Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. Höpker-Aschoff hat uns hier scheinbar sehr gelehrte Ausführungen über die französischen und britischen Rechtsbräuche gemacht, aber ich fürchte, Herr Kollege Dr. Höpker-Aschoff, Sie haben Ihren juristischen Etat dabei etwas überzogen.
Wenn Sie in das französische Parlament gingen und die Möglichkeit unterstellten, daß ein französischer Finanzminister gegenüber einer Bewilligung des Parlaments sagen würde, er habe ein absolutes Vetorecht, so glaube ich nicht, daß der französische Finanzminister dort in der Nationalversammlung gehört werden würde, wenn er sich auf das Bonner Grundgesetz beriefe.
Genau so liegen die Dinge hier auch. Das, was
Sie aus der französischen Geschäftsordnung zitierten, hat ja seine Grundlage darin, daß die gleiche Bestimmung in der französischen Verfassung als Verfassungsrecht steht. Wenn das der Fall ist, dann kann sie auch in die Geschäftsordnung aufgenommen werden. Also das dürfen Sie dabei nicht fortlassen. Genau so handelt es sich auch im britischen Unterhaus nicht um eine Bestimmung der Geschäftsordnung, sondern um ein britisches Verfassungsrecht, das seit ungefähr 200 Jahren geübt wird, aber immer seinen Sinn findet in dem jeweiligen Gleichgewicht zwischen Krone und Parlament in England, zwischen Regierung und Nationalversammlung in Frankreich.
Auch in Deutschland muß ein gewisses Gleichgewicht gefunden werden, worauf der Herr Kollege Dr. Reismann mit Recht hingewiesen hat. Sie selbst sind ja einer der Väter des Artikel 113, und ich weiß nicht, warum Sie Ihr Kind in diesem Hause jetzt so schmählich im Stich gelassen haben.
Aber ich will mich jetzt auf Rechtsausführungen nicht weiter einlassen. Sie können die Rechtsausführungen aus dem schriftlichen Bericht ersehen. Ich möchte das Haus damit nicht aufhalten; denn die Frage wird ja voraussichtlich doch zur Entscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht kommen.
Ich muß nur noch auf gewisse politische Argumente antworten, die hier vorgetragen worden sind. Der Herr Kollege Dr. Höpker-Aschoff hat nämlich auch gesagt: „Vor der Verschwendung durch die Regierung schützt das Parlament, und vor der Verschwendung durch das Parlament schützt die Regierung". Nun, das zweite ist durch Artikel 113 in gewisser Weise richtig. Aber stimmt denn sonst dieses so volkstümliche Argument? Meine Damen und Herren, Sie sind ja die Mehrheit der Regierung, und Sie schützen die Regierung keineswegs vor Verschwendung, sondern wenn die Regierung Ihnen eine Einkommensteuervorlage macht, durch die ein unerhörtes Geschenk gemacht wird, dann bewilligen Sie der Regierung durchaus diese Verschwendung.
Also so verhalten sich die Dinge hier, daß wir doch das Zusammenspiel zwischen der Regierung und der Koalition sehen müssen und nicht die Dinge vielleicht für draußen anders hinstellen dürfen, als sie in Wirklichkeit sind.
Genau so ist es mit dem schönen Wort der Selbstzucht. Ich erinnere daran, daß wir schon einmal in Deutschland ein sogenanntes Parlament hatten, das so viel Selbstzucht übte, daß es sich mit dem Anhören der Regierungserklärungen und dem Absingen gewisser Lieder begnügte.
Also man kann auch die Selbstzucht übertreiben. Aber wenn Sie Selbstzucht üben wolien, dann darf ich Ihnen empfehlen, die Selbstzucht vor dem Grundgesetz zu üben. Daran lassen Sie es meistens ganz erheblich fehlen.
Denn alles das, was Sie in dieser Beziehung gesagt haben, kann uns nicht von der Meinung abbringen, daß Sie mit diesem Antrag nichts anderes bezwecken, als erneut diejenigen Gruppen
in diesem Hause, die in der Minderheit sind, an
ihrer verantwortungsbewußten Tätigkeit zu hindern. Wie wir pflichtgemäß zu handeln haben, das werden wir uns selbst überlegen, und das lassen wir uns nicht von Ihnen durch Ihre Geschäftsordnung vorschreiben.
Ich kann Ihnen im übrigen ein Beispiel dafür geben wie man sehr verschiedener Meinung dar. über sein kann, was ein Agitationsantrag ist, sogar verschiedener Meinung innerhalb der gleichen Partei, der CDU. Ich denke daran, wie der Herr Kollege Bucerius an diesem Platz gestanden und mit einem erheblichen Pathos gesagt hat, daß. unser Antrag,, die Hausratshilfe vorzufinanzieren, ein Agitationsantrag wäre, und der Herr Abgeordnete Dr. Konrad Adenauer war dann der erste, der bei der namentlichen Abstimmung diesem „Agitationsantrag" zustimmte.
Sie sehen, wie man sehr verschiedener Meinung über das sein kann, was der Agitation und was der Sache gilt.
— Nein, meine Damen und Herren, Sie wollen nach einem Wort handeln, das der Philosoph Immanuel Kant in seinem Traktat über die Aufklärung geschrieben hat und das genau das Rechte trifft. Da hat Kant gesagt: Es ist so bequem, unmündig zu sein.