Meine Damen und Herren! Meine Fraktion wird den Abänderungsantrag zur Geschäftsordnung ablehnen, weil sie die Auffassung vertritt, daß dieser Antrag mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und deshalb unzulässig ist. Der Herr Kollege Kiesinger hat in seinem schriftlichten Gutachten am Schluß zur Begründung der Zweckmäßigkeit dieses Abänderungsantrages erklärt, der Antrag werde zur Vermeidung agitatorischer und parteipropagandistischer Anträge gestellt. Meine Fraktion ist als Oppositionspartei weit davon entfernt, im Bundestag Anträge parteipropagandistischen Inhalts zu stellen. Sie sieht darin keinesfalls die Aufgabe der Opposition. Sie verwahrt sich deshalb auch entschieden gegen in letzter Zeit veröffentlichte Äußerungen der Presse, die der Regierung nahesteht, die dahin gehen, daß gerade die sozialdemokratische Fraktion bei ihrer Antragstellung im Bundestag sich bisher von solchen Erwägungen habe leiten lassen. Meine Fraktion wird sich auch in Zukunft ihrer Verantwortung bewußt sein. Wenn wir gerade den hier zur Diskussion stehenden Abänderungsantrag zur Geschäftsordnung ablehnen, so tun wir es nicht, um uns etwa einen Freibrief für Hemmungslosigkeit in der Antragstellung zu verschaffen, sondern wir tun es weil wir wieder einmal gezwungen sind, die Rechte des Parlaments zu wahren. Leider ist das in der kurzen Zeit des Bestehens dieses Parlaments schon wiederholt notwendig gewesen. Es geht auch bei diesem Antrag um die Einschränkung der Rechte des Parlaments, und zwar hier um seine Initiative, weiterhin um das Haushaltsrecht und die Autonomie des Parlaments.
Ich habe mich gewundert, daß sich im Rechtsausschuß eine Mehrheit für den Abänderungsantrag gefunden hat. Wenn sich die Kollegen, die mit Mehrheit für die Vorlage gestimmt haben, die Materialien des Parlamentarischen Rats angesehen hätten, wo gerade dieser Komplex Gegenstand eingehender Beratungen war, so hätten sie als gute Juristen sich unserer Auffassung anschließen müssen. Im Parlamentarischen Rat ist — nachzulesen im Protokoll der 14. Sitzung des Finanzausschusses — vom Herrn Kollegen Dr. Höpker-Aschoff ein Antrag auf Einsetzung eines Artikel 124 b eingebracht worden, der später in Artikel 124 c umgewandelt und in das Grundgesetz schließlich als Artikel 113 aufgenommen wurde. Dieser Artikel erfordert die Zustimmung der Bundesregierung bei Beschlüssen des Bundestags und des Bundesrats, welche den vorgeschlagenen Haushaltsplan erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft neue Ausgaben mit sich bringen. Dieser Antrag ist in Anlehnung an die englische Praxis eingebracht worden. Er gibt der Bundesregierung eine außergewöhnliche Machtstellung, da die Bundesregierung sich mit dieser Bestimmung über übereinstimmende Beschlüsse des Bundestags und des Bundesrats hinwegsetzen kann.
Meine Freunde im Parlamentarischen Rat haben sich damals gegen diese Bestimmung ausgesprochen. Das ist auch in der entscheidenden Sitzung des Hauptausschusses geschehen; nachzulesen im Protokoll der 15. Sitzung des Hauptausschusses vom 2. 12. 1948. Wir haben gesagt, daß eine solche Bestimmung eine untragbare Einschränkung der Legislative durch die Exekutive bedeutet. Das Gegenargument, das damals von der anderen Seite vorgebracht wurde, ist dasselbe Argument, das heute in dem schriftlichen Bericht des Herrn Kollegen Kiesinger angeführt wird, nämlich die Vermeidung agitatorischer Anträge und Beschlüsse. Diese Meinung ist seinerzeit im Parlamentarischen Rat sowohl vom Herrn Kollegen Dr. Höpker-Aschoff wie vom Herrn Dr. Binder wie vom 'Herrn Kollegen Dr. Seebohm vertreten worden. Zudem ist bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat der § 48 a der Geschäftsordnung des früheren Reichstags in Erwägung gezogen worden. Es ist gerade von uns eingewendet worden, daß eine eventuelle Festlegung genüge, daß mit einem Antrag, der eine Finanzvorlage bedeutet, unbedingt ein Deckungsvorschlag gemacht werden müsse. Auf unsere Argumente hat Herr Kollege Dr. Höpker-Aschoff in der von mir erwähnten Sitzung des Finanzausschusses wörtlich erklärt: „Wenn ich den Artikel 124 b" — der später der Artikel 113 geworden ist — „habe, brauche ich keine Deckungspflicht." Es steht also fest: bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat ist der Artikel 113 gegen die Auffassung meiner Freunde im Parlamentarischen Rat als die weitergehende Lösung an Stelle der jetzt vorgesehenen Lösung gemäß § 48 a der Gechäftsordnung beschlossen worden.
Noch eines ist hier anzuführen. In der Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, die ich bereits erwähnte, ist auf den Herrenchiemseer Entwurf Bezug genommen worden. der die Grundlage für die Beratungen des Parlamentarischen Rates bildete. Der Herrenchiemseer Entwurf enthielt eine ähnliche Regelung, wie sie in der zur Debatte stehenden Vorlage jetzt vorgesehen ist. Diese Regelung des Herrenchiemseer Entwurfs ist von meinen Freunden in der Sitzung des Hauptausschusses zum Antrag erhoben, und es ist eine Regelung dahin getroffen worden, daß entgegen unserem Antrag mit einem Abstimmungsverhältnis von 11 zu 10 der Artikel 113 angenommen wurde.
Damit steht fest, daß hier durch die Verfassung bereits eine abschließende Regelung getroffen worden ist und daß man, wenn man dem hier zur Debatte stehenden Vorschlag zustimmen würde, gegen die Verfassung handeln würde. Denn dieser Vorschlag bedeutet -- das geht doch aus dem Material des Parlamentarischen Rates eindeutig hervor — eine materiell-rechtliche Regelung.
Wenn man dazu noch die Absätze 1 und 2 des
48 a betrachtet, so ergeben auch die praktischen Konsequenzen dieser Bestimmungen ihre Unmöglichkeit. Nach diesen Bestimmungen soll in der Regel der Präsident des Bundestages nach Anhörung — nicht etwa im Einvernehmen, er ist also hier autoritär eine Finanzvorlage entweder dem Finanzausschuß oder dem zuständigen Ausschuß oder beiden Ausschüssen überweisen. Man muß doch hier von der Feststellung ausgehen, daß erst der Bundestag da war, ehe die Ausschüsse gebildet wurden. Die Ausschüsse sind nichts ohne Bundestag. Ein Ausschuß kann doch erst dann funktionieren und arbeiten, wenn er einen entsprechenden Auftrag hat. Wenn man der Argumentation der Antragsteller folgen würde, so würde das doch zur Folge haben, daß ein Ausschuß, dem eine solche Finanzvorlage unmittelbar überwiesen wird, sich einfach über den Bundestag hinwegsetzen kann. Der Bundestag hätte keinerlei Einwirkungsmöglichkeit auf die-
sen Ausschuß, da dem Bundestag ja die Vorlage fehlt, auf Grund deren er seine Beschlüsse zu fassen hat. Diese Überlegung ergibt also auch die praktische Unmöglichkeit des hier zur Debatte stehenden Antrags. Das gleiche gilt für Absatz 2 des vorgeschlagenen § 48 a, wonach in Zweifelsfällen, hier allerdings im Einvernehmen mit dem Ältestenrat, der Präsident des Bundestags entscheidet, ob eine Vorlage eine Finanzvorlage ist oder nicht. Der Ältestenrat ist aber genau dasselbe wie ein sonstiger Ausschuß. Es gilt für ihn das gleiche wie das soeben Gesagte.
Wir alle haben die Aufgabe, die Verfassung zu achten. Wenn man dem Antrag der Antragsteller folgen würde, dann würde man den Artikel 113 des Grundgesetzes mindestens in der Praxis illusorisch machen. Die Bestimmung des Artikel 113 des Grundgesetzes ist nun einmal Verfassung; wir haben diese Verfassung zu achten. Und hier kommt noch ein Weiteres hinzu. Der Artikel 113 gibt der Regierung mit der ihr dort gegebenen Machtbefugnis bewußt auch eine bestimmte Verantwortung. Wir würden der Regierung diese Verantwortung nehmen, wenn wir durch die Annahme des § 48 a die Anwendung des Artikel 1l3 illusorisch machen würden.
Weil wir gegen eine Verfassungsverletzung sind und weil wir auch nicht daran denken, der Regierung eine Verantwortung zu nehmen, die ihr verfassungsmäßig auferlegt ist, sind wir gegen die Annahme des abgeänderten Antrags der FDP. Deshalb werden meine Freunde und ich gegen diese Vorlage stimmen.