Rede von
Dr.
Bernhard
Reismann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann Herrn Kollegen Bucerius nicht folgen, wenn er eben den Wunsch ausgesprochen hat, über die geschäftsordnungsmäßige Frage sollte nunmehr, nachdem er dazu gesprochen hat, geschwiegen werden. Dazu ist nämlich sein Argument zu schwach gewesen. Es ist gefährlich, wenn man von einer klaren Bestimmung der Geschäftsordnung zum ersten Mal gegenüber einer klaren Minderheit abweicht, ohne dafür eine ausreichende rechtliche Begründung finden zu können. Was heute in dieser Sache den Bayern passiert, kann jeder anderen Fraktion oder einem Teil einer Fraktion morgen aus einem anderen Anlaß geschehen.
Ich glaube, das Zentrum ist gegen den Verdacht gesichert, Berlin-Komplexe zu haben, wie Sie vielleicht eben geglaubt haben, daß das bei den Bayern der Anlaß sein könnte. Man muß diese Frage einmal grundsätzlich sehen. Die Geschäftsordnung sieht einen Minderheitsschutz vor, und wenn ein solcher Schutz einen Sinn haben soll, dann darf er nicht von der Mehrheit weggestimmt werden können. Wenn man also sagt: Der Ältestenrat hat gestern beschlossen, und der Vertreter der Bayernfraktion war dabei dafür, in diesem Falle von der Innehaltung der geschäftsordnungsmäßigen Vorschriften abzusehen, so hat das zur stillschweigenden Voraussetzung, daß im Plenum keiner widersprechen werde; erhebt sich aber Widerspruch, so kann auch die Zustimmung des Ältestenrates einen solchen Beschluß nicht zulässig machen. Wir haben uns durch diese Beschlußfassung auf den Boden des Illegalen begeben; denn es ist ein autonomes Statut, gegen das wir verstoßen, das für dieses Haus Gesetzes-
1 kraft und -bedeutung hat. Wir sollten in einer Demokratie solche Dinge unter gar keinen Umständen zulassen.
Das rechtsstaatliche Prinzip, der Rechtsstaat als solcher sowohl wie die Freiheit finden ihre Probe gerade darin, daß man diese Prinzipien auch denen zugesteht, denen gegenüber man selber eine andere Meiung hat.
Ich bedaure also, daß dieser Beschluß überhaupt gefaßt werden konnte. Nach, meiner Meinung hätte eine Abstimmung darüber überhaupt nicht stattfinden dürfen,
und ich bekenne, daß unsere Fraktion mit den Bayern eben gegen die Mehrheit des Hauses gestimmt hat, obwohl wir damit nichts über diese Berlin-Vorlage selber zum Ausdruck bringen wollen. Ich möchte unseren Protest gegen diese Art des Vorgehens aus rein grundsätzlichen Erwägungen hier ausdrücklich ausgesprochen haben, damit man sich in späteren Fällen nicht hierauf beruft. Ich persönlich bin der Ansicht, daß es sich hier um einen Lapsus des Hauses gehandelt hat, das sich mangels ausreichender Diskussion die Tragweite der Entscheidung offenbar nicht klargemacht hat. Aber präjudizielle Bedeutung darf dieser Beschluß auf gar keinen Fall gewinnen, sondern er muß schon jetzt als das klargestellt werden, was er ist: als ein Versehen dieses Hohen Hauses.
Meine Damen und Herren, nun zu der Angelegenheit selbst. Ich habe aber für diese wichtige Vorfrage nach meiner Stoppuhr schon anderthalb Minuten verschwendet, und bei der geringfügigen Redezeit, die meiner Fraktion zur Verfügung steht, müßte ich jetzt im Telegrammstil reden. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß die Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung der Redezeit auch eine problematische Angelegenheit ist.
Ich gehöre zu einer Fraktion, die sich bisher nicht
durch die Länge ihrer Reden ausgezeichnet hat.
Sie wollen bitte einmal zur Kenntnis nehmen, daß wir uns sowohl bei der Begründung von Anträgen als auch bei den Debatten die größten Beschränkungen hinsichtlich der Redezeit auferlegt haben, wie sie irgendeiner Fraktion überhaupt zugemutet werden können. Aber im Prinzip muß ich gegen diese Redezeitbeschränkungen meine Bedenken anmelden, und ich werde das wiederholt tun.
— Das hat mit den Wählern nichts zu tun. Die Wähler würden ihrer Verwunderung Ausdruck geben, wenn sie Gelegenheit hätten festzustellen, wie man gegen kleinere Fraktionen in der Beschränkung der Freiheit gelegentlich vorzugehen beliebt.
Im übrigen hoffe ich, daß das Präsidium in der bekannten Loyalität meinen langen Anmarschweg zur Tribüne nicht auch noch auf die Redezeit anrechnet.