Rede von
Dr.
Gerd
Bucerius
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Ich fürchte fast, die Vorlage ist in den Bereich jenes Teils der Diskussion hineingeraten, der so polemisch ist, daß er einer Vorlage nicht mehr
zuträglich ist und ihr jedenfalls schaden könnte. Ich meine damit nicht die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Rische, obwohl dem Hohen Hause von dieser Seite her in letzter Zeit in wachsendem Maße Dinge zugemutet werden, die auf die Dauer nicht mehr erträglich sind.
Es ist sehr interessant zu hören, daß sich am meisten diejenigen auf die Demokratie berufen, die ihre erbittertsten Gegner sind!
Meine Damen und Herren! Ich möchte daher kurz auf den Zwischenfall mit der Bayernpartei zurückkommen. Es ist richtig, § 114 der Geschäftsordnung bestimmt, daß Abweichungen von den Vorschriften der Geschäftsordnung durch Beschluß des Bundestags auch nur dann zugelassen werden, wenn keines der in der Sitzung anwesenden Mitglieder widerspricht. Die Bayernpartei hat widersprochen, aber dieser Widerspruch war aus folgendem Grunde unbeachtlich.
Obwohl die Vorlage nicht vorlag, ist im Ältestenrat die Besprechung der ersten Lesung des Gesetzentwurfs ausdrücklich für heute angesetzt worden.
Die Bayernpartei hat dem zugestimmt, obwohl ich im Ältestenrat mitgeteilt habe, daß die Vorlage frühestens am Montag dem Hause zugehen würde.
Aus diesem Grunde war die Berufung auf § 114 der Geschäftsordnung unbegründet.
Ich habe es auch ein ganz klein wenig bedauert, daß die Erörterung dieses ernsten, der Berliner Sache so förderlichen Gesetzentwurfs mit einer Auseinandersetzung mit einer der vielen in Deutschland erscheinenden Zeitungen verbunden worden ist. Es ist sicher: wir stehen nun einmal im Kampf um Berlin alle gemeinsam auf einer Seite, und Entgleisungen irgendeiner Zeitung brauchen nicht so ernst genommen zu werden, wie es hier der Fall gewesen ist. Aber immerhin müssen wir es dem verwundeten Gemüt der hier angegriffenen, warmherzigen Berliner Frau, die so viel für die Berliner Interessen getan hat, zugute halten, wenn sie es für notwendig gefunden hat, einige Worte zu dieser Angelegenheit zu sagen. Ich möchte aber empfehlen, diese im Grund doch sehr unerfreundliche Diskussion damit abzuschließen.
Meine Damen und Herren, zu dem Gesetzentwurf einige, ganz wenige Worte! Wir haben vielleicht keinen Anlaß, diese Vorlage besonders zu begrüßen; denn dieses Gesetz wird nur in Erfüllung der Zusagen vorgelegt, die der Stadt Berlin schon im Herbst vorigen Jahres von dem Herrn Finanzminister ausdrücklich gemacht worden sind. Aber es empfiehlt sich doch, den besonderen Charakter der hier vorgeschlagenen Maßnahmen ganz kurz zu betonen. Sie haben vom Herrn Finanzminister gehört, welche finanziellen Leistungen von Westdeutschland der Stadt Berlin in der Vergangenheit gewährt wurden und laufend gewährt werden. Es ist außer der Haushaltshilfe von 37 Millionen D-Mark zu Lasten der Länder ein Betrag, der laufend als Zuschuß zu dieser Haushaltshilfe aus einem Darlehen in einer komplizierten Transaktion gegeben wird, deren Erfüllung und materielle Belastung uns im nächsten Haushaltsjahr noch treffen wird und bei der wir heute noch nicht übersehen können, wie wir sie finanziell verdauen werden.
Insgesamt sind die Zahlen, die wir von dem Herrn Finanzminister gehört haben, wirklich fast erschreckend. Nicht weniger als etwa 5 Prozent des gesamten Steueraufkommens in Deutschland — Vermögen-, Einkommen- und Verkehrssteuer — geht als zusätzlicher Betrag nach Berlin. Um eine andere Zahl zu nennen: ungefähr ein Viertel des Betrags, der uns in Form. der Marshallplanhilfe zugewendet wird, müssen wir für Berlin. aufwenden. Wir erwähnen diese Zahlen nicht, um sie der Berliner Bevölkerung vorzuhalten, sondern um immer wieder in aller Bescheidenheit, aber doch ganz deutlich festzustellen, welchen Beitrag Westdeutschland in dieser wichtigen europäischen Frage ständig leistet.
Meine Damen und Herren, das waren Haushaltszuschüsse, von denen wir eben gesprochen haben. Der neue Weg, der hier beschritten werden soll, besteht darin, daß der Berliner Wirtschaft unter Umgehung des öffentlichen Haushalts unmittelbar mit dem Ziele geholfen werden soll, die öffentlichen Lasten, zu denen wir Zuschüsse leisten, in Zukunft möglichst zu vermindern. Dieses Ziel wird niemals — in absehbarer Zeit jedenfalls nicht — erreicht werden können: daß der Berliner Haushalt sich selbst trägt. Berlin wird immer die schützende Hand der Bundesrepublik brauchen und sie — davon bin ich überzeugt — niemals entbehren müssen! Aber wir müssen alles tun, was in unseren Kräften steht, um die Haushaltszuschüsse zu vermindern, indem wir den eigentlichen Träger des öffentlichen Haushalts der Stadt Berlin, nämlich die Berliner Wirtschaft, in allen ihren Teilen tatkräftig zu fördern suchen. Nur wenn wir das tun, wenn wir diesen unmittelbaren Weg gehen, können wir das Elend und das Leid der Hunderttausenden von Erwerbslosen, von Alten und Kranken lindern, die mehr oder minder, mittelbar oder unmittelbar von öffentlicher Hilfe und von der Wirtschaft Berlins abhängen. Wir sind deshalb sehr dankbar dafür, daß diese Kreditgarantie von 50 Millionen D-Mark, von der wir wissen, daß das Fehlen der Erteilung großer Aufträge von Westdeutschland nach Berlin sie bisher verhindert hat, endlich über die Bühne geht. Wir begrüßen auch, daß die Bundesregierung nachträglich die Zustimmung für die bereits ausgeführte Kreditgewährung an die BEWAG einholt. Die Erhaltung dieses Werkes — daß muß einmal Herrn Rische gesagt werden — hat es den Berlinern während der Zeit der-Blockade mitunter ermöglicht, von 4 bis 1/2 5 Uhr morgens oder von 11 bis 1/212 Uhr mittags ein wenig Strom zu haben, und so den Schikanen zu entgehen, denen sie vom Osten ausgesetzt waren.
Die Umsatzsteuervergünstigung von 3 Prozent ist vielleicht nur ein bescheidener sachlicher Beitrag zu dem, was die Berliner Wirtschaft zu leisten hat. Ich weiß, daß trotzdem vorn Westen her manche Industriezweige, die sich der Berliner Konkurrenz besonders ausgesetzt fühlen, gegen diese Steuervergünstigung gewisse Bedenken- haben; sie werden diese Bedenken im Zuge der allgemeinen Auseinandersetzung um Groß-Berlin zurückstellen müssen. Im Grunde müssen wir
dankbar sein, daß die Wirtschaftskapazität Berlins der Kapazität Westdeutschlands hinzugefügt wird, und unser ganzes Ringen gilt doch eben dem Ziele, zu verhindern, daß diese Kapazität in die Hände des Ostens fällt, der davon einen Gebrauch machen wird, von dem wir wissen, wie er für uns eines Tages aussehen würde.
Es sind im Bundesrat gegen technische Einzelheiten Bedenken geäußert worden, zum Beispiel dahin, daß das Gesetz von einzelnen Berliner Firmen mißbraucht werden könnte, etwa so, daß unter Vergabe von Aufträgen in der Ostzone oder in dem Ostsektor billig eingekauft und daß dann mit Hilfe der Umsatzsteuervergünstigung zu Unterpreisen nach dem Westen geliefert wird. Es ist richtig, die Existenz eines Hungerstandards in der Ostzone neben dem relativen Wohlstand Berlins ermöglicht es, unter Umständen billiger Waren aus der Ostzone zu beziehen. Das ist das natürliche Gefälle, das sich zwischen dem guten Lebensstandard und dem Hungerstandard in der Ostzone einmal ergeben hat. Wir wissen aber, daß der Berliner Magistrat selbst auf das äußerste bemüht ist, das sich daraus ergebende Dumping nach Möglichkeit zu bekämpfen. Ich habe mich davon überzeugt, daß die Möglichkeiten der Ausnutzung dieses Dumpings infolge des tatkräftigen Einschreitens des Berliner Magistrats außerordentlich gering geworden sind. Im übrigen wird es Angelegenheit der Ausschußarbeit sein, hier die letzten Bedenken zu beseitigen.
Frau Abgeordnete Schroeder hat auf einige Unterlassungen der Bundesregierung hingewiesen; da wäre vielleicht noch etwas nachzuholen. Es ist richtig, daß wir beschleunigt darangehen müssen, Berlin die Vergünstigungen eines Notstandsgebietes in der Form von Gewährung öffentlicher Aufträge zu verschaffen. Auch diese Maßnahme ist bisher an technischen Einzelheiten gescheitert, wobei das Dumping eine gewisse Rolle spielt. Ich habe mich davon überzeugt, daß die unmittelbare Zusammenarbeit zwischen dem Wirtschaftsministerium und der Abteilung Wirtschaft im Magistrat Berlin die Angelegenheit so gefördert hat, daß sie in Zukunft erledigt werden kann.
Frau Abgeordnete Schroeder hat die Kürzung der Berlin-Zuschüsse aus dem Darlehensfonds für die Stadt Berlin zusätzlich zu den 37 Millionen D-Mark Haushaltshilfe kurz gestreift. Sie hat das mit einer bemerkenswerten Zurückhaltung getan, für die wir dankbar sein können. Eines wird man in diesem Zusammenhange sagen müssen: unsere Hilfe gilt in erster Linie der Stadt Berlin in ihrer Gesamtheit, und wir müssen natürlich dafür sorgen, daß die Hilfe, die dem Magistrat Berlin gewährt wird, in dem Rahmen bleibt, der unbedingt erforderlich ist, um den Betrieb der öffentlichen Verwaltung aufrechtzuerhalten. Wenn wir von dem Herrn Finanzminister hören, daß die öffentliche Verschuldung in Berlin gegenüber seinen Auftraggebern um 30 Millionen D-Mark vermindert worden ist, so ist das ein namhafter Fortschritt, der die Kürzung der der Verwaltung der Stadt Berlin gewährten Zuschüsse wohl rechtfertigt. Im übrigen hat der Herr Finanzminister erklärt — das ist bekanntgemacht worden, an dieser Zusage werden wir festhalten —, daß, wenn sich die Kassenlage der Stadt Berlin verschlechtern sollte, er nicht anstehen wird, die Zuschüsse in der alten Form wieder aufzunehmen.
Die nächste Frage, ' mit der sich, die Bundesregierung zu befassen haben wird, ist die der Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin. Ich habe festgestellt, daß diese Frage im Schoße der Bundesregierung eingehend erörtert wird und man in Kürze mit der Vorlage entsprechender Vorschläge durch die Bundesregierung rechnen kann. Wir werden diese Vorschläge entgegennehmen und prüfen, in welchem Umfange sie sich erweitern oder jedenfalls ausführen lassen.
Meine Damen und Herren! Alle diese Maßnahmen zusammen — nicht eine einzelne — werden dazu dienen, der Stadt Berlin den Schutz zu geben, auf den sie Anspruch hat. Das außenpolitische Ziel Deutschlands ist, möglichst bald als gleichberechtigtes Mitglied in eine europäische Föderation aufgenommen zu werden. Einen moralischen Anspruch, auf diese Aufnahme Deutschlands in die Gemeinschaft der europäischen Völker haben wir nur in einem Falle: wenn es uns gelungen ist, den Bestand der westlichen Welt ungeschmälert zu erhalten, soweit das in unseren Kräften steht. Zu dieser westlichen Welt gehört untrennbar Berlin. Die Bundesregierung wird daher der Unterstützung dieses Hauses immer sicher sein, wenn es sich um den Schutz unserer Stadt Berlin handelt.