstruktive, praktische und konkrete Arbeit leisten und uns hier nicht in einen Streit um Programmsätze und Ideologien verlieren, von dem kein Mensch etwas hat.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Ich lasse abstimmen. Der Ausschuß hat in der Drucksache Nr. 472 beantragt:
Der Bundestag wolle beschließen, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU — Nr. 109 der Drucksachen — anzunehmen.
Wer für den Antrag auf Drucksache Nr. 109 ist, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist gegen wenige Stimmen angenommen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über den Antrag der Fraktion der FDP betreffend Einfügung eines neuen § 48 a in die vorläufige Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (Drucksachen Nr. 498, 258, 129, 59).
Es liegen zwei schriftliche Berichte der beiden Berichterstatter des 3. Ausschusses vor. Ich nehme an, daß das Haus auf Verlesung der Berichte verzichtet.
— Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Herrn Freiherrn von Aretin.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zu meinem Leidwesen ist der jetzt anstehende Punkt der Tagesordnung nicht so dramatisch zugespitzt wie der letzte. Es handelt sich letztlich um eine Frage, die prinzipiell in der Frage des Initiativrechts der im Bundestag vertretenen Abgeordneten verankert ist.
Ich bitte um Ruhe! Der Redner muß sich wirklich zu sehr anstrengen.
Die Ausführungen, die schriftlich vorgelegt worden sind, haben meine wenigen Worte, die ich mir rechtlich darüber erarbeitet habe, unnötig gemacht. Aber ich erlaube mir, darüber hinaus darauf hinzuweisen, daß wir als die gewählten Abgeordneten des Volkes auf einen wesentlichen Teil unseres Auftrags verzichten würden, wenn wir auf unsere Initiative auf dem Gebiet der Beantragung von Gesetzen und der sonstigen Stellung von Anträgen auf dem wirtschaftlichen und finanziellen Sektor verzichten würden. Der Auftrag unserer Wähler nimmt uns meiner Meinung nach das Recht, darauf zu verzichten, und deshalb verstehe ich nicht, wie man eine anderweitige Auslegung unserer rechtlichen Bestimmungen finden konnte. Ich will zugeben, daß es ein altes Sprichwort ist: mit dem Amt kommt der Verstand, und ich glaube, daß in der Sphäre unserer Bundesregierung vielleicht manchmal der Beweis für dieses Sprichwort angetreten wird.
Herr Abgeordneter, das Wort „manchmal" möchte ich rügen.
Ich bedaure das Wort „manchmal", aber das Wort „immer" kann ich leider Gottes nicht an seine Stelle setzen. Aber, meine Damen und Herren, ich erlaube mir doch, darauf hinzuweisen, daß, wenn auch der Herr Bundesfinanzminister und die Bundesregierung mehr Kenntnis der finanziellen Notlage mitbringen, der Abgeordnete mehr Kenntnis der Verhältnisse im Volke mitbringt.
Diese Feststellung möchte ich heute hier gemacht haben, und ich glaube, wir würden doch gut daran tun, Auseinandersetzungen hier nicht zu vermeiden.
Man wirft leicht mit dem Wort Demagogie herum. Demagogie darf aber nicht so weit gehen, daß die Bundesregierung jede Unbequemlichkeit, die ihrer wartet, mit dem Schlagwort „demagogischer Antrag" abzuwehren versucht. Wo liegt hier die Grenze zwischen der sachlichen Mitarbeit und dem, was wir alle ablehnen? Über eine unsinnige Demagogie, wie man sie auch im alten Reichstag gekannt hat, sind wir doch heute nach dieser Notzeit und nach dieser Kriegszeit hinaus. Ich glaube, wir wollen alle Vertrauen zu uns selber nach der Richtung hin haben, daß diese Erscheinungen nicht noch einmal kommen.
Im übrigen darf ich hoffen, daß der Eifer, der vom Bundestag an den Tag gelegt wird, um eine Bestimmung in die Geschäftsordnung einzufügen, die der Bundesregierung manche Sorge ersparen soll, auch hinsichtlich der geheimen Abstimmung angewandt wird. Die Bestimmung über die geheime Abstimmung des Bundestages, die vom Geschäftsordnungsausschusses vertagt worden ist, möge das gleiche Interesse der Bundesregierung finden wie die heute behandelte Bestimmung.
Im übrigen gestatten Sie mir den Hinweis, daß ich eine Einschränkung des Initiativrechts und eine Koppelung mit einem Antrag, der die Deckung der finanziellen Mittel vorsieht, nicht für sehr zweckmäßig halte; denn auch ein solcher Antrag auf finanzielle Deckung wird leicht ausgenützt werden können. Deshalb erscheint mir der Antrag unnötig.
Ich würde Sie also bitten, den Antrag, wie er vom Geschäftsordnungsausschuß zur Annahme empfohlen worden ist, abzulehnen und in die sachliche Arbeit dieses neuen Deutschen Bundestages mehr Vertrauen zu haben. Wir werden auch ohne diese Bestimmung sachliche Arbeit leisten, wenn wir nur Vertrauen in unsere eigene Arbeit haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mücke.
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion wird den Abänderungsantrag zur Geschäftsordnung ablehnen, weil sie die Auffassung vertritt, daß dieser Antrag mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und deshalb unzulässig ist. Der Herr Kollege Kiesinger hat in seinem schriftlichten Gutachten am Schluß zur Begründung der Zweckmäßigkeit dieses Abänderungsantrages erklärt, der Antrag werde zur Vermeidung agitatorischer und parteipropagandistischer Anträge gestellt. Meine Fraktion ist als Oppositionspartei weit davon entfernt, im Bundestag Anträge parteipropagandistischen Inhalts zu stellen. Sie sieht darin keinesfalls die Aufgabe der Opposition. Sie verwahrt sich deshalb auch entschieden gegen in letzter Zeit veröffentlichte Äußerungen der Presse, die der Regierung nahesteht, die dahin gehen, daß gerade die sozialdemokratische Fraktion bei ihrer Antragstellung im Bundestag sich bisher von solchen Erwägungen habe leiten lassen. Meine Fraktion wird sich auch in Zukunft ihrer Verantwortung bewußt sein. Wenn wir gerade den hier zur Diskussion stehenden Abänderungsantrag zur Geschäftsordnung ablehnen, so tun wir es nicht, um uns etwa einen Freibrief für Hemmungslosigkeit in der Antragstellung zu verschaffen, sondern wir tun es weil wir wieder einmal gezwungen sind, die Rechte des Parlaments zu wahren. Leider ist das in der kurzen Zeit des Bestehens dieses Parlaments schon wiederholt notwendig gewesen. Es geht auch bei diesem Antrag um die Einschränkung der Rechte des Parlaments, und zwar hier um seine Initiative, weiterhin um das Haushaltsrecht und die Autonomie des Parlaments.
Ich habe mich gewundert, daß sich im Rechtsausschuß eine Mehrheit für den Abänderungsantrag gefunden hat. Wenn sich die Kollegen, die mit Mehrheit für die Vorlage gestimmt haben, die Materialien des Parlamentarischen Rats angesehen hätten, wo gerade dieser Komplex Gegenstand eingehender Beratungen war, so hätten sie als gute Juristen sich unserer Auffassung anschließen müssen. Im Parlamentarischen Rat ist — nachzulesen im Protokoll der 14. Sitzung des Finanzausschusses — vom Herrn Kollegen Dr. Höpker-Aschoff ein Antrag auf Einsetzung eines Artikel 124 b eingebracht worden, der später in Artikel 124 c umgewandelt und in das Grundgesetz schließlich als Artikel 113 aufgenommen wurde. Dieser Artikel erfordert die Zustimmung der Bundesregierung bei Beschlüssen des Bundestags und des Bundesrats, welche den vorgeschlagenen Haushaltsplan erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft neue Ausgaben mit sich bringen. Dieser Antrag ist in Anlehnung an die englische Praxis eingebracht worden. Er gibt der Bundesregierung eine außergewöhnliche Machtstellung, da die Bundesregierung sich mit dieser Bestimmung über übereinstimmende Beschlüsse des Bundestags und des Bundesrats hinwegsetzen kann.
Meine Freunde im Parlamentarischen Rat haben sich damals gegen diese Bestimmung ausgesprochen. Das ist auch in der entscheidenden Sitzung des Hauptausschusses geschehen; nachzulesen im Protokoll der 15. Sitzung des Hauptausschusses vom 2. 12. 1948. Wir haben gesagt, daß eine solche Bestimmung eine untragbare Einschränkung der Legislative durch die Exekutive bedeutet. Das Gegenargument, das damals von der anderen Seite vorgebracht wurde, ist dasselbe Argument, das heute in dem schriftlichen Bericht des Herrn Kollegen Kiesinger angeführt wird, nämlich die Vermeidung agitatorischer Anträge und Beschlüsse. Diese Meinung ist seinerzeit im Parlamentarischen Rat sowohl vom Herrn Kollegen Dr. Höpker-Aschoff wie vom Herrn Dr. Binder wie vom 'Herrn Kollegen Dr. Seebohm vertreten worden. Zudem ist bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat der § 48 a der Geschäftsordnung des früheren Reichstags in Erwägung gezogen worden. Es ist gerade von uns eingewendet worden, daß eine eventuelle Festlegung genüge, daß mit einem Antrag, der eine Finanzvorlage bedeutet, unbedingt ein Deckungsvorschlag gemacht werden müsse. Auf unsere Argumente hat Herr Kollege Dr. Höpker-Aschoff in der von mir erwähnten Sitzung des Finanzausschusses wörtlich erklärt: „Wenn ich den Artikel 124 b" — der später der Artikel 113 geworden ist — „habe, brauche ich keine Deckungspflicht." Es steht also fest: bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat ist der Artikel 113 gegen die Auffassung meiner Freunde im Parlamentarischen Rat als die weitergehende Lösung an Stelle der jetzt vorgesehenen Lösung gemäß § 48 a der Gechäftsordnung beschlossen worden.
Noch eines ist hier anzuführen. In der Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, die ich bereits erwähnte, ist auf den Herrenchiemseer Entwurf Bezug genommen worden. der die Grundlage für die Beratungen des Parlamentarischen Rates bildete. Der Herrenchiemseer Entwurf enthielt eine ähnliche Regelung, wie sie in der zur Debatte stehenden Vorlage jetzt vorgesehen ist. Diese Regelung des Herrenchiemseer Entwurfs ist von meinen Freunden in der Sitzung des Hauptausschusses zum Antrag erhoben, und es ist eine Regelung dahin getroffen worden, daß entgegen unserem Antrag mit einem Abstimmungsverhältnis von 11 zu 10 der Artikel 113 angenommen wurde.
Damit steht fest, daß hier durch die Verfassung bereits eine abschließende Regelung getroffen worden ist und daß man, wenn man dem hier zur Debatte stehenden Vorschlag zustimmen würde, gegen die Verfassung handeln würde. Denn dieser Vorschlag bedeutet -- das geht doch aus dem Material des Parlamentarischen Rates eindeutig hervor — eine materiell-rechtliche Regelung.
Wenn man dazu noch die Absätze 1 und 2 des
48 a betrachtet, so ergeben auch die praktischen Konsequenzen dieser Bestimmungen ihre Unmöglichkeit. Nach diesen Bestimmungen soll in der Regel der Präsident des Bundestages nach Anhörung — nicht etwa im Einvernehmen, er ist also hier autoritär eine Finanzvorlage entweder dem Finanzausschuß oder dem zuständigen Ausschuß oder beiden Ausschüssen überweisen. Man muß doch hier von der Feststellung ausgehen, daß erst der Bundestag da war, ehe die Ausschüsse gebildet wurden. Die Ausschüsse sind nichts ohne Bundestag. Ein Ausschuß kann doch erst dann funktionieren und arbeiten, wenn er einen entsprechenden Auftrag hat. Wenn man der Argumentation der Antragsteller folgen würde, so würde das doch zur Folge haben, daß ein Ausschuß, dem eine solche Finanzvorlage unmittelbar überwiesen wird, sich einfach über den Bundestag hinwegsetzen kann. Der Bundestag hätte keinerlei Einwirkungsmöglichkeit auf die-
sen Ausschuß, da dem Bundestag ja die Vorlage fehlt, auf Grund deren er seine Beschlüsse zu fassen hat. Diese Überlegung ergibt also auch die praktische Unmöglichkeit des hier zur Debatte stehenden Antrags. Das gleiche gilt für Absatz 2 des vorgeschlagenen § 48 a, wonach in Zweifelsfällen, hier allerdings im Einvernehmen mit dem Ältestenrat, der Präsident des Bundestags entscheidet, ob eine Vorlage eine Finanzvorlage ist oder nicht. Der Ältestenrat ist aber genau dasselbe wie ein sonstiger Ausschuß. Es gilt für ihn das gleiche wie das soeben Gesagte.
Wir alle haben die Aufgabe, die Verfassung zu achten. Wenn man dem Antrag der Antragsteller folgen würde, dann würde man den Artikel 113 des Grundgesetzes mindestens in der Praxis illusorisch machen. Die Bestimmung des Artikel 113 des Grundgesetzes ist nun einmal Verfassung; wir haben diese Verfassung zu achten. Und hier kommt noch ein Weiteres hinzu. Der Artikel 113 gibt der Regierung mit der ihr dort gegebenen Machtbefugnis bewußt auch eine bestimmte Verantwortung. Wir würden der Regierung diese Verantwortung nehmen, wenn wir durch die Annahme des § 48 a die Anwendung des Artikel 1l3 illusorisch machen würden.
Weil wir gegen eine Verfassungsverletzung sind und weil wir auch nicht daran denken, der Regierung eine Verantwortung zu nehmen, die ihr verfassungsmäßig auferlegt ist, sind wir gegen die Annahme des abgeänderten Antrags der FDP. Deshalb werden meine Freunde und ich gegen diese Vorlage stimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Höpker-Aschoff.
Meine Damen und Herren! In dem Sitzungszimmer, in dem der Haushaltsausschuß des Reichstags seine Sitzungen abzuhalten pflegte, war die Wand mit einem sehr hübschen Bild geschmückt — ich weiß nicht, vor welchem Maler —,
welches eine Sitzung der Budgetkommission des alten Reichstags darstellte. Dieses Bild gab eine Verhandlung der Budgetkommission wieder, einen Kampf des Kriegsministers um die Bewilligung seines Haushalts. Auf diesem Bild sind bekannte Gestalten, neben dem Kriegsminister zu sehen: Bebel, Richter, Kardorff, Spahn. Mir ist immer besonders eindrucksvoll gewesen. wie auf diesem Bild Bebel dargestellt war, halb aufgesprungen, die Arme auf den Tisch gesetzt, in Kampfstimmung dem Kriegsminister gegenüber. Es war also so, daß hier ein Kriegsminister um die Bewilligung seines Haushalts mit dem Parlament kämpfte. Das Bild, das die Älteren unter uns aus den Verhandlungen der Haushaltsausschüsse des Reichstags und des Landtags heute mit sich tragen, ist ein anderes. Das ist nicht der Kampf der Regierung um die Bewilligung der Haushaltsvorlage mit dem Parlament, sondern das ist der Kampf der Regierung gegen die Bewilligungsfreudigkeit aller Fraktionen.
Das haben wir im Reichstag erlebt, und das haben wir im Preußischen Landtag erlebt. Wir haben dann versucht, dieser. Entwicklung durch geschäftsordnungsmäßige Einrichtungen entgegenzutreten, indem wir in den Haushaltsausschüssen
Unterausschüsse, Köpfungsausschüsse oder Sparausschösse einsetzten, die dann die undankbare Aufgabe hatten, das, was an Mehrausgaben von den Ausschüssen selber beschlossen war, hernach wieder zusammenzustreichen.
Meine Damen und Herren! Diese Vorgänge, wie sie sich damals im Reichstag und im Preußischen Landtag, vielleicht auch in anderen deutschen Landtagen entwickelt hatten, haben dann dem Deutschen Juristentag im Jahre 1928 Anlaß gegeben, sich eingehend mit den Fragen des Haushaltsrechts zu beschäftigen. Dem Juristentag in Salzburg lagen damals zu diesen Fragen zwei Gutachten vor: ein Gutachten des Wiener Professors Merkle und ein Gutachten des Staatssekretärs Dorn. Damals hatten wir ja noch die schöne Übung, unseren Juristentag gemeinsam mit den deutschen Brüdern aus Österreich abzuhalten. Das Referat in dieser Frage war mir übertragen. Aus den Beschlüssen, die der Juristentag damals gefaßt hat, möchte ich einen herausheben, weil er dann nachher wieder die Veranlassung für die Abänderung der Geschäftsordnung des Reichstags selber geworden ist. Es heißt dort:
Ein Antrag auf Ausgabenerhöhung oder Einnahmensenkung darf, sofern die Regierung ihm nicht zustimmt, nur zugelassen werden, wenn gleichzeitig ein Ausgleichsantrag gestellt wird, der auf eine entsprechende Ausgabensenkung oder Einnahmeerhöhung gerichtet ist.
Das Weitere interessiert in diesem Zusammenhang nicht. Dieser Beschluß des Juristentages in Salzburg ist dann später die Grundlage für die Ergänzung der Geschäftsordnung des Reichstags
gewesen.
Meine Damen und Herren! Als der Reichstag im Jahre 1931 seine Geschäftsordnung in diesem Sinne änderte und die sogenannte Deckungspflicht für Finanzvorlagen einführte, hat im Reichstag meines Wissens niemand davon gesprochen, daß dies etwa ein Eingriff in verfassungsrechtliche Rechte der Abgeordneten sein könnte.
Davon ist gar nicht die Rede gewesen.
Nun, meine Damen und Herren, ich weiß nicht, . ob Ihnen das Buch von Gaston Jèze bekannt ist. Es ist eine ausgezeichnete Darstellung des Haushaltsrechts aus der Hand eines Franzosen, uns bekanntgeworden auch durch eine vortreffliche deutsche Übersetzung von Neumarck. Gaston Jèze prägt in diesem Buch das Wort: „Bald sind die Regierungen, bald sind die Parlamente verschwenderisch." Ein hartes Wort, aber vielleicht der Wahrheit nicht allzufern. Aber ich frage Sie nun: Wer schützt das Volk gegen die Verschwendungssucht der Regierung? Sie werden mir ohne weiteres antworten: Das Parlament! Aber wer schützt nun das Volk gegen die Verschwendungssucht des Parlaments? Gewiß einschränkende Bestimmungen der Verfassung, wie wir sie in dem vielzitierten Artikel 113 unseres Grundgesetzes haben; aber, meine Damen und Herren, darüber hinaus nur eins: nämlich die Selbstzucht des Parlaments selbst!
Einen anderen Weg gibt es auf diesem Gebiet überhaupt nicht.
I Man hat hier davon gesprochen, daß entsprechende Vorschriften der Geschäftsordnung einen Eingriff in die durch die Verfassung gewährleisteten Rechte des einzelnen Abgeordneten seien. Gewiß, meine Damen und Herren, der einzelne Abgeordnete hat das Recht, das Wort zu ergreifen; er hat das Recht, Anträge zu stellen, kleine Anfragen und Interpellationen vorzubringen. Aber alle Bestimmungen unserer Geschäftsordnung sind ja doch eine Einschränkung dieser Rechte. Nach der Geschäftsordnung hat der einzelne Abgeordnete nicht das Recht, Anträge, Anfragen und Interpellationen vorzubringen, sondern er kann das Recht nur mit einer Gruppe von gleichgesinnten Abgeordneten ausüben. Gewiß, er hat das Recht, das Wort zu nehmen; aber es kann ihm auch dieses Recht beschränkt werden auf Grund der Geschäftsordnung, indem eme Redezeit festgesetzt wird.
Gerade in dieser Beziehung gehen andere Parlamente noch viel weiter, als das bei uns üblich ist. Als ich vor ein paar Tagen in den Erinnerungen von Churchill las, stieß ich dort auf folgende Erzählung. Churchill, Anfang der dreißiger Jahre ein einflußloser Abgeordneter, nicht mehr Mitglied der Regierung, erzählt mit einem gewissen Stolz:gleichwohl habe ihm der Speaker einige Male das Wort erteilt. Ja, meine Damen und Herren, das bedeutet — und das ist ja auch der englische Brauch —
, daß der Abgeordnete des Unter hausec nicht das Recht hat, das Wort zu ergreifen, wie er will, sondern daß es voll und ganz von dem Ermessen des Sneakers abhängt, ob er ihm das Wort erteilen will oder nicht.
Sie ersehen daraus, daß das englische Parlament ) solche Eingriffe für durchaus vereinbar hält mit den verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten der Abgeordneten.
Nun, meine Damen und Herren, mögen solche Fesseln, die die Geschäftsordnung dem einzelnen auferlegt, natürlich von der Opposition stärker empfunden werden; denn dort besteht natürlich die Neigung, sich auf der Fettweide der Opposition etwas freier zu tummeln,
während die Mitglieder einer Regierungskoalition immer von dem Finanzminister in ein bestimmtes Gehege verwiesen werden und sich daher nicht so frei bewegen können. Aber, Herr Kollege Mücke, Sie werden ja auch nicht immer in der Opposition sein, und wir werden ja auch nicht immer in der Regierungskoalition sein.
Auch Sie werden nachher einschränkende Bestimmungen, die für den ordnungsmäßigen und sachlichen Ablauf der Arbeit des Parlamentes sorgen sollen, unter keinen Umständen entbehren können.
Meine Damen und Herren! Wir haben eine parlamentarische Demokratie bei uns in Deutsch-. land erst verhältnismäßig spät entwickelt und sind gewohnt, auf das Musterbeispiel der westlichen Länder hinzuweisen. Die einschränkenden Bestimmungen der Geschäftsordnung des englischen Unterhauses sind im allgemeinen bekannt und wurden hier schon des öfteren erwähnt. Ich möchte sie aber doch noch einmal hier im Wortlaut vorlesen:
Standing Order Nr. 78
Dieses Haus wird weder einen Antrag, für öffentliche Dienste eine Summe zu bewilligen, entgegennehmen,
— entgegennehmen! —
noch auf einen Antrag auf eine Bewilligung oder eine Belastung der öffentlichen Einkünfte eingehen, einerlei ob zahlbar aus dem konsolidierten Fonds oder aus den vom Parlament bewilligten Geldern, es sei denn auf Empfehlung der Krone.
Also eine ganz starke Einschränkung der Rechte des einzelnen Abgeordneten, insbesondere auch seines Initiativrechtes, durch die Geschäftsordnung des englischen Unterhauses!
Aber viel weniger bekannt ist -- und auch darauf möchte ich hier noch einmal hinweisen —, daß auch die Geschäftsordnung der französischen Kammer entsprechende einschränkende Bestimmungen hat. Allerdings kann ich Ihnen hier nicht den neuesten Stand wiedergeben; das, was ich jetzt anführe, ist die Geschäftsordnung der französischen Kammer am Ende der zwanziger Jahre, wie ich sie aus dem Buch von. Gaston Jèze entnehme. Aber wenn das heute auch etwas geändert sein sollte, so beeinträchtigt das ja nicht die Beweiskraft meiner Argumente. Es heißt nun in den Bestimmungen der französischen Geschäftsordnung — ich lese hier nur einige Worte aus dem Artikel 96 a vor — :
Vorbehaltlich des ausdrücklichen Wunsches der Regierung kann kein Regierungsentwurf, kein sonstiger Gesetzentwurf und kein abgetrennter Abänderungsantrag auf die Tagesordnung gesetzt werden, wenn er zur Übernahme fortdauernder Ausgaben oder zur 0 Herabsetzung bestehender Einnahmen führt und nicht Bestimmungen enthält, die die Deckung dieser Ausgaben oder den Ausgleich der Einnahmenherabsetzung sichern. Es ist kein Einspruch zulässig, wenn der Vorsitzende des Finanzausschusses, der Hauptberichterstatter oder der Sonderberichterstatter des gleichen Ausschusses erklären, daß die erwähnte Bedingung nicht erfüllt ist.
Also, meine Damen und Herren, Sie haben hier in nute dieselbe einschränkende Bestimmung, die wir Ihnen mit unserem Antrag vorgeschlagen haben.
Ich glaube, man muß davon ausgehen: alle Bestimmungen der Geschäftsordnung sind Einschränkungen der Freiheit der einzelnen; aber sie sind gebotene Einschränkungen der Freiheit des einzelnen, wenn ein Parlament seine Aufgabe ordnungsmäßig erledigen soll. Wir bitten Sie daher dringend darum, unseren Antrag in der Form, in der er die Zustimmung des Ausschusses gefunden hat, anzunehmen.
Aber ich möchte doch gleich auch hervorheben, daß dies nicht der letzte Antrag sein wird, den meine Freunde zur Geschäftsordnung einbringen werden. Wir haben dabei vor allem eins im Auge: wir möchten einen Weg suchen, der dieses Haus von der Flut der Entschließungsanträge befreit,
der Entschließungsanträge, die hier zunächst in
erster Lesung, dann in den Ausschüssen und dann
in zweiter und dritter Lesung beraten werden,
Entschließungsanträge, die oftmals große Hoffnungen im Lande erwecken, die dann nachher nicht erfüllt werden können, und schließlich nur noch das Ergebnis haben, daß in 75 Prozent aller Fälle nach drei Monaten eine Erklärung der Regierung eingeht, daß die Regierung aus den oder den Gründen leider nicht in der Lage gewesen sei, diesen Entschließungsanträgen nachzukommen.
Meine Damen und Herren! Ich habe viel Sinn für große, leidenschaftliche Auseinandersetzungen, wenn es um große Dinge geht. Ich habe aber nicht das geringste Verständnis dafür, wenn die laufenden Aufgaben eines Parlaments in langatmigen, langweiligen Erörterungen abgewickelt werden.
Das Ansehen eines Parlamentes hängt davon ab,
daß es seine Arbeit knapp und sachlich erledigt
Vom alten Reichstag hat man gesagt, er sei eine
Halle der Wiederholungen gewesen, und oft genug wird gesagt, die Parlamente seien Schwatzbuden. Meine Damen und Herren, es ist nicht
gleichgültig, ob wir draußen im Volk ein Ansehen haben oder ob wir es nicht haben. Ich bin
davon überzeugt, daß wir unser Ansehen nur
erhöhen können, wenn wir uns eine Geschäftsordnung geben, die den reibungslosen, glatten
und klaren Ablauf unserer Arbeit gewährleistet.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiesinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man bösartig ist, kann man in der Tat das Wort „Parlament" mit „Schwatzbude" übersetzen.
Aber dann muß das Parlament dazu Anlaß geben. Ich fürchte, unsere werdende deutsche Demokratie läuft Gefahr, zu einer so bösartigen Kennzeichnung immer wieder Anlaß zu geben. Wäre dieser Antrag nicht aus den Reihen der Freien Demokratischen Partei gestellt worden, meine Damen und Herren, dann wäre er sicher .aus unseren Reihen gestellt worden.
— Ich möchte auch Herrn Kollegen Mücke das gleich zum Troste sagen, nicht etwa gewendet gegen unsere große Oppositionspartei, die Sozialdemokraten, sondern auch gegen uns selbst: wir wollten hierdurch eine Selbstkontrolle einführen. Wir sind ja nicht so starr und uniform und sind nicht nach einem -einzigen Exerzierreglement ausgerichtet, daß nicht auch aus unseren Reihen sehr lebhaft Initiativen wüchsen. Auch in unseren Reihen wollten wir das etwas dämpfen. Wir wollten nicht nur agitatorische Anträge zurückhalten, sondern wir wollten alle diejenigen Anträge zurückhalten, die finanziell nicht sorgfältig genug durchdacht sind.
Was liegt denn hier mit diesem Antrag vor? Wir alle haben eine selbstverständliche, und zwar verfassungsrechtliche Pflicht, uns bei Einbringung jeder Vorlage klarzumachen, was sie kosten wird und ob die Mittel dafür vorhanden sind. Das ist das, was jeder von uns verfassungsrechtlich zu tun verpflichtet ist. Und nun meine ich, daß diese
Pflicht durch die vorgesehene Regelung der Geschäftsordnung jetzt nur rechtliche Form annimmt. Der Herr Kollege Dr. Mücke hat leider den Juristen von der Mehrheit des Ausschusses eine schlechte Zensur erteilt; aber leider pflegt es ja manchmal so zu gehen, daß man sich über Zensuren nicht einigen kann. Ich kann mich auch über diese Zensur nicht einigen und muß daher zu den Rechtsfragen, die hier in Frage stehen, noch eine kurze Bemerkung machen.
Die erste Frage: Wird denn wirklich das Initiativrecht des Bundestags durch diese Bestimmung verletzt oder auch nur gefährdet? Die zweite Frage wäre: Ist es richtig, daß die vorgesehene Regelung durch Artikel 113 überflüssig oder gar verfassungswidrig erschiene?
Zum Initiativrecht ist folgendes zu sagen: Unser Grundgesetz enthält dafür die einzige Bestimmung des Artikel 76, die besagt, daß Gesetzesvorlagen beim Bundestag und — soweit der Bundestag selbst in Frage kommt — aus der Mitte des Bundestags einzubringen sind. Was bestimmt nun die neue Regelung der Geschäftsordnung hierzu? Nun, die Einbringung einer Gesetzesvorlage beim Bundesrat läuft technisch so ab, daß zunächst einmal der Antrag beim Präsidenten des Bundestags eingereicht wird. Und nun handelt es sich um die weitere Behandlung. Das kann so geschehen, daß der Bundestagspräsident nunmehr den Antrag dem Plenum zuleitet. Das kann aber auch so geschehen, daß er zunächst diesen Antrag einem Ausschuß zuleitet, wenn er dazu die Ermächtigung des Bundestages hat.
Diese Ermächtigung des Hauses könnte ihm speziell erteilt werden. Sie kann ihm aber auch generell durch eine entsprechende Bestimmung der Geschäftsordnung erteilt werden. Diese generelle Ermächtigung wird in dem neuen § 48 a vorgesehen. Dadurch wird die Autonomie des Bundestags in keiner Weise beeinträchtigt, denn er selbst gibt sich ja diese Ordnung.
Es ist dies, was Herr Dr. Höpker-Aschoff gesagt hat: eine Maßnahme der Selbstdisziplin aus diesem Parlament heraus.
— Dieses Argument, Herr Renner, lasse ich methodisch gelten. Wenn ein Argument gegeben wird, dann müßte es ein Argument aus dem Gesichtspunkt des Minderheitsschutzes sein. Aber dieses Argument geht auch fehl. Es ist nun einmal sa, daß in einem Parlament mit Mehrheit entschieden wird; wir sind Demokraten.
Es gibt Minderheitsprobleme, die durchaus geschützt werden müssen und geschützt werden. — Verzeihung, Herr Seelos, ich habe Ihren Einwand nicht verstanden.
— Nein, wir wollen ja die Geschäftsordnung ändern, wir wollen auf Grund der geänderten Geschäftsordnung in. Zukunft arbeiten.
Ich sehe wirklich kein Argument, das aus Gesichtspunkten des Minderheitsschutzes herkommen könnte, denn, meine Damen und Herren, Sie ha-
ben ja die Möglichkeit, in Zukunft Ihre Anträge zu stellen. Es wird Ihnen nur die Aufgabe gestellt, das, was Sie ohnehin überlegen müssen: „Woher kommt das Geld?", auch äußerlich zur Darstellung zu bringen.
Man muß wirklich sagen, wenn das Initiativrecht eingeschränkt würde, wäre dies verfassungswidrig. Das Initiativrecht wird aber nicht eingeschränkt, es ist eine Verfahrensregelung, lediglich ein modus procedendi, der ohne weiteres jedem Abgeordneten, auch Ihnen, Herr Renner, die Möglichkeit gibt, den Antrag, den Sie zu stellen beabsichtigen, auch zu stellen. Warum wehren Sie sich denn so sehr dagegen, daß Sie gleichzeitig mit ihrem Antrag sagen: „Ich mache den und den Ausgleichsvorschlag?" Ich habe bisher in den Versammlungen draußen, in denen ich über dieses Problem gesprochen habe, die ungeteilte Zustimmung nicht nur der CDU-Zuhörer, sondern auch der andern Zuhörer gefunden, und ich habe es gewiß nicht einseitig dargestellt.
Zu Artikel 113. Da verstehe ich die Gedankengänge der Gegner des Antrages am allerwenigsten. Der Artikel 113 gibt der Regierung — das ist neu im deutschen Parlamentsrecht — das Recht, eine Zustimmung zu Vorlagen zu geben, die Ausgabenerhöhungen mit sich bringen. Wie nun durch Artikel 113 dieser beabsichtigte § 48 a überflüssig oder gar verfassungswidrig werden soll, ist mir schlechterdings unbegreiflich.
Ebenso unbegreiflich ist mir, daß, wie Herr Dr. Mücke sagte, der Artikel 113 etwa gegenstandslos werden soll. Ich sehe im Gegenteil in diesem § 48 a eine höchst sinnvolle Ergänzung des Artikel 113.
Dr. Mücke hat eigentlich selbst das Stichwort gegeben, indem er sagte „der viel weitergehende Artikel 113". In der Tat, er geht sehr viel weiter. Sehen wir den Fall ganz einfach, wie er abläuft: Es wird ein Antrag gestellt, der eine Ausgabenerhöhung mit sich bringt. Mit diesem Antrag muß der Antragsteller nun sofort den Ausgleichsvorschlag verbinden. Nun hat die Regierung die Gelegenheit, ihr Ja oder ihr Nein zu sagen. Wie soll denn da der Regierung die politische Verantwortung abgenommen werden? Es wird doch in dieser grundsätzlichen Frage überhaupt nichts geändert. Aber was sehr wichtig ist: ein Auseinanderklaffen zwischen der Stellungnahme der Regierung und dem, was der Antragsteller beabsichtigt, wird dadurch außerordentlich gemildert. Es besteht die Möglichkeit, daß schon sehr früh eine Annäherung der Standpunkte erreicht werden kann. Also man kann doch wirklich nicht sagen, daß der Artikel 113 dadurch gegenstandslos geworden sei. Meine Freunde sehen daher in diesem Antrag keinerlei Beeinträchtigung der Rechte des Plenums, der Rechte des einzelnen Abgeordneten; sie halten die Neufassung für durchaus mit dem Grundgesetz übereinstimmend.
Ich möchte der Opposition doch immerhin noch eines sagen: wir haben die wirklich gefährlichen Bestimmungen in sehr ernster Erwägung der Grundsätze der Verfassung herausgenommen. Wir haben die zwei Bestimmungen herausgenommen, die wirklich verfassungswidrig oder mindestens bedenklich gewesen wären: einmal daß die Behandlungsweise durch den Präsidenten des Bundestages von der Zustimmung der Bundesregierung abhängig gemacht wurde, und zum anderen — und das ist sicher der wichtigste Eingriff in den ursprünglichen Vorschlag gewesen —, daß wir nicht verlangt haben, daß für den Ausgleichsantrag eine Anerkennung der Regierung zu holen ist, sondern daß die Regierung dazu nur zu hören ist. Man kann uns also von der Mehrheit der Ausschüsse wirklich nicht den Vorwurf machen, daß wir das Grundgesetz nicht berücksichtigt hätten.
Zur Zweckmäßigkeit der Vorschrift sollte im übrigen wirklich nicht sehr viel zu sagen sein. Ich möchte nur die Opposition bitten, zu glauben, daß es uns -- leider wird auch das allmählich zu einem Schlagwort — nicht darum geht, die Opposition „abzuwürgen" oder zurückzudrängen. Herr Kollege Dr. Arndt, es ist nicht so. Ich kann Ihnen sagen, auch meine Freunde, mit denen ich darüber beraten habe, wollten damit das erreichen, was Herr Dr. Höpker-Aschoff glänzend formuliert hat: wir wollten dieses Parlament in die Lage versetzen, so sachlich zu arbeiten, daß es endlich das Ansehen im Volke erwirbt, das es braucht, damit nicht dieses Parlament selbst und die ganze deutsche Demokratie in ein paar Jahren verwirtschaftet wird. Daher bitten wir Sie, den Antrag anzunehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Mit Worten läßt sich trefflich streiten!" Und wenn nun ein Jurist und ein CDU Abgeordneter anfängt, mit Worten zu streiten, dann braucht man sich über das Ergebnis wirklich nicht zu wundern. Was Sie angeblich wollen, das stent im Protokoll, im Ausschußbericht. Sie wollen angeblich parteipropagandistische und agitatorische Anträge abbremsen.
Sie haben aber fühlbar andere Absichten dabei. Was heißt „agitatorische Anträge"? Für die Herren dieser Koalitionsmehrheit und für die AdenauerRegierung ist alles Agitation, was an Forderungen für die werktätigen Massen, die Kriegsopfer, die hungernden Sozialberechtigten und die Erwerbslosen geteiit wird.
Der Herr Kollege Höpker-Aschoff, dem man bestimmt die Sachkenntnis und auch die Erkenntnis, worum es in Wirklichkeit geht, nicht absprechen darf, sprach hier von dem Feld, auf dem sich die Opposition tummle. Nun, wir haben vor einigen Wochen im Ausschuß, als die Beratungen über diesen Antrag begannen, von der Regierung eine Mitteilung bekommen, aus der zu ersehen war, daß zahlenmäßig und bezüglich der finanziellen Auswirkungen von den Koalitionsparteien das Maximum an Anträgen gestellt worden ist.
— Um so notwendiger wäre es, daß Sie sieh Selbstzucht auferlegen!
Aber Sie haben ja gar nicht nötig, sich Selbstzucht aufzuerlegen; dafür sorgt Herr Dr. Konrad Adenauer.
Wir wollen uns doch abgewöhnen, solche schönen Worte von der Notwendigkeit der Einschränkung der Freiheit des einzelnen hier auszusprechen. Ich bin der Meinung: hier kommt es darauf an, durchzusetzen, daß das Grundgesetz gewahrt wird. Darauf sollte es besonders Ihnen, den Demokraten und den schrankenlosen Verteidigern des Grundgesetzes ankommen.
Nun ist darauf hingewiesen worden, daß es schon im alten Reichstag eine ähnliche oder gleiche Bestimmung in dei Geschäftsordnung gab. Diese Bestimmung ist aus einer sehr bösen Zeit des demokratischen Lebens heraus geboren.
— Damals gab es eine KPD. Damals gab es aber auch bürgerliche Parteien und Sozialdemokraten, die nicht mehr gewagt haben, die Politik eines Brüning vor dem Volk politisch zu verantworten. Damals gab es im Reichstag bürgerliche Parteien und Sozialdemokraten, die es vorgezogen haben, über den Weg des Ermächtigungsgesetzes der Regierung die Verantwortung für den Rentenraub, für die Massensteuern, für die Abwälzung der Folgen der kapitalistischen Krise auf das Volk abzuschieben.
Der damalige Artikel der Geschäftsordnung ist in einer Periode des Zerfalls der Demokratie und nicht in der Periode ihrer Blüte zustande gekommen.
Herr Kollege Mücke hat gesagt, daß Artikel 113 des Grundgesetzes ein vollwertiger Ersatz für diesen § 48 sein sollte. Er hat gesagt, daß dieser Artikel 113 Ihnen genügen dürfte, um die Regierung davor zu bewahren, daß hier Beschlüsse finanzieller Natur angenommen werden, für die im Etat keine Deckung vorhanden ist.
Nun zu dem Antrag selber! Da heißt es: Finanzvorlagen werden vom Präsidenten des Bundestags unmittelbar dem zuständigen Ausschuß überwiesen. Das bedeutet, daß erstens hier keine Möglichkeit der Begründung der Anträge gegeben ist. Das bedeutet zweitens Übertragung einer großen Machtfülle an den Bundestagspräsidenten und damit eine schwere Verletzung der Autonomie des Bundestags, die nach Artikel 76 des Grundgesetzes in der Formulierung „Anträge gehen an den Bundestag" ihren Niederschlag findet. Anträge dürften also, wenn Sie das Grundgesetz wahren wollten, nicht durch den Bundestagspräsidenten an einen Ausschuß geleitet werden, sondern müßten bestenfalls oder, sagen wir einmal: schlimmstenfalls, nachdem sie zuvor hier eingebracht sind, durch den Bundestag an den Ausschuß überwiesen werden. Es gibt keinerlei Möglichkeit, zu beweisen, daß die Praxis, die Sie hier einführen wollen, mit Artikel 76 des Grundgesetzes vereinbar ist.
Nun die zweite Bestimmung: „In Zweifelsfällen entscheidet der Bundestagspräsident im Einvernehmen mit dem Ältestenrat." Ist das die Funktion, die dem Ältestenrat laut Geschäftsordnung zusteht? Wenn Sie das beschließen wollten, müßten Sie die Funktionen des Ältestenrats dahingehend erweitern; daran haben Sie bisher noch nicht gedacht.
Ich frage: Wo bleibt bei dieser Formulierung, die Sie uns heute zur Beschlußfassung vorgelegt haben, das Initiativrecht des Bundestags, wenn Sie davon ausgehen, daß wir auch auf dem Gebiet des Ausgabenrechts das Recht der Initiative haben? Wie paßt außerdem in das von Ihnen jetzt durchgedrückte Prinzip die Bestimmung hinein, daß Gesetzesvorlagen auch aus der Mitte des Hauses kommen können?
Und nun zu einem andern Teil dieser Vorlage. Es heißt hier:
Finanzvorlagen sind alle Vorlagen der Bundesregierung und alle Anträge von Mitgliedern des Bundestags, die in der Hauptsache bestimmt oder in erheblichem Umfang geeignet sind, für die Gegenwart oder die Zukunft auf die öffentlichen Finanzen einzuwirken.
Für die Zukunft, meine Herren! Für welche Zeitperiode machen wir hier einen Haushaltsplan? Für ein Jahr! Durch diese Festlegung geben wir der jeweiligen Koalitionsmehrheit oder der jeweils an I der Macht befindlichen Regierung die Ermächtigung, Vorlagen mit der Begründung abzulehnen, daß sie in der Perspektive, in 10, 20, 30 oder 40 Jahren einmal zu einer Belastung führen werden.
Nach der Verfassung stehen Herrn Dr. Adenauer als Bundeskanzler vier Jahre zu.
Niemand wird mir unterstellen, daß ich ihm privat, ihm persönlich einen vorzeitigen Tod Wünsche.
Ich möchte nur sagen, daß ich die Regierung — —Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter Renner, das ist ein schlechter Scherz.
Nein, gar nicht! Lassen Sie mich ausreden! Ich wollte sagen, daß ich seine Regierung lieber heute als morgen auf den Blocksberg wünsche. Es ist doch erlaubt, das zu wünschen.
Ich möchte also sagen: wenn wir heute diese Bestimmung einfügen, wird der Schatten des Kanzlers Adenauer noch in 10, 20 Jahren über diesem Parlament schweben, wenn der Politiker Adenauer längst ein vergessener Mann ist.
Was Sie wollen, ist folgendes: diese Herrschaft, die Sie heute haben, für alle Ewigkeit zu stabilisieren ohne Rücksicht darauf, daß sich hoffentlich recht bald die Machtverhältnisse in diesem Hause ändern, zugunsten des Volkes bessern werden.
Nun ein anderer Teil dieser Vorlage. Gestrichen haben Sie — das sei konzediert -- die Pläne, die mit dem besten Willen nicht in Einklang mit der Verfassung zu bringen sind. Was aber noch in der Vorlage enthalten ist, genügt, um Ihren dunklen Plan zu charakterisieren.
Herr Präsident, haben Sie den Ausdruck gehört? Wäre das nicht einen Ordnungsruf wert, Herr Präsident?
Aber ich verzichte auf den Ordnungsruf. Für mich ist nämlich entscheidend, wer die Beleidigung ausspricht.
Ich habe nicht den Eindruck, Herr Abgeordneter Renner, daß Sie persönlich mit diesem Ausdruck gemeint waren.
Ich fühle mich nicht getroffen; aber ich wollte Sie nur an Ihre Pflicht als Präsident erinnern.
Alles in allem: dieser Beschluß hat folgenden Zweck. Er soll der Regierung so geruhsame Zeiten verschaffen, daß sie ihre reaktionäre Finanzpolitik bereits heute für alle Zukunft verankern kann. Dieser Vorschlag läuft darauf hinaus, Verfassungsbruch zum Gesetz zu erheben.
Er verletzt das verfassungsrechtlich zugestandene Recht der Legislative und nimmt zumindest der Opposition die Möglichkeit, durch das Stellen von Anträgen sich gegen die Politik dieser Koalition zu verteidigen. Die Finanzpolitik dieser Regierung kann heute zwar, Herr Höpker-Aschoff, noch keinen Kriegsminister präsentieren, vielleicht aber nach einem halben Jahr schon eine Finanzierung ihrer Remilitarisierungspläne durchsetzen. So kann man das Bild auch sehen! Sie von der Regierungskoalition beweisen wieder einmal mehr, daß für Sie Demokratie und Grundgesetz eine Sache der Auslegung sind. Sie legen beides so aus, wie Sie es als Mehrheit im Interesse Ihrer reaktionären Politik jeweils brauchen. Sie fragen einen Dreck danach, ob das gesetzlich ist und sich mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung befindet.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reismann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Beratung dieses Gesetzes sollte nach meiner Meinung nicht so sehr die Überlegung im Vordergrunde stehen, wie man vielleicht den einen oder anderen Antrag behandeln kann, sondern die Frage, wie sich das Haus seine Position gegenüber der Regierung sichert, die nach der Verfassung eigentlich schon eine übermächtige Stellung hat. Die Verfassung des westdeutschen Bundes hat ein Experiment bezüglich der Stärkung der Regierung unternommen, indem sie das konstruktive Mißtrauensvotum eingebaut hat. Daraus resultiert, daß sie praktisch für die Dauer einer Legislaturperiode kaum gestürzt werden kann. Dementsprechend ist es notwendig, die Position des Parlaments zu festigen und sie nicht etwa durch Anträge, Beschlüsse und Gesetze noch zu schwächen, wie es beispielsweise der heute vorliegende Antrag tut. Dieser § 48 a, den ich. den „Maulkorbparagraphen" für dieses Parlament nennen möchte,
bedeutet praktisch die Subalternisierung dieses Hohen Hauses. Denn auf die Dauer läßt sich -- darüber müssen wir uns klar sein — eine konstruktive Opposition, aber auch eine konstruktive Arbeit des Parlaments überhaupt nicht durchführen, ohne daß dabei, und zwar durch Anträge, auch finanzielle Fragen berührt werden. Das trifft, wie ebeyi einer der Herren Vorredner gesagt hat, keineswegs bloß die Opposition. Ich erinnere daran, daß das Agitationsbedürfnis nach den bisher vorliegenden fünfhundertundsoundsoviel Anträgen bei der Opposition eigentlich das geringere gewesen zu sein scheint.
Es kommt aber nicht darauf an, das Recht der Opposition allein zu sichern, sondern darauf, das Recht des Parlaments gegenüber der Regierung zu sichern. Wir haben nun einmal weder ein englisches System der Demokratie noch ein amerikanisches System der Präsidentschaftsregierung, das nur eine lockere Überwachung durch das Parlament erfährt. Wir haben ein echtes parlamentarisches Regierungssystem und wehren uns dagegen, daß es durch solche Anträge „verbogen" wird. Wenn man diesem Antrag stattgeben würde, dann würde eine „Verbiegung" des parlamentarischen Systems erfolgen. Das geht nicht!
Es geht nicht allein um die Frage, ob es zweckmäßig ist, so zu verfahren, und ich widerspreche dem Gedanken, daß es zweckmäßig sei, diese Einschränkung vorzunehmen. Ich widerspreche dieser Absicht, die Bedeutung des Parlaments und seine Autonomie einzuschränken, weil es der Entwicklung des demokratischen Gedankens Abbruch tut, wenn man das Parlament zu einer halben oder zu einer Dreiviertel-Ohnmacht verdonnern und verdammen würde. Aber es ist wichtiger, auf jeden Fall streng rechtlich beim Erlaubten zu bleiben. Nicht nur die Zweckmäßigkeit, sondern auch die Rechtmäßigkeit muß geprüft werden. Der Grundgedanke des parlamentarischen Regierungssystems kann nicht ohne Verletzung der Verfassung durchbrochen werden, und in dem vorliegenden Falle bedeutet die vorgesehene Einschränkung eine nach unserer Meinung, der Meinung der Zentrums-Fraktion, absolut klare Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte sowohl des Parlaments in seiner Gesamtheit als auch eine Verletzung der Rechte der einzelnen Abgeordneten, die nun einmal das Recht auf Gesetzesinitiative, und zwar uneingeschränkt im Rahmen des Bonner Grundgesetzes haben, mit der einen Maßgabe, daß der Artikel 113 schon alle notwendigen Vorkehrungen vorsieht, um einem etwaigen Agitationsbedürfnis entgegenzuarbeiten. Der Artikel 113 schaltet die Regierung schon ein, indem er ausdrücklich festlegt, daß Beschlüsse des Bundestages, welche die von der Bundesregierung vorgesehenen' Ausgaben erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen, der Zustimmung der Bundesregierung bedürfen, und über den Wortlaut dieser Bestimmung hinaus bedeutet das Vorhandensein dieser Bestimmung nach meiner Meinung schon, was sich aus dem Zusammenhang der ganzen Bundesverfassung ergibt, daß Einschränkungen des Initiativrechts und der Autonomie nur in der Verfassung getroffen sein können. Sonst hätte man eine solche Bestimmung nicht nötig gehabt und hätte sich darauf verlassen können, daß die Geschäftsordnung des Hauses so etwas schon vorsehe. Da man dies aber nicht getan hat, da man eine Einschränkung des Initiativrechts und der Parlamentsautonomie in die Verfassung hineingebracht hat, so ist es notwendig, etwaige Ergänzungen im Wege eines verfassungsergänzenden Gesetzes, in Wirklichkeit, materiell gesehen, im Wege eines verfassungsändernden Gesetzes vorzunehmen. Wenn man allein von dem Artikel 113 ausgeht und dem Herrn Vorredner
zustimmt, der den Gedanken dieser Beschränkung, dieses „Maulkorbparagraphen" bejaht und zugegeben hat, daß es sich um eine Ergänzung dieser Einschränkung handelt, dann muß man auch die Notwendigkeit zugeben, diese Ergänzung auf dem Wege der formell erklärten Verfassungsänderung vorzunehmen. Ich bezweifle, daß die dazu notwendige qualifizierte Mehrheit zustande kommen wird, und ich gebe zu bedenken, daß eine abweichende Beschlußfassung darüber mit Sicherheit demnächst der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht unterliegen wird. Es hat gar keinen Zweck, sich Illusionen darüber zu machen und diese rein rechtliche Frage nach politischen Gesichtspunkten entscheiden zu wollen. Es kommt ganz einfach darauf an, was mart demnächst an objektiver Stelle, nicht von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, zu dieser Frage sagen wird. Nachdem aber die Rechtmäßigkeit zumindest in tiefbegründeten Zweifel gezogen wird, die Zweckmäßigkeit zu verneinen ist und ein Bedürfnis nicht vorliegt, so vermag ich nicht einzusehen, daß ein solches Vorgehen überhaupt noch sinnvoll ist. Wenn man von Agitationsbedürfnissen spricht, so trifft dieser Vorwurf nach meiner Meinung höchstens die, die die meisten Anträge solcher Art gestellt haben oder überhaupt die meisten Anträge gestellt haben, die finanzielle Dinge berührten. Ich befinde mich heute zum zweiten Male in der Gelegenheit, für eine Fraktion zu sprechen, bei der es offensichtlich ist, daß dieser Gedanke für sie bisher weder eine Rolle gespielt hat noch nach unserer Tradition eine Rolle spielen wird, die hier also lediglich aus der nüchternen und sachlichen Überlegung spricht, daß man das Ansehen des Parlaments nicht dadurch hebt, daß man seine Wirkungskraft herabsetzt, sondern nur dadurch, daß man an das Bewußtsein der Eigenverantwortung vor der Offentlichkeit appelliert. Ich bin überzeugt, daß sich nach einiger Zeit in allen Fraktionen die Überzeugung durchsetzen wird, daß man auf lange Sicht Politik vor dem deutschen Volk nur vertreten kann, wenn man nicht Agitationsanträge stellt, sondern wenn man sich die gebotene Zurückhaltung selber auferlegt, für welche man das Korsett des „Maulkorbparagraphen" nicht notwendig hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. Höpker-Aschoff hat uns hier scheinbar sehr gelehrte Ausführungen über die französischen und britischen Rechtsbräuche gemacht, aber ich fürchte, Herr Kollege Dr. Höpker-Aschoff, Sie haben Ihren juristischen Etat dabei etwas überzogen.
Wenn Sie in das französische Parlament gingen und die Möglichkeit unterstellten, daß ein französischer Finanzminister gegenüber einer Bewilligung des Parlaments sagen würde, er habe ein absolutes Vetorecht, so glaube ich nicht, daß der französische Finanzminister dort in der Nationalversammlung gehört werden würde, wenn er sich auf das Bonner Grundgesetz beriefe.
Genau so liegen die Dinge hier auch. Das, was
Sie aus der französischen Geschäftsordnung zitierten, hat ja seine Grundlage darin, daß die gleiche Bestimmung in der französischen Verfassung als Verfassungsrecht steht. Wenn das der Fall ist, dann kann sie auch in die Geschäftsordnung aufgenommen werden. Also das dürfen Sie dabei nicht fortlassen. Genau so handelt es sich auch im britischen Unterhaus nicht um eine Bestimmung der Geschäftsordnung, sondern um ein britisches Verfassungsrecht, das seit ungefähr 200 Jahren geübt wird, aber immer seinen Sinn findet in dem jeweiligen Gleichgewicht zwischen Krone und Parlament in England, zwischen Regierung und Nationalversammlung in Frankreich.
Auch in Deutschland muß ein gewisses Gleichgewicht gefunden werden, worauf der Herr Kollege Dr. Reismann mit Recht hingewiesen hat. Sie selbst sind ja einer der Väter des Artikel 113, und ich weiß nicht, warum Sie Ihr Kind in diesem Hause jetzt so schmählich im Stich gelassen haben.
Aber ich will mich jetzt auf Rechtsausführungen nicht weiter einlassen. Sie können die Rechtsausführungen aus dem schriftlichen Bericht ersehen. Ich möchte das Haus damit nicht aufhalten; denn die Frage wird ja voraussichtlich doch zur Entscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht kommen.
Ich muß nur noch auf gewisse politische Argumente antworten, die hier vorgetragen worden sind. Der Herr Kollege Dr. Höpker-Aschoff hat nämlich auch gesagt: „Vor der Verschwendung durch die Regierung schützt das Parlament, und vor der Verschwendung durch das Parlament schützt die Regierung". Nun, das zweite ist durch Artikel 113 in gewisser Weise richtig. Aber stimmt denn sonst dieses so volkstümliche Argument? Meine Damen und Herren, Sie sind ja die Mehrheit der Regierung, und Sie schützen die Regierung keineswegs vor Verschwendung, sondern wenn die Regierung Ihnen eine Einkommensteuervorlage macht, durch die ein unerhörtes Geschenk gemacht wird, dann bewilligen Sie der Regierung durchaus diese Verschwendung.
Also so verhalten sich die Dinge hier, daß wir doch das Zusammenspiel zwischen der Regierung und der Koalition sehen müssen und nicht die Dinge vielleicht für draußen anders hinstellen dürfen, als sie in Wirklichkeit sind.
Genau so ist es mit dem schönen Wort der Selbstzucht. Ich erinnere daran, daß wir schon einmal in Deutschland ein sogenanntes Parlament hatten, das so viel Selbstzucht übte, daß es sich mit dem Anhören der Regierungserklärungen und dem Absingen gewisser Lieder begnügte.
Also man kann auch die Selbstzucht übertreiben. Aber wenn Sie Selbstzucht üben wolien, dann darf ich Ihnen empfehlen, die Selbstzucht vor dem Grundgesetz zu üben. Daran lassen Sie es meistens ganz erheblich fehlen.
Denn alles das, was Sie in dieser Beziehung gesagt haben, kann uns nicht von der Meinung abbringen, daß Sie mit diesem Antrag nichts anderes bezwecken, als erneut diejenigen Gruppen
in diesem Hause, die in der Minderheit sind, an
ihrer verantwortungsbewußten Tätigkeit zu hindern. Wie wir pflichtgemäß zu handeln haben, das werden wir uns selbst überlegen, und das lassen wir uns nicht von Ihnen durch Ihre Geschäftsordnung vorschreiben.
Ich kann Ihnen im übrigen ein Beispiel dafür geben wie man sehr verschiedener Meinung dar. über sein kann, was ein Agitationsantrag ist, sogar verschiedener Meinung innerhalb der gleichen Partei, der CDU. Ich denke daran, wie der Herr Kollege Bucerius an diesem Platz gestanden und mit einem erheblichen Pathos gesagt hat, daß. unser Antrag,, die Hausratshilfe vorzufinanzieren, ein Agitationsantrag wäre, und der Herr Abgeordnete Dr. Konrad Adenauer war dann der erste, der bei der namentlichen Abstimmung diesem „Agitationsantrag" zustimmte.
Sie sehen, wie man sehr verschiedener Meinung über das sein kann, was der Agitation und was der Sache gilt.
— Nein, meine Damen und Herren, Sie wollen nach einem Wort handeln, das der Philosoph Immanuel Kant in seinem Traktat über die Aufklärung geschrieben hat und das genau das Rechte trifft. Da hat Kant gesagt: Es ist so bequem, unmündig zu sein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Becker.
Meine Damen und Herren! Mein Herr Vorredner, von dem ich geglaubt hatte, er würde in die Arena der Paragraphen und der Juristerei hinabsteigen, hat sich im Gegenteil dazu aufgeschwungen, in einer Weise zu sprechen, die ich nicht unerwidert lassen kann.
Er hat von dem Herrn Kollegen Dr. Höpker-Aschoff gesagt, er habe mit einer bestimmten Erklärung seinen juristischen Etat wohl überzogen. Er hat ferner die Selbstzucht für unsere Verhandlungen, von der wir im Interesse der Demokratie hier gesprochen haben, mit dem parlamentarischen Betrieb in der Hitlerzeit verglichen. Er hat geglaubt, uns vorwerfen zu sollen, wir wollten hier gewissermaßen eine derartige capitis deminutio des Parlaments herbeiführen, wie sie in der Hitlerzeit gewesen ist. Wir verbitten uns diese Art, hier so aufzutreten.
Und nun zu den verfassungsrechtlichen Schmerzen der Herren. Diese Geschäftsordnungsbestimmung ist bereits im Jahre 1931 im Deutschen Reichstag angenommen worden mit den Stimmen der SPD
und den Stimmen des Zentrums.
Als dieser Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung zum ersten Mal, ich glaube, im Haushaltsausschuß, beraten wurde, ist seitens der Regierung erklärt worden, daß die bis dahin gestellten Anträge, wenn sie durchgeführt würden, bereits ein Ausgabenmehr von 4,5 Milliarden ausmachten.
Sie sehen, wie notwendig eine Selbstzucht ist.
Und endlich: niemals ist das verfassungswidrig,
was dem tiefsten Sinn der Demokratie entspricht.
Demokratie ist Selbstregierung und Selbstverantwortung, ist Selbstregierung mit Verantwortungsgefühl.
Meine Damen und Herren, ich bitte doch, den Redner nicht ständig zu unterbrechen.
Selbstregierung kennen wir in jedem Haushalt und in jedem Beruf und Geschäft. Sie besteht darin, daß ein Geschäftsmann, ein Haushaltungsvorstand, eine Hausfrau niemals Ausgaben macht, wenn sie sich nicht über die dafür nötigen Einnahmen ein Bild gemacht haben. Und nichts mehr und nichts weniger als diese sinnvolle Demokratie verlangt unser Antrag.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmid.
Meine Damen und Herren! Jene von uns, die die Ehre hatten, dem Parlamentarischen Rat anzugehören, werden sich noch der langen Debatten erinnern, die wir über den Artikel 113, vor allem aber über die verschiedenen Entwürfe und die Anträge zu ihrer Abänderung geführt haben. Sie werden sich wohl auch noch daran erinnern, daß wir bei dieser Gelegenheit die Grundsatzfrage erörtert haben, inwieweit das Initiativrecht des Parlaments eingeschränkt oder ohne jede Einschränkung sollte geltend gemacht werden können. Der Kollege Höpker-Aschoff hat uns damals schon in sehr beredten Worten aus der Fülle seiner Sachkunde heraus gewisse Einschränkungen des Initiativrechts als praktisch notwendig empfohlen. Wir haben diese seine Ausführungen mit sehr viel Ernst diskutiert und haben ihnen alles Gewicht zugemessen, das ihnen gebührt. Aber wir haben uns trotzdem dafür entschieden, daß der Bundestag ein uneingeschränktes Recht auf gesetzgeberische Initiative haben solle, und wir haben Anträge, die fast wörtlich so lauteten wie der Vorschlag, den der Ausschuß uns jetzt macht, im Parlamentarischen Rat mit Mehrheit abgelehnt.
Wir haben sie deswegen abgelehnt, weil außer den Beschränkungen, die das Grundgesetz selbst vorsieht, dem Parlament keine Einschränkungen auferlegt werden sollten. Dieses Parlament sollte die Initiativen ergreifen können, von denen es glauben sollte, daß sie ergriffen werden müßten. Wir haben das 'getan, obwohl uns Herr Kollege Höpker-Aschoff und andere Mitglieder des Parlamentarischen Rates dargelegt haben, daß im Weimarer Reichstag eine Geschäftsordnungsbestimmung der beantragten Art schon existiert hat, und obwohl damals schon auf die Rechte der
englischen Krone hingewiesen und obwohl damals schon mit der französischen Geschäftsordnung argumentiert worden ist. Daraus ergibt sich, daß nach dem Willen des Gesetzgebers Einschränkungen des Initiativrechts, insbesondere Einschränkungen unter dem Gesichtspunkt wesentlich fiskalischer Rücksichten nicht bestehen sollten.
Man hat heute das verführerische Argument von der Selbstzucht, die das Parlament sich auferlegen sollte, gebraucht. Meine Damen und Herren, es ist etwas Schönes um eine solche Selbstzucht. Aber wenn diese Selbstzucht praktisch darin besteht, daß eine Mehrheit — die vielleicht nicht einmal so überwältigend groß ist — es einer Minderheit unmöglich macht, ihre Verantwortung den Wählern gegenüber voll zu erfüllen, dann kann man nicht mehr gut von der Selbstzucht eines Parlaments sprechen.
— Es ist richtig, Herr Kollege Euler, man kommt ohne Abstimmungen und ohne das Auszählen von Mehrheiten nicht aus. Aber vielleicht sollte man sich überlegen, ob man einer Minderheit zumuten sollte, sich schlechthin Mehrheitsabstimmungen zu stellen, die ihr praktisch wesentliche Teile ihrer parlamentarischen Möglichkeiten aus der Hand nimmt. Das ist a u c h eine Frage der Demokratie. Demokratie .besteht ja nicht nur in Arithmetik, sondern Demokratie besteht auch darin, daß man dem anderen eine Chance, und zwar eine faire Chance gibt und läßt.
{Sehr wahr! bei der SPD.)
Diese aber nehmen Sie ihm mit Ihrem Antrag.
— Sie wird genommen, Herr von Brentano. Was würde denn geschehen, wenn die beantragte Änderung der Geschäftsordnung angenommen werden sollte? Praktisch ergäbe sich damit, daß das Initiativrecht der Regierung und das Initiativrecht des Parlaments verschiedenwertig werden.
Die Regierung kann jederzeit ein Gesetz einbringen und braucht sich um weiter nichts zu kümmern, während das Parlament —, praktisch also die Opposition -- einen Gesetzentwurf nui einbringen kann, wenn er gewisse Bedingungen erfüllt. Mit anderen Worten, Sie stellen damit die Opposition unter das Gesetz differentieller Behandlung.
— Sie können das nicht bestreiten, meine Herren. Die Regierung kann jede Initiative auf jede ihr beliebende Weise ergreifen; sie kann uns zwingen, über einen Gesetzentwurf zu debattieren, ohne daß sie sich die Mühe zu nehmen braucht, uns zu sagen, wie sie die eventuellen Kosten aufbringen will. Wenn demgegenüber von dieser Seite des Hauses aus ein Initiativantrag käme, könnten Sie sagen: Wir nehmen von diesem Antrag nicht einmal Kenntnis, denn ihr seid ja nicht in der Lage, uns zu sagen, wie die Kosten aufgebracht werden sollen. So schaffen Sie letzten Endes ein Privileg für die Reglerungsmehrheit. Denn die Regierung ist doch, bei Licht betrachtet, so etwas wie ein Ausschuß der Regierungsmehrheit, der Parteien, die die Koalition bilden.
— Ich weiß, in den Staatsrechtslehrbüchern steht es anders. Danach ist die Regierung ein Organ des Staates, ein „An und für sich", also etwas ganz anderes als nur ein Ausschuß der Mehrheit. — Es gehört zu meinem Beruf, solche Dinge zu wissen, Herr Kollege.
Aber praktisch ist es doch so, daß Sie in Ihren Fraktionssitzungen die Mitglieder des Kabinetts, die Ihnen zugehören, veranlassen können, im Kabinett gewisse Gesetzesanträge zum Beschluß erheben zu lassen, die dann hier im Hause eingebracht werden. Damit ist wirklich -- aber wirklich! — bewiesen, daß durch die Annahme dieses Ihres Antrags zwischen den Rechten der Minorität und denen der Majorität ein Unterschied geschaffen würde.
-- Es tut mir leid, daß der alte Reichstag sich auf diesen Weg begeben hat. Ich will nicht sagen, Herr Kollege von Brentano, daß d es w e g e n Hitler kam. Aber es ist nicht uribezeichnend, daß man, zwei Jahre bevor Hitler gekommen ist, geglaubt hat, mit solchen Palliativmitteln einer politischen Situation begegnen zu können.
Es wurde davon gesprochen, parlamentum heiße „Schwatzbude", wenn man das Wort bösartig übersetzen wollte. — Ja, Herr Kollege Dr. Laforet, so ist gesagt worden; aber es ist falsch. Parlamentum hieß ursprünglich, als das Wort aufkam: das Haus, in dem man sprechen darf; parlamentum hieß: das Haus der Auseinandersetzungen. Und nun frage ich Sie: wollen Sie das ändern? Wollen Sie, daß das Parlament nicht mehr das Haus der Auseinandersetzungen, und zwar das Haus der freien Auseinandersetzungen ist? Ein Parlament, das nicht soviel Vertrauen zu sich hat, daß es, ohne künstliche Verfahrensvorschriften, Anträge, die die Parteien glauben stellen zu müssen, entgegennimmt, diskutiert, annimmt oder ablehnt, verliert, glaube ich, draußen im Volk mehr an Kredit als ein Haus, das sich weigert, sich allzusehr durch Geschäftsordnungsbestimmungen einengen zu lassen.
Ohne eine gewisse Risikofreudigkeit gibt es keine Demokratie.
Wenn Sie, Herr Kollege Dr. Höpker-Aschoff, von dem schönen Bild in dem Ausschußzimmer des Reichstags gesprochen haben, wo der Kriegsminister sich mit den Abgeordneten um seine Kredite rauft, so meine ich dazu: nun, damals war es so, daß hauptsächlich die Kriegsminister Geld haben wollten.
Weil man ihnen damals vielleicht zuviel Geld gegeben hat, brauchen wir jetzt Geld, um den Opfern der Kriege, die mit diesem Geld geführt wurden, wenigstens ein Minium zum Leben zu geben.
Es mag sein, daß manche in diesem Hause ihre
Aufgabe darin sehen, denen, die dafür nun bezahlen müßten, die Last so gering wie möglich zu
machen. Das ist keine Schande; es ist ein sehr legitimes Interesse.
Auf der andern Seite gibt es hier aber auch Leute, die der Meinung sind, daß man unter allen Umständen den Opfern dieser Kriege soviel Ausgleich wie möglich leisten sollte — unter Hintansetzung dieser Interessen.
Und das ist vielleicht die Ursache dafür, daß die einen in diesem Hause fiskalischer und andere weniger fiskalisch denken.
— Herr Kollege Dr. Laforet, ich danke für die Belehrung. Aber ich glaube, verantworten zu können, was ich gesagt habe. Was heute hier geschehen wird, ist von großer Wichtigkeit. Es geht nicht nur um eine technische Änderung der Geschäftsordnung, es geht letzten Endes darum, ob man dieses Parlament im wesentlichen — im wesentlichen, nicht ausschließlich; das behaupte ich nicht — als einen Gehilfen der Regierung betrachten will oder als eine selbständige Kraft, die aus eigenem, Recht der Regierung Impulse zu geben und auch ihren zögernden Sachverstand vorwärtszutreiben hat. Mit der Bestimmung, die Sie vorschlagen, lähmen Sie das Parlament!
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Debatte über diesen Antrag abgeschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Einfügung eines § 48 a, betreffend Finanzvorlagen, in die Geschäftsordnung. Den Wortlaut des Antrages finden Sie auf Seite '7 der Drucksache Nr. 498. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
— Meine Damen und Herren, es ist nicht ganz klar zu ermitteln, welches die Mehrheit bzw. die Minderheit in diesem Falle ist. Ich glaube, es bleibt nichts anderes übrig, als die Auszählung durch Hammelsprung vorzunehmen. Ich bitte diejenigen, die mit Nein stimmen, nachdem alle Damen und Herren den Saal verlassen haben, durch die Tür links von mir hereinzukommen, diejenigen, die mit Ja stimmen, durch die Mitteltür, und diejenigen, die sich der Stimme enthalten wollen, durch die Tür rechts von mir den Saal zu betreten.
Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, die Zählung an den Türen vorzunehmen. Ferner bitte ich die Besucher der Tribünen im Saal, während der Auszählung nicht durch die Türen zu verkehren. — Dann können wir mit der Abstimmung beginnen.
Meine Damen und Herren! Ich bitte Platz zu nehmen. Die Auszählung ist beendet. Sie hat ergeben: Ja 176, Nein 159 Stimmen, 2 Stimmenthaltungen. Der Antrag ist damit angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 6 — —
— Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir können nunmehr, nachdem die Abstimmung stattgefunden hat, diesen Punkt verlassen und ohne Unruhe zu Punkt 6- der Tagesordnung übergehen:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kuhlemann, Freudenberg, Faßbender, Degener, Kalbitzer, Dr. Baumgartner und Genossen betreffend Paßverfahren .
Ein Redner zur Begründung des Antrags ist nicht genannt. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen also zur Abstimmung.
— Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gerstenmaier.
Meine Damen und Herren! Es ist keine hochpolitische Angelegenheit, die uns mit diesem Punkt der Tagesordnung beschäftigt, und wir könnten sie eigentlich mit einem gewissen Humor behandeln, wenn sie nicht im Laufe der letzten Jahre so langweilig geworden wäre, daß wir glauben, daß dieses Haus sich allgemach damit befassen sollte. Die Frage, die hier zur Diskussion steht, ist ein Symptom dafür, wieweit einige allerorts in Europa, mindestens in Westeuropa, verkündete Grundsätze und die Entwicklung einer entsprechenden Praxis auch nur im bescheidenen Teil des Paßwesens noch auseinanderklaffen.
Am 26. September des vorigen Jahres gab die Hohe Kommission bekannt, daß die bisherigen Beschränkungen für Reisen von Deutschland ins Ausland fortfallen sollten, daß die Bundesbehörden diese Angelegenheit übernehmen sollten und daß sie in einer Vereinfachung des seitherigen Verfahrens — von wenigen Ausnahmen abgesehen — in Zukunft in deutscher Hand sein sollte. In der Zwischenzeit ist, soweit wir unterrichtet sind, in dieser Sache nichts geschehen. Jedenfalls hat sich nichts an dem alten Zustand geändert, und die Mitteilung vom 26. September des vorigen Jahres hat sich bis jetzt jedenfalls als nicht verwirklicht erwiesen. Der Antrag, der hier vorgelegt worden ist, scheint uns der Beachtung dieses Hauses wert; und die Regierung wird gebeten, diesem Antrag nach Möglichkeit zu entsprechen und so schnell wie möglich ihre Einflußnahme auf die Hohe Kommission in einer zweifachen Richtung auszüben; nämlich erstens dafür zu sorgen, daß das Paßwesen so schnell wie möglich in deutsche Hände übergeht, und zweitens, daß es wesentlich vereinfacht wird. Nachdem wir eine Bundesregierung haben, besteht kein ersichtlicher Grund dafür, weshalb ein Verfahren, dem wir nicht nur seit fünf Jahren, sondern dem die Mehrzahl der Deutschen seit zwölf Jahren unterworfen ist, weiter fortgesetzt werden soll. Wir sehen nicht ein, weshalb der Reiseverkehr insbesondere zu geschäftlichen und dienstlichen Zwecken weiterhin so begrenzt und solchen Umständen unterworfen sein muß, wie wir es bis jetzt konstatieren müssen.
Ich darf Ihnen hier einige Beispiele für die nach meiner Überzeugung völlig anachronistische Situation geben, in der wir uns befinden. Die Dokumente, die zur Erlangung eines Ausreiseantrages gefordert werden, sind in Württemberg folgende: erstens: Polizeiliches Führungszeugnis, zweitens: Entnazifizierungsbescheid, drittens: Visum und Zusicherung des zuständigen Konsulates für die Einreise, viertens: ausländische Einladung mit Bestätigung, daß Aufenthaltskosten im Ausland übernommen werden, fünftens: drei Lichtbilder, sechstens: Antragsformular mit 29 Fragen. Diese Fragen müssen auch bei Wiederholungsreisen immer wieder neu beantwortet werden. Der Spaß kostet für den vorläufigen Reiseausweis in Württemberg 15 D-Mark, das Permit dazu 5 D-Mark, macht zusammen 20 D- Mark. In Bayern ist die Kleinigkeit etwas teurer. Dort kostet der vorläufige Reiseausweis bis heute 15 D-Mark, das Permit 55 D-Mark, zusammen 70 D-Mark. In Hessen liegen die Dinge wieder etwas anders. Dort braucht man zu den hier genannten Papieren nach eine Aufenthaltsbescheinigung des zuständigen Polizeireviers usw. usw.
Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß es eine Verletzung des Stiles ist, wenn man allerorts und wir glauben, daß es nicht nur ein Lippenbekenntnis ist — auf alliierter wie auf deutscher Seite den Gedanken von der europäischen Gemeinsamkeit proklamiert und diesem Gedanken dann in solchen Details nicht auch in deutschen Landen die Nachachtung verschafft, die in diesem Fall darin besteht, daß diese anachronistischen Umstände — nunmehr etwas beschleunigt, wie wir meinen — abgeändert werden. Kurzum wir sind der Überzeugung, daß dem vorliegenden Antrag entsprochen und so schnell wie möglich eine Änderung des bestehenden Zustandes auf der Linie des Antrags herbeigeführt werden sollte, insofern als die Zuständigkeit für das Paßwesen klar an den Bund übergeht und daß eine ganz wesentliche Vereinfachung der noch bestehenden grotesk-bürokratischen Handhabung in dieser Sache stattfindet.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag in Drucksache Nr. 468 betreffend Paßverfahren zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Damit ist der Antrag einstimmig angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 7 der Tagesordnung:
Übersicht über die vom Ausschuß für Petitionen erledigten Eingaben .
Ich bitte diejenigen, die den Anträgen der Ausschüsse zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 8 der Tagesordnung:
Interfraktioneller Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse .
Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter diesem interfraktionellen Antrag befindet sich auch die Drucksache Nr. 476 betreffend Streichung der Absätze 2 und 3 des § 103 der Geschäftsordnung: geheime Abstimmung. Ich bitte, das von der Tagesordnung abzusetzen, so daß lediglich im übrigen Überweisung an die Ausschüsse erfolgt.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt gehört, die Drucksache Nr. 476 im Sammelantrag Drucksache Nr. 499 heute zu streichen bzw. von der Tagesordnung abzusetzen. Findet dieser Antrag die Zustimmung des Hauses?
— Ich höre keinen Widerspruch,. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann darf ich annehmen, daß damit die Drucksache Nr. 499
— Interfraktioneller Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse — Ihre Zustimmung findet. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist demgemäß beschlossen.
Meine Damen und Herren! Darf ich noch auf folgende Angelegenheit eingehen. Ich bin auf einen Zuruf aufmerksam gemacht worden, der während der Rede des Herrn Abgeordneten Rische zu Punkt 1 der Tagesordnung gefallen ist und den ich selbst nicht gehört habe. Ich habe das amtliche Stenogramm vor mir liegen. Ich verlese den betreffenden Absatz. Herr Abgeordneter Rische sagte:
Die Gründe dieser Katastrophe, werte Kollegin Schroeder, haben Sie uns allerdings nicht dargelegt.
Die Gründe dieser Katastrophe sind wirtschaftspolitischer und politischer Natur,
Meine Damen und Herren! Ich darf fragen, wer diesen Zwischenruf „Ehrlose Landesverräter" getan hat. — Es meldet sich niemand.
Dann darf ich feststellen, daß ich nach der Geschäftsordnung in dieser Angelegenheit nichts tun kann.
— Zu dieser Angelegenheit Herr Abgeordneter Renner zur Geschäftsordnung!
Meine Damen und Herren! „Ehrlose Landesverräter" so hat uns Kommunisten einmal Hitler genannt, weil wir Deutschland, unsere Heimat und unser Volk lieben,
weil wir es gegen Hitler verteidigt haben, weil wir ihm den verbrecherischen Hitlerkrieg ersparen wollten.
Mit tausendfachem Tod — —
— Ich bitte Sie, mit ein wenig Würde anzuhören, was ein Mann, der für Deutschland, der für sein Volk etwas geleistet hat, Ihnen zu sagen hat. Etwas Respekt auch vor der Meinung des anderen, Herr Bucerius!
Mit tausendfachem Tod und mit namenlosem Leid haben Tausende und aber Tausende von Funktionären und Parteimitgliedern der Kommunistischen Partei- Deutschlands dieses ihr Treueverhältnis zu- Deutschland, zu unserem deutschen Heimatland, zu unserem deutschen Volk bewiesen.
Heute wie damals — —
Heute wie damals stehen wir zu unserem Vaterland. Heute wie damals verteidigen wir es gegen die Kräfte, die unserer Überzeugung nach ihm schaden und es in einen neuen Krieg hineinhetzen wollen. Der deutsche Mann, der diese unverschämte Beleidigung, die eine Kollektivbeleidigung unserer Fraktion und unserer Partei ist,
ausgesprochen hat, hat nicht den Mut gefunden, sich zu seinem Wort zu bekennen. Das charakterisiert diesen Mann und die Elemente in Deutschland, die es wagen, Kommunisten Landesverräter zu nennen.
Meine Damen und Herren, die Tagesordnung ist erschöpft.
Ich berufe die nächste, die 36. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 9. Februar, 14 Uhr 30.
Ich habe noch einige geschäftliche Mitteilungen zu machen. Mir ist gesagt worden, daß die Fraktionssitzung der CDU/CSU ira Anschluß an die Vollversammlung stattfindet. Die Sitzung des Beamtenrechtsausschusses morgen, Donnerstag, 9 Uhr 30, fällt aus.
Ich schließe Cie 35. Sitzung des Deutschen Bundestages.