Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Mit Worten läßt sich trefflich streiten!" Und wenn nun ein Jurist und ein CDU Abgeordneter anfängt, mit Worten zu streiten, dann braucht man sich über das Ergebnis wirklich nicht zu wundern. Was Sie angeblich wollen, das stent im Protokoll, im Ausschußbericht. Sie wollen angeblich parteipropagandistische und agitatorische Anträge abbremsen.
Sie haben aber fühlbar andere Absichten dabei. Was heißt „agitatorische Anträge"? Für die Herren dieser Koalitionsmehrheit und für die AdenauerRegierung ist alles Agitation, was an Forderungen für die werktätigen Massen, die Kriegsopfer, die hungernden Sozialberechtigten und die Erwerbslosen geteiit wird.
Der Herr Kollege Höpker-Aschoff, dem man bestimmt die Sachkenntnis und auch die Erkenntnis, worum es in Wirklichkeit geht, nicht absprechen darf, sprach hier von dem Feld, auf dem sich die Opposition tummle. Nun, wir haben vor einigen Wochen im Ausschuß, als die Beratungen über diesen Antrag begannen, von der Regierung eine Mitteilung bekommen, aus der zu ersehen war, daß zahlenmäßig und bezüglich der finanziellen Auswirkungen von den Koalitionsparteien das Maximum an Anträgen gestellt worden ist.
— Um so notwendiger wäre es, daß Sie sieh Selbstzucht auferlegen!
Aber Sie haben ja gar nicht nötig, sich Selbstzucht aufzuerlegen; dafür sorgt Herr Dr. Konrad Adenauer.
Wir wollen uns doch abgewöhnen, solche schönen Worte von der Notwendigkeit der Einschränkung der Freiheit des einzelnen hier auszusprechen. Ich bin der Meinung: hier kommt es darauf an, durchzusetzen, daß das Grundgesetz gewahrt wird. Darauf sollte es besonders Ihnen, den Demokraten und den schrankenlosen Verteidigern des Grundgesetzes ankommen.
Nun ist darauf hingewiesen worden, daß es schon im alten Reichstag eine ähnliche oder gleiche Bestimmung in dei Geschäftsordnung gab. Diese Bestimmung ist aus einer sehr bösen Zeit des demokratischen Lebens heraus geboren.
— Damals gab es eine KPD. Damals gab es aber auch bürgerliche Parteien und Sozialdemokraten, die nicht mehr gewagt haben, die Politik eines Brüning vor dem Volk politisch zu verantworten. Damals gab es im Reichstag bürgerliche Parteien und Sozialdemokraten, die es vorgezogen haben, über den Weg des Ermächtigungsgesetzes der Regierung die Verantwortung für den Rentenraub, für die Massensteuern, für die Abwälzung der Folgen der kapitalistischen Krise auf das Volk abzuschieben.
Der damalige Artikel der Geschäftsordnung ist in einer Periode des Zerfalls der Demokratie und nicht in der Periode ihrer Blüte zustande gekommen.
Herr Kollege Mücke hat gesagt, daß Artikel 113 des Grundgesetzes ein vollwertiger Ersatz für diesen § 48 sein sollte. Er hat gesagt, daß dieser Artikel 113 Ihnen genügen dürfte, um die Regierung davor zu bewahren, daß hier Beschlüsse finanzieller Natur angenommen werden, für die im Etat keine Deckung vorhanden ist.
Nun zu dem Antrag selber! Da heißt es: Finanzvorlagen werden vom Präsidenten des Bundestags unmittelbar dem zuständigen Ausschuß überwiesen. Das bedeutet, daß erstens hier keine Möglichkeit der Begründung der Anträge gegeben ist. Das bedeutet zweitens Übertragung einer großen Machtfülle an den Bundestagspräsidenten und damit eine schwere Verletzung der Autonomie des Bundestags, die nach Artikel 76 des Grundgesetzes in der Formulierung „Anträge gehen an den Bundestag" ihren Niederschlag findet. Anträge dürften also, wenn Sie das Grundgesetz wahren wollten, nicht durch den Bundestagspräsidenten an einen Ausschuß geleitet werden, sondern müßten bestenfalls oder, sagen wir einmal: schlimmstenfalls, nachdem sie zuvor hier eingebracht sind, durch den Bundestag an den Ausschuß überwiesen werden. Es gibt keinerlei Möglichkeit, zu beweisen, daß die Praxis, die Sie hier einführen wollen, mit Artikel 76 des Grundgesetzes vereinbar ist.
Nun die zweite Bestimmung: „In Zweifelsfällen entscheidet der Bundestagspräsident im Einvernehmen mit dem Ältestenrat." Ist das die Funktion, die dem Ältestenrat laut Geschäftsordnung zusteht? Wenn Sie das beschließen wollten, müßten Sie die Funktionen des Ältestenrats dahingehend erweitern; daran haben Sie bisher noch nicht gedacht.
Ich frage: Wo bleibt bei dieser Formulierung, die Sie uns heute zur Beschlußfassung vorgelegt haben, das Initiativrecht des Bundestags, wenn Sie davon ausgehen, daß wir auch auf dem Gebiet des Ausgabenrechts das Recht der Initiative haben? Wie paßt außerdem in das von Ihnen jetzt durchgedrückte Prinzip die Bestimmung hinein, daß Gesetzesvorlagen auch aus der Mitte des Hauses kommen können?
Und nun zu einem andern Teil dieser Vorlage. Es heißt hier:
Finanzvorlagen sind alle Vorlagen der Bundesregierung und alle Anträge von Mitgliedern des Bundestags, die in der Hauptsache bestimmt oder in erheblichem Umfang geeignet sind, für die Gegenwart oder die Zukunft auf die öffentlichen Finanzen einzuwirken.
Für die Zukunft, meine Herren! Für welche Zeitperiode machen wir hier einen Haushaltsplan? Für ein Jahr! Durch diese Festlegung geben wir der jeweiligen Koalitionsmehrheit oder der jeweils an I der Macht befindlichen Regierung die Ermächtigung, Vorlagen mit der Begründung abzulehnen, daß sie in der Perspektive, in 10, 20, 30 oder 40 Jahren einmal zu einer Belastung führen werden.
Nach der Verfassung stehen Herrn Dr. Adenauer als Bundeskanzler vier Jahre zu.
Niemand wird mir unterstellen, daß ich ihm privat, ihm persönlich einen vorzeitigen Tod Wünsche.
Ich möchte nur sagen, daß ich die Regierung — —Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter Renner, das ist ein schlechter Scherz.